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02-Abendausgabe Leipziger Tageblatt und Anzeiger : 12.10.1899
- Titel
- 02-Abendausgabe
- Erscheinungsdatum
- 1899-10-12
- Sprache
- Deutsch
- Digitalisat
- SLUB Dresden
- Lizenz-/Rechtehinweis
- Public Domain Mark 1.0
- URN
- urn:nbn:de:bsz:14-db-id453042023-18991012024
- PURL
- http://digital.slub-dresden.de/id453042023-1899101202
- OAI-Identifier
- oai:de:slub-dresden:db:id-453042023-1899101202
- Sammlungen
- LDP: Zeitungen
- Strukturtyp
- Ausgabe
- Parlamentsperiode
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- Wahlperiode
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Inhaltsverzeichnis
- ZeitungLeipziger Tageblatt und Anzeiger
- Jahr1899
- Monat1899-10
- Tag1899-10-12
- Monat1899-10
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In einer längeren Resolution, die der Bebel verlas und in einer fünfstündigen, offenbar vornherein zu Broschürenzwecken bestimmten Rede >arfcr Polemik gegen Bernstein erläuterte, wurde daS utionäre Ziel der Parteibewezung mit unzweifelhafter nimtheit zum Ausdrucke gebracht, mit dem Bemerken, daß bisherige Entwickelung der bürgerlichen Gesellschaft Partei keine Veranlassung gebe, ihre Grund- auungen zu verändern, und daß der Partei jedes ihren Grundansckauungen zu vereinbarende Mittel recht wenn cs nur Erfolg verspreche, die politische Macht Partei bei den Wahlen mehre und die Lage der Arbeiler- t ernsthast verbessere. Für daS Gesammtverbalten Partei ist das Schlußwort der Rede entscheidend: den bayerischen Genossen aus ihrem Verhalten bei letzten bayerischen Wahlen, ihrem Co m pro miß mit Centrum, kein Vorwurf ru machen sei; nur hätten xre Position anders auönutzen sollen. Damit ist in die d eingcscblagen, die der bayerische Führer v. Vollmar- wenigen Tagen hingehalten. Die übrigen Aussührungen Bebel'schcn Rede, die sich stellenweise in grotesken Exal men verlor, werden dann erst Interesse gewinnen, wenn Gros der .84 übrigen Parteiredner sich geäußert, die Tagcöthema sprechen und anscheinend den Rest der he damit ausfüllcn wollen. Zor einiger Zeit führten die Socialdcmokraten im Groß- ogthum Weimar Beschwerde darüber, daß socialistische csauimlungen kurzerhand verboten worden seien. Auf Beschwerde bei der den Bürgermeistereien vorgesetzten ördc wurde ihnen erwidert, baß eine generelle Art ung an die Bürgermeistereien, socialistische Versammlungen gestatten, um so weniger ergeben könne, als es nicht auS- slosscn sei, daß trotz Wahrung der äußeren Ruhe und :nung Verhanblungögegcnstände aufreizend wirkten und sic öffentliche Ordnung gefährden könnten. Dieses scharfe -gehen gegen die Socialdemokratie steht im Gegensätze u, daß wenige Monate vorher die großherzogliche sierung zu Weimar davon Abstand nahm, gegen n freisinnigen Professor vorzugeben, der vergangenen Jahre einen Aufruf unterzeichnet hatte, der Stichwahl einen socialdemokratischen Bewerber gegen :n rechtSslcbenden Candidaten zu unterstützen. Wer n denn im Voraus sagen, daß ein gewiegter social- lokratischcr Redner nicht ebenso vorsichtig sich äußern .de, wie der von dem erwähnten Professor unterzeichnete fruf sich äußerte? Und jedenfalls ist es fraglich, ob es aatsbeamten, auch wenn sie Professoren sind, gestattet sein :f, zur Wahl eines Socialdemokraten aufzufordern und -urch den Nimbus und die parlamentarische