Suche löschen...
02-Abendausgabe Leipziger Tageblatt und Anzeiger : 29.06.1899
- Titel
- 02-Abendausgabe
- Erscheinungsdatum
- 1899-06-29
- Sprache
- Deutsch
- Digitalisat
- SLUB Dresden
- Lizenz-/Rechtehinweis
- Public Domain Mark 1.0
- URN
- urn:nbn:de:bsz:14-db-id453042023-18990629026
- PURL
- http://digital.slub-dresden.de/id453042023-1899062902
- OAI-Identifier
- oai:de:slub-dresden:db:id-453042023-1899062902
- Sammlungen
- LDP: Zeitungen
- Strukturtyp
- Ausgabe
- Parlamentsperiode
- -
- Wahlperiode
- -
Inhaltsverzeichnis
- ZeitungLeipziger Tageblatt und Anzeiger
- Jahr1899
- Monat1899-06
- Tag1899-06-29
- Monat1899-06
- Jahr1899
- Links
-
Downloads
- Einzelseite als Bild herunterladen (JPG)
-
Volltext Seite (XML)
Dir Morgen-Au-gabe erscheint um '/,7 Uhr, dir Abend-Ausgabe Wochentag- um ü Uhr. Filialen: Lei« Klemm s So.ttm. (Alfred Hahn), Universitgtsstrabe 3 (Paulinum-. Lauts Lösche, Aatharinenstr. 14, Part, und König-Platz 7. Ne-aclion «n- LrpeLitiou: IohanntSgaffe 8. Die Expedition ist Wochentags ununterbrochen geöffnet von früh 8 bi- Abend- 7 Uhr. BezugV'PrekS k» der Hauptexpedition oder den tUk Stadt« bewirk und den Vororten errichteten Au«» oaoesttlle.i abgeholt: vierteljährlich.XI4.50. bei zweimaliger täglicher Zustellung ins HauS b.SO. Durch die Post bezogen für Deutschland und Oesterreich- vierteljährlich 6.—. Direkte tägliche Kreuzvandsendlr.ng i»S Au-land: monatlich ^l> 7.bO. 328. Abend-Ausgabe. Anzeiger. Amtsblatt des Königlichen Land- und Amtsgerichtes Leipzig, -es Nathes nnd Nolizei-Ämtes der Ltadt Leipzig. Donnerstag den 29. Juni 1899. Anzeige« Preis die 6 gespaltene Petitzeile 20 Pfg. Reklamen unter dem Redaction-strich (-ge spalten) bO/H, vor den Familiennachrichten (6 gespalten) 40^. Größere Schriften laut unserem Preis- vcrzeichniß. Tabellarischer und Zifsernjag uach höherem Tarif. Extra-Beilagen (gefalzt), nur mit der Morgen.Au-gabe, ohne Postbesörderung SV.—, mit Postbesörderung 7V.—. Ännahmeschluß für Anzeigen: Abend-Ausgabe: vormittag- 10 Uhr. Morgen-Ausgabe: Nachmittags -Uhr. Bei Len Filialen und Annahmestellen je eine halbe Stunde früher. Anzeige« sind stet- an die Expeditta» z» richten. Druck und Verlag von E- Polz in Leipzig S3. Jahrgang. Politische Tagesschau. * Leipzig, 29. Juni. Die Canalangelegenheit in Preußen schleppt sich langsam dahin, behält aber immer dasselbe Aussehen. E» ist und bleibt so, wie nach der Zurückverweisung an die Commission hier in Aussicht gestellt wurde: der Canal wird vom Centrum gegen reichliche Vergütung bewilligt, aber erst spät, möglicher weise erst im nächsten Winter. Jede Phase, durch die die regierende Partei die Sache hindurchgehen läßt, bestärkt diese Auffassung. Gestern wurde die „GeneraldiScussion" der zweiten CommissionSberathung, nachdem sie mit der von den Veranstaltern erwarteten und gewünschten Ergebnitzlosigkeit zwei Tage in Anspruch genommen, geschlossen. Die General- di-cussion war eine Unterhaltung über Compensationen überhaupt; jetzt kommt Vie SpecialdiScussion, in der jede einzelne CompensationSforderung „geprüft" werden soll, nicht in Subcommissionen für die Ansprüche eines jeden Flußgebietes, wie Herr Lieber zuerst