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02-Abendausgabe Leipziger Tageblatt und Anzeiger : 22.09.1896
- Titel
- 02-Abendausgabe
- Erscheinungsdatum
- 1896-09-22
- Sprache
- Deutsch
- Digitalisat
- SLUB Dresden
- Lizenz-/Rechtehinweis
- Public Domain Mark 1.0
- URN
- urn:nbn:de:bsz:14-db-id453042023-18960922027
- PURL
- http://digital.slub-dresden.de/id453042023-1896092202
- OAI-Identifier
- oai:de:slub-dresden:db:id-453042023-1896092202
- Sammlungen
- LDP: Zeitungen
- Strukturtyp
- Ausgabe
- Parlamentsperiode
- -
- Wahlperiode
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Inhaltsverzeichnis
- ZeitungLeipziger Tageblatt und Anzeiger
- Jahr1896
- Monat1896-09
- Tag1896-09-22
- Monat1896-09
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Reklamen unter demRrdaction«strtch («ge spalten) LO/^, vor den Familiennachricht,, (6gespalten) 40^. Größere Schriften laut unserem Preis- «erzeichniß. Tabellarischer und Ziffrrnsatz nach höherem Laris. Ertra »Beilagen (gefalzt), nur mit de, Morgen-Ausgabe, ohne Postbesvrderung 60.—, mit Postbesörderimg 7V.—. Annahmeschluß für Anzeigen: Abend.Aurgabe: Vormittag« 10 Uhr. Margen»Au«gabe: Nachmittag« 4Uhr. Vei den Filialen und Annahmestellen je ein« halbe Stunde frühe». Anreihen sind stet« au die Erpeditisn zu richten. Druck nnd Verlag von E. Pol» in Leipzig 80. Jahrgang. Politische Tagesschau. * Leipzig, 22. September. Auf dem extremeren Flügel der nltramontancn Presse wird noch immer von der Rede gelebt, die auf dem Dort munder Katholikentage Herr Di-. Bachem gehalten hat. „Katholisch ist Trumpf", hat bekanntlich s. Z. in Mainz ein pfälzischer Geistlicher gesagt; Herr Bachem ist so freundlich, da« Wort „Katholisch" schlechtweg in „Ultramontan" zu übersetzen. Er bat kurzweg für die Ccntrumspartei die Vertretung des deutschen Katbolicißmus als Monopol in An spruch genommen. Wie wenig dieser Anspruch auch nur numerisch berechtigt ist, geht au« dem Umstande hervor, daß die Zahl der Ccntrumsmandate im Reichstag noch keineswegs dem Verhältniß der Zahl der Katholiken im deutschen Reich entspricht; obendrein entfällt nach statistischer Berechnung auf ein Ccntrumsinandat unter sämmtlichen deutschen Parteien säst die geringste Durchschnittszahl der abgegebenen Stimmen. Aber Herr Backem spricht verächtlich von den ver schiedenen katholischen Rebenrichtungen, die sich aufgetban baden und wieder zu Grunde gegangen sind: liberale Katho liken, Deutsch-, Alt-, Staatskatboliten rc. Daß die selige „Excellenz" Windthorst einmal dem AltkatholiciSmus sehr nahe stand und sich bereits sür künftig excommunicirt ansah, braucht Herr Bachem nicht mehr zu wissen; etwas Anderes ist eS, wenn die Frage sich erhebt, mit welchen Mitteln bas Ccntrum die abweichenden Gesinnungen innerhalb der katho lischen Bevölkerung nicdergckämpst hat. Hier ist die Nemesis bereits cingelreten. Jn Altbayern bat man gleich nach 1870 den Reichs-und Staatsgedanken beiderBauernschastdcmagvgisch bekämpft; jetzt zeigt sich die Folge darin, daß eben diese Bauern schaft aus ihren Versammlungen gegen den Klerus wüthet. In Oberschlesien war nicht wie in Bayern der Alt-, sondern der Staatskatholicismus zu bekämpfen; man that dies auch mit schrankenloser Unbekümmertheit um die Wahl der Mittel. Das Ergebniß bat man dann in der Ver drängung der deutschen Centrumsleute durch die polnischen erzielt. Mutzte doch schließlich ein Centrumscorrespondent dem in Pleß-Rybnick gewählten Rechtsanwalt RadwanSki noch dank bar dafür sein, daß er wenigstens formell der Centrums- fraction beitrat; uotu bene nachdem dieser in der Wahl bewegung sich