Suche löschen...
02-Abendausgabe Leipziger Tageblatt und Anzeiger : 17.12.1896
- Titel
- 02-Abendausgabe
- Erscheinungsdatum
- 1896-12-17
- Sprache
- Deutsch
- Digitalisat
- SLUB Dresden
- Lizenz-/Rechtehinweis
- Public Domain Mark 1.0
- URN
- urn:nbn:de:bsz:14-db-id453042023-18961217028
- PURL
- http://digital.slub-dresden.de/id453042023-1896121702
- OAI-Identifier
- oai:de:slub-dresden:db:id-453042023-1896121702
- Sammlungen
- LDP: Zeitungen
- Strukturtyp
- Ausgabe
- Parlamentsperiode
- -
- Wahlperiode
- -
Inhaltsverzeichnis
- ZeitungLeipziger Tageblatt und Anzeiger
- Jahr1896
- Monat1896-12
- Tag1896-12-17
- Monat1896-12
- Jahr1896
- Links
-
Downloads
- Einzelseite als Bild herunterladen (JPG)
-
Volltext Seite (XML)
Die Morgen-Ausgab« erscheint um Uhr. di« Abend-AuSgabe Wochentag« um 5 Uhr. Nr-artion und Expedition: JohanneSgaffe 8. Die Expedition ist Wochentag« ununterbrochen geöffnet von früh 8 bi« Abends 7 Uhr. Filialen: ktl« Klemm's Sortlm. (Alfred Hahn). UniversitätSstraßr 3 (Paulinuin), LouiS Lösche, Katharinenstr. 14, Part, und Königsplatz 7. Bezugs-Preis t» d«r Hauptexpeditton oder den im Stadt- beairt und den Vororten errichteten AuS- «abestrllrn ab geholt: vierteljährlich ^l4.L0, bei zweimaliger täglicher Zustellung ins Hau« ^l üLO. Durch die Post bezogen für Deiltschlaud »ad Oesterreich: vierteliübrltch . Direkte tägliche Kreuzbaadiendung in« Ausland: monatlich ^l 7.KO. > Abend-Ausgabe. KiWMr TagMü Anzeiger. Amlsökatt des königlichen Land- und Amtsgerichtes Leipzig, des Rashes nnd Polizei-Amtes der Ltadt Leipzig. Anzeigen-Prei- die 6 gespaltene Petitzeile 20 Pfg. Reklamen unter dem Redaction«strich («ge spalten) ÜO/E, vor den Familiennachrichtea (S gespalten) 40-H. Größere Schriften laut unserem Preis- vrrzeichaiß. Tabellarischer und Ziffernsatz nach höherem Tarif. Extrarveilagen (gefalzt), nur mit der Morgen-Au-gabe, ohne Postbrförderung SO- mit Postbeförderung ^l 70.-. Annahmeschluß für Anzeigen: Abend-Ausgabe: Vormittags 10 Uhr. Morgen-Ausgabe: Nachmittag« 4Uhr. Bei den Filialen und Annahmestellen je eine halbe Stunde früh«». Anzeigen sind stet» an die Expedition zu richten. Druck und Verlag von E. Polz in Leipzig. 641. Donnerstag den 17. December 1896. Sv. Jahrgang. politische Tagesschau. * Leipzig, 17. December. Da« rasche Begräbniß der Iustiznovelle hat es mit sich gebracht, paß der Reichstag schon zwei Tage früher ge schlossen bat, al« angenommen worden war. Beinahe allerdings hätte die beim Beginn der gestrigen Sitzung vor- bandeneBeschlußunfähigkeit den Beginn der WeibnachtS- ferien um einen Tag verzögert. ES handelte sich nämlich um dir Beschlußfassung über die Giltigkeit der Wahl des Abg. Holtz, dessen Fractionsgenosse Gamp die Entscheidung durch Anzweifelung der Beschlußfähigkeit des HanseS binauszusckicbcn suchte. Da fünf Mitglieder an der Beschlußfähigkeit fehlten, so beraumte der Präsident eine neue Sitzung auf >/« Stunde später an. Bis dahin halten sich denn auch nickt nur die zur Beschlußfähigkeit nock fehlenden fünf Mitglieder ein gefunden, sonder» noch so viel andere, daß, als gegen den Schluß der Sitzung über die Giltigkeit der Wahl des Herrn Holtz abgestimmt wurde, das HauS so dicht besetzt war, wie onch nie in dieser Session.' Der Abstimmung ging eine ziemlich heftige DiScussion voraus. Um waS es sich dabei