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Leipziger Tageblatt und Anzeiger : 25.06.1899
- Erscheinungsdatum
- 1899-06-25
- Sprache
- Deutsch
- Digitalisat
- SLUB Dresden
- Lizenz-/Rechtehinweis
- Public Domain Mark 1.0
- URN
- urn:nbn:de:bsz:14-db-id453042023-189906253
- PURL
- http://digital.slub-dresden.de/id453042023-18990625
- OAI-Identifier
- oai:de:slub-dresden:db:id-453042023-18990625
- Sammlungen
- LDP: Zeitungen
- Strukturtyp
- Ausgabe
- Parlamentsperiode
- -
- Wahlperiode
- -
Inhaltsverzeichnis
- ZeitungLeipziger Tageblatt und Anzeiger
- Jahr1899
- Monat1899-06
- Tag1899-06-25
- Monat1899-06
- Jahr1899
- Titel
- Leipziger Tageblatt und Anzeiger : 25.06.1899
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Bezugs-PreiS K der Haupterpedition oder den im Ltabt- bezttk und den Vororten errichteten -lut« oalkstellrn abgeholt: vierteljährlich ^14.50, bei zweimaliger täglicher Zustellung in» Laus ü.LO. Durch die Post bezogen sür Deutschland und Oesterreich: viertestährlich 6.—. Direct» tägliche Kreuzbandjenduug in» Ausland: monatlich 7.Ü0. Die Morgen-Ausgabe erscheint um '/,? Uhr, die Abend-Ausgabe Wochentags um L Uhr. Ne-artion und Lrpeditio«: Johanni«gaffe 8. Die Expedition ist Wochentag- ununterbrochen geöffnet von früh 8 bi- Abend- 7 Uhr. Filiale«: e«n klemm'- G-rtt«. (Alfred Hahn), Universitätsstraße 3 (Paulinum), Laut» Lösche, Katharinenstr. 14, Part, und König-Platz 7. A8. MMkr TaMM Anzeiger. Amtsblatt des Königlichen Land- «nd Amtsgerichtes Leipzig, des Mathes «nd Nolizei-Ämtes der Ltadt Leipzig. Sonntag den 25. Juni 1899. «SS Anzeigen-PreiS die 6 gespaltene Petitzeile 20 Pfg. Reklamen unter dem Redactionsstrich (-ge spalten) 50^z, vor den Familiennachrichten (6 gespalten) 40^. Größere Schriften laut unserem Preis' verzeichniß. Tabellarischer und Ziffernsatz nach höherem Tarif. Extra-Vellage« (gefalzt), nur mit der Morgen-Ausgabe, ohne Postbeförderung 60.—, mit Postbeförderung 70.—. Ännahmeschluß für Anzeigern Abend-Ausgabe: Vormittags 10 Uhr. Morgen-Ausgabe: Nachmittag- 4Uhi^ Bei den Filialen und Annahmestellen je eine halbe Stunde früher. Anzeigen sind stet- an die VxpeSMin zu richten. Druck und Verlag von E. Polz in Leipzig. 83. Jahrgang. Aus der Woche. Der Reichstag hat sich durch mancherlei Fährlichkeiten gänzlich unaufgelöst zur Sommervertagung hindurch geschifft, aber politische Stille ist nicht eingetreten. Man spricht von einer preußischen Krifi«, von der Auflösung de» Ab« grordnrtenhause-, natürlich wegen de-Mittellandkanal-. Da- ist dem Anscheine nach nur Flaurrmacherri der Canalver- biffenen, aber im höchsten Grade verworren und unerquicklich ist die Lage. Klar ist nur die Stellung des CentrumS als der in Preußen ausschlaggebend gewordenen Partei. Daß es im preußischen Abgeordnetenhaus», wo Socialdemolraten, Welfen, Elsässer u, s. w. fehlen, dahin gelangen konnte, ist vor allen Dingen die Schuld — in manchen Berliner Kreisen wird man sagen da- Berdi»nst — der Regierung, aber auch die der beiden wegen de-Canals streitenden Parteien. Die Regierung hatte die lange vorher fertiggestellte und mit der Unterschrift des Monarchen versehene Gemeinde- wahlrechtSvorlage al- Belohnung für ein canalfrommeS Centrum aufgehoben. Die Canqlleute erkannten, wozu allerdings wenig Scharfblick gehörte, die Wechselbeziehung beider Gegenstände, und beeilten sich, unbekümmert um die begründeten Besorgnisse de- rheinischen Liberalismus, daS klerikalisirende Gemrindewahlrecht vortrefflich zu finden. Dieselbe Wechselbeziehung machte aber di« Canalgegner auch zu entschiedenen