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01-Frühausgabe Leipziger Tageblatt und Anzeiger : 06.06.1899
- Titel
- 01-Frühausgabe
- Erscheinungsdatum
- 1899-06-06
- Sprache
- Deutsch
- Digitalisat
- SLUB Dresden
- Lizenz-/Rechtehinweis
- Public Domain Mark 1.0
- URN
- urn:nbn:de:bsz:14-db-id453042023-18990606019
- PURL
- http://digital.slub-dresden.de/id453042023-1899060601
- OAI-Identifier
- oai:de:slub-dresden:db:id-453042023-1899060601
- Sammlungen
- LDP: Zeitungen
- Strukturtyp
- Ausgabe
- Parlamentsperiode
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- Wahlperiode
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Inhaltsverzeichnis
- ZeitungLeipziger Tageblatt und Anzeiger
- Jahr1899
- Monat1899-06
- Tag1899-06-06
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Gröbere Schriften laut unserem Preis« verzeichniß. Tabellarischer und Ziffrrnsatz nach höherem Tarif. Extra-Beilagen (gesalzt), nur mit d« Morgen-Ausgabe, ohne Poslbesörderung VO.—, mit Poslbesörderung 70.—. Annahmeschluß für Anzeigen: Ab end »Ausgabe: vormittags 10 Uhr. Morgen-Ausgabe: Nachmittag- 4 Uhr. Bei den Filialen und Annahmestellen je eine halbe Stund« früher- Anzeigen sind stet- an die Expedition zu richten. Druck und Verlag von E. Polz in Leipzig. 282. Dienstag den 6. Juni 1899. 93. Jahrgang. Freisinnige Volksfteundlichkeit. SS Die Einbringung des Gemeindewahlgesetzes im preußischen Abgeordnetenhause giebt der freisinnigen Presse die erwünschte Gelegenheit, unter längst bekannten, aber gleichwohl mit unverminderter Lebhaftigkeit vorgetragenen Ausfällen auf das „plutokvatische Dreiclassenwahlsystem" den Freisinn im Lichte der Bolksfrrundlichkeit zu zeigen. Das macht sich so gut und kostet so wenig. Wenn es aber darauf ankommt, VolkSfrcundlichkeit durch die That auf dem Gebiete der S o c i a lp o l i t i! zu be weisen, dann ist das Verhalten des Freisinns im Parlament wie in der Presse, in der Gemeindeverwaltung wie im praktischen Leben nur zu oft das Gegentheil von Volksfreundlichkeit. Das zeigt sich besonders deutlich in der Stellung, die der Freisinn gegenüber den Bemühungen zur Besserung der Lage der Con - fectionsarbeiter einnimmt. Man tritt den Berliner Conftctionären nicht zu nahe, wenn man annimmt, daß sie überwiegend politisch freisinnig seien. Wie aber verhielten sie sich just vor drei Jahren, als die allgemeine Aufmerksamkeit auf die Lage der Berliner Conftctionsarbeiter gelenkt wurde? Sie gaben, während die Eröffnung der Berliner Gewerbeausstellung die dortigen Zeitungen veranlaßte, in allen Tonarten die „arbeitsamste Stadt der Welt", das unablässige Wetter- und sturmfeste Ringen der Berliner Industrie, die „Tüch tigkeit" und den „Ernst" ihres Schaffens zu preisen — durch ihr Verfahren in der Lohnfrage ein abschreckendes Beispiel trauriger Art. Einhellig waren vom Reichstage und von der öffentlichen Meinung die Zustände in der Confectionsindustrie als unhaltbar erkannt und verurtheilt worden; ungctheilt gehörte die Sym pathie deS Publikums den streikenden Confectionsarbeitern, all gemein war die Befriedigung, als unter dem Drucke der öffent lichen Meinung und des von der nationalliberalen Partei herbei geführten Reichstagsbeschlusses verhältnißmäßig rasch ein Aus gleich zu Stande kam, «in Frirdensschluß, bei dem es weder Sieger noch Besiegte gab. Damals aber sind die