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02-Abendausgabe Leipziger Tageblatt und Anzeiger : 02.10.1899
- Titel
- 02-Abendausgabe
- Erscheinungsdatum
- 1899-10-02
- Sprache
- Deutsch
- Digitalisat
- SLUB Dresden
- Lizenz-/Rechtehinweis
- Public Domain Mark 1.0
- URN
- urn:nbn:de:bsz:14-db-id453042023-18991002023
- PURL
- http://digital.slub-dresden.de/id453042023-1899100202
- OAI-Identifier
- oai:de:slub-dresden:db:id-453042023-1899100202
- Sammlungen
- LDP: Zeitungen
- Strukturtyp
- Ausgabe
- Parlamentsperiode
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- Wahlperiode
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Inhaltsverzeichnis
- ZeitungLeipziger Tageblatt und Anzeiger
- Jahr1899
- Monat1899-10
- Tag1899-10-02
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Atr»-Vellage» (gefalzt), aar mit btt Morgen.Ausgabe, ohne Postbefördrrung SO.—, mit Postbeförderung ^l 70.—. Anzeiger. Amtsblatt des königlichen Land- «nd Amtsgerichtes Leipzig, des Mathes und Nalizei-Ämtes der Ltadt Leipzig. -- - . --7---— Montag den 2. October 1899. Akuahmeschlirß für Anzeigen: Abead-AuSgabe: vormittag» 10 Uhr. Morgen- Au»gab«: Nachmittag» 4 Uhr. Bei de» Filialen und Annahmestelle» je ein» halbe Stunde früher. Anzeige» find stet» an die Vrpediti»» z» richte». Drück «»d Verlag von Pol» kn Lrlpzi» SZ. Jahrgang. Politische Tagesschau. * Leitzztg, 2. October. In Sachen der „latenten «rist»" in Prenhen ist es nun ziemlich still geworden. „Germania" und „Deutsche Tageszeitung" streiten sich Nur noch darüber, ob die „VersöhnungSconferenr in Berlin >V" stattgefunden bat oder nicht. Da» agrarische Organ wiederholt nochmal», daß seines Wissens irgend welche VersohnungSconsereuz oder Besprechung oder sonst etwa-Aehnlicheö nicht stattgefunden habe. „Mindestens war Minister v. Miquel an einer solchen nicht betheiliat." Das Blatt giebt aber zu, daß der Reichskanzler einen hervorragenden konservativen Führer empfangen und die Sachlage in versöhnlichem Sinne besprochen habt; das sei jedoch vor der Miqurlhetze geschehen und jener Abgeord nete stehe den führenden Kreisen de» Bunde« der Landwirthe fern. Durch diese Auslastung der „Deutsch. TageSztg." wird unsere Vermutbuna bestätigt, daß die Bundesführer und Verführer in die „Versöhnung" vorläufig noch nicht mit ein bezogen worden sind. War Herr v. Miquel an der Conferenz nicht betbeiligt, so ist das der beste Beweis dafür, daß zwischen ihm und dem Fürsten Hohenlohe Meinungsdifferenzen über die künftige Stellung der Regierung zu den Conservativen wenigstens nicht mehr bestehen. Die „Germania" ihrerseit» dreht den Spieß um und erklärt, nicht daS Centrum habe intriguirt, um die Conservativen von Herrn v. Miquel zu trennen, sondern eS bandle sich um eine gegen da« Centrum gerichtete Jntrigue. „Die Conservativen und Herr v. Miquel schließen einen Bund gegen das Centrum." DaS ist dasselbe, was Herr Or. Lieber in Mainz behauptet hat. Und wenn man sich dieser mit so großer Bestimmtheit ausgesprochenen Behauptung erinnert, so begreift man kaum, wie die „Kreuzztg." der ihr zugegangenen Meldung, Herr v. Miquel habe besonders zu der Zuspitzung d«S Gegensatzes zwischen der Regierung und den Conserativen beigetragen und sei namentlich an der Maßregelung der Beamten stark betheiligt, Glauben schenken und dann diese Meldung al- einen intezrirenden Bestandtheil einer klerikalen Jntrigue bezeichnen tonnte. Man muß, um diese- Näthsel zu lösen, annehmen, der Gewährsmann der „Kreuzztg." habe dieser eingeredet, der Mainzer Angriff deS Herrn Di-, Lieber gegen Miquel sei