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02-Abendausgabe Leipziger Tageblatt und Anzeiger : 23.12.1896
- Titel
- 02-Abendausgabe
- Erscheinungsdatum
- 1896-12-23
- Sprache
- Deutsch
- Digitalisat
- SLUB Dresden
- Lizenz-/Rechtehinweis
- Public Domain Mark 1.0
- URN
- urn:nbn:de:bsz:14-db-id453042023-18961223024
- PURL
- http://digital.slub-dresden.de/id453042023-1896122302
- OAI-Identifier
- oai:de:slub-dresden:db:id-453042023-1896122302
- Sammlungen
- LDP: Zeitungen
- Strukturtyp
- Ausgabe
- Parlamentsperiode
- -
- Wahlperiode
- -
Inhaltsverzeichnis
- ZeitungLeipziger Tageblatt und Anzeiger
- Jahr1896
- Monat1896-12
- Tag1896-12-23
- Monat1896-12
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Necla men unter dem Redactioasstrich (4ge- spalten- t>0^, vor den Kamilieanachrichten (Ügespalten) 40-^ Großer« Schriften laut unserem Preis verzeichnis Tabellarischer und Ziffern'^ nach höherem Tarif. Extra-Beilag,» (gefalzt), nur mit de» Morgen-Ausgob«, ohne Postbef-cdernng -4 bO.—, mlt Pvstdesvrderung 70.—. Anuahmeschluß für Auzeigen: Abend-Ausgabe: Vormittags 10 Uhr. Morgen-Ausgabe: Nachmittags 4 Uhr. Lei den Filialen «ub Annahmestellen je eine halbe Stunde früher, Anzeige» sind stets oa die Er-ehitio» zu richten. Druck und Verlag von E. Polz in Leipzig. 652. Mittwoch den 23. December 1896. > ii. Anzeigen für die am zweiten und dritten Feiertag erscheinende Nummer erbitten wir bis spätestens morgen Donnerstag Abend 7 Uhr. Amtlicher Theil. Sv Mark Belohnung. 2» der Nacht »um vorigen Lanntaa früh ' «S Uhr hat sich ein «nbckaunter, etwa SOjährigcr Manu, von mittler, kräftiger Gestalt mit dunklem grausen Kopfhaar, der den Eindruck eines Arbeiters gemacht hat, durch Anlegen einer Leiter vom Garten aus durch ein offenes Fenster Eingang in ein Zimmer der 1. Etage de» Grundstücks West- strahc Nr. II verschafft, ist sodann in das angrenzende Schlafzimmer gegangen und hat eine dort angrtrofieue Dame, die infolge des verursachten Geräusches erwacht ist, um eine Gclduuterstützung gebeten. Nach Empfang einer solchen hat er sich alsvauu auf demselben Wege, auf dem er eingrsttcgeu war, wieder entfernt. Tic nach der Person des dreisten Eindringlings an gestellten Erörterungen sind bisher ohne Erfolg geblieben. Tas unterzeichnete Polizeiamt ersucht hiermit um schleunige Mittheilnng aller Wahrnehmungen, die zur Ermittelung SrS Unbekannten dienen können, und setzt auf die Er mittelung desselben selbst eine Belohnung von 50 Mark anS. Leipzig, am 22 December 189». Du»« «K»r I-vipoil«. VII. b. 4»02. Bretsch ueider. vr. Kincke. Politische Tagesschau. * Leipzig, 23. December. UeberderPolitik lagcrtW eibnachtsruhe, Allen willkommen, außer per noch immer nicht besonders besteuerten Elaste der älteren und alten Junggesellen, die für die GemüthSbeweguug, die ihr durch das Verstummen des politischen Lärms entgeht, keinen familiären Ersatz findet und — es ist kaum zu sagen, aber wahr — vor den zeituugSarmen Tagen schaudert. Diese Classe verdient kein Mitleid, aber der keine Schranken kennende Wohlthätigkeitssport unserer Tage wollte auch ihrer gedenken und den infolge der allgemeinen Familiendienstpflicht an den Stammtischen Vereinsamten ein Unterbaltnugs- fpiel beschecrcu. So wenigstens verstehen wir die Absicht des Berliner Blattes, das von der Amtsmüdigkeit deS Herrn M,qncl auf eine Weise erzählt, daß kanne gießernde Hagestolze sich mit Speculationen über den Rücktritt des preußischen Finaiizministers und den „kommenden Mann" wobt über die Weihnachtsfeiertage Hinweghelsen können. Rolabene, wenn sie hinreichend unkritisch veranlagt sind. Tenn kein Unterrichteter glaubt daran, daß Schwierigkeiten, an die ibn seine Ministcrlaufbahn gewöhnt hat, und