Unternehmer einseitig von den vor dem Einigungsamt geschlossenen Ab machungen zurückgetreten. Seitdem hat der social« Sinn bei den Berliner Confectio- nären unzweifelhaft Fortschritte gemacht. Eonfectionäre aller Branchen erklärten «inmllthig, die Deitragspflicht zur Krankenversicherung der Berliner Hausindustriellen für die Gesammtheit übernehmen zu wollen, wenn di« Beiträge pro- centualiter von den effectiv verdienten Löhnen berechnet und ab gezogen werden dürften. Drei Jahre schon ist die Einführung dieser zwangsweisen Versicherung in der Schwebe und nun be richtet die Presse, daß der freisinnige Berliner Magistratdie letzte Vorlage der Gewerbcdeputation zur Krankenversicherung der Hausindustriellen abgelehnt und die Sache auf zwei Jahre ver tagt hat! Die Gewerbedeputation aber hat ihrerseits seiner Zeit in ihrem Vorschläge die Eonfectionäre von der Beütragspflicht frrilassen zu müssen geglaubt. So wenig volksfrrundlich Magistrat und Gewerbedeputation den Hausindustriellen gegenüber sich zeigen, so wenig thut da« das Organ des Abg. Eugen Richter, die „ Frei s. Z t g." , in Be zug auf die Beschlüsse, welche die Reichstagscommission für die Berathung der Novelle zur Gewerbeordnung hinsichtlich der Krankenversicherung der Hausindustriellen gefaßt hat. Gegen wärtig ist es den Gemeinden oder den weiteren Communalver- bänden überlassen, die Hausgewerbetreibenden durch statutarische Bestimmungen als krankenversicherungspflichtig zu bezeichnen; die Reichstagscommission will diese Befugniß auch dem Bundesrathe einräumen. Die Commission beschloß ferner, es sollte durch statu tarische Bestimmungen mit Genehmigung der höheren Verwal tungsbehörde, sowie durch den Bundesrath angeordnet werden können, daß für Hausindustrielle, die durch Zwischenmeister u. s. w. beschäftigt werden, die Auftraggeber der Zwischenmeister Beiträge und Eintrittsgelder für die Hausgewerbetreibenden zahlen und ein Drittel aus eigenen Mitteln entrichten. Die Auf traggeber der Zwischenmeister sollen im Werhältniß zu den Haus gewerbetreibenden, sobald diese in der Versicherungspflicht einbe zogen sind, stets als die wirklichen Unternehmer behandelt werden. Endlich soll durch statutarisch« Bestimmung öder durch den Bundesrath angeordnet weiden können, daß Hausgewerbe treibende und deren Gehilfen kein Eintrittsgeld zahlen. Gegen diese Beschlüsse der Reichstagscommission hat die „Freisinnige Zeitung" als gegen geschäftsordnungswidrige Hebel griffe lauten Protest erhoben: die Commission habe ihre Befug nisse überschritten. Di« „Freis. Ztg." ist aber mit ihrer Auf fassung, soweit wir gesehen haben, vereinzelt geblieben. Würden die Commifsionsbeschlüss« vom Reichstag« und vom Bundesrathe angenommen werden, so hätten vor Allem die 170000 Haus gewerbetreibenden, die inBerlin und in den Vororten zumeist in der Confection beschäftigt werden uüd nach wie vor in ungünsti gen Lohnverhältnissen leben, «in« ihnen wohl zu gönnende Er leichterung in Aussicht. Bielleicht aber ist es gerade die Schonung, deren der parlamentarische und der kommunale Freisinn gegenüber den Berliner 'Consectionären bisher sich befleißigten, die auch jetzt den Widerspruch der „Freis. Ztg." gegen angebliche Uebergriffe der Reichstagscommission hervorgerufen hat. Und doch wäre Volksfreundlichkeit in diesem Falle unendlich werthvoller, als die papierne