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01-Frühausgabe Leipziger Tageblatt und Anzeiger : 05.05.1899
- Titel
- 01-Frühausgabe
- Erscheinungsdatum
- 1899-05-05
- Sprache
- Deutsch
- Digitalisat
- SLUB Dresden
- Lizenz-/Rechtehinweis
- Public Domain Mark 1.0
- URN
- urn:nbn:de:bsz:14-db-id453042023-18990505015
- PURL
- http://digital.slub-dresden.de/id453042023-1899050501
- OAI-Identifier
- oai:de:slub-dresden:db:id-453042023-1899050501
- Sammlungen
- LDP: Zeitungen
- Strukturtyp
- Ausgabe
- Parlamentsperiode
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- Wahlperiode
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Inhaltsverzeichnis
- ZeitungLeipziger Tageblatt und Anzeiger
- Jahr1899
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Tarif. v»,tra-Beilagen (gefalzt), nur mit der Morgen-Ausgabe, ohne Poslbesörderung 60.—, mit Postbesörderung 70.—. Anzeiger. Hmtsölatt -es Königlichen Land- und Amtsgerichtes Leipzig, -es Mathes und Volizei-Ämtes -er Lta-t Leipzig. Freitag den 5. Mai 1899. Annahmeschluß für Anzeigen: Ab end-Ausgabe: Bormittags 10 Uhr. Morgen-Ausgabe: Nachmittag- 4 Uhr. Bei den Filialen und Annahmestellen je eine halbe Stunde früher. Anzeigen sind stets an die Erpcditiali zu richten. Druck und Verlag von E- Polz in Leipzig. 83. Jahrgang. Politische Lahnen. »k. Durch die Verhandlungen der Reichsregierung mit Herrn Cecil RhodeS ist das Interesse an politischen Eisenbahnen allge mein wachgerufen. Den Sehenden freilich sind nicht erst jetzt die Augen über die Bedeutung dieses Hilfsmittels der Weltpolitik aufgegangen. Auch der Bau der großen sibirischen Bahn und nicht minder der der anatolischen Bahn verdiente und fand zum Theil auch die regste Aufmerksamkeit der Politiker. Der Bau großer Eisenbahnen durch Colonien und wirt schaftlich abhängige Länder ist in der Thal ein wirthschaftS- und weltpolitisches Rüstzeug ersten Ranges, und in den drei oben an gedeuteten Linien sehen wir deutlich die betreffenden allgemeinen Bestrebungen der drei ersten Mächte Europas verkörpert. Bei den manigfachen Erörterungen der Eisenbahnpläne für Afrika, die bei uns überall in der letzten Zeit stattgefunden haben, ist frei lich fast stets eine wichtige Thatfache vollständig übersehen. Bon politischer Seite ist sie wohl nirgends berührt, und einem naturwissenschaftlich-geographischen Forscher war es Vorbehalten, in seinen Reiseberichten vom Kilimandscharo auf diesen äußerst wichtigen Punct hinzuweisen, vr. Hans Meyer war es, der unseres Wissens zuerst mit aller Schärfe darauf hingewiesen hat, wo eigentlich diejenige Eisenbahn in Afrika zu suchen ist, die wirklich ein hervorragendes politisches Machtmittel Englands darstcllt. Dies ist einstweilen nicht die von Herrn Rhodes ge plante Nord-Süd-Bahn, sondern di« bereits vorhandene Bahn in Britisch-Ostafrika. Der Wegüber den Nil und die o st afrikanische Bahn ist ein Reserveweg Eng- landsnachJndien — das ist's, da haben wir schon heute eine politische Bahn in Afrika von nicht zu unterschätzender Be deutung vor uns. Da der Suez-Canal gar leicht durch ein „unglücklicherweise" auf Grund geranntes Schiff versperrt werden kann, der Weg über das Cap aber zu weit ist — zumal für die im Mittelmeer angesammelten Hilfskräfte — unverhältnißmäßig weit, so sucht England sich für diesen Fall einen Reserveweg frei zuhalten. Deshalb der Bau der wirthschaftlich wenig be deutenden Ugandabahn, deshalb die absolute Nothwendigkeit für England, den Obernil in sicheren Händen zu halten und den Franzosen ihr Faschoda zu bereiten. Unter diesem Gesichtspunkte gewinnen die deutschen