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02-Abendausgabe Leipziger Tageblatt und Anzeiger : 28.10.1896
- Titel
- 02-Abendausgabe
- Erscheinungsdatum
- 1896-10-28
- Sprache
- Deutsch
- Digitalisat
- SLUB Dresden
- Lizenz-/Rechtehinweis
- Public Domain Mark 1.0
- URN
- urn:nbn:de:bsz:14-db-id453042023-18961028029
- PURL
- http://digital.slub-dresden.de/id453042023-1896102802
- OAI-Identifier
- oai:de:slub-dresden:db:id-453042023-1896102802
- Sammlungen
- LDP: Zeitungen
- Strukturtyp
- Ausgabe
- Parlamentsperiode
- -
- Wahlperiode
- -
Inhaltsverzeichnis
- ZeitungLeipziger Tageblatt und Anzeiger
- Jahr1896
- Monat1896-10
- Tag1896-10-28
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klSl'll o ckontrren ) Frau u. Ihrmüchcr schmor in IN Steina Kbauchlltz. ldorf mit g. Herr Zrl. Alma inz Linke r daselbst, -alaymn.» . Hedwig >ß mutter tloäot »4 an»- K. astslt wüderu^, WkM S/W. en lter ltslntz. Vr. lin Dort» i f. BezugS'PreiS A der Ha»pt^peditiou oder den km Stadd> m»kt und den Vororte» errichtete» Aus» aaoestellrn abgebolt: vierteljährlich bei uvetmalioer täglicher Zustellung tu» ^aut b.üO. Durch die Post bezogen fltr Deutschland »nd Oesterreich: viertel, ichrl ich 6.—. Dirrcte tägliche ArenzbandlendlUlg i»A Ausland: awaatltch ^l 7ckL Die Morge».-l»«gab, erscheint »« '/,? Uhr, di« Lbeud»Lu«gabe Wocheutagt »» b Uhr. Rrdtttto« und LrveLMo«: 8»hanne»«afi« 8. Die Expedition ist Wochentag» »»»»terbroch« ga-Anet von früh 8 bi» Abend» 7 UhL Filialen: Dtt» Klemm'» Lortim. iNlfretz Hatz»), UoivrrsitätSstrah« S (Paultnum), Lonl» Lösche, statbarinenstr. 14, pari und König«vlatz 7. Abend-Ausgabe. KWigcrTagMalt Anzeiger. Amtsblatt des LönigNchen Land- «nd Amtsgerichtes Leipzig, -es Mathes und Molizei-Änttes der Ltadt Leipzig. Anzeigeu'Preir die S gespaltene Petitzeile tzO Pfg. veelame» unter dem Redactionsstrich (4«» spalte») üO^j, vor den Familteuaochrichtrn (Sgrspaltra) 40^. vrötzrrr Schriften laut unserem Preis- derzeichaiß. Dabellarischer »nd Mrrnsatz aaa> höherem Laris. Ektra-Beilagen (gesalzt), nur mit de» Vtorgen-Ausgabe, ohne Postbrsvrderuug ^4 SV—, mit Postbefördernng ^l 70.—. Iinnahmeschluß für Anzeigen: Abrnd-Bu-gabe: vormittag» 10 Uhr. Morgen-Ausgabe: Nachmittag» 4Uhn Vet den Filialen und Annahmestelle» je «M» halbe Stunde frühe». Anzeigen sind stets au di« Ehpetzttt«» zu richte». Druck und Verlag von E. Polz in Leipzig SV. Jahrgang. Mittwoch den 28. October 1896. Politische Tagesschau. * Leipzig, 28. October. Daß Fürst Bismarck mit dem im Jahre 1884 ab- geschloffenen deutsch-russischen Assecuranz-Ver- trage, deffen Besteben bis zum Jahre 1890 durch die Er klärung des .,Reich«anzeigerS" außer Zweifel gestellt ist, ein für Deutschland höchst wichtiges und vortheilbaftes Ab kommen getroffen hatte, da» auch dem Geiste und Wortlaute deS deutsch-österreichischen Bündnisses nickt wider sprach, erkennt jetzt sogar die demokratische „Franks. Zig." an. Sie schreibt nämlich: „Der Bündnißvertrag zwischen Deutschland und Oesterreich- Ungarn verpflichtet letzteres nicht, uns mit seiner ganzen bewaffneten Macht btizustehen, wenn wir nur von Frankreich angegriffen werden, wie wir auch nicht zu einem bewaffneten Eingreifen ge zwungen sind, wenn Oesterreich-Ungarn nicht direct von Rußland angegriffen wird, also