nur ein Scheinangriff gewesen; in Wirklichkeit wisse man im Centrum, daß die Conservativen begründetsten Anlaß zur Unzufriedenheit mit dem Vice präsidenten de« preußischen Staat-Ministerium- und zu ge harnischtem Vorgehen gegen ihn hätten. In diesem Falle muß aber der Gewährsmann der „Kreuzztg." auch eine Person gewesen sein, der dieses Blatt die intimste Kenntniß der Centrumsabsichten nicht nur, sondern auch der Vorgänge im preußischen Ministerium und zugleich treueste conservative Gesinnung zutrauen durfte. WaS muß da- für ein Meister im Intriguenspiele gewesen sein und welche einflußreiche Stellung muß er einnehmen, um die sonst so schlaue und vorsichtige „Kreuzztg." in solcher Weise an der Nase herum führen zu können! Schade, daß ihn die „Kreuzztg." nicht nennt und nicht Herrn v. Miquel ausliefert! Oder ist er bei der „Versöhnung" genannt und dann unschädlich gemacht worden? Sollte er frei ausgehen, so würde Herr v. Miquel immer noch nicht sicher sein dürfen. Jedenfalls haben die Enthüllungen der „Kreuzztg." über das Intriguenspiel zur Isolirung Miquel's noch bedeutende Lücken, vor deren Aus füllung man von einem Ende der Krisis nicht wohl sprechen kann. Wie bereits gemeldet, ist der socialdemokratische Reichs- tagSabgeordnete Schmidt wegen Majestätsbeleidigung zu drei Jahren Gefängniß und zum Verlust aller aus öffentlichen Wahlen hervorgegangenen Ehrenämter verurtheilt worden. ES handelt sich um dieselbe MajestLtSbeleidigungSaffäre, wegen welcher seinerzeit der verantwortliche Redakteur der Magdeburger „Volksstimme" Müller zu einer Gefängniß- stras« von vi«r Jahren einem Monat verurtheilt wurde, die er zur Zeit verbüßt. Die „VolkSstimme" batte ein „Märchen au- Bagdad" veröffentlicht, worin „Prinz Beit-el-Riz" und der „Sultan", in Wahrheit der Kaiser und Prinz Eitel Fritz, be leidigt wurden. Müller wurde, obwohl er versicherte, daß die fragliche Notiz während seines Erholungsurlaubes und ohne sein Wissen ins Blatt gebracht sei, verurtheilt. Schmidt bekannte sich darauf als einzigen Schuldigen und veranlaßte die Auf hebung seiner Immunität durch den Reichstag. Er wurde darauf als Mitthäter unter Anklage gestellt, ist aber jetzt nicht als „Mitthäter" verurtheilt worden, so daß ein Wieder aufnahmeverfahren dem schuldlos verurtheilten Müller Wohl zur Freiheit verhelfen wird. Sobald da« Urtheil gegen Schmidt rechtskräftig geworden, verliert derselbe sein NeichS- tag-mandat; er kann jedoch wiedergewählt werden. Die Socialdemokratie feiert ihn al- Opfer muthiger Pflichterfül lung, obwohl er nichts gethan hat, als etwas, dessen Unter lassung ihn zum Ehrlosen gestempelt hätte. Warum er um ein Jahr glimpflicher davon gekommen ist, als der College, den er anfangs statt seiner vernrtheilen ließ, weiß man noch nicht; nach dem „Vorwärts" lautet die Begründung deS Urtheils kurz: DaS Gericht ist der Ueberzeugung, der Angeklagte habe mit voller Absicht den Artikel in die Druckerei gegeben; er habe sich damit objectiv der Kaiser- und Prinzenbeleidigung schuldig gemacht. AIS „Blutzeugen wider diese Seite deS Strafrecht-" wird die Socialdemokratie aller Voraussicht nach, wenn in Folg« deS Inkrafttretens deS Urtheils inKalbe- AscherSleben eine Neuwahl nothwendig wird, den verurtheilten Genossen wieder aufstellen. Die Soclaldemokratie hat diesen Wahlkreis im verflossenen Iabre in der Stichwahl mit einer schwachen Mehrheit von 200 Stimmen den Nationalliberalen abgenommen, deren Candidat, der frühere Vertreter dieses Wahlkreises Abg. Placke, 18 100 Stimmen erhielt. Welche besonderen Verpflichtungen in diesem