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02-Abendausgabe Leipziger Tageblatt und Anzeiger : 06.11.1896
- Titel
- 02-Abendausgabe
- Erscheinungsdatum
- 1896-11-06
- Sprache
- Deutsch
- Digitalisat
- SLUB Dresden
- Lizenz-/Rechtehinweis
- Public Domain Mark 1.0
- URN
- urn:nbn:de:bsz:14-db-id453042023-18961106025
- PURL
- http://digital.slub-dresden.de/id453042023-1896110602
- OAI-Identifier
- oai:de:slub-dresden:db:id-453042023-1896110602
- Sammlungen
- LDP: Zeitungen
- Strukturtyp
- Ausgabe
- Parlamentsperiode
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- Wahlperiode
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Inhaltsverzeichnis
- ZeitungLeipziger Tageblatt und Anzeiger
- Jahr1896
- Monat1896-11
- Tag1896-11-06
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Anzeigen-PreiS die 6 gespaltene Petitzeile D) Psg. keelamrn ant« dem Redactionsstrich (4ge- spalten) öv^, vor dea Familieauachrichtrn (kgespalte») 40^. Vrößer, Schnsteu laut »»irrem Preis» nerzerchaiz. Tabellarischer und Atsfaruiatz »acy höherem Larff. Extra»veilagen (gesalzt), nur mit de, Ptoraen-Auegab», ohne Postbrsörderuug ^l SV.—, mit Postbeiörderuag 70.—. Tinnalimeschluk für Anzeigen: Abend-Ausgabe: Vormittag« 10 Uhr. Marge »-Ausgabe: Nachmitlag« «Uhr. Sei den Filialen und Annahmestelle» je «in« halbe Stund« früher. Anzeige» sind stet« au die Kxpeditiau zu richte». - » Druck und "»n "h. Volz in Leipzig SV. Jahrgang. politische Tagesschau. * Leipzig, 6. November. Ja wie leichtfertiger Weise die Hetze gegen den Fürsten Bismarck wegen der bekannten Enthüllungen betrieben wird, geht u. A. aus folgenden Tbatsacken hervor. Am 3. d M. fühlte sich die „Weimarische Zeitung" — wie sich jetz, herauSstellt, infolge derAugriffe der „Köln.Ztg." auf den Fürsten — veranlasst, dem großen Staatsmanne auch ihrerseits einen Tritt zu versetzen. Sie schrieb nämlich: „Die Gründe, um deren willen sich Fürst Bismarck bewogen gesuhlt hat, das bewußte Doppelspiel jetzt zu enthüllen, bleiben uns unverständlich; diejenigen, welche die „Hamb. Nachr." selbst dafür aniüdren, sind so hinfällig, daß es sich kaum lohnt. Les Weiteren dieselbe» zu discutiren! Wer denn in aller Welt hat die Politik Wilhelin's l. und seines Kanzlers derartig verdächtigt und verleumdet, daß dieselbe durch derlei Enthüllung gerechtfertigt werden muß? Wer in aller Welt hat den Fürsten Bismarck in eine Defensivslellnng gedrängt, aus der er sich seiner Haut wehren muß mit allen ihm zu Gebote stehenden Waffe»? Und diese Waffen, die er jetzt anwendet, diese beispiellosen Indiskretionen, sind sie irgendwie zu billigen? Welches Recht bat der Fürst, ein Abkommen bez. dessen Tendenz zu veröffentlichen, Lessen Geheimhaltung beschlossen warb? Ober läuft diese letztere etwa ab, weck der ehemalige Kanzler die Mnße als Privatmann zu gewissen Zeiten ausfüllen möchte mit allerlei Pubiicatioueu von gelegentlichen Erinnerungen aus früherer Berufsthäligkeit? ... Er, der so viel für Deutschlands Größe gethan, muß nun an der eigenen Größe aljo freveln! Wäre es nicht eigene Wahl, man könnte es als ein tragisches Ge schick sonder Benpiel bezeichnen! Es ergreift uns wie em tiefes Nationalunglück, daß solche Größe sich selber so entweiht