Macht der ialdemokratischcn Partei zu erhöhen. Andererseits ist es zwar in einigen Staaten gesetzlich zulässig, Versammlungen von vornherein zu verbieten, weil möglicherweise trotz Wahrung der äußeren Ruhe die Verhandlungszegenstände ausreizend wirken könnten; aber ob es zweckmäßig ist, in solcher Weise vorzugehen, ist eine große Frage. Würde ein solches Verfahren, um der Socialdemokratie keinen Anlaß zu Klagen über Aus nahmebehandlung zu geben, allgemein angewendet, so könnte die Versammlungsfreiheit sämmtlicher Parteien gefährdet werden. Als im FrühjahEl892 von den Freiconservativen bis zu den Fortschrittlern in Preußen und über die Grenzen Preußens hinaus lebhafte Erregung über das Volksschulgesetz herrschte, wurden in zahllosen Versammlungen Resolutionen angenommen, die den Gesetzentwurf aufs Schärfste brand markten. Man hätte also auch in diesem Falle wohl behaupten können, daß der Verhandlungsgegen stand geeignet sei, möglicherweise eine Störung der öffent lichen Ordnung hervorzurufen. AehnlicheS kann man von Versammlungen gegen die Canalvorlage sagen, kurz, das diöcretionäre Ermessen einer obendrein noch untergeordneten Behörde, deren politischer Weitblick doch nicht über allen Zweifel erhaben ist, könnte einer Beseitigung der Opposition außerhalb des Parlaments gleichkommen. Man sieht schon aus diesem Beispiele, daß es sich nicht empfiehlt, wenn die Behörden jedes EinzelstaateS — und in jedem Einzelstaat womöglich eine Behörde in anderer Weise als die andere — in der verschiedenartigsten Weise den Kampf gegen die socialdemokratische Agitation aufnehmen und in ebenso verschiedenartiger Weise die politischen Rechte der Staatsbürger auslegen. Man kommt dann dahin, daß beispielsweise in Baden hockwürdige Geistliche an socialistischen Versammlungen theilnchmen, in denen über die „kapitalistischen Aasgeier" bergefallen wird, und daß diese verhetzenden Reden ohne jede Störung gehalten werden dürfen, während im Großhcrzogthume Weimar Verhand lungen von vornherein verboten werde», ohne daß man wissen kann, ob derartige Hetzreden würden gehalten werden. Durch diese verschiedenartige particularistische Behandlung der Socialdemokratie verliert der Kampf gegen diese Partei von vornherein an Chance. Die Socialdemo kratie ist, mag man sich auch in der Parteipresse und jetzt in Hannover herumschlagcn, doch eine geschlossene Masse, wenigstens dem Feinde gegenüber, als welchen sie das Bürger- thum in seiner Gesammtheit ansiebt. Nun ist das Bürger- thum leider in seinem Verhalten dem gemeinsamen Feinde gegenüber durchaus uneinig, was in der Presse ebenso wie bei Wahlen in der beschämendsten Weise hervor tritt. Um so wichtiger wäre es deshalb, wenn die Ne gierungen einheitlich gegen die Socialdemokratie vor gingen. Es braucht hier gar nicht an gesetzgeberische Maßnahmen gedacht zu werden, die bei der gegenwärtigen Zusammensetzung des Reichstags doch nur sckleckte Aus sichten haben würden; Wohl aber könnte eine Einigung über ein gleichmäßiges Vorgehen auf dem Verwaltungswege erfolgen. Beispielsweise sei hier aus das Vorgehen gegenüber lästigen ausländischen Socialdemokraten ver wiesen. Einem gemeinsamen Vorgehen in diesem Puncte stehen gesetzliche Bestimmungen nicht entgegen, trotzdem aber ist das Verhalten der Einzelstaaten gegenüber auslän dischen Socialisten ein sehr