Suche löschen...
02-Abendausgabe Leipziger Tageblatt und Anzeiger : 26.05.1899
- Titel
- 02-Abendausgabe
- Erscheinungsdatum
- 1899-05-26
- Sprache
- Deutsch
- Digitalisat
- SLUB Dresden
- Lizenz-/Rechtehinweis
- Public Domain Mark 1.0
- URN
- urn:nbn:de:bsz:14-db-id453042023-18990526027
- PURL
- http://digital.slub-dresden.de/id453042023-1899052602
- OAI-Identifier
- oai:de:slub-dresden:db:id-453042023-1899052602
- Sammlungen
- LDP: Zeitungen
- Strukturtyp
- Ausgabe
- Parlamentsperiode
- -
- Wahlperiode
- -
Inhaltsverzeichnis
- ZeitungLeipziger Tageblatt und Anzeiger
- Jahr1899
- Monat1899-05
- Tag1899-05-26
- Monat1899-05
- Jahr1899
- Links
-
Downloads
- Einzelseite als Bild herunterladen (JPG)
-
Volltext Seite (XML)
Darum war es gar nicht wunderbar, daß sie es jedes Mal be merkte, wenn die seinen wieder auf ihrem Gesichte haften blieben. Sie hielt das immer nicht lange aus und machte sich gleich auf ihrem Teller oder mit der Serviette etwas zu schaffen; aber wenn er wieder zu reden anfing, war's dieselbe Geschichte. Es war übrigens auch etwas sehr Merkwürdiges dabei, wie er gar nicht blos mit dem Munde, sondern mit Augen und Stirn und dem ganzen Gesicht, ja auch mit den Händen in seiner Lebhaftig keit sprach und manchmal ganz rasch mit den Fingern das lockige, braune Haar zurückwarf, was vielleicht nicht ganz schicklich sein mochte, aber ihm entschieden gut ließ. Er schien sich in diesem Kreise, in den er doch eben erst eintrat, nicht im Mindesten fremd zu fühlen und sprach seine Meinung über allerhand Dinge, die hier nur immer gleichsam von einem vorbestimmten Gesichts punkte aus angeschaut zu werden pflegten, so offen und sicher aus, als fürchte er gar nicht, durch Widerspruch anzustoßen. Und er stieß auch wirklich gar nicht an, sei es, daß seine Redegewandtheit alle bedenklichen Ecken und Kanten zu umgehen verstand, sei es, daß man sich an seiner Eigenart vergnügte und ihm deshalb Manches nachsah. Selbst Frau Iduna saß heute nicht so un nahbar steif da als gewöhnlich, und brachte es sogar wiederholt zu einem ganz munter klingenden 'Lachen. Irmgard hatte den Eindruck, daß der 'Gast ein sehr gefährlicher Herr sei, vor dem man sich in Acht zu nehmen allen Grund habe. Nach aufgehobener Tafel wünschte man einander nach nord deutscher Sitte gesegnete Mahlzeit. Dazu trat er an Irmgard heran und zischelte ihr zu: „Als ich Ihnen vor einigen Stun den im Walde begegnete, dachte ich nicht, daß wir so vergnügt zusammen Mittag essen würden, Cousinchen." Sie setzte die Lippe auf und warf ihm einen prüfenden Blick von der Seite zu. „Sind Sie denn wirklich mein Cousin?" „Ich denke doch. Wenn man's mit der Vetterschaft nicht zu genau nimmt. . ." „Sie haben mir aber gesagt, daß Sie Herr Doctor Junge und Journalist sind." „Ganz richtig." „Ich habe auch auf Papas Schreibtisch Ihre Karte liegen sehen, und es war auch etwas von Interviewen ausgeschrieben." „Das kann wohl sein." „Papa hat Sie aber gar nicht angenommen." „DaS wissen Sie auch?" Das weiß ich. Sind Sie also nun Herr Doctor Junge?" „Der bin ich." „Und Papa kennt Sie so?" „Mein bestes Fräulein . . „Nein, nein, sagen Sie's nur ohne Winkelzüge: Papa kennt Sie so?" „Sie sind ja auch furchtbar streng. Nun denn: noch nicht, aber..." „Dann ist es meine Pflicht, selbst es ihm zu sagen." „Hoho!" Er sah sie bittend an. „Lassen Sie mir vierund zwanzig Stunden Zeit, Cousinchen. Ich verspreche Ihnen . ." „Ja, und inzwischen betreiben Sie irgend etwas Heimliches. Ich muß Papa vor Ihnen warnen." ,/Sehe ich aus wie ein schlechter Mensch?" Er machte ein so komisches Gesicht, daß sie lachen mußte. Das Gespräch konnte nicht fortgesetzt werden, da Tante Hertha zu» trat und noch einige literarische Fragen specieller beantwortet wünschte, in denen er überraschend gut bewandert zu sein schien. „Tante Hertha schreibt nämlich auch", sagte Irmgard vorlaut, „Romane und Novellen und solche Sachen." Die Dame senkte verschämt die Augen und lächelte: „Auch? Jch^wußte nicht . . ." „Nein, ich bin kein Concurrent", fiel der Doctor ein, „halten Sie mich für so unpoetisch als irgend denkbar. Es ist mir aber sehr interessant, zu erfahren . . ." „Ach — ich habe einige leichte Arbeiten veröffentlicht und kenne meine Grenzen. Es ist aber für uns Frauen so erstaunlich schwer, die rechten Wege . . ." „Es wird zum Kaffee gebeten", sagte die Freifrau im Vorbei gehen. Der Doctor eilte ihr nach und bot ihr den Arm, nachdem er der Gräfin kurz die Versicherung gegeben hatte, daß er ihr späte: ganz zur Verfügung stehe. „Ein ungewöhnlich geistvoller Mensch", sagte sie, ihm einen dankbaren Blick nachschickend. „Eine solche Unterhaltung ist doch eine wahre Erquickung — für mich geradezu ein Quell in der Wüste. Ich wollte, er bliebe recht lange. Was habt Ihr Beide eben gesprochen?" „Ach, nichts", antwortete Irmgard, „er spaßte so." Die kleine Gesellschaft fand sich auf der Veranda wieder zu sammen, wo die Kaffeemaschine dampfte. Der Freiherr schien jedoch nun bald müde zu werden und bat um die Erlaubniß, sich nach alter Gewohnheit ein Stündchen zurückziehen zu dürfen. Der Capitän hatte in der Wirthschaft zu thun. Die Gräfin Westerhagen wäre gewiß noch gern geblieben, beachtete aber den Wink der Schwester, welche mit einem Blick an ihr vorüber die beiden Fräulein zu ihrer hausgenossenschaftlichen Pflicht für jetzt entließ. „Du pflegst sonst auch nach dem Essen ein wenig aus- zuruhen", bemerkte Hertha mit der Miene der vorsorglichen Freundin, vielleicht in der stillen Hoffnung, dann den Doctor für sich in Beschlag nehmen zu können. Er stand auch sogleich von seinem Schaukelstuhl auf und ertlärte, nicht stören zu wollen. Frau Iduna bat ihn aber, ruhig sitzen zu bleiben und seine Cigarre zu Ende zu rauchen. „Es ist heute noch nicht meine Stunde", sagte sie, Hertha kühl abweisend. So blieb sie nun mit Jungenheim allein. „Dieses Kaffee plätzchen ist reizend", sagte er, um das Gespräch im Gange zv halten, — „überhaupt Schloß Horseln daS wahre Paradies." Frau von Jttenborn lächelte spöttisch. „Jedenfalls entsetzlich langweilig, wie vielleicht alle Paradiese. Das würden Sie nach wenigen Tagen auch finden." „Ich glaube nicht, Excellenz", entgegnete er. „Ob nach Monaten, nach Jahren — es kann sein; der Mensch wird seines Glückszustandes überdrüssig, wenn er ihm zur Gewohnheit ge worden, behaupten kluge Leute. Aber Sie glauben nicht, was meinen Nerven schon diese Stille bedeutet. Berlin ist noch kein Paris und London, und doch tönt es vom frühen Morgen bis in die sehr späte Nacht hinein ununterbrochen von den tausend und abertausend gleichzeitigen Geräuschen, die vom Ohr nicht unter schieden, aber in ihrer Gesammtwirkung empfunden werden. Dieses Gesumme durchzittert die Straßen, dringt in die Häuser rin, ist überall. Man wacht und schläft, arbeitet und ruht darin; höchstens in zwei Nachtstunden