Suche löschen...
02-Abendausgabe Leipziger Tageblatt und Anzeiger : 02.06.1899
- Titel
- 02-Abendausgabe
- Erscheinungsdatum
- 1899-06-02
- Sprache
- Deutsch
- Digitalisat
- SLUB Dresden
- Lizenz-/Rechtehinweis
- Public Domain Mark 1.0
- URN
- urn:nbn:de:bsz:14-db-id453042023-18990602028
- PURL
- http://digital.slub-dresden.de/id453042023-1899060202
- OAI-Identifier
- oai:de:slub-dresden:db:id-453042023-1899060202
- Sammlungen
- LDP: Zeitungen
- Strukturtyp
- Ausgabe
- Parlamentsperiode
- -
- Wahlperiode
- -
Inhaltsverzeichnis
- ZeitungLeipziger Tageblatt und Anzeiger
- Jahr1899
- Monat1899-06
- Tag1899-06-02
- Monat1899-06
- Jahr1899
- Links
-
Downloads
- Einzelseite als Bild herunterladen (JPG)
-
Volltext Seite (XML)
Bezugs-Preis k der Hauptexpedttio» oder den tm Stadt bezirk und den Bororten errichteten Aut« gabestellen ab geholt: vierteljährlich ^14.50, bei zweimaliger täglicher Zustellung in» Hau» 5.50. Durch die Post bezogen für Deutschland und Oesterreich: vierteljährlich 6.—. Direkte tägliche Kreezvandsenduug iu« Ausland: monatlich ^ll 7.50. Dir Morgen-AuSgabe erscheint um '/,7 Uhr. di« Abend-Ausgabe Wochentags um 5 Uhr. Re-action und Lrpe-Uioa: AohanntSgaffe 8. Die Expedition ist Wochentag» ununterbrochen geöffnet von früh 8 bis Abend» 7 Uhr. Filiale«: vtt, Klemm'» Loctim. (Alfred Hahn), Universitätsstraße 3 (Paulinum-. Louis Lösche, Latharinenstr- 14. Part, uud SSuigSplatz 7. Abend-Ausgabe. WpMcrTagMM Anzeiger. Amtsblatt des Königlichen Land- und Amtsgerichtes Leipzig, des Ruthes und Rokizei-Ämtes der Stadt Leipzig. Nnzeigen-PreiS die 6 gespaltene Petitzeile 20 Pfg. Reklamen unter dem RedactionSstrich (4ga» spalten) 50vor den Familiennachrichte» (6 gespalten) 40 Größere Schriften laut unserem Preis« ve'zeichniß. Tabellarischer und Ziffernsatz nach höherem Tarif. Extra-Beilagen (gefalzt), nur mit der Morgen-Ausgabe, ohne Postbeförderung .Xi 60.—, mtt Postbeförderuug 70.—. Annahmeschluß für Anzeigen: Ab end-Ausgabe: Bormittag» 10 Uhr. Morgen- Ausgabe: Nachmittag» 4 Uhr. Bei den Filialen und Annahmestelle» je ein halbe Stund« früher. Anzeigen sind stet» an di« Expedition zu richte». Druck und Verlag voa E. Polz i» Leipzig 276. Freitag den 2. Juni 1899. S3. Jahrgang. Die Vorlage zum Schuhe des gewerblichen Arbeitsverhaltnijses. L2 Dies der amtliche Name deS vielberedeten Gesetz entwurfs. Den vor der Geburt erhaltenen scheint er aber beibchalten zu sollen, selbst die „Kreuz-Ztg." fährt fort, ihn zu gebrauchen. ES war selbst Denen, die gleich hinter der gestern erörterten halbamtlichen Einzelbetrachtung über den Gegenstand eine besondere Absicht vermutheten, überraschend, als sich um die Mittagsstunde die An- kündigkeit des am Morgen erschienenen „Vorwärts" erfüllte und die Vorlage dem Reichstage zuging. Das Geheimniß war also selbst den „Organen" deS social demokratischen Blattes gegenüber verhältnißmäßig gut gewahrt worden. Neben der beobachteten Verschwiegenheit fällt die bei der Veröffentlichung gezeigte Eile auf. ES scheint eine schleunige Publikation plötzlich angeordnet worden zu sein, denn zu den der Vorlage wie üblich beigegebenen Motiven soll noch eine eingehende Denkschrift