handelte, haben wir bereits am Dienstag dargelegt. Den Standpunct der preußischen Regierung, die sich in diesem Falle wieder einmal in Gegensatz zur Reichsregierung gesetzt hat, vertrat nur der Abg. Gamp, der seinem College» Holtz das Mandat zu retten suchte, während mit besonderem Eifer das Centruin für die Auffassung der Reichsregierung nnd mithin für die Ungiltigkcit ter Ersatzwahl, bei der die Aufstellung neuer Listen unterblieben war, cintrat. In ein fatales Dilemma gerieth Herr vr. v. Boetticker, der als preußischer Minister die Ansicht der preußischen Negierung und als Staatssecretair die der Reichsregierung zu vertreten hatte. Er hals sich jedoch mit bekanntem Geschick aus der Verlegenheit, indem er die Ansicht der preußischen Regierung zwar für den vor liegenden Fall vertheidigle, aber die Aussicht eröffnete, daß in Zukunft die Einzelstaaten au den klaren Sinn des Wahlgesetzes sich halten würden. Die Wahl des Abg. Holtz wurde hierauf mit großer Mehrheit für ungiltig erklärt; der Wahlkreis Schwetz, der sckon in diesem Sommer der Schauplatz leidenschaftlicher Kämpfe zwischen Deutschen und Polen war, wird mithin al- Opfer der Auffassung der preußischen Regierung aufs Neue in Aufregung versetzt. Zwei Fragen, die viel wichtiger sind, als diese Wahlangelegenheit, wurden mit sehr viel mehr Ruhe erledigt. Das Handelsabkommen zwischen Deutsch land und Frankreich über Tunis, wonach Deutschland die Rechte einer meistbegünstigten Nation in Tunis erhält, wurde in sämmtlichen drei Lesungen ohne Debatte genehmigt. Der Entwurf eines einheitlichen Zwangsvollstreckungs gesetze« in das unbewegliche Vermögen für das ganze deutsche Reich passirre nach etwa zweistündiger streng sach licher DiScussion die erste Lesung und wurde au eine Commission verwiesen. Im Gegensätze zu der Haltung der Parteien zu der Iustiznovelle stellten sich die Redner zu diesem Entwürfe durchaus freundlich. ES ist ja auch eine nothwendige Folge der Einführung deS Bürgerlichen Gesetzbuches, da dieses ein einheit liches Liegenschaftsrecht in Deutschland einführt. In den wesentlichsten Bestimmungen lehnt sich der Entwurf an die bereits in einem großen Theile Deutschlands bestehenden Gesetze an. So führt er z. B. das Deckunasprincip ein, jenes in Preußen, Bayern, Sachsen. Württemberg und dem rechtsrheinischen Hessen bereits bestehende Princip, wonach bei einer Zwangsvollstreckung diejenigen Forderungen, die der Forderung de» antragstellenden Gläubigers vorauSgehen,! zum Mindesten gedeckt werden müssen. Tie Einführung I dieses PrincipS in ganz Deutschland wurde allseitig I als ein Vortheil anerkannt. Der polnische Abgeordnete v. Dziem b ow ski-Pommern meinte freilich, der Zweck dieses PrincipS würde oft dadurch vereitelt, daß von hinten stehenden Gläubigern ein vorn stehender Gläubiger veranlaßt wird, seinerseits die Zwangsvollstreckung zu beantragen, wodurch natürlich die Zwangsvollstreckungen erleichtert werben. Der Abgeordnete wünschte deshalb, daß die Landschaften ange wiesen würden, dem Drängen hinten stehender Gläubiger nicht nackzugebcn. Der Wunsch des Abgeordneten, der auf eine Erschwerung der Zwangsvollstreckungen hinausläuft, ist sachlich nicht ungerechtfertigt, aber er entbehrt wohl nicht der politischen Absicht, die polnischen Großgrundbesitzerin ihrem Besitze möglichst zu erhalten