Gegnern des Wahlgesetzes. Diese wurden unterstützt durch die Elemente, welche dem Bau der Wasserstraße sympathisch aegenüberstehen, aber über dieser Angelegenheit nicht alle anderen aus den Augen verloren hatten. So wurde da- Wahlgesetz gefährdet und — das Centrum äußerst ungemüthlich in der Canalsache. Seine Presse erklärt noch offenherziger als früher: „Kein Geld, kein Schweizer", sie beginnt zu „glauben", daß innerhalb d«S CentrumS die sachliche Gegnerschaft gegen den Mittellandkanal erheblich stärker sei, al» es nach den bis herigen Preßverlautbarungen erscheinen konnte. Nun scheint es nicht ausgeschlossen, daß die Canalgegner dem Centrum sür die Perwersung der Wasserstraße bieten, waS ihm die Canalfreunde für die Bewilligung von Anfang an offerirt hatten: die zum großen Aerger der Ultra montanen an eine Subcommission verwiesene Gemeindewahl- Vorlage. Ein erbärmliches Schauspiel. Nicht minder erhebend ist die andere nunmehr beliebte Form der „Verrungrnirung" des CanalprojectS. Die Schwäche der Regierung, die eine formell zum Zweck« der wiederholten „Prüfung" von Com- pensationen die vom Centrum geforderte Zurückverweisung der Canalvorlage an die Commission lautlos über sich ergehen ließ, hat es verschuldet, daß ein bis zur Lächerlichkeit gesteigerter Entschädigungssport aufgrkommen ist. Ueberall in Preußen besann man sich, WaS man etwa fordern könnte, und überall fand man etwa». Die Vertreter der vom Mittel landkanal nickt direkt begünstigten Provinzen schwammen wie die Haifische mit aufgesperrtem — Munde um das Regierungsschiff. Und wer sich, wie die Herrn v. Stumm nahestehende Presse, genirt, den Bettelunfug nachzumachen, ersinnt andere Hindernisse, die Einberufung einer Enauvte. Vorgestern, in der ersten Sitzung der wiederoelebten Canalcommission, suchte die Regierung durch die von uns mit- getheilte Erklärung, der Herr v. Miquel ebenso verständige wie entschieden klingende Abwehrbemerkungen folgen ließ, dem Spuk ein Ende zu machen. Jedoch vergebens. Ein Antrag, alle die von der Negierung sür nicht discutirbar er klärten CompensationSforderungen aus der Erörterung aus zuscheiden, blieb mit zwei Stimmen in der Minderheit. Dadurch hat die Lage einen ernsthafteren Charakter ge wonnen, aber eine Auflösung de- Abgeordnetenhauses und Veränderungen in der Regierung, wenigstens solche, die Herrn v. Miquel berühren würden, sind dennoch nicht zu erwarten. WaS gemacht werden kann, wird der gewandte und centrums freundliche Bicepräsident des Staatsministeriums jeden falls machen. Und Herr v. Miquel ist zu klug, sein Alles auf die eine Karte einer Auflösung zu setzen. Für den Fall von Neuwahlen läßt sich nur Eines mit Sicherheit vorauSfehen: die Erhaltung des Centrums in seiner bisherigen Stärke. Jin Uebrigen kann sich die Zahl der Canalgegner ebenso leicht vermehren wie vermindern. Herr v. Miquel wird die Sache „im Guten" mit den Klerikalen abmachen und diese werden die Gelegenheit, einen an höchster Stelle gehegten Lieblingswunsch zu erfüllen, um so lieber ergreifen, al» sie im Reichstag soeben versagen mußten. Der Präsident des Reichstags wird von zwei Organen, die Herrn v. Miquel nahe stehen, wegen seines Auftretens gegen den Minister Brefeld mit großer Schärfe angegriffen; auch die „Kreuzzeitung" glaubt, ohne persön lich ausfällig zu werden, Herrn Brefeld rechtfertigen zu sollen, weil er einem Brauche daS Wort geredet, der in allen monarchisch-konstitutionellen Staaten als eine verfassungsmäßige Consequenz angesehen wird: in England, Oesterreich, Italien. „Soll", so sagt das Blatt, „der