z. B. mit diesem über die Pcrtdeilung des Erbes de» „kranken Mannes" in Streit geräth. Die Neutralität, die Deutschland und Rußland sich gegenseitig zugesagt bauen, ver stößt also in keiner Weise gegen die Bestimmung des zwischen Deutschland und Oesterreich - Ungarn ab geschlossenen Bündnißvertrages. . . . Man wirb vielleicht hier und da den Versuch machen, die Ablehnung der Erneuerung des Uebereinkommens nach dem Sturze deS Fürsten Bismarck als Beweis dafür anzuführen, daß Graf Caprivi auS Gründen der Ehrlichkeit und mit Rücksicht auf die Bundesgenossen Bedenken gegen eine Erneuerung gehabt habe, allein gegen eine solche Auffassung ließe sich geltend machen — immer vorausgesetzt, daß dir bis jetzt vorliegenden Miltheilungen über den Gang der Bcrbandlungen richtig sind —, daß die Erneuerung des Uebereinkommens bereits beschlossen war und mir noch die Unterschriften fehlten, d. h-, daß Kaiser Wilhelni II. ebensowenig wie sein Großvater im Jahre 1884 Bedenken hegte und daß eine Verzögerung der Unterzeichnung deS Vertrages nur eintrat, weil der Zar durch die Entlastung des Fürsten Bismarck stutzig geworden war. Da man doch nicht gut annebmen kann, daß nur die Parteinahme des Kaisers von Rußland für den gestürzten Reichskanzler die unerwartete Zurückweisung der bereits beschlossenen Erneuerung des russisch-deutschen Abkommens veranlaßt habe, jo bleibt die Frage auch jetzt noch zu beantworten, warum denn die Ablehnung in Wirklichkeit erfolgt ist. Doch nicht etwa aus Rücksicht auf Eng- land, mit dem Rußland in ernste Streitigkeiten zn gerathen drohte, alS Alexander III. im Jahre 1884 eine Rückendeckung oon Seiten Deutschlands für erwünscht hielt?" Nur darüber ist die „Franks. Ztg." ungehalten, daß Oesterreich-Ungarn der mit Rußland abgeschlossene Vertrag nicht mitgetheilt worden sei. Ob das wirklich nicht geschehen ist, lassen wir einstweilen dahingestellt; jedenfalls bat Gras Andraffy auS dem Umstande, daß in dem deutsch-öster reichischen Vertrage keinerlei Bestimmungen über die Ver pflichtungen Oesterreich-Ungarn« im Falle eines Angriffs von Frankreich auf Deutschland enthalten waren, schließen können, daß Deutschland für diesen doch nichts weniger als unmög lichen Fall Abmachungen mit einer andern Macht getroffen hatte. Uebrigens geht heute dem „Berl. Tagebl." aus R o in das folgende Tlegramm zu: „Die officiöse „Agenzia Jtaliana" schreibt zu den vielerörterten Enthüllungen der „Hamb. Nachr.": Der zwischen Deutschland und Rußland bestehende Neutralitätsvertrag war für die italienische Regierung kein Geheimniß. Dieselbe wußte jedoch, daß die Bestimmungen dieses Vertrages dem Texte der Ab machungen zwischen Deutschland und Italien, sowie zwischen Italien und Oesterreich in keiner Weise widersprachen, Abmachungen, deren absolut defensiver Charakter durch besondere Verein barungen, dir irgend ein Mitglied de» Dreibunde» außerhalb de» Rahmens deS letzteren einging, nicht beeinträchtigt wurden. Der ob der Veröffentlichungen des Bismarckorgans entstandcne Lärm sei deshalb ganz überflüssig, ebenso auch die Hoffnung der französischen Presse, daß die Tripelallianz durch dieselben erschüttert worden sei." Hat Italien den deulsch-russischen Assekuranz-Vertrag gekannt, so wird er auch den österreichischen und