nnd dadurch das Uebergehen ihrer Grundstücke in deutsche Hände zu verhindern. Die „Hamb. Nachr." hoben dieser Tage die Thatsache hervor, daß die alten reichsfeindlichen Parteien den in« Protest Lockert-v. Lützow erworbenen Ruhm der Re gierung in den höchsten Tönen singen. Zur Ergänzung, und nicht etwa, weil cs im jetzigen Augenblicke geboten er scheinen könnte, auf Erörterungen über „Regierungs krisen" hinzuweisen, sei die folgende, doch einige Angst ver- rathende Ergießung der klerikalen „Germania" mitgetheilt. Es ist vorauSzuschicken, daß die „Köln. VolkSztg." manchmal Anwandelungen von Objectivität hat, was dem Berliner Centrumsblatte nie widerfährt. Dieses schreibt: „Ein Berliner Correspondent der „Köln. VolkSztg." hat vor einigen Tagen mit mehr oder weniger Bestimmtheit oder vielmehr Unbestimmtheit die Nachricht von einer „Regiernngskrisis" auf gebracht. Wir haben daraufhin nach unseren Informationen an bestunterrichteten Stellen sogleich feststellen können, „daß nicht nur eine Regieruugskrisis nicht im Gange gewesen ist, sondern daß es auch für eine solche RrgirrungskrisiS an jedem Grund und Anlaß fehlt". Das wiederholen wir heute mit derselben kategorischen Bestimmtheit, da der Correspondent der „Köln. Volkszeitung" seine „Befürchtungen hinsichtlich einer Regie rungskrisis" aufrecht erhält. Greifbare Thatsachcn kann derselbe für das Vorhandensein einer Regiernng-krisiS nicht ansühren. Den» die Berufung auf Ausführungen eines Leipziger Bismarck blattes ist gewiß nicht beweiskräftig, und die Andeutung der „Nationalzeitung" gegenüber, „daß sich in diesen Tagen doch Manches abgespielt hat", ist so dunkel und vage, daß man sich darunter Alles und gar nichts vorstrllen kann. Daß Vie that- säckliche Erkrankung des StaatSsecretairs Frhrn v. Marschall mit einem unbestimmten Hinweis auf die „Lucanus-Krankheit" in den Kreis dieser Erörterungen und „Beweise" einbezogen wird, paßt zum Ganzen, kann uns deshalb nicht verwundern. Erstaunen wird aber mit uns mancher Leser der „Köln. Bolksztg.", wenn von dem Corre- spondentrn gesagt wird, „daß manche Einwürfe der Bismarckianer gegen den neuen Curs berechtigt sind", und wenn im Anschluß daran der Regierung der „gute Rath" ertheilt wird, sie „möge sich solche Kritiken, die auf Wahrheit beruhen, zu Herzen nehmen". Der „neue Curs" wurde vom Reichskanzler bekanntlich mit den Worten eingeleitet: „Wir nehmen Las Gute, wo wir es finden"; und das wirklich Gute aus der Akra Bismarck werden die Männer des neuen Curses auch heute noch gern beibehalten, wie sie auch wirklich guten Rathschlägen deshalb ihr Ohr nicht verschließen werden, weil sie aus Friedricbsruh oder aus den Reihen der Bismarck-Fronde oder von dem Correspondenten der „Köln. Bolksztg." kommen. Aber kann denn der Correspondent 1 der „Köln. Bolksztg." uns angeben, welche Einwürfe der BiSmarckianer »gegen Len neuen Curs berechtigt sind und welche „Kritiken" die »Regierung sich zu Herzen nehmen soll? Wir sind — und damit wissen wir unS in vollständiger Ueberkinstimmung mit der Redaktion der „Köln. Bolksztg." — leider nicht in der Lage, der Politik des „neuen Curses" in allen ihren Theilen znzustimmen, und wir haben auch in manchen Pnncten Einwürfe gegen die gegenwärtige Politik der Regierung zu erheben, wie wir erst heute »och unserem Bedauern darüber Ausdruck