Mißerfolge, die noch nickt einmal endgiltig sind, Herrn Miquel sein Amt verleiden könnten. Freilich, einem Minister das Horoskop zu stellen, daß er früher oder später aushören werde, es zu sein, ist kein gewagtes Beginnen, znnial, wenn der Mann sich de» Siebzigern nähert, was Or. Miquels Fall ist und was man Angesichts seiner geistigen Frische, von der der viel jüngere Herr Richter alljährlich schmerzliche Proben davon trägt, bei ihm leicht vergißt. Er pflegt gern zu sagen: »Mein Stecken steht hinter der Thür", vorläufig denkt der thatkräftige Mann aber kaum daran, ihn zum Weggange zu ergreifen. Die Zeichner der Witz blätter mögen ohne Sorge um ihren ergiebigsten Stoff das Fest feiern, den Junggesellen ist eine taube Nuß vom WeihnachtSbaume heruntergeholt worden. Vielleicht entschädigen sie sich mit der Absetzung unseres interessanten gewesenen Gastes Li-Hung-Tschang, über die ein anderes Berliner Blatt jetzt Tag für Tag viel Merkwürdiges berichtet. Man weiß aber nicht reckt: geschieht die«, weil der Wiedererlanger der gelben Reitjacke wirklich in Ungnade gefallen ist, oder erscheint er gestürzt, weil gerade ein Reporter jener Berliner Zeitung sich in China be findet und dabei doch auf die dem Verleger hieraus er wachsenden beträchtlichen Kosten kommen muß. Nicht alle „Rechercheure" haben Nebenverdienst, so daß sie sich mit 5000 Gehalt begnügen können. Eine dritte Tonne werfen freisinnige Blätter den politisch darbenden Walfischen hin. Die Pantsche Regierung will — wir haben das gemeldet — die Zölle für Rohstoffe, sowie für gewisse Nah.rungs- und Gebrauchs mittel abschaffen, die für Wein, Spirituosen und Tabak erhöhen, endlich eine Einkommen- und Vermögenssteuer einführen. Der Freisinn fühlt durch diese Pläne seine Hoffnung „er starken", baß auch Deutschland deu Uebergang zum Frei handel wieder anstreben werde. Das ist aber eine HossnungS- scligkeit, die nur durch die Feststimmung erklärt werden kann. Einmal ist es sehr ungewiß, ob die Vorschläge der dänischen Regierung Gesetz werden, die Volksvertretung hat da mit zureden. Und wenn auch, so werden wir in Deutschland aus Gründen, die der Statistik entnommen sind, in der Zoll politik wahrscheinlich mehr auf Frankreich und die Vereinigten Staaten sehen, als auf das nicht viel mehr als zwei Millionen Einwohner zählende Dänemark. Uebrigens: wenn dieses Land die Tabaksteuer und den Zoll auf Spirituosen erhöbt, so ist das „nachahmenswerth"; wenu aber bei uns dergleichen geschehen soll, so klagt der Freisinn, dem armen Manne werde sein Gläschen und sein Pseifchen genommen. Und auch gegen die jetzt belobte Reform der Einkommensteuer und gegen die Einführung der Vermögenssteuer in Preußen haben die Freisinnigen tapfer gestritten und gestimmt. Wir wünschen ihnen als Festgeschenk einen etwa« unbefangeneren Blick. Mit einer vergoldeten Nuß glaubt sich das Eentrum bei dem jetzigen Re ichSregi mente vor dem Feste insinuiren zu können; die ultramontane Presse stellt ihm das Zeugniß des Wohlverhaltens aus und giebt ihm die Versicherung, Herr I)r. Lieber und Genossen hielten eS für „viel bester und dem Gemeinwohl dienlicher, als das BiSmarck'sche Regiment der Verhetzung, der Verfolgung und Vergiftung des Volks lebens". Wenn die Bundesregierungen in dieses Angebinde sich theilen sollen, so wüsten sie es zerlegen, aber bei dieser Procedur kann nichts zu Tage kommen als Würmer und Wurmmchl. Von letzterem hat die lebendige klerikale FractionSmühle in den letzten Monaten Erkleckliche- geliefert. Ehe der Reichs tag zusammentrat, kam der Lieber'sche Prolog in Aschaffen burg, wo er der preußischen Krone „gegen den Fürsten Bismarck" mit einem derartigen Nachdruck sich und seine Leute als „Prätorianer" anbot, daß