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01-Frühausgabe Leipziger Tageblatt und Anzeiger : 29.12.1896
- Titel
- 01-Frühausgabe
- Erscheinungsdatum
- 1896-12-29
- Sprache
- Deutsch
- Digitalisat
- SLUB Dresden
- Lizenz-/Rechtehinweis
- Public Domain Mark 1.0
- URN
- urn:nbn:de:bsz:14-db-id453042023-18961229017
- PURL
- http://digital.slub-dresden.de/id453042023-1896122901
- OAI-Identifier
- oai:de:slub-dresden:db:id-453042023-1896122901
- Sammlungen
- LDP: Zeitungen
- Bemerkung
- Bindung fehlerhaft: Seiten in falscher Reihenfolge
- Strukturtyp
- Ausgabe
- Parlamentsperiode
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- Wahlperiode
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Inhaltsverzeichnis
- ZeitungLeipziger Tageblatt und Anzeiger
- Jahr1896
- Monat1896-12
- Tag1896-12-29
- Monat1896-12
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Die Morgrn-Au-gobe erscheint um '/,? Uhr. die Abend-Ausgabe Wochentags um b Uhr. Hrdactiou «n- Erpeditto»: Hotz<m»r««affe 8. Die-xpeditio« ist Wochentag» oaunterbroche» -«öffnet von früh 8 bis Abend« 7 Uhr. Filialen: Vito Nlemm « Sarit». (Alfred Hab«). Universttätöstrabr 3 (Paulinum), Louis Lösche, Katharknenstr. 14, Part, und König-Platz 7. Bezugs-Preis Gl Hör Haupterpedition oder den im Stadt- bazirt und den Vororten errichteten Au«, «»esteven abgeholt: vierteljährlich^«.«), bei »weimaltaer täglicher Zustellung ins Hau« KHO. Durch die Post bezogen für Deutschland und Oesterreich: vierteljährlich «ch Direkte täglich» Krruzbaadirndung tu« Ausland: monatlich ^li 7.bO. Morgen-Ausgabe. MipMcr Tagtbiall Anzeiger. ÄintsUatt des Löuigttcheu Land- nnd Amtsgerichtes Leipzig, -es Rathes nnd Notizei-Ämtes -er Lta-t Leipzig. Auzeigen-Prei- die 6 gespaltene Petitzeite SO Psg. Aeclomen unter dem Redactionesirich l«ge- spalten) ö0>H, vor den Familiennachrichien lb gespalten) 40/H. Größere Schriften laut unserem Preis- verzeichnih. Tabellarischer und Ziffernjatz nach höherem Taris. tkrtro-Veilage» (gefalzt), nur mit der Morgen »Ausgabe, ohne Postbrsorderung M—, mit Postbesöiderung ./L 70.—. Iinnahmeschlnß für Anzeige». ?lb end-Ausgabe: Vormittags lO Uhr. Morgen-Ausgabe: Nachmittags 4 Uhr. Bei den Filialen und Annahmestellen je eine halbe Stunde früher. Anzeigen sind stets an die t-rpeditioil zu richten. ——2—0- — Druck und Verlag von L. Polz in Leipzig. «59. Dienstag den 29. December 1896. 99. Jahrgang: Äus -er Fest-Woche. 6 Im Geltungsbereich deS gregorianischen Kalenders hat die Politik während der drei Festtage vollständig geruht. Eine Ausnahme machte nur Südafrika, von woher Herr Cecil Rhode«, fast genau ein Jahr nach dem Einfall seines Compagnon« oder Eommi« Iamrson in Transvaal, sich wleder einmal aufhetzend vernehmen ließ. Das englische Parlament muß sich im Lichte der in Port Elizabeth gehaltenen Rede deS großkaufmännischen Poli tikers erhaben Vorkommen. Der Mann befindet sich auf der Reise nach England, um sich dort wegen des Raubzuges von einer parlamentarischen Commission vernehmen zu lassen, und ist gewiß, seine Lage nicht zu verschlimmern, wenn er vorher seine „Richter" ob ihrer „salbungsvollen Rechtschaffen heit" verhöhnt. Die hervorragendste Nationaltuaend der Engländer ist mit diesem Ausdruck ja vortrefflich bezeichnet, aber da Heuchler gegen keinen Vorwurf empfindlicher sind als eben gegen den der Heuchelei, so verdient der Mulh des Herrn Rhodes doch einige Bewunderung, zumal da er selbst in Südafrika Brutalität uud Salbung so glücklich zu ver einigen gewußt hat, wie es nur je einem Lands mann im Mutterlande gerathen ist. Die Waffen der eben zu