und der Nachwelt ein Abbild überliefert, in dem wir von ganzem Herzen diese Züge hätten vermissen mögen!" Und in einem andern Artikel dieses Blattes hieß eS: „ES tst wahrlich fast erschreckend, sehen zu müssen, welch ei» unheimliche« Feuer nach wie vor in Friedrichsruh unter der scheinbaren Asche glimmt. Wozu die 1890 preisgrgebene Assecuranz mit Rußland in dos Licht der Pariser Zarenfeste gerückt werden mußte, in uns nicht absehbar. Frankreich wird dadurch nicht im Mindesten gedemütchgt, wenn es erfährt, daß die Entente mit Rußland ihm erst dann zugefallen, als Deutschland auf dessen Fortsetzung verzichtete, sondern es wird jetzt erst recht alles ihun, um die Anbahnung besserer Verhältnisse zwischen Deutschland und Rußland unmöglich zu machen. Die stille Arbeii hinter den Eoulissen aus diesen Endzweck hin ist durch das Lärm schlagen aus Friedrichsruh recht stark beeinträchtigt! Das aber ists, was wir am meisten beklagen!" Flugs setzte sich nun ein weimarischer Corresponbent, dessen Unzuverlässigkeit ebenso notorisch ist, wie seine gänzliche Unbekanntschaft mit den in den weimarischen RegierungS- kreisen herrschenden Anschauungen, bin, meldete der „Köln. Ztg." die Auslastungen des weimarischen Blatte« und knüpfte an die zweite die folgende Bemerkung: „Die durch den Truck bervvrgehobene Stelle unseres amtlichen Blattes erscheint um so bemerkenswerther, wenn man sich erinnert, daß unser Äroßherzog während der Anwesenheit des russischen Kaijerpaores in Darmstadt der Großfürstin Constantin in Wiesbaden einen längeren Besuch absraliete". Dadurch sollte der Anschein erweckt werden, als ob die Auslassungen der „Weimar. Ztg." auf eine Anregung des Großberzogs Carl Alexander zurückznführen seien, dessen ver ehrungsvolle Dankbarkeit für den Fürsten BiSmarck nun auch durch die „laudeSverrätherischen" und „staatSgefäbrlichen Jn- di-cretionen" des Letzteren in daS Gegentbeil verwandelt worden sei. Und obgleich nun die „Köln. Ztg." die Unzuverlässigkeit und die völlige Unbekannlschaft ihres weimarischen Gewährs mannes mit den Ansichten des Großherzogs kennen mußte, Hans Jürgen. Roman von Hedda v. Schmid. Nachdruck derSotea. Frau Tröming wurde von ihr besonders scharf aufs Korn genommen, denn diese wußte gewöhnlich alle Stadt- uenigkeiten. Al« Netti den Kaffee einsckrnkte und Ellen sich mit einer Häkelarbeit zu den beiden Damen setzte, war daS Fragen und Antworten zwischen letzteren schon im besten Gange. „Also Sie waren bei der Beeidigung, liebe Frau Tröming, ich hörte wohl die Glocken, Pai, wie war eS denn, erzählen Sie doch." Frau Tröming nannte gewissenhaft die Zahl der Leid tragenden und annähernd die der Kränze: „Dreiundzwanzig Wagen waren es, lauter Kutschen und Landauer, patent, sage ich Ihnen." Fräulein Susanne nickte befriedigt. „Ja, der Tod kommt über Nackt", sagte sie dann vor sich bin, „wer doch immer so leben könnte, daß man stets bereit wäre, hinzugeben, wenn der Herr einem abrust." Frau Tröming bat sich ein» zweite Taffe Kaffee aus und schwelgte dann noch immer in der Erinnerung an die prunk volle Beerdigung: „Ja, uns der LommerdShoffsche, Sie wissen, der tolle Hans Jürgen, war mit seinen vier Grauschimmeln auch im Zuge der Leidtragenden. Die selige