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02-Abendausgabe Leipziger Tageblatt und Anzeiger : 12.10.1896
- Titel
- 02-Abendausgabe
- Erscheinungsdatum
- 1896-10-12
- Sprache
- Deutsch
- Digitalisat
- SLUB Dresden
- Lizenz-/Rechtehinweis
- Public Domain Mark 1.0
- URN
- urn:nbn:de:bsz:14-db-id453042023-18961012020
- PURL
- http://digital.slub-dresden.de/id453042023-1896101202
- OAI-Identifier
- oai:de:slub-dresden:db:id-453042023-1896101202
- Sammlungen
- LDP: Zeitungen
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- Ausgabe
- Parlamentsperiode
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- Wahlperiode
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Inhaltsverzeichnis
- ZeitungLeipziger Tageblatt und Anzeiger
- Jahr1896
- Monat1896-10
- Tag1896-10-12
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Keclame» unter d«mRebaction-strich (4g«. spallen) 50^, vor d«n Familieanachiichlr» <6 gespalten) 40^- Gröbere Schriften laut unserem Preis- verztichniß. Tabellarischer und Zifferujatz nach höherem Daris. tztra-Beilagen (gefalzt), «ar mit de, Morgen - Ausgabe, ohne Postbrsöcderuag vO.—, mit Postbeförderuag 70.—. ^nnahmeschlnß fir Anzeigen: Nbiud-Aatgab«: vormittag« 10 UhL Viorgen»Au«gabe: Nachmittag« 4 UHL Ort den Filialen und Annahmestellen j« eia» halbe Stunde früher. Anzeige» stad st«t« aa di» Expedition zu richte». Druck «ad verlaa vn <k. Pol, la Leipzig 9V. Jahrgang. Amtlicher Theil. Bekanntmachung. Von heut» ob beträgt bei der Reichrbank der Di-kont b Procent, der Lombardzin-fud für Tarlehne gegen ausschltebliche Berpfän» Lung von Schuldverschreibungen des Reiche« oder eine« deutschen Staate« 5'/- Procent, gegen Verpfändung sonstiger Effecten und Maaren 6 Procent. Berlin, den 10. October 1896. ReichSbank-Direetoriam. Politische Tagesschau. * Leipzig, 12. Oktober. Der forialdemokratische Parteitag, der gestern Abend in Gotha begonnen hat, spielt sich auf einem Boden ab, auf dem jüngst die „Genossen" infolge der Uneinigkeit der bürgerlichen Parteien und besonder« infolge der Starr köpfigkeit des „Freisinns" unerwartete Wahlerfolge zu ver zeichnen gehabt haben. Solche Erfolge pflegen denjenigen Elementen, die auf ein rücksichtsloses Vorgehen drängen, am meisten zu Kopfe zu steigen; die Parteileitung wird daher Mühe haben, die Drängenden zu beschwichtigen und zu verhüten, daß durch allzu revolutionaire Reden und Beschlüsse jene bürgerlichen Kreise vor den Kopf ge stoßen werden, die auf dem Wege eines unklaren Doktri narismus nahe an die Socialdemokratie herangerückt sind und dieser unabsichtlich neue platonische Anhänger werben. Und je heftiger die Genossen der „schärferen Ton art" schleunige Verwirklichung des Programms fordern, um so sanftere Saiten werden einige der Mitwirkenden in dem auf der Rednertribüne in Gotha aufzuführenden Schauspiele ertönen lassen, um eS den „Nationalsocialisten" zu ermöglichen, der Welt auch an dem Verlaufe deS Gothaer Parteitage- nachzuweiscn, daß die Socialdemokratie gar nicht so schlimm sei, wie sie verschrieen werde. Die „Nordd. Allgem. Ztg." hält eS daher für Pflicht, schon im Voraus die optimistischen Samm ler von Honig aus den Redeblüthen „gemäßigter" Acteure de« socialdemokratischen Parteitages auf das Thörichte ihre- Thun« hinznweisen, und wir möchten den Herrn „Nationalsocialisten" die Ausführungen des Blattes um so mehr zur Beherzigung empfehlen, je nachdrücklicher die „Nordd. Allgem. Ztg." auf das Unheil eines Mannes sich beruft, der auch bei den „Nationalsocialisten" keineswegs im Rufe eines „Socialisten- fresserS" steht, sondern