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01-Frühausgabe Leipziger Tageblatt und Anzeiger : 26.11.1896
- Titel
- 01-Frühausgabe
- Erscheinungsdatum
- 1896-11-26
- Sprache
- Deutsch
- Digitalisat
- SLUB Dresden
- Lizenz-/Rechtehinweis
- Public Domain Mark 1.0
- URN
- urn:nbn:de:bsz:14-db-id453042023-18961126018
- PURL
- http://digital.slub-dresden.de/id453042023-1896112601
- OAI-Identifier
- oai:de:slub-dresden:db:id-453042023-1896112601
- Sammlungen
- LDP: Zeitungen
- Strukturtyp
- Ausgabe
- Parlamentsperiode
- -
- Wahlperiode
- -
Inhaltsverzeichnis
- ZeitungLeipziger Tageblatt und Anzeiger
- Jahr1896
- Monat1896-11
- Tag1896-11-26
- Monat1896-11
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Bei der Besprechung der Duellsrage im Reichstag und in der Presse ist auch von Neuem in Erwägung ge zogen worden, ob denn die Duellstrafen in Deutschland eine ffenügende Bürgschaft dafür böten, daß man vor der Aus übung de- Zweikampfes zurückschrecke, oder ob diese Strafen nickt viel zu milde seien, um wirklich als Strafe empfunden zu werden. Um diese Frage zu beantworten, muß man zunächst einmal Umschau in den übrigen Culturstaaten hallen und zuseben, welcher Art dort die Strafen für den Zwei kampf sind. Nehmen wir zunächst die eigentlichen Duellanten, den Herausforderer und den Anneknienden, ins Auge. Deutschland bestraft gemäß tz 20 l deö Strafgesetz buches Herausforderung und Annahme mit Festungshaft b>S zu sechs Monaten, im qualificirten Falle, wenn bei der Herausforderung die Absicht besteht, daß Einer das Leben verlieren soll, mit Festungshaft von zwei Monaten b,S zu zwei Jabren. Voraussetzung ist hier, daß es zum Zweikampf selbst nicht kommt. Hat der Zweikampf stallgesunden, so werden die Duellanten mit Festungshaft von drei Monaten bis zu fünf Jahren bestraft. Tritt der Tod eines der Duellanten infolge des Zweikampfes ein, so wird Der, Welcher den Gegner getvdtel Kat, mit Festungshaft nicht unter zwei Jabren und, wenn der Zweikampf ein solcher war, welcher den Tod des einen von Beiden herbciführen sollte, mit Festungshaft nicht unter drei Jahren bestraft. Ist eine Tödtung oder Körperverletzung mittels vorsätzlicher Ucber- tretuug der Regeln des Zweikampfes bewirkt, so ist der Thäler, soweit nicht nach den vorhergehenden Bestimmungen eine härtere Strafe verwirkt ist, nach den allgemeinen Vor schriften über das Verbrechen der Tödtung oder der Körper verletzung zu bestrafen. Sind keine Sekundanten zugezvgen worden, so kann die verwirkte Strafe bis um die Hälfte, jedoch nicht über 15 Jahre, erhöht werden. Oesterreich-Ungarn läßt Herausforderung und An nahme, wenn es nicht zum Duell kommt, straflos. Bei Vollendung deö Duells, ohne daß eine Verletzung eintritt, wird Kerker bis zu einem Jahr, wenn eine geringe Verletzung eintritt, Kerker bis zu fünf Jahren, und bei schwerer Ver letzung schwerer Kerker von fünf bis zehn Jahren verhängt. Der Entwurf von 1867 wirst dafür Gefängnißstrafeu aus. Eintreteuder Tod wird wie schwere Verletzung angesehen. Italien straft den Herausforderer mit 500 Lire oder Gesänguiß bis zu zwei Monaten, den Aunehmenden mit Geldstrafe bis zu 1500 Lire. Kommt es zur Ausführung, so tritt Gefängnißflrafe ein, die sich bei schwerer Verletzung und Tod bis zu sechs Jahren steigern kann. Griechenland belegt Herausforderung und Annahme mit Gesängnißstrafe bis zu 3 Monaten. Kommt es wiiklich zum Duell, so