Suche löschen...
01-Frühausgabe Leipziger Tageblatt und Anzeiger : 03.12.1896
- Titel
- 01-Frühausgabe
- Erscheinungsdatum
- 1896-12-03
- Sprache
- Deutsch
- Digitalisat
- SLUB Dresden
- Lizenz-/Rechtehinweis
- Public Domain Mark 1.0
- URN
- urn:nbn:de:bsz:14-db-id453042023-18961203010
- PURL
- http://digital.slub-dresden.de/id453042023-1896120301
- OAI-Identifier
- oai:de:slub-dresden:db:id-453042023-1896120301
- Sammlungen
- LDP: Zeitungen
- Strukturtyp
- Ausgabe
- Parlamentsperiode
- -
- Wahlperiode
- -
Inhaltsverzeichnis
- ZeitungLeipziger Tageblatt und Anzeiger
- Jahr1896
- Monat1896-12
- Tag1896-12-03
- Monat1896-12
- Jahr1896
- Links
-
Downloads
- Einzelseite als Bild herunterladen (JPG)
-
Volltext Seite (XML)
Bezugs-Preis I» der Hauptexpedition oder den im Stadt- bezirk und den Bororten errichteten Aus» Ladestellen abgeholt: vierteljährlich ^14.50, bei zweimaliger täglicher Zustellung ins HauS 5.50. Durch die Post bezogen für Deutschland und Oesterreich: viertel>ährlich S—. Direkte tägliche Kreuzbaudsendung in- Au-land: monatlich ui- 7.50. Di» Morgen-AuSgabe erscheint um Uhr. die Abend-Ausgabe Wochentags um 5 Uhr. Nrdartto« und Erpe-Mo«: AohauneSgaffe 8. Die Expedition ist Wochentag- ununterbrochen geöfstlrt von früh 8 bis Abends 7 Uhr. Filialen: Ltto Klcmm's Lortim. (Alfred Hahn), UniversitätSstraße 3 (Paulinum), Louis Lösche, Katharinenstr. 14, Part, und Kvnigsplatz 7. 814. Morgen-Ausgabe. MMrr Tageblatt Anzeiger. Amtsblatt des Königlichen Land- nnd Amtsgerichtes Leipzig, des Rathes nnd Nolizei-Ämtes der Ltadt Leipzig. Donnerstag den 3. December 1896. Anzeigett-PreiS die 6 gespaltene Petitzeile 20 Pfg. Reclamen unter dem RedactionSsrrich (-ge spalten) 50^, vor den Familiennachrickten (6 gespalten) 40/^. Größere Schriften laut unserem Preis- verzeichniß. Tabellarischer und Ziffern^ nach höherem Tarif. vxtra-Beilage»» (gefalzt), nur mit der Morgen-Ausgabe, ohue Postbrsörderung .al Ho—, Mlt Postbesürderung ^l 70.—. Annahmeschllrß fir Anzeigen: Abend-Ausgabe: Bormittags 10 Uhr. Marge »-Ausgabe: Nachmittags 4 Uhr. Bei den Filialen und Annahmestellen je eine halbe Stunde früher. Anzeigen sind stet- an die Expedition zu richten. Druck und Verlag von E. Polz in Leipzig. SV. Jahrgang. Krisengerüchte. zz Berlin, 2. December. Der Tummelplatz für die Reporterphantasie hat sich wieder einmal etwas erweitert. Auf der Iournalistentribüne des Reichstages — daS Abgeordnetenhaus hält keine Sitzungen — werden Minifterportefeuilles theils ausgeboten, «Heils vergeben, auck um die Neubesetzung von Reichs- ikaatssecretairposten zeigt sich diese „Stelle" besorgt. Wir ver schonen die Leser mit all' dem Klatsch. Thatsacke ist, daß die zwischen dem Finanzminister vr. Miquel, der übrigens wirklich an einer Erkältung und nicht an „Gesund heitsrücksichten" leidet, und dem Eisenbahnminister Thielen bestehenden Differenzen durch parlamentarisches Eingreifen verschärft worden sind. Aber der Zwiespalt ist sachlicher, nicht persönlicher Natur, und es ist Aussicht vorhanden, daß er ohne Personalveränderung zum AuStrag gelangt. ES hanvelt sich um die mehr oder weniger radikale Heilung eines UebelS, an dem die preußische Finanzverwaltung seit der Eisenbahnverstaatlichung leidet und an dem bisher nur