wird es leise, und man wundert sich danrz, eine Uhr schlagen zu hören, die sich in dem nahen Kirchthurm befindet. Das Bewußtsein des Lärms fehlt, Weiler immer da ist, zu den nothwendigen Bedingungen des groß städtischen Daseins zu gehören scheint. Aber den Nerven ist nicht wohl dabei, so wenig als den Lungen in der stickigen Luft. Uno dann die fast ununterbrochen fortdauernde Anspannung aller Kräfte für die Arbeitenden zur Arbeit, für die Genießenden zum Genuß. Es muß in derselben Zeit viel mehr geschafft und ver braucht werden als anderswo. Am schlimmsten vielleicht sind Diejenigen daran, die zugleich arbeiten und genießen müssen — arbeiten, um die Mittel zu einem Leben in höherem Stil zu ge winnen, genießen, um der Gesellschaft stets gegenwärtig zu bleiben, deren Umgang auch die ArbeitSstellung regelt. Ganz Wenige sind so vornehm, nicht müssen zu dürfen." „Wir würden zu Ihnen gehören können", sagte Frau von Jttenborn. die ihn schwerlich ganz verstand. „Wir sind wohl habend genug, ohne Arbeit in höherem Stil leben zu können, wie Sie's nennen, und sind Niemand verpflichtet, unS im Genuß zu übernehmen." „Sie würden zur Gesellschaft gehören." ^Gewitz." I 27.70 I LI. X 584, 1234 iso 3675 lsäsr ÜLllf isro lULcdt« u>> IluUsusr utiodts vsr- lulluuk 6er Uoiämiosu- >tod N. km. v.ll. 750 540 473 4cxi mrr 465 »iutuic 575 is 18,62. r. 4o>. <io. urs ur. ^ul. -kr rio>. .-?r. ciüc 108,40 98.70 100,20 85,75 «0.40 87,80 78.60 Tie Morgen-AuSgabe erscheint um '/,? Uhr, di« Abend-Ausgabe Wochentag» um b Uhr. tle-action und Expedition: Joha»ui«gasi< 8. Die Expedition ist Wochentag» ununterbrochen geöffnet von früh 8 bi» Abend» 7 Uhr. Filialen: ttt» klemm'» Sortim. (Alfred Hahn), UntversitätSstraße 3 (Paulinum-. Louis Lösche, Aatharinenstr. 14, part. und KSntgSplatz 7. Bezugs-Preis ln der tzauptexpedition oder den tm -ladt» bezirk und den Vororten errichteten Aus- oatestrllen abgeholt: vierteljährlich >!4.ü0, Lei zweimaliger täglicher Zustellung in- Haus 5.50. Durch die Post bezogen für Deutschland und Österreich: vierteliährlich ^l 6.—. Directe tägliche Kreuzbandsendung in» Auslsnd: monatlich 7.50. Abend-Ausgabe. Weiger TllgMaü Anzeiger. Hmjsöl'att -es Königlichen Land- nnd Amtsgerichtes Leipzig, -es Aathes «n- Nolizei-Ämtes -er Ltadt Leipzig. Anzeigen-PreiS die 6 gespaltene Petttzeile SO Pfg. Rrclamen unter dem Redaction»strich (4g»> spalten) 50/4, vor den Famtltennachrichtr» (ü gespalten) 40/H. Größere Schriften laut unserem Preis- verzetchniß. Tabellarischer und Zifferasatz nach höherem Tarif. Extra-Beilagen (gesalzt), nur mit der Morgen-AuSgabe, ohne Postbeförderung ^l SO.-, mit Postbeförderung ^l 70.—. ' »ee». - Druck und Verlag von E. Volz tu Leipzig, Annahmeschluß fSr Anzeigen: Ab end-Ausgabe: vormittag» 10 Uhr. Morgen» Ausgabe: Nachmittag» 4 Uhr. Bei den Filialen und Annahmestellen je eine halbe Stunde früher. Anzeigen sind stet» an die Erpehtttsn zu richten. 283. Freitag den 26. Mai 1899. 93. Jahrgang. I«u!< 158, rod. Neck reU. 100,80 78,40 188.25 314,50 101,50 136,75 155,60 141,— 132 90 128,70 Vtll atds 36«,— «47,— 343,— 172.50 184,— 333.50 158,— 123,25 321.10 143,— 134.75 206.75 273.— 180,00 178.75 180.25 149.25 233,— »d. äsd. »sub >«sb. rxv. dslw tr-^ tr.-L. «ktr. zrckb. »Sud. oa 8t-X lust. Ls<1. 110,— 87,50 3^ kr. le- Irurr »td. >d. llirld tttdo au at istä ällst. 