in der rücksichtslosesten Weise über den wahl politischen Einfluß des katholischen Klerus geäußert batte. Der kirchliche Kathvlicismus in Deutschland wird vielleicht eines Tages noch um die liberal- oder staatskatholische Rich tung froh sein, wenn das Centrum in seinem politischen Machtstreben nnd seiner grundsatzlosen Wahltaktik die von ihm abhängigen Wählermassen glücklich völlig demoralisirt und unkirchlich gemacht haben wird. Auf dem Wege dazu ist es bereits. Um so mehr ist die nationalliberale Partei verpflichtet, den politischen Machtbestrebungen des ultra montanen Eentrums cntgegenzutrelen und zu verhüten, daß zum Schaden der Religion ein immer größerer Theil des deutschen KatboliciSmus unter den Lemoralisirenden Terro rismus dieser Partei gebeugt werde. Am Sonntag ist in Teplitz der deutsch-böhmische Ltädtc- tag abgehalten worden. Er war von den Städten Teplitz und Reichenberg rinberufen, um einem lebhaften Protest gegen die herausfordernden Demonstrationen der Tschechen Ausdruck zu geben. ES waren fast alle deutschen Städte und Bezirke durch ihre Bürgermeister und Bezirks obmänner vertreten. Einstimmig wurden alle Beschlüsse gefaßt, und einmüthig war man in der Entschlossenheit, den deutschen Gedanken auch inmitten czechischer Hoch- fluth hoch zu halten. So wurde die Aufforderung des Haupt redners, Bürgermeister Posselt'S auS Gablonz, an die Ab geordneten, den Landtag sofort zu verlassen, wenn sich ihr Berbleiben mit der Ehre und Würde deS deutschen Volkes nicht mehr vertragen würde, mit stürmischem Beifall ausgenommen. Der Redner betonte weiter, wie leicht fertig die tschechische Propaganda die Aufwulstung der Massen betreibe, wie mit dem Gelbe deutscher Steuerträger von tschechischen Gemeinden Unternehmungen unterstützt werden, deren eingestandene Zwecke die Tschechisirung der deutschen Gemeinden ist, und fuhr dann fort: „Diesem frevelhaften Treiben muß endlich Einhalt gethan werden, soll nicht der Kampf Aller gegen Alle entfesselt und die deutsche Be völkerung gezwungen werden, an Stelle der bisherigen Duldung die schärfste Rücksichtslosigkeit zu setzen und alle jene Maßregeln zu ergreifen, die zur Reinhaltung des deutschen Sprachgebietes und zur Wahrung deS Hausrechtes in dem von den Vätern ererbten Gebiet geeignet erscheinen." In einer Resolution wurde ausgesprochen, daß die tschechischen Klagen über angebliche Bedrückung tschechischer Minoritäten auf Unwahrheit beruhen und daß nicht eher geordnete Zu stände im Lande Kerrschen werden, als bis die Provinz Böhmen in ein deutsches und ein tschechisches Verwaltungs gebiet getheilt sein werde. Den Abgeordneten deS deutschen Volkes wurde aufgegeben, Alles daranzusetzen, die sprachliche Zweitheilung endlich auf allen Gebieten durchzuführen und zu geloben, in Uebereinstimmung mit allen ihrer nationalen Ehre und Würde sich bewußten Deutschen in Böhmen die Rechte deS deutschen Volkes mit zähester Aus dauer, nöthigensallS mit aller Rücksichtslosigkeit zu ver- theidigen und nichts zu unterlassen, was zum Schutze des deutschen Besitzstandes und der nationalen Eigenart das Ge bot der Selbsterhaltung erheischt. Dieser Beschluß wurde einhellig genehmigt, ebenso ein Beschluß, der die Schaffung eines Nationalfonds bezweckt, für dessen Beschaffung ein eigenes Comits eingesetzt wurde. Der Fonds soll, wie der ausdrückliche Beschluß feststellt, ein Nationalfonds deS ge- sammten deutschen Volke- ohne Rücksicht auf die einzelnen Parteien sein und nicht einzelnen Personen, sondern dem ganzen deutschen Volke dienen; er soll begründet werden durch Unterstützung aller deutschen