ungarischen Staatsmännern s. Z. nicht vorenthalten worden sein. Je mehr aber das Frankfurter Demokratenblatt von seiner an fänglichen gehässigen Stellungnahme zu den Enthüllungen zu einer objektiven Bcurthellung ablcnkt, um so beklagenSwertber ist es, daß ein Blatt wie die „Köln. Z t g." sich nicht scheut, die „Vertrauten" des Fürsten Bismarck, also diesen selbst, „reichsschädlicher Veröffentlichungen" und „Preßlreibereien" zu beschuldigen. TaS muß doch wohl jeder politische ABC- Lckütze zugebcn, daß es ein unvergleichliches diplomatisches Meisterwerk BiSmarck's war, wenn er trotz der zu Anfang der 80er Jahre zwischen Deutschland und Rußland eingetrelcnen Verstimmung, trotz des Abschlusses deS deulsch-österreichischcn Bündnisses und trotz seiner Rede vom 6. Februar 1888 Rußland bis l890 an dem im Jabre l884 abgeschlossenen Neutralitäts verträge festzuhalten wußte. Jeder politische ABE»schütze muß ferner einräumen, daß dieser NeutralitälSvertrag eine für Deutschlands Sicherheit im höchsten Grare wünschens wende Ergänzung des deutsch-österreichiscken Vertrages war und für unser Vaterland eine der wichtigsten Friedens garantien bildete. Jeder politische ABC-Schütze müßte sich daher auch überzeugt halten, daß der unvergleichliche Meister, der ein solches Kunststück zum Heile Deutschlands fertig brachte, nicht aus Ruhmsucht, Laune oder Lust an Jntrigueu, sondern lediglich in dem Wunsche und der Ueberzeugung, seinem Vater lande eine neue Wobltbal zu erweisen, Enthüllungen über diese« Werk machen könne. Welchen letzten Zweck der Fürst bei der Enthüllung im Auge Halle, erkennen auch wir noch nicht. Aber wir würden uns einer grenzenlosen Ueberhebung und einer ebensolchen Undankbarkeit gegen den Einiger Deutsch lands schuldig zu machen glauben, wenn wir auch nur einen Augenblick daran zweifelten, daß er mit seiner Enthüllung nicht nur eineu dem Wohle deS Reiches dienenden Zweck ver folgt, sondern auch die Ueberzeugung hegt, er lve de diesen Zweck erreichen. Daß er vor dieser Enthüllung nicht erst das Gutachten der „Köln. Ztg." eingeholt hat, die über seine und seiner Vertrauten Indiskretion jammert, erschüttert unS in unserem Vertrauen nicht. Wenn Einer im deutschen Reiche weiß, wann er zu reden oder zu schweigen hat, so ist es Fürst Bismarck, und er hat über den Assecuranz-Vertrag mit Rußland lange genug ge schwiegen , um wenigstens jeden nicht bochmuthsblinden Deutschen zn überzeugen, daß er nicht länger schweigen zu dürfen glaubte. Von dieser Ueberzeugung ist jedenfalls auch Fürst Hohenlohe durchdrungen, so unbequem ihm im Augenblicke auch die „Enthüllungen" kommen mögen. Gerade er hat wiederholt Pen Beweis geliefert, daß er den Fürsten Bismarck nicht nur für einen unerreichten Meister der diploma- tischenKnnst,sondern auch für einen glühenden Vaterlandsfreund hält, der nichts thut.was nach seiner tiefen Einsicht dem Vaierlande zumNachtheil gereichen könnte. Erwirb daher venZwecken seines großen Vorgängers nachsorschen und sicherlich nickt verkennen, daß in den Enthüllungen für ibn — den Fürsten Hohenlohe — und seine unser Verhältniß zu Rußland betreffende Politik eine hohe Anerkennung, für die persönlichen Bemühungen unseres Kaiser» um die Wiedergewinnung des Vertrauens deS Zaren eine nicht hoch genug zu