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01-Frühausgabe Leipziger Tageblatt und Anzeiger : 09.12.1896
- Titel
- 01-Frühausgabe
- Erscheinungsdatum
- 1896-12-09
- Sprache
- Deutsch
- Digitalisat
- SLUB Dresden
- Lizenz-/Rechtehinweis
- Public Domain Mark 1.0
- URN
- urn:nbn:de:bsz:14-db-id453042023-18961209014
- PURL
- http://digital.slub-dresden.de/id453042023-1896120901
- OAI-Identifier
- oai:de:slub-dresden:db:id-453042023-1896120901
- Sammlungen
- LDP: Zeitungen
- Strukturtyp
- Ausgabe
- Parlamentsperiode
- -
- Wahlperiode
- -
Inhaltsverzeichnis
- ZeitungLeipziger Tageblatt und Anzeiger
- Jahr1896
- Monat1896-12
- Tag1896-12-09
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Während deS letzten russisch-türkischen Krieges machte sich der Mangel einer wirksamen Flotte für Rußland in empfind licher Weise fühlbar. ES besaß kaum einen ordentlichen Kreuzer, und die Möglichkeit kriegerischer Operationen zu Wasser, die höchstwahrscheinlich der Kriegführung eine ganz andere, für Rußland viel günstigere Gestaltung gegeben hätten, war demnach ausgeschlossen. Als man i» Rußland so zur Erkenntniß der Bedeutung einer Kreuzcrflotte für die Wehrfähigkeit des Landes kam, traten eine Anzahl reicher Russen zusammen, um durch freiwillige Beiträge eine Flotte zu schaffen, die bei kriegerischen Verwickelungen, welche ein Eingreifen der Seestreilkräfte erforderlich machten, der Re gierung zur Verfügung gestellt werden sollte. Nachdem man sich über die Organisation der Flotte ge einigt hatte, wurde in Moskau ein Central-Comitö gegründet, das sich zur Entgegennahme von Beiträgen bereit erklärte. Der verstorbene Kaiser Alexander III., damals noch Thron folger, nahm einen lebhafte» Antheil an der Gründung, und bald war unter seiner Mitwirkung ein Capital von 2 Mil lionen Rubel gesammelt. Eine aus Marine - Ofsicieren be stehende Commission wurde rum Ankauf von passenden Dampfern ausgesandt und diese wandte sich zunächst an die Hamburg - Amerikanische Packerfahrt -Actien - Gesellschaft, die durch den einige Zeit zuvor erfolgten Ankauf der Schiffe der Adlirlinie über einen, ihre Anforderungen weit übersteigenden Schiffspark verfügte, dessen sie sich zu entledigen suchte. Von der Hamburger Gesellschaft erwarb die Commission zunächst drei Dampfer, „Holsatia", „Thuringia" und „Hammynia", welche die Pionierschiffe der russischen frei willigen Flotte wurden. Zur Verwendung im türkischen Kriege kamen die Dampfer nicht mehr, da inzwischen der Friede geschlossen wurde. Sie fanden dann später Ver wendung zur Unterhaltung einer Verbindung zwischen den europäischen Häfen Rußlands und seinem am Stillen Ocean gelegenen Territorium, dessen wichtigster Küsteuplatz das jetzt zum Endpunct der große» transsibirisch«! Bahn auSersehene Wladiwostock ist. Die ersten Operationen der freiwilligen Flotte auf mercantilemGebiete erwiesen sich nicht als fruchtbringend. Ueberschässt vermochte man nicht zu erzielen und die Aus sichten für eine spätere Entwickelung waren gering, so daß man bereits daran dachte, das Unternehmen eingehen zu lassen nnd die Schisse an eine der bestehenden russischen Dampsschiffs - Gesellschaften zu verkaufen. Zum Glück für Rußland kam dieser Plan nickt zur Ausführung, vielmehr wurde die oberste Leitung der Gesellschaft dem Marine minister übertragen und damit wendete sich auch ihr Ge schick zum Besseren. Die Geschäftsleitung wurde reorganisiri und die während der