tritt bei mangelnder Verletzung Gefängnißflrafe von 14 Tagen bis zu sechs Wochen, bei eintreteuder Verletzung Gesängnißstrafe nicht unter drei Monaten, bei Todesfall Arbeitsbausstrafe und, wenn Verabredung darauf vorlag, Keltenstrafe von 10 bis 20 Jahren ein. Rußland bestraft Herausforderung und Annahme mit Arrest, Duell ohne Verletzung mit 3 Wochen bis 6 Monaten Festung, bei leichter Verletzung mit 1 bis 2 Jahren Gefängniß oder Festung, bei schwerer Verletzung mit 1 bis 6 Jahren Festung, bei eintretendem Tod und Todesverabredung mit Entziehung aller Standesrechle und Verweisung nach Sibirien zur Ansiedelung. Norwegen läßt Herausforderung und Annahme straflos, bestraft auch daS Duell nur bei Verletzungen, und zwar bei leichter Verletzung mit Gesäugniß oder Geldbuße, bei schwerer Verletzung mit Strafarbeit oder Gefängniß von 6 Monaten bis ;u 6 Jahren, desgleichen bei eintrelendem Todesfall. Dänemark läßt ebenfalls Herausforderung und An nahme straslos. Nur bei Todesverabredung tritt Gefängnis strafe bis zu drei Jahren ein. Duell ohne Verletzung wird mit Gefängnißslrafe von zwei Tagen bis drei Jahren, mit Verletzung mit Gefängniß nicht unter drei Monaten, des gleichen bei Todesfall, bestraft. Holland bestraft den Herausforderer mit Gefängniß oder Geldbuße, läßt aber den Aunehmenden frei ausgehen. Das Duell ohne Verletzung und mit leichter Verletzung wird mit Gefängniß bis zn 18 Monaten und bei schwerer Körper verletzung mit Relegation oder Verbannung bis zu 16 Jahren bestraft. Einlrelender Tod zieht dieselben Erschwerungen nach sich. Belgien läßt den Aunehmenden straflos und belegt ven Herausforderer mit Gefängniß oder Geldstrafe. Duell obne Verletzung zieht ein bis sechs Monate Gefängniß, bei leichter oder schwerer Körperverletzung und Todesfall zwei Monate bis drei Jahre und entsprechende Geldstrafe nach sich. Die Schweiz, jedoch nur Luzern, Basel und Freiburg, bestrafen Herausforderung und Annahme mit Geld- oder Gejängnißurase, in den anderen Eanlouen tritt Straflosigkeit ein. Das Duell selbst wird sekr verschieden mit Zuchthaus, Arbeitshaus, Landesverweisung, Gesäugniß, Festung und Geld buße, bei Körperverletzung sogar mit Kettenstrafe bestraft. Frankreich hat zahlreiche Gesetzentwürfe über das Duell, es ist aber noch keiner wirklich Gesetz geworden. Alle gesch lichen Maßnahmen sind hier fruchtlos. England belegt die Duellanten mit Geldbuße. In der Armee bat es hier ziemlich aufgebört, zu existiren, seit im April 1841 den Kriegsartikeln folgender Satz beigefügt wurde: „Es entspricht dem Charakter von Ehrenmännern, für verübtes Unrecht und Beleidigungen sich zu entschuldigen und sich bereit zu erklären, das begangene Unrecht wieder gut zu machen, und ebenso, für den gekränkten Tbeil, für das ihnen widerfahrene Unrecht offen und herzlich eine Erklärung und Entschuldigung anzunehmen." Der Kampf gegen das Duell wurde seiner Zeit von Prinz Albert, dem Großvater des heutigen deulschen Kaisers, mit Energie geführt. Amerika wirft für Duellanten Geldstrafe bis zu 8000 Pfund aus, es kann auch das aktive und passive Wahl recht in einzelnen Staaten entzogen werden. Spanien bestimmt für das Duell Galeerenstrafe oder Verbannung. Wenden wir uns nun den außer den Duellanten am Duell betheiligten Personen zu. In Montenegro nt daS Duell strasloS, wenn eö unter vier Augen staltfindet, strafbar, wenn andere Personen zugegen sind. Damit steht Montenegro