schätzende Erklärung und für den Reichstag eine dringliche Mahnung liegt, einer unser jetziges Verhältniß zu Rußland festigenden Politik keine Schwierigkeiten in den Weg zu legen. Faßt Fürst Hohenlohe die Enthüllungen deS Altreichskanzlers auch nur in diesem Sinne auf, so wird er ihrer guten Folgen bald inne werden ES ist ein Kennzeichen deS „MaschinenpolitikerS", daß er durch die Personen, die nun einmal bei allen Dingen dieser Erve „dabei" sind, an dem Einblick in die Sachen behindert wird. Diese Beobachtung drängt sich auch in den Erörterungen auf, welche die AbschiedSreSe des GrheimrathS vr. Kayser hervorgerufen hak. Herr Kayser Hal persönliche, zum Theil von eigensüchtigen Beweggründen geleitete und unerfreuliche Erscheinungen in unserem öffentlichen Leben bildende Gegner, folglich ist jedes bas Verhalten dieses Herrn nickt billigende Wort aus die ihm feindliche „Clique" zurückzuführen oder es ist wenigstens „zur Unterstützung" der selben gesagt. Den letzteren Vorwurf macht die „Natio- nalzlg." dem Herrn v. Eynern, dessen mit Namens unterschrift unterzeichnete — gestern mitgetheilte — Er» klärung man füglich doch nicht als eine auf Gebeiß von „Hintermännern" abgegebene bezeichnen durfte. Wir ver- muthen, daß der nationaltiberale Abgeordnete den Vorhalt, er besorge die Geschäfte des Herrn I)r. Arendt, ebensowenig ernst nehmen wird, wie den Versuch der „Nationalztg.", den herausfordernden persönlichen Charakter der Kayser'schen Rede abzuschwächen. Mit solchen Bemühungen stellt man nur sein Unheil bloß. Selbst ein Organ der freisinnigen Vereinigung, also der Richtung, der die „Nationalzeitung" bis zur Ver schmelzung sich genähert hat, begreift den Widerspruch des Herrn v. Eynern und anderer nationalliberaler Stimmen gegen die Rede des Herrn I)r. Kayser aus deren „ungewöhn licher" Beschaffenheit. Tie „Nationalzeitung" trachtet schließlich in der verlorenen Schlacht noch ein Fleckchen Terrain dadurch zu behalten, daß sie Herrn v. Eynern in einen Widerspruch mit dem Geh. Rath Simon, dem Berichterstatter des Centralvorstandcs der Partei auf dem Delegirtentaqe, zu bringen sucht. Dabei übersieht das Blatt, daß die Erklärung deS Herrn v. Eynern, dem sicher viele andere Organe die Gastfreundschaft nicht verweigert Kälten, in der von der „Nationalzeitung" wegen einer abfälligen Beurtheilung der Kayser'schen Rede be schimpften „Nationallib. Corr." erschienen ist. Der informa torische Werth dieses Umstande» dürfte auch von der „Köln. Ztg." erkannt werden, die gleichfalls hinter dem Parteiorgan Gespenster gesehen bat. Die Oefen der ArbeitcrglaShütte in Albi brennen. Sie ist unter der Aegide des Genossen Jaurüs würdig eingeweiht worden, aber sie hat, wie gemeldet, in Carmaux rin Nach spiel mit allgemeiner Schlägerei, Messerstichen und Revolver schüssen gehabt, eine bedenkliche Vorbedeutung für die Zukunft des Unternehmens. ES wird von den französischen Genossen ausdrücklich als ein collectivistisches bezeichnet und eS wird, wie alle diese Gründungen sich abwirthschaften, und man kann nur hoffen, daß, wenn der Krack da ist, eS nicht noch blutiger hergebt, als am Tag nach der Allster Hüttenweihe in Carmaux. Die Gründer machen sich darüber aber augen blicklich keine Gedanken, haben es ja auch, wie sie meinen, nicht