zur weiteren Begründung folgen — ein ungewöhnlicher Vorgang. Die Ausarbeitung selbst kann nicht überhastet genannt werden, im Gezentheil. Anfang September vorigen Iabres kündigte der Kaiser in Oeyn hausen ein Gesetz zum Schutze der Arbeitswillige» an, am 6. December geschah dasselbe in der Thronrede, und gestern schrieben wir den 1. Juni. ES hat eben, und das war schon vorher bekannt gewesen, den juristischen Technikern lang wierige Mühen verursacht, in dem Gesetzentwürfe daS Ornament der Zuchthausstrafe anzubringen, ohne der Structur unseres Strafrechts allzu große Gewalt anzuthun und — ohne den unbesieglichen Widerstand der Mehrheit der Bundesregierungen hervorzurufen. Wären diese Bemühungen der Juristen miß lungen, so würden wir eS mit der „Kreuzzeitung" als einen taktisch sehr richtigen Zug der Negierung ansehen, daß sie sich trotz der schleckten parlamentarischen Geschäftslage und ohne Aussicht, deu Reichstag vor seiner Vertagung noch ernstlich mit dem Entwürfe besaßt zu sehen, entschloß, die mit „düsteren Prophezeiungen umgebene Vorlage einzubringen und damit endlich der socialdemokratischen Agitation den Boden zu entziehen". Ohne das Suchen nach einer Stelle für die Zuchthausstrafe hätte man diesen Erfolg rasch und sicher herbeisühren können. Nun, da die lange Zeit ver strichen und die entehrende Strafe nicht fehlt, muß man be- bezweifeln, daß der Socialdemokratie die Handhabe zur Fort setzung ihrer bisherigen Agitation thalsächlich aus der Hand gewunden worden ist. Die namengebende Strafart soll nur in einem Falle ver hängt werden, als Verschärfung, wenn die sonst im Entwürfe mit Strafe bedrohten Handlungen einen Streik oder eine Arbeiter-Aussperrung herbeigeführt haben, welche eine Gefahr für die Sicherheit deS Reiches oder eines Bundesstaates, oder eine gemeine Gefahr für Menschenleben oder für daS Eigen- thum thatsächlich mit sich gebracht haben. Hier soll aufZuchthaus bis zu drei und gegen die Rädelsführer bis zu fünf Jahren erkannt werden. Auf die Anreizung zu solchen Ausständen ist Gefängniß nicht unter einem Monat und für die Rädels führer nicht unter secks Monaten gesetzt. Die Bestimmung hat Ausstände und Aussperrungen beim Eisenbahnbetriebe, im Postverkehr, bei Arbeiten für die LandeSvertheidigung u. s. w. im Auge. Sie bedroht, wie gesagt, auch Aussperrungen und richtet sich demnach auch gegen Arbeitgeber. Diese gleiche Behandlung von Arbeiter und Arbeitgeber zieht sich, wie gleich hier bemerkt sei, als ein unverkenn barer Vorzug durch das ganze Gesetz. Zu diesem Stellung zu nehmen, oder auch eS in allen Einzel heiten zu erörtern, wäre verfrüht. Doch darf sckon jetzt gesagt werden, daß der Entwurf den Segen der bundesstaatlichen Verfassung Deutschlands offen bart. Die Ankündigung der Oeynhausener Rede, daß die Verhinderung Anderer an der Arbeit mit Zuchthaus be straft werden solle, ist nicht in Erfüllung gegangen und die Anreizung zum Streik, die nach derselben Rede eben falls Zuchthausstrafe nach sich ziehen sollte, bleibt überhanpt straflos. Wie bestimmt zu erwarten war, fehlt auch die i» Oeynhausen in Aussicht ge stellte Beschränkung der Strafbarkeit auf die