Suche löschen...
02-Abendausgabe Leipziger Tageblatt und Anzeiger : 21.06.1899
- Titel
- 02-Abendausgabe
- Erscheinungsdatum
- 1899-06-21
- Sprache
- Deutsch
- Digitalisat
- SLUB Dresden
- Lizenz-/Rechtehinweis
- Public Domain Mark 1.0
- URN
- urn:nbn:de:bsz:14-db-id453042023-18990621029
- PURL
- http://digital.slub-dresden.de/id453042023-1899062102
- OAI-Identifier
- oai:de:slub-dresden:db:id-453042023-1899062102
- Sammlungen
- LDP: Zeitungen
- Strukturtyp
- Ausgabe
- Parlamentsperiode
- -
- Wahlperiode
- -
Inhaltsverzeichnis
- ZeitungLeipziger Tageblatt und Anzeiger
- Jahr1899
- Monat1899-06
- Tag1899-06-21
- Monat1899-06
- Jahr1899
- Links
-
Downloads
- Einzelseite als Bild herunterladen (JPG)
-
Volltext Seite (XML)
Bezugs-Preis der Hauptexprdition oder den tm Stadt» bezirk und den Vororten errichteten AuS- aabestellen abgeholt: vierteljährlich 4.50. kei zweimaliger täglicher Zustellung ins Haus b.öO. Durch die Post bezogen für Deutschland und Oesterreich- vierteljährlich 6.—. Direkte tägliche Kreuzvandiendirng ins Ausland: monatlich 7.5k Die Morgen-Ausgabe erscheint um klhr, die Abend-Ausgabe Wochentags um 5 Uhr. Nedaction und Lrpe-itio«: JohauutSgaffe 8. Dir Expedition ist Wochentag- ununterbrochen geöffnet von früh 8 bis Abends 7 Uhr. Filialen: Ltt« Slemm's Sortim. (Alfred Hahn), Universitätsstraße 3 (Paulinum-. Louis Lösche, üatharinenstr. 14, Part, uud KSntgsplatz 7. 3». Abend-Ausgabe. MipMer Tageblatt Anzeigen-PreiS die 6 gespaltene Petitzeile 20 Pfg. Nrclamen unter dem Redactionsstrich (4ge- spalten) 50^4, vor Leu Familirnnachrichten (6 gespalten) 40^. Größere Schriften laut unserem Preis» verzeichniß. Tabellarischer und Zissernja, nach höherem Tarif. Extra-Beilage» (gesalzt), nur mit der Morgen-Ausgabe, ohne Poslbesörderung ^ll 60.—, mit Postbeförderung 70.—. Anzeiger- Amtsblatt des Königlichen Land- und Amtsgerichtes Leipzig, -es Aathes und Nolizei-Ämtes der Stadt Leipzig. Mittwoch den 21. Juni 1899. Annahmeschluß für Anzeigen: Abeud-Ausgabe: Vormittags 10 Uhr. Morgen-Ausgabe: Nachmittag- 4 Uhr. Bei den Filialen und Annahmestellen je eine halbe Stunde früher. Anzeigen sind stets an die Expedition zu richten. Druck und Verlag von E. Polz in Leipzig S3. Jahrgang- Das Scheitern -er Zuchthausvorlage. K Auf der Tagesordnung der heutigen Reichstags» sitzung steht noch einmal die erste Lesung des Gesetze- über den Schutz deS Arbeitsverhältnisses. Warum, wissen wir nicht. Wahrscheinlich auS Rücksichtnahme auf die kleinen Gruppen, die noch nicht zu Worte gekommen sind. Am Re gierungstische wird man wohl kaum Verlangen haben, noch einmal zu sprechen, und geschieht eS dennoch, so nicht auS eigenem Antrieb. Denn darüber besteht kein Zweifel: die Campagne ist für die Regierung verloren. Und wir geben unS keiner Täuschung hin: für Diejenigen, diegleich un« zwar etwas Anderes alsdieNegierung, aber einen stärkeren Schutz der Arbeitswilligen wollten, ist leider geraume Zeit nicht an Vie Wiederaufnahme dahin gehender, erfolgversprechender Versuche zu denken. Man braucht, um diese Gewißheit zu schöpfen, sich nicht an die Reden der Gegner zu halten. DerConservative v.Levetzow sprach gestern vor ihnen für den Entwurf als für eine „Grund lage", aber er sprach wie ein Mann, der sich bewußt ist, einer verlorenen Sache