deutsche Reichstag allein »ine Ausnahme macken?" Die Antwort muß dahin lauten, daß der deutsche Reichstag nach langem Zögern von einem Brauche abgewichen ist, dessen Corrrlat verloren gegangen war. Der konstitutionelle Monarch, der nicht in die parlamentarische Debatte gezogen werden muß, enthält sich seinerseits de- Eingreifen- in die öffentliche DiScussion, in-besondere dort, wo sein Eingreifen inhaltlich mit einem Angreifen zusammenfällt. In England, Oester reich und Italien erkält Niemand einen Anreiz, dem Monarchen ru erwidern. In Deutschland müßte man Dinge, die mit Stillschweigen zu übergehen dem allgemeinen Wohl nicht mehr entspräche, nach dem Wunsche der „Kreuzztg." gänzlich unberührt lassen. Die Vertheidiger des Herrn Brefeld übersehen, daß die Erklärung deS Minister-, der Reichskanzler übernehme die Verantwortung für Alles, WaS geschehe, vollständig in der Luft schwebt. Wäre wegen der Rede von Oeynhausen ein Angriff gegen den Fürsten Hohenlohe erfolgt, so hätte jedenfalls Jedermann den Eindruck gehabt, daß auf den Kaiser gezielt würde, und eS darf nicht bezweifelt werden, daß Herr Brefeld auch in diesem Falle seinen Intervention-Versuch gemacht hätte. Diese Gewißheit schöpfen wir aus der Auffassung der preußischen Justizverwattung, die, wie da- von ihr berbrigefübrte Frank furter Urtheil zeigt, die Verantwortlichkeit der Minister sür Aussprüche deS Monarchen so wenig anerkennt, daß sie selbst den Staatsakt der Verlesung einer Thronrede al- «ine persönlich« kaiserliche Handlung auffaßt und deren Kritik nicht als eine Kritik der verantwortlichen Regierung ansicht. Eines der zuerst erwähnten Preßorgane stellt in Aussicht, daß der peinliche Zusammenstoß zwischen dem Reichstags präsidenten und dem Minister „sachlich noch nicht erledigt sei". Man würde eS mancher Orten zu bedauern haben, wenn von ^er Regierung in der Sache noch etwa- „er folgen" sollte. DaS einzige Mittel, die parlamentarische Gegenrede zu verhüten, ist die Beschränkung der Rebe auf den Umfang, wie er „in England, Oesterreich, Italien" sich von selbst versteht. Criminalftatiftik und StraMem. Aus juristischen Kreisen schreibt man uns: Die soeben herausgekommene Criminal statt st ik für das deutsche Reich für das Jahr 1897 ist darum von be sonderem Interesse, weil sie drei unwiderlegliche Beweise für die Verfehltheit unseres Strafsystems liefert. Diese Beweise sind 1) die abnorme Höhe des Procentsatzes der bestraften jugendlichen Personen; 2) die ständige Zunahme der Zahl der rückfälligen Verbrecher; 3) die ständige Zunahme der Rohheitsverbrechen. Der Procentsatz jugendlicher Miffethäter hat in dem letzten halben Jahrzehnt allerdings nicht zugenommen, denn er bewegt sich seit dem Jahre 1893 zwischen 10,2 und 9,7 Proc. aller Verurtheiltrn; er ist also ziemlich stabil. Es ist aber ein sehr geringer Trost, daß man von einer Zunahme nicht eigentlich sprechen kann; es ist schon erschreckend genug, daß durchschnittlich 10 Proc. aller bestraften Personen sich tn dem jugendlichen Alter zwischen 12 und 18 Jahren befinden, in einem Alter also, in dem diese Personen noch vielfach der Aufsicht des Elternhauses und der Schute unterstehen. Diese Thatsache. zeigt, daß die bisherigen Strafmittel für jugendliche Personen völlig unzureichend, vielleicht sogar schädlich sind. Hier und in dem unter 3 an geführten Falle (Zunahme der Rohheitsdelicte) sollte der Miß erfolg des bestehenden Strafsystems dazu führen, einen Versuch wenn auch nicht mit der Wiedereinführung der Prügelstrafe, so doch mit Strafen zu machen, die als ein starkes