herum- gedoctert worden ist. Der Staat benutzt die Ucberschüsse der Eisenbahnen auf eine sowohl der Consolidirung seiner Finanzen, als der Solidität des von ihm betriebenen „Fubr- geschäflS". wenig zuträgliche Weise. Lange Zeit sind gleich zeitig Eisenbahnüberschüsse in die allgemeine Staatskasse abgeführt und die „außerordentlichen und einmaligen" Ausgaben der Staatseisenbahnverwaltung, d. h. ihre Betriebsanlagen, aus Anleihen bezahlt worden. Das hat neuerdings auf gehört, es ist auch ein Dispositionsfonds zur Vermehrung der Betriebsmittel und zur Ergänzung der Bahnanlagen geschaffen worden, aber die Eisenbahnverwaltung ist die Kuh geblieben, die von der Finanzverwaltung unregelmäßig gemolken werden kann. Vor allen Dingen fehlt eS an einer Verpflichtung zur Tilgung der Eisenbahnschnld und an einer Vorkehrung, die Erfüllung einer solchen Verpflichtung, unabhängig von der Höhe der Eisenbahnerträgc, sicherzustellen. 1)r. Miquel bat nach dieser Richtung hin in einem dem Landtage vorliegenden Entwürfe weitgehende Reformen vorgeschlagen. Er will jährlich mindestens ein halbes Procent der Staatsschuld tilgen und, falls der Staatshaushalt einen Ueberschuß crgiebt, denselben zunächst zur Bildung und Erhaltung eines ÄuSgleichsfonds für Deficitjahre in der Höhe von 80 Millionen Mark, Len darüber hinausgehendcn Betrag aber zur weiteren Tilgung von Staatsschulden, bezw. zur Verminderung bewilligter neuer Anleihen verwenden. Wie man sieht, erstrecken sich Liese Maßnahmen auf die allgemeine Finanzverwaltung, von der Eisenbahn verwaltung ist nicht die Rede, sie behält ihre secundäre Stellung, und dem entspricht es auch, daß die Re gierungsvorlage die Verwaltung des AuSgleichsfondS ausschließ lich dem Finanzminister überträgt. Der gestern erwähnte Ab änderungsantrag Sattler geht von der von der national liberalen Partei jederzeit vertretenen Anschauung aus, daß Ordnung in der Finanzverwaltung nur eintreten kann, wenn die Verwaltung der Eisenbahnen gesetzlich geordnet ist, also eine nnwirthschastliche Verwendung ihrer Ucberschüsse zu fremden Zwecken verhütet wird. Der Antrag läßt den Höchstbetrag aus den Eisenbahnüberschüssen, der für andere als Eisenbahn zwecke verwendet werden darf, durch Gesetz bestimmen und zwar auf fünf Iabre hinaus, und er bildet aus den diese Höchstzuschüsse überschreitenden Ueberschüssen der Eisenbahnen außer dem schon bestehenden Dispositionsfonds von 20 Mil lionen Mark einen AusgleichsfondS, der sich aber, abgesehen von seiner nicht nur thatsächlichcn, sondern auch rechne rischen Entstehung aus den Einnahmen der Eisenbahnen von dem Miquel'scben mehrfach unterscheidet. Einmal dadurch, daß er um 20 Millionen Mark höher auflaufen kann, sodann aber durch die Art seiner Verwendung bei Lem Vorhanden sein eines Fehlbetrages im Gesammtetat. Während die Regierungsvorlage ein etwaiges Deficit aus dem AuS- gleichsfondS bis zur Höhe deS Fonds deckt, laßt der Antrag Sattler die Inanspruchnahme LeS Fonds nur dann und insoweit zu, als die Eisenbahnverwaltung aus ihren Ueberschüssen nicht für den gesetzlick festgesetzten Zuschuß zur allgemeinen Finanzverwaltung aufkommeu kann. Es handelt sich hier im Grunde um einen Ei send ahn-AusgleichsfondS, und bas kommt in dem Anträge auch durch die