Fälle, wo deutsche Arbeiter an der Arbeit gehindert werden; dec Schutz ist auch den auf deutschem Boden arbeitenden Aus ländern zugedacht. Die Vorlage stellt sich im Ganzen und Großen formell als eine Specialisirung und Erweiterung des H 153 der Gewerbeordnung dar, sie hebt diesen Paragraphen zugleich auf und läßt an seiner Stelle einen leeren Raum entstehen. DaS Gesetz ist, wie sein Titel besagt, als ein selbstständiges gedacht, was sich daraus erklärt, daß es über den Kreis der Gewerbetreibenden hinaus auf alle Arbeitsverhältnisse im Eisenbahnwesen, in Betrieben deS Reiches und der Einzel staaten, in Gemeinden, in Betrieben, die der LandeSverthei digung, der öffentlichen Sicherheit oder der öffentlichen Ge sundheitspflege dienen, sich erstreckt. Der z. Z. geltende § 153 der Gewerbeordnung lautet: „Wer Andere durch Anwendung körperlichen Zwanges, durch Drohungen, durch Ehrverletzung oder durch Berrusserklärung be« stinunt oder zu bestimmen versucht, au solchen Verabredungen (8 152, zur Erlangung günstiger Lohn- und Arbeitsbedingungen insbesondere mittels Einstellung der Arbeit) theilzunehmen, oder ihnen Folge zu leisten, oder Andere durch gleiche Mittel hindert oder zu hindern versucht, von solchen Verabredungen zurückzutreten, wird mit Gefängniß bis zu drei Monaten bestraft, sofern nach dem allgemeinen Strafgesetz nicht eine härtere Strafe eintritt." Der Inhalt dieses ß 153 wird durch die Vorlage zu nächst dahin erweitert, daß Strafe verhängt werden soll, wenn sich derZwang auf dieTheilnahme an „Vereinigungen" bezieht. Bisher war nur von Verabredungen die Rede. ES erfolgt ferner die vorgestern officio» angeküydigtc Ausdehnung der Strafbarkeit alls Fälle, wo eS sich nicht um günstigere Lohn- und Arbeitsbedingungen, sondern um sonstige Zwangsversuche, z. B. um die Erzwingung der Entlastung mißliebiger Arbeiter, handelt. ES tritt weiter die schon erwähnte gleichartige Be handlung von Arbeitern und Arbeitgebern darin hervor, daß künftig sich auch Der strafbar macht, der Arbeiter durch Zwang von der Theilnahme an Verabredungen (oder Vereinigungen), die auf Arbeitsverhältnisse sich beziehen, abzubalten sucht. Dies ist eine sehr werthvolle Sicherung der in dem bestehen bleibenden §152 der Ge werbeordnung gewährleisteten CoalitionSfreiheit. Zu der Erweiterung deS 8 153 tritt die Steigerung deS Höchststraf- maßeS von drei Monaten auf ein Jahr. Daneben greift die Milderung Platz, daß künftig auch auf Geldstrafe (bis zu 1000 erkannt werden kann. Die Strafen für gewerbs mäßige Agitation sind höher. Dieselben Strafen, und dies ist neu, droht der tz 2 der Vorlage für die Fälle an, in denen sich die rechtswidrige Einwirkung gegen die Freiheit der Arbeitgeber und Arbeiter in der Wahl des Arbeitspersonals und der Ver- werthung der Arbeitskraft richtet. Also für den mittels Zwang, Drohung rc. gemachten Versuch, Arbeit geber zur Entlassung oder Nichtannahme oder Nicht- heranziebung von Arbeitern zu hindern, Arbeiter zur Nieder legung der Arbeit zu bestimmen oder an der Aufsuchung bezw. Annahme von Arbeit zu hindern, ferner bei Ausständen oder Aussperrungen die Arbeiter oder Arbeitgeber zur Nachgiebig