Eisen bahnunternehmungen in Kleinasien noch mehr an politischer Be deutung, Wiewohl ihr allgemeiner politischer Werth ja schon ohnedies auf der Hand liegt. Es ist schon vor einiger Zeit in politischen Schriften (namentlich in der Broschüre: „Die Völker wanderung von 1900") darauf aufmerksam gemacht, daß Deutsch land sich hier auch so eine Art Rescrvcweg'nach Ostasien sichern muß für den Fall, daß der Suezcanal ihm einst versperrt wird. Am liebsten hätte England auch diesen Weg für sich vollständig frei gehalten, und man weiß, welche Anstrengungen die britische Regierung in dieser Richtung gemacht hat. Da es hier aber Deutschland doch endlich einmal gelungen war, England zuvorzu kommen, so fühlte England sich um so mehr zur Schaffung jenes anderen Reserveweges gezwungen. Und er i st geschaffen! Auf die sibirische Bahn, den vierten und großartigsten dieser Wege nach Ostasien, braucht an dieser Stelle nicht noch einmal eingegangen zu werden. Aber wenn wir hier neben den poli tischen Bahnen von jenem großen politischen Ranal, dem Suez- Canal, gesprochen haben, so ist es vielleicht am Platz«, auch noch kurz auf einen zweiten politischen Canal hinzuweisen, der über kurz oder lang doch einmal geschaffen werden wird und in Anbetracht der gegenwärtigen und kommenden Weltlage sicher lich nicht nur als rein wirthschaf!lich«s Unternehmen, sondern gleichfalls auch als politischer Canal betrachtet werden muß. Be kanntlich bemühen sich die Vereinigt«» Staaten lebhaft um die Schaffung eines Nicaragua-Canals an Stelle der zu Grabe getragenen Panama-Eanal-Projecte. Und mag heute auch dieser Plan officiell wieder von der Tagesordnung abgesetzt sein — er wird und muß wiederkommen, er wird es um so mehr, je mehr die „imperialistischen" Gelüste der Nordamerikaner sich be festigen und wachsen. Kommt er aber einmal zur Ausführung, so muß de: Canal naturgemäß eine große wcktwirthschaftsiche Bedeutung gewinnen. Weltwirthschaftliche Maßnahmen großen Stils sind aber von weltpolitischen gar nicht mehr zu trennen, und die Staaten, die Anlheil haben wollen an der Ausnutzung solcher weltwirthschaftlichen Unternehmungen, müssen auch mit ihrer weltpolitischen Macht zur Stelle sein. Es ergeben sich daraus allerlei Perspectiven, die wir heute nicht einmal andeuten wollen. Vielleicht findet sich später einmal Gelegenheit, etwas näher darauf einzugehen. Soviel aber ist sicher, daß wir den politischen Bahnen und Canälen in Zukunft «ine ganz besonders reg« Aufmerksamkeit schenken müssen. Sie sind ein bis vor kurzer Zeit noch kaum gekanntes Werkzeug der politischen Macht — wenn wir nicht gerade die militärischen Eisenbahnen im Staate selbst hierzu rechnen wollen, die doch eine ganz andere Stellung einnehmen — und sind berufen, in allen künftigen weltpolitischen Conflicten «ine erst« Rolle zu spielen. Wie die Jesuiten Luther in Indien verlästern. 8tr. „ Nur r« cht keck ! " so dachten kürzlich die Je suiten in Mangalur im südlichen Indien, als sie, durch neuere Er folge der dort blühenden evangelischen Mission aufgeregt, nament lich die Schüler der von den Baseler Missionaren in Mangalur geleiteten Hochschule mit ihren Tractaten beglückten und die evan gelische Mission mit den gehässigsten Angriffen überhäuften. So schrieben sie z. B. in einer ihrer Flugschriften: „Die Bibel und nur die Bibel mit dem Rechte ungebundener privater Auslegung bringt nach logischer Berechnung ihrer Schüler zu keiner anderen Moral, als der, welche der große deutsche Reformator und Pa triarch der protestantischen Reformation, Martin Luther, poetisch zum Ausdruck brachte, als er