nöthig, da eS bekanntlich nicht ihr eigenes Geld ist, welches sie in Albi verpulvern, sondern ein Geschenk, das ihnen von Freunden und Gönnern zur Verfügung gestellt wurde. Sie lassen also ihren phantastischen Ideen ungezügelten Lauf. Die Regeln „bürgerlicher" Betriebsweise existiren für sie nicht, ebenso glauben sie auch dem verhaßten Zwange der Concurrenz Trotz bieten zu können. Sie rechnen zu diesem Behufe aus die Sympathien, welche dem Unternehmen der ArbeiterglaShütte sowohl auS den Kreisen der Arbeiterschaft, als aus den Kreisen aller derjenigen Politiker und Geschäftsleute entgegengebracht werden sollen, welche rin Interesse daran haben, ein FiaSco der Glashütte von Albi hintanzuhalten. Nur der von „niedrigem Eigennutz" beherrschte „Bourgeois" kauft dort, wo er für sein Geld am preiswürdigsten bedient wird. Der „zielbewußte" Bürger des ZukunftS- staateS aber wird einer in der Arbeiterglasbutte von Albi hergestellten Flasche oder sonstigen Waare unter allen Umständen den Vorzug geben, mag sie auch qualitativ nock so minderwerthig sein und im Preise sich unverhältniß- mäßig höher stellen, als Fabrikate eines „kapitalistischen Aus beuters". Um den kollektivistischen Charakter des Unter nehmens zu wahren, wird die Leitung desselben bei Leibe nicht einer kenntnißreichen, energischen Einzelpersönlichkeit übertragen, sondern einem neunköpfigen Verwaltungsrath, in welchem nur zwei Glasarbeiter sitzen. Dieser Ver- waltungsratb bestimmt die Zahl der Arbeiter und setzt die Arbeitslöhne fest. Die Arbeiter werden im Wesent lichen gestellt sein, wie ihre Kameraden in „kapita listischen" Betrieben, nur daß letztere vom dem Risiko befreit sind, das auf den Schultern der ersteren liegt. Geht kaS Geschäft, so erkalten sie ihren Lohn, geht es nicht, so müssen sie für das entstehende Deficit pro rata parto aufkommen, d. h., sich entsprechende Lohnabzüge gefallen lassen. Dafür haben sie aber auch nicht einem einzigen Herrn, son dern neun Herren zu gehorchen und genießen das erhebende Bewußtsein, daß die etwaigen durch ihre Arbeit erzielten Ueberschüsse nicht etwa ihnen selbst, sondern der „revolutio nären Propaganda" zu Gute kommen. Dafür ist das Unter nehmen eben kollektivistisch. Daß ein russisches Blatt für daS Fortbestehen des Dreibundes eine Lanze drecken würde, hätte man vor nock nickt langer Zeit nicht für möglich gehalten. Jetzt aber, in der Aora der orientalischen Complicationen, darf eS nicht Wunder nehmen. Es ist kein geringeres Blatt, als die officiöse „Nowoje Wremja", welche sehr sym pathische und freundliche Worte für den Dreibund, besonders für Deutschland findet. DaS Blatt geht von den vielfach besprochenen, auf englische Quellen zurückzuführenden Er örterungen über den bevorstehenden Zerfall des Dreibundes aus und acceptirt sie als ein Zeichen der Zeit, glaubt jedoch, daß sowohl Oesterreich-Ungarn als Italien noch Grund genug hätten, an das Zerreißen zener Bande nicht zu denken, welche sie mit Deutschland verknüpften. Diese Bande halten eine politische Gruppirung aufrecht, welche nicht nur Italien, sondern auch Oesterreich.Ungarn die Möglichkeit giebt, im jetzigen Concert der Continentalmächte eine reckt einflußreiche Rolle zu spielen. Deutschland, welches durch einen formellen Vertrag verpflichtet