geben mußten, daß die Regierung bei der Justiznovelle so wenig Entgegen kommen gegen die Wünsche des Reichstags gezeigt hat. Aber dagegen müssen wir doch mit aller Entschiedenheit Einspruch er heben, daß die Einwürse, welche vom Centrumsstandpuncte gegen die Politik des , neuen Curses" erhoben werden, mit den Ein würfen der Bismarck.Fronde sich decken." Das Letztere ist vollkommen richtig. Aber die „Bismarck- Fronde' will etwas ganz Anderes, als der Mußpreuße Lieber. Beachtenswerth ist aber der Eifer, mit dein fern Organ sich gerade jetzt gegen den Verdacht, in irgend einem Puncte mit dem Altreichskanzler übereinzustimmen, wehren zu sollen glaubt. Im «ngarischc» Reichstag ist jetzt eine Stimme für die Erhöhung der ungarischen Quote und damit für den Ausgleich eingetreten, von der man darauf schließen darf, daß die Negierung, welche den Ausgleich protegirt, schließlich eine ansehnliche Mehrheit auf ihrer Seite haben wird. Der Abgeordnete Abranyi sagte nämlich, nachdem er die Dreibundpolitik der Regierung sehr gewandt ver- theidigt, über die Quotenfrage: „Wir müssen den Ausgleich mit Oesterreich abschließen, wenn wir auch nicht sämmtliche Forderungen acceptiren. Ganz Europa hat anläßlich der Ausstellung unsere große materielle Ent- Wickelung bewundert. Wenn wir im Jahre 1867 in einem voll kommen desolaten Zustande 30 Proc. aus uns nehmen konnten, dürfen wir uns nicht wundern, wenn Oesterreich, das unseren Auf schwung sicht, 40 oder gar 50 Proc. verlangt. Seit 1867 sind 30 Jahre verstossen, Ungarn ist groß und mächtig, mächtiger als Oesterreich geworden. Waren damals 30 Proc. gerecht, so sind es heute 50 Procent." Trugen diese Ausführungen dem Redner auch Zurufe wie: „BaterlandSverrätbcr" und „Cigarrenabschneider" ein, mußte die Sitzung auch deS anhaltenden ScandalS wegen, den die Oppositionsparteien vollführten, für kurze Zeit suSpendirt werden, ihre Wirkung bat die Rede deS Abgeordneten Abranyi nicht verfehlt. Man weiß nun, daß die Liberalen sich den Argumentationen des gesunden Menschenverstandes nicht verschließen. Bis zu 50 Procent werden sie natürlich bei Neubemessung der Quote nicht gehen, — eS ist auch gar nicht notbwendig, da die österreichische Quoten-Deputation nur 43 Procent beansprucht — aber soviel ist sicher, gegen eine den Verhältnissen entsprechende Erhöhung der ungarischen Quote werden sie sich nicht sträuben. Die vorgestrigen Aenßerungen des Ministerpräsidenten stehen mit dieser Auffassung nicht in Widerspruch. Beiläufig ist zu bemerken, daß die Wnth der Oppositionsparteien sich gegen den Abgeordneten Abranyi deshalb so heftig äußerte, weil er früher zur Nationalpartei gehörte und bei den letzten Wahlen als „außerhalb der Parteien stehend" candidirte. Auf seinen Uebertritt zur Regierungspartei waren die Herren Apponyi, Ugron und Kvssuth nicht gefaßt. Böses Blut hat in Russisch-Pole» eine Verfügung des Censurcomit4S gemacht, wonach die Titelblätter der polnischen Zeitungen in zwei Sprachen, russisch und polnisch, erscheinen sollten. Die üble Stimmung bat sich auch durch die inzwischen sckon wieder erfolgte Aufhebung dieser Verordnung nicht gebessert. Sogar russische Zeitungen, wie die vom Fürsten Uchtomsky herauSgegebenen St.PeterSburger „Wjed." treten entschieden gegen solche „Mißgriffe der Censur- bedörde" aus nnd werfen ihr