Feindseligkeiten iibergegangenen Einwohner von Belschuanaiand lassen sich nun freilich nicht mit englischen Redensarten „salben", will sagen „einseifen", und daher mag Rhodes, so beiter dem entgegenschauend, maS ihm in England bevorstehl, nicht ohne schwere Sorgen um bas reisen, was er hinter sich läßt. Die „Nordd. Allg. Ztg." ist unmittelbar vor dem Feste mit einer „Die nationale Phrase" überschriebenen Betrachtung hervorgetreten, von der manche Theile in einem Welfeublatte, andere in einer lediglich der Muckerei dienenden Zeitung nicht hätten auffallen können, die aber, in einem Organ der preußischen und deutschen Regierung angeftellk, Kopfschütteln erregen mußte. Manches in dein Artikel ist zutreffend, eine Bemerkung sogar zeitgemäß. Diejenige nämlich, die sich gegen die nicht geringe Zahl der Geschäfts patrioten richtet, die mit dem naiionalen Gedanken Handel treiben, vielleicht nur, weil in der Social demokratie, in der reinen Agrarpartei, bei den Anti semiten und anderen privatwirlhfckaftlich exploitations fähigen Richtungen die Verkaufsbuden alle vergeben sind. Es ist auch nichts gegen den Protest einzuwenden, den daS Berliner Blatt dagegen erhebt, daß in der Literatur das Verdienst der Nation an der Einigung Deutschlands auf Kosten der Fürsten über Gebühr herauSgestrichen werde. Die Nothwendigkeit, dergleichen in diesem Augen blick auszusprechen, hat die „Norddeutsche Allgemeine Zeitung" allerdings nickt ersichtlich zu machen gewußt, ebenso wenig in Bezug auf den folgenden Satz: „Wenn der politisch gebildete Deutsche heute von nationaler Gesinnung spricht, so kann er damit nichts Anderes meinen, als die Summe jener dem deutschen Volke in seiner gegenwärtigen Umgrenzung eigeuthümlichen politischen Bestrebungen, deren Grundzüge in der Reichsverfassung ihre Verkörperung und ihren sichtbaren Ausdruck gefunden haben." Unnöthig, wie gesagt, aber buchstäblich richtig bemerkt. Aber diese Unumstößlichkeiten bilden nur die Ein leitung und die cuMtio twuevoloutiae für einen sehr selt samen Vorstoß. Nachdem sie von „revolutionairen" nationalen Theaterstücken und Lebensbeschreibungen gesprochen — gemeint sind anfcheinend Stoffe aus den Befreiungskriegen — fährt die „Nordd. Allgem. Ztg." fort: „Ganz zu geschweige» der bedauerlichen Mißhandlung der deutschen Geschichte vom „nationalen" Standpunkt aus, die theilweise auch in die Schulen eindringt und dort unendlichen Schaden anstiften muß. Wenn in den unteren Classen der Schulen, wenn Kindern unter vierzehn Jahren nicht begreiflich gemacht werden kann, daß König Ludwig von Bayern voll- kommen im Recht mar, den Brave» seiner Armee, die im russischen Schnee begraben lagen, — uero pereouiui — die In schrift zu widmen: „Auch sie starben für das Vaterland", nun, so lasse man eben die neuere Geschichte Bayerns und Württem bergs aus der norddeutschen Kinderstube fort. Die Schule wird nichts verlieren, wenn z. B. etwas mehr Evangelium — so wie es wirklich lautet, in Luther'scher Ueber- tragung — an die Stelle gesetzt wird. Her bayerische oder wnrttem bergische Officier hat aber ein in der monarchischen Verfassung des deutschen Reiches begründetes Recht, zu verlangen, daß, soweit der Einfluß der Reichsbehörden reicht, keine Geschichts darstellungen zugelassen werden, in welchen aus Grund des revolu- tiouairen Nationalismus Soldaten und Lssiciere, welche, dem Gebot ihres Kriegsherrn getreu, einer Fahne folgten, durch die sie zeit weilig von der schwarzweißen geschieden waren, wegen der Treue, die sie dem geschworene» Eide bewahrten, uud wegen ihrer Hingabe an die dienstliche Pflicht