Generalin muß wohl rme Anverwandte von ihm gewesen sein, ober von seiner Braut, denn er trug Krepp um den Arm. Daß er seit einer Woche etwa Bräutigam ist, wissen Eie vielleicht schon." „Keine Silbe", rief Fräulein Susanne lebhaft intrressirt. „Der tolle Han« Jürgen Bräutigam, derselbe, von dem alle Welt sp-ich,?" „Er bat sich mit Baronesse Margaret v. Hohenort ver lobt", bestätigte Frau Tröming und mußte nun eine Fluth von Fragen über sich ergeben lassen. Bei der Aufmerksamkeit, welche beide Damen der neuen Verlobung und den vorzüglichen Kuchen, die wie Schaum auf der Zunge zergingen, widmeten, war e« ihnen entgangen, daß Ellen keine Zwischenfrage getban, sondern sich still von ihrem Platz erbobrn und in da« Nebenzimmer gegangen war, di« L-ür giräufchlo« hinter sich schließend. druckte sie seine Auslassungen dock als höchst beachtenöwertben Beweis der selbstmörderischen Wirkung ver „Enthüllungen" auf die ältesten Bewunderer und Protccioren des Altreichs kanzlers ab. Heute nun giebt die „Weimar. Ztg." die ietzie Erklärung des „Reichsanzeigers" wieder und knüpft an sie folgende Bemerkung: ,.D>efe Mitiheilung hat die auf alle Fälle Lankenswerthe Abiicht, die vielfach un Publicum verbreite!« Meinung wider legen zu Helsen, welche insbewnüere auch durch die „Köln. Ztg." sehr nachdrücklich vertreten wocoen ist, Laß nämlich die Spitze der „Enthül.ungen" sich „ich: sowohl gegen Leu Graien v. Caprivi oder den Fürst n Hohenlohe als vielmehr direct gegen den Kaiser k bre. Jebeniull: wc ß alle Weit, daß Kai>er Wilhelm 1l. bei jeder Gelegenneit gerade in den letzten Jahien Anlaß naum, den Fnruen durch ebenso huldvolle als felnslunige Auszeichnungen zu erfreuen. Um so mehr würde in den weitesten Kceifen des Volkes eine bittere Verstimmung gerechisecligt jein, wen» in der Thal die Ansicht der „Kölnischen Zeitung", daß man cs mit einer Pslichtverietzung zu lhun habe, hcrvorgerusen durch einen acuten Grollausoruch der „vulkanuchen Natur" des Altreichskanzlers, die richtige wäre! Es würde auch uns auss Schmerzlich,ie berühren, wenn das, freilich zum Fürsten irüher in p.rjönltchiter Julunuär stehende, ryeuuiche Blau m ooiger Hinsicht nicht imJrrihum >icv befände. Vorläufig möchten wir an der Meinung feilhallen, daß in ecner L»ne doch nur politiiche Motive niapg.beud geweien sind, zu denen vielleicht (vm Loudon und Schönyauieu?) von auswärts der treibende Factor sich einfand." Damit stellt daS „amtliche" Blatt fest, daß seine Ausfälle gegen das „bewußte Doppel,Piel" des „an der eigenen Große irevelnben" und „,ich selbst eulweihenten" Fürsten aus nichts als aus die Autorität der „Köln. Ztg." sich gründeten, ledig lich bas Echo ber Ausfälle tes ruetinschen Blattes bildeten, mit der Ansicht amtlicher Kreise in Weimar gar nichts ge mein haben und jetzt selbst dem Rebacleur ber „Wermar. Zig." nickt mehr berechtigt zu sein scheinen! Ov viere Zweifel vem Herrn infolge einer Rectlficatwn aufgejnegen sind, mag dahingestellt bleiben. Jedenfalls geht aus ,einer neuesten Auslassung klar hervor, wie leichtfertig die „Köln. Z l g." handelte, al« sie ihr eigenes Echo zum EiceShelfec auf rief unb obendrein auf Grund emcS höchst vcrbachligen Zeug nisses den Großherzog von Weimar ihren Zwecken