VolkSaenossen Böhmens, insbesondere der deutschen Stadt- und Bezirksvertretungen und der Geldanstalten. Den Beschluß der Tagesordnung bildete eine Resolution, die sich gegen die tschechischen Minderheitsschulen als ein Mittel zur Tsckeckisirung aus sprach. Mit diesem Stadtetag ist endlich ein Anfang gemacht worden, über allen Parteihader hinweg eine einzige große Parteibewegung zu entfachen, die sich der tschechischen Propa ganda entgegenstellt. Auf dem internationalen Krtedenseongretz, der Ende voriger Woche in Pest tagte, wäre, wie man jetzt auS ungarischen Blättern ersieht, am Freitag beinahe der — Krieg ausgebrochen und zwar infolge der Rede- und Kampfes lust der anwesenden Vertreter des sogenannten „schwächeren" Geschlechtes. Die Herrschaften beschäftigten sich mit der Lösung der orientalischen Frage, und General Türr, der Vor sitzende, hatte beantragt, es solle der Congreß an alle Staats oberhäupter Adressen senden und darin die Einsetzung eines Schiedsgerichts verlangen. „Auch an den Papst!" sagte ein klerikaler Friedensapostel. „Dagegen protestier ich!" rief eine Engländerin, MrS. Vincent. „Er ist aber das Haupt der Christenheit!" entgegnete der Kleriker. Es gab em Durcheinander, da Viele zugleich reden wollten. Endlich kam die unvermeidliche Baronin Suttner zum Wort und erklärte, daß sie es sür statthaft halte, auch an den Papst eine Adresse zu richten. Nun wollte eine andere Engländerin, Miß Ellen Robinson, auch die Freimaurer mit einer Adresse bedenken. Als wiederum durcheinander geredet wurde, sagte General Türr: „Aber ich bitte, meine Damen und Herren, daS ist ja alles Andere als ein Friedenskongreß!" Man einigte sich endlich dahin, daß in Sachen der orientalischen Frage Adressen auch an die Oberhäupter sämmtlicher „Con sessionen", insbesondere auch an die Oberrabbiner, gerichtet weroen sollen. Wenn nun die Oberväupter sämmtlicher Staaten und Confessionen nicht schleunigst ein Schiedsgericht einsetzen und dieses nicht schleunigst einen Spruch fällt, dem alle Betheiligten sich schleunigst fügen, so wird den Rednern und Rednerinnen des Congresses nichts Anderes übrig bleiben, als selbst nach dem Orient zu gehen und dort ihre über alle Diplomatenkünste erhabenen Künste zu erproben. Es könnte den Anschein gewinnen, als ob der Versuch der englischen Presse, durch das Anerbieten an den Zaren, ibm Konstantinopel zu überlassen, das Mißtrauen deS Sultans gegen Rußland zu erregen, den erwünschten Erfolg gehabt hätte. Die im heutigen Morgenblatt mit- getheilte Nachricht der „Voss. Ztg." aus Konstantinopel, am Mittwoch und Donnerstag voriger Woche seien alle Maßregeln getroffen gewesen, um auf ein gegebenes Zeichen ein allgemeines Blutbad anzurichten, Pera zu bombardiren und in Brand zu schießen; der Sultan habe erklärt, wenn eine Flotte die Dardanellen passire, würde kein Christ am Leben, von der Stadt kein Stein auf dem anderen bleiben rc. — diese Nachricht, sofern sie sich überhaupt bestätigt, würde auf eine derartige Wirkung der englischen Preßanerbiekungen schließen lassen, wenn angenommen werden könnte, daß sie am Mittwoch in Konstantinopel bereits be kannt gewesen wären. Aber das ist unmöglich, da sie an diesem Tage erst ganz schüchtern begannen. Was den Sultan plötzlich so erregt hat, bleibt also vorläufig ein Geheimniß, man müßte denn annehmen, er hätte im Traume die — eng lische Flotte vor den Dardanellen gesehen. UebrigenS müßte L^ türkische Großberr noch weit leichtgläubiger sein, al« er in der Thal ist, wenn er an die Aufrichtigkeit jener An erbietung geglaubt und es sür möglich gehalten hätte, daß England, um nur