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Leipziger Tageblatt und Anzeiger : 04.06.1899
- Erscheinungsdatum
- 1899-06-04
- Sprache
- Deutsch
- Digitalisat
- SLUB Dresden
- Lizenz-/Rechtehinweis
- Public Domain Mark 1.0
- URN
- urn:nbn:de:bsz:14-db-id453042023-189906045
- PURL
- http://digital.slub-dresden.de/id453042023-18990604
- OAI-Identifier
- oai:de:slub-dresden:db:id-453042023-18990604
- Sammlungen
- LDP: Zeitungen
- Strukturtyp
- Ausgabe
- Parlamentsperiode
- -
- Wahlperiode
- -
Inhaltsverzeichnis
- ZeitungLeipziger Tageblatt und Anzeiger
- Jahr1899
- Monat1899-06
- Tag1899-06-04
- Monat1899-06
- Jahr1899
- Titel
- Leipziger Tageblatt und Anzeiger : 04.06.1899
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Bezugs-Preis k der Hauptexpedition oder den im Stadt bezirk nnd den Vororten errichteten Aus« oabrstrllen abgeholt: vt«rt«liährlich^l4.bO, vei zweimaliger täglicher Zustellung ins Hau» ü.üO. Durch dir Post bezogen sür Deutschland und Oesterretch: vierteljährlich ü.—. Direkte tägliche Kreuzbandsendung in» Ausland: monatlich 7.bO. Die Morgen-Ausgabe erscheint um '/,7 Uhr, dir Abend-Ausgabe Wochentags um 5 Uhr. Redaktion und Expedition: 8. Di« Expedition ist Wochentag» ununterbrochea gebffnrt von früh 8 bi» Abend» 7 Uhr. Filiale«: Dtt» Klemm'» Sortim. (Alfred Hahn), Univrrsitätsstrab« 3 (Paulinum), Louis Lösche, Kathariuenstr. 14, Part, und Königsplatz 7. MipIger TagMM Anzeiger. Kttttsklatt des königlichen Land- und Amtsgerichtes Leipzig, -es Mathes nnd Votizei-Ämtes der Ltadt Leipzig. Anzeigen-PreiS die 6 gespaltene Petitzeile 20 Pfg. Neclamen unter demRedactivnsslrich (4g*> spalten) üO^j, vor den Familieniiachrichlen (6gespalten) 40/^. Größere Schriften laut unserem Preis- verzeichntß. Tabellarischer und Ziffernja» nach höherem Tarif. Axtra-Beilagen (gefalzt), nur mit der Morgen.Ausgabe, ohne Postbeförderung 60.—, mit Postbeförderung 70.—. Ännahmeschluß für Anzeigen; Abend-Ausgabe: Vormittag» 10 Uhr. Morge «-Ausgabe: Nachmittag» 4 Uhr Vei den Filialen und Annahmestellen je eine halb« Stund« früher. Anzeigen sind stets an die Expedition zu richten. Druck und Verlag von E. Polz in Leipzig- 279. Sonntag den 4. Juni 1899. 93. Jahrgang. Aus der Woche. Die ahst'laufrn« Woche war eine Woche der Neber- raschungen, wenigsten» für die größte Mehrzahl der deutschen Re»ch»bürgrr. Zn England scheint man von der Meldung, daß Spanien die Carolinen, die Palau-Zystin und Pie Spanien noch verbliebenen Mariannen-Znseln an Deutschland abgetreten habe, nicht überrascht worden zu sein, Hieran» und aus dem Umstande, daß englische Blätter ihre Zustimmung zu dem Abkommen aussprechen, darf geschlossen werden, daß man jenseit» de» Canal» diesen Zuwachs zu unserem Colonialreiche schon früher gekannt und rechtzeitig für eine „Compensalion" gesorgt habe, denn England ist auf deutschen überseeischen Erwerb nur dann nicht neidisch, wenn es selbst nicht zu kurz kommt. WaS es sich für seine „Zustimmung" auS- bedungen, muß man abwarten, bevor man die Genugthuung über da» Abkommen rein genießen kann. Groll wird es nur bei den principiellen Gegnern unserer Colonialpolitik erwecken und zwar um so tieferen, je mehr eS den Eifer der Freunde einer