123,25 Z»rä! 156,50 srxv. 282,80 IllllSll 164,10 I 84,— s 43»,— rvä -kett. roiüo kest. Llssw 4425 3125 3600 825 1425 15200 2300 0 1850 3200 0 I — j 4125 - 5150> 5200 - 8800 10000 11700 17100 2050 3475 310 3300 0 8 0 14000 750 4475 11600 2700 4475 875 1700 3550 1475 2825 3380 8150 4350 3175 15800 2725 3550 3675 4400 17300 11800 11500 4550 11800 2775 340 25100 30 1425 2475 s Oelck ! vrisi SIllwslltdlll u«- e«ll »cdrrllcder. «lirdsctr Isiedt test, lieus Hott- 179.75 283 10 121,25 145,— 264.50 204.75 201.50 220.50 121,40 127 40 87,50 62,90 Visll .-Ir. 2400 400 13800 aw !t.-kr. s dea a. Lsssa/Ladi. adr-. 10L verdaten.) tt. all 0,22). 0,14). reu»«» r, in Kev?orlc /«rein in. d. L. x disr ein. an Hamdorf, in Ullmdnrir (255) kett -X.-Ol-koet- illlinptsr „ilarx- o»cd Heindare, ttllind.-ameri«. r<i<1. Dlvxd-t-oek- llpker »Hexiolln" ni". I- in Kiemen, >rIn l.eiviin, (245) in denn», 5) Dover peeeitt, (24/5) von LelU- >, 7 Ddr Xken<i») Nlckmer," (24/5) vdr Liorren») iu Politische Tagesschau. * Leipzig, 26. Mai. In der reichen Zahl der Versammlungen von Fach vereinen und Verbänden, die in der Pfingstwoche stattgefunden haben, beanspruchen der in Altona veranstaltete „Ttlcgirtcn- lag der evangelischen Arbeitervereine Deutschlands" unv der in Mainz versammelt gewesene „I. Longrctz christlicher Gewerkschaften Deutschlands" ein besonderes Interesse. Namentlich gegen einander gehalten. Die evangelischen Arbeitervereine sind, waö ihr Name besagt, der Con- areß „christlicher" Gewerkschaften ist thatsächlich eine kleri kale Schöpfung. Hier dominirt daS Centrum, und nicht trotz, sondern wegen dieser Thatsache konnte eS geschehen, daß man in Mainz mit vielem Nachdruck die Nothwendigkeit des interkonfessionellen Charakters der Gewerkschaften betonte und dem Präsidenten, dem bekannten klerikalen Arbeiterführer Brust, einen Protestanten als zweiten Vorsitzenden an die Seite setzte. Der Ultramon- tanismuS kann diesen Gewerkschaften, wie eS beim christlichen Bergarbeiterverbande der Fall ist, ungestört seinen Stempel aufdrücken und gewinnt nach außen nur dabei, wenn er sich auf eine Gefolgschaft von Nichtkatholiken zu berufen vermag. Er genießt in diesem Betracht die Vor- theile der Herrschaft, wie er sie — und dies ist auf dem vorgedachten Arbeiter-Delegirtentag mit angemessener Be tonung hervorgehoben worden — in Deutschland oder wenigstens in Preußen genießt. Die Klerikalen mögen und werden sich unter dem Hinweis auf Mainz ihrer Fried fertigkeit berühmen, in Altona trat zu Tage, daß sie dazu kein Recht haben. Dort wurde gesagt, daß die ultra montane Frage mindestens so ernst sei wie die sociale, und dort wurde eS mit selten gewordener Offenheit beklagt, daß Berlin blind für die ungeheuren Fortschritte des IlltramontaniSmus ist, welche es dieser absolut protestanten feindlichen Richtung schon gestatten, da und dort sich den Anschein zu geben, als ob sie „Interkonfessionelle" tolerire. In Berlin wird man natürlich diesen Schein für Wahrheit nehmen, und wir sind durchaus nicht sicher, ob von dort aus nicht ein volltönendes Lob für Mainz und ein leiser"Tadel für Altona herkommt, zumal da iu Mainz die Socialdemokratie und ihre Methode sehr laut verdammt worden sind. Man dürfe, so wurde gesagt, in den Arbeitern nicht allzugroße Illusionen erwecken, Arbeitsniederlegung ohne vorhergängige Verhand lungen mit dem Arbeitgeber sei ein Gewaltact, daS Wichtigste wäre, etwas für die Arbeiterschaft zu erreichen, wenn dabei auch eine Anerkennung der Organisation