das Wort zu reden. Man merkte, erdachte, was ein Nachfolgender sagte: „AuS der Ge schichte wird natürlich nichts." Von der anderen zu stimmenden Partei, der NeichSpartei, hielt fick der in Ab wesenheit des Freiherr» v. Stumm gegebene Mann, Herr v.Kardorff, zurück, man überließ den Leichensermon — Herrn I)r. Arendt! Der Redner der antisemitischen Gruppe, deren Stellungnahme Gegenstand des Zweifels war, sprach sich gegen den Entwurf, wenn auch für Commissionsberathung auS. Dock kommt es nicht dahin; eine zweite Berathung im Plenum wird — im nächsten Winter — erfolgen, aber nicht um den Schutz der Arbeitswilligen zu erhöhen, sondern weil nach der gestrigen Ankündigung seiner Führer das C ent rum der Regierungsvorlage einen Entwurf über die — Er weiterung derCoalitionSfreiheit entgegenstellen wird. Herr Or. Lieber kehrte, wie der Abg. vr. Bassermann durchaus zutreffend bemerkte, den Spieß ganz und gar um. Er will CoalitionSfreiheit, die nach seiner Meinung oder Aeußerung in Wahrheit nicht besteht, erst schaffen und zwar nicht im Sinne der Bekämpfung des Coalitionszwanges durch Arbeiter bezw. Arbeitgeber, sondern durch Vermehrung der gesetzlichen Unterlagen der CoalirungSmöglichkeit durch Orga nisation, Anerkennung der Rechtspersönlichkeit und der Coa- litionßfreiheit für die Berufsvereinc. Dem von dem CentrumS- redner nicht geleugneten, vielmehr scharf gekennzeichneten social- demokratischcn Mißbrauch jetzt gewährleisteter Rechte glaubt das Centrnm durch Vermehrung der Rechte den Boden ab graben zu können. Oder erklärt eS zu glauben. Solche positive Maßnahmen, wiesle genannt wurden, wies der Redner einer nationalliberalen Mehrheit, der Abg. Basser mann, nicht ab, er verlegte aber den Schwerpunct seiner Ausführungen in die Kritik der vorgeschlagenen Straf bestimmungen, an welcher Kritik eS übrigens Herr Lieber auch nicht hatte fehlen lasten. Der Centrumsführer begnügte sich sogar damit nicht, er zog sich wegen eines beleidigenden Ausdrucks über die Handhabung der das ArbeitsverbLltniß berührenden bestehenden Strafbestimmungen durch die Gerichte einen Ordnungsruf zu. Zwischen dem Führer des CentrumS und Herrn Bassermann bestehtUebereinstimmung darin, daß sie beide die Gesetzesvorlage als überwiegend, Wenn nicht ausschließlich gegen die Arbeitnehmer gerichtet ansehen. Wir haben für eine Reihe von Bestimmungen eine entgegengesetzte Auffassung zum Ausdrucke gebracht, halten uns aber bei dieser Meinungsverschiedenheit nickt mehr auf, denn die Regierung hat gestern durch den Mund deS ReichS- justizsckretärS diesen unseren Standpunkt compromittirt und die Begründung ihres Entwurfs preisgeaeben. Herr vr. Nieberding gab ohne Weiteres zu, daß die Vorlage „hauptsächlich die Arbeit" betrifft. „Sie ist", wie er hin zusetzte, „formell gegen Arbeitgeber und Arbeitnehmer ge richtet." Das genügte für gestern und wird für Jahre genügen. Auf die Rede des Abgeordneten Bassermann hätten wir angesichts des verzweifelten Standes der Sache, sowie des Umstandes, daß die nationalliberale Fraktion, selbst wenn sie ge schlossen aufträte, auch nicht einmal die Commissionsberathunz, geschweige denn das Gesetz retten könnte, weiter ein zugehen keine Veranlassung. Da eS sich aber um die uns am nächsten stehende Partei bandelt, so glauben