keit zu bestimmen. Alle dies: Handlungen — wohlgemerkt — sind nur strafbar, wenn sie unter Anwendung der schon jetzt bei Verabredungen strafbaren Mittel deS körperlichen Zwanges, der Drohung, Ehrverletzung oder Verrufserklärung begangen werden. Aber dem körper lichen Zwang werden in der Vorlage gleichgestellt die Beschädigung und Vorenthaltung von Arbeitsmitteln, Arbeitserzeugnissen oder Kleidungsstücken, waS sich als eine auf der Hand liegende Verbesserung darstellt, und daS sog. Streikpostenstehen, die „planmäßige Neberwachung" von Personen, Arbeitsstätten, Bahnhöfen u. s. w., WaS eine in ihrer Allgemeinheit jedenfalls harter Befehdung entgegen sehende Ergänzung ist. Dies der H 4, der der Mißdeutung jener Bestimmungen über Herbeiführung von StreikS und Aussperrungen vorbeugen will, indem er die nicht rechtswidrige Ankündigung oder Vornahme einer Arbeitsniederlegung oder Aussperrung oder Kündigung rc. ausdrücklich als nicht unter in die Begriffe der Drohung und Verrufserklärung fallend bezeichnet. Daß die Strafverfolgung von Körperverletzung, thätlicher Beleidigung und vorsätzlicher Sachbeschädigung, die wegen Nichtbetheiligung an einem Streike oder an einer Aussperrung erlitten worden sind, nicht wie bei diesen Delikten sonst von der Stellung eines Antrages deS Be schädigten abhängig gemacht wird, ist eine weitgehende Be stimmung, die sich aber auS dem Zwecke des Gesetzes, wirk samer Schutz dem Arbeitswilligen, erklären läßt. Wo die Streikbetheiligung terroristisch gefordert wird, wird sich die Abstandnahme von der Stellung von Strafanträgen erst recht leicht erzwingen lassen. DaS Gleiche gilt ungefähr von tz 6, der die Bedrohung oder BerrufSerklärung von Personen, die sich von einem Streik oder einer Au-sperrung ausschließen oder ausgeschlossen haben, mit Gefängniß bis »u einem Jahr odrr mit Geld strafe bis zu 1000 bestraft. Nur scheint daS Strafmaß für diese Fälle, in denen eS sich nicht um Ausübung eines Zwanges zur Theilnahme handelt, hoch gegriffen. Schließlich soll, um der Einschüchterung von Arbeits willigen auch auf der Straße entgegenzuwirken, die Theil nahme an Zusammenrottungen, bei denen eine in diesem Gesetze bedrohte Handlung „mit vereinten Kräften be gangen wird", mit Gefängniß von mindestens einem Tage bestraft werden, während den > Rädelsführern mindestens drei Monate angedroht werden. Die Tragweite dieser Bestimmung läßt sich im Augenblick nicht übersehen. WaS ist in solchen Fällen „Theilnahme"? Dies im Wesentlichen der Inhalt deS Entwurfes. Er mag eine geeignete Unterlage für eine sachliche gesetzgeberische Actwn bieten, ein gutes Prognostiken vermögen wir ihm aber nicht zu stellen. Er scheint angesichts der Zusammen setzung des Reichstags, aber auch wegen gewisser ihm an haftender Mängel wie geschaffen, das Schicksal der „Umsturz vorlage" zu erfahren. Politische Tagesschau. * Leipzig, 2. Juni. Die „Köln. Ztg." begrüßt mit Freuden die von dem gemeinschaftliche» Coburg Gothaischcu Landtage mit allen Stimmen gegen die der Socialdemokraten angenommene Forderung, daß der künftige Thronfolger baldmöglichst seinen wesentliche» Aufenthalt in den Herzogthümern Coburg und