auf irgend eine Weise im Orient Wandel geschaffen zu sehen, Rußland freie Hand lassen würde. Weder m Wien, noch in St. Petersburg und Moskau glaubt man, daß England im Ernst daran denke, dem Zaren Kon stantinopel zu überlassen. Aus Wien wird über diesen Punct der „Allgem. Ztg." geschrieben: Das Recept, welches in den englischen Blättern für die Heilung des „kranken Mannes" verschrieben wurde, indem man die Absetzung des Sultans als daS wirksamste zu verabreichende Mittel verlangte, hat man in Wien keinen Augenblick für etwas Andere- als sür ein von unbefugten Quacksalbern ersonnenes Ex periment gehalten, und es ist auch Niemandem eingefallen, die englische Regierung sür das Nuftauchen dieses Projects ver antwortlich zu machen. Es kann daher auch Niemanden Wunder nehmen, wenn man da« neueste Schibolrt eines Theil« der englischen Presse, der den Cypern-Vertrag für dir Verständigung mit Rußland geopfert wissen und dem Zaren Konstantinopel zu Fützen legen will, nicht ernster nimmt, als den noch vor einigen Tagen vernommenen Ruf nach eventueller Forcirung der Dardanellen. Man hat hier keinen Augenblick geglaubt, daß England die Absicht fassen könnte, allein zu einer Action zu schreiten; freilich hat man diese Zweifel in höflicher Weise durch die Klugheit der englischen Staatsmänner begründet, nicht aber durch den Hinweis aus die Ohnmacht Eng. lands, wie dies Len Engländern von hervorragenden eigenen Lands, leuten ebenso beleidigend wie geringschätzig widerfahren ist. Die Anerbietungen, die englischersrits nun dem Zaren gemacht werden, er solle nur Konstantinopel, wenn er Appetit auf dasselbe habe, zum Früh stück nehmen, lassen sich wegen ihrer unfreiwilligen Komik nur belächeln, nicht aber ernsthaft discutirrn. Hat man es mit Blüthen der parteipolitischen Bestrebungen zu thun, die darauf abzielen, der liberalen Opposition zu ermöglichen, daß sie den Hinweis auf die Jsoiirung Englands und auf die Opfer, die r- bringen müßte, um aus ihr herauszukommen, zu einem Vorstoß gegen da« Cnbinet benütze, so brauchten wir uns darüber nicht zu echauffiren; ebenso wenig aber auch dann, wenn etwa die in so gemüthlichrr Weise angekündigte Ueberlassung Konstantinopel- an Rußland eine indirrcte tendenziöse Drohung gegen Oesterreich-Ungarn bezwecken sollte." Völlig im gleichen Sinne äußert sich ein Wiener Corre spondent der „Kreuzztg.". Und waS die Wirkung der eng lischen Preßanerbietungen auf Rußland betrifft, so schlägt man dort in die dargebotene Hand nicht nur nicht ein, sondern belächelt da« dargebotene Opfer Englands, zu dessen Darbringung eS gar nickt befugt sei, und will überhaupt, sofern die Ordnung der Verhältnisse im Orient ein weiteres Zusammenwirken der Mächte erheischen sollte, von einem Mitlhun Englands nichts wissen; man würde es lieber sehen, wenn England aus dem Concerte ganz und gar auS- schiede oder, besser gesagt, von den anderen Mächten aus geschieden würde. Dieser Wunsch wird von den „Peter- burgsk. Wjedom."und von der „Now. Wremja", deren Artikel man von Petersburg aus sogar telegraphisch verbreitet, in unverblümter Weise ausgesprochen. Diese Wirkung hat man in England wohl schwerlick erwartet, und die Enttäusckuug muß daher eine um so größere sein! Liegt nach dem Vorstehenden eine Verständigung sämmt- licher Mächte über einen moüus xrocecksucki in der Türkei in weiterem Felde als je, so ist es um so mehr zu beklagen, daß auch zwischen den Botschaften und den Gesandt schaften in Konstantinopel kein Einvernehmen besteht. Ein Telegramm der „Voss. Ztg.", daS hierüber berichtet, lautet,: Konstantinopel, 20. September. Eine