dienstbar zu machen suchte. Dem am 10. November sich wieder versammelnden Reichstage soll, wie verlautet, sofort ber ReickShauShalis- etal für 1887/88 vorgelegt werden. Es muß dahingestellt bleiben, ob es praktisch ist, den Reickselat in einem so,rüben Stadium bereits abzujchlirßen und zur parlamentarischen Behandlung zu bringen. Die Erfahrung nickt nur einiger Jahre, sondern eines Jahrzehnts spricht dafür, daß gegen Ende März, wenn der Reichseiat abgeschlossen wird, regelmäßig die Ziffern, auf die es ankvmmt, ein erheblich anderes Gesicht haben, als im November, in der Zeit, da ber Schatzsecrelair diese Ziffern im Eiat zu- sammenstellt und dem BundeSrath unierdreilet. Auch in diesem Winter wird es an einem ersten und zweiten Nach- tragsetal nicht feblen, und es kann nicht ausbleibeu, daß nach Neujahr, wenn die Ergebnisse ber ersten breiviertel Jabre des gegenwärtigen ElatsjabreS vorliegeu, auf Grund der bis dahin ermittelieu Ziffern des Ertrages der Zölle, Verbrauchssteuern, Slempelabgaben u. s. w. der Versuch im Reichstag unternommen wird, die veranschlagten Ein nahmen für 1887/88 wesentlich zu verändern. Dann ändert sich aber auch die Ziffer ver Mat ricu larbei träge. Man Hal in früheren Jahren ost gen mischt, baß cer Etat »m In dem kleinen Gemach mit den seltsam vorspringenden Wänden und dem liefen Eiker stand sie nun regungslos, mit krampfhaft verschlungenen Händen. Es giebt Augenblicke un menswlicken Leben, in denen man moralisch unsäglich leidet, wo man zu vergeben meint vor Seelenqual, und wo sich trotz alledem äußere nichtige Einzelheiten dem Gebäcktniß so un auslöschlich einprägen, daß man jedeSmal, wen» man später in der Erinnerung solcke qualvolle Momente aus« Neue durch lebt, fick auch jener Nichtigkeiten erinnert. In Elleu'S Herzcn erklang es unaufbörlick: „Han« Jürgen verlobt — verlobt", und dabei berührte es fast unerträglich ihr« Nerven, al« sie nebenan Tante Susanne sagen böne: „Ich kann Ihnen da« Rccept zu einem guten Kucken geben, liebe Frau Tröming, ich habe ibn früher selbst oft gebacken, also acht Eier, »/« Pfund Zucker, 1 Pfund Mebl, 1 Piuird Butter, etwa- Eardemom, da« Ganze tüchtig burch- grrubrt und kann den Teig mit einem „Schürz" über di« mit Butter geschmierte Psanue gegossen. Wenn Sie wollen, lönnen Sie nock seingehackte Mandeln darüber streuen." Ellen preßt jetzt beide Handflächen gegen die Schläfen, nvck immer kann sie den Gedanken nicht fassen — Hans Jürgen von Lomnierv Bräutigam — ihr ist«, als zerrisse «in Schleier vor ihren Blicken und sie schaute in eine Zukunft, die öde und lioslloS, eine endlose Wüste, vor ihr liegt Seit einem halben Jahre kennt Ellen Han« Jürgen und im Sturm« — ohne eS zu wissen oder zu wollen — bat Letzterer da« Hrrz de« neunzehnjährigen Märchen- ge nommen. Ellen liebt HanS Jürgen heiß und tief, und in ihrer Liebe liegt eine zähe K>afl, eine wilde Leidenschaft. Er hall, ihrs sofort angetban, der schöne, ritterliche Mann — so deutlick rnisinnt sich Ellen jede- auch noch so kleinen Umstande« während der kurzen Zeit, in der Han- Jürgen in ihrer Nähe geweilt. Seit jenem Zeilpunct hat für sie eigentlich ihr Leben begonnen. Sie war mit den Töchtern einer in der Nähe ihrer Vaterstadt lebenden