alle nationalgesinnteu Kreise und di« Regierung von einem merkbaren Grause» geschüttelt wurden. Als der Reichstag zusammentrat, wirkte daS Eentrum kräftig mit, die I u st i z n o v e l l e in den Papierkorb zu befördern, indem es dem SchaffenS- drange seiner Juristen einen zerstörenden Spielraum gewährte. Der neue Colonialdirector und der KriegSminister wurden ohne Roth im Reichstag an gefahren. Als die Tausch-Lützow-Asfaire kam und nach vielen Tagen endlich die Frage nach dem „Hintermann" und die fortwährenden, aus der Luft gegriffenen Ausstreuungen von Regierungskrisen durch den „ReichS-Anz." erledigt wurden, kamen führende klerikale Blätter hinterdrein gehinkt und murmelten von einer allgemeinen Krisis in der Negierung. Gleichzeitig waren es klerikale Organe, welche mit der ausdrücklichen Berufung auf klerikale parlamentarische Duellen die Oeffentlichkeit mit Mit theilungen des Kriegsministers in der Budget commission beunruhigten, obwohl Jedermann bekannt war, daß Mittheilungen des Kriegsministers nur unter Voraus setzung einer ehrenhaft strengen Geheimhaltung in der Com mission gegeben waren. Dieses Verhalten ist mit Recht vor bas Dilemma gestellt Worten: Entweder die Nachrichten sind falsch uud dann sind sie ein« sensationssüchtige Erschwerung drr Regierung-Politik, oder sie sind richtig, und daun ist es ein grober VertrauenSbruch. Nach diesen Beweisen klerikaler Unterstützungsfreudigkeit werden die Bundesregierungen am besten thun, wenn sie dem Verlangen widerstehen, die Weih- nachtsgabc des Eentrums zu verkosten. Daö von uns mitgetheilte Schreiben Ztambulotv'S, welches in dem wieder aufgenommenen Proceß gegen seine Mörder zur Verlesung gekommen ist, enthält nicht viel anderes, als was s. Zt. in ähnlicher Art auch in der „Swoboda" über Stambulow's Todesahnungen und die gegen sein Leben geplanten Anschläge zu lesen war. Es sind nur einige Namen hinzugefügt. Christo Zachariew und die beiden Stanischew werden als die Hauptbelastungszeugen genannt. Ihre Mittheilungen sind an Slawkow und Luka - now, Vertraute Stambulow's, gemacht worden. Es wird entscheidend sein, ob sie diese Mittheilungen, deren Umfang die Zeilen Stambulow's nicht genau erkennen lasten, vor Gericht zugeben werden. Daß Stambulow von der Richtigkeit dessen, was er geschrieben hat, überzeugt war, kann nicht be zweifelt werden. Slawkow und Lukanow hatten auch kein Interesse, Stambulow Unwahrheiten zu sagen. Ob sich das selbe von Zachariew uud den Stanischew behaupten läßt, steht noch dabiu. Zachariew war Beamter und der Schuldner von Slawkow. Man könnte vielleicht annehmen, daß er, der Slawkow's Nachsicht bedurfte, zu diesem so gesprochen hat, um die Nachsicht zu erlangen, was seine Glaubwürdigkeit verringern würde. In welchem Verhältniß die Stanischew zu Lukanow standen, muß noch aufgeklärt werden; es scheint, daß auch hier eine gewisse Abhängigkeit vorhanden war. Stambulow's Verdacht bewegte sich auf derselben Linie, wie seinerzeit der Anklageact des Staatsanwalts. Stambulow fügt noch hinzu, daß Natschewitsch, der frühere Minister und jetzige Bürgermeister von Sofia, mit Tüfektschiew gemeinsam gearbeitet, daß Petrow, der jüngst entlaßene KriegSminister, um den Anschlag gewußt habe u. s. w. Zeugen aussagen giebt der Brief nur in Bezug auf Natschewitsch; das andere war freilich Stambulow« feste lleberzeugung, die sich auf sehr naheliegende Combinationen stützte; Andeutungen, wo ein Beweis zu suchen wäre, giebt der Bries nicht. Stambulow und Natschewitsch waren die erbittertsten persönlichen Feinde; sie hielten sick gegen seitig zu Allein für fähig und verbreiteten diese Auf fassung von einander sehr eifrig. Ueber das Entstehen der vielfach laut gewordenen