hohes Vertrauen genießt. „Sie" — so führt das genannte Blatt aus — „spähen ängstlich nach jedem kleinsten Anzeichen, woraus auf eine keimende Neigung der socialistischen Partei geschlossen werden könnte, von dem revolutionairen Wege abzulenken, um sich einer Reformarbeit innerhalb des Rahmens der historischen und verfassungs mäßig gegebenen Institutionen zuzuwenden. Mit be sonderem Wohlgefallen nimmt man in letzter Zeit Notiz von Aeußerungen, die ein akademisch gebildeter Redakteur der socialdemokratischen „Leipziger Volkszeitung", Max Lorenz, im evangelischen Arbeiterverein zu Leipzig gethan. Herr Lorenz meint, der CommuniSmuS, der die beherrschende Idee der ganzen modernen Entwicklung bilde, brauche zu seiner Verwirklichung den Bebel'schen Kladderadatsch" nicht, giebt aber zu, daß eS „Genossen" gebe, die anders denken. „Ich will allerdings zugestehen, daß e« vielleicht (I I) in der Partei eine Richtung geben mag, die erst das Alte völlig zusammen brechen lassen will, die den einzelnen Proletarier nur erziehen und kräftigen will für den Tag de- Zusammenbruchs, den großen Tag, an dem dann — — — za, ich weiß nicht, wa« „an dem dann , an Ltrsem großen „Tag" geschehen soll. Bor Allem wäre e» doch auch schon umständlich und mißlich, auf Schutt und Kehricht zu bauen. Der müßte doch erst weggeräumt werden; und dann, wenn dann da» vaufrld frei gelegt ist, haben wieder die Leute, die da bauen wollen, für einige Zeit kein Hau«. Ich vertrete vielmehr entschieden di» Ansicht, daß bereit« tn der heutigen Gesellschaft dir Keime der künftigen in mannigfacher Form und großer Zahl vor handen sind. Diese Keime müssen wir pflegen, ihr WachSthum fördern." Da« klingt nun freilich harmlos genug, ändert aber nicht da« Geringste an dem revolutionäre» Charakter der socia listischen Demokratie. Schon Professor So hm hat die« in Leipzig in schlagender Weise dem angeblich „guten Revo- lutwnair" erwidert. „Dir Hauptsache ist", äußerte Herr Sobm, „daß auch diejenigen, welche, wie Herr Lorenz, inner halb des socialdemokratiscken Lager« die allmähliche Reform vertreten, dennoch im letzten Grunde auch ihrerseits revolu- tionair sind. Weshalb? Weil die von ihnen erstrebten Ziele nicht Fortführung, sondern Verneinung der großen Ergebnisse der Vergangenheit sind." In der That mag die Socialdemokratie sich auSstaffiren, wie sie will, ihr Princip ist: Zerstörung des Historischen zu Gunsten eines SpinnwebS abstrakter Normativ-Gedanken, daS von der Selbstsucht de- Einzelnen im ersten Augenblick zerrissen würde und die Gesellschaft unmittelbar dem ChaoS über liefern müßte. Sollte aber wirklich dieser oder jener „Aka demiker" der Partei eine Formulirung der socialistischen Tendenzen au-findig machen, die dem Einwurf, in ihren Zielen revolutionair zu sein, nicht unterläge, so wäre dieses Bekenntniß eine« Einzelnen doch von vornherein werthlo-, weil jedenfalls in politischen Dingen eine Schwalbe noch keinen Sommer macht. Wie naiv müssen doch einem Max Lorenz und Seinesgleichen Zuhörer vorkommen, die sich Redens arten bieten lassen, wie die, daß e« in der Partei vielleicht Leute gebe, die sich zu der Ansicht deS braven Friedrich Engel« bekennen, daß in der Pariser Commune da« Vorbild für da- Verfahren gegeben sei, welche- bei der Um gestaltung d«S geschichtlichen Staatswesen- in eine proletarische Gesellschaft beobachtet werden müsse! Vielleicht? Also Lieb knecht, Bebel und Singer, die sich zu Engels bekennen, rxistiren für Herrn Lorenz — vielleicht? Wie Jedermann sieht, der sehen will, erweise» sich alle diese scheinbaren Anläufe