Spaltung zwischen den Botschaften und Gesandtschaften ist nunmehr ringe- treten, weil die Botschaften versäumten, die Gesandtschaften von der für die Fremden bestehenden Gefahr zu unterrichten. Die Gesandt- schäften übergaben der Pforte eine Collectivnote, sie über die bevorstehenden Gefahren zu unterrichten. Die Note ist von den Gesandten Amerikas, Belgien-, Rumänien-, Schwedens und Hollands unterzeichnet. Griechenland geht seit der kretensischen Frage mit den Botschaftern. Daß durch solche Differenzen unter den Diplomaten am Hofe deS Sultan- das Leben vieler fremden Staatsangehörigen gefährdet wird, liegt auf der Hand. Ein beruhigendes Moment liegt nur darin, daß die Auffindung von armenischen Sprengwerkzeugen Fortschritte macht; man wird also vor neuen Attentaten wenigstens eine Weile sicher sein können. Andererseits werden die Mittheilungen, die der Anarchist G. Landauer am Sonntag in Berlin über die von den armenischen Revolutionairen an die Theilnebmer am inter nationalen Socialisten-Congreß in London ge richteten Bittgesuche sicherlich nicht dazu beitragen, den Bot schaftern, besonders dem diplomatischen Vertreter des Zaren m Konstantinopel, neue Mahnungen an den Sultan zur Schonung der revolutionairen Elemente nahe zu legen. Deutsches Reich. Berlin, 21. September. Die immer dringender werdende Ausgabe, eine Lezaldefinition der Begriff- Hand werk und Fabrik aufzustellen, um eine strenge Scheidung zwischen Handwerksbetrieb und Fabrikdetrieb vor- FerriHetsn. Die Tochter des Geigers. 12s Roman von A. Brüning. Nachtruck »erboten. Lia Rose hatte die Worte vernommen, sie zuckte zu sammen, als ob ein schmerzender Stich sie getroffen hätte. „Ein Landstreicher, — ach mein Gott!" Sie rang in stummer Oual die feinen Hände ineinander. Ja, sie batte es bis jetzt nicht bemerkt, seine Kleidung rechtfertigte beinahe das häßliche Wort, und seine Wangen — ach, wie hohl und eingefallen waren sie! Wie mochte er gedarbt haben, um bis hierher zu gelangen: vielleicht hatte er sogar öfters der Nahrung entbehrt! — Und dieser Mann mit dem Silber baar, mit der müden gebrochenen Gestalt zählte erst acht undvierzig Jahre» im besten Manneöalter war er ein Greis! O, es war bart, bitter hart für der Tochter liebendes Herz, zu denken, daß er eS um ihretwillen geworden sei. Mit bebendem Eifer zog sie das Medaillon unter dem Gewände hervor und blickte mit überströmenden Augen auf daö Bild des schönen, glänzenden Künstlers, den Vater zu nennen sie sich stets so stolz gefühlt hatte. Wie ander- hatte sie sich Las Wiedersehen geträumt: von der Sonne deS Ruhmes bestrahlt, reich an Glanz und Ehre würde er wieder kommen, batte sie gewäbnt und nun? — Nun nannte man ihn einen Landstreicher, sie war seine Tochter, nnd, o, schnei dender Hohn — sie war eine Fürstenbraut! Nein, sie fühlte eS deutlich, daS paßte in Ewigkeit nicht zusammen, eins von Beiden nur konnte sie sein, und wie auch ihr Herz zerriß in der furchtbaren Wahl: sie schwankte nicht, ihr Platz war an deS Vater- Seite, den sie im Unglücke noch zärtlicher liebte als ruvor, und dem fortan ihr ganze« Leben, all ihr Thun und Denken geweiht sein mußte, um ihm zu ersetzen, was die kalte, mitleidslose Welt ihm vorenthalten hatte. Der Himmel hatte ihr die Entscheidung vorgezeichnet, klar lag -der Weg vor ihr, den sie zu gehen hatte. Sie mußte ihn wählen trotz der Dornen, mit denen er bestreut war, sie durfte nicht zurückblicken nach dem Rosengarten ihrer Liebe, dem Paradie«, au- dem sie sich selber vertreiben mußte. Aber Edgar? Der Gedanke an ihn jagte einen Schauer durch ihre Glieder. Wie würde er eS