Falle den staats erhaltenden Parteien obliegen, geht au- der Ankündigung des „Vorwärts" hervor, mit der Wahl den nachdrücklichsten Protest gegen da« Urtheil herbeizusühren. Die deutsche Commission, welche mit dem Studium der technischen und rolkswirthschaftlichrn Vorbedingungen für den Bau der Bagdad-Bahn betraut ist, bat am 16. d. M. ihre Reise angetrcten. Ein kaiserl. Jrade hierfür ist zunächst nicht erfolgt, wodurch dem Unternehmen der erwähnten Studiencommission der private Charakter bewahrt werden sollte. Auch wurde ihr kein Vertreter des türkischen General stabes beigegeben. Die Commission nimmt den folgenden Weg: sie überschreitet den kilikischen Taurus und daS AmannS- Gebirge (jetzt Gjaur-Dagh genannt), übersetzt bei Biredjik den Euphrat, um südlich vom TauruS durch Hochmesopotamien an den Tigris zu gelangen, dessen Lauf sie unter Berührung der Städte Mossul, Erbil, Kerkuk bis Bagdad verfolgen wird. Bei Bagdad wird der Tigris und kurz darauf wieder der Euphrat übersetzt, um dir beiden persischen WalfahrtSorte Kerbels und Nedjef zu berühre». Die Reise wird sodann auf dem rechten Ufer des Euphrat bis Bassorah und voraussichtlich bis Kreit am persischen Golf fortgesetzt. Die Rückreise soll im Thale deS Euphrat erfolgen. Die Mission dürfte vor Ende März deS nächsten IahreS nicht zurückgekehrt sein. Erst auf Grund der Ergebnisse dieser Studiencommission können die Fragen bezüglich der Trace der Bahn, der kilometrischen Garantie und deren Sicherstellung entschieden werden, sowie überhaupt erst dann ein Urtheil über das ganze Project wird gefällt werden können. Es wäre daher voreilig, schon jetzt die mit einander vielfach in Widerspruch stehenden Meinungen, welche über die Aussichten des Unter nehmens im Umlaufe sind, kritisch zu erörtern. Erwähnt mag jedoch werden, daß der Gegensatz, welcher im Zusammen hang« mit dem Bagdad-Bahn-Project zwischen der franzö sischen und der russischen Diplomatie zu Tage ge treten sein soll (der französische Botschafter bei der Pforte, Herr ConstanS, ist bekanntlich in Folge deS zwischen der Deutschen Bank und der Ottomanbank getroffenen Arrange ments an dem Zustandekommen deS Projekts interessirt), für den Augenblick wenigstens viel von seiner Schärfe verloren hat. Wie verlautet, soll da« Petersburger Cabinet die Auffassung vertreten, daß zur Hervorkehrung dieses Gegen satzes gegenwärtig kein Anlaß vorhanden sei. Ob nicht in einem späteren Stadium der Angelegenheit dennoch russische Widerstände zu überwinden sein werden, ist allerdings eine andere Frage. In den diplomatischen Kreisen Kon stantinopels herrscht die Ansicht vor, daß dies voraus sichtlich der Fall sein werde, es sei denn, daß inzwischen Rußland von Deutschland auf anderen Gebieten gleichwcrthige Compensationen geboten werden. Sollte trotz aller im Wege stehenden Schwierigkeiten der Weiterbau der anatolischen Bahnen bis Bagdad und an den persischen Golf dennoch erfolgen, so wird an eine Fusion mit der Smyrna-Kassaba-Bahn, welche sich in französischen Händen befindet, gedacht. Diese Bahn trifft bei Afinn-Karabissar mit der nach Koma gehenden Zweiglinie der Anatolischen Bahnen zusammen. Die Schienenverbindung zwischen den beiden Bahnen ist zwar bis zur Stunde noch nicht erfolgt (die hierauf bezügliche Ent scheidung des MinisterratheS ist noch ausständig), allein sie kann, zumal im Falle der Fusion mit den Anatolischen Bahnen, als sicher angenommen werden. Tann würde das deutsche Eisenbahnnetz in Kleinasien den Hafen von Smyrna als Stützpunkt für den Einfuhr- und den Ausfuhrbandel benutzen