der Socialdemokratie, au- ihrer eigenen Haut zu fahren, schließlich als ein ebenso leere«, wie unaufrichtiges Gerede. Zu Denen, die nicht sehen wollen, gehören aber die Hoffnungsseligen, die gespannten Blicke« dasitzen und harren, bis aus dem giftigen Boden de« Marxismus die Wunder blume de« Kreuzes emporblühen möchte." Die Erörterung der Natur de- ve-nadigungSrechte», die sich an die angebliche Begnadigung eine« wegen Erpressung eine« Geständnisse« verurtheilten Beamten angesponnen bat, dauert in der Presse fort. E« sind insbesondere auch confer- vative Organe, die sie nicht zur Rübe kommen lassen, ver- muthlich weil sie glauben, durch die geräuschvolle Ver- theidigung eines in Wahrheit gar nicht angezweifelten Souveränität-rechte« in Vergessenheit zu bringen, wie oft sie in den letzten Jahren auf da- verfassungsmäßige Bestimmungs recht der Krone durch Drohungen beschränkend eiazuwirken versucht haben. In der „Kreuzzeitung" ist eben wieder auf Laband'S Ausspruch hingewiesen worden, die Begnadigung sei keine Handlung der Rechtsprechung. DaS ist sie offenbar nicht, und man muß auch ferner der „Kreuzzeitung" beipflichten, wenn sie sagt, die Begnadigung habe „mit dem technischen Begriff der Rechtsordnung nichts zu thun". Von dem Zusammenhang mit der lebendigen Rechtsordnung, mit der Recht-Pflege, kann aber die Begnadigung unmöglich vollkommen gelöst werden. Die Gnade hebt da« geschriebene Recht auf, nicht um Unrecht eintreten zu lassen, sondern um ein höhere- an die Stelle deS angewendeten Rechtes zu setzen. Sie dient diesem Zweck nicht nur, wenn sie eine in einem bestimmten Falle gegebene Unvereinbarkeit zwischen starrem Gesetz und lebendigem RechtSgefühl zu Gunsten deS letzteren beseitigt, sondern auch bei der Amnestie, wo der Begnadigende die Um stände, unter denen die bestraften Handlungen begangen wor den sind, nicht kennt. Der Gedanke, daß Begnadigungen ohne höhere Erwägungen, sei eS der Menschlichkeit, sei e- de» StaatSinteresseS, erfolgen, ist für daS moderne RechtS- bewußtsein unerträglich. Der Kaiser im „Faust" hat, obwohl er an Zauberei glaubt, an seinem KrönungStage einen alten Zauberer vom Scheiterhaufen befreit und sagt später von diesem Gnadenact: Ich war nun wa-, da- wollt' ich auch probirrn Und fand's gelegen, ohne viel zu denken, Dem wrtßen Barte kühl« Lust zu schenken. Jedermann wird einen auS solcher Laune, au- bloßer Willkür entstehenden Eingriff in den Gang der Gerechtigkeit ausgeschlossen sehen wollen. Wer da- aber will, der erkennt eine Grenze des Begnadigungsrecht« an und muß deshalb die Verantwortlichkeit deS einen BegnadigungSact gegenzeichneoden Minister- für diesen Act anerkennen. Ein officiöse« Blatt ist bemüht, den Eindruck, welchen die Proclamation der franco-russischen Waffenbrüderschaft in Chalon- gemacht hat, abzuschwächen, indem eS an die vielfach bervorgetretene Kritik, der Hinweis des Zaren auf Ver schmelzung der beiderseitigen Streitkräfte stehe in offenbarem Widerspruch mit den Tbatsachen, die Bemerkung knüpft: „Dem gegenüber ist darauf zu verweisen, daß der Kaiser nur von dem zwischen den beiden Herren bestehenden Gefühl der Waffenbrüderschaft, nicht von einer tbatsächlichrn Waffenbrüderschaft gesprochen hat." Wir können an dieser Musterleistung officioser Vertuschungskunst nur die Naivetät bewundern, mit welcher dem gesunden Menschenverstände der öffentlichen Meinung zugemutbet wird, vor solchen absolut nichtssagenden subtilen Distinctionen zu capituliren. Wenn eS überhaupt der Mühe Werth ist, jene befangene Kritik zu corriairrn, so kann eS nur durch den