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02-Abendausgabe Leipziger Tageblatt und Anzeiger : 08.10.1896
- Titel
- 02-Abendausgabe
- Erscheinungsdatum
- 1896-10-08
- Sprache
- Deutsch
- Digitalisat
- SLUB Dresden
- Lizenz-/Rechtehinweis
- Public Domain Mark 1.0
- URN
- urn:nbn:de:bsz:14-db-id453042023-18961008027
- PURL
- http://digital.slub-dresden.de/id453042023-1896100802
- OAI-Identifier
- oai:de:slub-dresden:db:id-453042023-1896100802
- Sammlungen
- LDP: Zeitungen
- Strukturtyp
- Ausgabe
- Parlamentsperiode
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- Wahlperiode
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Inhaltsverzeichnis
- ZeitungLeipziger Tageblatt und Anzeiger
- Jahr1896
- Monat1896-10
- Tag1896-10-08
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Abend-Ansgabe np.rigerTaMalt Druck »nd Verlai »on <S. Volz tn Leipzig SV. Jahrgang Donnerstag den 8. October 1896. Die Morg«u-A»--gabr erscheint um '/,7 Nbe. dir Abend-Ausgabe Wochentag« um S Uhr. Ne-action «n- Lrveditio«: Johanns»,aff« 8. Dir Expeottion ist Wochentag» ununterbroche» g^ffnet von früh 8 bi» Abend« 7 Uhr. Znnahmeschluß fSr Anzeigen: Abend-AuSgabe: Bormittag» 10 Uhr. Morg, n-Au-gabe: Nachmittag» 4 Uhr. Bei den Filialen und Annahmestellen je «in« halbe Stunde frnher. Anzeigen find stets au die Erpedlttaa zu richten. Anzeigen-Preis die b gespaltene Petitznl« 20 Psg. Aerlamen unter dem Redartton»strich (4ge- f»alt»m öO-H, vor deu Familiennachrichte» (6gespalten) 40 Größere Schristen laut unserem PrriS- oetzrichniß. Tabellarischer und ZifserNsatz nach höherem Daris. Filialen: Dkl« Klemm'» Lortim. (Alfrrd Hahn). Uviversitatrstrahe 3 (Paulinnm), LoniS Lösche. lkolbnnnenstr. 14. vart. und Köni'gsvlatz 7. Anzeiger. Amtsblatt des Königlichen Land- «nd Amtsgerichtes Leipzig, des Mathes und Nolizei-Arntes der Ltadt Leipzig. G,tra»v«»la,«n kgefaV), ,n« mit de« Morgen »Ausgabe, ohne Postbefördrrung SO.—, met Postbesvrdrrun, 70.—. Bezugs-Preis ta der Hauptexpedition oder den im Stadt bezirk und den Vororten errichteten Aus gabestellen abgebolt: vierteljährlich^lL.5Ü, bei zweimaliger täglicher Zustellung in« Hau» K.50. Durch die Post bezogen sür Leutlchland und Oesterreich: vierteliährlich >ll ü.—. Dirrct» tägliche Kreuzbands«»-»»« in« Ausland: monatlich 7.Ü0. Vas Zarenpaar in Paris. Noch immer befindet sich die Hauptstadt Frankreichs in tollem Begeisterungstaumel und die Nussomanie der Republi kaner ist fast zur Adoration des russischen Autokraten ge worden. Eine Steigerung deS Freudenrausches ist kaum denkbar und doch hofft man in Paris noch auf eine alles Dagewesene in Schatten stellende Culmiuation des Jubels für den von aller Welt herbei gesehnten Fall, daß der Zar bei dem Dejeuner nach der Truppenschau von Ehalons daS Zauberwort „Alliance" aussprecken werde, das er im Elysöe noch vermeiden zu sollen glaubte. Also man ist trotz aller hymnenartigen illusionistischen Commentare der bisher ge sprochenen Zarenworte noch nicht zufrieden. Man sagt sich still schweigend, daß man sich doch vielleicht noch in Selbst täuschung befinden könne und will endlich aus dem Munde deS befreundeten Herrschers Gewißheit darüber haben, ob daS Berhältniß, in welches beide Mächte getreten sink, wirk lich das einer förmlichen Alliance san8 piwas ist, worunter man heute in Frankreich ein Bündniß für alle Fälle nicht bloS in defensivem, sondern auch in agressivem Sinne ver siebt. Aus diese Gewißheit wird Frankreich aber sicher ver geblich warten. Es ist ja beute kein Zweifel mebr daran, daß man es nickt mebr bloS mit einer auf die Gleich heit der Interessen fußenden