schlechten Zeilen gemachten Erfahrungen wurden zum Lehrmeister für die Zukunft. Heute stehen an der Spitze der Verwaltung der Flnanzminister, der Kriegs und Marineminister und die Oberrechnungskammer. Der Director der Gesellschaft wird vom Marineminister ernannt und ist in der Regel ein Admiral. Die Leitung des tech nischen Betriebes ruht in der Hand eines Beamten, der den Titel „Jnspector der freiwilligen Flotte" führt. Zur Zeit bekleidet diese Stelle Oberst Linden, früher Marine-Atlachö der russischen Gesandtschaft in London. Die Ausarbeitung der neuen Schiffspläne geschieht unter Linden'S Anleitung, und feiner Sachkennlniß ist es zuzuschreiben, daß die neu gebauten Schiffe, deren die Gesellschaft in letzter Zeit eine beträchtliche Zahl erworben hat, sich für die besonderen Er fordernisse der Fahrt, für die sie bestimmt sind, als vorzüglich geeignet bewährt haben. Linden hat auch beim Bau der Schiffe eine scharfe Controle eingesührt, so daß stetS die besten Leistungen von den Schiffsbauern verlangt und auch gewährt werben. Die freiwillige Flotte besitzt jetzt 13 Dampfer, deren jeder außer Bunkerkohlen 3000—5000 Tonnen Ladung zu trage» vermag, nämlich: „Cherson", „Petersburg", „Saratoff"' „Orel", „Wladimir", „Woronesch", „Kiew", „IaroSlavl", „Kostroma", „Nischni - Nowgorod", „Chabarowsk". Zwei weitere Dampfer sind z. Z. noch in Großbritannien im Bau. Die 4 erstgenannten Dampfer haben eine Geschwindigkeit bis zu 19 Knoten, die anderen bis zu etwa 13 Knoten. Die älteren Dampfer, welche die freiwillige Flotte von der Hamburg- Amerikanischen Packetfahrt-Actien-Gefellschaft erworben hatte, sind an die Marinrverwaltung übergegangeu und dienen jetzt als Schulschiffe. Der Haupthafen der Flotte, von dem and die Schiffe ihre Reisen antreten, ist Odessa. Von hier aus gehen die Dampfer durch Len Suezcanal und erreichen, unter Anlaufen von einigen Zwischenhäfen, Wladiwostock in etwa 40 Tagen. Die Zabl der zurückgetegten Reisen ist im letzten Jahre bis auf 22 gestiegen. In Odessa verfügt die Gesellschaft über vorzügliche Re paraturwerkstätten, die mit den neuesten Maschinen sowie mit allen erforderlichen Vorrichtungen, um die Dampfer in Stand zu erhalten, versehen sind. Der Bau der transsibi rischen Bahn hat der freiwilligen Flotte eine gute Fracht gelegenheit geboten, auch die Auswanderung ist dadurch in Fluß gekommen, und ferner finden die Dampfer durch Truppentransporte lohnende Beschäftigung. Das Eis, das sich im Hafen von Wladiwostock während deS Winters zu zeigen pflegt, ist für die neuen Dampfer nicht mehr so sehr hinderlich. UebrigenS ist, um den Hafen länger offen zu halten, der Bau eines mächtige» Eisbrechdampfers in Angriff genommen. Auf der Rückfahrt führen die Schiffe der freiwilligen Flotte Truppen zurück. Sie laufen dann in der Regel Hankau an, um ihre Ladung zu ergänzen. Was die Armirung anbelangt, so führen die Dampfer dieselbe nicht an Bord. Sie wird in Odessa jederzeit zum sofortigen Anbordbringeu bereit gehalten. Deutsches Reich. Berit», 8. December. Der Wahlkreis Donau« eschingen-Villingen-Triberg, den der verstorbene Abg. Fürst Carl Egon zu Fürstenberg im Reichstag vertrat, wird sich nun für die Neuwahl rüsten müssen. Da der Kreis eine fast zu neun Zehnteln katholische Bevölkerung hat, ist es erklärlich, wenn das Centrum der Ersatzwahl mit besonderen Hoffnungen entgegensieht. Der Wahlkreis hat zum dritten Mal im Laufe dieser Legislaturperiode