wir gegen über dem Wortführer der nationalliberalen Mehrheit, der vermuthlich der einzige Redner der Partei in dieser Sache bleiben wird, mitdemUrtheilenicht zurückbalten zu sollen, daßdie Schutz bedürftigkeit der Arbeit und die Gefahr der socialdemokratischen Propaganda überhaupt eine schärfere Betonung vertragen und gefordert hätte. Der — an sich ganz gerechtfertigte — Hinweis auf die besonderen Verhältnisse der Baugewerbe und deren Einfluß auf die Vorstellungen von dem Grade des geübten Terrorismus ändert an dieser Meinung nichts. Auch hätte nicht verschwiegen werden sollen, daß nichtsocial demokratische Arbeiterorganisationen gewisse Vorkehrungen gegen Coalitionszwang wenn nicht für unentbehrlich, so doch für Wünschenswerth erklärt haben. Aber das muß dem Redner zugegeben werden: diese Gesetzgebungsaction ist von den deut schen Arbeitern ohne Unterschied derParteistellung als gegen die Arbeiterschaft gerichtet aufgefaßt worden. Wie weit dieser Eindruck durch die Einzelheiten der Vorlage, mit denen sich zu indentificiren selbst Herr v. Leveyow gestern ablehnte, hervorgerufen worden ist, bleibt dahingestellt. Jedenfalls hat die Jnscenirnng des Unternehmens und hat ein allgemeine- Mißtrauen den Hauptantheil an der, wie Herr Bassermann sagte, ungünstigen Aufnahme bei den sämmtlichcn Arbeitern Deutschlands. In der Hauptsacke, wenn nicht aus schließlich, scheint die Rede deS nationalliberalen Führers ein Protest gegen die „Scharfmacherei", die er aus drücklich nannte, gegen die folgenschwere Oeynhausener Rede, die er nicht ausdrücklich erwähnte, und gegen das mehr oder minder dilettantische, darum ober nicht ungefähr liche Cultiviren reactionärer Belleitäten gewesen zu sein. So aufgefaßt ist diese Rede, die, wie schon betont, bei dem numerischen Bestände der nationalliberalen Partei dem Plane eines Schutzes der Arbeitswilligen nichts anhaben kann, eine verdienstliche Leistung zu nennen. AuS einer solchen Absicht heraus erscheint auch die Er innerung an das Zedlitz'sche Schulgesetz, die unerhörte Passivität gegenüber der Verkehrung des Umsturzwesens in ihr Gegentheil und an die preußische VereinSgesctz - Action als in den Rahmen der Ausführung fallend. Die Angelegenheit der Vereinsgesetzgebung, mit der lex Recke, dem Ausnahmegesetzentwurf der preußischen Conservativen und der Verweigerung der Aufhebung des CoalitionSverbots für Vereine in Preußen gehört doppelt in diese Erörterung. Sie hat zur Erzeugung deS unbesieglichcn Mißtrauens gegen „Berlin", dem das Arbeiterschutzgesetz die üble Aufnahme mit- verdankt, Außerordentliches beigetragen. Und wenn man den besseren Schutz der Arbeitswilligen für rin noch so dringendes Bedürfniß halten und demgemäß den AuSgang der Sache noch so tief beklagen mag: die allgemeinen Regierungszustände, die sich in dem Schicksal dieses gesetzgeberischen Versuchs Widerspiegeln, bilden eine größere Calamität, als der Terrorismus auf dem Arbeitsgebiete. Ueber den Preßerörterungeu und über den Reichstags verhandlungen der Regierungsvorlage schwebte die Er innerung an Form und Inhalt der Ankündigung dieser Action wie ein Unglücksrabe und sie ist nun ihr Todten- käuzchen geworden. Der neue CurS hat sich wieder einmal als der schlimmste Feind seiner selbst gezeigt. Es ist klar, was Herr