Vor schrift zum Ausdrucke, wonach der Fonds besonders zu verwalten ist, und zwar nicht von dem Finanz minister allein, sondern von diesem gemeinsam mit dem „Minister der öffentlichen Arbeiten". Der dem Anträge zu Grunde liegende Gedanke ist der, daß einer solch' riesigen, in der Höhe der Geldgebahrung die eigentliche Finanzverwaltung sammt den sonstigen Staatsbetrieben weit hinter sich lassenden finanziellen Verwaltung, wie die Eisenbahnverwaltung es ist, auch eine weitgehende finananzielle Selbstständigkeit zukommt. Der finanzielle Effect der Beschränkung der Verpflichtung der Eisenbahnverwaltung bezw. des Ausgleichs fonds zu Zuschüssen ist die Möglichkeit erhöhter Schulden tilgung, und der Antrag setzt denn auch die obligatorische jährliche Schuldentilgung von */» auf ^4 Proc. hinauf und stimmt im Uebrigen mit der Regierungsvorlage darin überein, daß, wenn der AusgleichsfondS eine bestimmte Höhe (aller dings, wie scharr bemerkt, 100 Millionen statt 82 erreicht hat, der Rest der Ueberfchüsse zur weiteren Schuldentilgung zu ver wenden ist. Unverkennbar stellt der nationalliberale Gegenentwurf zum Unterschied von einem Eentrumsantragc, der auS den Ueberschüssen deS verflossenen IahreS einen 60-MillionenfondS zur bis zu seiner Erschöpfung unbeschränkten Deckung von Fehlbeträgen bilden will, die Reform auf eine andere Grund lage als die Miquel'sche Vorlage. Eine Vermittlung schließt jedoch auch diese weitgehende Abweichung nicht aus. Ob eine solche von allen betheiligten Seiten angestrebt werden wird, muß die nächste Zukunft lehren. Carmaur und kein Ende. 6. Paris, 1. December. I-'oppositiou L äs la jzuigue, „Die Opposition hat Pech". So konnte man in der letzten Zeit häufig lesen. Das war mindestens mild auögedrückt, denn bei „Pech" denkt man doch stets an ein unverdientes Unglück. Niemals aber sind Niederlagen mehr verdient gewesen als die, die sich die französischen Radicalcn und Socialisten in den letzten Wochen zugezogen haben, denn niemals ist ein Feldzug ungeschickter geführt worben. Wenn sie die Absicht gehabt hätten, das Ministerium auf alle Weise in seiner Stellung zu befestigen, sie hätten eS nicht besser anfangen können. Die vorgestrigen Vorgänge in Carmaux werden hoffentlich wieder einem Theile des Volkes die Augen über seine angeblichen Freunde öffnen und der Regierung neue Anhänger gewinnen. lieber die Krawalle von Carmaux vom 26. October und die durch sie veranlaßte Interpellation Jaurvs in der Kammer der Deputieren ist ausführlich berichtet worden. Das, was alle vernünftigen Leute sich vorher schon selbst gesagt hatten, ging aus den Verhandlungen klar und un widerleglich hervor: daß die Regierung nicht friedliche Bürger meuchlings hatte überfallen lassen, sondern daß sie im Gegen- theil Herrn Iaurss und seine Freunde mit Mühe und Noth vor der verdienten Züchtigung durch seine einstigen Wähler geschützt hatte. Aber was verschlug das Liesen Herren! Sie hielten natürlich die Legende von dem Hinterhalte der Gendarmen, von den Attaken der Cavallerie, von een durch die Regierung vertheiltcn Pfeifen unentwegt aufrecht, und besonders Herrn JaursS ließen die Ereignisse nicht schlafen. War er doch seiner Meinung nach von der heimtückischen Regierung daran ver hindert