Behauptung, Fürst Ferdinand habe von den gegen Stambulow geplanten Anschlägen Kennt- niß gehabt, was Stambulow sich nicht scheute auszusprechen, wird die Gerichtsverhandlung wohl kein Licht verbreiten. Jni Ganzen ist die Aufzeichnung Stambulow's ein höchst bemerkens- werlhcr Beleg für die Seeleustimmung dieses merkwürdigen ManneS, für die Abgründe von Haß, die zwischen den bul garischen Politikern klaffen. Mag Stambulow's Schuldbuch auch recht dunkle Seiten gehabt haben, seinem Lande hat er, wie wir oft ausgesührl und wie auch die „Köln. Ztg." mit Recht hervorhebt, große Dienste erwiesen, und den an ihm verübten schnöden Mord nahm die öffentliche Meinung als einen Faustschlag in daS Gesicht Europas auf. Aus den Mittheilungen, welche der sceben von seiner Mission nach AdessinitN nach Kairo zurückgekehrte Msgr. Macarius gemacht hat, geht hervor, daß Menelik sich mir einem neuen weitgreifenkeu Plane trägt, daß er nämlich einen Vorstoß nach Westen machen will. Dies geschieht zweifellos auf russisch-französischen Antrieb. Aber eine gewisse, auch moralische Berechtigung für das Unternehmen liegt insofern vor, als seinerzeit der Negus Johannes von dem Mahdi, oder genauer, von seinem Nachfolger, den Khalisa Abderhaman, geschlagen und von der Verbindung mit dem Nil völlig zurückgedrängt wurde. Es ist also nur natürlich, wenn jetzt, wo daS Reich der Derwische wieder zu zerfallen droht, der Nachfolger des Johannes sich einen Antheil an der Beute zu sickern sucht. Abessinien wäre aber in dem Kampfe um den Sudan ein durchaus nicht zu unterschätzender Factor. Die Leute Menelik's verfügen Dank den eifrigen Bemühungen seiner französischen und russischen Freunde über vortreffliche Waffen, und eS verfügt der Negus gegenwärtig über eine Macht von etwa 200 000 Köpfen. In der Ansammlung eines solchen Heeres liegt für einen abessinischen Fürsten nicht allein eine Verlockung, sondern geradezu eine Art Zwang zu weiterem kriegerischen Vorgehen, da einmal die Ernährung eines solchen Heereö im Lande selbst unmöglch ist, andererseits es bei den Verhältnissen des Landes sehr schwer ist, die FeuNleton Um die Weihnachtszeit. 7s Novelle von Anna Gnevkow. Nachdruck rkrtstei-. Am Abend des Tages, an dem die alten, lieben Möbel ihre» Platz in der neuen Wohnung gefunden, das Bild deS VaterS von der gewohnten Stelle über dem Sopha herab blickte, das Grün der beiden Topfpflanzen sich wie sonst in den Fensternischen herabschlängelte, hätten die Frauen mit keinem Könige der Welt tauschen mögen. Alle Mühen und Entbehrungen, die sie sich auferlegt, um die Zeit zu über stehen, bis Ella das Examen gemacht, waren vergeßen, und lebhaft stand nur der Dank für Gott im Herzen, daß da« Mädchen, wohl auch eine Folge der vorzüglichen Zeugnisse, die eS erhalten, eine Stelle als Lehrerin an der Privalschule in Nciusseld bekommen. DaS war ein großer Schritt vor wärts auf der Babu deS Lebens. Frisch und freudig ging sie ans Werk. Sie lieble die Kinder, der Umgang mit ihnen machte ihr Freude und dir übrigen Lehrer und Lehrerinnen traten ihr mit Achtung und Freundlichkeit entgegen. Licht und hell hätte fick ihr Leben unter den bescheidenen aber gesicherten Verhältnissen wahrscheinlich auch weiterhin abgespielt, wenn sich ibr nicht eine neue Storung genaht, und zwar in Gestalt Reinhold Weilers, der sich den Frauen, trotz ihrer sichtlichen Abneigung, wieder genaht, als Ella aus Waltersdorf zurückgekehrt, und der den Weg von Meibura nach Reinsfeld nicht scheute, um sie mehr, als eS ihnen lieb war, aufzusnchen. Er hatte seinen Plan, daS Mädchen, da« er leiden schaftlicher denn je zu lieben glaubte, noch für sich zu ge winnen, jetzt auf einer anderen Basis erbaut; er wollte ihren Ruf systematisch