wollte, auch nicht in einer „General- subcommission", deren Einsetzung er dann beantragte, sondern im „Plenum" der Commission. Die Regierung wird auch dieser Comödie „aus Höflichkeit und Respekt", wie Herr v. Miquel sagte, zuschauen, aber über den Rahmen ihrer bekannten Erklärung nicht hinauSgehen; hat sie auch nicht nöthig. Also SpecialdiScussion, „Sichtung der Ansprüche", hierauf aber keineswegs Rückkehr in- Plenum und zweite Lesung daselbst, sondern Harren auf einen nochmaligen schriftlichen Bericht. Sothaner Bericht darf aber beileibe nicht bis nächste Woche fertig werden. Dann tritt nämlich Vertagung deS Hauses ein. Das Centrum will aber erst nach der Vertagung in die zweite Berathung eintreten, wann in die dritte, das wissen die Herren Lieber und Miquel. Einstweilen ist eine Verzögerung erreicht, die bis dabin noch stattfindende CommissionSberathung wird natürlich keine Entscheidung bringen. Herr Lieber, er sagte es gestern selbst, ist ein entschiedener Freund deS CanalS; er bedauert, daß man überhaupt auf den CompensationSboden getreten sei. Aber er verfuhr, wir gemeldet, und sein FractionSgenoffe Letocha batte gestern die Aufgabe, dem Canalproject ein unentwölkbar finsteres Gesicht zu zeigen. Daß eS Herr Lieber selbst war, der durch die Erpressung einer erneuten Com missionSberathung den CompensationSforderungen einen eigenen Tummelplatz anlegte, wurde ihm gestern nicht vorgehalten. Das verbot der schuldige Respekt. Man darf auch nicht etwa die Ablehnung seines Antrages auf subcommissarische Berathung als ein Zeichen erwachenden Selbstgefühles und Unwillens über daS übermüthige Spiel des Centrums an sehen. Nein, für die Versagung dieser Subcommission werden die Klerikalen durch die Preisgabe der ihnen zum Aerger gereichenden Subcommission für das Gemeinvewahlgesetz entschädigt. Die „Nationajzeitung" deutet dies an, und es wird geschehen. Und wenn der Mantel fällt, muß der Herzog mit. Die rheinischen Gemeinden sind schon so gut wie geopfert; was daS Centrum sonst noch verlangt und erhält, ist uns unbekannt. Vorläufig hat seine Presse den Auftrag, die Klagen über schlechte Behandlung der Partei fortzusetzen und neue hübsche Bedenken gegen den Canal zu ersinnen, also zwei Beschäftigungen, welche bezwecken, die in Aussicht genommene Bewilligung deS Canalbaues als einen überaus kostbaren Dienst erscheinen zu lasten. Das jüngste „Bedenken" ist ein sehr feines, sozusagen ein staatsmännisches. „Wir befürchten nämlich (seit zweimal 24 Stunden), die wirthschaftliche Hypertrophie, welche durch den Canal in einem verhältnißmäßig kleinen Theil deS Staats gebietes erzeugt wird, den „industriellen Wasserkopf", welcher im rheinisch-westfälischen Kohlengebiete durch den Canal geschaffen würde". DaS ließe sich hören, wenn die für dieses Gebiet charakteristischen Erzeugnisse etwa Baumwollwaaren und Cigarren wären. ES sind aber Kohle und Eisen, die eben in Rheinland-Westfalen „wachsen" und nicht bei Fulda oder in Ermeland zu Tage gefördert werden können. Von der Verarbeitung dieser Materialien würde der Canal das Ruhrgebiet entlasten, er würde also dem „Wasserkopf" Wasser entziehen. Man sieht, welchen plumpen Schwindel