zu wählen. Bei den Hauptwahlen im Jahre 1893 entschied erst die Stichwahl zwischen dem Freiherrn von Hornstein, der zwar konservativ von Gesinnung, aber durchaus antiklerikal war, und dem Führer der badischen Klerikalen, Pfarrer Wacker. Beim ersten Wahlgang erhielt der Erstere 8666 Stimmen, Pfarrer Wacker 6975; ungefähr 1200 waren auf eine socialdemokratische Candidatur gefallen, 975 auf eine freisinnig-demokratische. In der Stichwahl erhielt dann Freiherr v. Hornstein 10 622; die Klerikalen blieben um 800 Stimmen in der Minderheit. Wie glücklich der Entschluß war, nach dem kurz nach der Wahl erfolgten Hinscheiven des durchaus reichst«» gesinnten Freiherrn v. Hornstein den Fürsten Carl Egon zu Fürsten berg auszustellen, ergab gleich der erste Wahlgang. Er wurde mit 10 164 Stimmen gewählt, der KlerikaliSmus brachte eS nur auf 5818 Stimmen. Außerdem wurden noch einige Tausend freisinnig - demokratische und socialdemo kratische Stimmen abgegeben. Bei den Wahlen hat es sich in diesem Wahlkreis stets nur um den Gegensatz: reichst«» oder klerikal? gehandelt. Insofern kommt es jetzt in erster Linie darauf an, daß ein womöglich im Wahlkreis angesessener und geachteter, national gesinnter Candikat auf gestellt wird. Gelingt cS, eine solche Persönlichkeit ausfindig zu machen und die Mehrheit der Wähler wieder, wie im Jahre 1893, zu überzeugen, daß es diesmal mehr als je in erster Linie von einer getreulichen Erfüllung der Wahlpflicht abhängt, ob der Wahlkreis national oder ultramontan für die letzten zwei Sessionen dieser Legislaturperiode vertreten sein soll, so braucht man über den Ausgang nicht besorgt zu sein. * Bcrli», 8. December. Die „Kreuzztg." knüpft an den Proceß Leckert-von Lützow die nachstehende zutreffende Betrachtung: „Man erstaunt zunächst geradezu, wie weit die Gepflogenheit des SichauSfragenlassenS (Interview!) selbst bei den höchsten Beamten sich eingewurzelt hat. Auf Details gehen wir absichtlich nicht ein. Aber kann man sich schließlich wundern, wenn Blätter alles Mögliche von Bericht erstattern annehmen, die ihnen nachweisen können, sie seien wirklich einmal persönlich von hochgestellten Beamten „empfangen" und, darauf sich stützend, den schein zu erwecken verstehen, als seien sie gewissermaßen die Vertrauten, denen jene ihre An- und Absichten inspiriren? Um diese Gepflogen beit kennen zu lernen, bedurfte es freilich kaum des Processes. Nein, man brauchte seit langer Zeit nur gewisse Blätter zu lesen, die fast tagtäglich zu berichten haben, wie dieser oder jener Staatsmann ihren Berichterstattern sein Herz auf geschlossen habe. Und dem Beispiel der höheren ahmen die niederen Beamten in ihrer Weise nach. Was schleppen nicht heute die „Reporter" für Neuigkeiten, die sie, oft nur halb oder gar nicht verstanden, angeblich aus den Ministerien, in Wirklichkeit aber von ganz unter geordneten Beamten bis zum Portier herab erhorcht haben, den Redactionen zu! Aber freilich — und das ist die zweite Bemerkung — ein Theil unserer Presse, und nicht allein die besonders gekennzeichnete sog. „unparteiische und billige", sucht sich gegenseitig in der Verbreitung sensationeller Nachrichten politischer und gesellschaftlicher Art fast zu über bieten. Wieviel direkten Klatsches enthalten nicht unsere ge- lesensten Zeitungen! Doch seien wir ehrlich! Der Erkenntniß dürfen wir uns nicht verschließen: die Gesellschaft selbst trägt ein gut Theil der Schuld auf ihren