Verstärkung unserer Kriegsflotte anfeuern wird. Der Gesetzentwurf zum Schutze de» ArbeitS- verhältnisse» ruft natürlich viele Meinungsverschiedenheiten bervor. Aber in zweierlei Hinsicht stöHt er aus Ueberein- stimmung. Niemand bezweifelt, daß z 8, der Zuchthaus- Paragraph der Vorlage, der Oeynhäuser Rede sein Dasein verdankt und nicht umgekehrt, und Keiner glaubt, daß die erste Lesung des Entwurfs im Reichstage vor dem nächsten Herbst stattsinden werde. Daö Berhältniß zwischen jener Rede und dieser Vorlage gicbt jedoch noch zu anderen Betrach tungen als der über die Entstehungsgeschichte deö Zuchthaus- Paragraphen Anlaß. Der Kaiser glaubte, als er am 6. Sep tember 1898 zu Oeynhausen sprach, e» sei ein Gesetz in der Ausarbeitung begriffen, daS die Verhinderung an der Arbeit und die Anreizung zum Streik „mit Zuchthaus bestrafe". Der vorliegende Gesetzentwurf zeigt entweder, daß der Mon arch von de» betreffenden — vermulhlich preußischen — Stellen über Richtung und Ziel ihrer Arbeiten grund falsch informirt gewesen ist^ oder er beweist, daß die Bundes regierungen ursprünglich in dieser Angelegenheit als eine nuantito uögligoshlö angesehen worden find. Zn dem einen wie in dem andern Falle behält Bismarck mit seinen Bedenken gegen daS öffentliche Auftreten „ohne ministerielle Bekleidungs stücke" wieder einmal Recht. Form und Inhalt der Ankündigung dieses Gesetze» haben die Freunde eines besseren Schutzes der Arbeitswilligen in die Defensive gegenüber den unbedingten Gegnern gedrängt, nnd auch jetzt, nachdem die Vorlage erschienen, bleibt die schwierige Aufgabe, der Macht des ersten Eindrucks ent gegenzuwirken. Sie ist um so schwieriger, als, von der Presse der Regierung, deS Freiherrn v. Stumm und einem Tb eil der konservativen Parteiorgane abgesehen, an keiner Stelle die unbedin e Zustimmung zur Vorlage sür zulässig erachtet wird. Die socialdemokratischc Presse, die natürlich ins Ungeheuerliche übertreibt, kommt gar nicht in Betracht, und die von der Socialdemokratie abhängigen frei sinnigen Parteileitungen ebenfalls nicht, aber auch in der national liberalen Presse gesellen sich der Anerkennung des Grund gedankens des Gesetzes BedenkenundauchdasOrgan eines conser- vativen Reichstagsabgeordneten zeigt sich von solchen nicht frei. Die Vorlage ist keineswegs durchsichtig, die vraktische Trag weite einzelner Bestimmungen läßt sich nur schwer erkennen, und vielleicht nur diesem Umstande ist rS zuzuschrriben, daß die von sachlichen Erwägungen ausgehende Kritik sich zunächst « überwiegend gegen den außerordentlich ausgedehnten Begriff I des strafbaren Streikpostenstehens und den Zuchthaus- I Paragraphen richtet. Daß sich eine Mehrheit deS Reichs tags auf den Boden der Vorlage begeben wird, scheint jedoch nicht bezweifelt werden zu müsse». Das Centrum, ohne daS eine solche Mehrheit nicht zu Stande kommen kann, wird jedenfalls nicht » Urmas abweisen. Das ergiebt sich sogar aus der ablehnend scheinenden Stellungnahme der „Ger mania". Der Versuch der Begründung, ein Bedürfniß für ein solches Gesetz nachzuweisen, sei, meint das klerikale Blatt, vollständig mißlungen. „Zn dieser Form und Fassung", heißt es Wetter, sei der Gesetzentwurf, der