Entente, einem bloßen Einver nehmen und Zusammengehen in wichtigen internationalen Fragen zu tbun bat: als der Zar in Wien weilte, äußerte die „Neue Freie Presse", auf alle Fälle an zuständiger Stelle informirt, man wisse jetzt, daß zwischen Frank reich und Rußland thatsäcklich ein Vertrag bestehe eine bünduißgeinäße Abmachung für einen bestimmten Fall, daß der oasu» lveäsrw aber nur auf die Eventualität eines Angriffs einer dritten Macht auf einen der beiden be freundeten Staaten stipnlirt sei, daß man es also mit einem dem Dreibundverhältniß völlig analogen Vertrage zu thun habe. Ein Dementi Vieser Meldung ist bisber in keiner Weise erfolgt und wir baden seitdem auch keinen Au sland mehr genommen, von einem franco-russischen Bündniß zu reden. Heute schreibt auch die „Köln. Ztg.": „Es giebt einen Zweibun^", einen verbrieften und verbürgten Vertrag zwischen Frankreich und Rußland; wer es noch nicht wußte, dem sind durch die Ansprachen, die Faure und Kaiser Nicolaus gewechselt habe», die Zweifel genommen worden. Dem „Bund" („Union") und den „kostbaren Banden", von denen die beiden Staatsoberhäupter geredet haben, die ver tragsmäßigen Rechte abzusprechen, ist sürderhin nicht mehr zulässig, und es könnte gefährlich werden, vor so unzweideutigen Kund- gedungen den Vogel Strauß nachzuahmen. Ebenso sicher aber ist, daß der Vertrag zwischen Rußland und Frankreich wie die Drei bundverträge lediglich die Abwehr und nicht den Plan eines An griffs vorsieht, Laß also daS Vertrauen Europas in die friedliche Politik Rußlands durch diesen Vertrag nicht Lügen gestraft wird." Wartet? Di« richtige Antwortdürftesein: weil man sich wie schon I gesagt in Frankreich in stetem Hinblick auf Deutschland und in I ungeschwächter ReminiScen; an die Vernicklung der französischen I Gloire in den Jahren 1870/71 daran gewöhnt hat, unter einer „Alliance" mit Rußland die Bürgschaft für die Wieder gewinnung Elsaß-Lotbringens, sür Revanche an Deutschland mit Hilfe russischen Pulvers und Bleies zu verstehen. Dem Zaren liegt nichts ferner, als sich an den französischen Revanchewagen spannen zu lassen, nichts ferner auch, als den Glauben in Frankreich aufkommen zu lasten, man könne in der selbstgewählten Stunde der Vergeltung auf ibn rechnen. Deshalb hat er sich auch in seinem zweiten Trinkspruch so reservirt ausgedrückt und die friedliche Bedeutung des Bündnisses so unzweideutig betont. Er wird in Ehalons sick bestimmt nickt selbst desavouiren, ja dort sich vielleicht noch vorsichtiger äußern, da er weiß, daß die Revue der gegen Deutschland postirten Truppen zu einer deutschfeindlichen Demonstration benutzt werden soll. Wir seben also dem Tag von Cbalons in voller Ruhe entgegen, wie auch der franco- russische Zweibund uns nicht außer Fassung bringt. Er brauchte allerdings nicht geschichtliche Tbatsache zu werden, wenn daS traditionell-freundschaftliche Verbältniß Deutsch lands zu Rußland immer aufrecht erhalten worden wäre, wenn, wie die „Hamb. Nackr." sagen, der zweite deutsche Kanzler die von dem alten Curse wohlgepflegten doppel seitigen Beziehungen zu Rußland und zu Oesterreich-Ungarn „als zu complicirt" nickt preisgegeben hätte. Allein nach dem „daS europäische Gleichgewicht durch das russisch-fran zösische Bündniß" nun einmal „wiederbergestellt" ist, haben wir uns danach eingerichtet und brauchen unS keiner Be- sorgniß hinzugeben, so lange wir, wie seit einiger Zeit wieder, gute Beziehungen mit Rußland pflegen, ^o lange halten wir uns auch vor der Möglickkeit gesichert, daß wir, von Frankreich zu einem Kriege provocirt, eS mit Rußland zugleich zu thun bekommen. Ein uns