Suche löschen...
01-Frühausgabe Leipziger Tageblatt und Anzeiger : 07.06.1899
- Titel
- 01-Frühausgabe
- Erscheinungsdatum
- 1899-06-07
- Sprache
- Deutsch
- Digitalisat
- SLUB Dresden
- Lizenz-/Rechtehinweis
- Public Domain Mark 1.0
- URN
- urn:nbn:de:bsz:14-db-id453042023-18990607012
- PURL
- http://digital.slub-dresden.de/id453042023-1899060701
- OAI-Identifier
- oai:de:slub-dresden:db:id-453042023-1899060701
- Sammlungen
- LDP: Zeitungen
- Strukturtyp
- Ausgabe
- Parlamentsperiode
- -
- Wahlperiode
- -
Inhaltsverzeichnis
- ZeitungLeipziger Tageblatt und Anzeiger
- Jahr1899
- Monat1899-06
- Tag1899-06-07
- Monat1899-06
- Jahr1899
- Links
-
Downloads
- Einzelseite als Bild herunterladen (JPG)
-
Volltext Seite (XML)
Bezugs-Preis k der Hauptexprditton oder den tm Stadt bezirk und den Vororten errichteten Aus gabestellen abgeholt: vierteljährliche4.K0, bei zweimaliger täglicher Anstellung in» Hau« e b.bO. Durch die Post bezogen für Deutschland und Oesterreich: vierteljährlich e S.—. Direct« täglich» Kreuzbandieoduug in» Ausland: monatlich e 7.bO. Di« Morgen-Au-gabe erscheint um '/,? Uhr. die Avrnd-AuSgabe Wochentag» um b Uhr. NeLactiou »«- Erpe-itto«: Aahaa«t»gaff« 8. Die Expedition ist Wochentag« ununterbrochen geöffnet von früh 8 bi» Abend» 7 Uhr. Filialen: Ott« Klemm'» Lortim. (Alfred Hahn), Universitätsstraße 3 (Paulinum), Laut» Lösche, Katharinevstr. 14, Part, und Köaig-platz 7. 28L Morgen-Ausgabe. eMgcr JaMatt Anzeiger. AmtsVkatt des Königlichen Land- imd Amtsgerichtes Leipzig, -es Mathes und Notizei-Amtes -er Ltadt Leipzig. Mittwoch den 7. Juni 1899. Anzeigeu-PreiS die 6gespaltene Petitzeile 20 Pfg. Reclamen unter dem RedactionSstrich (»ge spalten) vor den Familiennachrichtru (6 gespalten) 40/H. Größere Schristen laut unserem Preis- verzeichniß. Tabellarischer und Ziffernjatz nach höherem Taris. Extra-Beilage» (gesalzt), nur mit der Morgen.Ausgabe, ohne Postbeförderung 60.—, mit Postbeförderuug 70.—. Amnchmeschlnß fiir Anzeigen: Ab end-Ausgabe: Bormtttag» 10 Uhr. Morgen - Ausgabe: Nachmittag» 4 Uhr. Bet den Filiale» und Annahmestelle» je eine halbe Stunde früher. Anteilen sind stets an die Expedition zu richten. Druck und Verlag von E. Polz in Leipzig. S3. Jahrgang, Ausschreitungen bei den Arbeitskampfen der letzten Lahre. Als ergänzend« Begründung zu dem Gesetzentwurf über den Schutz de» gewerblichen Arbeitsverhältnisses ist dem Reichstage bekanntlich eine Denkschrift zugegangen. Sie macht aus l08 Octavseiten, gestützt auf Vie in sämmtlichen Bundesstaaten vorgcnommenen Erhebungen, nähere Mitthei- lungcn über Umfang und Art der Ausschreitungen, die bei den Arbeitskämpfen der letzten Jahre vorgekommen sind, und erörtert im Schlußabschnitt die Unzulänglichkeit der be stehenden Strafbestimmungen zur Verhütung und Abwehr solcher Ausschreitungen. Dem in der Denkschrift enthaltenen Material sind nach folgende Angaben und Hinweise entnommen. I. Häufigkeit und Schwere der Ausschreitungen. Die Arbeiterbewegung der letzten Jahre hat, wie aus den Ant worten aus die amtliche Umfrage sich ergiebt, in beträchtlichem Maße strasbarr Ausschreitungen im Gefolge gehabt. So sind bei der Staatsanwaltschaft I Berliu seit 1896 etwa 124 Unter- suchungen unter Berufung auf 8 1b3 der G. O. anhängig