verschiedenes. Wenn im ver gangenen Jahre der Congreß der europäischen Mächte zur Bekämpfung deS Anarchismus nur geringe Resultate ge habt hat, so braucht das nicht als ein ungünstiges Omen für Beratbungen der deutschen Einzelregierungen über ein gemeinsames Vorgehen gegen die Socialvemokratie angesehen zu werden. Denn dort handelte eS sich um lauter souveräne Staaten mit sehr verschiedenen Interessen, hier aber handelt es sich um Einzelregierungen, die nur Theile eines großen Ganzen bilden und deren Interessen gleichartige sind. In Lcstcrrcich thürmen sich dem Cabinet Clary unvorber- gcsehene Schwierigkeiten entgegen. Nach den einhelligen Be schlüssen des Executivcomitös der Rechten, welche für end- giltige Beseitigung des Sprachenstreitcs, d. h. doch für Auf- bebung der Sprachenverordnungen und für Schaffung eines Sprachengesetzes eintraten, mußte man annchmen, daß auch die Tschechen sich auf dieses Programm verpflichten würden. Darin bat man sich doch einigermaßen getäuscht. Der feudale tschechische Großgrundbesitz hat erklärt, daß er in der Auf hebung der Sprachenverordnungen ein schweres Unrecht erblicke und daß er entschlossen sei, von der Vertbeidigung, Bethätigung und Durchführung dieses seines Stanbpunctes niemals abzulassen. Die Versammlung der tschechischen Vertrauens männer, die ausschlaggebende Stimme, hat eS gebilligt, daß die tschechischen Abgeordneten beschlossen haben, in die ent schiedenste Opposition gegen das Cabinet Clary zu treten. Hier ist allerdings von den Sprachenverordnungen nicht die Rede, und es wird die Nothwendigkeit anerkannt, die Solidarität der Rechten aufrecht zu erhalten, aber es wird hinzugefügt, daß diese Solidarität eine solche des Kampfes gegen das Cabinet sein solle. Ferner beauftragt die Vertrauensmännerversammlunz formell die Abgeordneten, sich dafür einzusctzen, daß ein gemeinsamer Widerstand aller Parteien der Rechten wirklich durchgefübrt werde, ja sie ermächtigt das Executivcomitö, die oppositionelle Bewegung ins Volk hineinzutragen, und erklärt sich mit der Nieder legung der Mandate zur gegebenen Zeit einverstanden. Die „N. Fr. Pr." sieht die Lage wohl zu optimistisch, wenn sie sich daran klammert, der Beschluß der Vertrauensmänner Versammlung spreche mit keiner Silbe von der Ausbebung der Sprachenverordnungen,seialso auch nicht gegen die Aufhebung ge richtet. Aberwogegen sollen die Tsckechen sonstOppositiou machen? Das Programm des Cabinets Clary enthält ja nur diesen einen Punct, der ihren Zorn erregen könnte; sie werden Alles gutheißen, was Clary fordert, wenn er nur die Sprachen verordnungen unangetastet ließe. Die einzige Hoffnung be sieht nun blos noch darin, daß die übrigen Parteien der Rechten die heißblütigen radicalen Tschechen im Zügel halten, statt sich von ihnen mit fortreißcn zu lassen. Für diesen Fall, daß der Standpunkt der Tschechen bei der Mehrheit nicht durchdringt, haben die tschechischen Vertrauensmänner ver sprochen, doch die Solidarität mit der Rechten aufrecht zu erkalten, also nachzugeben. DaS werden sie aber nicht ohne beißen Kampf; ja vielleicht reißen sie während desselben von Neuem die Führung an sich. Die Einberufung des englischen Parlaments zum nächsten Dienstag und die Stellungnahme dieser Körperschast zu der Krise in Südafrika erfolgt in enger Anlehnung an frühere Vorbilder, insbesondere