Volksfreundlichkeit im Punkte des Gemeinde-Wahlgesetz- entwurfes. Die „schmutzige Wasche" -er Lauhandwerker. Nachdem soeben der Gesetzentwurf zum Schutz des gewerb lichen Arbeitsverhältnisses publicirt worben ist, gewinnt ein Bild aus dem Leben der Bauhandwerker, welches am Sonnabend vor der zweiten Strafkammer am Berliner Landgericht II aufgerollt wurde, an aktuellem Interesse. Die Firma Müller L Dau hotte im Herbst vorigen Jahres die Zimmerarbeiten an dem Neubau einer Fabrik in Marienfrlde auS- zuführen und hatte dazu 30 Zimmerleute unter einem Polier angestellt. Obwohl alle Arbeitsstellen damit vollauf besetzt waren, schickte Zimmermeister Müller am 18. Oktober vorigen Jahres den Zimmerpolier Regler mit den Geisellen Schulz und Hennig auf den Bäu mit der Ordre an den Polier Jost, sie zu be schäftigen. Letzterer erklärte, gar nicht zu wissen, wo er sie hin stellen solle, worauf Regler erwidert«: „Morgen kommen noch 16 Mann mehr!" Das wurde nun vom „ganzen Bau" so auf gefaßt, als sollten sie, die bisher d« Arbeit gefördert hatten, von 'den Neuankommenden verdrängt werden, und zwar ohne Grund, denn zwischen ihnen und dem Meister herrschte nicht die leiseste Differenz und die Neuangekommenen waren zu den selben Bedingungen angestellt wie die alten Arbeiter. ThcilS deshalb und theils weil die Neulinge weder dem Centralverbande der Zimmerer noch dem localen Verein der Zimmerer angehörten, kam es bald zwischen den alten Arbeitern und den neuen zu Reibereien. Letztere wurden mit Titulaturen, wie „Wärme hallenbrüder", „Streikbrecher" u. s. w., belegt, am zweiten Tage sogar mit Steinen und Schmutz beworfen, mit dem Todtschlagen u. s. w. bedroht. Als am nächsten Tage noch 15 neue Arbeiter anrückten, schickte sie der Polier zwar wieder zurück, weil er keine Arbeit für sie hatte, aber nun erklärten sich die Maurer mit den Zimmerern solidarisch und erklärten gemeinsam, die Arbeit «instellen zu wollen, wenn Regler, Schulz und Hennig weiter arbeiten würden, da sie mit denselben nicht arbeiten möchten. Am zweiten Tage Mittags wurden denn nun die drei Mann entlassen, sie holten aber einen Gen'darmen herbei, um Diejenigen feststellen zu lassen, die sie bedroht und beleidigt hatten. Auf Grund dieser Vorgänge wurden di« Maurer Karl Buch holz und Ernst Petreuschkc, sowie die Zimmerer Hermann Kutz, Johann Pade, Wilhelm Wikk, Ludwig Deter und Emil Heit mann unter Anklage gestellt. Die Angeklagten bestritten fast sämmtlich jedes Verschulden, der Gerichtshof hielt aber daS Zeugniß des Poliers Regler für das maßgebendste unter denen aller weiteren Zeugen. Regler bekundet: „Ich bin nicht Mit glied einer Organisation. Als wir »ach dem Bau hinauskamen, sah der Polier sofort an der Anweisung, daß wir vom Arbeit gebernachweis kamen. Der Polier sagte das den Anderen und sofort gingen die Sticheleien los. Wo uns Einer bei der Arbeit begegnete, da hieß es „Wärmehallen-Brüder!", „Streikbrecher", „Hallunken" u. s. w. Wir kehrten uns an nichts, wir arbeiteten bis zum Abend und fingen am anderen Morgen wieder an. Unsere Arbeit war, «ine Baubude einzureißen und mit den Brettern ein Zimmer im ersten Stockwerk provisorisch zu dielen. Schon beim Abreißen der Bude wurden Steine und Schmutzstücke nach uns geworfen, glücklicher Weise wurden wir nicht getroffen. Als wir oben in der ersten Etage arbeiteten, kam eine