gemacht worden, die in 82 Fällen zu Verurtheilungrn geführt haben, bei der Staatsanwaltschaft II Berlin etwa 4S. An den allgemeine« Aeußerungen seien nachstehend« aufgeführt: Der Oberstaatsanwalt in BreSlau bemerkt, der Zwang zur Coalition und zum Streik sei nach den amtlichen Erhebungen oft sehr weitgehend, und geeignet, „Zustände herbrizuführen, welch« an Anarchie grenzen"; aus Erfurt wird berichtet, daß bei alle» Aus ständen seitens der Ausständigen aus die Arbeitswilligen mit allen erdenklichen und widerrechtlichen Mitteln eingewirkt wird, um sie zu verhindern, „Streikbrecher" zu werden; in dem Berichte auS Altona heißt eS, daß die Belästigungen Arbeitswilliger „größten- theil» sehr arger Natur waren"; der Bericht deS Regierungs präsidenten zu Lüneburg bekundet, daß Belästigung«» und Einschüchterungen der Arbeitswilligen durch Ausständige die regel mäßige Begleiterscheinung der Au-stände gewesen wäre»; deS- gleichen berichtet der Regierungspräsident zu Wiesbaden von dem widerrechtlichen Zwang, der fast bet jidem Ausstande auf die Arbeitswilligen au-geübt wird; au» Arnsberg wird bemerkt, daß die Arbeitswilligen „stet- Beschimpfungen und Schmähungen, Drohungen und Mißhandlungen au-gesetzt sind"; in Bayern haben die Versuche Ausständiger, „das Eintreten von Ersatzmannschaften mit allen, auch verwerflichen Mitteln zu verhindern, eine ganz bedenkliche Aus- dehnung gewonnen"; in Baden wurde festgestellt, daß der Streik terrorismus neuerdings stetig wachse und der bisherige Schutz der Arbeitswilligen nicht ausreichend sei. Die bei den einzelnen Ausständen verübten Verfehlungen be- standen in Beleidigungen, Drohungen und Grwaltthätigkeiten der verschiedensten Art; von einfachen Ehrverletzungen und Kund- gedungen der Mißachtung steigern sie sich bis zu den niedrigsten und gröbsten Schmähungen, gefährlichsten Drohungen, rohesten Mißhandlungen und schwersten Verbrechen. Bei den Miß- Handlungen der Arbeitswilligen wurdeo vielfach Stücke, Knüttel, Steine al» Werkzeuge verwandt; verschiedentlich spielte auch das Messer bei Uebersällen eine verhängnißvolle Rolle. Während der letzten großen Bergarbeiterausstände im rheinisch-west fälischen Kohlenrevier und im Saar-Revier wurden wiederholt Dynamitanschläge gegen die Häuser von „Streikbrechern" aus- geführt; auch wurde versucht, ihre Häuser zu demoliren und anzu- zünden. Bei dem Ausstande im rheinisch-westfälischen Revier 1892/93 wurden 7 Dyuamitanschläge, darunter 3 auf Eisen bahnzüge, verübt. Der Umfang der strafbaren Ausschreitungen in einzelnen Orten und bei einzelnen Arbeitskämpfen und der Charakter der infolge besten erhobenen Anklagen und erfolgten Berurtheilungen wird in der Denkschrift an einer Reihe von Beispielen dargelegt, gleichzeitig wird aber auch daraus hingewiesrn, daß ein sehr erheblicher Theil der Verfehlungen nicht zur amtlichen Kenntniß gelangt, da die Betroffenen aus Furcht vor weiteren Verfolgungen und Gewaltthätigkeiten sich scheuen, Anzeige zu er statten. Auch für die Beweisführnng bei Strafsachen, welche mit Arbritskämpfen zusammenhäugeo, erwachsen außerordentliche Schwie rigkeiten au» der Furcht der Zeugen vor Behelligungen durch di« AuSständigeo. Au» vielen Orten wird auch von strafbare» Ausschreitungen gegen