Bassermann kennzeichnen wollte, als er die Ver- muthung auösprach, das ehrliche socialpolitische Herz des Grafen Posadowsky habe den Staatssekretär ver hindert, mit eckter Wärme für die Vorlage einzu treten. In der Thal tritt das Com mist bum in oder bei dem Berliner Regiment in dieser Action wieder besonders stark hervor — in seiner nervösen Einförmigkeit und in seiner Unzulänglichkeit. Nach der gestrige» Rede Bassermann's, die eminent politisch war, mußte ein politisches Mitglied der Negierung sprechen. Statt dessen trat Herr Nieberding auf. Und von Seiten der einzelstaatlichen Negierungen, auch der preußischen, kein Wort — es müßte denn sein, daß — Herr Bassermann nebenher als der Dolmetsch der Auffassung einer und der anderen Negierung anzusehen gewesen wäre. Politische Tagesschau. * Leipzig, 2l. Juni. Die innere politische Lage konnte nicht schärfer beleuchtet werden, al durch die estrige Verhandlung des preußischen Abgeorvneleuhauies über die Eharfrettagsvorlage: die Regierung und die conservativen Parteien bcmühlen sich gleichmäßig, dem Centrum zu gefallen; daß die Polen und die Freisinnigen den Ccntrumscurs steuerten, ist selbst verständlich. „Geradezu unglaublich" nannte Cultusminister vr. Bosse die Ansicht, daß die CharfreitagSvorlage mit der Canalvorlage in Zusammenhang gebracht worden sei. Die „Heiterkeit", die ob dieses Ausrufe- im hohen Hause ent stand, legte Zeugniß dafür ab, für wie wenig unglaublich auch Parlamentarier jene Ansicht ansehen. Zum Unter schiede vom Ministerialdirector Schwartzkopff, dem der Vorwurf, daß die Regierung an ihrer ursprüng lichen Vorlage nicht sestgehalten habe, „belanglos" erscheint, gab sich der CultuSminister die größte Mühe, nachzuweisen, daß er sich nicht von der Regierungsvorlage habe abdrängcn und auf den Weg der Polizeiverordnungcn, d. b. der Berück sichtigung der confessionellen Bevölkerungsverhältnisse, habe zwingen lassen. Man kann zugeben, dieser Nachweis sei dem Cultusminister geglückt: sein im Staatsministerium im Jahre 1897 abgegebenes Volum berechtigt hierzu. Tann aber muß der Herr Cultusminister einräumen, daß die Ent schuldigung, die er für die Fassung der Begründung der CharfreitagSvorlage ins Feld führte, unzureichend ist. Denn in der Begründung wird, wie wir neulich ausführ licher darlegten, von der Nothwcndigkeit, die Heiligung des CbarfreitagS einheitlich durch StaatSgesetz zu regeln, gesagt, daß „nur dadurch" nach Lage der Verhältnisse eine solche Regelung erfolgen könne. Unhaltbar ist auch die Behauptung des CultusministerS: er habe sich für das Beschreiten des Wege-verschieden abgestufter Polizeiverordnungen erklärt, ehe irgend eine Agitation gegen die ursprüngliche Regierungsvor lage stattgefunden habe. Als vr. Bosse bei der Einbringung der Vorlage im Herrenhause in jenem Sinne sich vernehmen ließ, waren die Culturkampf-Fanfaren in der CentrumSpresse allerdings noch nicht erklungen, diese directe Drohung mit dem Culturkampfe wurde erst nach der Annahme deS An trages Pfeil im Herrenhause erhoben; aber der Widerspruch gegen die ursprüngliche Regierungsvorlage war sofort bei ihrem Erscheinen laut geworden, also schon Mitte Januar dieses Jahres. UeberauS charakteristisch war die Rede des CultusministerS insofern, als sie das schwerste Geschütz — welche Ironie deS Schicksals! — gegen die Vertheikiger des NegierungSstandpunctes, wie er in der ursprünglichen Vorlage nebst Begründung erkennbar ist, auffuhr. Tie Drohungen der CentumSpresse dagegen und die Ein wendungen deS katholischen Klerus wider die Charfreitags- vorlage wurden erst in zweiter Linie und ganz sänflig- lich berücksichtigt. Nicht minder charakteristisch aber ist das Einschwenken der Conservativen und der Freiconser- vativen in die Linie des CentrumS. Verklausulirt und widerspruchsvoll geschah das von Seiten des conservativen Abgeordneten vonW roch em,unumwunden vonSeiten de- frei- conservativen Abgeordneten Vr. Stockmann. Daß selbst die Freiconservativen die klerikalisirte CharfreitagSvorlage, d. b. die Commissionsbeschlüsse deS Herrenhauses, annehmen, ist um so erstaunlicher und bedauerlicher, als die „Krcuz- zeitung", wie wir wiederholt betont haben, mit anerkennenS- werther Energie die Beschlüsse deS PlenumS deS Herrenhauses (d. h. den Antrag Pfeil) verlheidigtc. Wenn der nationalliberale Abgeordnete Hackenberg von den Beschlüssen deö Plenums des Herrenhauses, so weit der zweite Absatz deS 8 2 in Frage kommt, gesagt hat, sie würden das CbarfreitagSgcsetz statt zu einem Friedens-, zu einem Kampfgesetz machen, so vermögen wir dieser Auffassung nicht bcizupflichten. Unseres Erachtens genügt eS, daß in Gemeinden mit überwiegend katholischer Äevölkerung alle öffentlich bemerk baren oder geräuschvollen Arbeiten verboten werden. Da Abg. Hackenberg jedoch von der Fassung, welche das Herrenhaus der CharfreitagSvorlage gegeben hat, erklärte, sie sei das Mindestmaß dessen, was die nationalliberale Partei fordern müsse (wir folgen dem ParlamentSbcrichle der „Post"), so steht zu hoffen, daß die Nationalliberalen die CbarfreitagS- vorlage in dieser Gestalt nicht ablehnen. Beharren aber die Conservativen und die Freiconservativen im CentruNiScurse, dann wird das Centrum auch in der Carfreitagsvorlage die „re gierende Partei". Und so dürfte eS wohl kommen. Feuilleton. Die Schwiegertochter. 6j Novelle von Hedda v. Schmid. Nachdruck verboten. Neuntes Capitel. Ja, die Firma Grooßfeld und Söhne hatte sich bankerott er« klären müssen. Joachim Grooßfeld, dessen Vertrauensseligkeit dem Frank furter Geschäftsfreunde gegenüber den Krach hcrbeigeführt, über lebte den Zusammenbruch seines Hauses nur um einen Tag. Nach erlittenem Schlaganfall war er nicht wieder zur Besinnung ge kommen, er starb, ohne an die Seinen ein letztes Wort richten zu können. Schlimm genug stand es um die geschäftliche Lage, in welcher Günther sich befand. Er war rastlos thätig im Entwirren der verwickelten Angelegenheiten und sagte sich schmerzlich, daß Vieles anders gekommen wäre, wenn sein Vater sich mit ihm aufrichtig über die Verhältnisse ausgesprochen hätte. Nach Deckung aller Verbindlichkeiten blieb ihm und seiner Mutter so gut wie gar nichts zum Leben übrig. Das Geschäft weiter zu führen, daran konnte Günther nicht denken, er mußte versuchen, in iregnd einem anderen Handclshause eine Stellung zu finden, um seiner Familie einen bescheidenen Lebensuntechalt bieten zu können. Noch wußte er nicht, wohin er sich wenden sollte — er besaß zwar wohl habende, ja reiche Verwandte, doch diese hatten, außer daß sie auf das Grab seines