im Wirthshause „Zum schwarzen Adler" in Wittenberg unter seinen Zechbrüdern vor dem schäumenden Glase folgendes Distichon sang, welches er als Höhepunct protestantischer Sittlichkeit seinen Anhängern hinter» ließ: „Wer nicht liebt Wein, Weiber und Gesang, der bleibt ein Narr sein Leben lang." Es sind deutsche Verse, verehrter Leser, willst Du ihren kostbaren Sinn erfahren, so brauchst Du nur in der deutschen Niederlassung zu Mangalur nachzüfragen." Der beleidigende Schlußsatz, lvelcher zugleich den alten welschen Haß gegen das Deutschthum kundgiebt, wird von der Kühnheit der Erfindung noch übertroffen. Als die Baseler Missionare in ihrer würdigen und ernsten Erwiderung auch in Bezug auf das erwähnte Berschen Beweise dafür verlangten, daß es Luther vor dem schäumenden Pokale gesungen und seinen Anhängern als Höhepunct protestantischer Sittlichkeit hingestellt habe, wußte der Jesuit keine andere Antwort, als daß er sich auf seinen Gewährsmann, Or. A u d i n, berief. Dieser „klassische Biograph Luther's, der während seines Aufenthalts in Deutsch land Luther's Leben nach seinen eigenen Worten geschrieben habe", berichtet Folgendes: „Die Drucker (entlaufene Mönche) entschädigten sich für die Entbehrungen des Klosterlebens, indem sie ihr Geld in einem der Wirthshäuser, die sie in den Straßen deutscher Städte fanden, lustig durchbrachten. In Ermangelung von Pfeifen (denn der Tabak war noch nicht erfunden) labten sie sich an großen Töpfen Bier und tranken sie aus unter dem Ge sänge: „Wer nicht liebt Wein, Weiber und Gesang, der bleibt ein Narr sein Leben lang", einem der Berschen, wie sie Luther im- provisirte in den seltenen Mußestunden, die ihm der Teufel oder der Papst übrig ließen, und welches das Glück hatte, des Doctors Glauben zu überleben. Wir haben es oft am Abend auf der Terrasse des alten Heidelberger Schlosses von den Theologie- stubirenden singen hören." Der dichterischen Phantasie seines Gewährsmannes, welche durch di« Eommerslieder Heidelberger Corpsstudenten inspirirt, die Trinkgelage der Gesellen Hans Lufft's zu Wittenberg im 16. Jahrhundert zu schildern weiß, macht der Jesuit in'Mangalur die Krone streitig, er erfindet frisch weg ein Trinkgelag Luther's selbst hinzu. Wenn er weiter auS- ruft: „er müsse es ablehnen, die 98 Bände von Luther's Werken nach dem Berschen zu durchsuchen, er Hobe sic vor sich (er citirt wenigstens die Frankfurter Ausgabe 1853), aber seine Zeit könne er besser anwenden, als mit dem Durchsehen solchen Schmutzes, überdies lohne sich der gute Vorsatz nicht, denn Or. Audi» sei als Schriftsteller über jeden Tadel erhaben", so beweist dieser Ton nur den jesuitischen Mangel jedes Wahrheitssinnes. Nur recht keck! ist die Losung; die Hindu, di« es lesen, können ja die nach Janfsen's Muster gehäuften Citate nicht prüfen, aber einige 'werden doch die dargereichte Waffe gegen die evangelische Mission gebrauchen! Daß er für „Weib" den Plural „Weiber" setzt, und dadurch den Deutschen die Pariser Lüderlichkeit unter schiebt, wollen wir dem Jesuiten nicht weiter anrechnen: wie es scheint, hat das schon der famose Audin gethan. Wir wollen aber wiederholen, was längst feststeht, daß das lustige Liedchen nicht von Luther, auch nicht aus seiner Zeit, sondern aus der Zeit vor Luther stammt, und wenn wir die Phantasie des Jesuiten zu Hilfe nehmen, könnten wir manchen Bischof und Prälaten malen, in dessen Mund« die Worte mehr historische Berechtigung hätten. Der alte Johann Heinrich Voß ist schuld daran, daß das Liedch«n mit Luther's Namen in Verbindung gebracht ist; er ritirte es so 1777 im Musenalmanach, konnte aber, als er darüber zur Rede gestellt wurde, keinen Grund dafür angeben. Deutsches Reich. 