an den Präcedcnzsall des Jahres 1878, wo nach der am 15. August eingetretenen Ver tagung das Parlament am 5. Decembcr sich aufs Neue ver sammelte, um wegen des afghanischen Krieges schlüssig zu werden. Der diesmalige Zusammentritt des Parlaments er öffnet eine Tagung, die gcschäftsordnungsmäßig, wenn auch nicht ununterbrochen, bis in den August k. I. sich erstreckt; denn sobald die nächsten und dringlichsten Obliegenheiten, welche durch den Ernst der Lage in Südafrika geschaffen worden sind, ihre Erledigung gesunden haben, tritt eine Ver tagung bis zum Beginn des Februar ein, und dann nimmt die ordentliche Session in der gewohnten Weise ihren An fang, nur mit dem Unterschiede, daß alsdann die Thronrede sammt der daran sich anschließenden Adreßdebatte ausfällt, weil eben beide Acte jetzt bereits vorweg genommen werden. Ter Regierung gereicht diese Eintheilung der Geschäftslage zu doppeltem Vortheil. Da die gesetzgeberischen Vorlagen, welche das Parlament in seiner neuen Tagung beschäftigen sollten, noch nicht fertig gestellt sind, so bat daS Ministerium jetzt nicht nöthig, diesen Punct in der Thronrede zur Sprache zu bringen, und da die Adreßdebatte im nächsten Februarmonat entfällt, so haben die Minister alSdann volle Freiheit, ihr legislatorisches Programm nach den Anforderungen der Situation selbstständig zu gestalten, sicher wie sie sind, daß die Opposition keine Gelegenheit zur kritischen Beleuchtung der Regicrungspolitik als Ganzes finden wird. Zwar legte Lord Hartington als Führer der Opposition im Jahre 1878 Ver wahrung dagegen ein, daß das Parlament zu einer verlängerten Tagung einberufen wurde, ohne daß die Thronrede auch nur mit einer Silbe der gesetzgeberischen Vorlagen auf dem Gebiete der inneren Politik gedachte, während doch 1867, als daS Parlament wegen des abessinischen Feldzuges 14 Tage vor dem geschäftsordnungsmäßigen Termin zusammentrat, die Thronrede in nichts von dem gewöhnlichen Schema abwich und sich insbesondere in aller geschäftlichen Umständlichkeit über daS Capitel der gesetzgeberischen Vorlagen verbreitete. Indessen erklärt sich dies zur Genüge aus dem Umstande, daß damals der vorgerückten Zeit wegen das legislatorische Material bereits fertig gestellt war, somit kein sachlich stich haltiger Grund vorlag, mit der Ankündigung derselben zurück- zubalten, während 1878 und auch jetzt wieder die legislativen Arbeiten theils völlig unfertig, theils noch gar nicht in An griff genommen sind. Wenn, wie zu erwarten steht, diesmal Sir Henry Campbell Bannerman namens der Opposition das Argument Lord Hartington's von 1878 aufgreifr, so dürste das Cabinet, gestützt aus die Präcedenzsälle von 1878 und 1854, am Vorabende des Krimkrieges, keine Schwierig keit finden, den Vorstoß des Oppositionsführers zu pariren. Vom süd-afrikanische» Kriegsschauplatz liegen die ersten Nachrichten vor. Sie lauten: * Pietermaritzburg, 11. Lctober. Es verlautet, die Boeren überschritten die (Kreuze des Lraujcfreistaatcs und rücken vor nach Lady smith, das von britischen und Eolonialtrnppcu stark besetzt ist. Auch Mafcking ist durch einen Anariss bedroht. Tic Besatzung schlief in vcrwichencr Nacht unter Sen Waffen. * London, 12. Lctober. (Telegramm.) Tem „TailyTelegraph" wird aus Ladysmith vom ll.d. M. gemeldet: Ter Krieg hat begonnen. Tie Boeren sind in Natal cingcrückt. Uurghcrs