tragen? Sie hatte ihm ihr Wort gegeben, würde er sie nicht treulos schelten, wenn sie r< brach, sich nicht von ihr abwendrn in Haß und Verachtung? O, nur da- nickt — da« vermochte sie nicht zu ertragen! Sie faltete die Hände und stehle zu Gott, daß er glücklich werden möge, glücklich an der Seite jener Anderen, der seine Hand zu reichen die Pflicht gegen einen Todten ihm gebot. In dieser edlen Frauenseele batte die Eifersucht keinen Raum: eS gewährte ihr Trost, an Prinzessin Therese nnd an jene- heiße „Ick liebe" zu denken, das sie ihr unter Fieber schauern zugeflüstert hatte. Sie wußte jetzt, wem e« gegolten batte, und diese- Bewußtsein stärkte sie: es war ihr eine Bürgschaft für das Glück Desjenigen, dem sie freudig ihr Leben geopfert hätte, und dem sie doch entsagen mußte. XVN. Bon der anderen Seite de« WalLeS herüber klangen rasche Schritte; Lia Rose hörte die dürren Zweige unter ihnen brechen, die reichlich den Waldboden bedeckten. Sie fuhr empor, starr richteten sich ihre Augen über den See hinüber auf da» Dickicht, aus dem damals bei jener ersten Begegnung so plötzlich die beiden Wanderer getreten. E« war Alle-, wie damal-, — sie stand unter der Rothbuche, und um ihre Gestalt floß weiß und licht dasselbe Gewand, da- sie an jenem Tage getragen. Nur die rothen Rosen fehlten, die sie einst geschmückt hatten, sie fehlten auf dem Gewand, wie auf den Wangen, ihr Antlitz glich viel mehr der weißen Rose, die halb entblättert noch in ihrem Gürtel hing. Da theilten sich drüben die Zweige, auS ihrem Dunkel trat eine hohe Gestalt in die sonnige Lichtung hinaus — r- war Edgar. Nie war er ihr so vornehm, die Stirne, um die unbedeckt die schwarzen Locken webten, war ihr nie so stolz erschienen, al- in diesem Augenblick, sie preßte die Hand auf- Herz: „Muth, Muth", flüsterte sie, „Lieber Gott, steh' mir bei in dieser schweren Stunde!" Seine Augen flogen suchend über den See herüber, sie sah daS sonnige Aufleuchten in den dunklen Sternen, als er sie erblickte, diese« Aufleuchten, da- oft mit Hellem Strahl ihr Herz erwärmt hatte, und da- sie bald nie mehr sehen würde. Er breitete ihr die Arme entgegen, die stolzen Lippen öffneten sich zu einem Wort weicher Bitte, da- ihr so süß klingen mußte. „vergieb ....!" Es war nur ein einzige- Wort, gerade wie damals, wo auch nur rin Wort sie zuerst begrüßt hatte. Aber wie lecht und sorglos hatte eS geklungen, jenes „Waldfee", das damals über den See gerufen wurde, welch' ein Unterschied in diesen beiden Worten, — und welch' eine Fülle von Glück und Schmerz lag zwischen ihnen! Sie vermochte fick nicht zu rühren. Schlaff hingen ihre Arme an dem zitternden Körper nieder. Er eilte auf sie zu, 'etzt hatte er sie erreicht, aufs Neue breitete er seine Arme auS und von seinen Lippen klang eS noch einmal in bedeckten Tönen: „Vergieb!" Nein, da- wenigstens brauchte sie nicht; sie brauchte ihm den Trost freundlichster Zusprache nicht vorzuenthalten! Sie zögerte und überlegte nicht, — sie ergriff seine Hand und au- dem bald gebrochenen Laut, mit dem sie seinen Namen nannte, tönte ihm unverschleiert das ganze unveränderte Empfinden de- treuesten Herzen- entgegen. Er drückte ihre Hände stürmisch an seine Lippen. „Meine süße Waldblume", flüsterte er zu ihr, „meine arme weiße Taube, nach der sich schon die Geierkrallen au-strecklen, — hier ist Dein Platz und keine Welt soll Dich von dort ver treiben". Sie wand sich sanft aus seinen Armen und blickte ihm innig, aber fest in- Auge. „Edgar", fragte sie, „bast Du die Botschaft Deine- Vater-, deS Fürsten, erkalten?" „Ich habe sie erhalten, mein Lieb, sie bat mich schwer