Vaters einig« pompöse Kränze mit riesigen Bandschleifen gestiftet, keine übergroße Theilnahme bekundet, ge schweige denn ihre Hilfe angeboten, sie, die sonst so oft an der gastlichen Tafel des Grooßfeld'schen Hauses gesessen und letzter« nicht genug zu rühmen gewußt. Da kam Günther Hilfe von einer Seite, von der er sie eigent- lich am wenigsten erwartet: Horst Benken bot ihm die gerade vacant gewordene erste Buchhalterstellc in seinem Comptoir an. „Sie wissen, Günther", sagte er, „ich bin mehr Sportsmann als Kaufmann; Sie kennen ja meine Passion für die edelsten Thiere der Schöpfung, die Pferde. Nun sehen Sie, da mein treuer Gerbers mich verläßt, um ein eigene» Geschäft zu eröffnen, so brauche ich in dem meinen eine feste Hand und einen klaren Kopf. Sie besitzen Beide», Sie sollen eigentlich zweiter Chef sein — Sie wissen, ich hege unbegrenzte» Zutrauen zu Ihrem Können; schlagen Sie ein, Günther, Sie erweisen mir einen großen Dienst dadurch." Und Günther schlug mit Freuden ein. Da» Gehalt, welches er beziehen würde, sicherte ihm «in Auskommen. Eine schwere Sorge jedoch war ihm seine Mutter. Mit der Kraft, wtlche dieser Frau innewohnt«, ertrug st« die harten Schicksalsschläge, aber er fühlte es, sie litt dennoch unsäglich und war getroffen bis in das innerste Lebensmark. Die Tage der Prüfung hatten Mutter und Sohn einander wieder so nahe ge bracht wie früher, voll zarter Sorgfalt war Günther um die alte Frau bemüht. Auch Benita hättr so gern ihrer Schwiegermutter ihre herzliche Theilnahme gezeigt, doch wagte sie nur, einige her gebrachte Phrasen zu sagen, die strenge Miene Frau Jutta's - chreckte sie ab. Wohin sollte Letztere nun nach dem Verkauf ihres Hauses, welches mit fast allem Mobiliar in Kürze einen Käufer gefunden, mit dem der Kaufcontract schon so gut wie abgeschlossen war? „Ich denke, Mama wird für's Erst« zu Eugenie ziehen", sagte Günther im Gespräch mit Benita; „vielleicht gelingt es mir auch, «ine kleine Summe aus der Concursmasse für sie zu retten." Bride Hoffnungen erwiesen sich jedoch als Täuschungen, und eines Tages trat Günther sehr erregt bei seiner Frau ein, welche, ihr kleines Mädchen nährend, im Schlafzimmer saß. „Eugenie ist heute Morgen auf unbestimmte Zeit nach Italien gereist — und ich hatte bestimmt darauf gerechnet, daß sie, die Mamas Liebling, die Dankesschuld für die empfangene mütter liche Liebe dadurch abtragen würde, daß sie Mama, für die erste Zeit wenigstens, eine Heimath in ihrem Hause anböte, so lange, bis es mir gelungen, so viel zu verdienen, um meiner Mutter eine selbstständige Existenz zu sichern. Natürlich wird sie ein Jahrgeld von mir erhalten, aber so viel kann ich leider noch nicht entbehren, um ihr ein« eigene kleine Wohnung zu miethen; für zwei Wicth- schasten reicht mein Gehalt nicht. Gott weiß es, wie entsetzlich schwer es mir ist, daß ich nicht im Stande bin, meiner Mutter mehr zu bieten." Günther strich sich mit einer müden Geberde über die Stirn und fuhr fort: „Mama, um alle pekuniären Ansprüche, welche an unsere Firma gestellt worden, zu befriedigen, hat kein Opfer ge scheut, sie hat sogar ihren schönen Brillantschmuck, ein kostbares Erbstück, verkauft. Keine Klage ist in all' dieser Zeit über ihre Lippen gekommen, die Fassung, mit der sie ihr Unglück