Arbeitgeber (Sachbeschädigungen, Belridiguugrn, Haus friedensbruch, Bedrohungen, Mißhandlungen, ErpressungSversuchra) berichtet. Wiederholt ist e« auch vorgekommen, daß dritte Per sonen, die zu den Au-ständen selbst in keiner unmittelbaren Be ziehung standen, z. B. die HauSwirthe Arbeitswilliger, unter Be helligungen durch streikende Arbeiter zu leiden hatten oder von Gewalt thätigkeiten der schlimmsten Art betroffen wurden, abgesehen davon, daß durch die Zahl und die Art der Ausschreitungen die ganz« Eiu- wohnerschaft einzelner Ortschaften oder Gegenden geraum« Zeit hin durch in Unruhe oder Bestürzung versetzt wurde. Daß die zur Auf rechterhaltung der öffentlichen Ordnung und Sicherheit berufenen Beamten auS Anlaß von Arbritskämpfen in ganz erheblichem Maße beleidigt und verspottet, bedroht, angegriffen und verletzt wurden, wird mehrfach berichtet und durch die Darstellung roher Massenausschreitungen näher beleuchtet. Wie sehr in den Kreise» der Handel- und Gewerbetreibenden da» Bedürsniß nach einer Verstärkung der, SchupeS gegen die bei Arbeit», eiostellungen vorkommenden Ausschreitungen empfunden wird, kommt namentlich in den Jahresberichten derjenigen Handelskammern zum Ausdruck, welche während deS Hamburger Hafenarbeiter- ausstandeS von 1896/97 au» nächster Nähe Erfahrungen zu sammeln Gelegenheit hatten. Einige markante Stellen aus den betreffenden Jahresberichten werden in der Denkschrift wiedergegeben. II. Ausschreitungen von Arbeiter» gegen Arbeiter. Die Ausschreitungen von Arbeitern gegen Arbeiter sind häufig auf die Absicht zurückzusühren, den Beitritt der nicht organisirten Kameraden zu den Arbeitercoalitionen zu erzwingen. Zu diesem Zweck werden von den organisirten Arbeitern und der mit ihnen verbündeten Socialdemokratie alle erdenklichen Mittel an gewandt: Verspottung, Beleidigung, Nöthigung, Sachbeschädigung, Mißhandlung rc. Es liegen Beisviel« vor, daß die Verfolgten, welche trotz alledem zum Anschluß an die Verband»- und Streikcassen nicht zn bewegen waren, ihren Beruf aufgeben oder den Ort verlassen mußten. Der Druck zum Beitritt wird in zweifacher Richtung auS- geübt: Der Nichtorganisirte wird von seinen Arbeitskameraden drang- salirt und der gemeinsame Arbeitgeber wird von den Organisirten dazu gedrängt, den der Mehrheit mißliebigen Arbeiter zu entlassen. Wenn letztere» nicht geschieht, wird mit der Einstellung der Arbeit gedroht, bisweilen auch der Streik thatsächlich in Scene gesetzt und die betreffende Arbeitsstätte für alle Arbeiter gesperrt. Im Bau gewerbe gilt vielfach dir Parole, „keinen Nnorganisirtea zn dulden". Die Arbeitgeber sind, »m schweren materiellen Schädigungen vorzu beugen, oft nicht in der Lage, den Forderungen bezüglich der Ent lassung oder der Nichteinstellung einzelner Arbeiter sich zu wider« etzen. AuS der Menge der Beispiele, die in der Denkschrift für die hier berührten Conflicte angeführt werden, sei nur eine» citirt: In Gartz a. O. sahen mehrere Maurer sich genöthigt, dem Ber- bande der Maurer Deutschlands beizutretrn, weil e» ihnen sonst nicht möglich war, Arbeit zu erhalten ; sie sind in Folge dessen auS dem Kriegerverrin au-gestoßen worden. Der Streikzwang, welcher weiterarbeiteude Genossen zum Einstellen ihrer Thätigkeit veranlassen