6. H. Verkitt, 4. Mai. (Eine interessante Er innerung an Samoa.) S. M. Kanonenboot „Albatroß" ist bekanntlich in diesem Jahre endgiltig aus der Liste der Kriegsschiffe gestrichen. Der Wirkt. Geh. Admiralitätsrath Koch entwirft nun im Anschlüsse an diese Streichung ein hochinteressantes Bild von dem segensreichen Wirken dieses kleinen Kriegsschiffes im AuSlande. Seinem letzten Artikel in der vom Nachrichtenbureau deS Oberkommandos der Marine berauSgegebenen „Marine-Rundschau" entnehmen wir folgende bemerkcnswerthe Skizze: Am 3. December 1885 war „Alba troß" wieder seeklar, nm zunächst nach den Samoa-Inseln abzugehen, wo das alte Jntriguenspiel noch dadurch verwickelt war, daß daS Gerücht aufgebracht und geglaubt wurde, die deutsche Handels- und Plantagengesellschaft beabsichtige ihre Hesammten Interessen an Engländer zu verkaufen, und daß in der That der Vertreter der Gesellschaft, der Eonsul Weber, der ewigen Widerwärtigkeiten müde, sich mit der Absicht trug, sich ins Privatleben zurückzuziehen. So kam „Albatroß" wieder einmal gerade rechtzeitig, um daS von allen Seiten bedrängte deutsche Ansehen zu beben, und es trug hierzu vor Allem auch sein energisches Vorgehen bei, als auf Betreiben eines englischen Abenteurers, deS früheren Consuls Churchward, König Malietoa sich bewogen fand, entgegen früheren Abmachungen auf dem öffentlichen Marktplatze in Apia seine Negierungsflagge zu hissen, wäh rend der Engländer den Platz als englischen Grund und Boden in Anspruch nahm, den er vor einigen Tagen er worben habe. Auf Ansuchen des deutschen General- consulats betraute Capitän-Leutnant Graf Baudissin, der Commandant des „Albalroß", eine Bootsbesatzung unter dem Befehl eines OfficierS mit der Weisung, jene Flagge herunter zu holen. Diesen Befehl führte der be treffende Ofsicier trotz deS Protestes der anwesenden Eng länder und Amerikaner prompt aus, und das Unterbleiben jeglichen Widerstandes bewies, daß er damit daS Richtige getroffen. Es batte sich wohl bauptsächlich darum gehandelt, zu versuchen, wie weit man auf deutscher Seite die Prälen- sionen der von den beiden anderen Nationen unterstützten Malietoa-Partei würde geben lassen. Die rasche Entschlossen heit des deutschen Kommandanten bewirkte, daß in der Folge zeit das bloße Herunterlassen eines Bootes vom „Albalroß" genügte, die Malietoa-Leute zu beunruhigen, und daß sowohl der amerikanische wie der englische Consul sich bestrebten, das gute Einvernehmen mit dem deutschen Kriegsschiffe nach Möglichkeit zu fördern. /S. Berlin, 4. Mai. (Die beiden Ersatzwahlen in Hannover.) Die politische Bedeutung der Reichstags ersatzwahl in Melle-Diepholz trat bereits im ersten Wahl gange klar hervor und ist damals gewürdigt worden. Heute, da der nationalliberale Sieg durch den Ausfall der Stich wahl endgiltig errungen ist, seien die Zahlen deS Wahl ergebnisses noch einer kurzen Betrachtung unterzogen. Von 19 428 Wahlberechtigten haben in der Stichwahl 15120 abgestimmt, die Wahlbetheiligung betrug also rund 75 Procent. Gewonnen haben die Nakionalliberalen 1878 Stimmen, unter denen etwa 1200 konservative sich befinden; demnach haben die Nationalliberalen noch ca. 700 Stimmen auS ihren Reserven heranzuziehen vermocht. Der Stimmen zuwachs für die Welsen betrug 1743 Stimmen, unter denen man sehr viele Socialdemokrateu zu suchen hat. Ist doch von den Welfen der Bettel um socialdemokratische Stimmen in der erniedrigendsten Form betrieben worden. Die Mehrheit deS nationalliberalcn Kandidaten