die Canalenthusiastcn sich vormachen lasten müssen, ohne remon- striren zu dürfen, wenn sie daS Centrum nicht böse machen wollen. Sie entschädigen sich, indem sie ihrerseits — die Phantasie walten lasten. Seit zwei Tagen stellen sie wieder die Auslösung des Abgeordnetenhauses als eine Folge der Ablehnung de» CanalS in sichere Aussicht. Doch beginnen jetzt auch in Preußen einige Besonnenere sich die von nichtpreußischen nationalliberalen Blättern schon längst aufgeworfene Frage vorzulegen, ob eine Auflösung auch etwas nützen würde. Die Antwort fällt verneinend aus. Die Verbreitung der Auflösungsgerüchte bat auch keinen andern Zweck, als für die Zeit nach der Genehmigung des CanalsbaueS die Möglichkeit für daS Gerücht zu schaffen, erst daS Centrum und ein Theil der Conservativen habe die Sache zum guten Ende geführt und nicht liberale Zugeständ nisse an die Ultramontanen. Ueber den Charakter der Arbeiter-Unruhen im west fälischen Kohlenreviere läßt sich der „Vorwärts" schreiben: „Die Streikenden sind junge unorganisirte Polen, die nur durch den Zorn über die hohen Abzüge bei den geringen Löhnen (?l) zu dem Mittel de- Au-standeS gegriffen haben und sich über Möglich keiten und Voraussetzungen deS gewerkschaftlichen Kampfe- gar keine Rechenschaft zu geben vermögen. Die organisirten Arbeiter rathen dringend von dem AuSstanHe ab. I« einer Berg arbeiter.Versammlung, die am Sonntag in Dorstfeld tagte, wurde der am Tage zuvor au-gebrochene Ausstand zur Sprache gebracht. Der Bergarbeiter Schür holt erklärte, eS sei Pflicht aller organisirten Bergleute, den Streik zu vermeiden, erstlich, weil er aussichtslos sei, und dann, weil man auf diese Art und Weise keine Verbesserung herbeifiihre. Letztere könne nur da- durch erfolgen, daß man bei den Knappschaftswahlen geeignete Leute wähle. Schürholt schloß mit den Worten: „Arbeiten Sie um Gottes Willen weiter und seien Sie nicht unbesonnen." Die Ver- sammlung stimmte dem Redner vollständig zu." In dieser Darstellung ist jedenfalls die Behauptung falsch, „die jungen unorganisirten Polen" streikten der „geringen Löhne" willen, denn in ihrer Heimath erhalten solche Arbeiter weit geringere Löhne als im westfälischen Kohlenrevier. Im Uebrigen aber wird die Darstellung von anderer Seite be stätigt, besonders auch in dem Puncte, daß die organisirten Bergleute ihre Genossen vor der Betheiligung an dem Streike warnen. Aehnliches bat man oft beobachten können. Zn vielen Fällen haben die Generalstreik-Commission und die social demokratischen Führer und Blätter vor Streiks gewarnt, die von BerusShetzern, verschuldeten Kneipbrüdern und ihren Crcditgebern angezettelt wurden. Erst wenn die Bewegung trotz der Warnung einen größeren Umfang annahm und den socialdemokratischen Führern über den Kopf wuchs, nahmen diese die Sache in die Hand, organisirten den Streik, wendeten alle Mittel deS Terrorismus an, um ihn siegreich durchzuführen, und wuschen dann, wenn die Sache schief ging, unter Berufung auf ihre anfänglichen Warnungen die Hände in Unschuld. Um so weniger ist da der Fanatismus zu verstehen, mit dem die Socialdemokraten gegen alle Bestimmungen der sog. „ZuchthauSvorlage" zu