SeS Lranjc- Frcistaatcs belegte» in Harrismith eitlen Eisen bahn;» g, der der Negierung von Natal gehört, mit Beschlag. Wie wir von vornherein angenommen haben, spielen sich also die ersten kriegerischen Ereignisse an der Grenze Natals ab. Die Richtigkeit der obigen Meldungen vorausgesetzt, sind es anscheinend die Boeren des Oranje freistaates, welche den ersten Vorstoß ans feindliches Gebiet machten, um den südlich vom Majubaberge bei New Castle stehenden Engländern in den Rücken zu kommen. Gleichzeitig, oder wenn ihnen dies gelungen ist, dürften die Transvaalboeren von Volksrust aus südlich vorrücken, so daß die Engländer zwischen zwei Feuer kämen. Neber die Stel- Fenilletsn. , »HE-, Auf freien Lahnen. Os Roman von Rudolf von Gottschall. Nachlruck verboten. „Du wolltest" — „Ich gehe zur Bühne in die Großstadt, ich habe hier meine studien gemacht, ich bin schon engagirt." „Ich falle au» den Wollen — eine Schauspielerin! Doch was würde der Schulrath dazu sagen — damit wäre ich ge maßregelt, Alice; ich erhielte nur dort eine Stelle, wo die Welt mit Brettern vernagelt ist." „Doch Du wolltest ja höher hinaus." Timotheus setzte sich und riß einigen Parnassi«n die Blüthen- lronen ab. „Ich war ja in der Stadt, doch ohne Erfolg. Diese Ver leger sind dumme Burschen — sie rechnen und zählen Exem plare, Absätze, doch den inneren Werth, die geistige, die künst lerische Bedeutung der Arbeit — das spielt bei ihnen gar keine Nolle. Hat doch der Schund den meisten Absatz, bringt die größten Einnahmen, und wer die größten Einnahmen hat, der ist das größte kaufmännische Genie. Da heißt es sich ge dulden, bis ich in die Großstadt übersiedele." „Und das ist mir lieb, denn sieh, es muß jeder böse Schein vermieden werden; es soll nicht heißen, daß wenn ich zur Bühne gehe, dies nur eine Flucht aus dem väterlichen Hause sei, um in die Arme des Geliebten zu eilen." „Und Du wolltest nicht mir gehören, nicht die Meine werden?" s „Jetzt nicht — man soll mich nicht eine Abenteuerin schelten und wir stehen ja Beide vor einer unsicheren Zukunft. Wir wollen uns gedulden und mit Fleiß und Ausdauer arbeiten, jeder in seinem Berufe." „Und das nennst Du meinen Beruf, mich mit den Schul jungen herumzuschlaqen? Zweifelst Du an meinem Talent? Zweifelst Du daran, daß ich Schönes und Bedeutendes schaffen, meinen Namen in weiteren Kreisen zu Ehren bringen kann? Ein Genie, das bei den Misthaufen der Dörfer verkommt — das soll mein Lebensloos sein, und Du, die Du so hoch strebst, hältst einen solchen verkommenen Schulmeister für würdig Deiner Liebe und Deiner Hand?" „Mißversteh' mich nicht, daS soll ja nicht für die Dauer sein. Es handelt sich nur jetzt um einen Unterschlupf, das alles kann sich in wenig Monaten ändern. Nur jetzt folge mir nicht in die Großstadt! Es handelt sich um meinen guten Ruf, den ich wahren will. Meinen kühnen Schritt kann der Vater mir verzeihen, doch nur dann, wenn Du dabei nicht mit in Frage kommst. Ich werde die Augen offen halten, ich werde als Künstlerin der Presse nahe genug stehen, um für Dich sorgen zu können. Wenn sich nach einiger Zeit eine Stelle an einer Zeitung findet, die für Dich geeignet ist — ich werde meine Minen schon spielen lassen; doch nicht jetzt — nicht jetzt!" Timotheus wurde nachdenklich. „Ich könnte mich allerdings um eine kleine Stelle in der