Hinweis geschehen, daß der Zar, eben weil er sich mit den Thalsachen in schreiendsten Widerspruch gesetzt haben würde, nicht inretrospectivem, sondern in vorausschauendem Sinne von der Waffenbrüderschaft der beiden Armeen gesprochen haben kann. Tbatsächlich haben Russen und Franzosen nnr zweimal in der Geschichte vereint gekämpft, während deS siebenjährigen Krieges gegen Friedrich den Großen, 1757 und 1758, und bei Navarin, wo die englisch-französisch-russischen EScadre« unter Codrington die türkisch - egyptische Flotte unter Kapudan Pascha vernichteten. In beiden Fällen war aber ein Bindeglied vorhanden, im siebenjährigen Kriege Oester reich und im Jahre 1827 Enaland. Seit jenen fernen Tagen haben Russen und Franzosen immer nur ihre Schwerter gekreuzt. In den Coalitionskriegen, wo Korsakoff in Südveutschland und in der Schweiz und Suwaroff in Italien und in der Schweiz gegen die fran zösischen Republikaner kämpften und sie 1799 bei Cassano, an der Trebbia und bei Novi besiegten, später bei Austerlitz 1805, bei Czernowo, PultuSk und Golymin 1806 und bei Preußisch-Eylau 1807, wo die russischen Waffen unterlagen. Wer erinnert sich nicht an die denkwürdigen blutigen Kämpfe von Smolen-k, bei Borodino, an Moskau, an die Katastrophe an der Beresina im Jahre 1812 und an die heroischen BesreiungSschlachten der Jahre 1813 und 1814, an Großgörschen, Bautzen, Kulm und Leipzig, an La RonStiere, Montmirail, Montereau, Laon, ArciS- sur-Aube und an Paris? Da- blutig« Ringen in der Krim, vor Sebastopol, an der Alma, an der Tschernaja, bei Bala klawa, bei Jnkjerman und um die Bastion Korilowsti (Malakow) sind noch allen Zeitgenossen in Erinnerung. Bei nahe alle Schlachtfelder Mittel-Europas sind mit russisch französischem Blute gedüngt, und stet« bekämpften sich Ruß land und Frankreich. An der Hand dieser geschichtlichen ReminiScenzen wird man, wie gesagt, unter russischer Waffen brüderschaft nur ein mögliches Zusammengehen beider Heere in der Zukunft verstehen können, und eine solche Waffen brüderschaft in militairischem Sinne ist, wie die „Neue Freie Presse" in Uebereinstimmung mit unserer Auf fassung ausführt, synonym mit dem politischen Be griffe der Allianz. Unsere Leser wissen, daß wir an dem thatsächlichen Bestände einer solchen nicht zweifeln, und die Beobachtung, daß der Zar beim Abschied in CbalonS Angesicht- deS französischen HeereS, von dem er als von „unseren Truppen" sprach, den Präsidenten der Republik mit großer Wärme umarmte — nach dem „GauloiS" sollen sogar Küsse gewechselt worden sein —, vermag uns darin nur zu bestärken. Im Uebrigen aber theilen wir nicht die mehrfach laut werdende Besorgniß, daß durch die Bekundung der französisch-russischen Waffenbrüder schaft der Friede gefährdest sei, und acceptiren, waS ein anderer Officiosu«, die „Nordd. Allg. Ztg.", schreibt: „Kaiser Nicolaus hatte sich bei seinen ersten Besuchen, die den befreundeten Kaisern von Oesterreich-Ungarn und Deutschland galten, überzeugen können, daß der europäische Frieden in diesen beiden Fürsten seine eifrigsten Schützer besitze. Ebenso dürft« er England mit der Zuversicht verlassen haben, daß auch von dieser Macht keine Gefahr für dir Harmonie de« europäischen Loncrrte« droh«. So mag endlich auch das letzte Bild, da« sich dem Zaren und seiner hohen Gemahlin ui Frank reich bot, geeignet gewesen fein, ihn als erleuchteten Frieden«- fürsten mit hoher Befriedigung zu erfüllen. Tas enge Einvernehmen, das zwischen Rußland und Frankreich besteht, ist mitten unter rauschenden Festen und unter dem Jubel de« franzö- fischen Volke« wiederholt