unzulässiger Weise daS Coalitionsrecht beschränke, „un annehmbar", „wenngleich" — und nun wird die gelindere Saite aufgezogen — „wenngleich nicht alle Vorschläge, nament lich soweit sie sich aus eine paritätische Behandlung von Arbeit gebern und Arbeitern beziehen, rundweg abzuweisen sind". Stellen auf den Boden der Vorlage wird sich, wie gesagt, eine Mehrheit. Es fragt sich nur, ob sie dort verharrt oder ob sich während der CommissionSberathungen der Boden nicht, wie bei der Umsturzvorlage, unter ihren Füßen zerklüftet. Vom 6. Juni ab, an welchem Tage die Berliner Parla mente ihre Pfingstpause abschließen, wird das Arbeitsverhältniß- gesetz — einen kürzeren Rufnamen, als der osficielle ist, muß das Kind doch haben — zu Gunsten der Canalvor lage und des preußischen CommuualwablrechtsentwurfS voraussichtlich in den Hintergrund treten. Ruhig ist es auf dem Hexentanzplatze der preußischen Canallibcralen ohnehin keinen Augenblick gewesen und die natürlich sehr liberale Ten denz, den Monarchen in den Mittelpunct des Kampfes um die Wasserstraße zu stellen, ist immer unverbüllter hervor getreten. Die „Köln. Ztg." schoß dabei den Vogel ab. Sie erzählte die Geschichte eines Handelsstreites zwischen Branden burg und Pommern, der sich im Jahre — 1562 abspielte und bei dem die brandenburgischen Fürsten, ein Kursürst und ein Markgraf, sich allerdings recht energisch zeigten. Als Pommern endlich mürbe wurde, ließen sich die beiden Herren eine Zeit lang nicht finden, um den Gegner ganz klein zu bekommen. Diese glorreiche Historie hat nun in der „Köln. Ztg." folgende Vision erweckt: „Es liegen Anzeichen vor, daß die Monarchie der Hohenzollern sich ihrer erfolgreichen Methode erinnert. Sie hat die egoistischen und engherzigen Gegner des preußischen Zollvereins in der ersten Hälfte dieses Jahrhunderts durch «insache Aussperrung mürbe ge« macht und auf die Bahn nationaler, weitsichtiger Wirthschaftspolitik gezwungen. Später genügte schon die Androhung einer Kündigung der Zollvereinsverträge. Der energische Träger der preußischen Krone und die Staatsregierung könnten schließlich dazu kommen, die Canalgegner mit ihren eigenen Waffen zu schlagen und jede staatliche Unterstützung von Berkehrsanlagen ein« ustellen. Ein, zwei oder drei Sperrjahre würden genügen. Der Monarch könnte inzwischen, wie damals seine fürstlichen Ahnen, auf Reisen gehen und „die Pommern kommen lassen". Alle weiteren Einstellungen in da« Budget von Eisenbahn« und Verkehrswegen, für land- wirthschaftliche Meliorationen u. s. w. würden auf hören. Was zum Teufel kümmern den Staat diese verrinzelteu Privatiuteresse»? Mögen „die Pommern" sich selbst helfen; mögen sie vom König an den Kaiser gehen mit der Bitte, die Gnadenstrümr aus dem allgemeinen Säckel „un- verstoppt zu lassen". Der König und der Kaiser ist verreist. Seine Räthe haben keine Vollmachten, Unterstützungen für Verkehrs- und Landbauzwecke zu bewilligen. Es sind ja keine „allgemeinen Jnterrssen" in Frage, sondern immer nur Provinzial- und locale Interessen." Der Führer der freisinnigen Volkspartei hat Namens der Canalfreunde gegen dief« Form von Unterstützung protestirt, die linksnationalliberale Presse ignorirt sie und fährt