Schultern. Wie ver breitet ist nicht heute in allen Kreisen, von den Foyers der Parlamente und den vornehmsten Gesellschaften bis in die ge wöhnliche Bierkneipe hinein die Klatschsucht. Bald offen, bald geheim weiß man sich oft die unglaublichsten und un verbürgtesten Gerüchte über diese oder jene hochgestellte Person zu erzählen: Indiscretionen, die dann langsamweiter sickern und schließlich von ganz Unberufenen aufgeschnappt und in Vie Zeitungen gebracht werden. Diese aber setzen, gerade heraus gesagt, ihrem Publicum die Speise vor, nach der ihm der Gaumen kitzelt. Weshalb werden denn ge wisse Blätter mit Vorliebe auck in Kreisen gelesen, die ihnen sonst politisch und innerlich völlig fern stehen? Eben weil sie solchen pikanten Klatsch bringen. Das Publicum zieht sich diese Presse heran, weil eS nach solcher Kost lüstern ist. Und Blätter, die ihre Spalten davon frei zu halten redlich bemüht sind, nun, sie werden von den eigenen Freunden deshalb als „langweilig" bezeichnet. Kurz: Wenn der bedauerliche Proceß die Folge hätte, daß unser Beamten- thum, von oben bis unten, zurückhaltender und vorsichtiger würde und sein Vertrauen nur solchen Personen schenkte, von denen cs weiß, daß sie dessen werth sind; wenn das Publicum und zwar bis in die „vornehmsten" Kreise hinein sich vom activen und passiven Klatsch und der Sucht nach Sensationellem frei machte und damit auf die Presse bessernd einwirkle, so würden auch die traurigen Enthüllungen in Moabit des Guten nicht entbehren." * Berlin, 8. December. Ueber die Organisation der Berliner politischen Polizei geben die amtlichen Ver öffentlichungen deS Polizeipräsidiums wie folgt Auskunft: Zum Geschäftsbereiche der politischen Polizei gehören die Bearbeitung der Angelegenheiten der Presse einschließlich der im 8 14 und 15 der Gewerbeordnung aufgeführtcn, mit der Presse in Verbindung stehenden Gewerbe, die Durchsicht der in Berlin zur Aufführung gelangenden Theaterstücke und Couplets, die Ueberwachung der öffentlichen Versammlungen und Vereine, sowie alle Angelegenheiten der höheren Polizei, zu denen man auch die Ausführung des Socialistengesetzes rechnete. „In der Natur der Sache liegt es", so heißt cs wörtlich, „daß gerade dieser Zweig der Polizeiverwaltung der vollen Keuntnißnahme und persönlichen Einwirkung des Chefs unterliegen muß, und es wurden deshalb die Angelegen heiten der politischenPolizei von jeher außerhalb der Abtheilungen des Polizeipräsidii unter der besonderen persönlichen Leitung des Präsidenten bearbeitet." Bis zum Jahre 1878 wurden die einschlägigen Geschäfte „gewissermaßen" nebenbei bearbeitet und im Decernate mit nur einem Mitgliede der I. Abtheilung des Präsidiums, einem ebenfalls anderweit beschäftigten Polizci- rathe und einigen Beamten des Präsidialbureaus, und die Aufgaben der Executive mit nur einem Criminalcommissar, einem Polizeiwachtmeister und 13 Schutzmännern be wältigt. Nur die Durchsicht der in Berlin erscheinenden periodischen Druckschriften wurde durch fünf damit ausschließ sich beschäftigte Beamte bewirkt. „Hierin mußten", heißt eS weiter, „die traurigen Ereignisse des Jahres 1878 eine durchgreifende Aenderung herbeisühren, indem bei der Verfolgung dieser mit den inzwischen erlangten aus reichenden Beamtenkräften und Mitteln die Gefahren immer mehr zu Tage traten, von welchen die öffentliche Sicher heit und Ordnung durck die Umsturzparteien bedroht war. Die erweiterten