Gruppe nach der anderen, man trat uns dabei fast auf die Hände und Keiner kam, ohne uns zu beschimpfen. Einer sagte zu uns: „Ihr Wärmehallenbrüder, hier wird nicht ge- faullenzt! Hier heißt es, flott arbeiten! Wer nicht mit kann, wiro vom Bau geholt!" Der Maurer Buchholz kam und sagte: „Wenn Ihr zu Mittag wiederkommt, nehmen wir „Pique-Aß" (das ist der Spaten, mit dem der Kali umgedreht wird) und spalten Euch die Schädel!" Wir arbeiteten bis Mittag, da kam Polier Jost und sagte: ,^Leute, mit Euch wird das nichts! Geht man zu Hause, und wenn Ihr morgen wieder kommt, dann bringt „reine Wäsche" mit!" Wir zogen nun ab und trafen unterwegs den Gendarm Wöhkke, den wir aufforderten, die Persönlichkeiten, namentlich die des Buchholz festzustellen. Als dies geschah, verlangte Büchholz auch unsere Feststellung und sagte auf vie Frage „warum": „Die haben eine Majestätsbeleidigung begangen!" Als ihn der Gendarm zur Ruhe verwies, sagte er drohend: „Das werde ich Ihnen besorgen!" Der Vorsitzende, Landgerichtsdirector Merscheim, richtete an Regler die Frage, was mit der „reinen Wäsche" gemeint sei, worauf der Zeuge erwiderte: „Wenn Einer seine Papiere überdie Zugehörigkeit zur Organisatio n«nicht in Ordnung hat, dann heißt es, „er hat keine reine Wäsche", und wer keine „reine Wäsche" hat, muß sich gefallen lassen, mal - trätirt zu werden!" Vorsitzender: „Und was soll der Aus druck „Wärmehallenbrüder" bebauten?" — „Wärmehalle" wird der Arbeitgeber-Arbeitsnachweis genannt, und alle Diejenigen, die dort Arbeit nehmen, heißen „Wärmehallenbrüder". Obwohl die Zeugen Schulz und Hennig diese Aussage bestätigten, ge stattete die Beweisaufnahme doch eine mildere Auffassung, welche Rechtsanwalt Hirm zur Geltung brachte. Petreuschke, Wilk und Deter wurden wegen mangelnder Recognition freigesprochen, Kutz und Heitmann wurden zu je 100 c)( Geldstrafe, Pade zu s e ch s Wochen und Buchholz zu sechsMonaten Gefängniß verurtheilt. Deutsches Reich. * Leipzig, 5. Juni. In unserer Abendausgabe vom Sonn abend theilteo wir eine Zuschrift aus Berlin mit, in der unter der Ueberschrift „Aus dem Ordens le den" auf Grund eines Berichtes der „Meraner Zeitung" mitgetheilt wurde, daß bei der Primizfeier eines Kapuziners in Ober mai s 28 Gänge auf der Speisetafel erschienen seien. An diese Mittheilung war die Bemerkung des „Evangel. Arbeiterboten" geknüpft, daß der arme Tiroler jetzt wenigstens wisse, daß die Bettelgroschen, die der Frater Kapuziner bei ihm landauf landab zusammenfechte, bei den Kapuzinern von Meran praktische Ver wendung finde. 'Gegen diese Bemerkung, die auf falscher Voraus setzung beruhe, wendet sich eine uns von hier zugehende Zuschrift, FrrriHrtsir. Die Carolinen. Von Otto Leonhardt. Nachdruck verboten. Im Buche des Schicksals war es geschrieben, daß Deutschland zu der fernen und abgelegenen Inselgruppe der Cardlinen, die, über Hunderte von Meilen verstreut, von den Marschallsinseln bis zu den Philippinen sich hinziehen, in nähere Beziehungen treten soll. Schon einmal wehte ja auf Aap die deutsche Flagge, aber Deutschland erkannte damals auf Grund einer Entscheidung des Papstes Spaniens Recht auf die nach einem seiner Könige ge tauften Eilande an. Heute nun ist es entschieden, daß das Reich diesen letzten Rest LeS spanischen Besitzes im Stillen Ocean über nimmt, und wohl hat ihm di« Geschichte manche Rrchtstitel da rauf gegeben. Denn Deutsche haben sich um die Erforschung LeS Archipels besonders verdient gemacht: deutsche Handelshäuser, wie die Firmen Godefroy und HernSheim, haben ihn bereisen und untersuchen lassen, deutsche Gelehrte und Seeleute, wie di« Capi- täne Lütke und Tetens, der Admiral Knorr, der vr. 