und Arbeitswillige von der Ausnahme der Arbeit abhalten will, wird mit den verschiedenartigsten Zwangsmitteln durchgesetzt. Einschüchterung und Bedrohung spiele, auch hier eine große Rolle. Die Ausständigen zeigen sich hierbei bisweilen für alle andern Rücksichten und Erwägungen unzugänglich. DaS beweist z. B. ihr Verhalten gegenüber solchen Genossen, die au» Besorgniß für ihre Familie den Beitritt zum Ausstand ablehuen. So wurde während des Textilarbeiterausstandes zu CottbuS eiu Tuchmacher mitTodtschlag bedroht, nachdem er die Niederlegong der Arbeit unter dem Bemerken verweigert hatte, daß seine Frau in den Wochen liege, und daß er für seine hungernden Kinder sorgen müsse. Eine beliebte Art der VerrusSerklärung ist die Bekanntgabe der Namen der „Streik brecher" in Versammlungen oder Zeitungen. In München wurde im Mai 1897 der Verein „Arbeiterschutz" al» „katholische Streik- brecherorganisation" gebraudmarkt. Der TerroriSmu» gegen die Arbeitswilligen bedient sich noch anderer Mittel. So wird berichtet, daß die Streikenden bisweilen die Arbeitswilligen sammt ihren Familien dnrch Aufkündigung der Wohnung vom Platze deS Arbeiterkampfe» zu vertreiben oder durch Wegnahme de» Hand gepäck» und der ArbritSwerkzeuge einschüchterud und hindernd auf sie einzuwirken versucht haben. Kein Mittel zur Einschüchterung und Fernhaltung ArbeitS- williger wird jedoch mit solcher Regelmäßigkeit und so nachhaltigem Erfolge angewandt wie da» „Streikpostenstehen". Von allen Seiten wird darüber geklagt, daß die eingehend organisirte, planmäßige Ueberwachung, auch wenn keine strafbaren Aus schreitungen mit ihr verbunden sind, zum terroristischen Streikzwange führe. Aus Leipzig wird — nm nur ein Beispiel anzuführen — aus Grund langjähriger Erfahrungen berichtet, daß die unausgesetzte Belagerung der Bahnhöfe, der öffentlichen Straßen und Plätze, der Arbeitsstätten und ihrer Zugänge eine starke Einschüchterung Hervorrufe; „das Gefühl des steten Beobachtetseins und Begleitet werdens übt einen sehr bedeutenden Druck auf die Arbeitswilligen au»". Die Zusammenrottung von ganzen Schaaren au»- ständiger Arbeiter ist eine nicht seltene Begleiterscheinung dieser UeberwachungSthätigkeit. Bei einigen Au-ständen wurde der von den StreikcomitSs nach militärischem Muster organisirte und bis- weilen bezahlte Postendienst in so ausgedehntem Maße gehandhabt, daß er ganze Ortschaften vollständig umschloß. Die Ueberwachung deS BahnhofSverkehrS hat wiederholt erhebliche Verkehrs körungen hervorgerufen und daS Eingreifen der Polizei nölhig gemacht. Behörden, Arbeitgeber und Arbeiter haben zu den mannigfachsten Mitteln greife» müssen, um Belästigungen dec Arbeiter durch Streikposten zu verhindern. Polizeiliche Hilfe zum Schutze der Arbeitswilligen und der von auswärts zugezogenen Arbeiter hat (mehrfach in Anspruch genommen werden müssen; in mehreren Fällen war auch eine fortgesetzte polizeiliche Be- wachung von gesperrten Arbeitsstellen zum Schutze der Arbeitenden oothwendig. Bon den Maßnahmen der Arbeitgeber gegen den TerroriSmu- der Streikenden sei lediglich erwähnt die Unterbringung der von auSwärt» herangezogeuen Arbeitskräfte in eigens hierzu eingerichteten Schiffen während deS Hamburger Hasen- arbeiterstreikS; doch