worden, Rechenschaft über seine Adgeordnetentbätig- keit abzulegen; dies nachzuholen, war für ihn poiut ä'kouueur. Man beraumte also für vorgestern ein neues Meeting in Carmaux an und traf dafür umfassende Vorbereitungen. Die Glasarbeiter von Albi wurden mobil gemacht, alle ge sinnungstüchtigen Elemente aus der Umgegend benachrichtigt, eine große Anzahl Mitglieder der Kammerfraction um ihr Erscheinen gebeten. An der Spitze dieses mit Stöcken wohl ausgerüsteten Heeres wollte Held Jaurss als Triumphator in dem Städtchen einziehen. Alurlbvrougü 8'vu va t'en Kuvrre. „Alles wird ruhig verlaufen", telegraphirte er noch am Abend vorher an seine Pariser Genossen. Allein die nichrsocialistischen Einwohner von Carmaux fanden diese Art Reckenfckaftsablegung mit Recht etwas sonderbar und erließen dagegen einen geharnischten Protest. „Wenn Herr IauröS allein käme", so heißt es darin, „so hätten wir in seinem Kommen nichts als eine völlig gesetz mäßige Kundgebung gesehen. Aber da er in Begleitung einer Menge Fremder kommt, um seine umstürzlerischen Ideen hier zu verbreiten, die den Haß in die Reiben fried licher Bürger getragen haben, wollen wir ihm zeigen, daß unser armes Land genug hat von dieser zügellosen Agitation, daß wir in Frieden leben und arbeiten wollen, und daß wir es müde sind, ihm als Versuchsobject für seine Eitelkeit und unser Verderben zu Lienen." Der Empfang ließ denn auch an Lebhaftigkeit nichts zu wünschen übrig. „Ins Wasser, ins Wasser mit dem Halunken, Lern Nichtsthuer", das war der Willkommgruß, dem bald ein Regen von faulen Eiern und Aepfeln, von Asche und anderen für die sonntäglichen Anzüge wenig zuträglichen Dingen folgte. Der Tumult muß unbeschreiblich gewesen sein. Jedenfalls wäre cs zu einer förmlichen Schlacht gekommen, wenn die Dragoner und Schutzleute, die man schon am frühen Morgen auf allen Straßen und Plätzen ausgestellt hatte, nicht kräftig einge griffen hätten. Trotzdem waren von beiden Seiten bereits eine Anzahl wuchtiger Stockhiebe ausgewechselt worden. Diesmal, hoffe ich, soll der Präfect gesagt haben, werden die Herren nicht Len Muth finden, zu sagen, ich hätte sie nicht beschützt. Die Volksversammlung sollte um zwei Uhr stattfinden. Lange vorher schon war es undenkbar, in den viertausend Personen fassenden Saal hineinzukommen. Als Iaurss Las Wort ergreift, ist es ihm unmöglich auch nur die Anrede „Mitbürger!" vernehmlich zu machen, ein solcher Lärm erheb: sich. Das Bureau, Lem der Herausgeber der „Petite Republique", Millerand, präsidirt, siebt ein, daß es die ver haßte Polizei zu Hilfe nehmen muß, um Ordnung zu schaffen. Herr Commissar, wendet sich Millerand an diesen, wir geben Ihnen (sie!) die Ehre, Sie zu bitten ... Allein der Commissar läßt sich durch diese — Naivetät nicht ver blüffen, sondern unterbricht ihn ganz kaltblütig: Ich gebe Ihnen die Ehre, zu antworten, Laß ich meine Pflichten kenne. Dann sieht er sich die Sache noch eine Weile ruhig an nnd schließlich erklärt er die Versammlung für aufgelöst. In wenigen Minuten ist der Saal geräumt, und eine Stunde darauf herrscht in der Stadt die vollkommenste Ordnung. Etwa ein Dutzend Verhaftungen haben sich nöthig ge macht. Unter den Verhafteten befindet sich — seltsame Ironie! — auch der frühere Bürgermeister