getroffen, aber trennen kann sie uns nickt. Mein Vater hat jetzt droben längst seinen Irrthum eingesehen und sendet von dort den Segen zu uns nieder, den er, von irdischen Vorurtheilen befangen, un« im Leben versagte. Und in diesem Bewußtsein frage ich Dich noch einmal: willst Du dem Fürsten angrhören, wie Du Edgar Norden angrhören wolltest, für Zeit und Ewigkeit, al« sein geliebte«, theurr« Weib?" Die Entscheidung war da, jetzt mußte es gesprochen werden, daS verhängnißvolle Wort, da- zwei Menschen, die sich über Alle« liebten, von einander sckied! Lia Rose rafft« allen ihren Muth zusammen, einen Augenblick preßte sie die Hände auf die Brust, dann hob sie sie gefaltet, wir um Verzeihung bittend, zu dem geliebten Manne empor. „Edgar", sagte sie mit leise vibrirender Stimme, „Du weißt, wie ich Dich liebe. Edgar Norden anzuqedören, war mein Traum, meine Seligkeit. Die Braut deS Fürsten sein, kann ick nicht, zwischen ibm und mir stebt wie eine granitne Scheidewand die Pflicht, die beilige, unverletzliche gegen einen Todten und einen Lebenden. Drin Vater und der meine fordern unsere Trennung, der eine durch seinen Fluch, der andere durch sein Unglück, laß un« in Frieden scheiden!" Sein starrer Blick glitt an ihr vorüber auf den Schlum mernden. „Der Mann dort —" stieß er bervor. „Ist mein Vater, Edgar, mein armer, unglücklicher Vater, die stolze Künstlerseele ist von ihrem Fluge, der sie zur Sonne tragen sollte, müde und mit gebrochenen Schwingen zurückgekebrt. Er ist fast gebrochen, blind, Edgar, oh, können wir Beide, vor deren sehenden Augen die Welt sich ausbreitet in all ihrer Pracht, können wir bei so verschiedener Lebenslage einander angebören? Wir s-ben den Frühling seine Gaben ausstreuen, wir sehen da- Grün, die Blumen, die Sonne, den Himmel, und wenn wir auch scheiden müssen, wir sehen Loch die Liebe, die durch da« Auge vom Herzen rum Herzen spricht. Meinem Vater aber, der alle seine stolzen Hoffnungen scheitern sah, ist alle Schönheit der Natur versckloffen, er kann nickt einmal in seine- Kinde« Blick die Liebe lesen, die mit ihm klagt um seinen Verlust, o, sage selbst: muß ich ihm nickt Trost und Lickt sein in seiner Nacht? Mir bleibt keine Wahl. Du bist jung und reich, bist ein Mann, der zu überwinden vermag; er ist arm, alt nnd elend, ein müder, gebrochener GreiSj mein Platz ist an seiner Seite, und der Deine, Edgar, ist bei Deinem Volke. Noch einmal: wir müssen scheiden!" Er hatte sie angebört, stumm, erschüttert, jetzt aber flammte ein Strahl hoher Begeisterung über sein Gesicht. „Nie, nimmermehr!" rief er auS. „Meinst Tu, ich könnte Dich lassen um Deine« Vater- Unglück willen?" Zusammen wollen wir eS ihn vergessen macken. Er soll mit un- an meinem Hofe wohnen, denn Du bast Recht, mein Platz ist bei meinem Volke, und ich weiß, mein Vater wehrt mir jetzt diesen Platz nicht mehr; er wird mir'- danken, jetzt, wenn er auf un« niedrrstrht, daß ich meinem Lande in semer jungen Fürstin einen Engel gebe, für dessen reine Stirn meine Fürstenkrone noch al- ein viel zu armer Schmuck erscheint. Und nun komm an mein Herz» — laß Deine Zweifel schwinden und sei mein, — sei glücklich, Du darfst es, glaube mir! L>a Rose kämpfte ibre« jungen Leben« schwersten Kampf zwischen Pflicht und Liebe — konnte eS denn nicht sein? Konnte sie nicht dennoch über alle Schranken hinweg die Seine werden? In ihrem Innern riefen tausend Stimmen: „Nein!" Sir schüttelte den lockigen Kopf. „O, Edgar, Du versuchst mich bart", sagte sie leise, während schwer» Thränrn au- ihren Augen tropften, „die
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