GutSbesitzerSfamilie befreundet. Ein Pferdehandel hatte HanS Jürgen dorthin verschlagen. Neben letzterem fand er genügende Muße, sich den Damen de« Hause« zu widmen Ellen stach durch lbr wirklich ungewöhnlich hübsche« Gesicht und ihre, vielleicht ein wenig zu freie Aumuth vvrthrilhaft von den beiden Haustöchirra, guten, aber ziemlich nichtssagenden Geschöpfe», ad. Han» Jürgen fand da« junge Mädchen bezaubernd, und Jutereffe der Einzelstaaten möglichst vor Weihnachten aus gestellt werde. Aber auch hier bat die Erfahrung gelehrt, daß den Einzelstaaten damit nur zugemurbet wirk, ibre besonderen HauSbaltselats auf schwankendem Grunde auszurickten und zu beschließen. Die Zukunft wirb, was daö Rechnungswesen in den Einzelstaaten betrifft, nach anderen Mitteln suchen müssen, um sich gegen den Einfluß der Schwankungen zwischen den Matricularbe>trägcn beziehungsweise Ueberweisungen des NeichoekatS im Voranicklag einerseits und in cer abgeschlossenen Recknnng andererseits sicher zu stellen, sofern nicht endtich im Sinne der Reichssinanzreformvonchläge der letzien Jahre dauernder Wandel geschaffen wird. Bekanntlich liegt für diesen Fall die Erwägung vor, für den Eiat cer Einzelstaaten das letzte Rechnungsjahr, nicht das Voranschlags- jahr veS Reibsbaushalts zu Grnuce zu legen. Was nun cie Einnahmen des gegenwärtigen Rechnungsjahres betrifft, so rechnet die „Freisinnige Zeitung" heraus, daß die Einzelstaaten sür dieses Jahr 54 Millionen mehr vom Reiche an U.ber- weisunaen erhalten werven, als ihnen im Voranschlag zugesichcrl war. Die Ziffern stimmen ungcfävr, nur ist dabei nock nickt in Anschlag gebracht, daß auf der Gegenseite auch die Aus gaben gestiegen sein können, wofür dann wiederum die Einzelstaaten in Anspluch genommen werden müßten; denn es ist ja leirer der Fall, daß gerade diejenigen Einnahmen zur Ueberweisung gelangen, die einer erheblichen Steigerung in den letzten Jahren fähig waren. DaS Reich selbst Hal nur Einnahmen, die unerwartete Ueberschüsse nicht zu liefern pflegen. Muß es unerwa>tele Ausgaben decken, so muß es eben immer wieder bei den Einzelstaaten lästiger Kostgänger sein. In Anbeirachl dessen scheint es aber auch von geringem Werlhe, in diesem Augenblick Betrachtungen anzustellen, die sich auf die Rechnungsergebnisse des ersten Semesters 1887/88 stützen. Erst muß doch bekannt sein, wie zu den Ergebnissen der Ettniahmenelals diejenigen ber Ausgabenetats sich verhalten. Bei den diesjährigen nikverösterreichischen Landtags wahlen ist eine neue Partei, die ber Socialpolitiker, ausgetreten. Führer sind der Professor v. Pbilippowitsck und ber ehemalige Bezirksbemokrat Or. Kronawekler. Sie wollen Socialpolitik ohne Antisemitismus und KlerikaliSmus, also nicht nach dem Necept der Christlich - Socialen, treiben, sondern versuchen, den österreichischen Liberalismus, ber bauplsächlich an seinem Sträuben gegen socialpoliiische Reform- bestreonngen zu Gi nnte gegangen ist, burck Ausnabme gesunder ivcialerJdeen in das liberateProgramm zu verjüngen. Aber fast scheint es, als sollten sich cie auf die neue Partei gesetzten Hoff nungen als trügerisch erweisen. Es ist zuin Mindesten noch fraglich, ob sie in die Phalanx ver Amiliberalen auch nur eine ganz kleine