mußten auch diese Casernenschiffe sehr bald unter polizeilich« Bewachung gestellt werden. Die Arbeiter selbst suchten sich in anderen Fälle» zu schützen, indem sie nur in geschlossenen Hausru zur Arbeit und nach Hause zogen. Charakteristisch für die eiuschüchternde Wirkung der UeberwachungSthätigkeit ist eine Mitthrilung aut Stettin, nach welcher bei den Arbeitseinstellungen in vier dortigen Fabriken Niemand die Arbeit ausgenommen hat, so lange di« Ausständigen sich in der Nähe der Arbeit-stillen aufhielten, daß aber nach der Entfernung der Streikposten die Arbeiter wieder in Schaaren zu den Arbeitsstätten kamen. Aehnliche Erfahrungen sind auch au anderen Orten ge macht worden. Vom bayerischen Justizministerium, von der groß herzoglich hessischen Regierung und von anderen Seiten wird über einstimmend hervorgrhobru, daß schon die einfache Thatsachr der Beaufsichtigung in hohem Grad« riuschüchternd auf die Arbeits willigen wirkt. Zudem hat die Aufstellung von Controlposten un gemein häufig zu Bedrohungen und Ehrverletzungen geführt. An- Halle wird berichtet, daß eia großer Theil der anläßlich der Aus stände verübten und gerichtlich abgeurtheilten Strasthaten das Streik- posteostrhrn zum Vorläufer hatte, und auS Leipzig heißt eS: „Bei Weitem die meisten der vorgekommenen und zur Bestrafung ge zogenen Streikausschreitungen sind von Streikposten begangen oder hängen doch mit dem Streikposteustehen mehr oder weniger eng zusammen." Zur Erregung und Steigerung der Leidenschaft und Aufreizung der Arbeiter haben vielfach berufsmäßige Agitatoren mitgewirkt, die ohne Rücksicht aus die thatfächlichen Verhältnisse die Unzufrieden heit und Streiklust anschürten, di» Ausstandsbewegung in Gang brachten und einen friedlichen Ausgleich zu Hintertreiben suchten, um die „Führung" in Händen zu behalten. Ihre Einwirkung war besonders gemeinschädlich, wenn sie zu Ausschreitungen ausreizten oder durch ihr eigenes Beispiel anseuerten. Ein Bericht aus Cottbus bemerkt, „daß ohne jene Hetzer zahlreiche Arbeitseinstellungen mit Neue Dramen. i. Das historische Drama scheint, trotz der lärmenden Erfolge einiger Hohenzollern- und Hohenstaufendramen, auf den Aus sterbeetat gesetzt zu sein, denn höchst selten taucht aus den deutschen Repertoire» ein Drama auf, welches einen geschicht lichen Namen in seinem Titel zur Schau stellt —, und in der Regel erscheint ein solches Stück aus einer ProvinMihne, um rasch wieder zu verschwinden. Nur das Malerzeichen von Ernst von Wildenbruch kann die Berliner Bühnen veranlassen, ein solche» historische» Gemälde auf ihren Brettern auszustellen. Jedenfalls ist der niedrige Coursstand der historischen Dramatik an der Theatrrbörse zu bedauern; denn Schiller und Shakespeare bezeichnen gerade in ihren Geschichtsdramen «inen Höhepunkt dramatischer Dichtung aller Zeiten, und die Abwendung der Bühnen von dem Geschichtsdrama hat zur Folge, daß unsere Theaterrepertoire von Tag zu Tag seichter werden und zuletzt der dramatische Tingeltangel die vollsten Häuser macht. Die Dichter freilich lassen sich durch die Ungunst der jetzigen Theaterzustände nicht abschrecken — und so erscheinen im Buch handel noch immer historische Dramen in Hülle und Füll«, und wer ein solche» Drama von dem Sortimenter