können, wie jenen rcu Haid -r-P -scha. dessen Erbauung durch die Gesellschaft der Anatolischen Bahnen bevorsteht. Das neue österreichische Ministerium mit dem Grasen Clary-Aldringen an der Spitze ist gebildet. ES ist ein reines Beamtenministerium und seine Aufgabe wird lediglich darin bestehen, die Sprachenverordnungen aufzuheben, ein Sprachengesetz vvrzubereiten, die Delegativnswahlen und vielleicht noch den Ausgleich mit Ungarn durchzufübren. Zunächst wird die gegenwärtige Session des Reichsraths geschlossen werden, damit sowohl die noch unerledigten Minister anklagen als das deutschfeindliche Präsidium "deS Abgeord netenhauses kein weiteres Hinderniß bilden. Graf Clary ist ein Sproß jener alten auS Florenz stammenden Familie Claris, die 1363 daS böhmische Jndigenat erhielt und 1641 in den ReichSfreiherrnstand erhoben wurde. Durch Vermählung eine- Clary mit der Tochter und Erbin deS Rcickögrafen von Aldringen fiel dem Geschlechte die Grafschaft Teplitz und damit auch die Grafenwürde zu. Im Jahre 1767 wurde Graf Franz von Clary-Aldringen in den ReichSsürstenstand erhoben und sein Urenkel, Fürst Edmund Moritz, spielte im böhmischen Landtage, wo er den verfassungs treuen Großgrundbesitz vertrat, eine bedeutende Rolle. Der jetzige Ministerpräsident soll gemäßigt-liberal, Andere sagen, gemäßigt-klerikal sein; jedenfalls ist er streng verfassungstreu, und dies kann den Deutschen vorläufig genügen, um derneuenRe- gierung ohneVorurtheil entgegenzukommen. DerSieg der deut schen Opposition wird von keiner Seite bestritten. Wa» die deutschen Abgeordneten al- unumgängliche Forderung ausgestellt haben und WaS bisher regierungsseitig stets als schlechterdings unerfüll bar bezeichnet wurde, was sie ihren Wählern versprachen, was sie in Eger feierlich gelobten: die endliche Beseitigung der unseligen Sprachenverordnungen, daS ist ihnen nunmehr von der Krone selbst in sichere Aussicht gestellt und daS wird auch erfüllt werden. DaS ist ein Erfolg, den sie erkämpft haben, und hauptsächlich darum ein Er olg, weil er erkämpft, einer parlamentarischen Constellation abgerungen wurde, die scheinbar jede Aussicht auf Gelingen verschloß, weil damit der auf die Stimmziffer pochenden Majorität bewiesen wurde, daß auch die Minorität Rechte bat und daß, wenn diese Mino rität ein ganzes Volk repräseniirt, sie auch Mittel findet, sie durchzusetzen. Ein Erfolg vor Allem, weil in der Entlassung de- Cabinets Tbun und in der Berufung Clary-Aldringen's das Einbekenntniß der Krone liegt, daß ohne, geschweige denn gegen die Deutschen in Oesterreich auf die Dauer nicht regiert werden kann, daß die Deutschen vielmehr als staatSerbaltender Factor jederzeit voll respectirt werden müssen. Zweifellos, eS ist viel erreicht. Zu weit aber gebt die hier unv da ausgesprochene Hoffnung, daS parlamentarische Cabinet, welche» daS Ueber- gangsministerium Clary ablösen soll, könne auch ein Coali- lionsministeriuin sein, in welchem die Linke und die Rechte mit Ausschluß der Tschechen sich die Hand reichen. Tie bis herigen Erfahrungen mit der Rechten lassen eS rathsam er scheinen, dem Optimismus Zügel anzulegen und den errungenen Erfolg nicht höher einznsckätzcn als seine unmittelbare Wirkung. Einige Anzeichen liegen ja dafür vor, daß Polen und katholische Volkspartei neue Wege einzuscklagen gedenken, aber schon wieder holt hat die erstere eine Schwenkung nach der deutschen Linken angekündigt und doch ist eS noch jedeSmal bei dem angeblichen guten Willen geblieben, und auch die Polen hat das gemein same Interesse immer wieder mit der Rechten