von Carmaur und der Abgeordnete Chauvin. Ersterer hatte seine Ab Neigung gegen den Sohn eines politischen Gegners so wenig bezähmen können, daß er ihn mit Stockhieben am Besticke der Versammlung verhindern wollte. Herr Chauvin war so unvorsichtig gewesen, seinen Spazierslock, den ihm ein Gendarm im Handgemenge entrungen hatte, auf der Polizei zurück zufordern. Natürlich hatte er ans seine Unverletzlichkeit als Abgeordneter gepocht, nnd seine Freunde haben denn aus' sofort Beschwerde beim Iustizminister erhoben. Die Sacke kam, wie schon mitgetheilt wurde, in der Kammer zur Sprache, der Iustizminister berief sich auf die bisherigen Auslegungen deö tz 21 des Strafgesetzbuches, der für die Mil gliedcr des gesetzgebenden Körpers eine Ausnahme mackt, wenn sie in llsgrunt- ertappt worden sind, allein die Kamme, votirte, um dem Princip der Unverletzlichkeit der VolkSver »reter auch nicht ein Titelchen zu vergeben, für die Freilassung, die auch sofort erfolgte. Die Socialisten schäumen natürlich vor Wuth über das Fehlschlagen ihres Planes. In der ersten Aufregung haben sie beschlossen, daö Ministerium wiederum zu inlerpelliren. Aber es ist doch die Frage, ob sie diesen Entschluß nichr wieder fallen lassen werden. Herrn Barthou würde es dies Mal noch viel leichter werden als neulich, ihnen gründlich beimzulcuckten, und wer weiß, ob dann nicht auch die an ständigen Elemente unter den Radicalen für ihn Partei er greifen würden. Herr JaurtzS aber ist unverbesserlich; er erklärt, zum dritten Male nach Carmaux gehen zu wollen. Man hat diesem Manne, der von der republikanischen Linken zu den Radi calen und dann zu den Socialdemokraten fortgeschritten ist, wegen seiner einschmeichelnden Beredsamkeit bisher Manches nachgesehrn. Wenn er aber, wie es den Anschein bat, nnn gar anarchistische Allüren annehmen will, dann dürfte es doch an der Zeit sein, ihm einmal gründlich das Handwerk zu legen. FeniH-ton. Aus dem amerikanischen Ulliverktiitsleben. Bon Frank Robinson. N.ichtruck ocrloleii. Obwohl die amerikanischen Universitäten ursprünglich von den englischen abstammen — die älteste wurde 1636 von John Harvard in einem Oertcheu unweit Boston gegründet, das er zu Ebren der englischen alma water Cambridge nannte —, so hat ihr Leben doch vielfach eine vom englischen Thpus abweichende Form angenommen. Während bekanntlich die britischen Hochschulen Internate darstellen, genießen die amerikanischen Studenten meistens die Freiheit, nach Be lieben ihre Wohnung zu wählen nnd ihr Leben ein- znrichten. Freilich ziehen sie die Wohnungen in den „DormitoricS", den zur Universität selbst gehörigen Gebäuden, gewöhnlich den Privatwohnungen vor, und gerade die ältesten Gebäude, an denen zahlreiche ehrwürdige Erinnerungen hängen, sind am begehrtesten, obwohl die neueren mehr Bequemlichkeit bieten und u. A. zu jeder Studentcuwohnung ein Badezimmer haben. Diese Wohnungen besteben aus Studir- und Schlafzimmer, sind meist sehr nett und gemüthlich eingerichtet, und cs genießen die Studenten in ihnen völlige Freiheit, vorausgesetzt, daß sic nicht nach 10 Uhr Abends Clavier spielen und überhaupt keinen zu großen Lärm macken. Auch in Bezug auf die Mablzeiten herrscht kein Zwang zur Gemeinsamkeit; doch wird vielleicht