kauft, der besitzt es voll und eigen und zahlt im Uebrigen einen geringeren Preis dafür, al» er sür ein Logen- und Parqurtbillet, da» nur für einen Abend giltig ist, zahlen würde. Gleichwohl finden im Buchhandel nur diejenigen Stücke Absatz, die an den Bühnen Cour» haben, und so bleiben die übrigen, soweit sie bühnen möglich sind, Anweisungen für die Zukunft oder beweisen nur das anrrkennenswerth« Streben der Verleger, begabten Dichtern eine gewisse Oeffentlichkeit zu sichern. Ueberrascheckd bleibt e» indeß, wenn rin jüngerer Dichter mit einem ganzen Cyklu» von Geschichtsdramen auf einmal her vortritt. Einen solchen Dramencyklus hat Wilhelm Weigand unter dem Gesammttitel „DieRenaissance" (zwei Bände, Verlag von Hermann Lukaschik, G. Franz'sche Buchhandlung, München, I89S) herauSgegeben, und zwar kutschirt der Dichter vom hohen Lock der Tragödie ein Vier gespann von Dramen: „Tessa", „Savonarola", „Cesare Borgia", „Lorenzino". Man darf aber dabei nicht an eine antike Tetralogie denken; eit fehlt jeder Zu sammenhang der Handlung, jeder einheitliche Grundgedanke; da» Gemeinsame aller dieser Dramen ist, daß sie eben im Zeitalter der Renaissance in Italien spielen und da» Gepräge dieser Zeit tragen, soweit es sich in geschichtlichen Vorgängen spiegelt. Die führenden Geister de» Zeitalter», «in Macchiavelli, «in Savona rola, kommen zwar zu Wort: aber große Künstler, wie Michel Angelo, treten nur ganz episodisch auf — und ein Künstlerdrama würde in diesem Cyklus eine empfindliche Lücke ausgefllllt haben. Hat doch Friedrich Heblxl in seinem Einacter „Michel Angelo", einer dramatisirtenAnekdote, für dasZeitalter der wiedergeborenen Kunst des Alterthums eine treffende Signatur gefunden. Drei Dramen Weigand's sind in Prosa geschrieben, in einer markigen Prosa, welche das Charakteristische scharf hervorhebt, vielfach an den Stil der genialen Kraftdramatiker erinnert und auch nach der „Modernen" schielt in einer gewissen Freigeisterei der Leidenschaft und in gewagter Betonung des Geschlechtlichen. „Savona rola" fällt aus dieser Stilgleichheit heraus; es ist älteren Datums und erschien schon 1890 in einer Sammlung dramatischer Ge dichte; es ist in Versen geschrieben, noch dazu in Reimverfen, und es fehlt darin nicht an einer salbungsvollen Rhetorik: dazu ver führt der Stoff. Hat doch schon Lenau in seiner lyrisch epischen Dichtung: „Savonarola" diesem Predigerhaften Ton un erquickliche Zugeständnisse gemacht, so daß sich neben dem Protest gegen die Ausschreitungen de» römischen Kleru» auch viel Seichte» und Engherziges in di« breiten Reden einschlich. Das Drama von Auffenberg: „Der Prophet von Florenz" ist nicht so eintönig; eS hat Bewegung, freiheitlichen Schwung, starte dramatische Accente. Wirksam ist die große Scene zwischen dem Papst und dem Reformator. Da» Drama von Richard Voß ist nach unserer Ansicht eins der besten Werke deS kraftgenialen Dramatiker»; die frcierfundene Liebe von Savonarola und Lucretia Borgia ruft einige dramatisch und theatralisch wirksame Situationen hervor. Die Diction hat Kraft und edlen Schwung. Mit diesen Tragödinen kann sich der „Savonarola" von Wei gand nicht vergleichen; er ist durchaus Historienhaft gehalten, im Stil einer Haupt- und Staatsaction, und waS