gebrandmarkt oder lächerlich gemacht werden." WiralsnichtpreußischesundunsererbundeSversassunqömäßigen Correctheit bewußtes Blatt können nicht umhin, dieseDarlegnng als eine sehr unglückliche zu bezeichnen. Es ist bisher nicht bekannt geworden, daß in preußischen Schulen deutsche Ossiciere und Soldaten der RheinbundSarince gebrandmarkt oder lächer lich gemacht worden sind. Wenn die „Nordd. Allg. Ztg." von Fällen dieser Art Kenntniß bat, so hätte sie sie näher bezeichnen sollen, aber nicht in Sachsen, Bayern, Württemberg die ganz gewiß unrichtige Vorstellung erwecken dürfen, solche Ruchlosigkeiten bildeten eine Institution der preußischen Schulen. Wäre das Blatt so verfahren, dann hätte es sick auch jene allgemeinen Betrachtungen sparen können. Die schießen Uber das Ziel hinaus. Gewiß, die in Rußland untergegangenen Bayern haben Ansprach auf die wärmste patriotische Sympathie, auf wärmere als die 1807 nnd 1809 von französischen Kugeln gciödteten Preußen und Oesterrricher, denn diese starben den glücklichen Soldaten tod, jener Schicksal aber war ein tief tragisches, sie sielen als gezwungene Opfer einer fremden Politik, die nicht etwa nur in Deutschland als Ganzem, bei den Schwarz-Weißen und Schwarz-Gelben, sonder» auch in der eigenen bayerischen Heimatb al« eine von Fürst und Volk fluchwürdige empfunden war. Die ihnen von Ludwig I. gewidmete Inschrift stellt den Sachverhalt nicht richtig dar und man hat dies, was dem überdelicaten Berliner Regierungsblatte hiermit gesagt sein soll, in Bayer» selbst gefühlt und in bayerischen Schulen diesem Gefühl Ausdruck gegeben. Daß heute über dergleichen Dinge nicht nothwendig mehr geredet zu werden braucht, ist unter der Voraussetzung zuzugeben, daß auch von der anderen Seite auf das, was einem nationalen Bundesstaate noch thut, Rücksicht geübt wird. Wenn dies nicht geschieht und ein Theil der bayerischen Presse forcirt, nicht ohne überall in höheren Kreisen Miß fallen zu erwecken, das Geaenthril, so hat doch ein Berliner Regierungsblatt nicht die Aufgabe, Preußen als im Angriffs kriege gegen die patriotischen Traditionen der süddeutschen Bundesstaaten hinzustellen. Die „Germania" hat endlich die Sprache wieder ge funden, um Uber den von CentrnmSabgeordneten verschuldeten groben V ertrauen S bruch in Sachen der angeblich ge planten Artillerievorlage etwas zu sagen. Das Blatt meint, diese Vorlage sei schon früher in Zeitungen signalisirt worden, die CrntrumSmeldung sei also keine Indiskretion. Diese Folgerung macht dem jesuitischen Wollen der frommen Zeitung mehr Ehre als ihrem jesuitischen Können. Wenn Blätter, die etwa« läuten gehört zu haben glauben, der Oessentlichkeit heikle Meldungen austischen, so handeln sie zwar auch ohne das Gefühl publicistischer Ver antwortlichkeit, sie machen sich aber nicht des Mißbrauche einer osficielle» Stellung, wie es die eines Abgeordneten ist, schuldig. Ob eine Artiüeriereforin in Sicht war und ist, bleibt für die Beurtbeilung der Centrumsleute heute gleickgiltig. Maß gebend ist allein, daß der Kriegßminister derCommission seine Mit tbeilnng im Vertrauen und unter der Voraussetzung ehrenhaften Stillschweigens gemacht hat und aus dem Ccntrum heraus diese Ehrenpslicht verletzt worden ist. Erwägt man, daß es sich dabei nm eine Frage der Sicherheit des deutschen Reiches handelt, und ferner, daß als der Urheber der „Indiscretivn" in der Presse unwidersprochen Herr Fusangel genannt wird, so behält die Sache ihre über die Artillerie- und die Ehrenfrage hinanSreichente politische Bedeutung. Denn Herr Fusangel ist der deutsche Patriot, von dem das Wort her