'Semper, haben ihn ausgenommen, vermessen, geschildert. Noch heute nimmt der deutsch« Handel, — in erster Linie der der Jaluit- Gesellschaft von den Marschallsinseln — in diesem Theile der Welt die erste Stelle ein. Mrd durch dies« «Umstände unsere Aufmerksamkeit natur gemäß auf di« Carolinen gerichtet, so nehmen sie doch auch um ihrer selbst willen das lebhafteste Interesse in Anspruch. Denn inmitten der Wüste deS Oceans bilden diese weltentrückten Ei lande eine eigen« kleine, in vieler Beziehung höchst merkwürdige Culturwelt. Freilich keine «rnheitlich«. Durch einen breiten MeereSarm wird der Archipel in zwei Gruppen getheilt, von denen di« östlich« die Ost-Carolinen oder auch schlechtweg di« Carolinen genannt werden, während die westliche als Palau-Inseln bezeich net wird. Beide find nach Bevölkerung und Sitten von einander verschieden, ja ftlbst benachbart« Inseln zeigen zuweilen ver schiedene Raffen und LedrnSgewohnheiten. Doch läßt sich von den Caroliniern im Ganzen so viel sagen, daß sie an Cultur ihre Nachbarn erhöblich übertreffen, daß sie im Allgemeinen einen zu traulichen, offenen und herzlichen Charakter besitzen und sich — wenigstens bis fremde Seeleute ihren demoralisirenden Einfluß auf sie ausübten — von vielen bei den Octamern weitverbreiteten Lastern freigehalten halben. Höchst eigenartig ist vor Allem die politisch-sociale Organi sation auf den Palau-Inseln ausgebildet. Ihre Grundlage ist di« Familie. Di« Uamilienaltesten haben die Häuptlingschaft inne, die stets auf den ältesten Bruder forterbt. U«ber den Häuptlingen steht der König, doch ist er in seinen Rechten ihnen gegenüber streng beschränkt. ES findet ihr gegenseitiges Der- hältniß äußerlich darin seinen Ausdruck, daß, wi« Kubary be richtet, wenn der König auf den Wegen einhergeht, sich die ein- flußr«ichst«n Häuptlinge vor ihm bücken, auf die Seite treten und verbeugt warten, bi» er vorbeigegangen. Der König aber bückt sich hierbei auch etwa». „Nur in solchen Fällen ist da» richtig« Verhaktniß zwischen ihnen vorhanden, nur dann herrscht guter Zustand im Lande." Einen weiteren Factor im Staate jedoch bilde« die Club» d«r Jünglinge, di« nicht häuptling-fähig sind. Diese Clubs heißen Klöbberyölls oder im südlichen Palau-Dia lekte Kaldebekels; in ihnen verkörpert sich die Wehrmacht des Staates, und sie besitzen «inen so starken Einfluß, daß ihr Wille bei Differenzen gewöhnlich über den der Häuptlinge und deS Königs siegt. Jeder Klöbbergöll wird von einem für das Ver halten der Mitglieder verantwortlichen Führer geleitet, und jeder besitzt ein eigenes Elubhaus, den durch Solidität und Schönheit der Ausführung ausgezeichneten Baj, in dem alle Angehörigen des Klöbbergölls Nachts über schlafen, während sie sich am Tage zu ihren Beschäftigungen in die Häuser ihrer Angehörigen zer streuen. 