da hineinerfunden ist, der schwankende Marco, die freche Portia, der alte Dichter Für trägt einen durchaus episodischen Charakter und greift in die Haupthandlung gar nicht ein. Im Einzelnen findet sich manches Sinnvolle und Schöne in der Dichtung. Weit dramatischer ist „Teffa", «in Liebesdrama, daS in Siena spielt und in welchem ein italienischer Stadtdespot und der Kampf der Bürger gegen seine Tyrannei den Hintergrund bildet für Scenen ä In „Romeo und Julia". Pandolfo, der Despot, liebt Tessa, deren Groß mutter diese Liebe begünstigt, weil sie ihr eine Waffe in die Hand giebt, zur Rache an dem Volke von Siena, das ihren Sohn getödtet, doch Testa liebt einen jungen Bürger Sandro, und al» dieser sich an dem Aufstand gegen Pandolfo betheiligt, aber ge- fangen wird, zeigt sie sich, um ihn zu retten, bereit, der „giftigen Kröte", ein Ehrentitel für den Herrscher Siena», ihre Hand zu geben. Doch dieser hat Sandro nur freigelassen, um ihn dann durch «inen Bravo au» dem Wege zu räumen. Verwundet kehrt Sandro in» Schloß zurück. Teffa zückt den Dolch auf Pandolfo, als dieser seine mörderischen Absichten beichtet, dann, als der Dolch abgleitet, tödtet sie sich selbst. Sandro stürzt herein und dringt auf Pandolfo ein, wird aber von diesem niedergestoßen. Mit solcher grellen Katastrophe endet das Stück. Es ist wenig sympathisch. Diese italienischen Duodezwüthriche ermangeln zu sehr der Größe; aber einzelne Situationen sind markig ausgeführt und auch die Sprache der Liebe, die einmal sogar aus der Prosa herausdrängt und in duftiger Vcrslyrit aufblüht, hat einen leidenschaftlichen Zug. Das Genrehafte in den Nebenscenen wirkt oft erheiternd; der Stutzer Grifone ist eine gute Charakterzeichnung; die milde Weisheit des Cardinals ist zum grimmen Haß der alten Katha rina in wirksamen Contrast gestellt. An einer Stelle, wo diese Weisheit in freien Rhythmen ausnahmsweise sich ergießt, schlägt sie einen weihevollen Ton in sinnigen Auisprüchen an: Kein Mensch steht ganz allein. Wir Alle sind verbunden Durch Sünden und Elend Und durch die große allmächtige Bruderschaft de» Schmerzes. Wenn ich mit diesem Fuße Die» purpurne Blümchen zertrat, So beben tausend, tausend Schwesterblumen Und -Sterne mit. Die unselig rasche Hand, Die mit frechem Griff Die gold'nen Fäden zerreißt. Die alle Wesen heimlich verbinden/. Weckt nur das Schicksal, und dies heißt Tücke. UnS Allen ist «ine Schranke gesetzt. In engen Grenzen reisen wir Alle: Merk Dir'», Du arme», verlor'ne» Kind! Das heilige Maß Ist das Geheimniß dieser nieder» Welt. Wer mit heißer Begierde Die Ruhe verletzt, In der Alle» reift Und Alle» bangt: Wir suchen den Frieden, Verfällt dem Schicksal, dessen Name — Noth. So wundersam ist alles Lebendige verwoben — Tag und Nacht und Leid uckd Glück In ewiger Schwebe, In ewigem Schwanken. DaS dritte Schauspiel „Cesare Borgia" behandelt einen Stoff, der zur Zeit, al» die zu erkämpfend« Einheit Italiens auf der Tagesordnung stand und kühne Kronräuber wir der dritte Napoleon die Weltgeschichte zu beherrschen schienen, «in actuelle» Interesse hatte. War doch auch der Vertreter de» politischen Je- l suitiSmus, der große Schriftsteller Macchiavelli, ein Zeitgenosse I von Cesare Borgia, und rin« dramatische Dichterin Clise