über den Welfen beträgt mit 7946 Stimmen annähernd 800. Eine so große Stimmenzahl hat ein nationalliberaler Candidat seit dem Jahre 1877 im Wahlkreise Melle- Diepholz nicht auf sich vereinigt; selbst bei der SeptennatSwahl im Jahre 1887 wurden nur 7618 nationalliberale Stimmen gezählt. Nur einmal seit dem Bestehen deS deutschen Reichstages bat ein nationalliberaler Bewerber noch mehr Stimmen erhalten: der ObertribunalS- rath Struckmann, der im Jahre 1874 9443 Stimmen er hielt. — Der Zufall fügte eS, daß am Tage der Stichwehl in Melle - Diepbolz der nationalliberale Vertreter des ersten hannoverschen WablkreiseS Norden-Emden-Leer gestorben ist. Im vorigen Jahre mit der knappen Mehrheit von 48 Stimmen den Conservativen entrissen, hat dieser Wahlkreis früher ausnahmslos den Nationalliberaley gehört. Da schon bei der letzten Wabl die Stimmen der Nationalliberalcn im Vergleich mit der Reichstagswahl von 1893 um rund 1400 zugenommen batten, so stebt zu hoffen, daß der frische Zug, den daS Auftauchen der Conservativen Vereinigung in der Pro vinz Hannover in das dortige politische Leben gebracht hat, auch bei dieser Ersatzwahl den Nationalliberalen zu Gute kommt. An Rührigkeit darf die nationallibcrale Partei im Wahlkreise Norden-Emden-Leer, im Vertrauen auf den glänzenden Wahlsieg in Melle-Diepholz, es aber nicht fehlen lassen. 8. Berlin, 4. Mai. (Privattelegramm.) Ueber das Ergebniß der Berathungen der gestrigen Versamm lung von Freunden des ArbcitcrschutzcS haben wir im Wesentlichen berichtet. Der angenommene Antrag auf Ein setzung eines provisorischen ComitsS lautet wörtlich: „Die heute im Architektenhause zu Berlin versammelten Vertreter der verschiedensten socialpolitischen Richtungen beschließen die Wahl eines provisorischen Comitös, bestehend aus 20 Mitgliedern, mit dem Rechte der Kooptation, das den Auftrag hat, sich an den Berathungen behufs Bildung einer internationalen Vereinigung zur Förderung des Arbeiterschutzes zu betheiligen und die Bildung einer nationalen Section für Deutschland vorzubereiten. Ueber die zu diesem Zwecke unternommenen Schritte ist in einer im Herbst einzuberufenden neuen Versamm lung Bericht zu erstatten." — In das Comits wurden gewählt: Staatsminister von Berlepsch, Prof. Schmoller, Prof. Sombart, Handelskammer-Sekretär Wirminghaus (Köln), Abg. Schmidt (Elber- seid), Abg. Wassermann, Prof. Hitze, Commerzienrath von Pfister (München), Landes-Oekonomie-Rath Nobbe, Prof. Ad. Wagner, Hof- Prediger a. D. Stöcker, Pastor Naumann, Abg. vr. Lieber, vr. Max Hirsch, Hugo Kamin, Commerzienrath Rocsicke (Berlin), Commerzien- rath Schmalbein (Köln), Sonnemann (Frankfurt a. M.) und Prof. Brentano (München). — Die Evangelische Jerusalem-Stiftung hat jetzt die faksimilirte Urkunde über die Einweihung der evangelischen Erlöser- kirche in Jerusalem und die Ansprache des Kaisers in zwei Aus gaben herausgegeben; die eine ist in der Größe des Originals und Die Geldheirat!). Won Karl Zahn. Mein Freund, der Maler Emil Fenchel, schwamm in einem Meere von Wonne. Seine Verlobung mit Hulda, der einzigen Tochter d«S Häuserspeculanten Kunze, war endlich perfect ge worden, unt> di« Hochzeit sollte in Kürze gefeiert werden. So wohl Hulda'« Eltern als auch Emil waren für einen nur kurzen Brautstand. Kunze'S, weil sie die nicht unbedeutenden Kosten für die Lebensführung deS Töchterchens je eher, je lieber auf die Schultern ihre» Schwiegersohnes wälzen wollten, und Emil, weil er als echter Gemüthsmensch auf diese Weise eher in den Besch der von ihm heißbegehrten Mitgift zu gelangen hoffte. Für Emil war es freilich