Felde ziehen. Es sollte ihnen doch eigentlich lieb sein, wenn eS wenigsten- möglich gemacht würde, gewerbsmäßige Hetzer, verschuldete Bummler und ähnliches Gelichter, daS durch seine Streikanzettelung den Kasten der socialdemokra tischen Organisationen schon Millionen entlockt hat, nach Gebühr zu bestrafen. Weniger unverständlich, aber noch verwerflicher ist es, wenn konservative Blätter die Vorkommnisse im westfälischen Kohlenreviere den Par teien zur Last legen, die gegen die Verweisung der Vorlage an eine Commission gestimmt haben. Auch wir bedauern die Ablehnung der CommissionSberathung, aber unbestreitbar bleibt eS trotzdem, daß jene Vorgänge nicht unterblieben wären, wenn der Reichstag vor^seiner Vertagung die „Zuchthausvorlage" an eine Commission verwiesen hätte. Und wenn sich Herausstellen sollte, daß die der Rechtspflege jetzt zur Verfügung stehenden Machtmittel unzureichend wären, terroristische Ausschreitungen westfälischer Streiker nach Verdienst zu strafen, würde erwiesen sein, daß diejenigen ReichSlagSabgeordneten sich geirrt hätten, die eine Bereicherung jener Machtmittel für überflüssig erklärten. Und sollte sich daS Herausstellen, so würde die Vorlage im Herbste sicherlich nicht völlig unter den Tisch fallen. Einen komische» Beigeschmack hat übrigens eine Auslastung der „Leipziger Zeitung", die an die Mahnung der „Nat-Ztg.", man solle in Bochum und Herne nötbigenfallS die Polizei durch Militär verstärken, die Bemerkung knüpft: „Nicht übel; erst behauptet man, daß die bestehenden Bestimmungen zum Schutze Arbeitswilliger völlig aus- reichen und jetzt weiß man schon kein andere- AuS- kunftsmittel mehr al» „da- Militär". Bermuthlich sollen die benachbarten MilitSrcommandoS vor das Haus und die Schlaf- stuventhür jedes Arbeitswilligen einen Doppelposten ousstellen und ihm die Weisung ertheilen, den Schutzbedürftigen auf Schritt und Tritt zu begleiten, ihn im Schlaf und bei der Arbeit zu bewachen; nach Beendigung Les Ausstandes würde daS Commando dann noch aus einige Monate zu verlängern sein, damit der Arbeitswillige auch später gegen die Rache der Genossen geschützt ist." Die „Leipz. Ztg." weiß doch sicherlich, daß die Möglichkeit, bei Ausschreitungen die Polizei durch Militär zu verstärken, längst gegeben ist und nicht erst durch die „ZuchthauSvorlage" gegeben werden sollte. Eine solche „Entgleisung" hätte also dem sonst so vorsichtigen Blatte nicht begegnen sollen. Die Niedermetzelung der französischen Expedition Casemajou bei Sinder, einem Orte, der früher unter der Oberhoheit deS Sultans von Sokoto stand, giebt Kenntniß davon, daß die Franzosen jetzt nicht nur von Süden, sondern auch von Westen aus den Tschadsee zu erreichen und sich die Wege dahin zu öffnen suchen. Obwohl sich schon eine französische Truppe beim Sultan von Baghirmi befindet, sind noch zwei Expeditionen unter de Behagle und Gentil unterwegs; am Tsckadsee im Mündungs gebiete des Schari soll eine französische Verwaltung ein gerichtet werden, zu deren Chef Gentil auSersehen ist. Jetzt erfährt man mit einem Male durch den Untergang einer Expedition, daß die Franzosen auch von Westen aus durch die Haussastaaten zum Tschadsee