im Uebrigen fort, Vie rheinischen Mitstreiter um den Canal in Sachen des Gemeindewahlrechts glS Gegner zu betrachten, auch wegen der Wasserstraße, zu der man daS Centrum braucht. Die Canalverbissenheit in Berlin geht so weit, daß man die Unterwerfung rheinischer Städte und Stadtschulen unter klerikales Regiment ungefcheut als eine Bagatelle be zeichnet. Die „Post", ja sogar die „Kreuzztg." ventilirten den Gedanken, die rheinischen Verhältnisse durch Modifikation des vorgelegten Wahlgesetzentwurfs zu berücksichtigen. Die Berliner Nationalliberalen sind nicht dafür zu haben. Deutsches Reich. Ll. Leipzig, 3. Juni. Ueber die Los-von-Rom- Bewegung trägt in den „Berliner Neuesten Nachrichten" vom 30. Mai ein Wiener Officiosus eine Weisheit vor, wie sie nur noch in der römisch-diplomatischen Luft Wiener Kreise lebensfähig ist; er meint nämlich, „einsichtige nationaldeutsche (!) Politiker hätten Nicht aufgehört, auf die bedenkliche Seite dieses Kampf mittels hinzuweisen, das der guten Sache des Deutschthums in weiten Kreisen der katholisch-gesinnten Bevölkerung schade". Wo nur mögen diese „weiten Kreise" zu suchen sein? Etwa im Schwarm Lueger's? Oder in den Rückständigen der alten Fort schrittspartei? Oder unter den Anhängern des klerikal-feudalen Prinzen Liechtenstein? Denn außerhalb dieser „katholisch gesinnten Bevölkerung" wird sich kaum Einer finden, der dem Wiener Diplomatikus zustimmte. Ihm muß in den letzten Monaten viel Schlaf in die Augen gekommen sein; sonst würde er gesehen haben, daß die Bewegung längst aufgehört hat, politisches Kampf mittel zu sein; sonst würde er wissen, welche tiefe religiöse Regung, zumal in Böhmen und Steiermark, alle Schichten des Bottes, zumal die Bauern, ergriffen hat, wie überall wieder die Erinnerung lebendig wird, daß die österreichischen Länder einst protestantisch waren, und welcher Eifer erwacht, sich über den evangelischen Glauben zu unterrichten. Die Bewegung ist den Händen Schönerer'» entglitten; sie geht ihre eigenen selbst ständigen Wege, und diese führen in die evangelische Kirche nicht des politischen Kampfes wegen, sondern aus religiöser Ueberzeugung. Daß man dies immer noch nicht erkannt hat, das ist die Verblendung der Wiener Staatsmänner und ihres k. k. Oberkirchenrathes. Dieser hat in der evangelischen Kirche Oesterreichs fast allen Boden verloren; sein Artheil darüber, was der protestantischen Gemeinschaft fromme, wird nicht mehr als competent angesehen. Die Protestanten werden es darum gleichgiltig aufnehmen, wenn der Obertirchenrath das Verhalten des Pfarrers Schneider, den man aus Langenau auswieü, „auf das Aeußerste bedauert und verurtheilt". I>. Schneider hat in Langenau durchaus keine Thätigkeit „von ungehörigem agitatorischen Charakter" entfaltet; zu einem solchen Ausspruch kann nur ein Römling kommen, der es als die erste Pflicht der Evangelischen ansieht, stille zu sein und durch nichts zu be kunden, daß der Protestantismus auch da ist, auch in Oesterreich da ist, während er doch nach dem Dyllabus der päpstlichen Küch lein Recht hat, da zu sein. Alter lieber Wiener Diplomaticus, der Protestantismus wird auch ferner und noch viel mächtiger sich regen und entwickeln, auch