ist, die Interessen seiner Bundes genossen zu schützen, erscheint Rußland und Frankrich gegenüber gleichsam als ihr Vertreter; jedesmal, wenn man es in Berlin für nothwendig hält, im Einvernehmen mit diesen Mächten vorzu» gehen, muß die dortige Diplomatie auch die Specialinteressen Oesterreich- Uvgarns und Italiens berücksichtigen. Wenn das für die habsburgische Monarchie nur „bequem" ist, so hat e» Italien unbedingt nothwendig. Nur auf diese Webe hofft man in Rom ohne Uebernahme neuer internationaler Verpflichtungen die politischen Fehler Lrispi » (!) verbessern zu können, welche e» diesem Staate äußerst erschwert haben, in Europa die einer Großmacht zukommend« Rolle zu spielen. „Auf den baldigen Zerfall des Drei- bundes ist nicht zu hoffen und nicht zu rechnen — ja wir wollen noch mehr sagen: die europäische Lage ist derart, daß im jetzigen Augenblick dieser Zerfall nur England allein wünschens» werth erscheinen könnte. Das bestehende Einvernehmen der Continental» machte in den orientalischen Angelegenheiten beruht nämlich aus der Die Schuld des Fürsten Nomanskoi. 26j Roman von Conr. Fischer-Sallstein. Nachdruck vertaten. „DaS scheint das Fieber zu sein", entgegnete Michael und war bemüht, den Fremden seine Besorgnis nickt merken zu lassen. „Wenn der Thee nichts Hilst, dann gehe ich rasch nach der Apotheke; Fiebermittel giebt eS ja in Massen; man ge braucht dazu nicht erst rin Recept. Aber so nehmen Sie doch die nassen Kleider herunter." „Daß wir nn» nicht schon früher kennen gelernt haben", seufzte Jlija Andrei, und zog den beschmutzten und durch näßten Rock vom Leibe, „aber man hätte Sie mir auch ge nommen, ich durfte keinen Freund haben, ich war verdammt, allein und immer nur allein zu sein!" Er legte den Rock über eine Stuhllehne und streckte sich auf dem Sopha aus. Aber sofort erhob er sich wieder und sah den Jasmorin, der mit einer wollenen Decke herbei gekommen war, durchdringend an, al» wolle er ihm auf dem Grund seiner Seele lesen. „Sie wollen mich hier behalten und kennen mich nicht einmal." „Finden Sie da» so unverantwortlich?" „Vom rein modern menschlichen Standpunkt« au» ganz gewiß. — Oder kennen Sie mich?" „Ich verstehe von Ihrem modern menschliche» Stand punkt gar nicht«, und kenn« Sie auch nickt. Vielleicht ist da« recht gut, besonder» in Anbetracht Ihrer Lage, denn wenn ich Sie kennen würde, dann müßte ich Ihnen am Ende die Thür weisen. Uebrigrn» verantworte ich da«, wa« ich thu«, nur mir gegenüber!" ,Hch könnt« ja ein Mörder sei» und heute Nacht mit einem Bulgarenmeffer in der Hand mich auf Sie stürzen." „Sie pbantasire» schon," versettte Michael u»d di, Noth de» Uaglücklickrn that ihm in der Verl» weh, „legen Sie sich nieder. Unter der Decke wird e« Ihnen bald beffer werdeu. Der Thee ist so gut wie fertig." „Trauen Sie mir nickt zu, daß ich Blut vergießen könnte?" „DaS meinige vergießen Sir nickt, ich fühle mich stark genug, Sie niederzuschlagen und unschädlich zu machen. Ich komme au« Sibirien uud dort habe ich schon al« klriurr Knabe gelernt, mich mit Wind und Wetter und selbst mit wilden und reißenden Tbieren herumzuschlazen!" Sofort nahm Jlija Andrej seine Hand und hielt sie fest. „Nun," lachte Michael diesen freundlich an, „wird eS schon beffer?" „Mir wird eS niemals beffer. Hatte