Gotha nehme, dort eine deutsche Erziehung erhalte und sich mit deu Verhältnissen seiner neuen Heimath aus eigenen Anschauungen vertraut mache. Das rheinische Blatt spricht die Erwartung auS, daß die Forderung deS Landtags auch bei dem regierenden Herzoge volles Verständniß finden werde, fährt dann aber fort: „Sehr eigenthüinlich ist allerdings das Verhalten deS Staats- Ministers v. Strenge. Er hat offenbar mit Mittheilungen zurück- gehalten, die er nur in der Heimlichkeit einer besondern Commissions sitzung hat abgeben wollen. Uns scheint aus diesem seltsamen Verhalten hervorzugehe», daß die Annahme, der Herzog von Cvnnaught oder sein einziger Sohn werde der Thronfolger im Herzogthum werden, nicht mehr zu treffend erscheint. Vielleicht hängt mit dieser Frage der viel bemerkte Besuch zusammen, den Ende voriger Woche unmittelbar nach der Feier des 80. Geburtstages der Königin Victoria von England der Herzog von Cvnnaught beim deutschen Kaiser iu Cassel abgestattet hat. Bis jetzt ist über den Zweck dieses Be suches in der Oeffentlichkeit noch nichts verlautbart worden. Nach dem eigenthümlichen Verhalten des Staatsmiiiislers v. Strenge drängt sich aber unwillkürlich die Schlußfolgerung auf, daß die Thronfolge in Sachsen-Coburg-Gotha noch nicht in der Weise geregelt worden ist, wie man dies bisher allseitig in Deutschland glaubte annehmen zu dürfen. Jedenfalls aber ist das Eine klar, daß vor Allem die Bevölkerung des Herzogthums ein dringendes Interesse daran haben muß, rechtzeitig zu wissen, wer der Thronfolger in Sachsen-Coburg- Gotha ist. Hier handelt es sich nicht blos ui» dynastische Interessen, sondern mindestens ebenso sehr um ein wichtiges LandeSinteresfe, daS unter keinen Umstünden ein heimliches Verfahren verträgt, wie es der Minister v. Strenge dem Landtage zumuthetc." Die „Köln. Ztg." scheint mit diesen Sätzen auf daS gestern von unS erwähnte Gerücht anspielen zu wollen, der Herzog von Cvnnaught habe auf seine Thronfolge in Coburg-Gotha zu Gunsten deS Herzogs von Albany zu verzichten be schlossen. Inzwischen hat zwar die „Goth. Ztg." das Ge rücht als „Ente" bezeichnet, aber daS Blatt hat diese Be zeichnung auf eine Weise motivirt, die nicht stichhaltig ist. Die „Goth. Ztg." beruft sich nämlich darauf, daß der Herzog Eduard von Albany noch nicht volle 15 Jahre alt ist. Da der regierende Herzog von Coburg-Gotha das 55. Lebens jahr noch nicht vollendet hat, so würde aller Wahrscheinlichkeit nach der Herzog von Albany nicht allzu jung zur Thronfolge berufen werden. Das Dementi der „Goth. Ztg." wird daher das Gerücht nicht zum Verstummen bringen. Sich Gewiß heit darüber zu verschaffen, wird der gemeinschaftliche coburg- Gothaische Landtag als seine nächste Aufgabe erachten müssen. Der Gesandte -er Südafrikanischen Republik vr. LeydS ist nach viertägigem Aufenthalte in Berlin gestern nach Brüssel zurückzekehrt. Ter Zweck seiner Reise war, wie den „Berl. N. N." geschrieben wird, nur die Absicht, sich in Berlin wieder vorzustellen, nachdem er fast dreiviertel Jahr nicht Außer Diensten. 