körperliches Uebel empfunden werden, beispielsweise Nahrungsentziehung, hartes Lager, Dunkelkammer, besonders harte und ermüdende Arbeit. Selbstverständlich müßte von diesen Mitteln nur in soweit Gebrauch gemacht werden, als nicht eine dauernde körper liche Schädigung dadurch hervorgerufen wird; eS müßte also in jedem Falle der Gefängnißarzt hinzugezogen werden. Am deutlichsten aber zeigt sich das völlige Versagen der gegen wärtig bestehenden Strafmittel bei der starken Steigerung der vorbestraften Personen. Der Procentsatz dieser Personen ist vom Jahre 1893 bis zum Jahre 1897 unablässig gestiegen, und zwar von 3ö Proc. im erstgenannten Jahre auf 39,7 Proc. im Jahre 1897. Danach betrug im letzten Berichtsjahre die Zahl der bereits vorbestraften Personen volle zwei Fünftel der gejammten bestraften Personen, eine geradezu ungeheuerliche Ziffer. Wenn aber eine Person, die bereits einmal eine Strafe erlitten hat, sich wiederum dem Verbrechen in die Arme wirst, so geht doch daraus mit Deutlichkeit hervor, daß die erste Strafe eine bessernde Wirkung nicht ausgeübt hat. Abgesehen von den Delicten, für die im Rückfalle die Zuchthausstrafe vorgesehen ist (Diebstahl, Betrug u. s. w.), ist im Gesetze, einerlei, ob die Person schon vorbestraft ist oder nicht, dieselbe Strafart vorgesehen, und die ganze Weisheit des Richters kann sich nur darauf beschränken, bei jedem neuen Rückfälle eine immer längere Strafzeit derselben Strafart festzusetzen. Einer der am häufigsten anzuwendenden Strafgesetzparagraphen, ein Paragraph zugleich, bei dem Wieder holungen desselben Delicts sehr häufig sind, ist Z 223a (gefährliche Körperverletzung). Wenn nun Jemand sich dieses Delicts schuldig macht, so ist, vorausgesetzt, daß mildernde Umstände fehlen, schon bei der ersten Bestrafung Gefängnißstrafe, und zwar nicht unter zwei Monaten zu verhängen. Beim zweiten Male wird der Richter dem Angeklagten vielleicht ein halbes Jahr zuerkennen, beim dritten Male ein ganzes, beim vierten Male vielleicht zwei Jahre, und schließlich, „weil der Angeklagte unverbesserlich ist", das Höchststrafmaß von fünf Jahren. „Weil der Angeklagte unverbesserlich ist!", das ist eben di« Schlange, die sich in den Schwanz beißt. Denn darüber sind sich alle Praktiker klar, daß lange Freiheitsstrafen der sittlichen Besserung des Angeklagten lediglich abträglich sind- Darüber ist sich auch natürlich der erkennende Richter klar, aber er hat nach dem Gesetze eben kein anderes Mittel, dem vorbestraften Miffethäter die unbußfertige Ge sinnung vor Augen zu führen. „Kurze, aber strenge Freiheits strafen", das ist das Feldgcschrei der Strafrechtspomiker; dabei graduelle Steigerung der körperlichen Unbequemlichkeit bei Freiheitsstrafen für Rohheits- und Gewohnheitsvcrbrechen. Das beschämende Fiasco des gegenwärtigen Strafsystems, wie es aus den trockenen Ziffern der Statistik sür 1897 hervorgeht, wird hoffentlich dazu führen, der vollkommenen Stagnation des Strafverfahrens ein Ende zu machen. Deutsches Reich. /S Verkitt, 24. Juni. („F reiheit deS Genüsse S.") Das Anarchistenblatt „Neus Leben" bemüht sich in einem ernstgemeinten Artikel, gegenüber den „reinen" Individualisten, wie Tucker, Mackay rc., nachzuweisen, daß Individualismus und Kommunismus nicht unversöhnliche Gegensätze in sich bergen, daß anarchistischer Kommunismus kein Unsinn sei, daß vielmehr wirklicher Communismus nur denkbar sei, wenn Anarchie walte, und daß Anarchie ohne kommunistische Basis nicht zu existiren vermöge. Im Einzelnen bekämpft das „Neue Leben" die An schauung der „reinen" Individualisten, der