überhaupt unzweckmäßige Be Handlung der polnischen Presse vor. Die ganze Schuld der Mißhelligkeiten zwischen Polen und Russen wird der Burean- kratie zur Last gelegt: „An dem Tage, an welchem das Westliche Land von Russen nnd nicht von russischen Bureaukratrn verwaltet werde» wird, an diesem Tage wird die polnische Frage von selbst verschwinden nnd das Mißverständniß zwischen Rusten und Polen «In End« haben. Und damit der ruisische Bureaukrat einem russischen Mann ähnlichen werde, muß er solche „schreckliche" Schlagworte ver- gessen wie „Eroberer", „Nussificator", „Grenzland'/ und sich bemühen, auf der fetten, wenn auch ihm fremden Flur Wurzel zu fassen. Dann wird sie ihm (oder wenn nicht ihm, so doch seinen Nachfolgern) verwandt werden, wie auch diese« uns dem Blute nach verbrüderie Volt (nicht weniger verbrüdert, wie ich glaube, al« die Franzosen), das nur zu ost an seine Krankheit und Schwäche er innert wird. Wenn uns schon bei unserer brüderliche» Bereinigung mit den Franzosen weder der Katholicismus, noch sogar der Atheismus im Wege standen, kann man dann -»geben, daß der polnische Priester das zerstören könne, was zwei stammverwandte Völker so sehnlichst verlangen?" Sckon seit Jahrzehnten ist ein besonderes Organ, die in Petersburg erscheinende polnische Wochenschrift „Kraj", für die Herstellung guter Beziehungen zwischen Rußland und Polen thätig, aber gegenwärtig wird in diesem Sinne von Petersburg aus mit besonderem Nachdruck gearbeitet. Es erklärt fick dies wohl zur Genüge aus der Unsicherheit der inter nationalen Lage, die Rußland urplötzlich in einen Krieg nach mehreren Seiten stürzen kann, rin Fall, für den man bemüht ist, in dem unsicheren „Grenzland" gesährlichen Eventualitäten vorzubeugen. Auch auf polnischer Seite mehren sich die Stimmen für einen aufrichtigen Anschluß an Rußland, dock verlangen sie immer nock ein solches Maß von Selbstständig keit für Polen, das weit über das hinauSgeht, waS die russische Regierung glaubt gewähren zu können. Die Gcnugthunng, welche man in E-anle» über den Tod des cubanischcn Insurgentenführers Maceo empfindet, hindert nicht, daß die Rückkehr deS Generals Weyler ans der Provinz Pinar del Rio nach Havannab ziemlich abfällig kritisirt wird. Pinar del Rio gilt nun ein mal für daS hauptsächlichste Kriegstbeater, und jede Ent fernung des Höchstcommandirenden von der dortigen Front vor gefallener Entscheidung macht den Eindruck, als zögere er, einen großen Schlag zu führen. Aus dieser Auffassung heraus muß man auch Wohl die neuerdings verbreiteten Gerüchte über die Abberufung Weyler's und seine Er setzung durch einen höheren Marineofficier erklären. Letztere Maßregel könnte überdies eine noch weitergebende Deutung zulassen, nämlich die, daß dem maritimen Theil der kubanischen Operationen künftig größere Sorgfalt als bisher zu Theil nnd namentlich den amerikanischen Flibustiern das Conspiriren mit den cubanischen Insurgenten künftighin nach Möglichkeit erschwert werden soll. Jedenfalls kommt für Spanien Alles darauf an, daß der jetzige Winterfeldzug all seitig mit größter Energie geführt wird, damit dem Anfang März ins Amt tretenden neuen Präsidenten der Vereinigten Staaten, Mac Kinley, die Versuchung zur Einmischung in die kubanische Angelegenheit möglichst verleidet werd». So lange Cleveland am Ruder ist, dürfte eine Verschärfung der amtlichen Beziehungen zwischen Madrid und Washington ausgeschlossen sein; dagegen fragt es sich sehr, ob die anti- Um die Weihnachtszeit. 