nicht stattsände, und AehnlickeS mehr. Wie eigenthiimlich wohl dieFusangcl und Genossen lächeln mögen, wenn sie dies lesen. Auch der Arbeiterversicherung wurde in Mainz anerkennend gedacht und zu dem Gegenstände bemerkt, wenn man in der Agitation er wähne, daß die Socialdemokraten gegen alle Versickerungs gesetze gestimmt hätten, werde es dem Arbeiter schon klar werden, wo er seine wahren Freunde zu suchen habe. Sehr brav. Nur, daß daS Centrum mit wenigen Ausnahmen auch gegen daS InvaliditatS- und Altersversicherungsgesetz gestimmt hat und dies, wie die Socialdemokratie, aus Rücksichten der Agitation. Bemerkens werth ist noch, daß eine Resolution gegen „jede Beschränkung der bestehenden Coalitionsfreiheit der Arbeiter" (wie eine solche im Sinne der Hitze - Heyl'schen Anträge- einstimmig angenommen wurde, aber unmittelbar vor Schluß der Verhandlungen und ohne jede Debatte. So brauchte man nicht» für und nichts gegen den Schutz der Arbeitswilligen zu sagen. Die evangelischen Arbeiter haben den Muth gehabt, die Frage zu diScntiren. Daß sie mit allen gegen vier Stimmen einen negativen Be schluß gefaßt, dürfte in Anbetracht der StaatStreue dieses ArbeiterverdandeS mancher Bundesregierung als willkommene Stütze deS eigenen ablehnenden StandpuncteS dienen. Hin sichtlich der Arbeitskammern fallen die Wünsche der evangelischen Arbeitervereine mit denen der „christlichen Gewerkschaften" zusammen, dagegen haben jene unterlassen, gleich diesen die gesetz liche Anerkennung der Berufsvereine ausdrücklich zu fordern. Wie auf dem evangelischen Arbeiterdelegirtentage und wie auf jedem socialdemokratischen Parteitage kam auch in der Mainzer Versammlung die Frage der Controlirung der eigenen Presse zur Sprache, ein sckwieriger Punct für jede Arbeiterorganisation, bei dessen Erörterung gewöhnlich entweder nichts oder — vgl. Lütgenau — eine Vergewaltigung herauSkommt. Der Gesammtverband der evangelischen Arbeitervereine hat einen Ausweg gefunden, in dem er den „Evangelischen Arbeiterboten" lediglich als sein amtliches Anzeigenblatt bezeichnete und jede Verantwortung für den politischen Theil deS Blattes ablehnte. In Lestcrreich-Ungarn ist der für den Bestand der Monarchie unerläßliche Ausgleich zwischen den beiden Neichö- hälsten trotz der wiederholten gemeinsamen Berathungen der Minister unter dem Vorsitz des Kaisers nicht zu Stande ge kommen. Das sollte der letzte Versuch sein, und somit hängt jetzt die Entscheidung vom Kaiser ab. Der Kern des Streites zwischen der ungarischen und der österreichischen Negierung, zwischen den Ministerpräsidenten Coloman Szell und Thun ist der, daß Oesterreich die Zollgenieinschaft (Zoll- und Handelsbiindniß) auf zehn Iabre, wie bisher, gesichert wissen will, während Ungarn nur fünf Jahre anbictet und dabei noch verlangt, daß das Bankprivilegium gesetzlich für die Dauer von elf Jahren festgelegt werde. Der öster- reickische Ministerpräsident bat es für nickt ausgeschlossen er klärt, daß er sich, was die Fristerstreckung des Zoll- und HandelSbündnisseS anlanat, dem Standpunct Szell's nähern könne, aber er fordert als Acquivaleut, daß Ungarn auf die neue Organisation der Notenbank, welche ihr eine Uebermacht gegenüber dem österreichischen Creditwesen verschaffen muß, verzichte, bis ein definitives Zollbündniß vereinbart sei. Der Kaiser soll sich bei der Berufung Koloman Szell's für dessen Standpunct erklärt haben, und so