Bresche legen wird. Die vorgestrigen Landtagswahlen in Nieberösterreich stellen sich als ein ununterbrochener SiegeSzug der Christlich- Socialen dar. In 17 Wiener Bezirken drangen deren Eandidaten sofort durch. Sie bedielten ibre Mandate in ven Bezirken Landstraße, Wieben, Margarethen, Mariahilf, Neubau, Josefstakt und nahmen Liberalen bas Mandat des Bezirkes Alsergrund ab, wo Bürgermeister Strvbach durch drang. Die Christlich-Socialen eroberten ferner cie Be- ziike Wieben unb Favoriten, wetcke bisher durch zwei rentich-nationale Annsemuen und Anhänger Sckönerer's vertrrleu waren. In den äußeren Bezirken Wiens halten die Christlich - Socialen theilweise nicht einmal Gegeu- candidalen. Das Hauptinteresse wandte sich den Bezirken der inneren Statt zu, wo außer der Fortschrittspartei dir Svciaipolillker candidirten. Nach de» neuesten Meldungen während die Schwestern mit dünnen Stimmen zwar, aber mit viel Gefühl MendclSsvhn'sche Duette vvltrugen, plauderte er mit Ellen. Er war eS auch, der in Letzterer den Entschluß, nach Reval zu kommen, wachgerufen. „Sie müßien hinaus in di« Welt", batte er ibr mehr al- einmal gesagt, und in der Tbal, er mit seinem angeborenen Sckönbeitssinn, seiner beinabe sprichwörtlich gewordenen Leichtlebigkeit hielt eS für eine Sünde, daß diese eben sich erschließende Knospe so in der Einsamkeit eines Kreisstädtchens verkümmern sollte. Es amiisirte ihn, Ellen ein wenig den Hof zu machen, ernsthafte Absichten lagen ihm selbstverständlich ganz fern; Margaret v. Hobenort beschäftigte ibn schon damals unge mein, und der Entschluß, um ibre Hand zu werben, war in ihm beinabe zur Reife gelangt. Zu seiner Etzre seis gesagt, sein Eurschneiven Ellen gegenüber überschritt nie die Grenzen geirövnticher gesellschasllichcr Galanterie, aber Ellen war ver- tiebt und nabm für daarr Münze, waS, bei Licht besehen, nur banale Convrrsatton war. Han« Jürgen überschätzte die Kleinstädterin; wäre er weniger arglr- gewesen, er hätte in Ellcn's schwarzen Augen den LiedrSfunken, den er in ihrem Herzen entfacht, wahr nehmen müssen. Seit dem Tage ihrer Ankunft in Reval hatte Ellen auf eine persönliche Begegnung mil Han« Jürgen gehofft. Doch vergeblich! Einmal hatte sie ihn durch Kalbarincntbal reiten unb den Strandwrg nach dem Ltrietberge einschlagen sehen, ibr Herz hatte gejauchzt bei seinem Anblick, aber pfeilschnell batte sein Rappe iun ihren Blicken entzogen und die ganze flüchtige Begegnung war ihr nachher wie rin Traum er schienen. Unb jetzt war er für sie immer verloren, jetzt aebörte er einer Anderen. Dieses Bevnßtsein war unerträglich. — Ellen war e«, al« ob die Wände de« Erkerzimmer- sie plötz lich zu erdrücken drohten, sie wollte binau« in« Freit, an ras Meer, da«, von ter heft gen Brise erregt, heute mit weißem Gisckl bedeckt sein mußte. Dies») bewegte Bild in der Natur paßte zu Ellen'« Stimmung. Rasch machte sie Straßentoilette und verließ durch die Kückentreppe das Hau». Eilig vorwärt« schreitend, erreichte sie Katharinentdal, jene reizenden Anlagen, welche einen der schönsten Punkte Reval- bilden Es war bereits später Nachmittag geworden, doch der Wind hatte sich, anstatt sich gegen Abend zu beruhigen, ver ¬ kommen die secks Eandidaten der Antiliberalen