'Die Complicirtheit dieser Organisation wird endlich noch dadurch erhöht, daß die Frauen im Lande eine völlig eigene, von der der Männer ganz unabhängig« Regierung für ihre An gelegenheiten haben, die genau so eingerichtet ist, wie die Männer- Regierung, also sine eigene Königin, Häuptlinginnen und weib liche Klöbbergölls aufweist. Diese Damenclubs haben bestimmte, streng respectirte Recht«; so dürfen sie z. B. bei jedem, einem fremden Besuche zu Ehren gegebenen Feste von den Bewohnern des Dorfes ein« Contribution eintreiben; sie dürfen beim Tode des Königs von seiner Frau und seinen Kindern gewisse Ge schenke verlangen, u. s. w. Ein Zustand, der bei manchen unserer „Frauenrechtlerinnen" Empfindungen des Neides Hervorrufen dürfte. Aach sonst ist die Frau durch Sitte streng geschützt. Der Mann, der seine Fran schlägt oder öffentlich beleidigt, der dem Badeplatze der Frauen sich naht, ohne sich laut anzukündigen, der über die Ehefrau eines Anderen öffentlich spricht, wird streng bestraft. Freilich stets nnr durch Geld; Todesstrafe giebt eS auf den Palau-Inseln selbst für den Mord nicht. „Ist es nicht genug, daß ein Mann todt ist? Wenn dann auch die eine Mutter be trübt ist, so freut sich doch daS Herz der anderen, daß ihr Kind lebt", äußert« sich «in Palau-Carokinier über diesen Punct. Sind so die Palau-Frauen in vieler Beziehung günstig ge stellt, so wird ihr Dasein doch durch andere, sehr merkwürdige sociale Berhältniff« höchst unerfreulich. Es leben nämlich hier die jungen Mädchen allgemein in wilder Ehe mit den jungen Männern. Haben sie im 10. oder 12. Jahr« noch keinen Mann gefunden, so gehen sie al» „Avmengol" in einen fremden District, wo sie in einem Baj sozusagen al» ClubgAiebt« leben. DaS gilt keineswegs al» eine Schande; vielmehr wandert das Mädchen so lange von Baj zu Baj, bi» sie endlich von einem Mann« als Ehe frau gewählt wird. Don diesem Augenblicke an pflegt ihr L«benSwand«k tadellos zu sein, sie genießt all jene Ehren, die oben erwähnt wurden, uNd steht in der allgemeinen Achtung weit über Len Armengols. Aber ihre Ehe ist unter solchen Umständen natürlich nur ein« Sonvenienzehe, der Mann unterhält sich im Baj mit den Armengols, für deren Ernährung obendrein die Ehe frauen noch sorgen müssen. Auch die Mehrzahl der Kinder hat Armengols zu Müttern. Von Semper wissen wir, daß di« Palau-Frauen diese Berhältniff« oft sehr schmerzlich empfinden, aber die uralte Sitte heiligt sie, und die ganze Organisation des Lebens macht sie zur Nothwendigkeit. Daß unter diesen Um ständen in der Ehe die Gütrrtrennung streng durchgeführt ist, ist natürlich. Stirbt der Mann, so sucht die Frau zunächst heim lich so viel von seinem Besitze, als irgend möglich, bei ihren Ver wandten unterzubringen; erst wenn sie die» Geschäft besorgt hat, bringt sie den Tod durch rin laute» Wehklagen zur officiellen Kenntniß, und damit ist der Bruder de» Verstorbenen sein Erbe. Für daS lockere Derhältniß der Kinder zu den Eltern ist eS be zeichnend, daß der Sohn den Vater im Fall einer Meinungs verschiedenheit gelegentlich Tingaimger, d. i. Dummkopf, nennt, was mit ruhigem Lächeln hingenommen oder auch freundlichst er widert wird. Die Cultur der Palau-Insulaner spricht sich in mancherlei Leistungen und Einrichtungen aus. So finden wir die einzelnen Dorfschaften durch reinlich gehaltene, gepflasterte, meist einge- zäunte Wege mit einander verbunden; eben solch« Straßen führen zu den das Dorf umgebenden Pflanzungen. Die Häuser sind durchgängig mit auffallender Sorgfalt errichtet und vielfach ge schmackvoll