wohlgesinntes Rußland wird in diesem Falle den casug koeckerig schwerlich für gekommen erachten. Wenn die Pariser Blätter in der Erwartung deS TageS von ChalonS mittlerweile sich an dem Triumph der republikanischen StaatSidee »er- zücken und mit Genugtbuung und Stolz darauf Hin weisen, daß die Republik durch den Besuch des Zaren und sein liebenswürdiges Entgegenkommen gegen die Ver treter der Republik — er entschloß sich bekanntlich spontan zu einem Besucke der Präsidenten von Senat und Depuiirten- kammer — „die europäische Weihe" erhalten habe, so ist dies bezeichnend für die Verminderung, welche das franzö sische Selbstbewußtsein im Laufe der Jahre unter dem Ein flüsse der Revanchesucht und deS Buhlens um die russische Gunst erlitten hat. Die französische Republik entbehrte doch gewiß bis jetzt nicht der Anerkennung durch Europa und ebenso wenig ist der russische Kaiser in der Lage, europäische Weihen zu ertheilen. Wenn die französische Republik trotzdem daS Bedürfniß empfindet, urbi et orbi durch ihre maßgebenden Blätter verkünden zu lasten, daß sie nun erst, nachdem der Zar sie besucht habe, als vollberechtigt in Europa dastehe, so braucht — die Satyre, die darin liegt, nickt erst geschrieben zu werden. — Ueber den weiteren Ver lauf der Festlichkeiten berichten uns folgende Meldungen: * Paris, 7. Oktober. Die Feier der Grundsteinlegung der Brücke „Alexander III." verlief (wie schon kurz gemeldet) Der Kaiser und die Kaiserin von Rußland trafen um 3 Uhr am Cours la Reine rin, wo in einem prächtigen Zelte Präsident Faure, die Präsidenten der beiden Häuser des Parlaments, die Minister und das diplomatische CorpS vrr- sammelt waren. Der Kaiser und die Kaiserin wurden von dem zahllosen Publicum, welches die auf dem rechten und linken Seineufer errichteten Tribünen füllte, sowie von der auf den Schiffen Kopf an Kopf stehenden Menge enthusiastisch begrüßt. Nach der Ansprache des Handelsministers Boucher, in welcher er den Kaiser und die Kaiserin bat, dem großen Werke der Civilisation und des Friedens seine hohe Weihe und den huldvollen Schutz der Kaiserin zu Theil werden zu lassen, wurde eine Festcantate gesungen, worauf eine von dem Akademiker Heredia gedichtete Ode von dem Schauspieler Paul Mounet vorgetragen wurde; dieselbe klingt in den Wunsch aus, Laß die Zukunft dem Kaiser, welcher den unerschütterlichen Granitstein einmauere, der eine Stätte des Friedens bilden werde, den Namen „der Große" beilegen möge. Während sodann die Cercmonie der Grundsteinlegung von dem Kaiser und der Kaiserin und dem Präsidenten Faure vorgenommen wurde, segelte von dem jenseitigen Seineusrr langsam rin weiße» Boot heran, auf welchem sich vierzig weißgekleidete Mädchen, Töchter der hervorragendsten Handelsherren und Fabrikanten, befanden. Die- selben überreichten der Kaiserin unter brausenden Zurufen der Volks menge eine einen Meter hohe Silbervase mit den seltensten und prächtigsten Blumen. Der Kaiser und die Kaiserin wurden auch bei der Abfahrt mit endlosem Jubel begrüßt. * Paris» 7. October. In der Münze nahmen das Zarenpaar und Faure verschiedene Ateliers in Augenschein und wohnten dem Prägen der Erinnerungsmedaille bei, welche ihnen alsbald über reicht wurde. Im Institut hielt der Akademiker LegouvS eine An sprache, worin er die Herrschaften bewillkommnete und an den Besuch Peter's LeS Großen erinnerte. Darauf las Francois Coppse eine von ihm verfaßte Ode zu Ehren der Majestäten vor. Die Majestäten und Faure wohnten einige Augenblicke den Arbeiten an dem Wörter buch in der Akademie bei und unterschrieben da» über die Fest sitzung