in die Stich wahl, ihnen gegenüber stehen drei Fortschrittler und drei Socialpolitiker. Also nicht ein Mandat konnten letztere im ersten Anlauf erringen, unb bei der rücksichtslosen Agitation der Antisemiten ist leider zu befürchten, daß diese die sämmtlicken Bezirke der inneren Stadt erobern. Im Lager der Vereinigten Linken hat man diese Wahl als eine Kraftprobe für die neue Partei der Socialpolitiker angeseben, ein Mißerfolg würde für deren Entwickelung und Ausbreitung bedeutungsvoll sein. Das vfficielle Organ ber Vereinigten Linken, die Wiener „N. Fr. Presse", mackt es den Socialpolitikern zum Vorwurf, daß sie in ibrem Programm nicht zu den besonderen österreichischen Verhältnissen Stellung genommen haben. Eine politische Partei in Oesterreich müsse Stellung nekmen zu dem uralten staatsrechtlichen Streit, der unter der Asche immer noch fort- glimmt, sie müsse sich in der Frage, ob centralistische oder föderalistische Gestaltung, entscheiden, sie muffe sich ru der Natwnalitälen-Frage in ein Verhältniß setzen, die in Oester reick zugleich die wichtigste Cultin frage sei, die existire, die Köpfe erhitze und die Geister beschäftige und die deSualb nickt aufdören werde zu existiren, weil sie von ven Svcialpolitikern vornehm ignorirl werde. Alles bas bat die socialpolitischr Partei bisher unterlassen, und je nachdem sie es uachholt, wird sich ihre Zukunft gestalten. Ueber den Eindruck, den die „Enthüllungen" der „Hamb. Nackr." auf die Pariser Kreise gemacht haben, belichtet ein von der „N. Fr. Pr." mitgeiheiller Brief, der von einer politischen Persönlichkeit an eine „hervorragende deutsche Stelle" gerichtet worden ist, folgendermaßen: „Die Wirkung ist eine für die franzöujchen Jmeressen ent schieden ungünstige. Die Aeußerungen der Presse verrathen dies allerdings nicht, wenigstens n cht auf den ersten Blick. Im Gegeniheil. die meisten Blätter jubeln über den wie sie sagen „jelbsiniörderischen Streich", der Deutschland ge troffen habe nnd prophezeien den bcvorstehenten Zusammen bruch des Dreibundes ivwie andere sür Frankreich an ¬ genehme Ereignisse. Aber eS kommt nicht vom Herzen, am wenigsten derjenigen Gcuvpe von Zeitungen, die über die Auf fassungen des Quai d'Orsay unterrichtet sind und bei denen der Emgeweihle zwilchen den Zeilen woül einen leisen Verdruß wahr zunehmen vermag. Dieser Verdruß aber ist, wie mir neulich Graf jagte, in den ministeriellen Kreiien nicht einmal sehr lene. Man ist dort zwciiellvs unangenehm von der Tboisache beiührt, daß der Vertrag zwischen Rußlan d und Deutschland noch 1890 existirte. Es gab damals zwar noch keinerlei Abmachungen zwischen Paris und Petersburg, aber die Unterhandlungen, die bis dahin alleibings noch mehr von Mittelspersonen als amtlich geführt worden waren, halten dock noch vor 1880 begonnen, und man glaubte in sran- zösiichen Kreisen Grund zu der Annahme zu haben, daß trotz aller Reserve der russischen Staatsmänner Rußland für Frankreich opliren und dieses unterstützen würbe, wenn es zum Kriege m t Deutschland kommen sollte. Sicher aber war man davon überzeugt, daß die russische „wohlwollende Neutralität" in einem solchen Kriege für Frankreich nnd nicht für Deutschland stallfinde» würde. Man sogt sich