allein da. Die Cartellträger werden in Deutschland mit Festungs haft bis zu 6 Monaten, in Italien mit Geldstrafe bis 500 Lire, in Rußland mit Arrest und in der Schwei; in einigen Landschaften mit Gefängniß bestraft. In den übrigen Ländern ist das Cartelltragen straflos. Straflos gehen in Deutschland die Sekundanten aus. Oesterreich, das die Cartellträger straslos laßt, bestraft wieder die Sekundanten mit Kerker von 6 Monaten bis zu einem Jahre. Italien bestraft ebenfalls die Sekundanten mit Geldstrafe bis zu >000 Lire, Rußland mit Festungsstrafe von 6 Monaten bis zu 6 Jahren oder Gefängniß von 3 bis 6 Monaten und die Schweiz in einzelnen Territorien sogar mit Zuchthaus. Ver schärfungen treten vielfach noch bei Todesverabredung ein. Auch Zeuge» und Acrzte sind in Deutschland straflos. Desgleichen in'Oesterreick. Die Aerzte anch in allen übrigen Ländern. Die Zeugen bestrafen mit Geld- oder Freiheitsstrafe Italien, Rußland, Belgien, Dänemark rmd einzelne Land schaften der Schweiz (Zürich, Thurgau, Schaffhausen, Frei burg, Graubünden). Die Anreizung zum Zweikampf, bez. Verachtungs bezeigung, wird in Deutschland mit Gesängnißstrafe nicht unter 3 Monaten belegt. Oesterreich verordnet Kerker bis zu 5 Jabren, Italien Gefängniß bis zu l Jahre, Rußland bei Anreizung Festung-- oder Gesängnißstrafe, bei Ver achtungsbezeigung Arrest, Sübnegelv, Abbitte, Verweisung, FestungS - oder Gefängnißstraße. Belgien wirft Geld oder Gesängnißstrafe auS. Dänemark bestraft Den, der an reizt, wie den Thäter, Griechenland mit Gefängniß, die Schweiz in einzelnen Territorien mit Geld- oder Freiheits strafe. Bei absichtlicher Uebertretung der KampfeS- regeln treten überall die Strafen für Todtschlag oder Körperverletzung ein. Rußland setzt in solchem Fall Ent ziehung aller Slandesrechrc, Zwangsarbeit, Leibesstrafe und Brandmarkung durch Henkershand fest. Kurzen Proceß macht Haiti. Es bestraft Herausforderung und Annahme, Zweikampf, Anreizung zum Zweikamps, Cartellträger, Sekundanten, Zeugen und Aerzte mit dem Tode! Wenn man in dieser Uebersicht einen Vergleich zwischen unserem Strafrecht und dem der übrigen Staaten zieht, so fällt dieser Vergleich zu unseren Gunsten aus. Man wird finden, daß die strafrechtlichen Bestimmungen über das Duell in Deutschland am besten individualisier lind und daß auch dem Richter hinsichtlich deS Strafmaßes die Handhabe geboten ist, je nach der Schwere des Falles eine gerechte Sühne eintreten zu lassen. Deutsches Reich. N Berlin, 25. November. Das „Volk" schreibt: „Wie wir aus sicherer Quelle erfahren, ist als künftige Som mer- residenz deS Kaiserpaares Wilhelinsböhe bei Cassel in Aussicht genommen und zwar auf eine Reihe von Jabren nicht blos zu kurzer Sommerfrische, sondern zu ständigem Aufenthaltsort an Stelle Potsdams." Die Unrichtigkeit dieser Nachricht ist sicher. Unbekannt ist aber, zu welchem Zwecke das Stöcker'sche Organ sie erfunden hat. — Ultra montanen Blättern, so auch der „Germania", werden von einem angeblich des „PolonismuS unverdächtigen deutschen Katholiken" Angaben über Ansiedelungen von pro testantischen Colo nist en im Kreise Wre sch en durch die Ansiedelungs-Commission gemacht. Das Vorgehen der Behörden braucht als ein durchaus einwandfreies nickt vcrlheidigi zu werden. Ter „Germania" aber sei bemerkt, daß ein Bewohner der Ostmarken, der ihr und ihres Gleichen sein Herz über die dortige nationale Bewegung