eben darum die Gelegenheit zu gemeinschaftlichem Essen sehr gern benutzt. Von den etwa 4600 Studenten, die Harvard besuchen, findet sich etwa der vierte Theil täglich mehrere Male zu gemeinsamem Lunch, Dinner und Supper in der mächtigen „Memorial Hall" zusammen, die zur Erinnerung an die im Bürgerkriege gefallenen Harvardianer errichtet und mit großen bunten Glassenstern, Gemälden und Büsten geschmückt ist. Hier hat jeder junge Mann seinen festen Platz an der Tafel, so daß er mit seinen näheren Freunden leicht einen eigenen Kreis in der Menge bilden kann. Nicht weniaer als etwa 100 Neger besorgen flink und geräuschlos die Bedienung. Doch giebt eS in Harvard auch einen eigenen Verein von etwa 400 Mitgliedern, die eine eigene Tafel er richtet haben, an der sie ü la carto speisen können, wozu sie in Memorial Hall natürlich keine Gelegenheit haben. Die Theil- nahme an den großen gemeinschaftlichen Mahlzeiten kostet acht Dollar- per Woche oder 152 Dollar- im Jahre, und man kann im Ganzen annehmen, daß in den großen Stadt- Universitäten des OstenS, in Harvard oder Aale, ein Stu dent mit etwa 500 Dollars (2100 im Jahre allenfalls auS kommen kann, während die Wohlhabenderen im Durchschnitt wohl das Vierfache gebrauchen. In kleineren UniversitätS- tädten, wie zum Beispiel Amberst (Mass.), langt der Student wohl auch schon mit etwa 1400 Verglichen mit unseren deutschen Universitäten, wird die Eigenart der amerikaniscken Colleges besonders augenfällig, wenn man daS gesellige Leben betrachtet. In den meist von Puritanern begründeten und noch beute von puritanischem Geiste beherrschten Universitäten des OstenS wird Trinken fast durchzebend als unmoralisch betrachtet und daher sehr streng beurtheilt. An der Universität Bowdoin ist der unglückliche Student gezwungen, seinen Brandy in der ..tov^m agone/' zu kaufen, und auch da kann er ihn nur als Medicin erhalten — er wird wohl darnach sein! Viel milder ist auch auf den Universitäten des Westens die Praxis iu dieser Hinsicht nickt; allerdings ist bei derBeurtheilung diesertemperenzlerischen Strenge zu bedenken, daß die Amerikaner, wenn sie trinken, nicht zu dem leichten und verbältnißmäßig unschädlichen Biere greifen, sondern fast immer Brandy oder andere scharfe und geradezu giftige Äranntweinsorten verziehen. Besucht man einen Harvard-Mann in seiner „Bude", wie wir sagen würden, so wird man allenfalls mit Punsch tractirt; findet aber einmal ein — so zu saaea — CommerS statt, dann ist Cbocolade und Kuchen in Verbindung mit dem unvermeid lichen Eiswasser das Höchste, was temporance gestattet. Freilich, der Gedanke und die Einrichtung eines CommerseS ist überhaupt ganz unamerikanisch und höchstens einer der an einer Universität bestellenden deutschen Clubs versteigt sich einmal zu einer solchen Veranstaltung; die amerikanischen Vereine geben nur reeoptions, bei denen Damen und Herren eingeladen und die üblichen gesellschaftlichen Formen nicht wesentlich verändert werden. Nur von den geheimen Brüder schaften sagt man, daß sie heimlich richtige Zechgelage ab hielten, bei denen dann Gott Bacchus um so reichlicher ge opfert werde. Damit sind wir wieder bei einer Eigenart deS amerika nischen UniversitätSlebenS, bei den Vereinen, angelangt. Die meisten