Aufgabe», die der politischen Polizei durch die Handhabung des Socialistengesetzes und die unerläßliche genaue Beobachtung der internationalen Be wegung erwuchsen, hatten nicht nur eine sofortige erhebliche Vermehrung des Beamtenpersvnals erfordert, sondern cs wurde auch nöthig, zur besseren Concentration nnd inten siveren Ausnutzung der Kräfte, eine andere Organisation der politischen Polizei eintreten zu lassen. Es wurde deshalb deren Verbindung mit dem Präsidialbureau gelöst und für die politische Polizei unter der persönlichen Leitung des Präsidenten und unter Heranziehung mehrerer höherer VerwaltungSbeamten eine besondere Geschäfts- abtheilung gebildet, in welcher vom Präsidenten die Leitung der Details einem Regierungsrathe als Vor sitzendem übertragen wurde." Hiernach bestand Las Personal der politischen Polizei Ende 1880, nachdem seit der Neuorganisation nockmals eine Verstärkung eingetreten war, außer dem mit der besonderen Leitung betrauten Regierungs rathe im Decernat auS 2 Regierungsassessoren und 2 Polizei- räthen, im Bureau aus 16 Bureaubeamten, 4 Kanzleibeamten und 4 Boten oder Ordonnanzen, und in der Executive aus 1 Polizeirath als Vorsteher, 1 Polizeihauptmann, S Criminal commissaren ober Polizeilirutenants, 6 Polizeiwachtmeistern und 105 Schutzmännern. Schon im Jahre 1881 kamen noch 2 Regierungsassessoren, 2 Criminalcommissare, 3 Polizei wachtmeister und 15 Schutzmänner hinzu. Diese Organisation ist im Wesentlichen auch nach dem Ablauf des Socialistcn FeirrHetsn. Emma und Dido. Von M. Uhse. (Nrchdnick verboten ) „Anna, Anna, kumm här, kumm bääää—r!" So gellte eS von drüben in lang gezogenen Tönen durch die Morgenstille. Emma ist's, die so ruft. Dido, der noch etwa- schlaf befangen hinter mir auf dem Stuyle sitzt, grollt mürrisch vor sich hin: „Alte Hexe! 'S ist 'ne alte Hexe!" Aufs Neue tönt eS an unsere Ohren: „Anna, komm' rein! Walter, Walter!" „Oller Ochse!" brummt Dido hinterdrein. Darauf furchtbares, ohrenzerreißendcS Geschrei von drüben und hier Dido's jetzt sehr laut hervorgestoßene Mahnung: „Emma, willst du ruhig sein! Bist 'ne alle Hexe!" Aber Emma hört nicht, und eingedenk der alten Wahr heit, daß immer der Klügere nachaiebt, nehme ich Dido auf die Schulter und gehe mit ihm hinüber in meiner Mutter Wohnzimmer, wo Emma schon sehnsüchtig meine« Morgen gruße« harrt. Denn trotzdem ich weder Anna noch Walter heiße, gilt ihr Rufe» doch mir, und ich folge dem ganz so gehorsam, wie nun einmal gut gehaltene HauSthiere, ins besondere sprechende und schreiende Papageien, ihre Herrinnen zu erziehen wissen. Mit weniger melodischem al« herzlichem Jubel werde ich denn auch begrüßt. Von irgendwo, wohin sie nicht gehört, von der Spitze deS Buffet« oder Spiegel, dem Thürsim« oder Ofen kommt die radaulustige Emma schleunigst herunter, so wie ich nur die Thür öffne, und erwartet mich nun auf dem Nähtisch, jauchzend, kichernd, „Mamamama", „Vapapapa" plappernd, mit den Flügeln schlagend, dem Kopfe wippend — kurz, völlig au« dem Häuschen. Nachdem ich Dido auf den Ständer gestupst — einer solchen Nöthigung bedarf e« bei dem trägen Herrn immer — setze ich mich zu Emma, wenn auch nicht gerade auf den Nähtisch, so doch auf den Stuhl davor, und unterhalte mich mit ihr. Viel verstehen thue ich ja nicht von Dem, wa« sie mir jetzt höchst eifrig, mit lebhaften Geberden vermöge Schwanz und Flügeln, mittheilt; ich glaub», sie spricht in den Morgenstunden portu