ausschüttet, des „PoloniSmuS" nicht mehr verdächtig, sondern vollkommen überführt ist. — Die „Köln. VvlkSztg." spricht in einem Aufsatz über innere italienische Zustände von den Italienern als „Piemontesen" und von ihrem KönigSpaare als den „savoyischen Majestäten". Das klerikale Blatt, das im Interesse deS Weltfriedens den Dreibund gegen die „Hamburger Nachr." vertheitigen zu sollen geglaubt, ignorirt also die Existenz einer Dreibundmacht, des genialen italienischen Staates, und seines gemeinsamen Herrscherhauses. Danach läßt sich der Werth der aus Haß gegen BiSmarck abgegebenen dreibund freundlichen Erklärungen der deulschen Ullramontauen be messen. 1t Berlin, 25. November. Die dem Reichstage zu gegangene Novelle zu den Unfallversicherungs gesetzen greift auch auf die Jnvalibitäts- und Alters Versicherung über und zwar in einer Form, die wenigstens für einen Beruf diesen Versicherungszweig mit der Berufs- genossenschaft vereinigt. Der See-Berufsgenossenschaft soll in der Novelle die Befugniß übertragen werden, für die See schisser und Seesischer eine besondere Einrichtung für die JnvaliditätS- und Altersversicherung zu begründen. Diese Einrichtung würde daun analog den jetzt schon neben den 31 Versicherungsanstalten bestehenden 0 be sonderen Casseneinrichtungen behandelt werden. Außer dem soll, wenn eine solche Einrichtung getroffen wird, für die Hinterbliebenen eine Wittwen- und Waisenver sorgung begründet und eine Beitragsverpflichtung für die selbe ausgesprochen werden können. Mit der letzteren Be fugniß wird ein ganz neues Moment in die Arbeiterver sicherung hineingcbracht, und es dürfte bei der Besorgniß, welche vielfach mit Recht im deulschen Gewerbe gegen eine Erhöhung der aus der Versicherung entstehenden Kosten vorherrscht, angezeigt erscheinen, zu betonen, daß diese Neuerung lediglich durch die besonderen Verhältnisse bei dem Berus der Seeleute hervorgerufen ist. Das Leben der Seeleute wird durch die Ein wirkung von Krankheiten, denen sie in ihrem Beruf ausgesetzt sind, in besonders hohem Maße gefährdet. Namentlich sind eS die Gefahren klimatischer Erkrankungen, die den Seemann pariser Dienstboten. Von Eugen von Jagow. (Nachdruck auch im Linzkliien verboten.) Der ehemalige Deputirte und bekannte Theaterkritiker deS „Figaro", Herr Henry Fouquier, erzählt folgende erbauliche Geschichte von einem Diener, der seit langen Jabren bei einem seiner Freunde, einem Diplomaten, in Dienst stand: „Sobald er sein Tagewerk vollbracht halte, befestigte er an seinem Frack ein Kalbes Dutzend Orden, die er tatsächlich erhalten hatte, und vergnügte sich in liederlicher Gesellschaft, die ihn für einen vornehmen und freigebigen rsstkuzuvuoi e (d. h. einen abenteuernden Ausländer) hielt. Als ich ihm eines Tages in der guten Gesellschaft begegnete, ihn, meiner Gewohnheit gemäß, beim Vornamen nannte, um rin GlaS Wasser zu fordern, nannte er mich zur Antwort — warum es nicht bekennen! — ebenfalls „Henry", für diese Keckheit mit einem vielsagenden Blick um Verzeihung bittend, denn er war im Begriff, der Herrin des Hauses den Hof zu machen. Und sie bildet« sich auch wirklich eia, daß wir zusammen dieselbe Schule besucht hätten." DaS Mitglied eines Clubs hat sich verspätet, kommt gegen 5 Ubr Morgens an seinem ClubhauS vorbei und bemerkt zufällig hinter den durchbrochenen Fensterläden noch Lickt. „Sollte man noch spielen?" fragt er sich