College- erfreuen sich zahlreicher öffentlicher Vereine, die aber nur insoweit eine gewisse Aehnlichkeit mit unseren Fachvereincu besitzen, als sie, wie in Cornell oder Harvard, die Naturwissenschaft oder die Kunst, die deutsche oder fran zösische Sprache zum Zwecke ihrer Gesellschaft haben. Die meisten Vereine aber sind allgemeineren CbaraktcrS und dienen hauptsächlich dem Zwecke der Debatte. Sie erziehen dadurch die Studenten zum Auftreten in der Oeffentlichkeit, gewöhnen sie aber auch leicht an Schwulst und oratorische Leere. Piel einflußreicher als diese Vereine sind die geheimen Brüder schaften, die sich wunderlicherweise meist mit griechischen Buchstaben bezeichnen und znm Theil über eine große Zahl von Universitäten verbreitet sind. So zählen die Vereine „Alpha Delta Pbi", „Delta Pst", „Delta Kappa Epsilon" und „Pbi Apsilon" wohl je 25 verschiedene Capitel. Manche dieser Vereine verfügen über kostbare Gebäude, wie z. B. das HauS deS „Kappa Alpha" zu William«, welches über 60 000 gekostet hat. Der Charakter der geheimen Vereine ist wohl im Allgemeinen ein gesellschaftlicher und kennzeichnet sich dadurch, daß bei dem einen die sociale Stellung, bei dem anderen hervorragende Begabung, wissenschaftliche oder literarische Leistungen, bei einem dritten die Vereinigung all der Eigenschaften, die einen „netten Kerl" auSmachen (wie Thwing sagt), für die Ausnahme entscheidend sind. In einer Hinsicht ist das amerikanische Universitätsleben dem deutschen zweifellos noch weit voraus: in der körperlichen Ausbildung der Studenten. Seit etwa 1860 besitzt jede bessere Universität ein „Gymnasium", da- oft äußerlich prächtig aus gestattet, innen aber mit allen nur denkbaren Turngeräthen, Kegelbahnen rc. versehen ist. Besonders im Winter wird das Gymnasium fleißig besucht, während im Herbste das Fußball-, im Frühling bas Base-Ball-Spiel im Freien die Uebungen im Gymnasium ersetzen. Manche Universitäten, wie Amherst, machen diese Uebungen für wenigstens je »/» Stunde an vier Tagen in der Woche obligatorisch; aber auch ohne diesen Zwang betheiligt sich in Aale etwa die Hälfte, in Harvard etwa zwei Drittel aller Studenten an ihnen. ES ist ein eigenartiger und gewiß nickt unerfreulicher Anblick, wenn man in Harvard's Gymnasium deS Nach mittags Hunderte von Zöglingen, alle in Weiß gekleidet, steht, die ein bis zwei Stunden hier springen, klettern, heben, marschiren, Tau ziehen, Kegel schieben und schließlich die Uebungen mit einem Laufe über ein Paar englische Meilen beschließen. Diese Gewohnheit giebt dem amerikanischen College - Mann unzweifelhaft rin körperliche« Ueberaewicht über viele unserer deutschen Studenten, die in ihrer Gelehr samkeit immer bleichwangiger, kurzsichtiger und kraftloser werden. Es ist behauptet worden, daß, während der geistige Arbeiter in Europa auf einen jährlichen Verlust von IS bis 20 Arbeitstagen infolge von Krankheit rechnen müsse, der amerikanische Student im glcicken Zeitraum im Durch schnitte nur eine Einbuße von etwa 2>/z — 2»/i Tagen zu besorgen habe. Daß daneben auch alle Arten von Sport mit dem größten Eifer betrieben werden, ist selbstverständlich. WaS für England die alljährliche Regatta zwischen Oxford und Cambridge auf der Themse ist, daS ist für das