wenn seine Boten „von amtlicher deutscher Seite" leinen Schutz finden. Die Wahrheit hat sich immer durchgelämpft, obgleich leine diplomatischen Schilde sie deckten. Und wenn das deutsche Reich seinen Bürgern vor österreichischer Willkür leine Hilfe gewähren will, wenn es von ihm gleichmüthig hingenommen wird, daß ein I>. Everling von der Wiener Polizei wie ein Verbrecher visitirt und dann über die Grenze geschafft wird, wenn k. Schneider, obwohl die Langenauer ihn schon zu ihrem Geistlichen gewählt hatten ohne allen Grund auf völlig unbegründete falsche Anzeigen hin ausgewiesen wird, — nun, der Protestantismus büßt dadurch an Kraft und Ansehen nichts ein; ob aber der Einfluß des deutschen Reiches durch solche Passivität gehoben wird, das bleibe lieber unerörtert. /S Berlin, 3. Juni. (DieEncyilitadesPapstes über die „Weihe der Menschheit an das hoch heilige Herz Jesu".) Leo XIII., der „Friedenspapst", scheint die Spanne Zeit, die ihm als hochbetagtcm Träger der Tiara noch vergönnt ist, die katholische Kirche zu beherrschen, mit Eifer zur Verfolgung hierarchischer Machtbestrebungen ausnützen zu wollen. Hat er kürzlich in der Bulle über die Feier des Jubel jahres der katholischen Christenheit ein Gebet um Ausrottung der Ketzerei cnbefohlen, so verwerthet er jetzt die Gelegenheit der „Weihe der Menschheit an das hochheilige Herz Jesu", den Patriarchen, Erzbischöfen und Bischöfen einzuschärfen, daß die Kirche das Recht der HerrschaftüberdenStaat besitzt. Papst Leo kleidet diesen Gödanken freilich in eine andere Form. Er sagt in der Enchklika wörtlich: „Eine solche Weihe erweckt auch die Hoffnung auf «ine bessere Lage der Staaten, da sie die Bande wiederherzustellen oder zu festigen vermag, welche das Staats wesen von Natur aus mit Golt verbinden. In diesen letzten Zeit?» hat man es vorzugsweise darauf angelegt, zwischen Der Kirche und dem Staate ein« Art Mauer auszurichten. In der Einrichtung und Verwaltung der Staaten wird die Autorität dcs kirchlichen und göttlichen Rechtes für nichts gehalten (!), in dec Absicht, von dem menschlichen Zusammenleben jeden Einfluß der Religion fernzuhalten, was darauf hinausläuft, den Glauben Christi zu vernichten und Gott selbst, wenn es möglich wäre, von der Erde zu verbannen. (!) Was Wunder, wenn bei solchem Frevelmuthe ein großer Theil der Menschheit in solche Wirrnisse und in solches Wanken gerathen, daß Niemand mehr sich sicher und außer Gefahr fühlt? Wird die Religion hintangesetzt, so stürzen nothivendiger Weise die sichersten Grundlagen der öffent licben Wohlfahrt." — Daß die sichersten Grundlagen der öffent lichen Wohlfahrt unter dem lautesten Krachen da stürzen, wo die Religion im Sinne des Papstes nicht hintangesetzt wird, d. h. wo die katholische Kirche fast vollständig „frei" und vom Staate so gut wie gar nicht in der Bewegungsfreiheit gehindert ist — wie in Belgien, Spanien, den siid- und mittelamerikanischen Republiken — das übergeht der Papst selbstverständlich mit Still schweigen. Die Ausrottung der Ketzerei wird Übri gens auch jetzt wieder vom Papste in der Weiheformel erfleht. Die betreffende Stelle lautet, diesmal etwas weniger heraus fordernd in der Form: „Sei (o Jesus) auch der