ausgenommen» Protokoll. (Wiederholt.) * Parts, 7. October. Nach dem Besuch der Münze und de» „Institut" begab sich der Zug nach der Salle du Prevost, in welcher die Chöre der Großen Oper und des Conservato- riums unter Begleitung des Musikcorps der Garde rspublicaine die russische Hymne zum Vortrag brachten und ging von hier nach dem in einen prachtvollen Wintergarten umgewandelten Ehrenhos. Hierauf besuchten die Majestäten die herrlich geschmückten Säle und nahmen bei dieser Gelegenheit die der Stadt Paris von dem Kaiser Alexander HI. geschenkte Onix-Vase in Augenschein. Hierauf be- gaben sich die Herrschaften unter dem unbeschreiblichen Jubel der Menge nach dem Hotel de Ville. * Paris, 7. October. Das russische Kaiserpaar traf um 5 Uhr 30 Min. am Hotel de Ville ein. Die Candelaber auf dem Platze waren angezündet; der Platz bot einen feenhaften Anblick; auf den daselbst errichteten Tribünen hatten sich Sänger und MusikcorPS ausgestellt. Sobald die Ankunft deS Kaiserpaares ge- meldet wurde, stimmten Sänger und Musik die durch elektrische Signal-Apparate verbunden waren, die russische Hymne und hieran die Marseillaise an. Präsident Faure reichte der Kaiserin den Arm und betrat an der Seite des Kaisers die Stufen der Ehren- Estrade unter anhaltenden begeisterten Zurufen der Menge. Die Truppen präsentirtrn unter den Klängen der Musik. Der Präsident des Municipalrathes Baudin, umgeben vom Municipalrath, be grüßte die Majestäten und sagte, die Bevölkerung von Paris jubele dem Gaste und Verbündeten der Republik zu, und habe in ihrer Arbeit innegehalten, um demselben die Huldigung zu erweisen, welche die Tradition, die Vaterlandsliebe und der Glaube an die Bestimmung der beiden großen befreundeten Nationen erweisen heißen. * Paris, 7. October. Vor dem Verlassen des Stadthauses dankte Kaiser Nicolaus dem Ministerpräsidenten Msline sür den ihm und der Kaiserin bereiteten warmen Empfang. Während des Concertes gab das Kaiserpaar wiederholt Beifallsbezeigungen. Um 7'/, Uhr Abends kam Präsident Faure nach der russichen Bot- chaft zurück. Die Begeisterung in der ganzen Stadt dauert an. Dir Festbeleuchtung war heute Abend ebenso glänzend als gestern. * Paris, 8. October. (Telegramm.) Gestern Abend 7 Uhr and das Diner in der russischen Botschaft statt; an dem selben nahmen der Präsident Faure und Frau Faure Theil, ferner fämmtliche Minister, der Kammerpräsident Brisson, der Senats präsident Loubet, General Saussier, sowie das ganze Gefolge des Kaisers. — Nach dem Diner fuhr der Kaiser und die Kaiserin nach dem ThsLtre franyais, wo sie um 10 Uhr anlangten. Die Galavorstellung daselbst verlief glänzend. Tas reich mit Blumen gezierte Haus bot einen wundervollen Anblick; die Ausschmückung der kaiserl. Loge war in Weiß und Gold gehalten. Tie Minister, zahlreiche Deputirte und Senatoren, Generäle, frühere Minister und Bot schafter waren im Hause anwesend, das eine glänzende Festversamm lung füllte. Letztere erhob sich und wandte sick der kaiserlichen Loge zu, als der Kaiser zur Rechten, die Kaiserin zur Linken des Präsidenten Faure in derselben erschienen; zur Rechten des Kaisers war Frau Faure. Mehrere Minute» lang ertönten Händeklatschen und Hochruse aus den Kaiser, die Kaiserin und den Präsidenten Faure. Tas Kaiserpaar dankte wiederholt durch Verneigen. Ter Kaiser trug Gesellschaftsanzug mit dem Großcordon der Ebrenlegion, Präsident Faure den Großcordon de» Andreasorden». Die russische Hymne wurde tn tiefem Schweigen gehört. Darauf hob sich der Vorhang und unter lebhaften Beifallsrufen zeigten sich fämmtliche Künstler des TlMtre franyai» in rotben Gewändern um die Büsten