freilich, daß Ruß land damals noch viel weniger als heulezu ilgend einer Leistung für Frank reich „vervflichiet" war, allein das hebt die beprimirende Empfindung nicht auf, daß Rußland „verstecktes Spiel" getrieben und sich an dieVorous- fitzungen, aus Grund welcher Frankreich fich ihm genähert Hali«, nicht gekehri habe. Namentlich aber wirkt verblüffend, daß Rußland auch noch nach dem Rückirute des Fürsten Bismarck bereu war, den deutschen Vertrag zu erneuern. Man glaubte französischerseil« damals, also 4831, schon im B-sitze einiger Zusicherungen zu jein, dir einen reutlch-russisLeu Neutralität« - Vertrag kaum zuliebe». Man fühlt sich in Folge dessen auch pro nuoo mißtrauisch gegen Ruß land gestimmt und verbirgt es kaum. Besonders vejsimlsllsche Be. ' urlheiler glauben nunmehr, daß Rußland trotz aller schönen Worte stärkt, und die Wellen, sckaumgekrönt, brachen sich ungestüm an den hoben Steinen, die au- der, Brandung rmporraglen. In der Seeallee war es ziemlich einsam. Eine corpulente Dame fübne ibren schcllendebängten Mop« spazieren, beide, Hund und Herrin, waren, gegen den Wind kämpfend, ganz außer Atbem und schienen an Astbma zu leiben. Einige Knaben, A B-C-Sckützen, tummelten fick, Wind und Regen schauer verachtend, ballspielend in der Allee uad auf einer der Bänke saß ein elegant gekleideter Herr. Ellen schritt, starr geradeaus blickend, rasch dahin und schrak empor, al- ihr Name plötzlich an ihr Ohr klang: „Fräulein Möhrenbach, welch ein unverhoffte- Glück, Ihnen hier zu begegnen." Der elegante Herr, der aus der Dank gesessen, war es, der vor Ellen stand, mil abgezogenem Kastorhut und den Wind über die gelblich blonden Stoppeln seine» kurz- gesckorenen Hauptbaare« weben ließ. Der junge Mann batte eine absonderliche Kopfform, sie glich ausfallend einer Rübe; alles im Aeußeren diese» jungen Manne« war unschön, aber seine wasserblauen Augen drücklen viel Selbstbefriedigung auS. An ber sonderbaren Kopfform erkannte Ellen, wen sie vor sich balte — Bruno Mengen, den Sohn eine« reichen In dustriellen, den sie auf einem Ball in ihrer Vaterstadt vor Inti Jahren kennen gelernt. Er halte sick damals stubircnS- halber in Dorpat aufgehalten und in Gesellschaft mehrerer Commilitonen jenen Ball besucht. „Gestatten gnädige« Fräulein meine Begleitung?" sagte er, nachdem Ellen ibn ziemlich kühl begrüßt und Miene machte, ihren Weg fortzusetzen. Sie wollte allein sein mit ibrer biltern Enttäuschung, ihrem verzweifelten Web, und nun führte ibr rin tückischer Zufall diesen Menschen in den Weg, der, sie wußte eS, schwerer abzuschüttel« war als eine Klette. „Bitte", erwiderte sie gemessen. „Gnädige- Fräulein baden wobl hier in Katharinenthal?" eröffnete Bruno Mengen dir Eonversatioa. „Nein, ich besuche meine Taute, welche i« der Stadt selbst lebl." „Imposanter Anblick", sagte Bruno Mengen, ans den Hafen beutend, „ich habe immer für Reval geschwärmt, freilich, kleinstädtisch kommt es einem vor, wenn man, wie ich, dir Welt gesehen bar." „Die Welt!" entrang es sich unwillkürlich Ellen'- Lippen, „ja, glücklich Derjenige, dem sie erschlossen ist, der nick», wie rin Bogel mit beschnittenen Flügeln, verkümmera muß, den
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