König derjenigen, welche sich entweder im Banne irriger Meinungen befinden oder in Folge von Zerwürfnissen sich getrennt haben, führe sie wieder in den Hafen der Wahrheit und zur Einheit des Glaubens, damit wir bald eine Heerde und einen Hirten haben." — Dem konfessionellen Frieden wird sicherlich nicht dadurch gedient, Feuilleton. Frauenaugeu trügen nicht. Novellette von Dagobert von Gerhardt-Amyntor. diaü'truck rndcleu. „Das ist ein wenig viel, meine gnädigste Gräfin." „Für einen Grafen Meerburg aber nicht zu viel", wandte die schöne und elegante Anna Gräfin Streitfeld ein, die die Dreißig wohl schon überschritten hatte. Graf Meerburg ließ etwas ungeduldig die Absätze seiner Reit stiefel zusammenklappen, so daß die Sporen einen Hellen silbernen Klang gaben. „Sie sagen das so, weil Sie kein Hinderniß gelten lassen, wenn in Ihrem schönen Kopfe irgend ein Plan spukt, dessen Aus führung Sie mit Feuereifer verfolgen. Aber 20 000 --L . . . zum Teufel! Ich müßte Sie mir geradezu borgen." „Das verlange ich gewiß nicht von einem der rangirtesten Officiere dieser Stadt. Aber ich weiß, daß es Ihnen nicht darauf ankommt, eine solche Summe einmal zu verwetten oder für irgend eine modische Nichtigkeit auszugeben; nun legen Sic sic ausnahmsweise einmal für ein christliches Werk an." „Für ein Magdalenenheim oder «ine Krippe oder dergleichen." Es klang etwas spöttisch. „Für die Stiftung eines Bettes im Amalien-Krankeahause, ganz recht. Dir Gebete drr armen Kranken, di« man in diesem Bette dereinst pflegen wird, werden Ihnen einen Platz im Para diese sichern." Der Gras blickte der so beharrlich Bittenden in die schönen, von innerem Feuer erleuchteten Augen. „Ach, meine gnädigste Gräfin, ich wage kaum, aus jenseitige Paradies zu denken, wenn mir rin Engel des irdischen Paradieses so scharf zusetzt. Sie wissen, daß ich schwach bin und schönen Augen kaum etwas abschlagen kann; aber gerade jetzt ... die Rennen werden nächstens beginnen, und meinen Sommerurlaub muß ich — ich bin durch Zusagen gebunden — am Nordcap verbringen... Da sind 20000 in der That eine Summe, die ich schlecht entbehren kann." Die Gräfin ließ sich nicht abweisrn. „Sie brauchen sie nicht sofort zu zahlen, wenn Sie nur zeichnen; die Zahlung würde erst im Herbste zu erfolgen haben. Wenn ich kokett und eingebildet wär», würde ich Ihnen einen Kuß versprechrn; aber ich weiß, der Graf Meerburg, der ver wöhnte Liebling der Damen, ließe sich durch solche Gunst eines alternden Mädchens nicht verlocken." „Das käme denn doch darauf an." „Pst! keine erheuchelten Eomplimente! Gleichwohl gestehe ich, zu jeder Excentricität wäre ich bereit, wenn ich mir dadurch die bcnöthigte Summe gewinnen könnte. Ich würde mir z. B. Ihre Unterschrift persönlich in Ihrer Wohnung abholen." Wiederum schaute der Officier forschend in das Antlitz der Dame. Er wußte, daß sie erhaben über jeder Verdächtigung ihres Rufes war, daß sie aber auch den Sport ihrer christlichen Werke mit einem Feuereifer betrieb, der sie unter Umständen über die Rücksichten, die sie auf ihr Geschlecht und ihre gesell schaftliche Stellung zu nehmen hatte, unbedenklich hinwegriß. Anderntheils war er durchaus nicht in sie verliebt; aber in dem