untergraben, da- heißt, er wostte sie mit sich selbst ins Gerede bringen, um sie dann als sichere Beute für sich in Anspruch zu nehmen. Kleine Andeutungen, ein Lächeln oder ein Achselzucken im Kreise der Bekannten genügten zuerst, dir Aufmerksamkeit der Leute auf Frau Roell und ihre Tochter, die sehr rin- gezogen lebten, hinzulenken, dann verfehlte er nicht, mit jedem Besuche wichtig zu tbun, den er den Damen ab stattete, und schließlich nahm er kleine Neckereien, die seinen Namen mit dem Ella's in Verbindung brachten, mit einer Miene entgegen, als gebe eS da unendlich viel zu verbergen und zu verheimliche». Ahnungslos lebten Ella und ihre Mutter in der trauten, kleinen Welt, die sie sich geschaffen, auch dann noch, als ihnen die Schurkerei eines Mannes Fuß um Fuß ihre- HeimS untcrmiuirt hatte. Allgemach aber zogen sich die Collegen und Cvlleginnen von Ella zurück, tauschten Blicke anS, wenn sie sich ihnen einmal nahte, hielten sie fern von jeder Besprechung, die sie sonst gemeinsam gepflogen und, waS das Mädchen zurrst für eine Laune, eine Unart gehalten, wurde ihm schließlich als ein schweigender, aber erbitterter Kampf gegen feine Existenz klar. Meine arme Mutter, — das war der erste bewußte Ge danke Ella'S und wieder tauchte in ihrer Seele der Wunsch empor, zn schweigen, zu schweigen, wie fOeS schon öfter gt- than, selbst zu ringen, und mit ihrem Geschicke fertig zu werden. Frau Roell aber, über deren Antlitz in letzter Zeit oft tiefe Sckatten gehuscht, war den Verhältnissen gegenüber nicht blind und taub geblieben und wie Ella, auS Liebe zu ihrer Mutter, ihren Kummer verbergen wollte, so hatte auch die Frau, nm ihre« Kindes willen, Eomödie gespielt und ihm stets ein heitere- Gesicht gezeigt, wenn e« au« der Schule nach Hanse kam. Vor Monden war ihr schon durch eine gefällige Nach barin die Kunde zugetragen worden, wie man über daS Ver- bältniß Weiler s zu Ella denke, ein Scherzwort ihre« Wirthe« brlehrte sie darüber, daß die Frau nicht übertrieben und von da erst batte sie einen erbitterten, aber stillschweigenden Kampf mit Reinhold begonnen, um schließlich — zu unter liegen. Mit eiserner Eonsequenz überbörte der Mann da« Verbot der Wittwe, ihr Hau« zu beirrten, mit unverschämter Zu dringlichkeit wußte er Ella'« Made zu kreuzen, wenn sie nach der Schule ging, oder von derselben kam und da er e« dann nie unterließ, das Mädchen aus dem ziemlich weiten Wege zu begleiten und mit augenfälliger Vertraulichkeit zu ihm zu sprechen, mußte sich der Schein allerding« gegen die junge Lehrerin kehren. „Sie macht sich leide, unmöglich", sagte der Direktor und er dachte schon daran, ihr in schonender Weise ihre Entlassung zukommen zu lassen, aber, ebe er sie noch aus gefertigt, kam Ella selbst nm ihren Abschied ein, der, wie sie dunkel ahnte, gleich dem Schwerte des DamokleS über ibr hing. „Ei» Jahr nur der Mühe wars, mein Mütterchen", sagte sie sanft, und Heldenbast suchte sie den Seufzer zurück- zudrängen, der ihre junge Brust schwellte, „aber, gieb acht, der alte Gott lebt noch und er wirb uns gewiß nicht ver lassen." Wie zur Bestätigung ihres kindlichen Glaubens langte am andern Morgen ein Brief einer ihrer Freundinnen an, die daS Examen mit ihr zugleich gemacht und dann mit einer deutschen Familie nach England gegangen war. Sie schrieb ihr, daß in einem Institute in Brighton, der Stadt, in der sie sick selbst aufhirlt, die Stelle der deutschen Lehrerin frei sei, daß die Vorsteherin den Ruf einer humanen, liebens würdigen Frau genösse uud Laß sie gewiß sei, Ella würde engagirt werden, wenn sie sich um die Stellung bewerben wolle. Wie nach einem Rettungsanker griff Ella nach dem Au-wcge, ter sich ihr bot, und, nachdem sie sich mit ihrer