znsammen- geführt. Einen wirklichen Syste-.nwechsel von der Krone zu verlangen, würde zu garnichls nützen, da sie einen solchen unmöglich garautir-n kann, nu> so ist »s noch ganz ungewiß, wie daS folgende Ministerium und das zu erwartende Sprachengesetz in seiner endgiltigen Fassung aussehen wird. Deshalb werden die Deutschen besser daran thun, der neuen Regierung ohne Vorurtbeil entgegenzukvmmen, sie nach ihren Handlungen zu beurtbcilen und im klebrigen darauf bedackt zu sein, daß das slawisch-klerikale Cartell noch besteht und daß daher daS Signal zum Vertheidigungskamxf jeden Augen blick wieder erschallen kann. Seit einigen Tagen ist der Auslandstelegraph fast aus schließlich von Meldungen aus LüVafrika in Anspruch genommen. Sie lauten durchweg äußerst besorgnißerregend. Wie der „Münchner Allg. Ztg." aus Amsterdam berichtet wird, erhielt Königin Wilhelmine einen Brief der Königin Victoria, in welchem, wie verlautet, die Wendung, die die Transvaalkrisis genommen hat, tief beklagt, aber versichert wird, die Königin habe bis zur äußersten Grenze ihrer konstitutionellen Rechte die friedliche Lösung betrieben. Ohne Erfolg. Es stehen rn große Interessen großer Leute in London und am Cap auf dem Spiel und — nach Golde drängt, am Golde hängt doch Alles, selbst englische Minister! So schallt denn au« allen Winkeln Süd- Feuilleton. Auf freien Sahne». 1s Roman von Rudolf von Gottschalk. N,»dr>ick «erivleiu Erste» Buch. Erstes Capitel. "Es ist schade", sagte Alic«, ihren Strohhut neben sich ins Gras legend und das auf die Stirn fallend« blonde Gelock zurückstreichend, „daß Du die schönen Blumen tobtest, um sie für Dein Herbarium einzusammeln, das mir wie «in Kirchhof vorkommt." „Das ist Geisterseherei", versetzte Timotheus, „oder sagen wir lieber Seelenseherei, denn man will ja heutigen Tages in alles ein« Seele hineinsdhen, selbst in die alt« Mutter Erde, Liesen rollenden Weltklumpen, der ja in den Bahnen, in die «r einmal geworfen ist, weiter kreisen muß," Timotheus zog einen langen Zug aus seiner Cigarre und blies das Gewölk in das Blondgelock seiner Gefährtin. ES war ein schmächtiger junger Mann, mit einem bleichen pocken narbigen Gesicht, etwas gedehnten Zügen, sehr unruhigen Augen und diese Unruhe lag auch in seinem ganzen Wesen, durch welches fast immer ein nervöses Zittern ging. „Da sind wir doch heute an unser alter Lieblingsplätzchen gegangen", sagte Alice, „um wieder «ine Blume aufzusuchen, die eine Seele hat. DaS wirst Du mir doch nicht ableugnen wollen, denn Du hast mich ja selbst darauf aufmerksam ge macht. Hier auf der fruchten Wiese am Bachrand ist eine ganze Gemeinde derselben versammelt, und man steht «S diesen zartweiß«n Blükhen Mit ihren Weißen Hellen Sternen wohl an, daß sie nicht zur Plebs der Bkumenwelt gehören. DaS sind keine empfindsame Blumrn, diese Parnassien." „Blumen der Liebe könnt« man sie allerdings nennen", meinte Timotheus, „denn im Kelch keiner anderen Blume regt sich ein so selbstständiges Leien. Wie zum Kuß neigt sich das «ine feine Gebilde zum andern hernieder." „Ich will diesen Strauß in meine Base stecken", versetzte Alice, „Vater schimpft zwar immer auf daS Unkraut; doch ich habe im Gartenhäuschen meinen kleinen hängenden Garten — und da kommt «r selten hin." Di« Eonnrnstrahlrn fiel«» tndrtz schräg auf d«n blumen reichen Wiesengrund — und die Weißen Blüthen sogen einen röthlichen Schimmer «in; der nahe Teich war hinter seinen Schilfpallisaden in Blut getaucht, der Berghang aber, der sich zum Teich hinabsenkte mit seinem gemischten Laubholz, seinen weißstämmigen