in Tischreden de« Kaisers von Rußland und des Präsidenten der französischen Republik zum Ausdruck ge kommen. Wir sehen keinen Grund, nach dem Verlaufe der Pariser Festtage die in Deutschland herrschende ruhige und objektive Beurtheilung der französisch-russischen Beziehungen irgendwie zu modificiren. Da bisher kein ernster Jntercssenwiderstreit zwischen beiden Staaten vorhanden war und so lange rin solcher nicht entst ht, ist der natürliche Fall gegeben, daß beide Staaten ein gemeinsame« Vorgehen beobachten und sich ihre Unterstützung in Fragen gemeinsamen Interesse« leihen. Man ist in Deutschland mit Recht fest davon überzeugt, daß ins- besondere Rußland da« Einvernehmen nicht zu kriegerischen Zwecken auSzubeuten, sondern nur friedlichen Aufgaben dienstbar zu halten wünscht. Andererseits hat Deutschland selbst keiner lei politische Interessengegensätze mit Rußland auszu machen, weshalb wir um so unbefangener den glänzenden Verlaus der Festtage in Cherbourg, Paris und Chalon« constaliren können." Das entspricht durchaus unserer bisherigen Stellungnahme, nur haben wir schon bei der Ankündigung deS Pariser Zaren besuchs und erst kürzlich wieder der Besorgniß Ausdruck ver liehen — und die Haltung eine- großen TheilS der Pariser Presse giebt unS Recht —, daß die mit den Zarenfestlichkeiten nothwendig verbundene Hebung deS französischen Selbst- bewußtseinS den tranSvogesischen Chauvinismus zu Pro vokationen gegen Deutschland verleiten könnte, welche dieses nicht unvergolten hinzunehmen vermöchte. Indessen wir halten e«, so FerriHetsn. Die Schuld des „Fürsten Romanskoi. 12j Roman von Lonr. Fischer-Sallstein. Nachdruck veri»t«n. „Stellen Sie keine Framen an mich", wehrte die Petusch- kiwna, „der Wille Ihrer Eltern muß Ihnen heilig sein, und ich weiß, er wird Ihnen auch heilig sein! Die Vergangen heit Ihrer Eltern muß für Sie ein verschlossenes Buch mit sieben Siegeln sein, und an dem Tage, an welchem Sie den Schleier zurückreißen, werden Sie Ihr Glück, Ihren Frieden, die Kraft und fröhliche Lust, weiter zu streben, vernichtet haben! Sie werden zu der großen Armee Derjenigen ge hören, die nie eine Anerkennung für ihr Streben finden und die überall vor verschlossenen Thüren stehen. DaS wollte Ihr Vater verhüten, als er Ihnen seinen angenommenen Namen IaSmorin gab. Und diesen Namen werden Sie zu Ehren bringen und selbst ein glücklicher Mensch werden." Die Petuschkiwna stand nun unter dem Eindruck, al« ob sie zu viel gesprochen habe, und darum griff sie voll Unruhe und mit einer gewissen Hast nach seiner Hand und sagte: „Sie haben vorhin die Frage aufgeworfen, Michael IaSmorin, wie da- Gute vergolten werden könnte, da« ich an Ihnen Hethan. Gut, jetzt bin ich in der Lage, einen Wunsch zu äußern: Geben Sie mir da-Versprechen, niemal« Ihr Mütterchen mit Fragen zu quälen, die sie in einer schwachen Stunde veranlassen konnte, da« Gelöbniß, da« sie Ihrem sterbenden Vater gab, zu brechen. Rühren Sie nie an die Vergangenheit Ihrer Eltern, die Ihnen nicht« nützen, sondern nur schaden kann, und strebrn Sie fröhlich in die Zukunft hinein. Sind Sie erst einmal ein Mann geworden, der sich eine achtungSwertbe gesellschaftliche Stellung erworben, dann können Sie ohne Gefahr Alle« erfahren." Wie in erschütternde Träume versunken, stand Michael da. Dir Petuschkiwna mußte seine Hand schütteln, um ihn zum Erwachen zu bringen. Dann sagte er dumpf: „Ich gebe Ihnen da« Versprechen, Mütterchen Sofia Andrejewna." „Und ich weiß. Sie werden e« hallen. Nun aber fort mit den unfruchtbaren Betrachtungen, den Kopf in die Höhe, nicht