Schmidt hat in ihrem am Berliner Hoftheater gegebenen Drama .Macchiavelli" die blutige That des Borgia, die Ermordung der rebellischen Heerführer, mit in die Handlung verwebt. Macchia velli ist in unserem Drama der Chorus der Tragödie, der Herold de» Borgia, der aber seinem Helden viel von seiner Bedeutung nimmt; denn wir sehen zwar sein entschlossenes, rücksichtsloses Handeln, aber für die Größe seines Strebens genügt doch nicht die Zustimmung des Borgia zu den Anschauungen und Tendenzen des Florentiners. Cesare selbst ist ein verbrecherischer Usurpator. Schon im Vorspiel räumt er feinen Bruder Gandia aus dem Wege; solch ein Brudermord in einem Vorspiel ist doch eine allzu grell instrumentirte Ouvertüre. Noch dazu sind die Motive kleinlicher Art, und ein mit dem Kainzeichen von Hause aus be hafteter Held läßt un» schwer an seine Heldengröße glauben. Eher ist die Gewaltthat gegenüber den feindlich gesinnten HeereSführern gerechtfertigt — in dem Schauspiel der Elise Schmidt ist sie übrigens dramatisch wirksamer inscenirt. Wir sollen in Cesare Borgia eine Art von Uebermenschen sehen, der jenseits von gut und böse steht, indem er große Pläne verfolgt; doch dazu er scheint er nicht geistig bedeutend genug; er hat wohl Initiative, doch die des zum wilden Sprung ausholenden Tigers. Eber erscheint Papst Alexander VI. al» eine Art von Nietzsche mit der Tiara. „WaS heut Dir gut scheint", sagte er zu Cesare, „wird morgen Dir bö» erscheinen, denn ewig ändern That und Wort und Blick ihre eigenste Bedeutung." Daß der Papst und Cesare durch em Versehen Gift zu sich nehmen, welche» für Andere be stimmt ist, beruht auf einer überlieferten AoeLote. Der Papst stirbt daran. Cesare'» kräftige Natur schützt ihn vor dem gleichen Loo». Doch nun ist sein Stern im Sinken. Sein erbitterter Gegner, der Cardinal della Rover«, besteigt den päpstlichen Thron, Cesare'» Schwägerin und frühere Geliebte, Sancia, eine der am besten gezeichneten Charaktere deS Stücke-, von Haß und Rache durst erfüllt, bewirkt, daß er in Neapel gefangen genommen wird. Die Weltgeschichte verdirbt jetzt dem Dramatiker da» Con- cept — eine Reihe Historienhafter Scenen, ein« von Land zu Land überspringende Handlung giebt nur ein«» matten und zer splitterten Abschluß. Der Held erscheint al» Abenteurer, als tapferer Soldat; doch wo ist sein» große, weltgeschichtliche Be deutung gSblieben? Da» ist «ine AchilleuLferse de» Stoffe», für welche der Dichter nicht verantwortlich zu machen ist. Wenn sich indeß unsere Bedenken gegen den Charakter de» Helden selbst regten, so müssen wir doch die dramatische Energie vieler Scenen anerkennen, in denen ein großer Zug herrscht, und die Wei», heit de» Macchiavelli geht über da, Zeitalter der Renaissance hinaus al» rin Vermächtniß sür die Politik der Zukunft. Da« vierte Drama „Lorenzino" hat wohl von allen den interessantesten Stoff. Der Held ist einer jener problematischen Charaktere, welche der darstellenden Kunst willkommen sind — und da» Urbild der französischen Dekadenten, Alfred Müsset, sah in ihm eia geeignete» Gefäß für di« Mischung von SkpticiZ»
- Aktuelle Seite (TXT)
- METS Datei (XML)
- IIIF Manifest (JSON)
- Doppelseitenansicht
- Vorschaubilder
Erste Seite
10 Seiten zurück
Vorherige Seite