2j Novelle von Anna Gnevkow. NaLdniik vkrboten. So gründlich der Herr Rath aber auch jede», selbst da» unansehnlichste Schriftstück prüfte, und so willig er hier einem armen Dorfschullehrer eine Unterstützung für eine nothwendig geworden« Cur zusagte, dort das Strafmaß für begangenen Baumfrevel erhöht wissen wollte, über die Lästerungen un wissender, ungebildeter Menschen, die den heißblütigen, jungen Assessor mit Entsetzen ergriffen, ging er stillschweigend und mit einem leisen Lächeln hinweg. Die« Lächeln verklärte seltsam da« ernste Gefickt des NegierungSrath« und ließ eS so voller Wohlwollen, so anziehend erscheinen, daß e« ihm daS Herz seines jungen Untergebenen bedeutend näher brachte, nnd dieser sicher für den Mann, dem man ja, wie er später an der Mittagstafel zu seinem College» sagte, die geistige Bedeutung an der Stirn ablaS, geschwärmt hätte, wäre er nur nicht von diesem Manne noch so lange über die Bureau slunden hinau» festgebalten worden. Längst schon batte die gewohnte BefreiungSstunde ge schlagen, längst schon waren die Schritte der übrigen Be amten in dem langen Corridore, auf den Treppen verklungen und immer noch hatte er, vor seinem Vorgesetzten stehend, genau über alle Einrichtungen berichten müssen, die auf der Regierung herrschten, ein sicheres Zeichen, daß der Herr Rath in seiner Vertretungszeit nicht geneigt war, um einen Schritt von der vorgczeichneten Bahn abzuweichen. Auch al« er dann entlassen war, blieb der Stellvertreter deS Präsidenten noch zurück, offenbar, um weiter zu arbeiten, denn der Stoß von Eingaben hatte sich bei der Gründlichkeit, mit der sie geprüft wurden, noch nicht gerade sonderlich vermindert. Ter Assessor batte nicht unrecht mit seiner Dermuthung, denn der NegierungSrath blieb wirklich nach seinem Fort gänge nock ruhig in dem weiten Bureauzimmer sitzen, dessen Hauptausstattung in großen, mit Büchern gefüllten Schränken bestand. Wie viel gesammelte Gelehrsamkeit in diesen Werken, Actrustaub und Actrnwesen hier drinnen und wie viel Seufzer nnd Thränen vielleicht beim Verfassen der Eingaben und Schriften, die geprüft werden sollten. Ungeübt« Hände mochten daS Schriftstück geformt haben, nach dem Curt Below eben gegriffen. Es war nicht ord nungsmäßig geknickt, hatte nicht das vorgesckriebene Format und glich eher einem Briese, den eine Privatperson der anderen schreibt. Die Stirn des NegiernngsrathS furchte sich unter dem Lesen der Zeilen, doch weniger wohl der äußeren Mängel der Eingabe wegen, als um deS Inhalt« willen, über den er sogar in ein paar geringe, halblaut auSgestoßene Worte auS- brach. „Alle Welt möchte heutzutage den Blaustrumpf spielen und über die gelehrten Frauenzimmer kann man bei jedem Schritt und Tritt stolpern." — Der Brief wurde etwa- heftig auf den Arbeitstisch wieder zurückgelegt und nun glitt der Sonnenstrahl, der das graue Herdstgewölk durchbrochen, liebkosend über daS offene Blatt, so, daß die kleinen zitternden Schriftzüge unter seinem Scheine lesbarer noch als vorher wurden und wie eine bewegliche Bitte zu dem Herzen deS RegierungSratheS zu sprecken schienen. Der Vertreter de- Präsidenten war aber kein jugendlicher