zufolge Jeder nur das besitzen soll, was er selbst producirt, bezw. für Selbst- producirtes eingetauscht hat. Mit dieser Doctrin charakterisirten sich jene Leute als „ökonomische Spießer"; die neuere Schule des Communismus lehrt nach dem „Neuen Leben" in dieser ' Zohanniszauber. Skizze vonPauIPasig (Altenburg). i>iachr»uck verbotea. In der That, ist es etwas Anderes, als ein geheimnißvoller, herzbezwingendcr und die Sinne gefangen nehmender Zauber, der über einem sonnigklaren, blllthenschwelgenden Johannistage, einer milden, duftberauschten Mittsommernacht waltet? Keiner unserer Dichter hat es wie Geib«l verstanden, diese» unbe stimmbare Etwa» einer solchen Nacht zu schildern: „Durchs Gewölk di« Sterne lauschen Und der Lilie Duft erwacht; Willst du mich wie sonst berauschen, Dunketschwiile Sommernacht? Deiner Elfen Schwärme kreisen Lachend wieder um mich her, Doch auf ihre Zauberweisen Find' ich nicht die Antwort mehr." .... DaS Geheimnißvolle, Magische dieser Zeit liegt offenbar in der zwischen Lberschnellender Lebenskraft und dem Ausblick auf bevorstehendes Dahinsterben, zwischen dem Vollgenuß gegen wärtiger Wonnen und dem leise un» beschleichenden Gefühle bal digen Entsagens und Verzichtens geteilten Stimmung, die da» Herz auf der Höhe des Jahr«» unwillkürlich beherrscht. ES ist die Wonne drrWehwuth, von der die Dichter wvhl singen und sagen, die aber kein Denker und Weiser zu drfiniren, aber auch nicht wegzuleugnen vermag: sie wird eben nuc gefühlt, uns unser Volk mit siinem unverdorbenen Empfinden legt tausendfältige- Zeugniß davon ab. Da zunächst die Zeit der Sommersonnenwende unS daran gemahnt, daß da» au» dem Dunkel de» Winter» (Weihnacht) herau»geborene Licht, da» immer siegreicher aus dem Kampfe mit den finsteren Mächten des Todes hervorging, nun auf seinem Höhepunkt angelangt ist, von dem es allmählich wieder in die dunkle Tiefe hinabsinkt, so lieg: auf der Hand, daß dem Lichte, dem Feuer, seit Alters an diesem Tage ein hervorragender Antheil zukommt. Und welche Fülle von Licht und Schimmer umgiabt uns jetzt! Die Vlüthen wetteifern mit einander an Glanz, und durch Feuer und Farben pracht lucht eine dir andere zu übertreffen. In ein blendende» Lichtermeer ist die weite, blühende Landschaft getaucht, und selbst über die verschwiegensten Winkel der Waldeinsamkeit huschen glänzende Lichter hinweg. Im Hellen Sonnenstrahle wiegen sich farbenprächtige yalttr, und schillernd« Käfer tummeln sich in frohem Spiel oder ziehen geschäftig auf Beut« au». Selbst ein eigentliches nächtliches Dunkel kennt diese Zeit nicht, denn wir befinden uns jetzt inmitten der Periode der sogenannten „immer währenden Dämmerung". Und wenn nun das leichte flüchtige Dunkel der Mittsommernacht auf die liebeathmende Schöpfung hrrabgesunken, dann schweben glitzernd« Laternchen gristerhaft an uns vorüber oder leuchten aus dunkelem Gebüsch magisch hervor. Jedermann kennt sie, die „stellas volantes", d. h. „fliegenden Sterne" des P l i ni u s, die ein neuerer Dichter noch treffender wegen ihres grünlichen Schimmers als „fliegende Smaragde" bezeichnet und deren geheimnißvolles nächtliches Treiben er in folgenden malerischen Rhythmen schildert: „Brennende Kerzen Sind hier erschienen, Tändeln und scherzen Fröhlich im Grünen. Sieh', wie es gaukelt Ganz in der Nähe, Bald sich dann schaukelt Dort in di« Höhe! Auf und herunter Tanzen Laternchen, Zauber und Wunder, Hüpfende Sternchen!" Das sind die männlichen Johanniswürmchen, während die weiblichen, gleichfalls leuchtenden Thiere, welche jedoch flügellos sind, in