amerikanische Universitätsleben der alljährliche Fußball-Wettkampf, der zwischen Aale nnd Harvard, den alten Nebenbuhlerinnen — Aale ist die »weitälteste Universität deS Landes — veranstaltet wird. Der Kampfort ist Springfield, da- etwa mittwegs zwischen den beiden Universitätsstädten, Bosten (Cambridge) nnd New-Haven liegt. Ein Exlraz ig nach dem anderen führt gewaltige Menschenmengen heran, und obwohl die Tribünen, die zu beiden Seiten deS Spielplatzes errichtet find, etwa 20 000 Menschen fassen, so pflegen sie dock bei Weitem nicht auszureichen. Die eine Seite der Tribünen ist ganz für Harvard, die andere ganz für Aale Vorbehalten; und da alle da- Fest besuchenden Damen die Farbe der von ihnen favorisirten Hochschule tragen, so prang: die eine Seite ganz in Harvard's Carmoisinroth, die andere ganz in Hellblau, Aales Farbe, und die Hellblauen tragen Veilchen, die Carmoifinrothen schwenken Flaggen von der gleichen Farbe. Die Begeisterung wächst mit jeder Viertel stunde. Der Universitätsgesang durchbraust die Lüste. Hier erschallten die 3 mal 3 HurrahS der Harvarder, von drüben antwortet der alte KriegSruf New Haven-: Dale, Aale, Aale!" Und nun vereinen sich beide Ruft: die beiden Parteien von je elf Mann betreten den Kampfplatz. Ein ungeheurer, recht ameri kanischer Taumel von Begeisterung bricht lo-, alle Zuschauer er heben sich von ihren Sitzen, rufen, schreien, winken, wehen mi: Flaggen und Tüchern,um dann mitStillschweigen oder mit lautem Entzücken, je nach dem Gange des Spiel-, seiner Entwickelung zu folgen. Alle paar Minuten, so erzählte Schofield, wirr der Stand des Zieles in die Universitätsstädte telezrapbirt, wo sich große Menschenmengen vor den Redactionen an sammeln und mit Spannung die Berichte über das nationale EreiHuiß entgegennehmen. Solche und ähnliche Sitten und Gewohnheiten sind natürlich sehr geeignet, die Studenten mit großer Anhänglich keit au ihre Universität zu erfüllen. In der That ist der Harvard- oder Dale-, der Princeton- oder Columbia-Manu unbändig stolz auf sein College und läßt kaum ein anderes daneben gelten. Dauernd hält den Zusammenhang mit der Hochschule in Harvard z. B. daS „Grabuate'S Magazine" aus reckt, in dem die Schicksale der Jünger Havards verfolgt und erzählt wurden. Am deutlichsten aber kommt die An hänglichkeit an die »Ium nmtsr alljährlich am „Versamm lungstage" zum AuSdrucke. Dan» reisen die alten Semester nach Cambridge oder New Haven, um mit ihren Studien genossen zusammenzutreffrn. Auf 50 Iabre zurück hat in Harvard jede IahreSclassr ihr eigenes Zimmer, und so kann cs geschehen, daß, nur durch wenige Zlinmer von einander getrennt, Vater und Sohn mit ihren Commilitoneu uoec-ckota Vüleusia oder ttavarckousia der Vergangenhett auStausche i, und der Enkel mit seinen Freunden sich der Gegenwart hin^ giebt. Ueber 1300 alte Studenten pflegen alljährlich, wenn die Frühlingslüfte wehen, zu diesem Tage nach Cambridge zu reisen und sich dort ihrer akademischen Vergangenheit zu erinnern, die, wenn auch vom deutschen UurverfliätSleben völlig abweichend, doch auck wieder ihren eigenen ReH besitzt.
- Aktuelle Seite (TXT)
- METS Datei (XML)
- IIIF Manifest (JSON)
- Doppelseitenansicht
- Vorschaubilder
Erste Seite
10 Seiten zurück
Vorherige Seite