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02-Abendausgabe Leipziger Tageblatt und Anzeiger : 13.10.1899
- Titel
- 02-Abendausgabe
- Erscheinungsdatum
- 1899-10-13
- Sprache
- Deutsch
- Digitalisat
- SLUB Dresden
- Lizenz-/Rechtehinweis
- Public Domain Mark 1.0
- URN
- urn:nbn:de:bsz:14-db-id453042023-18991013026
- PURL
- http://digital.slub-dresden.de/id453042023-1899101302
- OAI-Identifier
- oai:de:slub-dresden:db:id-453042023-1899101302
- Sammlungen
- LDP: Zeitungen
- Strukturtyp
- Ausgabe
- Parlamentsperiode
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- Wahlperiode
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Inhaltsverzeichnis
- ZeitungLeipziger Tageblatt und Anzeiger
- Jahr1899
- Monat1899-10
- Tag1899-10-13
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Reclame» unter dem RedactionSstrich s-gs» spalten) SO-ij, vor den Familirnnachkichte» (6 gespalten) 40-4- Größere Schriften laut unserem Preis verzeichnis. Tabellarischer und Ziffernsatz nach höherem Tarif. 8rtra-Beilagen (gefalzt), nur mit der Morgen.Ausgabe, ohne Postbeförderuag 60.-, mit Postbeförderung 70.-. Ilnnahmeschluß für Anzeigen: Abend-Ausgabe: Vormittag- 10 Uhr. Marge »-Ausgabe: Nachmittags - Uhr. Bei den Filialen und Annahmestellen je et» halbe Stunde früher. Anzeigen sind stets an die Expe-iti»» zu richten. Druck und Verlag vo» E. Polz i» Leivzi» H 523. Freitag den 13. October 1899. 33. Jahrgang. Politische Tagesschau. * Leipzig, 13. October. Der Viccprasident des preußischen StaatSministeriumS I^r. v. Miquel hat dieser Tage bei der Einweihung der Thierärztlichen Hochschule in Hannover eine Rede gehalten, zu der er sich besonders gedrängt gefühlt haben muß, weil er, um sie halten zu können, eine Reise unternahm, von der ihm aus Rücksicht auf seine Gesundheit abgerathen worden war. Und wenn man seine vom „Hann. Cour." mitgetbeilte Rede liest, so begreift man, warum er sie nicht unterdrücken mochte. Er sprach von den „schmerzlich-nolh- wendigen Ereignissen des Jahres 1866", von der Sorge, die damals das ganze Land wegen der Zukunst erfüllte, von der historischen Denkungsart, der Milde und Güte Kaiser Wilhelms I. und der großen Staatsklugheit seines Kanzlers, die jene Sorgen zerstreuten, und warf dann die Frage auf: „Was ist aus dieser Provinz geworden?" Auf diese Frage gab er folgende Antwort: „Ueberall haben wir die Fortschritte gemacht, die der Geiammtstaat macht, überall ist der preußische Staat mit Fürsorge und ohne Scheu vor Gcldopsern auch für diese Provinz eingetreten. Es ist uns ähnlich ergangen, wie den übrigen damals ein verleibten Staaten. Gehen Sie nach Schleswig-Holstein, nach Hessen-Nassau, nach Frankfurt — in dieser Beziehung bin ich ge wissermaßen ein zweites Mal anuektirt (große Heiterkeit) —, so werde» Sie überall Fortschritt, Blüthe, Kraft finden. In einem kleinen Staate lebt man behaglich, einen kleinen Staat kann man leicht mehr lieben als einen großen. Aber die Zugehörigkeit zu einem großen Staat erhebt den Menschen, giebt ihm tausend Anregungen, sie raubt ihm vielleicht seine bequeme Gemüthlichkeit, aber sie macht ihn auch stolz auf den Ruhm, aus die Kraft, aus die großen Fortschritte der Gcsammthcit, an denen er selbst betheiligt ist. Ich bin überzeugt, so geht es auch Len meisten Hannoveranern. Freilich, wir