wäre jetzt der Sturz des Grafen Thun zu erwarten, wenn nicht noch in elfter Stunde ein Ausweg gefunden wird. Der Ausweg ist von selbst gegeben. Die Schwierigkeiten entfallen für beide Staaten sofort, wenn die Deutschen befriedigt und ver fassungsmäßige Zustände wieder hergestellt werden. Die Szeliscke Formel gilt nur für den Ausgleich, der nickt von den Parlamenten vereinbart wird. Dir beiden Legislativen werden sich leichter verständigen, als die beiden Negierungen, denn im verfassungsmäßigen Ausgleich verschwindet der Terminstreit und der ganze Wust von über flüssigen Fragen, deren Ursprung im Paragraph 14 liegt. Die Ausgleichskrise hat ihre'Quelle in der parlamentarischen Krise. Dreimal haben sich die Parlamente geeinigt, und eS wird auch ein viertes Mal gelingen, weil gemeinschaftliche I Noth, der lähmende Stillstand und der ökonomische Druck in I Oesterreich wie in Ungarn zum Frieden drängen. Ein I ungarischer Minister-Präsident, der sich auf die Einmüthigkeit des Parlament« stützt, und ein österreichischer Minister- Präsident, dem kein Parlament zur Seite steht, diese Partie ist zu ungleich. Die „Germania" weiß seit einiger Zeit von einem großen Erfolg der katholischen Kirche in China zu berichten. Sie siebt einen solchen darin, daß der Kaiser und die Kaiserin- Mutter von China den Papst als „Kiao-Huang" (Kaiser der Religion) anerkannt unv zugleich den KatholicismuS als eine in China geschützte Religion bezeichnet hätten. Zugleich hebt sie eS als ein Verdienst deS französischen Gesandten Pichon in Peking hervor, durch seine Bemühungen diese und andere Zugeständnisse für die katholischen Würden träger durckgesetzt zu haben. Etwas nüchterner, als von der „Germania", werden diese Zugeständnisse von dem katholiscken Missionar Pieper von der Stehler Mission aufgefaßt. Dieser belehrt die „Germania" in einer Zuschrift, daß die chinesische Bezeichnung „Kiao-Huang" für den Papst schon Jahrhunderte alt und immer gebraucht worden, und daß auch der KatholicismuS schon Hunderte Male als „gesetzlich geschützte Religion" in ckinesischen amtlichen Urkunden bezeichnet worden ist, ohne daß die Chinesen sich dadurch haben abhalten lassen, Missionare zu tödten, Christen zu verfolgen, Kirchen zu zerstören. Missionar Pieper spricht die Ver- muthung aus, daß es sich bei den Bemühungen deS Ge sandten Pichon nur um einen Versuch handle, den Franzosen eine Art von Protectorat aller Missionen in China zu verschaffen. Der „Germania" steht natürlich auch hier wieder, wie immer, das römisch- katholische Interesse über dem nationalen, und so bemüht sie sich, im Widerspruch mit der Zuschrift des über chinesische Verhältnisse genau unterrichteten Missionars Pieper, einen großen Erfolg der katholischen Kirche da zu sehen, wo eS sich offenbar zunächst nur um dis Be mühungen der Franzosen handelt, sich als die Protektoren aller Religionen in China aufzuspielen. Zugleich nimmt die „Germania" bei dieser Gelegenheit Anlaß, auf die prote stantischen Missionare einen hämischen und verdächtigenden Seitenblick zu werfen, indem sie dem französischen ullramon- tanen Blatte „UniverS" die Bemerkung entnimmt, „daß bei der Ausstellung des in Rede stehenden Dekretes für den Be herrscher de» himmlischen Reiches Wohl auch der Umstand mitbestimmend sein möge, daß die katholischen Christen sich stet« als gute Bürger des Staate» und getreue Uuterthanen des Kaiser» erwiesen hätten und daß