18s Roman von Ernst Wichert. Nachdruck verbct r. Der Plan der Frau von Jttenborn, nach einigen Wochen rn ein Seebad zu gehen, hatte übrigens festere Formen ge wonnen. Trotz des jetzt lebhaften Verkehrs im Schlosse, der einige Abwechselung bot, fühlte sie sich da sehr unbehaglich und wurde täglich übellauniger. Es verstand sich von selbst, daß die Töchter sie begleiteten. Der Freiherr redete nicht dringlich zu, wider sprach aber auch nicht. Er hätte sich gern selbst den Vorwurf gespart, die Entfernung der Frau und Kinder komme ihm er wünscht, aber es war ihm doch nicht unlieb, für alle Fälle mehr freie Bewegung im Hause zu haben. Obgleich er sich bewußt war, auf unrechten Wegen zu wandeln und manchmal darüber aufrichtigen Verdruß empfand, hatte er doch stets auch tausend Entschuldigungen bereit und sah sie nun bestärkt durch dieses offenbar etwas lieblose Verhalten seiner Frau, die ihn erst in eine ihm im Grunde der Seele recht unbehagliche Action hinein steuerte und dann verlassen wollte, um selbst allen Unbequemlich keiten der Lage aus dem Wege und ihrem Vergnügen nachzugehen. Er meinte, sie selbst gebe ihn gleichsam frei. Deshalb kam ihm der Entschluß Jduna's nicht so ungelegen, daß er einen Verdruß darüber merken ließ. Die beiden Fräulein sprachen von der Reise, und daß die Abfahrt schon für den Anfang der nächsten Woche vorbereitet werde. Das kam Blanden sehr unerwartet. Als er sich von Jungenheim auf dem Hof trennte, um sein Pferd zu besteigen, sagte er: „Du — am Ende wärs doch besser, ich rede gleich ein Wort." „Wie Du willst", antwortete der Freund „aber es hat sich, denke ich, seit unserem letzten Gespräch nichts Wesentliches ver ändert." „Na doch! Diese Badereise . . . Wer weiß, was alles da draußen die Mädel zu sehen bekommt." „Wenn ich Dir einen Mißerfolg wünschte, würde ich Dir rathen, thu's. Aber Du bist mein alter Freund. Du wirst doch gemerkt haben müssen, daß Irmgard zur Zeit noch ganz ahnungs los ist." „Ja freilich. Vie ist eigentlich noch ein rechtes Kind. Uebrigens, weißt Du — Armgard ist wirklich nicht ganz ohne. Sie hat so was in ihrer Art, das tief sitzt. Das heißt. . . für Einen, meine ich, der da was zu suchen hat. Irmgard bleibt . . ." „Dein Gaul wird unruhig", unterbrach der Doctor. Blanden stieg auf und ritt in scharfem Trabe ab. — Am Frühmorgen seines bestimmten Reisetages wanderte Jungenheim nach Marka, um sich von den Damen zu ver abschieden. Im tiefen Walde, eine Strecke hinter der Försterei, vernahm er bei einer Biegung des Weges ein ängstlich gurgelndes Geschrei und dazwischen polternde Schimpfreden. Er glaubte die Stimme des Försters zu erkennen. Den Schritt beeilend, sah ec ihn wirklich in heftiger Bewegung gegen einen Menschen, den er an der Gurgel gefaßt hielt, an einen Baumstamm drückte, während die andere Hand ihm ein Gewehr zu entwinden be müht war. Auf dem Boden lag ein todtes -Reh. Als der Ge würgte Jemand kommen sah, gab er jeden Widerstand auf und ließ das Gewehr los, der Körper glitt am Stamm herunter. „He, Herr Förster, wen haben Sie denn da?" fragte Jungen heim, rasch zutretend. Der Alte wendete sich zurück. „Sie, Herr Doctor", stöhnte er, stark außer Athem. „Sie kommen im richtigen Augenblick. Sonst hätt's am Ende doch ein Leben gekostet — seins oder meins — wahrscheinlich seins, aber ein Leben ist's doch sozusagen auch." „Was hat's denn gegeben?" „Das ist wieder die Canaille, der Becker. Die halbe Nacht bin ich ihm nachgelaufen, bis ich endlich schon bei Hellem Tage den Schuß höre. Da halt' ich ihn denn auch bald. Wie ich ihn stelle, hat der Kerl die Frechheit, auf mich anzulegen und mir zuzurufen, er hätt' dem Herrn Freiherrn seine Wahlstimme für ein Reh verkauft, das hätt' er sich nur holen wollen. Ich meint', das könnten wir ja mal ruhig mit einander besprechen, und ging langsam auf ihn zu. Da schießt der Höllenhund wirklich, und ich kann von Glück sagen, daß ihm doch die Hände dabei flatterten. Wie ich nun auf ihn losstürze, schreit das Jammergestell mir entgegen: Es war nicht meine Absicht, Herr Förster, das Ge wehr ist von selbst losgcgangen! und ruft Gott zum Zeugen auf, an den so etwas gar nicht einmal im Ernst glaubt. Da hab' ich ihn denn gehörig mit den Fäusten bearbeitet, um ihm das Lügen und Spaßmachen zu verleiden." „Fast zu Tode haben Sie mich gewürgt, Herr Randolf", keuchte der struppige Becker. „Für Sic bin ich ja gar kein Mensch." „Ist so einer auch nicht", bestätigte der Förster. „Hat die Bestie wohl gutwillig das Gewehr abgegeben?" „Wovon soll ich leben? Sie haben ja doch den Herrn Frei herrn gegen mich gehetzt, daß er mir bei seinem Besuch im Dorf vorbeigegangen ist. Ich hab' mir's aber doch mit annehmen können, daß er gesagt hat: Kinder, wählt mich! Auf ein Reh soll mir's nicht so sehr ankommen — ihr müßt's nur nicht zu arg treiben." Er wendete sich an den Doctor. „Hat er das ge sagt, gnädiger Herr? Sie sind ja dabei gewesen." „Nun quatscht kein dummes Zeug weiter", sagte der Alte, der wieder ganz ruhig geworden war, „nehmt das Reh auf und gebt's in der Försterei ab. Verstanden?" „Ich soll -?" „Natürlich. Soll ich's etwa tragen. Oder soll's liegen blekben, bis Jhr's nächste Nacht abholt? Als ich zukam, war's schon halb mit Laub bedeckt. Vorwärts, ohne Widerrede!" Becker schien einzusehen, daß er sich fügen mußte. Er belud sich mit dem Reh. „Aber den Schuß schenken Sie mir doch, Herr Förster", bat er, „es war wirklich nicht mein Wille —" „Daß er fehl ging", ergänzte der Alte und streckte gebieterisch die Hand aus, ihm die Richtung nach dem Forsthause zu weisen. Während Becker sich in Bewegung setzte, blieb er noch eine Weile bei Jungcnheim stehen. „Der Herr Freiherr soll wirklich in den Dörfern ganz wunderlich geredet haben", sagte er. „Das legen sich die Leute nun so aus. Oder sie thun wenigstens, als ob sie ihn so verstanden haben. Die verdammte Wahl! Sie setzt den Knecht über den Herrn. Daß er sich auch auf so was ein gelassen hat! Wenn ich so ein vornehmer und reicher Mann wär, um keinen Menschen würd' ich mich bekümmern." Jungenheim suchte ihm zu erklären was die Wahl dem Freiherrn bedeutete, schien aber wenig Verständniß zu finden. „Wissen Sie, Herr Doctor", fing Randolf von etwas ganz Anderm an, „man hört auch sonst dies und das, was im Schloß vorgehen soll und zu der Excellenz nicht recht paßt. Man hinter bringt mir's, weil ja doch die Rede ging, daß mein Ottomar mit der Mamsell Emma . . . Hm, hm! Haben Sie auch davon was bemerkt?" „Wovon, Herr Förster?" „Na — der gnädige Herr soll ihr ganz verdächtig nachgchen", erzählen die Leute. „Ach! er wird mit dem hübschen Mädchen einmal gespaßt haben." „Nein, nein! er muß es schon ganz arg treiben. Mir könnt's ja sonst gleichqiltig sein, denn ich bin da meinem Sohn immer entgegen gewesen. Aber ich weiß doch nicht, ob er Vernunft angenommen und sich die Person aus dem Sinn geschlagen hat. Und, also für alle Fälle denk' ich, wird es meine Pflicht sein, ihn nicht im Dunkeln zu lassen, damit er sich herausfindet, wenn's nöthig ist." Jungenheim konnte mit gutem Gewissen versichern, daß ec selbst nichts Verdächtiges bemerkt habe; er verschwieg nur, daß allerdings der Capitän mitunter eine etwas bissige Aeußerung nicht unterdrückt hatte, aus der sich die Bestätigung entnehmen ließ. „Schlagen Sie nicht unnütz Lärm, Herr Randolf", sagte er. „Ich bin überzeugt, es handelt sich da um nichts Ernstes und für ihren Sohn Bedrohliches. Der Freiherr langweilt sich und mag wohl für eine kleine Erheiterung dankbar sein, wie sie ihm das hübsche und muntere Ding gelegentlich ganz unschuldig gewähren mag. Er wird seinem alten Verwalter, den er hoch und werth hält, keine Schmach anhängen, nicht einmal davon zu reden, daß er sicher auch nicht vergißt, was er seiner Frau schuldig ist." Der Alte kämmte mit den Fingern in seinem grauen Bart. „Es geschieht allerhand in der Welt, was besser nicht geschehe", meinte er, „man soll nichts für unmöglich halten. Es giebt ja auch junge Leute, denen es nicht viel verschlägt, ob ihre Künftige schon mit einem vornehmen Herrn eine Geschichte gehabt hat, wenn sie nur reich ausgestattet in sein Haus kommt. So denkt mein Sohn jedenfalls nicht. Und wenn er auch nur ein Auge zudrückte oder sich von der Mamsell überreden ließe, es sei da nichts gewesen, wenn's doch gewesen wäre — ich will nichts sagen, Herr Doctor, als das Eine, daß ich keine Unehre in meiner Familie überlebe. Dem Herrn Freiherrn wär's vielleicht lieb, das rechtzeitig vorher zu erfahren. Es ist ihm nicht unbekannt, daß mein Ottomar dem Mädchen gut ist." „Ich hoffe, Sie machen sich da sehr unnöthige Gedanken", erwiderte Jungenheim. „Was ich übrigens an Ihrer Stelle thäte, Herr Förster, das weiß ich." „Nun?" .Letzt ist ja doch jedenfalls noch nichts Unrechtes geschehen, und in Zukunft kann's verhindert werden, wenn Sie allen Wider stand aufgeben und Ihrem Sohn gestatten, sich mit dem Mädchen zu verloben, das er nun einmal ins Herz geschlossen hat." „Das wäre —!" fuhr der Alte grimmig auf. „Klug wäre das. Denn auf die Emma, wenn sie eine» braven Mannes Braut ist, kann man sich verlassen. Comtesse Hertha, die täglich mit ihr zn thun hat, rühmt sie sehr wegen ihrer Tüchtigkeit und Zuverlässigkeit. Nur ärgert es sic wahr scheinlich im Stillen, daß sie hier in der Försterei scheel angesehen ist. Bloßer Trotz ist's, wenn überhaupt. . ." „Hollo!" schrie der Förster und sprang einige Schritte vor, „wird der Halunke..."
- Aktuelle Seite (TXT)
- METS Datei (XML)
- IIIF Manifest (JSON)
- Doppelseitenansicht
- Vorschaubilder
Erste Seite
10 Seiten zurück
Vorherige Seite