vorrücken wollen. Ihre Bemühungen, sich im Centralsudsn festzusctzen, sind nun gerade neun Jahre alt; nachdem Chole 1890 den Sanga entdeckt und weit hinaus befahren batte, begann das systematische Vordringen nach dem Tschadsee bin. Unermüdlich und ohne Rücksicht auf die Kosten wurden Expevitionen nach einander vom Ubangi ans dahin abgesandt, mehrere derselben wie die von DymbowSki und Cranupel gingen zu Grunde, aber dadurch ließ man sich in Paris nicht irre machen. Die Krönung dieser Bemühungen waren die Verträge von 1894, in denen Frankreich daS Land östlich vom Schari bis nach Darfur zur französischen Znterestensphäre erklärt sah und die Länder westlich vom oberen Nil in die französische Gewalt kamen. Der Faschodafall brachte eine arge Störung in diesen Erfolg, aber nachdem man über die Nigerländer eine neue Abmachung mit England getroffen hat, gebt man jetzt darauf aus, den westlichen Sudan mit dem Cenlrum unmittel bar zu verbinden und seine Herrschaft bis dahin gellend zu machen. Das Vorgehen der Franzosen ist für uns um so beachtenSwerther, als auf deutscher Seite der Plan besteht, auch in jene Länder, so weit sie zur deutschen Interessensphäre gehören, einzudringen und sich dauernd festzusetzen. Man ersieht vor Allem, daß es nicht leicht ist, weithin zu gelangen und eine feste Position zu gewinnen; auch gehört Zeil dazu. Im nächsten Frühjahre wird der Major v. Wissm ann mit einer großen Expedition nach dem Benue fahren, um zunächst bei Garua eine Station zu gründen. Außerdem hat er den Auftrag, von dort aus Vorstöße nach Norden hin zu machen. Je vorsichtiger daS geschieht, desto besser ist eS; Jahre können noch vergehen, ehe wir biS zum Tschadsee selbst gelangen. DaS Wesentliche ist, überall in neuen StammeSgebieten feste Plätze zu errichten und die deutsche Herrschaft dauernd ein zurichten. Ununterbrochene Nachschübe sind unvermeidlich. Noch immer nicht läßt sich erkennen, welchen AuSganz der Lonflict zwischen Transvaal und England nehmen wird. An gutem Willen, den Wünschen Milner's und Cbamberlain'S entgegenzukommen, fehlt eS Präsident Krüger gewiß nicht, aber an solchem fehlt eS auf der anderen Seite. Die Vermittlerrolle hat jetzt daS Mitglied deS auSführendcn NatheS deS Oranjefreistaates, Fischer, übernommen, wo rüber uns das Folgende gemeldet wird: * Pretoria, 28. Juni. Die Verhandlungen Fischer's mit dem Nusführcnden Rathe der Südafrikanischen Republik sind heute zum Abschluß gelangt. Das Ergebniß wird amtlich nicht eher bekannt gegeben werden, al- bi- die Vorschläge dem Volksraad vorgelegt sind, was am Montag geschehen dürfte, und bis die Einzelheiten in geheimen Sitzungen durchberathen sind. Es verlautet, daß die ursprünglichen Vor- schlüge Fischer'- abgeündert seien und daß namentlich der Zeitraum, für welchen das Bürgerrecht rückwirkende Kraft haben solle, nicht festgesetzt, sondern der Entscheidung des Volks- raads überlassen sei, der auch noch über einige andere Einzelheiten zu beschließen habe. Im Allgemeinen herrscht der Eindruck vor, daß die Mission Fischer's erfolgreich gewesen sei. Fischer hatte im Lause des heutigen Vormittag- eine Unterredung mit dem Feuilleton. Die weiße