rührt, ein Rheinländer verrathe mit preußischer Gesinnung nur Charakterlosigkeit. DaS Münchener Schöffengericht hat i» einem die dortigen „Neuesten Nachrichten" wegen Beleidigung des Herrn Mohr-B ah renseld zu 3 Monaten Gefängnißstrafe verurtheilenten Erkenntniß ausdrücklich auf die Eigenschaft dieses Blattes als eines der nationalliberalen Partei nicht fernstehenden Organs Bezug genommen. Selbstverständlich ist eine politische Vereinigung nicht gezwungen, sich um gerichtliche Aussprüche zu kümmern, aber die Gründe, die unseres Erachtens für eine Revision des Verhältnisses der nationalliberalen Partei zu Herrn Mohr sckon bisher ge sprochen haben, werden durch den Text ves Münchener Ilr- theils ohne Frage um einen weiteren vermehrt. Deutsches Reich. * Leipzig, 28. December. Zn der Geschäftsordnung deS Reich sgerickts für daS Jahr 1897 sind die Rechts streitigkeiten auf Grund deS Gesetzes zur Bekämpfung des unlauteren Wettbewerbs dem zweiten Civilsenat über wiesen; sonst ist eine Veränderung in der Geschäftsordnung nicht vorgenommen. 2. tt. Vertin, 28. December. Der circa 30 000 Mit- glieder zählende deutsche Werkmeisier-Berband hat an den Reichstag eine Petition gerichtet, in welcher er uni die Ausdehnung der Arbeiterversicherungsgesetze und des Unfallversicherungsgesetzes auf alle Be triebsbeamte, Werkmeister, bittet. Aus der bemerkens wertsten Petition theilen wir folgenden Passus mit: „Wir stellten fest, daß die Handhabung der Novelle vom 10. April 1892 weit größere Ausdehnung angenommen hat, als ursprünglich angenommen werden konnte; denn cs wurde uns von 500 Werkmeister-Bezirksvereinen die Angabe gemacht, daß 1200 ihrer Mitglieder aus den gesetzlichen Casscn ausgeschlossen worden seien, nachdem ihr Einkommen die Höste von 2000 Mark erreicht statte. Diese Zahl bleibt jedoch noch weit hinter der Wirklichkeit zurück, weil die 90 000 Mitglieder des deutschen Werkmeister-Ver bandes nur einen kleinen Theil der Betriebsbeamten, welche daS Gesetz betroffen hat, darstellen, auch vermochten einige unserer Bezirksvereine die genaue Anzahl der Ausgeschlossenen noch nicht festzustcUen, es stehen daher weitere Aussckluß- meldungen in Aussicht. 2n allen Fällen wurden den Aus geschlossenen und deren Angehörigen die durch große Geld opfer erworbenen Anrechte kurzer Hand entzogen. Den meistens zu alt gewordenen Personen ist damit die Möglich keit abgeschnitten, noch in freien Hilfscasseu und dergleichen Versicherungen Aufnahme zu finden. Die Begründung genannter Gesetzesbestimmungen besagte, daß den mit 2000 und höher salarirten Betriebsbeamten die Möglichkeit ge boten sei, sich durch Entnahme einer Privatvrrsickerung resp. Beitritt zu privaten Cassen für Krankheit--, Unfall- und InvalidilätS Schäden selbst zu versichern. Ihr Ausscheiden aus den ZwangSversichcrungen fußt somit auf der Annahme, daß ein Jahreseinkommen von 2000 ausreichend sei, um entweder „Selbstversicherung" zu übe», daher ebne Ver sichernngen den wirtstschaftlichen Schäden, welche Kranksteil im Gefolge haben, zu begegnen, oder aber bei Privatgesell sckaftcu gegen entsprechende Jahresprämien Deckung ru suchen. Wir erlauben uns, einen hohen Reichstag darauf aufmerksam zu machen, daß bei dem heutigen Geldwerthe ein Jahres einkommen von 2000 keineswegs die Möglichkeit gewährt, neben der zur Versorgung einer Familie erforderlichen Auf wendungen auch noch die hohen Prämien für eine private Versicherung zu erschwingen." * Berlin, 28. December. Bor Kurzem wurde unter der Mitwirkung des O>. von Hausemann-Pempowo eine Orts gruppe des Vereins zur Förderung des Deutsck- tstums