hängen am Alten, auch wir Niedersachsen begeistern uns nicht leicht für eine Veränderung. Ich finde es natürlich, daß viele Menschen noch gern der alten Zeiten gunüthvoll gedenke». Das Neue ist ge kommen ungeruse», unsere Verhältnisse in Hannover waren im Ganzen gut geordnet. Wir müssen, wenn wir gerecht sein wollen, constatiren, daß es natürlich ist, wenn das ältere Geschlecht viel an das Alte Lenkt, aber das Alte ist Geschichte, es war, wird und soll niemals wiederkomme». Es wäre der Be wohnerschaft in Lieser Provinz im höchsten Grade verderblich, könnte auch nur erreicht werden auf den Ruinen Deutschlands. Gewiß, unsere Denkungsart, wie die aller Deutschen — und ich darf wohl sagen, wir sind urdeutsch, wir Niedersachsen — ist gemüthvoll. Wir lönuen nicht blos aus dem Verstände regiert werden, sondern auch nach dem Gemüth, aber die großen historischen Ereignisse gehen nun einmal über Gemüthsempfindungen hinweg. Der Verstand allein kann hier sagen, was das Richtige ist. Diese Provinz hat aber diese Fähigkeit bewiesen; sie hat nicht den Kopf hängen lassen, sie hat nicht blos rückwärts geschaut, sondern nach vorwärts. Nirgends wohl ist der Grundgedanke unseres thatkrästigen Kaisers und Herrn mehr zur Verwirklichung gekommen, als in dieser Provinz. Die Provinz kann mit Ruhe, mit Befriedigung auf die Zeit, die sie hinter sich hat, und mit Ruhe in die Zukunft sehen, dafür bürgt mehr als Alles der Charakter der Bevölkerung. Diese Provinz ist nicht mehr ein Hinderniß der Gesammtentwickelung PrenßenS und Deutschlands, sondern ein lebendiges Glied und starker Mitarbeiter an der Kraft des großen Staates und des deutschen Reiches." Und an diese Darlegung knüpfte er die Mahnung: „Die Erfahrungen von 1866 sollen uns leiten, ebenso wie Hessen- Nassau, Schleswig-Holstein. Das Wesen der Sache ist doch, daß wir uns als Deutsche fühlen, als Glieder eines großen Staats ganzen. Man kann die rückwärtsliegenden Ereignisse bedauern, ich verstehe es, aber unrichtig und schädlich ist das für die künftige Entwickelung; vorwärts sollen wir blicken; nicht rückwärts. Meine Herren, den Spuren seines Großvaters folgend, hat unser Kaiser bei den verschiedensten Gelegenheiten seine Fürsorge dieser Provinz bekundet. Hat er doch noch neuerdings — ich möchte sagen in sinniger und pietätvoller Weise — den Ruhmeskranz der althannover schen Regimenter an die preußischen Fahnen gehestet und dem großen Ganzen vereint. Wir Hannoveraner sind immer stolz gewesen auf die Großthaten unserer hannoverschen Landsleute in Spanien und bei Waterloo, wir haben mit Freude gelesen, wie sie Theil genommen haben an den Freiheitskriegen, an der Befreiung Les deutschen Volkes von fremder Herrschaft, denn sie kämpften auch dafür. Aber, meine Herren, unsere alten hannoverschen Regimenter standen unter fremder Führung, eine deutsche Führung gab es damals noch nicht. Diese tapferen Helden sahen wir 1870/71 auf französischer Erde unter deutscher Führung als Glieder einer großen deutschen Armee, welche die Freiheit und Unabhängigkeit gegen fremde Angriffe vertheidigte in dem Kampfe, in welchem ans dem Schlachtengetümmel das deutsche Reich hervorging, die lang ersehnte Einheit. Lassen wir uns von diesem Gedanken vor Allem leiten." Wäre diese Rede vor den letzten Wahlen zum preußischen