sie sich bei allen Un ruhen im himmlischen Reiche von Aufruhr und Meuterei fernhielten." Klingt schon daraus die Verdächtigung heraus, als ob die evangelischen Christen in dieser Beziehung sich als weniger zuverlässig erwiesen hätten, so steigert sich die Ver dächtigung zu einer geradezu unerhörten Beleidigung der evangelischen Missionare, wenn die „Germania" mit dem „UniverS" fortfäbrt: „Es werde auch dem Tsung li Hamen nicht entgangen sein, daß während de» Krieges zwischen China und Japan die katholischen Missionare auf ihren Posten ver blieben seien, um Elend und Sorge mit dem ihnen anver- trauten Volke zu tbeilen, während die protestantischen Mis sionare geflüchtet seien." So lange die „Germania" diese Schmähung der evangelischen Mission in China nicht mit Thatsachen zu belegen im Stande ist, müssen wir diese Ver unglimpfung der evangelischen Missionare, deren sich die „Germania" mit dem „UniverS" schuldig macht, mit der Berliner „Post" für eine boshafte Erfindung erklären. Ueber Ktrchen-Rangfragen tm lateinischen Amerika wird uns au» Rom, 24. Mai, geschrieben: Es sind hier gegen wärtig 53 Bischöfe aus Süd- und Mittelamerika anwesend, welche eine Neuorganisation in der Rangstellung der Kirchen des lateinischen Amerikas anstreben. Bisher führte der rang älteste Kirchenfürst Spaniens, zumeist der Erzbischof von Madrid, den Titel „Patriarch von West- indie n", wodurch er zugleich Vie Stellung deS rangältesten katholischen Kirchenfürsten in Amerika einnahm. Wenngleich nun auch die Stellung mehr eine nominelle al» tbatsäcklicke war, so stand doch beispielsweise dem spanischen Erzbischof der Vorsitz bei Versammlungen der amerikanischen Bischöfe iiiz Vatican zu, und von allen gemeinsamen Schritten der amerikanischen Kirchen mußte er verständigt werden. Da nun aber jetzt Spanien seinen Colonialbesitz in West indien verloren hat, so verlangen die amerikanischen Kirchen auch die Aushebung des spanischen Patriarchats für Westindien. Eine solche Maßregel erscheint aller dings unausbleiblich; aber Papst Leo möchte dieselbe in Rücksicht auf Spanien noch um einige Zeit biaauSschieben; vielleicht in der Weise, daß die PatriarchatSwürde für West indien vorläufig unbesetzt bleibt. Dagegen wird voraus sichtlich dem Erzbischof von Buenos Aires die Cardinalswürde verlieben werden, so daß dieser zunächst die Vorrangstellung unter den süd- und mittelamerikanischen Kirchenfürsten einnehmen würde. Deutsches Reich. L. 6. Berlin, 25. Mai. (Die Eisenbahnunfälle des letzten Etatjahres.) Nachdem unlängst die im März d. I. vorgekommenen Eisenbuhnunfälle nach der im Neichseisenbahnamte geführten Controle veröffentlicht worden sind, läßt sich ein Ueberblick über die Betriebsunfälle des mit diesem Monat endigenden Etatjahres gewinnen. Vor gekommen sind auf den vollspurigen Eisenbahnen Deutsch lands (ausschließlich der bayerischen) im Ganzen 352 Ent gleisungen und 217 Zusammenstöße gegenüber 350 Ent gleisungen und 258 Zusammenstößen im Vorjahre. Bei der Vergleichung verschiedener Jahre ist indeß die Ver kehrsleistung zu berücksichtigen. Da im Iabre 1898 377 Millionen Zuakilometer gefahren worden sind gegen 350 Millionen im Vorjahre, so entfallen auf die Einheit von 10 Millionen Zugkilometer in 1898 9,34 Entgleisungen und 5,76 Zusammenstöße, im Vorjahre 10,00 Entgleisungen und 7,40 Zusammenstöße. Zurückgegangen ist also namentlich die Anzahl der Zusammenstöße. Ueberhaupt