trägt, ist bewuüderungSwürdtg, und ich kann so wenig für sie thun— ich, ihr Sohn." Benita schaute ihren Mann mit ihren klaren, ruhigen Augen liebsvoll an. „Günther", sagte sie leise, „ich denke, was Du zu thun hast, liegt sehr nahe — Du bietest Deiner Mutter unser Haus als Heimath. Hat sie etwa nicht das heiligste Recht darauf, diesen Schritt von Dir zu verlangen?" Günther sprang von seinem Sitz empor: „Und daS sagst Du — Benita?" Sie lächelte ihn an. „Aber Günther — es ist doch so selbst verständlich, daß Deine Mutier jetzt zu un» zieht, ich habe mich gewundert, daß Du nicht längst diesen Vorschlag gemacht." „Und wenn ich auch daran gedacht habe, so habe ich mir doch zugleich „Nein" und tausendmal „Nein" zugerufen", sprach Günther erregt, „ich weiß, wi« Du, unter einem Dache mit meiner Mutter lebend, gelitten hast, und nun sollte sich Euer Zusammen leben noch enger gestalten . . . .? Nein, das geht nicht, Benita, das darf ich Dir nicht zumuthen. Ich will arbeiten, arbeiten für Euch Beide, aber Dich um die Behaglichkeit Deiner Häuslichkeit bringen, das kann ich nicht. Du bist jetzt so wie so schon die Frau eines armen Mannes, manche Entbehrung wird an Dich herantreten, da will ich wenigstens Dein Gemüth unbeschwert wissen und ein derartiges Zusammenleben mit Mama . . . ." Er brach ab, nahm Benita's schmales Gesicht zwischen seine beiden Handflächen und küßte sie behutsam auf beide Augen. „Ich danke Dir, Benita, für Deine Worte, sie gaben mir aufs Neue den Beweis, wie echt weiblich und zartfühlend Dein Empfinden ist." Und um seine hervorbrechende Rührung zu verbergen, trat er schnell aus dem Zimmer. Kurze Zeit darauf hörte Benita ihn das Haus verlassen. Als das Kind auf ihrem Schooße eingeschlummert, erhob sie sich und bettete die Kleine behutsam in ihren Korbwagen. Dann machte sie rasch Straßentoilette. Das schwere schwarze Tuch- kl-id umspannte knapp ihre graziöse, noch immer mädchenhafte Gestalt, der schwarze Crepehut ließ ihr Gesicht unendlich zart und lieblich erscheinen. Nachdem sie der Wärterin in Betreff der Kinder noch einge Weisungm ertheilt, verließ auch sie die Wohnung. Nach wenigen Minuten erreichte sie das Haus, welches vor einem Zahl ihr noch Heimath gewffen und welches ihre Schwiegermutter nun bald räumen mußte. Ohne zu zögern, stieg sie die breiten Asphalt stufen hinan. Grabesstille lagerte über dem ganzen Hause. Kutscher, Bediente, Mamsell Caroline, kurz, alles entbehrliche Dienstpersonal war entlassen worden, nur ein einfaches Haus mädchen und der Hausknecht waren geblieben. Frau Jutta saß allein in ihrem Wohnzimmer, vor ihr auf dem Tische lag ein Brief, den sie vor einer halben Stunde er halten. Er enthielt Abschiedsworte von Eugenie. Diese schrieb, sie habe gestern von ihrer „lieben Tante" persönlich sich verab schieden wollen, sie aber leider nicht zu Hause getroffen, daher sei sie gezwungen, zur Feder zu greifen, denn an eine Wiederholung ihres Besuche» könne sie nicht denken, da sie noch taufend Bor- bereitungen zu ihrer ganz plötzlich beschlossenen Reise habe. Außerdem stand noch viel Liebes und Theilnehmendes im Brief, aber im Grunde waren es nurPhrasen. Frau Jutta lächelte bitter. Wie hatte sie dieses einzige Kind ihrer verstorbenen Schwester, da» ihr gleichsam al» theures