Birken und tiefschwarzen Erlen begann sich immer tiefer in Schatten zu hüllen. „Laß unS hier noch etwas plaudern, ehe der Thau uns verjagt", versetzte Timotheus sich langhinstreckend inS Gras und den Cigarrcndampf mit Behagen emporblasrnd. Alice war erfreut, daß ihr immer hin und her wandelnder Begleiter, an dem sie mit ganzer Seele hing, einen Augenblick behagliche Ruhe gefunden hatte. „Hier war schon daS LieblingSplätzchen, wo wir als Kinder unS tummrlten; ich war freilich schon rin großer Junge, aber Du kleines Mädchen hingst an mir wie rine'Klette. Den armen Blumen hier erging es schlecht, wir zertraten sie und köpften sie und ahnten nichts von ihrer Seele. Jetzt ist eS ander- geworden; wir können sie beneiden, diese Herzblätter, diese Parnassien, um ihr verschwiegenes, geheimes Liebesglück; denn unsere Liebe hat kein Heim und weiß nicht, wo sie ihr Haupt hmlegen kann." Alice seufzte und verbarg ihr 'Gesicht in den Händen. „So oft ich vom Seminar hierher zurück in die Ferien kam, fand ich Dich immer größer und hübscher «worden. Wir tollten zwar und haschten uns, aber das Lausen machte uns nicht mehr Vergnügen, nur daS Fangen — und wenn ich Dich so fest an mich drücken konnte, wenn sich alles verschoben hatte an Dir und in Unordnung gerathen war, wenn die Locken Dir wirr um den Kopf flogen und beim Laufen das Distelgestrüpp am Weg« Dir die Kleider in die Höhe gezerrt hatte — nein, «S ging nicht mehr mit dem Spielen; wir hatten unS immer gr- küßt, da» gehörte mit dazu — doch jetzt wird mir ganz anders zu Muthe; und auch Du hieltst Dich zurück und Du botest mir nicht mehr Deine Lippen dar." Alice lächelte vor sich hin — auch daS hatte sich ja wieder geändert. „Wir kamen hierher, um die Dichter zu lesen, welche frohen Stunden! Wir verstanden sie, wir verstanden un»! In mir steckt ja auch ein Stück Poet, ein Streben nach dem Höchsten, leider! muß da» alle- verkümmern in der dumpfen Stickluft dieser Schulmeisterlöbens — verkümmern, wie unsere Liebe." „DaS wird nie und nimmer geschehen", rief Alice sich auf- richttnd; ihre zierliche Gestalt hatte auf einmal etwas schwung haft Kühne» als wollte sie mit dem Schicksal ringen; au» dem lieblichen Oval ihre» Erficht» blickten di« sonst sanften braunen Augen mit rig«nthümlich«n Leuchten hervor: „Was auch kommen mag, wir halten zusammen unv wenn wir warten müßten — wir haben Gevuld, wenn auch das Herz oft ungeduldig pochen mag." Auch Timotheus hatte sich erhoben und reichte der Geliebten die Hand, doch es war ein schüchterner Druck und in seinen Augen war «in unsicherer Schimmer; er war in allem ein ungläubiger Zweifler, am meisten, wo es seine eigene Zukunft galt. „Was sind wir doch für jämmerliche Geschöpfe die wir der Geliebten nichts bieten können als solche kümmerliche Aus sichten — und möchten ihr doch ein glänzendes Glück zu Füßen legen. Das Seminar liegt hinter mir, ich habe die Prüfung gut bestanven, doch was liegt vor mir? Irgendwo eine Dorf schule mit tausend Mark Gehalt — kann ich Dich in solch einen Winkel führen? Und gelten wir dann etwas in der Welt? Wir mögen in allen Fächern hundertmal mehr wissen, als die Lehrer, die studirt haben — was sind wir gegen die stuvirten Leute? Unterofficiere, wenn wir uns gut führen, doch jene tragen die Epaulettc». Man sieht uns allenthalben über die Achseln an; gute Gesellen erhalten ja mehr Lohn als wir, da ducken wir uns gern von selbst, denn wer kein Geld hat, das ist ein Geschöpf, da» nur geduldet wird, und nicht «inmal von allen. Alice war auch plötzlich kleinlaut geworden. „Ohne Geld — sagst