Nachbarschaft bewerben — die beliebten tausend Mark, freie Wohnung, etwas Acker und dumme Jungen die Menge; denn es ist ein entlegenes Dorf und die Dörfler sind bekannt wegen ihrer Rohheit." „So greife trotzdem zu und mache dann bald die Prüfung für di« Lehrerstellen der Großstadt." „Sich immerfort prüfen zu lassen, es hat etwas Beschämendes für einen erwachsenen Menschen, einen Menschen in meinen Jahren, von meiner Bildung, welcher in vielen Fächern die Herrren Examinatoren aufs Glatteis führen könnte." „Das geht den Officieren, den Referendaren nicht besser — und die haben doch ein« längere kostspieligere Vorbildung ge nossen als ihr." „Es ist wahr", sagt« der junge Lehrer, „unser Staat ist genau wie das jetzt an allen Ecken angenagt« Reich der Mitte — nichts als Zöpfe und Prüfungen. Und die oberste Prüfungs commission heißt dort der Wald der Pinsel — nun, an Pinseln fehlt es auch bei uns unter den Examinatoren nicht." „Versäumc nicht das Examen zu machen", sagte Alice, „alle Menschen müssen heute durch Wasser und Feuer sich durch schlagen, wie die Liebenden rn der „Zauberflöte". Der Weg durch's Leben ist immer schwieriger geworden. Erhältst Du ein« Stelle in der Stadt, so beruft Dich das Ministerium oder die Gemeinde dorthin — und es fällt kein Verdacht auf mich, die lockende Sirene! Bist Du erst dort, dann werden sich auch schon Beziehungen zu den Buchhändlern «instellen. Du wirst Mitredacteur an irgend einem Blatte. Dafür laß mich nur sorgen — das läßt sich vereinigen." „Nun denn, meinetwegen — ich will mich melden zur Prügel arbeit auf dem kleinen Dorfe — und dort bei den Hinterwäldlern leben wie Ovid bei den Goten im kläglichen Tomi — meine Julie ruft mich hoffentlich bald nach Rom zurück. Doch wozu verbittern wir uns die Scheidestunde mit all' diesen Schreck bildern der unvermeidlichen Märtyrerstationen am einsamen Lebenswege? Sei Du lieber meine lockende Sirene und wenn die welken Blumen nicht mehr di« Sprache der Liebe sprechen können, uns ist ja das süße Geheimniß ihrer Blüthenkronen nicht verschlossen." Und er drückte si« freudig in die Arme — Kuß auf Kuß, bis sie vor seiner wachsenden Leidenschaftlichkeit flüchtete. „Es wird spät — ich erreiche sonst den Nachtzug nicht mehr; ein herzliches Lebewohl — und auf ein glückliches Wiedersehen!" Sie eilte fort, dem verglimmenden Äbcndroth entgegen, das auf die Dächer des von ferne her winkenden Städtchens einige seiner Rosen streute. Unerschrocken schritt sie durch die Dämmerung und ließ dann ihr Gepäck aus der Ausspannung auf den Bahnhof bringen. Sie saß im Waggon — draußen flog alles in dämmernden Umrissen an ihr vorüber — Felder, Wälder, Dörfer und ebenso die Bilder der Vergangenheit, die Träume der Zukunft. Doch sie fühlte, es ging ein großer Riß durch ihr Leben — und es wurde ihr weich um's Herz. ZweitrS Buch. Erstes Capitel. Ein luxuriöser Pavillon — Fenster mit Glasmalereien — wo sie offen stehen, weht die frische Luft des Gartens mit ihren würzigen Düften herein. Der Abendsonnenschein funkelt auf den bunten Krystallflafchen und den üppigen Blumensträußen in den Vasen von Meißener Porzellan, und die in der Tafelrunde sitzenden Gäste lassen sich das aufdringliche Licht gefallen — es blendet ja nicht mehr, es wirft nur einen röthlichen Schimmer auf die von den Freuden des Mahls angeheiterten Gesichter. Es ist