Busch und GraS sitzen, gleich als wollten sie locken: „Ich sitze hier im Grünen hell, Komm, lieb' mich, leuchtender Gesell!" Die Menschen aber thun'S dem Naturleben nach und suchen durch sogenannt« Sonnenwend- oder Johannisfeuer, die sie auf Bergen und hochgelegenen Punkten anzünden, da» Sieges- und Triumphfest de» Lichte» zu -begehen. Schon unsere heidnischen Vorfahren war dieser Brauch heilig. Denn Freia war als Göttin nicht nur der schönen Jahreszeit, son dern auch des Lichtes und Leben- — beides gehört ja untrennbar zusammen — die Erkoren« dieser Zeit, der diese Feuer brannten. Aber mit der ä u ß e r e n, natürlichen Flamme war ihr zugleich die inner«, ti«f im Herzen lodernde Gluth heilig; sie war die Göttin der Liebe und de» LiebeSbundes, der Eh«, und damit zu gleich de» wohlgeordneten, trauten Familienlebens. Daher die Gebräuche, die wir namentlich im Süden vielfach beim Ab brennen der Johanni»feu«r beobachten können. Im Allgäu z. B. singen die Knechte, wenn sie um den lodernden Holzstoß herumtanzen, während die jungen Mädchen munter über die Holz brände springen: „Liebsti, spring', Verdien' dir dies Jahr »In' gülden Ring!" Und da ein rechter, gedeihlicher Hausstand ohne einen ge nügenden Vorrath von „schimmernder Wolle" und „schneeigtem üoin", wenigstens nach unserer Altvorderen Meinung, nicht gu' denkbar war, riefen sie, wie z. B. heute noch inOberschwa - b« n u. A., den heiligen Johanne- um Gedeihen de» Flachse» an: „St. Johann, Mach's Werg drei Elle lang!" Dom Li«be»zaub«r diese» Lage» sind natürlich auch di« Blumen und Kräuter umwoben, die um die Mittags stunde gebrochen und eingesammelt werden. Ein Kranz von neunerlei Wiesenblumen zaubert der liebebedürftigen Jungfrau, wenn sie denselben unter das Kopfkissen legt, in süßem Traume das Bild des künftigen Bräutigams vor die Seele, und wenn die munter« Jugend unter frohem Sang hinauszieht, um die kräfti gen Johanniskräuter einzusammeln oder um das blumen geschmückte Johannisbäumchen, zu dessen bunter Zier jeder Theil- nchmer sein se-lbstgepfliicktes Sträußchen beisteuerte, sich im Reigentänze dreht, dann umgaukeln sonnige Träume von süßem Minneglück die Phantasie von Bursch und Mädchen, und hell erklingt es durch die laue Sommernacht: „Hüpft geschwinde Ilm die Lind«, Die uns gelbe Vlüthen streut. Laßt uns froh« Lieder singen, Ketten schlingen, Wo man traut die Hand sich beut. Also schweben Wir durchs Leben, Leicht wie Rosenblätter hin. An den Jüngling, dunkelt's bänger, Schließt sich enger Seine traute Nachbarin." (SaliS-Seewis.) Unter allen Blumen genießt das Bergwohlverleih, ^.rnica nrontana, di« jetzt auf moorigen Wiesen ihr« tiefgelbe Sternblüthe entfaltet und daher auch wohl JohanniSblume genannt wird, eines besonderen Rufes als Wunderpflanze und wird daher in Spiritus aufgesetzt, heute noch in vielen Familien als Heilmittel gegen allerlei äußere Verletzungen in hohen Ehren gehalten. Aber nicht nur L ich t, L e b e n, L i e b e kündet der Mittsommertag, sondern auch da» — Gegentheil: die dunkeln Mächte der Zerstörung sind zugleich am Werke und brüten Tod und Verderben! Zunächst knüpft der Volksglaube an die allent halben bemerkbare Thatsache an, daß nur in Folge häufigerer Zwitter dieUeb«rschw«mmungsgefahr größer ist als zu irgend einer Jahreszeit. Zugleich steht da» Badebedürf - niß, die Badelust auf dem Höhepunkte. Mit diesen beiden natürlichen Voraussetzungen verknüpfte sich ohne Schwierigkeit die Erinnerung an den biblischen Helden, der unserem Tage seinen Namen gab: an Johanne» den Täufer, und da» Bild deS ernsten