Nelke. Roman von Isidore Kaulbach. Siawrruck verboten. „Der Kaufmann hieß Normann; Richard selbst aber hatte ja, wie ich Ihnen schon erzählte, seinen wahren Namen abgelegt; er heißt in Wirklichkeit'Bruns, und sein Vater war der Commerzien- rath Bruns in Leipzig." War cs ein Schrei des Entsetzens, der in Gewitter und Nacht hinaustlang? Elisabeth hätte cs nicht zu sagen vermocht; denn in demselben Augenblick krachte, begleitet von einem grellen Blitz strahl, ein so furchtbarer Donner, daß sie in halber Betäubung sich in den tiefsten Schatten der Nische flüchtete. Bevor sie aber noch recht wieder zu sich gekommen war, fühlte sie sich heftig am Arm ergriffen und sah, wieder aufschauend, Meta's Gesicht in seltsamer Verzerrung regungslos in die Ferne blicken. Einen Moment blieb das Mädchen in dieser Starrheit, dann packte ein Zittern ihre Gestalt; sie stieß einen unarticulirten Schrei aus und hob die Hände wie zur Abwehr empor: „Die Tobten — die Tobten stchen wieder auf!" rief sie mit heiserer Stimme; „o, eS ist schrecklich — schrecklich!" Und bevor Elisabeth ein Wort nur fand, um sie zu beruhigen, war sie ohne Abschied hinausgestürmt in die finstere, von Blitzen durchzuckte Gcwitternacht. Bebend vor Schrecken sah ihr Eli sabeth nach, aber bald war die fliehende Gestalt in Dämmerung und Regendunst verschwunden. Achte- Capitel. Zitternd am ganzen Körper vor Entsetzen über da-, was sie soeben aus Elisabeth Seydel's Mund« vernommen, kam Meta zu Hause an. Sie fand ihren Vater noch im Zimmer, als sie ein trat; der alte Henzen aber hätte vor Schrecken über den Anblick, den sein« Tochter darbot, fast die Pfeife au» dem Munde fallen lassen. Er hielt die Hand über die Augen, weil er kaum zu glauben vermochte, daß e» wirklich Meta war, di« da in der Thür erschien, geisterbl«ich, mit verstörtem Gesicht und einem Ausdruck in den Augen, der dem Alten Furcht einflößt«. Di« von Nässe triefenden Kleider hingen ihr schlaff am Körper herab, und aus ihnn schwarzen lockigen Haaren flössen die Wassertropfen über ihre blasse Stirn. Unwillkürlich erhob sich Henzen vom Sopha, auf dem er. über einen alten Volk-kalender gebeugt, ge sessen hatte. Er faltete die dürren Hände und murmelte in seiner pathetischen Weise: „Gott sei uns gnädig, "Mädchen, was ist Dir begegnet?" Ihre ganze ungezügelte Natur schien aus den Fugen gegangen. Trotzdem ihr von dem raschen Laufen durch Wind und Wetter noch die Kniee zitterten, flog sie auf den Vater zu, beugte sich dicht an ihn heran und umklammerte sein Handgelenk. „Weißt Du, was ich erfahren habe", keuchte sie, „weißt Du, wer Richard Claasen ist?" „Sei nicht so wild", sagte Henzen, unter seiner Unbeweglich keit die Angst verbergend, die ihn ergriff. „Was kümmert es mich, wer der Mörder Maria Goladtka's ist!" Sie lachte schrill auf. „Es wird Dich schon kümmern, wenn ich Dir seinen wahren Namen nenne: er heißt Bruns — Richard Bruns, und sein Vater war der Commerzienrath Bruns in Leipzig." Der Alte hatte sein Handgelenk aus den Fingern seiner Tochter befreit, nun griff er nach ihrem Arm und hielt sich krampfhaft daran fest, weil seine lange, hagere Gestalt schwankte. Aller Glanz war aus seinen Augen