finster unter die Erde kriechen, sondern gegen die Sonne streben, denn die Welt ist schön!" Sie nahm hier ihre Börse hervor und legte eine Reihe Goldstücke auf den Tisch. Nun zog sie den Schleier vor und schien sich zum Aufbruch rüsten zu wollen. „Ich muß jetzt fort, Michael, da- Telegramm an Ihr Mütterchen soll heute noch aufgegeben werden. Morgen Nachmittag werde ich mich bei ähnen zum Thce einfinden, alsdann werden wir darüber berathen, wo uud wie Maria Feodorowna mit Ihnen wohnen wird. Wir werden un« nun öfter sehen", fügte sie lächelnd hinzu, „ich bin mit dem Fürsten in Petersburg. E« soll mich freuen, wenn der Student Michael IaSmorin die Liebenswürdigkeit hätte, dann und wann die alte Freundin seine« Mütterchen« spazieren zu führen." Stumm drückte ihr dieser dir Hand, und dabei lag ein müde« Lächeln um seinen Mund. Sofia Andrejewna beob achtete ihn nicht ohne Besorgniß und näherte ^» der Thür. Michael schien sie gerade jetzt nicht fortlasseu zu wollen. Beinahe krampfhaft hielt er ihre Hand fest. „Ich werde mein Wort halten", flüsterte er ihr jetzt zu, al« befürchte er, sie könnte an ihm zweifeln, „ich werde es!" „Gott stärke Sie, Michael, und nun gute Nacht!" Im nächsten Augenblick war sie fort und IaSmorin stand vor der Thür, die hinter der Petuschkiwna in« Schloß gefallen war. Nach einer Weile ging er nach dem Tisch zurück, sah die Goldstücke ihm entgegenblitzen, setzte sich vor diese nieder und stützte den Kopf in die Hand. DaS Bild de« alten ihm nun nahezu verhaßten General Storff stand ihm selt samer Weise gerade jetzt vor Augen, und seine dürren schnarrenden Worte gellten ihm immer noch in den Ohren: „Das ist eia Matscher-koff!" Siebente« Eapitel. Mit steigender Unruh« ging Strpan Wassilitscb RomanSkoi in seinem Zimmer auf und ab. Die achte Abendstunde war herangekvmmen und noch immer ließ sich Sonja Petuschkiwna nicht blicken! Wa« hat da« zu bedeuten? fragt« sich der Fürst und erschöpfte sich in einer Welt voll Bermuthungen. Sie hatte ihn wie rin Kind auf dem Sofa niedergebrttet, schlafen gelebt, damit er sich von den Anstrengungen der Reise erhole, und er folgte ihr, trotzdem er gar nicht ermüdet war, al« er er wachte bei herrinbrechender Dunkelheit, war sie spurlos au« dem Hotel verschwunden. Sah das nicht gerade so au«, al« ob sie Ursache habe, in irgend einer Sache sich heimlich von ihm zu entfernen? Wohin war st« gegangen und wa« hielt sie so lange auf? Zuerst war der Fürst beleidigt, er glaubte, daß e« die Ver pflichtung Sonja'« gewesen sei, ihm wenigstens zu sagen, daß sie Besuche zu machen habe. Al« aber Stunde um Stunde verrann und sie immer noch nicht zurückkehrte, beschlich ibn eine wahre Angst, und zum ersten Mal erwog er im Ernste die Möglichkeit, daß sie sich eines TageS ganz von ihm abwenden und ihn für immer allein lassen könnte. Jetzt erst fühlte er, wa« sie ihm war, und wa« er sein würde ohne sie. Welche Rechte hätte er denn, sie zurück zu halte«, wenn sie eines Tages vor ihn hintreten würde, um ihm zu sagen, daß er ihrer Pflege nicht mehr bedürfe und sie sich nun einem andern Lebenszweck widmen möchte?" „Sie wird bleiben, sie ist mein!" ruft er sich trotzig zu und verflieg sich zu der unedlen Ansicht, daß sie nicht reich sei und daß sie darum der Stellung in seinem Hause bedürfe. Aber al- er über da« Wesen und den Charakter seiner Pflegerin aachdachte, fand er, daß das kein Hinderniß für sie sei, ihn eines TageS zu verlassen. Und diese Erkenntniß erfüllte ihn mit Verdruß und mit Bitterkeit. Sollten sich denn nicht die Mittel finden lassen, vermittelst deren