Wüstenpredigers dort an des Jordans heiligen Fluthen taucht vor der Seele auf. So wurde Johanne» geradezu der Schutzhrilig« der Gewässer, und mancherlei Ge bräuche wrisen auf die Bedeutung hin, die er als solcher noch heute im Volksglauben besitzt. Dahin gehören die Brunnenfesi«, die u. A. in Hessen durch Bekränzung der Brunnen unter frohem Spiel und Sang gefeiert werden. Am Rhein geht die Sage, daß, wenn am Johannistage die Reinigung der Gewässer unterlassen werde, der Strom sich wie ein Wilder giberde und «in Opfer fordere! Am Bodensee ist Jedermann gewarnt, an diesem Tage zu baden, und der „Engel St. Johann" selbst muß, um über di« aufgeregten Fluthen unversehrt gelangen zu können, «inen „Klimmer", d. h. Schwimmer, haben, der ihn sicher hinüber geleitet. . . . Verderben und Tod — wak wollen diese Schreck gespenster zur lichten Zeit strotzender, blühender Lebensfülle? Und doch liegt gerade jetzt kein Gedanke näher al» dieser. Die Höh« ist erklommen, uno unaufhaltsam geht'» nun wieder bergab in die dunkle nächtige Tief«: voll und reich blüht am Tage sich das üppige, farbenprächtig- Leben aus, und schon reift die Frucht der Ernte entgegen: di« Ernte aber bedeutet daS Ende alles Naturlaufes, die reife Frucht ist di« Erfüllung der lachenden Hoffnungen und Verheißungen des sonnigen Lenzes unv heißen Sommers. Und ist's im Menschenleben anders? Ein Blick um uns her klärt uns hierüber auf, und ein Gang nach der schwei genden Stätt« des Friedens in diesen herrlichen Mittsommer tagen oder an einem goldenen Johannismorgen predigt uns laut die urewige Wahrheit: „Ein Mensch ist in seinem Leben wie Gras, er blüht wie eine Blume auf dem Felde. . . . Das Gras ist verdorret, die Blume abgefallen." . . . Heute mir, morgen dir! So schweifen unsere Blicke selbst in dieser „blühenden, gol denen Zeit" des Lebens und der Freude wehmutherfüllt hinab in die dunkle Tiefe, die das Ende aller Dinge, zugleich aber die Keime eines neuen Werdens, Wachsens und Blühens birgt und den thränenumflorten Blick nach oben, den lichten Höhen eines dereinstigen Wiedersehens, richtet. Johannistag als Tag des Gedenkens an den Tod und dieTodtrn ist im natürlichen Empfinden so fest begründet, daß er keiner religiösen Grundlag« erst bedarf. Zugleich aber zeigt er uns den Weg zur rechten Todtrnseier. Wenn der Tod versöhnt — 6« mortui^ nil niei bene, d. h. von den Verstorbenen soll man nur Gutes reden — so kann nur e i n Gefühl an den Gräbern unserer Heim gegangenen uns beherrschen: das derLi« b «, di« dankerfüllt ihr: sinnige Gabe an den Ruhestätten derselben darbringt. Uno reiche Gelegenheit bietet hierzu gerade die Jahreszeit! Ist es nicht, als habe di« gütige Natur gerade ihre lieblichste Spende, das Sinnbild treuer Liebe, für diese Hochsommerzeit auf gespart, damit sie die Äräb«r der Entschlafenen schmück«? „Die Rosen blühen roth und weiß, Und durch di« Fluren wandelt leiS' Ein Hauch vom Paradiese", und unser heimischer Dichter Müller von der Werra (f 1881) giebt dem Tage des ernsten Täufers seine schönste Weihe, indem er ihn als Fest der Liehe feiert: „Johannistag, du Fest der Liebe, Bist zu beglücken uns bereit! Und ob des Sommer» Pracht zerstieb«, Du spendest uns doch Seligkeit; Du führst zurWei»h«it, Schönheit, Stärk«, Nimmst unS die Binde vom Gesicht, Begeisterst un» zum guten Werke: Vergiß für mich die Rose nicht!" Vergiß für mich dir R,se nicht! in dieser Mah nung klingt die Bedeutung des Tages aus, in ihr ruht das ganze süße Geheimniß des wundrrsamen JohanniSzauber»!
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