gewichen, sein,-Gesicht hatte eine wahre Geisterfarbe angenommen. „Nicht wahr", fuhr M«ta mit einer noch Immer von ge waltiger Aufregung bebenden Stimme fort, „nicht wahr, Vater, das ist «ine Nachricht, bei der es uns eiskalt überrieseln muß? Setze Dich nieder und finde Dich damit ab, daß die Vergangenheit wieder lebendig wird." Der Alte schien zu Stein erstarrt zu sein. Er fiel auf das Sopha und blieb regungslos sitzen, mit weitgeöffneten Augen seine Tochter anstarrend. „Ich kann es nicht begreifen", sagte er endlich mit klangloser Stimme, „es kann doch gar nicht sein — Richard Claasen, — er heißt doch Claasen, — Meta, Meta, es kann nicht mög lich sein " „ES ist wahr — wahr!" rief Meta laut und verzweiflungS- voll, „o Gott! er — Richard — der Sohn des ManneS, dem ich meine größte Schmach, den Schimpf meines Lebens ver danke!" Sie rang die Hände voller Quak und Pein. „Deshalb ist er gerichtet —", sprach Henzen, der sich allmählich wieder faßte, „ja, es war gerechte Strafe, daß er so grausam umkommen mußte; er war ein Schurke, — und sein Sohn, — wenn «S wirklich sein Sohn ist, thäte besser, seines Vaters Namen begraben sein zu lassen, wie bisher. Dir, Mädchen, ist es ein Fingerzeig von oben, daß Du endlich Dein thörichteS Herz wirst lo»lösen müssen von dem Maler — wer weiß, was nochmal» zu Tage kommt? Sage mir nur, wer hat e- Dir erzählt?" „Fräulein Seydel hat es mir gesagt, die es von Claasen selbst erfahren hat." „Ah so? Thut er plötzlich den Mund auf, jetzt, da er fürchtet, daß es ihm an den Kragen geht? Er hätte nur weiter schweigen sollen, es wird ihm Alles nichts helfen; — Du siehst es ja, — das Schicksal nimmt seinen Lauf." Vielleicht verursachten es die nassen Kleider, die Meta noch auf dem Leibe trug, daß ihr die Zähne wie im Frost aufeinander schlugen, vielleicht aber auch waren es die Worte ihres Vaters, bei denen ein Schauder sie überrieselte. „Würdest Du es wollen, Vater, daß das Schicksal seinen Lauf nehme?" fragte sie mit bitterem Hohne. „Ich erkläre Dir hier mit, daß ich trotz Allem und Allem für die Befreiung Richard Claasen's kämpfen werde, — und sollte es mein Leben kosten." Henzen antwortete nicht; er that, als ob er beten wollte. Meta zündete die Lichter an, die ihr und ihrem Vater ins Schlafzimm«r leuchten sollten. „Gute Nacht", sagte sie. „Gute Nacht", gab Henzen zurück, doch blieb er auf seinem Platze sitzen und rührte den Leuchter nicht an, den sie vor ihn auf den Tisch gestellt hatte. Erst nach Mitternacht wankte er in seine Kammer und begab sich zur Rühe. An Schlaf aber dachte Keines von Beiden in dieser Nacht. Friedrich Henzen wurde von einem Herzkrampf ergriffen, daß er glaubte, es ginge zu Ende mit ihm; seine Tochter konnte er nicht rufen, denn die Sprach« versagte ihm. Mit steifen Gliedern lag er bewegungslos auf dem Bette, bis des Morgens fahles Zwie licht die Kammer zu erhellen begann. Und als er um die ge wohnte Stunde nicht zum Frühstück erschien, weil er unfähig war, sich zu erhoben, trat*seine Tochter bei ihm «in. Sie fuhr zusammen, als sie ihn erblickte: er erschien ihr in dieser Nacht um Jahre gealtert. „Meta", redete er sie mit matter Stimme an und erfaßte dabei ihre