Molisre's, Corneille's und Racine's gruppirt. Der Schauspieler Mounet verlas hiernach ein Huldigungsgedicht, von dem be sonders der Vers beklatscht wurde: ,,6'est äu dkorä, quv vous visnt I'ksptzranov". Es wurden noch weitere Huldigungsverse declamirt; währenddessen unterhielt sich der Kaiser, wiederholt lächelnd, mit dem Präsidenten. Die Vorstellungen begannen als dann mit der Aufführung von Alfred de Musset's „Caprices"; dieser folgte ein Bruchstück /ius Corneille's „Cid" und der dritte Act der „Gelehrten Frauen". Das Kaiserpaar klatschte wiederholt Beifall. Am Schlüsse der Vorstellung wurde die Marseillaise gesungen, welche von dem Kaiserpaare stehend angehört wurde. Tas ganze Haus bereitete zum Schlüsse den russischen Majestäten eine begeisterte Huldigung, wofür dieselben lächelnd dankten. Um 12 Ubr war die Galavorstellung zu Ende, und die Majestäten kehrten auf dem Wege durch die Avenue de l'Opsra und die Rue de la Paix nach der russischen Botschaft zurück. * Paris, 7. Lctobrr. Infolge Uebermüdung hat der Zar i gestern einen Ansall von Unwohlsein gehabt. Er mußte im I Elysse vor dem Ende des Diners aufstehen »nd sick zurückziehen. ' Er nahm einige Stärkungsmittel zu sich. Hierauf schlief er fest ein, Aber wenn dem so ist, warum geht man bei den offi- ciellen Aussprachen so vorsichtig um das eine Wort „Alliance" herum, warum drückt man sich immer noch so zweideutig aus und greift zu Abschwächungen wie „Union" und Umschreibungen wie „freundschaftliches Berhättniß", „wertbvolle Bande", „zusammenstimmende Tbätigkeil", „gegen seitige« Vertrauen zur Bestimmung beider Länder", warum I hält man mit dem erlösenden Worte „Alliance" zurück, auf I äußerst glänzend, welches das ganze französische Volk mit fieberhafter Spannung I Feuilleton. Die Schuld des Fürsten Romanskoi. 9j Roman von Conr. Fischer-Sallstein. Nachdruck verboten. „Ich fühle, daß die Zeiten der Sorgen bald vorüber sind", führte er auS, „Jlija Andrej soll sich verloben und so bald wie möglich seine junge Fruu beimfübren. Der Kindersegen wird sich einstellen, und ich sehe dann eine junge fröhliche Welt um mich her aufwachsen. Sie wißen, Mütterchen Sonja, daß ick mich immer sür solche ZukunftS- träume begeistert habe. Mein Dasein", fügte er mit sicht barer Verbitterung hinzu, „ist verpfuscht und verfehlt, Jlija Andrej soll mir die Enkel schenken, die mir einst den Schritt hinüber ins Jenseits leichter macken." Die Petuschkiwna hatte dir Hand aufs Herz gelegt und e« war, als ob diese Hand leise bebe, in ihren Augen lag ein seltsamer Glanz, und jetzt wandte sie sich rasch von Stepan Wassilitsch ab und verließ das Gemach. Wie verblüfft blickte der Fürst ihr nach. Er batte soeben etwas in ihren Augen gelesen, daS sein TiefinnersteS in Auf ruhr versetzte. Er ging nach seinem Sessel zurück, setzte sich nieder und stützte sorgenschwer den Kopf in die Hand. „Warum die Ideale der Jugend Einem noch in die grauen Haare fahren! War nicht Darja Alexandrowna für mich immer ein verlorener Himmel? — Sonja hätte mein Leben anders Anstalten können, ich würde heute nichts vermißen. Ihr gehörte ich von dem Augenblicke ab, al» Nahim mich ihr in die Arme legte. Warum gab ich ihr nicht, waS ihr ge hörte? Welch' eine schöne stolze Herrin würde heute Slekok haben!" Und jetzt bäumten sich wieder seine echt asiatischen An sichten über Ehe und Weib, von denen sich noch kein Ruße frei gemacht, in ihm auf. „Welch ein Herr", murmelte er vor sich hin, „der al« Krüppel willenlos vor den Füßen seiner Frau liegt! Wie will er regieren? Nein, Mütterchen Sonja, e« ist tausendmal bester so, wie e« ist!" Stepan Wassilitsch