verziert. Die Bewohner der Insel Aap, die, wie alle Carokinier, große Seefahrer und Handelsleute sind, sind berühmt durch ihren Bootsbau, der besonderen Meistern, den auch als Baumeistern fungirenden Takelbajs, obliegt. Auch auf den Ost- Carolinen finden wir eine hochausgebildete Technik des Schiffs baues; ferner werden hier allerlei hübsche Webereien hergestellt. Ganz besonders merkwürdig sind jedoch die steinernen Ufer mauern und W«rfte, die wir auf mehreren Inseln der Ost-Caro linen, z. B. auf Ponape, Ngatik und Kusaie, antreffen, überaus solide und imponirende Werke, die allerdings der Vergangenheit angehören, jedenfalls aber einen hohen Stand der Cultur be weisen. Auch finden sich im Innern von Ponape cyklopische Ruinen, die eine bedeutend« Kunst zeigen, und in ihrer Bedeutung bisher noch nicht ganz zu enträthseln waren, da die Insulaner über sie keine Auskunft mehr zu geben vermögen. Cheync hielt sie für alte Forttsicationen spanischer Seeräuberei; «S scheint sich indeß um einheimische Bauten, Häuptkingsgräber u. dgl. m. zu handeln. Jedenfalls erregen sie durch ihre Dimensionen wie ihre Technik Staunen und Bewunderung. Die erwähnte Insel Ponape bildet den Mittelpunkt der Ost- Earolinen, die außer zahlreichen kleinen Eilanden nur noch wenige größer« Inseln aufweisen. Auf Ponape befindet sich eine kleine europäische Colonie, auch eine amerikanische Mission. Die Insel ist mit dichten Wäldern bedeckt, die für den Haus- und Schiffsbau vortreffliches Material liefern; der Boden ist sehr fruchtbar, der Brodfruchtbaum, die Cocospalme, die wilde Ovang«, die Banane, das Zuckerrohr u. s. w. gedeihen hier, wie denn überhaupt fast alle größeren, ja zum Theil selbst die kleineren Inseln der Ost-Carolinen, wie der Palau-Gruppe, von der Natur sehr reich ausgestattet sind und nach der Ansicht CH«yn«'S, der sie genau kannte, bei geeigneter Bearbeitung fast alle tropischen Erzeugnisse leicht und in ansehnlichen Mengen hervorbringen könnten. Ponape darf. Alles in Allem, eine glück lich« Insel genannt werken, und vor dem Erscheinen bedenklicher europäischer Elemente verdiente «s diesen Namen vielleicht noch mehr. Willig spendet der Boden die Nahrung, leicht ist di« Ar beit. Di« Frauen wrrden sehr respectirt, und haben nur be stimmte Arbeiten, zumeist im Hause selbst, zu verrichten. Die Bewohner sind meist hell kupferfarben, und obwohl eher klein, sind sie doch wohlgestaltet zu nennen; indeß altern di« Frauen hier, wie in dem ganzen Archipel, frühzeitig, wozu die landes übliche Unkeuschheit beitragen dürfte. Sie sind «in fröhliches leichtlebiges Nolt, dessen Leben großentheils in Gesängen, Festen und Tänzen besteht. „Auf Ponape waren Diebstähle unbekannt und Lügen nutzlos." Während hier zumeist ein tiefer Frieden herrscht, ha-ben auf anderen Inseln alte StammeSfeindschaften einen Zustand erbitterter Kriege zur Regel gemacht. Eine ganz merkwürdige Rolle aber spielt der Krieg auf den Palau-Inseln. Hier ist er nämlich „ein politische Institution, eine überlieferte süt« und ein Mittel, Abgaben zu erheben." Will der Häuptling eines Staates bei den ihm befreundeten Staaten die Steuern ein ziehen, so bereist er mit einem durch seine Krieger erbeuteten Kopfe die betreffenden Districte, führt dort den Kriegstanz auf und empfängt dafür die entsprechenden Gelder. Es ist aber genau geregelt, wie