verwundert, bezirkt sich hinauf und siebt — die Lakaien an dem langen Spiel tisch sitzen, mit denselben Mienen, denselben Gebärden, dem selben Eifer, wie ihre Herren, sich den Freuden des Glücks spiels hingrbend. Die Clubmitglieder beratken Tag- darauf, was zu tdun ist? Soll man da» ganze Dienstpersonal ent lassen? Pah, wozu — ? Da« neue würde ja doch nickt besser sein. Und dann der Skandal —I Wenn di« Herren sün digen, so besteht die beste Gewähr für die Verschwiegenheit der Diener noch darin, daß man sie gleickermaßen sündigen läßt. Paris hat 140 000 „gvu» 6« maioou", und diese 140 000 Dienstboten beiderlei Gesckleckt- haben natürlich ihre Zeitung und ihr Syndikat, das alljährlich einen Ball veranstaltet. Und was für einen Ball! Gebt acht, ihr Dienstherren, die ihr AbendS zufällig an der 8»IIo Viugram vorübergeht, daß ihr von den zahllosen Kutschwagen, die darauf loSeilen, nicht überfahren werdet! So sind heute die Pariser Dienstboten! Ihre schnelle Wandelung ist vielleicht nicht daS am wenigsten interessante Capitel aus der Geschichte der unblutigen socialen Revolution, in der wir leben. Bon allen Mitgliedern der unteren Ge- s»llschast-clafsen steht der Dienstbote in engster Verbindung mit den oberen Clafsen, er kann für daS Bindeglied zwischen beiden gelten. Und — höchst bezeichnend für seinen Wandel! — er baßt heute seinen Herrn, der ehedem sein Gönner, Hort und Berather war. In anderen Culturländern verhält es sick ja ähnlich, denn die sociale Bewegung ist internationaler Natur, aber in jedem Lande hat d^- Dienstbotenelend doch einen mrbr oder weniger verschiedenen Charakter. Seine Ursacken sind zahlreich; die Familie ist nickt mehr so patriarchalisch, wie vor fünfzig Jabren. Die Entwickelung der Verkehrsmittel, der Handels- und Gewerbethätigkeit, sowie der Berufsarten hat ihren Verband gelockert, die Achtung vor ihrem Oberhaupt, das Gefühl für Pflicht und Sittlichkeit ward abgeschwächt, die Genußsucht der Herren steckte die Dienstboten selbstverständlich zuerst und am meisten an, und endlich fand die allen Natur gesetzen hohnsprechende Lehre von der absoluten Gleichheit unter ihnen die gelehrigsten Schüler. In den Stücken Moliöre'S beispielsweise ist daS Dienstmädchen »och völlig Familienmitglied und tritt im „Tartuffe" sehr energisch für die Herzensrechte seiner jungen Herrin gegen ihren Vater und den scheinheiligen Freier ein. Heute wird es mit der Geringschätzung wie eine Fremde behandelt, und eS zahlt- in gleicher Münze heim. Die Schuld liegt auf beiden Seiten, sie liegt in der Gesammtentwickelung unserer gesellschaftlichen Zustände. DaS Wort äomestiqus — in meinen Kinderjabren hörte ich noch oft Domestiken für Dienstboten sagen! — hatte ursprünglich keineswegs jenen Sinn, der beute mancher empfindsamen Bedientenseele al« demüthigend für ihr Selbst gefühl erscheint. Es bedeutet den „Freund", den vertrautesten Genossen hoch- und böchstgestellter Persönlichkeiten und ver lieh mindesten« Grasenrang. Der große Richelieu beispiels weise führte den Titel „<1oms8tiqus der Königin-Mutter". Heute hat der äomosticzuv keinen Grafen-, sondern häufig nur noch Spitzbudenrang. In jedem Jahr werben in der Akademie die sogenannten Montyonprrise vertheilt, und den Parisern läuft da« Wasser im Munde zusammen, wenn der Redner jenen opferwilligen Dienstboten preist, der bei seiner zu Grunde gerichteten Dienst herrschaft unter Verzicht auf Lodn