Romanskoi raffte sich auf. Er wollte nicht mehr denken, nicht mebr rückwärts noch vorwärts blicken. Er citirte seinen getreuen Nahim herbei und spielte mit dem alten Burschen die balbe Nacht hindurch Scbach. Die Petuschkiwna ließ sich an diesem Abend nicht mehr bei dem Fürsten blicken, und dieser fand daS ganz natürlich, denn sie batte sich zur Reise zu rüsten. Die Reise deS Stepan Wassilitsch, wie selbst die Stall knechte den Gebieter unter sich nannten, war für die Diener schaft ein ungewöhnliches Ereigniß. Die ganze Nackt kam man nicht zur Ruhe auf Slekok. Die wirrbaarige Besatzung der Leutestuben, die Herren aus den Stallungen schlugen sich die Nacht um die Ohren. Die bekannt gewordene Tbat sache, daß die Petuschkiwna den Herrn begleitet, ward zum Zankapfel für die Mägde. Wer wird nun daS Regiment auf Slekok führen? Um Mitternacht erschien Sofia Andrejewna in der Leute stube und verkündigte, baß Mascha für die Dauer ihrer Ab wesenheit die WirtbschaftSangelegenheiten zu führen habe. Sie ermähnte daS Gesinde, der Mascha in allen Puncten folgsam zu sein und sprach von Belohnung und von Strafe. Am folgenden Morgen, schon vor fünf Uhr, bei stock finsterer Nacht, fuhr Wolodja mit den, Staatswagen an den hölzernen Rampen des Herrenhauses vor. Ein halbes Dutzend Leute standen mit Laternen um den Wagen herum. Unruhig zerrten die vier feurigen Pferde an dem ungewohnten blank polirten Geschirr. In den Gemächern der Petuschkiwna, so wie in denen deS Fürsten brannten viele Lichter. Nahim steckte schon lange in seinem Pelz, denn eine scharfe October luft fegte durchs Land, und lief, wie ein vornehmer Herr mit lausend Geschäften, bald nach dem Wagen heraus, bald wieder in die Gemächer des Fürsten zurück. Endlich brachte man die schweren Pelze und gestickten Kiffen, ganz nach der Verordnung der getreuen Sofia Andre jewna, in den Wagen. Die Mascha ordnete schon an und ertheilte mit ihrer dünnen Stimme Befehle, während die schlaue Ljubotscha tüchtig Hand anlegte und dabei that, als ob sie das Alles bester verstände wie Mascha. Endlich erschien der Fürst mit der Petuschkiwna und dem glücklich lächelnden Nabim. Stepan Wassilitsch war sehr aufgeräumt. Er warnte im Dorübergehen den leichtfüßigen Petrowitsch, keine Streiche zu machen, und ermahnte dann die schüchtern dastehende Mascha, tüchtig zu fein auf ihrem Posten. Wie eine Fürstin schritt Sofia Andrejewna neben Stepan Wassilitsch, der mit ungewohnter Sicherheit auf seinen Stelzen dabinmarschirte, her. Sie trug keinen Pelz, weil sie diese, wie man sich sagt, nicht leiden kann, sondern war beinahe sommerlich gekleidet. Sie schien heute jünger zu sein, als sie thatsachlich war, daS schöne Gesicht unter dem Schleier war mit einem wahrhaft jugendlichen Roth an gehaucht. Nur mit ihrer Unterstützung konnte der Fürst in den Wagen gelangen und sie bettete ihn wie ein Kind in die mitgebrachten Kisten. Und wie schon tausend Mal, sagte der Fürst auch jetzt wieder: „Was würde ich sein, waS würde auS mir werden, wenn Sie nicht wären, Mütterchen Sonja." Und wieder schwieg diese bedeutungsvoll, als lehne sie jeden Dank und jede Anerkennung ab. Aber gerade beute tbat ihm dieses Schweigen, vielleicht zum ersten Mal, weh und wirkte beengend auf ihn. Der Wagenscklag wurde zugeworfen, Nahim kletterte auf den Kutscherbock zu Wolodja und verkroch sich dort fast vollständig in sein Bärenfell. Wolodja schwang die Peitsche und die Pferde zogen ungeduldig an. Die Kutsche rollte nun von der Rampe herunter in die bald beginnende Morgendämmerung hinein. Bis vor daS Thor hinaus folgten die Leute mit den Laternen, dann schwangen