ich Sie zum Freunde gehabt, niemals würde ich in den Abgrund gestürzt sein, Sie Kälten mich zurückgeriffen. Nun ist Alles vorbei. Die Welt ist mir ein finstere« Gewölbe geworden, ohne Licht und Sonnenschein, und nun sinne ich nur noch darüber nach, wie ich mich auS diesem Gewölbe hinausretten kann." „Versuchen Sie e«, zu schlafen, lieber Freund." Da« klang wie eine Drohung und darum setzte Michael rasch und begütigend hinzu: „Nun, machen Sie keine Ge schichten und legen Sie sich nieder, Sie sind viel kränker, al« Sie denken!" Jlija Andrej ließ sich niederbetten. Längere Zeit hin durch sprach er kein Wort mehr, trank den heißen Thee, den ihm der Freund reichte, und beschränkte sich darauf, den ver meintlichen Sohn oer Sofia Andrejewna nicht au« den Augen zu taffen. Der Tbee that ihm wohl, bald machte sich eine behagliche Wärme unter der Decke bemerkbar. Michael sah, daß sich da« Gesicht de« Patienten wieder röthete und war mit seiner Thätigkeit so reckt von Herzen zufrieden. Di« Aufgabe, die er sich gestellt sah, sagte ihm überhaupt zu, gewiß, dies« Be schäftigung war viel gesünder, al« sich in zwecklose« Sinnen und Betracht,» zu verlirrrn. Nachdem er auch seinen The« getrunken, »ahm er einen Stuhl und setzte sich neben dem armen Kerl, gegen den er ja so unsagbar glücklich war, vor da« Sopha nieder. „Schlafen, ich schlafen? An der Newa war ich ein geschlafen, e« war fürchterlich. Sollte ich vor Ihren Augen einschlasen wollen, dann rütteln Sie mich, damit ich wach bleib«. — Sie sagten vorhin, daß Sie in Sibirien waren: wie kommt da«? Warum Warrn Sie dort?" „Ich wurde dort geboren." Erstaunt blickt« Jlija Andrej zu dem Freund auf und schien daS nicht begreifen zu können. -War denn Fräulein Prtuschkiwaa, Sofia Andrejewna in Sibirien?" „Wa«?" kragte Michael, und auf seinem Gesichte malte sich di« lebhafteste Verwunderung, „kennen Sie denn Sofia Andrejewna? In St. Pe«er«burg giebt e« eine Dam«, dir sogar einmal glaubte, ich wär« der Sohn Sonja'« I" ES that dem Jlija Andrej offenbar weh, daß der Freund ihm so scharf inS Angesicht fah, und vielleicht nur darum schirmte er die linke Hand über die Augen und schwieg. Aber Michael, der jetzt lebhaft an di« Gräfin Stroganowna zurückoachte, wünsch:« seine Frag« beantwortet zu sehen. „Sie haben mich doch gewiß einmal mit Sofia Andra- jewna gesehen? — Vielleicht neulich, wie ich mit ihr «in« Promenade gemacht habe?" Ich sah Sie im Hotel Bristol", erwiderte dieser, ohne die Hand von den Augen zu nehmen. „Und haben sich gedacht, daß da« meine Mutter sein müßte?" Jlija Andrej hatte nicht den Muth, diese Frage zu be jahen, e« war ihm peinlich, in dieser Sach« seine Ueber- zeuguna zu äußern. Aber er richtete fick auf, legte seinen Arm um den Nacken de« JaSmorin, wa« sich wir eine echt brüderliche Zärtlichkeit ansah, und rang mit dem Ver langen, den Kopf de« Studente« zn dem seinen herüber zuziehen. Doch blieb e« nur bei einem Versuch. „Glauben Sie wirklich, Michael JaSmorin, daß ich ohne jede Absicht Sie hier ausgesucht haben könnte? Ich kenne Sie bester, al« Sie ahnen!" „Und doch," versetzte der Student ungläubig, „hakten Sie Sofia Andrejewna für meine Mutter?" „Sollte eS nicht möglich sein, daß wir diesen Punkt un erörtert lassen?" „Ich hab, nicht« dagegen. Aber