oft der Kriegstanz von einem Staate ausgeführt weiden darf; alle Regierungen kommen der Reihe nach dran, und ebenso ist das Kopfstehlen bestimmt geordnet. Nie wird dabei mehr als ein Mann getödtet, und es verlaufen daher auf Korror oder Bebeltaob die Kriege trotz ihrer Häufigkeit recht wenig blutig. Seinem Zwecke nach dem Kriege verwandt ist der „Ruk". Der Ruk ist eine Festlichkeit, zu der, gleichfalls nach bestimmten Ordnungen, die Staaten einander einladen, und bei der sie von den Gästen entsprechende Gelder erhalten. Das Geld der Palau- Inseln ist freilich ebenso eigenartig, wie das der Ost-CarolineN'. Auf Len letzteren, in deren Sitten überhaupt noch vielfach die Steinzeit erkennbar ist, bilden das Werthmittel Arragonitsteine von der Größe und Gestalt eines Schweizerkäses bis zu der eine- Mühlonsteines, die durchlocht sind. Diese schwer wegzutragenden Münzen prangen oft, an Palmenstämmc gelehnt, vor Len Häusern der Besitzer, denen sie große Macht und Ansehen verleihen. Es holen besonders die Bewohner von N°p, der größten und west- lichst«n Insel der Ostgruppe, diese Steine von den Palaus, und die Mühe, sic zu gewinnen und zu bearbeiten, sowie die Gefahr, die in ihrer Transportirung auf den flachen Booten bis nach Zap liegt, macht sie wohl so werthvoll. Während aber das Geld in Dap jederzeit vermehrt werden kann, ist es auf den Palau- Inseln ein für alle Male (es heißt, durch einen Gott) beschränkt. Das Palau-Geld besteht aus ausgebrannten (geschmolzenen) Erden, aus Emaillen und aus natürlichem Glase. Das erstere Material giebt das werthvollste Geld, die rothen Kungaus und die gelben Baraks, die in Form von gebogenen Prismen mit etwas concaven Flächen geschliffen sind. Ein solcher Barak hat nach unserem Gelbe einen ungefähren Werth von 15 000 diese kost baren Münzen sind nun natürlich außer Umlauf, und nur «ine große Niederlage könnt« sie dem Staatsschätze oder der regieren den Familie, die sich ihres Besitzes rühmt, rauben. Minder kost, bare Geldstücke tragen die Töchter reicher Familien um ihren Hals; ist beim Tode ihres Mannes unglücklicher Weise sein Bruder zugegen, so darf er es der Weinenden, jedoch nicht Wider- strebenden abnehmen. Ist es nun sicherlich ein Zeichen der Cultur, daß Vi« Carokinier sich einen bestimmten 'Werthmesser, wie wir, geschaffen haben, so theilen sie mit uns auch den zweifel haften Vorzug, daß das Geld die Welt regiert. Es regulirt das Verhältniß der Eingeborenen zu ihren Göttern, es sühnt alle Verbrechen, es beendet jeden Hader, eS lohnt die Liebe. Selbst Falschmünzer, die da» FlaschenglaS zerstampfen und schmelzen, haben die Palau-Inseln aufzuweisen. Es brw«isen die ausgeprägten Einrichtungen der Carolinier jedenfalls, daß diese Rasse über eine nicht gewöhnliche Intelligenz verfügt. Im Handelsverkehr haben sie eine solche Initiative ent- wickelt, daß sie sogar eine Niederlassung auf einer der Marianen begründeten. Die Spanier haben sich seit Jahrhunderten fast gar nicht um diese Inseln gekümmert und nur eine nominelle Herrschaft ausgeübt: Deutschland wird sich daher auf den Caro linen die lohnettde Aufgabe bieten, die begabten und glücklich ver anlagten Eingeborenen vor dem Verderben durch fremde Ele mente zu schützen und ihre gesegneten Inseln zu voller Leistungs fähigkeit zu entwickeln.
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