giesisch, und das kommt mir höchst spanisch vor — aber wir Beide ergötzen uns doch ganz köstlich dabei und kommen oft auS dem Lachen nicht heraus. Denn wenn Emma einmal zu lachen anfängt, so kindlich, so herzhaft, so urstvel — dann müßte man schon ein sehr bart gesottener Hypochonder sein, um dabei ernsthaft bleiben zu können. Je mehr man aber selbst lacht, desto eifriger geht sie in« Zeug. Dido kommt unser kindisches Gebühren natürlich höchst unwürdig vor. An einer solchen Unterhaltung sich zu be theiligen, fällt ihm gar nicht ein. Nur hin und wieder stößt er rin bissiges „Alte Hexe" hervor — wa« von unS beide» auf sich beziehen mag, wer will — und sonst stöhnt er fort während, unter ruckweisem Bewegen deS Körper«, wa« ich immer mit: „Dido will platzen", bezeichne. In ihm tobt nämlich jetzt die Sehnsucht nach meiner noch in ihrem Schlaf zimmer weilenden Mutter, und da er strenger erzogen ist al« die verwöhnte Emma, so wagt er dieser Sehnsucht nicht in lauten Tönen Ausdruck zu geben. Er bändigt seine Gefühl». Nur Stöhnen und Aechzen girbt Kunde davon — er bildet sich still zum Charakter, wie etwa« Sehnliche« ja auch Goethe schon gedacht hat. Mitt»» im Warten und Stöhne» geschieht e« dann wohl, daß Emma, erbost über den langweiligen Patron und der Unterhaltung mit mir überdrüssig — st« ist sehr veränderungs lustig, di« temperamrntvolle Dame — einfach gegen ihn an springt, wobei «r regelmäßig von der Stange fäll». Ungestraft bleibt solch boshafte« Thun natürlich nicht, eine Schelle be kommt sie von mir — wenn ich sie kriege, selbstv«rständlich. Zumeist sitzt sir jedoch, noch ehe ich mich umgedrebt hab», schon längst wieder auf dem Buffet und lackt au« sicherer Entfernung de» armrn Schelmen au«, der mühsam Sprosse für Sprosse am Ständer wieder hoch klimmt. Oben an- aelangt, psleat er dann, mir wehmüthiz in die Auge» sehend, seinen Empfindungen Ausdruck zu geben mit dem klassischen Worte: „Na, was sagst« nu dazu?" Natürlich suche ich seine gerechte Empörung nach Kräften zu beschwichtigen, wa« er denn auch dankbar anerkennt nut den Worten: „Komm, Marie, gieb mir einen Kuß", und halt« ich die Lippen hin, dann schmatzt «r so herzhaft und laut drauf lo«, al« sei er ein verwunschener Prinz — daS beißt, ich weiß wirklich nicht, ob die Prinzen laut schmatzen beim Küssen, habe »och keinen dabei beobachtet. UebrigenS, so etwa« PrinzlicheS stellt ja auch mein Dido vor. Er sagt es selbst: „Ich bin der Prinz von Kamerun!" Er ist eS gelehrt worden, sich derart vorzustellen, da er nach King Bell's Sohn Dido benannt worden ist. Es macht sich nun wirklich allerliebst, wenn er ru Leuten, die ihn mit „Na, Papchen" oder „Lore" begrüßen, selbstbewußt sagt: „Ich bin der Prinz von Kamerun!" Viel ergötzlicher aber finde ich es — dies natürlich unter unS gesagt — wenn er solche An reden wegwerfend mit: „Du bist ein alter Ochse" oder wohl auch kurzweg: „Oller Ochse!" beantwortet. Er zaubert da mit immer so köstlich verblüffte Gesichter hervor. Natürlich bleibt dann von empfindlichen Naturen der Vorwurf, an meine Adresse gerichtet, nicht aus: „Aber das müssen Sie ihm doch beiaebracht haben!" Und doch bin ich daran ganz »»schuldig. Dido lernt nämlich überhaupt nicht- von mir. So viel Mühe ich mir auch schon gegeben habe, ihm diese« oder jene« beizubringen, meine etwas tiefe Stimme weckt kein Echo in seiner Brust. Dagegen sprach er Alles im Nu nach, wa« ihn vor Jahren mein Mann lehrte, der