in Iulroschin, Kreis Rawitsch, begründet. Ter Genannte erhielt hieraus aus der benachbarten Stadt Görchen einen polnischen Brief, welcher in der Uebersetzung der „Berl. N. N." lautet: „Herr! Schw . . .! Die in dem Augenblick versammelten Polen sprechen Dir unter dein Eindruck Deines Wirkens in Jutrojchi» ihr tiefes Bedauern darüber aus, daß Du, erzogen nnd erwachsen auf polnischem Boden (?), durch die schwere nnd billige Arbeit des polnischen Arbeiters be reichert, die Verdienste dieser Leute nicht anzuerkennen verstehst und auf eine eines ToclorS unwürdige Art den materiellen Ruin Deiner Ernährer erstrebst, Wir erachten dies als eine geistige Anomalie und flehen inbrünstig zu Gott, damit Er Dich, o Herr, von dieser Krankheit Hellen möge. In der Hoffnung, daß Du in Bälde ein vernünftiger Bürger des Großherzogthums Pofen sein wirst, über senden wir Dir den Ausdruck unseres aufrichtigen Mitgefühls und Schmerzes." Das genannte Blatt bemerkt zu diesem Erguß: „Wenn wir dieses von dem Gaslhvssbesitzer Kollat und fünf anderen Polen unterschriebene läppische Machwerk hier niedriger hängen, so geschieht es lediglich zur Beleuchtung des aufstrebenden städtischen Mittelstandes uuyrr den Polen. Dieser polnische Mittelstand verdankt seine EutftebNng lediglich der systema tischen Propaganda der polnischen Geistlichkeit, welche ihm in den Vereinen die Kundschaft zutreibt und in den Darlehens- geiiossenfchastcn einen schrankenlosen Credit verschafft. Kein Wunder, wenn dieser sich vom nationalen Chauvinismus er nährende Stand in seiner Feindschaft gegen alles Deutsche noch viel weiter geht als der polnische Landadel und der Bauernstand. Als kennzeichnend für die Gesinnung dieses Mittelstandes wird immer jene Aeußerung gelten dürfen, welche eine seiner „Blüthen", der Bankdirector KuSztelan aus Posen, auf dem Lemberger Congreß im Jahre 1894 kbat, „daß Zeder, der in der Provinz Posen das Brod esse, über kurz oder lang Pole werden müsse". Daß diejenigen Deutschen, welche einer derartigen Anschauung öffentlich entgegenarbeiten, hierfür von polnischer Seite unversöhnlichen Haß ernten, ist nicht zu verwundern. Nur sollte nicht vergessen werden, daß jener Haß sich wohl an einzelnen Personen ausläßt, im Grunde aber dem preußischen Staate und dem bewußten Deulschtbum gilt, uud daß es deshalb ein verbängnißvoller Fehler war, als kürzlick der Staat durch Gewährung des CreditS der Centralgenoflen schaftScaffe den in bewußt deutschfeindlicher Weis« geleiteten Klamer Schmidt. Zur 150. Wiederkehr seine» Geburtstage». Bon vr. Max Mendheim. Auf HochzeitSsesten hört man wohl zuweilen heute noch eine altbekannte Melodie spielen und vielleicht auch hier und da die Worte dazu singen: „Und als der Großvater die Großmutter nahm, Da war der Großvater ein Bräutigam, Und di, Großmutter rin« Braut." Mehr als diese eine Strophe aber wird man schwerlich zu hören bekommen, und daß gar Jemand sagen könnte, wer denn wohl der Dichter diese«, noch um die Mitte unseres Jahrhunderts weithin bekannten Liedes sei, das wird noch viel seltener vorkommen. Der war sckon vergessen, als vor 50 Jahren noch mehrere seiner Lieder im Munde deS Volkes waren, und doch ist die Zahl seiner Dichtungen eine so große gewesen, daß noch seine „auserlesenen Werke" drei stattliche Bände füllen, und doch war er in den siebenziyer, achtziger und neunziger Jahren des vorigen Jahrhundert« m vielen von den damals so beliebten Blumenlesen und Musenalmanachen zu finden. Aber wie ihm, so ist eS Hunderten seiner Genossen von der Dichterzunfl ergangen. Ein Lied oder ein paar, zu denen ein glücklicher