Preise, den sie ihm da in Aussicht stellte, lag für ihn, den Jung gesellen, doch «in gewisser magischer Reiz, und das Vertrauen, das sie ihm zu erkennen gab, schmeichelte dabei noch seiner männ lichen Eitelkeit. „Top!" rief er plötzlich umgestimmt und übermiithig aus, „wenn Sie morgen zur Dämmerstunde — sagen wir um 5 Uhr — sich in meine Wohnung, Rankestraße 200, bemühen wollen, so werde ich Ihnen die erbetene Summe zeichnen. Vergessen Sie nicht, Ihre Sammelliste mitzubringen." Er lachte und zeigte seine kerngesunden, weißen Zähn« zwischen den fröhlich geöffneten Lippen. Nun schaute ihn Gräfin Anna einen Moment lang forschend an; dann sagte sie ernst und entschlossen: „Ich werde kommen, denn ich vertraue Ihnen. Im Vorau» schon besten Dank!" Sie standen Beide auf, verließen die Nische, in der sie ge» sessen hatten, und mischten sich wieder unter die Gäste des Bot- schafterhauseS. — 1 * Der erst vor Kurzem zum Rath im Ministerium beförderte I)r. von Hohenstein halt« heute einen schlimmen Tag. Er hatte, schon zum dritten Male, einen anonymen Bries erhalten, dessen Inhalt wie ein Tropfen gährenden Giftes in sein heißes Blut gefallen war. Vor wenigen Monaten — er war damals noch Assessor und der Bräutigam der bildbZbschen Anna Püseke, der Tochter be reichen Herrn Püseke, eines der glücklichsten Grundstückspecu- lanten Berlins, gewesen —, hatte er den ersten jener nichts würdigen Bries« erhalten. Damals hatte man ihm nur die Worte geschrieben: „Man warnt Sie vor Anna Püseke" — weiter nichts. Er hatte gelesen, die Achseln gezuckt, dann den Zettel zerrissen und die Papierfetzen verbrannt. Neid irgend eines Biedermannes, der sich vielleicht einmal bei Anna einen Kord geholt hatte! — Am Morgen seines Polterabend-Tages hatte er wieder eine anonyme Zuschrift erhalten; diesmal etwas vollständiger: „Man warnt Sie vor Anna Püseke, deren Leben nicht ganz einwands frei ist." Zum Teufel! das war deutlich! Eine unerträgliche Aufregung hatte sich seiner bemächtigt, ein geheimer Widerwille gegen Herrn Püseke und gegen sich selbst, weil er sich von dem Vorwurfe nicht ganz frei fühlte, daß Püseke's Schätze wohl den ersten Anstoß für ihn gegeben hatten, der Idee einer Versippung mit dem glücklichen Spekulanten näher zu treten. Freilich, er entschuldigte sich auch sofort vor sich selbst: Hätte er in Anna nicht ein hübsches und liebreizendes Mädchen gefunden, daS ihm eine so nahe Verbindung mit dem Hause Püseke als äußerst be- gehrenswerth erscheinen ließ, er würde es nicht fertig bekommen haben, nur um ihrer Schätze willen um ihre Hand zu werben. Er zwang sich zur Ruhe und Ueberlegung; schließlich kam er zu dem Ergebniß, daß er die feige und niederträchtige Warnung auch diesmal zu überhören hatte; am Polterabende durfte kein Mißton den Zusammenklang der Seelen des Bräutigams und der Braut trüben; er verbrannte auch diesen Zettel und begab sich entschlossen, wenn auch innerlich nicht ganz frei, zum Polterabend balle und am nächsten Tage zu seinem Hochzeit-feste. Und nun — kaum ist der erste seiner Honigmonde verflossen — wiederum «ine so heimtückische Anklage! Diesmal sogar nicht mißzuverstehen und mit Nennung de» Namens eines heim lich begünstigten