auSharrt und ihre Mit glieder bi« an ihr selige- Ende pflegt. In Pari« und nun gar in seinen GesindevermiethungSbureau findet sich dieser seltene Vogel nicht. Vielleicht noch in irgend einem verlorenen Winkel der Provinz, und selbst da —! Wenn der Pariser dann au« der Sitzung der Akademie Heimkehr», schüttelt er schmerzlich da- Haupt und denkt: „Ack, wenn ich doch ohne Dienstboten fertig werden könnte!" Uu wrna er brlesen ist, s» erinnert er sick auch noch des Worte«, mit dem Fontenelle seinen einzigen Kammerdiener niederfchmetterte: Ich bin so schlecht bedient, als bäite ich zwanzig Dienstboten", oder der Antwort, die Le Poussin dem Erzbischof Masstmi gab: „Wie bedauere ick Sie", batte dieser bemerkt: „daß Sie nicht «inen einzigen Diener Haden." Und der berühmte Maler: „Ich bedaur« Sir noch viel mehr, bkouseignvar, baß Sie so viele habenl" Wenn der nachmalige Cardinal heute lebte, würde er allerdings noch viel mehr zu beklagen sein. „Die schlechten Braten sür den Herrn und die saftreichen, würzigen Ragouts für daS Gesinde!" lautet ein geflügeltes Wort, und Lavedan, der berühmte Dichter der „Lebemänner" und des „Prinzen d'Aurec", läßt einen Diener die zeitgemäße Betrachtung an stellen: „Was unterscheidet uns denn von den Herren? Sie machen mir den Eindruck von Leuten, die uns bezahlen, um bei unS zu Gaste zu sein." Was Wunder, daß ter Herr über die Tyrannei des Dienstboten klagt, wie dieser über Sklaverei, nnd daß keiner findet, was er sucht, nämlich der eine vielen Lohn und wenig Arbeit, der andere den Dienst boten, wie er nickt ist und sein sollte. Dienstbote sein ist in Paris zu einem Geschäft geworden, bei dem man in jeder Weise Geld berauszuschlagen sucht. Der Diener führt nicht selten eine doppelte Existenz, und seine Stellung ist dann nur ein Deckmantel für ein anderes Hand werk, das bisweilen sogar schimpflich ist. In letzterem Falle webe der Herrschaft, die ihm Gut und Leben anvertraut! Häufig ist der Diener indessen nur Buchmacher, er hält ein Bureau für Rennwetten, ein Roulette oder beides, er verkauft sogenannte tuznux, welche ihrem glücklichen Käufer den Namen der vierbeinigen Sieger weissagen. Er ist bisweilen Mitbesitzer von Rennpferden, verleibt Geld gegen Wuckerzinsen, tanzt auf den öffentlichen Bällen gegen Entgelt, dient der Geheimpolizei als Spitzel, steckt mit den Lieferanten seiner Herrschaft zusammen, die ihm eine Provision zahlen, conspirirt mit der Köchin, lebt als Jung- geselle unsittlich unter dem Dache, wohin er mit dem weib lichen Dienstpersonal verbannt zu werden pflegt, und ist fast stets ein Mann des Vergnügens, der außerhalb seines Dienstes als Gentleman auftritt und das gestohlene Geld in liederlicher Gesellschaft verjubelt. Und uni ein Nichts wechselt er den Dienst, findet auch bald wieder Anstellung, denn sein Herr stellt ihm, sei eS aus Furcht vor Racke, sei e« nach dem Sprichwort, „Mag er sich ankerSwo bängen lassen!" selten ein schleckte« Zeugniß auS, — Wut comms ober: noi»! Die Kockin taucht nicht viel mehr, nur sucht sie in ihrer Weise und ihrem Wirkungskreis Vie Herrschaft zu Ubervor- »besten. Die „ckans« cku punisr" d. h. die Kunst, sich Schwenzelpfennige zu macken, versteht sie meist viel kesser, al« diejenige Vatel's, der bekanntlich Leibkoch Ludwig'« XIV. war. Bei der ehrlichsten der Köchinnen hat jene „cksnss cku panier" die regelmäßige Form de« „sou cku kenne" ange