Componist eine leicht sangbare Melodie geschaffen bat, haben sick im Munde deS Volkes noch Jahr zehnte lang erhalten, während de« Dichter« Name wie Schall und Rauch dem Gedächtnisse entschwunden ist. Und auch wenn wir den Name» nennen, wenn wir von dem oben an geführten Liede sagen, daß sein Verfasser Schmidt geheißen, Klamer (Clamor) Eberhard Karl Schmidt, oder wie er zur Unterscheidung von anderen gleichen Namen« kurz genannt wurde, Klamer Schmidt, werden noch viele unserer Zeitgenossen sich nicht erinnern, den Namen je gehört zu haben, werden ihn auch in den meisten der verbreiteten, populäre« Literaturgeschichten vergeben« suchen. Aber sind auch von seinen zahlreichen Dichtungen nur sehr, sehr wenige in den Volk«mund übergegangen, so sind doch diese wenigen lang« Zeit so beliebt gewesen, sind r« vielleicht hier und da sogar noch heute, daß e« wohl berechtigt erscheinen kann, auck von ihrem Dichter, 150 Jahre nach dem Tage seiner Geburt, wieder einmal zu reden. Klamer Schmidt wurde am 29. December 1746 in Halber stadt geboren, wo sein Vater ein kleiner Subalternbeamter war. Er besuchte da« Domgymnasium daselbst und bezog Michaelis 1764 die Universität Halle, um nach dem Wunsche deS Vater« die Reckte zu studiren. Hier wurde der zurück haltende, zaghafte junge Jurist auch bald mit dem flotten Theologen Bürger bekannt und kam durch seine kleinen poetischen Versuche auch mit anderen Kreisen in nähere Be rührung. Nach Vollendung seiner Studien, im Herbste 1767, kekrte Schmidt in seine Vaterstadt zurück, arbeitete zunächst bei den Amts- uud Majorei-Gerichten und fand bereits 1769 eine Anstellung als Secretair bei der Kriegs- und Domainen- kanimer, ward auck zugleich Administrator des Amtes der Majorei-Gefälle, Rendant der Strafcasse und Stempelcon- troleur. Natürlich konnte eS auch nicht fehlen, daß ein so eifrig thätiger Poet, wie Schmidt e« war, hier in Halber stadt alsbald mit Gleim, dem guten alten Vater Gleim, und dem um ihn geschaartrn Dichterkreise in lebhafte Verbindung kam, aber auch mit anderen, ferner stehenden Dichtern, wie Tiedge, Herder, Voß, Iran Paul und Anderen, in ein ver trauteres Verhältniß trat. Die Dichtergruppe, der Klamer Schmidt mit seinen Idyllen, Fabeln, poetischen Erzählungen, Liedern, Elegien und Poetischen Briefen zugerechurt wird, ist in der Literaturgeschichte unter dem Namen der Anakreontiker bekannt, womit die ganze Poeterei dieser Männer kurz und treffend gekennzeichnet ist. Jene kleinen, zierlichen, tändelnden Liedchen der Götz, Uz, Ewald, Geßlrr, Hymmrn, Unzrr, Schmidt und wie sie Alle beißen, mit ihrem gefühlsseligen, oft so unwahren, ruweilen auch frivolen Inhalte, waren eben in der Tbat Nachahmungen der Lieder, wie sie die unter dem Namen Anakreontea bekannte Sammlung enthielt, die zwar nach Anakreon benannt war, und deren Inhalt wie Hessen Gedichte vornehmlich dem Wein und der Liebe gewidmet ist, aber doch wesentlich von ihm abwich und mehr aus der alexandrinischen, zum Theil erst au« der römische» Zeit stammt. Diese Art Dichtungen jener neuen Anakreontiker bildeten nun in dem letzten Viertel de« 18. Jahrhundert« ein große« Continaent zu den damals so beliebten und ver- oreitetrn poetischen Taschenbüchern und Musenalmanachen, besonder« dem Göttinger und dem Bosstschen oder Hamburger, ru denen auch Klamer Schmidt sehr viele seiner Dichtungen veigesteuert hat. Von diesen sind dann zahlreiche der kleinen Liedchen in Musik gesetzt worden und haben auf diese Weise rasche und weite Verbreitung gesunden, ihrem Verfasser aber damals auch namhaften Ruhm und nicht zu verachtende