Feuerkopf mebr, dem einestheil« die armseligen Sckmähungen unwissender Menschen empörte und der andererseits eine Bitte, sei sie auch in der rührendsten Form vorgebracht, nicht abzuschlagen vermocht hätte, wenn er sie, wie hier, seine« Erachtens Werth, für unbegründet hielt. Zu lange und zu oft schon batte ihn daS Capitel der Erzieherinnen, die Fluth der Mädchen, die sich zu dem Lehrermnenbrrufe drängte, verdrossen, deSbalb ließ er jetzt einmal seiner Empfindung die Zügel schießen, ergriff einen Blaustift und schrieb in kräftigen Zügen auf dir Rückseite de« Briefe« seine Entscheidung: „Warum gerade Erzieherin oder Lehrerin? Besagte Frau Linbard soll ihre Tochter daS Putzmachen oder Weißnäben erlernen lasten, damit thut sie ein verdienst volleres Werk, als wenn sie einen Blaustrumpf mehr in die Welt setzt, nnd braucht außerdem die Unterstützung der Regierung nicht in Anspruch zu nehmen." DaS Schreiben flog auf den Stoß der andern, durch den verhängnißvollen Blaustift bereit« rntswiedenen Sacken; der NegierungSrath stand auf, rüstete sich zum Fortgänge und trat hinaus auf das unebene Pflaster der kleinen Stadt. Kein Gedanke de« Manne« galt jetzt mehr dem eben durchlesenen Brieschen, das mit seinem harten Urtbeile be stimmt war, in die Hände der Secretaire zu gelangen, die die Entscheidung auszuarbeiten, zu befördern batten, viel leicht, wenn er in die großen, braunen Mädchenaugen ge sehen hätte, die von dem Fenster eines kleinen, schlichten Häuschen« auö nach ihm gespäht hatten, al« er von der Re gierung kam, wenn er den fröhlichen Ruf gehört hätte: „Mama, Mama, das ist er!" vielleicht, daß seine Ent scheidung dann milder geklungen hätte, so aber ging er ruhig seines Wege«, befriedigt von der Arbeit, die er geleistet und ausgesöhnt mit seinem Geschick. „Das also ist er?" wiederholte indeß in dem Stübchen, wo ein schlankes Mädchen den Platz am Fenster geräumt, um ibn ihrer Mutter zu überlasten, eine bochgewachsene bleiche Frau; „ich muß gestehen Kind, ich dachte mir den Herrn Deiner gestrigen Schilderung nach älter: irrst Du Dich nicht, hat er sich wirklich NegierungSrath Below genannt?" „Gewiß Mama, ich verstand den Namen ganz gut und dachte mir gleich, daß er den Herrn Präsidenten in unserer Stadt vertreten würde. Oh, hättest Du nur gesehen, Mütter chen, wie ritterlich er sich meiner annahm, als die andern Passagiere der Post mich belästigten. Du würdest wahrhaftig festes Zutrauen zu unserer Sache hegen und überzeugt sein, daß sie in den beiten Händen ruht." Die Frau seufzte und strich mit den feinen Fingern da« licht gewordene Haar von den Schläfen. „Ich bin sehr mutbloS geworden, seitdem Dein guter Vater gestorben", s-gte sie dabei, wie in leiser Selbstanklage, „er hatte mich wohl mein Lebenlang durch seine Liebe verwöhnt, die alle Un ebenheiten von meinem Wege fern hielt, nnd nun der Tod mir meine Stütze nahm, ist je« mir oft, al« schlügen die Sorgen über meinem Haupte zusammen." „Aber, bann bin ich da", fiel daS Mädchen mit ihrer Hellen Stimme ein, „ich halte Dich über Master, an mir wirst Du Dich aufrichten und, wenn ich mein Examen erst hinter mir habe, wenn eS mir glückt, irgendwo an einer Schule Anstellung zu finden, dann schwinden auch alle größeren Sorgen, ein Heim, ein reizende«, kleine« Heim gründen wir uns und mein Mütterchen lebt