ein Kreis, der die Zahl der Grazien, aber nicht die jenige der Musen übersteigt. „Eine prächtige Beleuchtung", sagte zu seiner Nachbarin Valesca von Landolin der Maler Bann«rt, „wenn die Menschen nur sehen könnten, sie würden uns nicht wegen der unmöglichen Farben tadeln, aber von den Vorurtheilen der Sterblichen ist selbst ihre Netzhaut angekränkelt. Der Himmel ist ihnen immer blau, das Gras immer grün — und trotzdem sie die Augen offen halten, haben sie keine Ahnung davon, wie oft die Natur diese schablonenhaften Farben ver leugnet." Die junge üppige Wittwe wandte sich mit schalkhaftem Uebermuth zu dem genialen Künstler, dessen schäbiger Sammet rock, beweiskräftig für die Logik seines Besitzers, in allen Farben zu spielen schien. „Liebster Bannert, Sie haben kein Glück mit Ihrer Künstler» theorie — ich würde mich gern zu derselben bekehren, aber ich bin eine Anhängerin des Erfolges und Sie haben leider keinen. Ihre Bilder gehören zu den geinahrrgelten; man muß die Sonderau-stellungcn besuchen, wo die ketzerischen Pinseleien an die Wand genagelt sind, um sich an ihren unmöglichen Farben zu erquicken." Der kleine Künstler mit dem viereckigen Gesicht, dem spitzen Kinn, der stumpfen Nase, aber ein Paar scharf herumspürenden Augen stieß mit seiner Nachbarin an; er konnte der Gastgeberin für ihre köstlichen Getränte und Speisen schon eine kleine Spötterei zugute halten. „Gnädige Frau, Sie sind viel zu geistreich, als daß Sie an die Schablone in der Kunst glauben könnten. Wir lauschen der Natur ihre Geheimnisse ab, aber die liegen nicht so auf der flachen Hand. Auch die Farbe gehört zu diesen Geheimnissen; das Genie des Malers schafft sie, aber im Einklang mit der Natur. Beide schaffen mit innerer Nothwendigkeit; aber die Farben liegen nicht nebeneinander wie im Farbenkasten eines Knaben; sie vermischen sich, sie durchdringen sich, sie strafen sich gleichsam gegenseitig Lügen; das erkennt nur der Künstler, wenn auch die ganze Welt an Farbenblindheit leidet." „Hört, hört", rief, mit seinen Sporen klirrend, Herr Vagenow, ein Sportsmann von Ruf, „der kleine Bannert macht für seinen grasgrünen Himmel und seine himmelblauen Wiesen Reclame." „Spottet nur", rief der Maler, „Ihr steht Alle noch unter dem Banne der alten Kunst; — doch schon fangen auch die Alten an, von uns zu lernen. Verderbt mir nicht mit Eurer unreifen Weieheit den Eindruck des schönen Mahls. Ein Paolo Veronese geht in meiner Seele auf — lachendes Leben, schöne Gestalten, prächtige Geräthe." „Da haben wir die Neuesten", versetzte Kreuzmaier, der Kritiker des Wochenblattes, ein gefürchteter, schnurrbärtiger Herr, der Feuilletons sprach, dem aber auf dem Wege vom Kopfe bis zur Feder die Hälfte seines in»e,-iiinm-< verloren ging; „ohne die großen Vorbilder können sie nichts denken und nichts sehen." „Ihm schwebt die Hochzeit in Kana vor", sagte Vagenow. „doch hier bei uns braucht das Wasser nicht in Wein verwandelt zu werden — dafür sorgt der Weinkeller unserer Wirthin. — Famoser Jesuitengarten, — prächtiger Johannisberger — und diese Wittwe Cliquot hat hunderttausend Teufel im Leibe." „Sehen Sie, meine Herren", rief Valesca, „wie Bannert uns mit den Aug«n verschlingt — unsere Toiletten und was drum und dran hängt, vielleicht auch unsere Gesichter und da» ganz«
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