Hand, „glaubst Du wirklich, daß Claasen, — daß BrunS — unschuldig ist an dem Morde der Schauspielerin Marietta Goladtka?" „Ja", erwiderte sie fest. „Weißt Du denn, wer das Verbrechen begangen hat?" Sie fühlte, wie feine Finger zuckten. „Nein, — ich wollte, daß ich es wüßte." „Du ahnst es auch nicht?" fragte er dringender, so daß sie ihn nicht begriff. „Nein", wiederholte sie, „hast Du vielleicht einen Verdacht?" Der kalte Schweiß stand ihm an der Stirn; er richtete sich empor und flüsterte in abgerissenen Silben: „Suche ihn zu befreien, wenn Du glaubst, daß er unschuldig ist; er kann ja fliehen von hier, — di« Welt ist ja groß, — Niemand wird drüben sein« Spur verfolgen, und Du, Kind, Du mußt nicht mehr an ihn denken, wenn er fort ist; fein Vater, wir wollen ihn vergessen — ihn und den Sohn — Alles Alles " Eine Ohnmacht raubte ihm die 'Besinnung. Meta hatte ge merkt, daß er die letzten Sätze schon in halber Betäubung ge sprochen hatte; die Nachricht, die sie ihm gestern Abend überbracht hatte, war von zu starker Wirkung für ihn gewesen. * * * Als Meta am gestrigen Abend in einer für Elisabeth völlig unbegreiflichen Aufregung und Hast durch Nacht und Regen von ihr forteiltt, war diese anfangs so bestürzt, daß sie noch eine ganze Weile in der windigen Halle stehen blieb, wo sie vor dem Unwetter Schutz gesucht hatte. Was war denn geschehen, daß das Müschen wie von Furien gepeitscht, ohne Abschied, ohne Er klärung fortstürzte? Einen seltsamen Charakter hatte sie ja, — das wußte Elisabeth, und als sie sich nach einiger Zeit vom ersten Schrecken erholte, den Meta ihr «ingeflößt hatte, begann sie ruhiger über deren befremdlich« Flucht zu denken. Elisabeth wußte, daß Meta's leidenschaftliches Herz insgeheim für Richard glühte, und sie sagte sich, daß irgend ein Punct in ihrer Er zählung sie empfindlich getroffen haben mußte. Sie war an diesem Abend aber so weich, so hoffnungsvoll und gehoben ge stimmt, daß sie sich viel schneller über Meta's eigenthümliches Wesen beruhigte, als es zu anderen Zeiten wohl der Fall gewesen wäre. Das Wiedersehen mit dem Geliebten, die Befriedigung ihrer namenlosen Sehnsucht hatte ein Helles Licht in ihrer Seele zurückgelassen, daS ihr weithin durch alles Trübe der kommenden Tage leuchtete. Es lag sogar «in glückliches Lächeln auf ihrem Gesichte, als sie ihren Vater daheim begrüßte. „Nun, mein Kind, Du siehst fa aus, als ob aller Nebel an Deinem Himmel sich gelichtet hätte", rief der Staatsanwalt ihr erfreut entgegen. Elisabeth's tiefe Niedergeschlagenheit, die sie vergebens vor seinen scharfblickenden Augen zu verbergen gesucht hatte, war ihm ein groß«r Kummer gewesen. „Ja, Vater", antwortete sie, indem sie sich zu ihm setzt«, „ich habe Richard gesehen und gesprochen — und ich danke Dir dafür, daß Du mir daS ermöglicht hall. Mir ist, als müßte nun Alles gut werden. O, Vater, er muß — er mutz seine Freiheit wieder haben! Er leidet furchtbar unter der Haft — denk' Dir doch — «in Mensch, wie er, «in Künstler, dessen GeisteSflug gehemmt,
- Aktuelle Seite (TXT)
- METS Datei (XML)
- IIIF Manifest (JSON)
- Doppelseitenansicht
- Vorschaubilder
Erste Seite
10 Seiten zurück
Vorherige Seite