Du? Ja da» ist recht schlimm, am schlimmsten ist, daß mein Vater nie seine Zustimmung geben wird, wenn es sich um solch ein mit tausend Mark versilbertes Elend handelt. Doch ich weiß und Du hast es mir ja auch selbst gesagt — e» giebt Stellen in den Städten, die daS doppelte bringen. Nur muß man dazu noch ein Examen machen und das mußt Du doch wollen und können." „Ich hoffe bestimmt", versetzte der Lehrer, „doch ich brauche Zeit und Stimmung, um wieder mit dem Studium anzu fangen. Man wird mich zulasten; die Nummer, die ich beim ersten Examen erhalten, ist ausreichend — doch daS geht nicht so Hals über Kopf." Alicens Züge drückten eine mißmuthigc Stimmung auS. Wo r» die Liebe gilt, da muß alles Hals über Kopf gehn, da darf ei nicht» Unmögliches geben. DaS dachte sie, doch sie hatte nicht den Muth eS auszuspicchen. Wohl aber war jetzt der Augenblick, um dem Geliebten eine Mittheilung zu machen, die sie ihm bisher noch verschwiegen hatte — und sie war davon so in Anspruch genommen, daß sie in Gedanken die schöne Parnassien zerpflückte, die sie in der Hand trug. „Ich fürchte sehr — cs bricht «in Unheil herein. Ich sah schon seit einiger Z«it, wie sich die Wolken zusammcnzogen, ich wollte Dich nicht ängstigen; doch Vie Sache wird ernster von Tag zu Tag — und einige Äußerungen meines Vaters lassen mir keinen Zweifel über seine bösen Absichten übrig." „Böse Absichten" — „Ja, er will mich verheirathen." Timotheus fuhr auf. „Gewiß eine Bernunftehe, eine gute Partie. Doch die wachsen hier nickt wild in unserer Gegend. Hier der reiche Bauernsohn — der Johann Peukert, dem alle Dirnen im Dorfe nachlaufen, der Jüngling mit vem satten, rothen Gesicht!" „Wo denkst Du hin? Der stolze Bursch bemerkt mich gar nicht! Er nimmt nur eine Besitzerstochter, di« ebensoviel Vieh im Stall hat wie er und ebenso viele Morgen Landes unter dem Pflug." „Nun, dann der junge herrschaftliche Förster! Er hat sein gutes Auskommen, ein hübsches Forsthaus im Grünen und viel« Bienenstöcke." „Da kennst Du meinen Vater schlecht, er will «inen »er möglichen Schwiegersohn. Der junge stattliche Forstmann mit den röthlichen Bart hat zwar «in Auge auf mich geworfen, doch das nützt ihm nichts, bei meinem Vater nicht, weil er kein Geld hat — und bei mir nicht, nur weil ich Dich habe." „lind wo in aller Welt hat denn Dein Papa die reiche Partie aufgetrieben? Die beiden anderen Großbauern des Dorfes neben dem Psulert können zwar auch Ehecandidaten ins Feld stellen, der eine sogar ein ganze» Sortiment, lauter schmucke Burschen zum Küssen. Doch e» sind ja di« «rbittersten Feinde Deines Vaters, sie processiren mit ihm und lebten wir in Len Abruzzen, so wäre schon die Kugel für ihn gegossen und er dürfte sich nicht allein in einem Hohlweg sehen lassen." „Nun, Du «rräthst «S «inmal nicht: es ist der Hugo TramS, der Sohn des Wirthschaftsinspector» in Dalldorf drüben. Der Alte hat vor Kurzem ein beträchtliche» Vermögen geerbt, wird sich wahrscheinlich zur Ruhe sehen und seinem Sohn ein Gütchen kaufen. Der Sohn ist jetzt als Volontär -«im Vater; er hat Landwirthschaft studirt und wird sein Gut voraussichtlich aufs Beste verwalten." „Ei sieh", versetzte Timotheus spöttisch, „daS gefällt Dir wohl? Vielleicht haben diese Fetzen Landes auch Dominialrechte von irgendwoher — und Du wirst nicht blos Gutsherrin, sondern auch Rittergutsbesitzerin, wie unsere Schloßdamen sind? Und kannst Dir auch auf Deinen Wagenschlag ein Wappen malen lassen, wenn auch da- HeroldSamt dabei nicht mitgesprochen hat."
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