Nebenbuhlers! „Man warnt See vor Ihrer Gattin, deren Leben nicht ganz einwand-frei ist; achten Sie aus den Grafen Meerburg, Rankestraße 200." Wie ein Faustschlag hat ihn diese Zuschrift getroffen. Er kennt den Grafen gar nicht; nur vom Hörensagen weiß er, daß der elegante Reiterofficier sehr reich ist und daß ihn die Frauen welt al» ihren Liebling umschmeichelt. Das Blut ist dem Lesenden zu Kopf gestiegen; noch hält er die Beschuldigung für grundlos, aber daß man sie überhaupt auszusprechcn wagt, das zeigt ihm, eine wie geringe Achtung das Haus Püseke genießen muß, und mit diesem Hause ist er nun rettungslos durch die heiligsten Bande verbunden! Seine junge Gattin darf nichts erfahren; er muß zum Argus werden, der mit alles durchdringendem Blicke unbemerkt die Schritte Anna'S belauert, um erst einmal zu erfahren, ob über haupt Anhaltspunkte für irgend einen Berdacht vorhanden sind. Mit diesem Entschlüsse ist er heute früh nach dem Ministerium gegangen; die Actenstücke, die er in Händen gehabt hat, sind un- verständlsi.i für ihn gewesen: er hat immer nur die Worte zu lesen gewähnt: „Graf Meerburg, Rankestraße 200". Wenn der namenlose Briefschreiber die Absicht gehabt hat, ihm eine das Mark ansdörrende Folter zu bereiten, so ist ihm der teuflische Plan gelungen; o, daß es doch solche Buben giebt, die nicht den Muth haben, offen und rückhaltlos ins Angesicht zu reden, sondern Vie den Pfeil mit der vergifteten Spitze aus dem Hinter halte abschieben und so jede Rückfrage, jede Aufklärung und Verständigung unmöglich machen! Wie er cnrf dem Heimwege gerade um die Ecke der Straße, in der er wohnt, biegen will, sieht er vor dem Portale seines Hauses eine Droschke vorfahren, aus der seine Gattin aussteigt. Sonderbar! Anna hat ihm nichts davon gesagt, daß sie heut« während seiner Abwesenheit ausgehen wollte; auch scheint ihm plötzlich, als ob Anna in der letzten Zeit etwas nachdenklich und befangen gewesen sei. Er wartet, bis sie im Hause verschwunden ist, dann eilt er auf die Droschke zu. „Sie bekommen eine Mark Trinkgeld, Kutscher, wenn Sie mich schnell dahin fahren, wo die Dame, die eben ausstieg, ein gestiegen ist." „Schön mein Herr ... soll besorgt werden." Der Herr Rath sitzt in fiebernder Erwartung im Wagen, der die Richtung nach der gefürchteten Rankestraße einschlägt. Der Wagen hält. Herr von Hohenstein steigt aus und wie er die Hausnummer 200 liest, webt sich ein schwarzer Flor vor seinen Augen. Er zahlt; der Wagen rollt davon. Der Unglückselige befindet sich thatsächlich in der Ranke straße; aber das Hau- ist ihm unbekannt, er hat es noch nie betreten. Mit wankenden Knieen nähert er sich dem Glockenzuge neben dem Fenster der Pförtnerswohnung. Er drückt auf den Knopf Das Kellerfensterchen öffnet sich und ein weiblicher Kopf wird sichtbar. „Wohnt hier der Leutnant Graf Meerburg?" „Jawohl mein Herr, eine Treppe rechts." Hat die Pförtnerin nicht spöttisch gelächelt? Hohenstein möchte darauf schwören, daß sie «S gethan hat. O Schmach und Schande! Wie ein Trunkener wankt er die Treppe empor; mit zuckender Hand drückt er auf den Klingelknopf und übergiebt dem öffnenden Diener feine Karte.
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