Vermächtniß zugefallen, geliebt! Wie sehnlich hatte sie eine Verbindung zwischen Günther und Eugenie gewünscht! Auch um letzterer willen war sie Benita so feind selig gegenübergetreten, und nun, wo sie, die alte, vom Unglück so schwer getroffene Frau gewissermaßen heimathlo» war, nun rührte Eugenie keinen Finger, um ihr eine Zuflucht bei sich zu bieten, nun ging sie alledem einfach dadurch au» dem Wege, daß sie ab reiste. Die Tante war ihr unbequem — weder hatte sie Günther zu einer Verbindung mit ihr, Eugenie, zu bestimmen vermocht. noch konnte sie ihr jetzt anderweitig nützlich sein. Im Gegen theil — sie war ihr während ihres letzten gemeinschaftlichen Aufenthaltes im Auslande sogar sehr hinderlich gewesen, da sie ihrem Verkehr mit jungen -Leuten stets Schranken gesetzt. Frau Jutta durchschaut Eugenie vollkommen, und was längst schon in ihr Wurzel gefaßt, die Ukberzeugung, daß sie durch ihren Argwohn ihrer Schwiegertochter schweres Unrecht zugefügt, gewinnt immer mehr und mehr Raum in ihr. „Benita hätte an Eugenie's Stelle nicht so gehandelt", sagte sic sich unwillkürlich, und eine heiße Sehnsucht nach der anschmiegcndcn Liebe einer Tochter überkommt die stolze Frau. Einsam, sehr einsam fühlt sie sich; sie hat ihren verstorbenen Gatten nicht heiß geliebt, aber sie vermißt ihn und trauert um ihn. Und ihr Sohn — er hat sein Glück, hat Frau und Kinder — er ist reich, trotz aller er littenen Verluste — was soll ihm die arme, alte Mutter? Kein Groll, keine Eifersucht durchwühlen das Herz der schwergeprüften Frau, -aber eine tiefe Trauer, ein Gefühl der unsagbarsten Ver lassenheit, beschleicht sie ... . Frau Jutta neigt ihr Haupt und weint lautlos, aber schmerzlich . . . Da kommt ein leichter Schritt fast unhörbar über den weichen Teppich daher, eine schlanke Gestalt kniet vor der Weinenden nieder, eine junge warme Hand ergreift die welken Hände der alten Frau und «ine bebende Stimme sagt innig: „Mama, liebe Mama . . ." Frau Jutta richtet sich jäh empor: „Du, Benita, Tu hier bei mir?" Keine Abweisung liegt in den Worten, nur fragendes Erstaunen. .Za' lagt Benita, „ich bin gekommen, Dich zu bitten, dieses Haut bi^.n Räume Dir so schmerzliche Erinnerungen bieten, zu verkamen und zu uns zu kommen, zu Deinen Kindern und Groß k-.r.bc:- bei denen jetzt Dein Platz ist, deren Liebe Dich alles Traurrge vergessen lehren soll." '.lnd gleich Günther, fragt Frau Jutta, als habe sie nicht recht verbanden: „Und das sagst Du mir, Benita, Du?" .Ja", erwidert die junge Frau fest, „denn ich habe die vollste Zuversicht, daß Du mich noch einmal lieb gewinnen wirst, obzwar ich früher daran gezweifelt. Aber ich will nicht aufhören, mich um Deine mütterliche Liebe zu bewerben und" Sie bricht ab, denn im Nebenzimmer wird ein Schritt laut. Sich umwendend, gewahrt Benita ihren Mann, der in der Thür stehen bleibt und mit überraschtem Blick die Grupp« vor ihm umfaßt. „Günther", ruft Benita zu ihm hinüber, „komm, hilf mir doch Mama bitten, zu uns zu kommen." Du breitet Frau Jutta ihre Arme aus und zieht die Schwiegertochter an ihre Brust — und wortlos hakten beide Frauen einander umschlungen. Ende.
- Aktuelle Seite (TXT)
- METS Datei (XML)
- IIIF Manifest (JSON)
- Doppelseitenansicht
- Vorschaubilder
Erste Seite
10 Seiten zurück
Vorherige Seite