materielle Anerkennung eingetragen, wurde er doch z. B. zum Hofpoeten deS Grafen zu Stolberg-Wernigerode ernannt und durfte dessen Curie in Halberstadt beziehen und vermachte ihm doch sein Gönner, der alte Gleim, testamentarisch freie Wohnung bis ans Lebensende in einem Häuschen, das nach ihm „Klamer's Ruh" benannt wurde. Trotz alledem aber ist Schmidt'« Name von der Nachwelt rasch vergessen worden, und waS sich von seinen Dichtungen bis etwa um die Mitte dieses Jahrhunderts lebendig erhalten hat, das sind einige jener kleinen Liedchen, die wegen ihrer Einfachheit manche Berührungspunkte mit dem echten Volksliede haben. Da wäre vor Allem da« nach Anakreon gedichtete, vielleicht am bekanntesten von Schmidt's Liedern gewordene: „Da lieg ich auf Rosen Mit Veilchen gestickt" zu nennen, das schon nach einigen Jahren wie so viele wirk liche Volkslieder eine andere Gestalt angenommen hatte und sich dann mit dem Texte „Hier sitz ich aus Nasen Mit Veilchen bekränzt" weiter verbreitet hat. Zu denen, die sich noch am längsten erhalten haben, gehört auch daS achtzehnstrophige, unerquick liche, mit unwahren Gefühlen kokettirende „Tie Engel Gottes weinen. Wo Liebende sich trennen!" dessen Strophen seckzehnmal mit den Worten enden: „Und du? — vielleicht auf ewig Vergißt Luisa mich! Viel hübscher und flotter dagegen ist wieder daS dem Anakreon nachgedichtete, von Bötticher componirte, daß der Tod unbestechlich sei, daS mit den Worten „Könnte Gold und Goldeswerth Diese Lebensspanne längen, O wie wollt' ich hin mich drängen, Wo da« blind» Glück bescheret!" beginnt und mit ver kecken Resignation schließt: „Alles nimmt der Tod für sich, Diesen früher, jenen später! Mit ihm mußten meine Biter; Wird er mich verschonen, mich? Drum, o Sorgen, gute Nacht! Gebt mir Becher, gebt mir Küsse, Eh' der Mann der Finsternisse Mir die letzte Rechnung macht!" In der Modetändelei, seine Bekannten in poetischen Episteln anzusingen, hat er sehr viel, aber kaum etwas Er sprießlicheS geleistet, wie ja diese Art Poesie überhaupt kaum ernst zu nehmen ist. Dagegen sei noch ein Gedicht Sckmidt's angeführt, der 12. November 1824 als Domcommisfar in Halberstadt starb, das, nach einem alten Volksliede gedickret, entschieden zu feinen besten Erzeugnissen gehört und auck den Volkston nicht übel trifft. Es ist „Der Sonntag" über schrieben und lautet: „Der Sonntag, der Sonntag in aller Früh Ter hat mir zerrissen das Herz allhie; Der hat mich uni alle meine Freuden gebracht, Und alle meine Tage voll Weinen- gemacht! Ten Sonntag, den Sonntag in aller Früh Vergißt daS sinnende Mädchen nie: Da hat mein Trauter Abschied genommen, Und ist — und ist nicht wtedergrkommen! Nun wein ich bis tief in die sinkende Nacht; Und, wenn auch der Helle Morgen erwacht, So schwindet der Tha» vor dem lieblichen Licht; Doch alle meine Lhränen sie schwinden nicht! Und ist mir nun Alle- im Hüttchen so eng; Und zieht sich der säumende Tag in die Läng'; Wohl spinn' ich und spinne, doch fördert »« nicht, Weil immer und immer da« Fädeleia bricht. Und ist mir nun Alle« so öd' auf der Welt, Und schau' nicht- darinnen, wa- mir noch gesollt, Wohl blühen die Rosen, ich brech' sie nicht ab; Bald schmückt ihr, o Rosen, mein einsame« Grab! Und seit, o mein Trauter! ich von dir bin, So liegt du mir stet« in dem Sinn! Du liegst mir in dem Herzen mein; Ich wollt» wünschen, ich könnte bet dir sein! Ich wollte wünschen, e« würde heute noch wahr, Du bvtst mir heute den Tauriag dar, So heilte die Wund' in dem Herzen allhie vom Sonntag, vom Sonntag in aller Früh!
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