Mutter gründlich brrathen, nachdem der Vortheil, sich die englische Sprache völlig aueignen zu können, von ibr ins Auge gefaßt worden, schrieb sie an die JnstitutSvorstrherin, deren Adresse ihr von der Freundin mitgcibeilt worden. Ehe sie noch die Bestätigung ibreS Abschiedsgesuches in Reinsfeld erhalten hatte, hielt sie die EngagementSzusage für Brighton schon in Händen. Gan» in der Stille wurde der leine HauSbalt aufgelöst. Fran Roell ging nach der Haupt- tadt zu ihrem Bruder und, als Reinbold Weiler eine« TageS ehr sicgeSgrwiß die Thür zu Frau Roell « Wohnung öffnete, karrte ihm ein fremde« Frauenzesicht entgegen, und eine charfe Stimm« erklärte auf seine Frage nach der Wittwe und ihrer Tochter, daß sie nicht wisse, wo die Damen geblieben und daß sie mehr zu thun habe, al« sich um anderer Leute Angelegenheiten zu kümmern. Und wieder war e« »in traurige« WeibnacktSsest, da« die beiden Frauen im Gefühle de« naben Abschied« mit einander verlebten, denn unmittelbar nach den Feiertagen ruhten di« Hände von Mutter und Tochter, als sie aus dem Perron deS BahngebäudeS standen, zum letzten Lebewohl fest ineinander, und der thränenumflorte Blick de« Mädchens suchte noch vom Waggonfenster au« immer wieder die geliebte Gestalt der Mutter. Plötzlich entglitt aber Ella's Lippen ein kurzer Laut, denn, angezogen von den Blicken, die fest auf ihr ruhten, sah sie an der greisen Frau vorbei und auf die Gestalt eines hochgewachsenen Mannes, dessen Augen fest an ihrem Antlitz hingen. Hoch aufatbmend sank sie m die Kisten des Coupös, und als der Zug sich langsam in Bewegung setzte, preßte sie beide Hände vor die brennenden, thränenvollen Augen. Verlassen stand ihr Mütterchen aus dem Perron, sie wußte eS, wußte eS auch, daß Frau Roell erwartete, ihre Tochter noch einmal zu sehen, von ihr noch einen Gruß zu erhalten, aber, jetzt konnte, jetzt wollte sie eS nicht, denn er stand ja dicht dabei, dicht bei ihrer Mutter, er, der Re- gierungSrath Below, den sie von Grund ihrer Seele aus zn hassen meinte. Stunde um Stunde verging. Ella konnte die Erinnerung an die letzten Minuten in der Hauptstadt nicht verwischen. Immer sah sie die zarte Gestalt, das bleiche,- vergrämte Gesicht ihrer Mutter neben der kräftigen Figur, dem männ lichen Antlitz deS RegierungsratheS, und dann schob sich an die Stelle ihrer Mutter Reinhold Weiler s Gestalt, und mit glühenden Wangen suchte sic beide Männer zu vergleichen, bei beiden Züge von Erbärmlichkeit und Schlechtigkeit herauSzusinden. WaS ihr aber bei Reinhold so leicht fiel, zu entdecken, was so offen bei ihm zu Tage trat, die ganze Niedrigkeit seines Charakters, bei dem RegierungSrath wußte die »»klagende Stimme ibres Innern doch nur von Herzenskälte zu sprechen, und Rath Below wäre sicher dem Negierungssccretair Weiler sehr dankbar gewesen, wenn er um da« Relief gewußt, daS ihm dieser abgab. Davon wußte der ernste Mann aber nicht«, der da« junge Mädchen so ehrerbietig gegrüßt, als habe er eine Königin vor sich; er sah dem Zuge nur so lange nach, bi« er davon gebraust war, und wandte s ch dann der alten Dame zu, die noch immer regungslos auf der Stelle stand, wo sich ihr Kind von ihr gewandt. „Ihr Fräulein Tochter verläßt Sie auf lange?" fragte er ohne Umschweife, nachdem er sich ganz so pedantisch verneigt, wie dir- sonst feine Art gewesen, und in die verwundert zu ihm aufblickenden Augen drr Frau schauend, fügte er hinzu: „Ich kenne Fräulein Roell schon seit lange, reiste einmal in der Post mit ihr nach Meiburg, habe sogar während drr stundenlangen Fabrt mit ihr allein das kleine Coups vorn beim Kutscher getheilt." Frau Roell zuckt« zusammen; sie erkannte jetzt den Mann
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