die allerhöchst« Zeit, seine Ver hältnisse ein wenig in Ordnung zu bringen, denn er lebte mehr vom Schuld«nmachen als vom Erlös seiner Gemälde, und auf seinem Schreibtische wuchsen die Mahnbriefe zu Bergen von wahrhaft beängstigenden Dimensionen an. In der letzten Zeit hatte er jedoch durch geheimnißvolle Andeutungen von seiner be vorstehenden reichen Heirath seine Gläubiger zu einem er wartungsvollen Schweigen veranlaßt. Er hatte seine Pappen heimer richtig taxirt; in der Erwartung eines guren Geschäft gaben seine Manichäer brillante Auskünfte über ihn und seine pecuniären Verhältnisse, mit denen auch Vater Kunze sich schnell einverstanden erklären konnte. Und so wie Vater Kunze über seinen zukünftigen Schwiegersohn, so erhielt dieser über seinen Schwiegervater in »p« «in« Auskunft, die ihn vor Wonne er schauern ließ. Eines TageS war unserem Emil ein neuer Pump geglückt. Vergnügt lenkte er daher um di« Mittagszeit sein« Schritte nack> einem feinen Wein-Restaurant, um den gehabten Erfolg gebührend zu begießen. Emil hatte kaum Platz genommen, als er aus einer Ecke 'des Raumes ein halblautes Stimmengewirr vernahm, das ihm bekannt vorkam und ihn aufhorchen ließ. Täuschte ihn nicht Alles, so war das die Stimme seines geschätzten Schwiegervaters, der mit dem Wirth des Locols sprach. Er duschte. „Aber, lieber Münze!, die Bagatelle von 250 Mark, die ich Ihnen schulde, ist doch gar nicht der Rede werth — nächstens heirathet meine Hulda «inen schwer reichen Mann, der muß dann seinen großen Bedarf an 'Wein bei Ihnen decken, ich werde dafür sorgen. Bei der ersten Gelegenheit wird dann auch mein« Sache mit erledigt! A propos, ich bekomm« doch Procente für die Zuführung dieses neuen Kunden?" „Lieber Kunze, Sie sind ein Teufelskerl", erwiderte der Wirth, „aber es soll gelten." Dann wurde noch Einiges geflüstert, und der Wirth trat zum Buffet zurück. Emil hatte die Lust zu weiteren Weinstudien verloren, er zahlte und war froh, ungesehen das Freie erreicht zu haben. Er glaubte, geträumt zu haben; Kunz«, der ehrenfeste, solide Kunz«, sein« einzige Hoffnung, machte auf ihn, als reichen Schwieger sohn, hin Schulden? Nachdenklich erreichte er sein« Be hausung. — Kaum hatte «r es sich ein wenig bequem gemacht, als eS auch schon an seine Stubenthür klopfte. Auf sein ärgerliches „Herein" trat ein mit schäbiger Eleganz gekleidetes Individuum ins Zimmer. „Habe ich di« Ehre, den gefeierten Maler Herrn Emil Fenchel vor mir zu sehen?" „Das zweifelhafte Vergnügen haben Sie; doch was wollen Sie von mir?" „Mein Name ist Pichler, ich bin der Vorsitzende des „Vereins der Gläubiger des Herrn Häuserspeculanten Kunze". Mein Verein, der nahezu 60 Mitglieder zählt, in dem fast alle socialen Schichten vertreten sind, hat mich beauftragt, bei Ihnen anzu fragen, ob Sie im Hinblick auf Ihre reichen Mittel — Emil be kam einen Hustenanfall — nicht etwas zur Verbesserung der pecuniären Lage Ihres zukünftigen Schwiegervaters unternehmen wollen. Herr Kunze würde es sicherlich schon als «in« groß« Wohlthat empfinden, wenn Sie die verschiedenen Kleinigkeiten, die wir Vcreinsmitglieder von ihm zu bekommen haben, auf Ihr Conto übernehmen würden." Der Redner hielt erschöpft inne, dieses Satzgefüge hatte ihm anscheinend groß« Mühe gemacht. Nachdem Emil sich von seiner anfänglichen, nicht gerade geringen Ueberraschung erholt hatte, kam der Galgenhumor bei ihm zum Durchbruch. „Wieviel schuldet denn mein Schwiegervater Ihren werthen Vereinsgenossen?" „O, es ist nicht unmäßig viel, es dürften höchstens 20 000 Mark sein." „Emil nahm eine äußerst würdevolle Haltung an und