woher wollen Sie mich kennen?" „Auch diese Frage hat jetzt noch keinen Zweck, die Auf klärung wird sich finden. Sie sind eia guter Mensch, Michael Jasmorin, und doch habe ich Sie einmal in meiner Verblendung gehaßt. — Warum wir Menschen aus Schritt und Tritt mit Blindheit geschlagen sind!" „Wir sind e« nur, wenn wir uns in die Finsterniß begeben." Erschrocken zog Jlija Andrej seinen Arm von dem Nacken de« Studenten zurück, sah diesen beinah furchtsam an und murmelte: „Ja, wir sind e«, wenn wir un« in die Finstrrniß begeben. Und ich begab mich in di« Finsteruiß und komme darin uml" Er ließ auf einmal den Kopf in da« Sophakiffen »urück- sinken und rog sich fröstelnd die Decke über de» Leib, al« wolle er sich darunter begraben. Ein seltsamer Mensch, sagte sich Michael JaSmorin und dachte nun darüber nach, wa« wohl au« der Sache werden soll? Vielleicht ist er ein politischer Fanatiker, der den Glauben an Gott, die Welt und an sich selber verloren bat. In den Hörsälen findet man sie zu Dutzenden, diese blut jungen Leute, die Alle« leugnen, waö einem Andern heilig ist. Scheu ging ihnen Michael immer aus dem Wege, und jetzt hat er Einen von ihnen auf dem Sopha liegen, den vielleicht die Polizei aus seinem Nest getrieben. Nicht der Gedanke, daß die Polizei ihn hier auffinden könnte, beunruhigte ihn, sondern die Frage, was Sofia Andrejewna dazu sagen wird, machte ihm Sorgen. Doch nein, sie wird nicht« davon erfahren, der Unglückliche da auf dem Sopha schläft sich auS, nimmt seinen Rock und zieht wieder seine Straße. So viel ist ja auch der ganze Kerl sicherlich nicht werth, al« daß sein gute« Mütterchen Sonja auch nur einen Augenblick an ihrem Michael irre wird. Entschlossen, ihn ruhig schlafen zu lasten, erhebt er sich lautlos vom Stuhl und will sich an den Tisch setzen, um da» Schreiben der lieben Petuschkiwna zu beantworten. Aber in demselben Moment richtete sich auch Jlija Andrej auf. „Ich weiß, wa« sie über mich denken, Michael Jasmorin", begann er und sein« gerötheten Augen hefteten sich in das Angesicht des Angeredeten. Zugleich griff er nach seiner Hand und hielt diese fest, weil er ihn nicht vom Sopha fortlaffen wollte. „Ich dachte. Sie würden schlafen?" „Sagte ich nicht, daß ich mich vor dem Schlaf fürchte? — Ich sann nur darüber nach, wa« ich zu thun habe, Wa ich thun muß und bin mir nun klar geworden. So leicht wurde e« mir nicht. Sie aufzusuchen, bin jetzt aber froh, daß r« geschehe» ist." „Sie sehen nun wirklich viel Wohler au« al« vorhin", versetzte Michael und rechnete schon mit der Möglichkeit, daß er sich erbeben, seinen Rock nehmen und seine« Wege« gehen könnte. Für diesen Fall war er gern bereit, ihm ein paar von den Goldstücken Sofia Andrejewna'S zu opfern. Ein ironische« Lächeln kräuselte die Lippen Jlija Andrej s, diese« Lächeln aber erstarb unter den schmerzlichen Zuckungen seine« Angesichtes. „Wir gesund ich bin, da« weiß ich am besten. Ich ge brauche nur noch eine Pille, und dann bin ich alle Schmerzen los. Da« sind indessen Dinge, die nur mich anaehen. Wa ich zu thun habe, weiß ich ganz genau. Wollen Sie sich aber nicht setzen? Sw werden doch nicht auSaeben und mich verlaffen wollen? Sie stad der einzig« Meafck, der mir nahe steht."
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