er eine Kette schmieden kann, die stark genug ist, sie ihm leibeigen zu machen? Der Herr der Petuschkiwna möchte er sein, der Herr nach asiatischen Begriffen, nur um nicht ihr milde«, ruhige« Angesicht, ihre sanfte pflegende Hand entbehren zu müssen. Und doch war der Fürst kein unedler Mensch, er hat selbst der Petuschkiwna gezeigt, wie buman er denken und wie edel er bandeln kann. Nur dann gerieth er auf Abwege, regte sich seine gewalttbätige Natur, wenn ihm etwa« ver sagt blieb, wa« er glaubte nicht entbehren zu können. So nahm er eiust seiner einzigen Schwester den Sohn, und gerade so würde er Sofia Andrejewna nehmen, wenn sie ihm irgend Jemand streitig machen wollte. Sofia Andrejewna hatte sich in all den Jahren einen Grad von Unabbängiakeit dem Fürsten gegenüber bewahrt, die diesem gar kein Recht an die Hand gab, sich auch nur verstimmt darüber zu zeigen, daß sie ohne sein Wissen da« Hotel verließ und fortblieb, so lange e« ihr beliebte. Er sah die« jetzt erst ein, und dabei kam ihm die Erkenntniß, wie innig er mit ihrem Wesen verwachsen war, daß er nur lebt« durch sie. Gott sei Dank, da hört er jetzt die elastischen Schritte der Sonja draußen auf dem Corridor! Er kennt diese Schritte; Wit manche« Mal hat er auf seinem vieljährigen Schmerzens lager auf diese Schritte gelauscht. Sein Herz schlägt stürmisch, eia wahres Fieber ergreift ihn, er wird roth im Gesichte, als die Petuschkiwna jetzt inS Zimmer tritt. Sie war erhitzt, weil sie den Weg vom Telegraphenamt nach dem Hotel in größter Eile zu Fuß zurllckgelegt. Wie ein schwerer Alp wälzt eS sicb von Stepan Wassiliksch, als Sonja in alter Güte und Treue auf ihn zukommt und sich nach seinem Befinden erkundigt. Aber er war auch zu stolz, um ihr eingestehen zu können, was er gelitten, während sie fern war. „Ich batte einen Besuch zu machen und mich etwa« ver spätet", warf sie bin und hob sich den Schleier, „Sie haben fest und ruhig geschlafen, al« ich ging, mein Fürst." „Ich werde mich nun um meine Nachtruhe gebracht haben", entgegnete dieser und konnte den Blick nicht von ihrem gerötheten Angesicht wenden. In diesem Augenblick trat der Oberkellner mit einem silbernen Tablett mS Zimmer. Auf dem Tablett lag ein Brief. Er bändigte ihn dem Fürsten au«. „Bon Slekok", murmelte dieser vor sich hin, den Bries öffnend, „wa« mag vorgefallen sein?" Sofia Andrejewna wollte sich, die Gelegenheit benutzend, in der der Fürst mit feinem Brief beschäftigt war, in« Neben zimmer zurückziebea, aber dieser rief ihr zu: „Ein Schreiben von Jlija Andrej!" Es klang da« fast freudig von seinen Lippen. Die Petusch kiwna blieb unter der Thür sieben. Der Fürst la« und sein Gesicht klärte sich immer mehr auf. „Jlija theilt mir in diesem Schreiben mit, daß er mit dem Aptekar gestürzt sei und darum die Privatklinik de« Doctor Rüsolm aufsuchen mußte. Da« würde also mit den Angaben de« Bauern, den mir Nahim gebracht, über einstimmen." Wie rasfinirt er ist! flüsterte Sonja in sich hinein und konnte mit dem besten Willen nicht begreifen, daß Stepan Wassilitsch seinen Neffen nicht in dieser so klar liegenden Sache durchschaue. Oder hat er da« Brvürfniß, sich von diesem täuschen und betrügen zu lassen? „Nach den Angaben de« Sergei Murrok konnte man auch nickt gut annehmen, Jlija Andrej im Hotel Bristol vor zufinden." Der Fürst blickte erstannt zu Sofia Andrejewna auf, denn ihm wollte e« bedünken, daß durch ihre Wort« etwas wie Ironie zittere. Er kam sogar etwas in Verlegenheit, warf den Brief neben sich auf den Tisch uud sagte:
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