wieder auf und lernt ruhig und zufrieden denken." Hochaufgerichtet stand da« Mädcken jetzt bei der Mutter, die Augen glänzten, die Farbe der Wangen hatte sich ver tieft, die schlanke, jugendliche Gestalt erschien wie eine Ver körperung frischen, freudigen Muthe«, aber die zagende Frau vermochte doch nicht, sich daran anfzurichtrn. „Du bist auch jetzt so voller Hoffnungen znm Onkel nach der Hauptstadt gereist, Ella, und hast nicht« au-gerichtet", sagte sie bebend, „so bricht eine der Stützen nach der andern zusammen, auf die wir un« verlassen, nnd wir können unmöglich etwas von Fremden erwarten, wo mein eigner Bruder unS im Stich läßt." „Mama", Ella ergriff die Hand ihrer Mutter und lehnte sanft ihre glühende Wange daran, „verkenne Onkel Carl nicht, er erfuhr nie, weshalb ich eigentlich zu ihm ge kommen. Siehst Du", die braunen Augensterne feuchteten sich leicht, „als ich im Hause der Verwandten die vielen, vielen Kinder sah, eins immer kleiner als das andere, al« ick den Onkel von früh bis spät, ja oft noch in die Nackt hinein fleißig erblickte und TantenS sorgenvolle Miene be merkte, da batte ich kein Herz, ihm auch noch mit unserem Anliegen, unseren Wünschen zu kommen und stellte meinen Besuch fo hin, als hättest Du ihn mick nur zu meiner Er holung unternehmen lassen." Die Frau seufzte und blickte doch voller Genugthuung auf ihr Kind, das jetzt wieder zur Arbeit griff und eilig die Nadel durch die seine Leinwand zog. „Gabst Du mir des halb schon von Deiner Reise her den Rath, mich an die Ne gierung zu wenden?" fragte sie weiter und setzte sich ihrer Tochter gegenüber an'« Fenster. „Ja, Mütterchen, denn ich wußte, Du würdest betrübt sein, wenn ich bei meiner Zurückkunst aus der Stadt NicktS auSgericktet hätte, und da habe ich gegrübelt und nachgedacht, bis sich mir der neue Weg eröffnete, der unS sicher zum Ziele führen muß." „Dein Vater hat ja auch so lange Jahre der Regierung treu gedient", ergänzte die Wittwe jetzt boffnungSfreudiger. „Ich meine auch, es wird mir von oben herab nicht miß- aedeutet werden, daß ich mein Kind gern in einer Lebens stellung sehen möchte, wo eS die Kenntnisse vrrwertbet, die e« sich erworben, und wo man eS seiner Bildung gemäß be handelt; eS ist den Herren auf der Regierung ja eine Kleinig keit, uns an» dem llntrrstützunasfond» so lang« eine geringe Summe zu gewähren, bis Du Drin Lehrerinneoexamen hinter Dir hast." „Gewiß, Mama, und er wird r« schon befürworten", sagte Ella jetzt fast träumerisch, und während sie eifrig weiter arbeitete, während eS still in dem traulichen Stübchen wurde, stieg da« Bild deS gestrigen Tage« wieder in ihrer Erinnerung aufi Sie sah den kraftvollen, energischen Mann, besten Blick die faden, schwatzhaften Reisenden verscheuchte, und der dock, wie die Mutter ganz richtig bemerkt, heute im Tageslicht viel jugendlicher erschien, al« gestern in der Dämmerung, und sie sann fast verwundert darüber nach, wie c» doch käme, daß da« Vertrauen zu Jemanden, so schnell in einem Herzen entstehen könne, wie in dem ihren. Zwei Tage vergingen. Ella verlor nicht- von ihrer Hoffnungsfreudigkeit; sie eilte dem Briefträger, wenn er sich ihrem Häuschen nahte, mit
- Aktuelle Seite (TXT)
- METS Datei (XML)
- IIIF Manifest (JSON)
- Doppelseitenansicht
- Vorschaubilder
Erste Seite
10 Seiten zurück
Vorherige Seite