ein ungewöhnlich weiche« und Helle« Organ hatte, und ebenso reizte ihn zum Nachsprechen die Stimme eine« meiner Mädchen, dre nicht« weniger al« weich, aber doch sehr hell war. Mein guter Mann weilt leider nicht mehr unter den Lebenden, und da« Mädchen verheirathete sich und verliek iu Folge dessen mein Hau«. Seitdem hat der Bogel kein Wort mehr zugelernt. Weder da« spätere Mädchen, noch meine Mutter oder ich, obwohl er un« beiden leidenschaftlich ru- gethan ist, vermögen ihm da« Geringste beizubrtngen. Ich theile dies au«vrücklick zu Nutz und Frommen der Papagei besitzer mit, die vielleicht an der Intelligenz ihre« stummen Vogel« zweifeln oder gar verzweifeln, während ihm nur der seinem Sprachvermögen angemessene Vorsprrcher fehlt. Daß auch Emma, die blaustirnige Amazone — Dido ist ein Jako, Graupapagei —, nicht« bei un« gelernt hat, trotz dem sie schon über zehn Iabre zur Familie gehört, ist auf eine andere Ursache znrückzuführen, die ebenfalls Beachtung verdient. Da« Thier hat oder verschafft sich zu viel Zer streuung, seitdem e«, der engen Kerkerhaft im zoologischen Garten entrissen, bei un« völlige Freiheit genießt. Des Morgens kann sie kaum die Zeit erwarten, bi« der Riegel an der Bauerthür zurückgezogen wird. Hastig stößt sie sich dieselbe dann selbst auf und begiebt sich dann ohne Weiteres auf den Tbeetisch, wo sie unter fortwährendem drängenden: „Emma, Emma, was ißt du da?" ihre eingeweichte Semmel fordert, die sie dann selbst in die für sie bereitstehende Tos: mit gemahlenem Zucker taucht. Ueberhaupt zeugt ihre Manier, sich ihre Speisen selbst zurecht zu machen, von geradezu staunenswerthcr Klugheit. Beim Mittagessen ist an einer bestimmten Tischecke für sie gedeckt, d. h. rin Stück Gummidecke über das Tischtuch gc legt; da steht ihr Tellerchen, auf welches sie einen Löffel Suppe erhält. Nun räubert sie von unseren Tellern sick di: übrigen Zuthatcn für ihre Mahlzeit zusammen: etwas Fleisch, Kartoffel, Gemüse, Compot, nnd erst, wenn sie sick genau vergewissert hat, daß sie von Allem hat, beginnt sie zn schmausen, wobei sie dann mehrfach vergnügt vor sich bin er zählt; „Emma pappt." Den Nachmittags-Kaffee, das Abend essen nimmt sir in derselben Weise mit un« ein — gegen alle Erziehung-- und GesundhritSregeln, da- weiß ich wohl, aber schließlich: der Vogel macht uns so viel Spaß, daß auch wir ihm schon diesen «Vpaß gönnrn können, und bei seiner rast losen Beweglichkeit bekommt ihm auch da- immerhin un passende Futter ganz gut. Im klebrigen treibt Emma Allotria nack Herzenslust. Ueberall muß sir dabei siin. „Was hast Du da? Was machst Du da?" So geht'« unaufhörlich bei Allem, was wir in dir Hand nehm«». „Langeweile, Langeweile!" deutet an, daß man nun Wohl einmal mit ihr spielen könnte. Vielleicht rin wenig Ball spielen. Sir sitzt auf der Buffet spitze, und von unteu her wird ein zusammengcdrücktcs Stück Papier nach ihr geworfen, das sie sich abmüht, mit Schnabel oder Kralle zu fangen. Gelingt ihr da« einmal — nun dann der Jubel, da« Lachen! Es schüttelt sie förmlich. Oker sie bat sich irgend wo versteckt. Nur ganz leise hauckt sie ihr „Emma" al« Aufforderung, sie zu suchen, bervor. Und babc.: wir sie gefunden, oft hält'« wirklich schwer, weil sie sich die unmöglichsten Ort« au-sucht, einmal ist sie sogar in die Sprungfedern vom Sopha gekrochen — kann jauchzt sie auf wie ein spielende« Kind.
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