sie diese durch die Luft, wünschten dem gütigen Herrn Glück und Segen zur Reise und blieben zurück. Kaum hatte der Wagen die Landstraße erreicht, als auch schon Stepan Wassilitsch, der auf dem Fondsitz des Wagen« lag, sanft einschlummerte. Sofia Andrejewna war darum etwa« besorgt, weil sie diese Neigung zum Schlaf für eine bedenkliche Schwäche hielt. Sie hätte ibn für kräftiger ge halten. Dock athmete der Fürst so gleichmäßig, daß sie sich alsbald wieder beruhigte und den Kopf ebenfalls m die Polsterkisten senkte. Wolodja auf dem Bocke sang und pfiff und knallte mit der Peitsche. Sie freute sich über den Frobsinn deS Burschen, wenn auch dann und wann einige Bedenken in Betreff des Schlummernden in ihr aufstiegen. Längst war der Tag angebrochen, schon stabl sich dann und wann ein lichtrotber Sonnenblick durchs Wagenfenster und Stepan Wassilitsch schlief immer noch. Sie sah ihm fortwährend ins Angesicht, als wolle sie seine Träume er- ratben, oder fand sie den Mann mit dem weißen Bart schön? Welche Gedanken bewegten Sofia Andrejewna in dieser Stunde und warum wurde sie immer bewegter und fchwermütbiger, je weiter der junge Tag fortschritt? Eine Britschka, auf der ein Bauer im blauen Kittel saß, fuhr lärmend am Wagenfenstrr vorüber und schien da« Bierergespann überholen zu wollen. Wolodja rief dem Manne vom Bock herunter zu und dieser blickte aufmerksam zu ihm hinauf. Die Petuschkiwna erkannte ibn sofort. Es war Seraey Murrok, der Mann aus Zarskoje-Selo. Weder sie noch der Fürst batten bei der Abreise an ibn gedacht: offenbar war er in aller Stille hinter der Kutsche nachgefolgt und hatte es sick jetzt zum Aerger de« Wolodja in den Kopf gesetzt, den Viererzug zu Überbolen. Einen solchen Uebermuth hatte sie dem Manne mit dem starren Blick gar nicht zugetraut. Sie läckelte vor sich bin, als sie nun sah, daß er trotz aller Anstrengungen Zurück bleiben mußte. Der Schlummer des Fürsten ward unruhiger. Er sckob die Hände unter den Kopf, Schatten glitten über sein Gesicht und seine Augenbrauen zuckten. Besorgt beugte sich Sofia Andrejewna über ibn. Jetzt stößt er einen wirren Laut aus und ein heftiges Zittern und Beben ergreift ibn und er schüttert seinen ganzen Körper. „Um Gottes willen", flüsterte sie vor sich bin und hielt dann den Athen, an, „sollte er Fieber haben?" Sie griff nach seinem Pul«. In diesem Augenblick erwachte Stepan Wassilitsch und blickte mit gerötheten Augen, vom Licht geblendet, nm sick. Er rang nach Atbem und starrte mit dem Ausdruck des Schreckens die Petuschkiwna an. „Was ist Ihnen, mein Gott, " rief sie ibn an, mit dem Ausdruck der höchsten Besorgniß, und dabei sah sie, daß ihm Schweißperlen auf der Stirne standen. „Oh, es e» ist nichts." Er fuhr sich mit der Hand über die Stirne. „Ein Traum, seit lange wieder einmal einen Traum. Habe ick geschrien, Miittercken Sonja? Beruhigen Sie sich, es ist alles schon wieder vorbei." Er warf einen Blick zum Fenster hinaus, schien er staunt zu sein, daß die Sonne schon am Himmel stand und lächelte. „Dieser Tranm macht mir sehr viele Sorgen. Ich be- fürckte, daß ich mich über Ihre GesundbeilSverbältnisse ge täuscht, Herr Stepan Wassilitsch Romanskoi. Sie träumten sonst nie; wenigsten« nickt seit Jahren." Man sah e« dem Fürsten an, welche Müde er sick gab, sich von dem Eindruck loSzureißen, den sein Traum hinterlassen. „Immer wieder derselbe Traum!" murmelte er vor sich bin, „bei Gott, ich fange an, alt zu werden. Ist da« Alter mit Träumen gesegnet, Träumen von dieser Art, dann fürchte ich mich vor dem Alter, Mütterchen Sonja."
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