aber giebt sich eine erfreuliche Abnahme der Zugunfälle und damit eine Zunahme der Betriebssicherheit auf den deutschen Eisenbahnen kund, denn im Iabre 1880, auS dem die erste allgemeine Eisenbahnunfallstatistik stammt, entfielen 47 Zug unfälle auf lOMillionenZugkilometer, zehnIahrespäternoch27, während sich die Zahl heute auf 15, also im Laufe von zwanzig Jahren auf weniger al» den dritten Theil verringert hat. Besonders begünstigt war da» verflossene Jahr insofern, als eS von schweren Unfällen beinahe ganz verschont geblieben ist. Bei sämmtlichen den Zügen zugestvßenen Vorkommnissen haben nur 3 Reisende daS Leben verloren und 55 Reisende Verletzungen davongetragen, wogegen im Vorjahre 21 Reisende getödtet und 296 verletzt worden I waren. Diesem Umstande allein, nicht aber einer ungewöhnlich I großen Anzahl von Unfällen verdankt da» Jahr 1897 seinen > unheimlichen Ruf in der Geschichte der Eisenbahnen. Frirrlleton. Außer Diensten. isj Roman von Ernst Wichert. Nachdruck verdct n. Es fanden sich auch der Capitän und die Comtesse Hertha ein, der sich der Gast auch schon vorgestellt hatte. Herr von Jttenborn bemerkte so beiläufig, der Cousin habe versprochen, ein paar Tage zu bleiben, und seine Frau, an die er vornehmlich diese Worte richtete, schien nicht nur ganz einverstanden zu sein, sondern setzte hinzu, es sei ja eine wahre Wohlthat, in diesem verwunschenen Schloß einmal ein anderes Gesicht zu sehen und eine andere Meinung aussprechen zu hören. „Ich hoffe, Herr Doctor, wir werden Ihnen nicht zu bald langweilig werden." Einen so günstigen Eindruck hatte er auf die schon der Ver zweiflung nahe Schloßfrau gleich bei der Visite gemacht, die sie freilich geschickt verlängerte, als sie erst merkte, wie viel Unter haltungsstoff der junge Herr zu bringen im Stande war. Das Tischgespräch bewegte sich sehr lebhaft um allerhand schwebende Fragen in Politik, Kunst und Wissenschaft herum; der Doctor zeigte sich überall bewandert und wußte auch seinen längeren Aufenthalt in London und Paris, zuletzt in Berlin, ge schickt dazu auszunutzen, persönliche Erlebnisse und Begegnungen mit leitenden Persönlichkeiten einzuflechten. Das interessirte un gewöhnlich. Der kranke Punct: die Entlassung des Ministers, wurde nicht berührt, kaum einmal probeweise gestreift. Jungen heim wollte sich durch zu neugierig scheinende Theilnahme seine Position nicht verderben. Für die blonde Irmgard war er der Gegenstand etwas scheuer Beobachtung. Mußte es doch vorläufig für sie unent schieden bleiben, ob er ihr etwa« vorgeflunkert hatte, oder ob sie von ihm mehr wüßte als alle Anderen. Und gerade dieses letztere beängstigte sie ein wenig. Er übrigens schien gar nicht das Gefühl zu haben, als ob er ihr nicht offen in die Augen sehen könnte; denn da- schien bei der Tafel, Essen und Trinken ab gerechnet, recht seine Lieblingsbeschäftigung zu sein. Manchmal konnte sie sich eine ziemlich lange Weile einbilden, daß er seine Rede, wenn auch über ganz etwas Allgemeines, allein an sie hielte, denn er sah hartnäckig zu ihr hinüber oder wandte die Blicke nur so gelegentlich auch nach einer anderen Seite. Und sie selbst hatte es nun einmal von dem Unterricht in der Pension her so an sich, auf Den, der vortrug, immer die Augen zu richten.
- Aktuelle Seite (TXT)
- METS Datei (XML)
- IIIF Manifest (JSON)
- Doppelseitenansicht
- Vorschaubilder
Erste Seite
10 Seiten zurück
Vorherige Seite