süß«r wie Honig kam es von seinen Lippen: „Sie sollen in Ihrem wahrhaft rührenden Vertrauen zu der Leistungsfähigkeit meiner Geldsäcke nicht enttäuscht werden. Da mit Sie allen Ihren Vereinsgenossen auch «in sichtbares Ergebniß unserer Unterredung vorzeigen können, will ich Ihnen etwas Schriftliches geben." Mit diesen Worten setzte sich Emil an seinen Schreibtisch und schrieb mit verständnißinnigem Lächeln Folgendes: An dem Tage, an dem der Unterzeichnete die Tochter des Häuserspeculanten Kunze heirathet, wird von ihm dir Schuld seines Schwiegervaters an den durch Herrn Pichler vertretenen Verein in der Höhe von 20 000 Mark baar bezahlt. April 1890. Emil Fenchel, Maler. Dann las er den Inhalt des Scriptums dem würdigen Vereinspräses vor, dessen Gesicht ein Lächeln der Befriedigung verklärte. Hierauf verschwand der sonderbare Besuch. Emil wurde es schließlich in ferner Behausung zu eng. Ein schöner Traum war auSgeträumt. Es galt nur noch, sich inst leidlichem Anstand aus der ganzen Affäre zu ziehen. Er machte sorgfältig Toilette und setzte seinen Eylinder mit einer energischen Bewegung aufs Haupt. Dann lenkte er seine Schritte — merk lich langsam — nach Kunze's Wohnung. Dort angekommen, hatte er sein« gute Stimmung wieder er langt. Im großen Wohnzimmer fand er Hulda und ihre Mutter damit beschäftigt, «ine Anzahl weiblicher Wä'schegegenständ« «in gehend zu besichligen. Hold erröthend begrüßt« Hulda ihren Verlobten, während Mutter Kunze gleich die Gelegenheit ergriff, einige kleine Renommistereien vom Stapel zu lassen. „Sielst Du, lieber Emil, Deine zukünftige Frau hat einmal Alles vom Besten. Die theuersten Stoffe, die kostbarsten Spitzen — nichts ist gespart worden, um mein Kind zu schmücken. Aber man opfert ja gern Unsummen, wenn es sich darum handelt, sein Töchterchen glücklich zu machen! Und nicht wahr, Du wirst sie doch recht glücklich machen?" „Wenigstens beabsichtig« ich nicht das Gegentheil", brummte Emil. In diesem kritischen Augenblick hörte man einen Wortwechsel auf dem Corridor. Plötzlich wurde die Thür aufgerissen, und das Mädchen stürmte aufgeregt in das Zimmer. „DaS ist doch zu toll, Madame, da ist wieder dieser Kerl vom Aussteuer-Geschäft, er will den ganzen Wäscherummel wieder abholen, falls er nicht sofort Geld bekommt." Eine schwüle Stille entstand. Inzwischen hatte sich Frau Kunze soweit gesammelt, um mit verlegenem Lächeln noch im Laufe Les Tages Zahlung in Aussicht zu stellen. Sie wollte sich dann an Emil mit d«r directen Frage wenden, ob er in dieser fatalen Sache nicht helfend rinspringen könnte — als sie mit Schrecken gewahr wurde, daß derselbe spurlos verschwunden war. Während sie noch über die Lösung des Rärhsels nachsann, war Hulda längst in eine wohlthätige Ohnmacht gesunken. Eine Stunde später gab ein Dienstmann ein Schreiben ab. Es kam von Herrn Fenchel. In höflichen Worten bedauert« dieser, seine Verlobung mit Fräulein Hulda aufheben zu müssen. Das von der Familie Kunze aber in so großem Stil betrieben« Pumpsystem — auf Einzelheiten wolle er nicht eingehen — sei in hohem Maße geeignet, auch den eventuellen Schwiegersohn bei anständigen Leuten zu discreditiren, weshalb er als Mann von Grundsätzen auf dieses mehr als zweifelhafte Glück Verzicht«. Mein Freund Emil fand nach Jahren noch ein spätes, aber solides Glück an der Seit« einer ca. 200 Pfund schweren Schläch« tercwittwe. Aus Liebe zu dieser hatte er der Kunst entsagt und in die weit und breit bekannte Wurstfabrik hineingeheirathet, an deren Firmenschild nunmehr sein Name prangt.
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