nommen, d. h. Fleischer, Bäcker. Gewürzkrämer u. s. w. erkaufen sich ihre Gunst durch eine Abgabe von einem Sou für jeden Franken der MonatSrechnung, den in letzter Linie dock wieder die Herrschaft bezahlt. Und wenn die Köchin auch eine« unmittelbaren DiebstablS unfähig ist, so wird sie doch ohne G«wisf»n-biss« die Herrschaft zehn Franken unnütz auSgeden lassen, um zehn Sou- zu gewinnen. Und nun gar dir bonnv k Wut tuirv, das Dienstmädchen für Alle«, um von der Kammerzofe ganz zu schweigen, die, wenn sie hübsch ist, nicht lange «ine bleibt! Es Hal meist gute Gründ« zum Verlassen seines Dorfes gehabt, und in Paris setzt eS daS alte Leben in größerem Stil fort, die Herrschaft beständig wechselnd, arbeitsunlustig, undankbar, mit den Portierleuteu unter einer Decke stehend, herzlos, glücklich, wenn es in der Familie ein schmerzliches Gebeimniß entdeckt und boshaft aus plaudern kann, schmutzig, was die Putzsucht durchaus nicht ausschließt, nickt selten dem Trunk ergeben, und mit dem Trostsiäschchen in der Tasche. Und dieses Uebel wird nur noch zunehmen, da eine sitt liche Leitung von den Dienstboten als eine Beschränkung ihrer Freiheit, ihre Beschirmung als eine Beleidigung ausgefaßt wird. Sie sind — und zumal die männlichen! — einerseits sehr stolz auf den LuxuS ihrer Herren, stolz bis zur Läcker lichkeit nnd bis zu einem Prahlen mit ihm vor ihresgleichen, andererseits in niedrigster Weise neidisch und mißgünstig. Man würde sie übrigens ganz falsch beurtheilen, wenn man etwa folgende Betrachtung anstellte: „Den meisten von ihnen ging eS in ihrer Jugend schlecht. Sie werden ihres Elends ge denken, tS mit dem Ueberfluß ihrer Herren vergleichen, sick über diese gesellschaftliche Ungleichheit und Ungerechtigkeit erbittern und mit Haß erfüllt werden, wie eine Bombe mit Dynamit!" — Ganz und garnicht! Sie sind keine Proletarier-,sondern Affen naturen, die ihren Herren in Allem nachahmen, die sich nickt etwa über daS Proletarier-Elend und das „infame Capital" graue Haare wachsen lassen, sondern nur darüber, daß dies Capital nicht in ihrer eigenen Tasche ist, und daß sie nur nach beendigtem Dienst oder während der Abwesenheit der Herrschaft mit tadellosen Stiefeln, Handschuhen und Roben auSgrhen können, als echte Snobnaturen Miene, Gang und Haltung der Boulevarvier« nachahmend. Welcher Unter schied zwischen ihnen und dem eigentlichen Arbeiter! Be zeichnend dafür ist folgende kleine Scene: Ein Livreebrdientcr stcbt vor der Thür und siebt einem Erdarbeiter zu, der ge waltige Steine aufhebt. „Schwer — was?" bemerkt er mit verablassenvem Mitleid. Und der Arbeiter, sich halb nack ihm umwendend, antwortet verächtlich: „Freilich! schwerer al« — ein Spucknaps!" Wenn die Dirnstbotencalamität noch zunimmt, werden es bald viele Herrschaften vorziehrn, nach amerikanischem Muster im Hotel zu leben. Schon heute verzichtet so manche auf die Köchin und verrlnbart mit einem selbstständigen Koch, dem sogenannten „Edes", eine bestimmte Summe, wofür er die täglichen Mahlzeiten und größere Diner« zu liefern hat. Die Speisen sind zwar schlecht und tbeuer, aber man braucht sich wenigstens nickt mit der Köchin zu ärgern, und diesem negativen Vortheil opfert die moderne Hausfrau willig das stolze Vorreckt der ehemaligen, im schönsten, vielbesungenen Sinn de« Worte- die Küchenfee, der gute Geist des häus lichen Herde- zu sein.
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