Abgeordnetenbause in Hannover gehalten worden, so würden wahrscheinlich alle politischen Beamten der Provinz sich gehütet haben, gemeinsam mit den Berliner Leitern des Bundes der Landwirthe eine Bewegung zu schüren, die von der Anhänglichkeit zum Hohenzollernbause und der Liebe und Treue zu Kaiser und Reich abseits führt aus Wege, an deren Ende auf einem zertrümmerten Preußen die Trümmer des Reiches liegen; sie würden sich gehütet haben, sich an die Spitze einer angeblich conservativen Coalition zur Bekämpfung der eifrigsten und uneigennützigsten Borkämpfer des unter Preußens Führung so erfolgreich vorgeschrittenen Ein heitsgedankens in Hannover zu stellen, und sie würden sich endlich schwerlich zu der Ansicht aufgeschwungen haben, sie erfüllten ihre politische Beamtenpflicht, wenn sic auf eigene Faust Politik machten und nach ihrem eigenen Willen die Wählerschaft zu lenken und zu leiten suchten. Daß die Rede früher hätte gehalten werden sollen, Hal Herr v. Miquel selbst jedenfalls längst gefühlt, und wenn er nach der Ab lehnung der Canalvorlage nur widerwillig der Maß regelung der beamteten Canalgegner zugestimmt hat, so hat sich dieser Widerwille zweifellos auf das Bewußtsein ge gründet, früher etwas unterlassen zu haben, was sehr nvthig gewesen wäre. Ueberflüssig ist diese Nachholung sicherlich nicht. Sie beweist, daß die Zügel der Negierung wieder etwas straffer anzezogen werden sollen und daß die Canal frage nicht die einzige ist, in der die Negierung ihre An sichten von den politischen Beamten zur Geltung gebracht zu sehen verlangt. Auf dem Hannoverschen Parteitage der Tocialdemokraten haben zu der Bcbel'schen Resolution und Rede eine Anzahl Parteirevner gesprochen und aufs Neue bestätigt, was nach der Rede Bebel's gestern gesagt werden mußte: einig sind beide Theile darin, daß der monarchischen Staatsordnung und der auf persönliche Bethäitgung und Verantwortlichkeit be gründeten Gesellschaftsordnung der Garaus zu machen sei. Verschieden ist allein ihre Auffassung über die Metbode: Die Bernstein'sche Richtung will damit zum Ziele kommen, daß sie die Nuß von innen heraus aushöhlt; die alte Führung, Bebel voran, setzt ihre Hoffnungen darauf, bei guter Gelegenheit die Schale mit einem kräftigen Schlag sprengen zu können. Die alte Führung hat nur die Besorgniß, daß^ die Bewegung den „Classencharakter" verlieren und das Endziel in Ver gessenheit gcrathen könnte, wenn die Hebung der handarbei tenden Bevölkerung weiter vorwärts geht, diese sich daran be theiligt und dabei möglicher Weise eines TageS zur Erkenntmß gelangt, daß sie mit einem Zukunftsstaat nicht gewinnt, auch wenn König Bebel ihn regiert, mit den Beamten und Schreibern, die zum Zukunftsstaat übergegangen sind, — weil sie darin besser bezahlt werden als jetzt. Darum entblödeten sich die Bebel und Genossen nickt, da die wirthschaftliche Hebung der hand arbeitenden Classen schon jetzt offenkundig ist, die noth- gedrungen zum alten Eisen geworfene „Vcrelcndunzstheorie" durch den Appell an den Neid, an die untergeordneten Jn- stincte zu ersetzen und die „Göttin Vernunft" auf den Thron zu erheben, indem man den Massen vorspiegelt, sie be säßen schon jetzt „Intelligenz" genug, die Leitung der so complicirt gewordenen nationalen Wirtschaft in die Hand zu nehmen. Für die bürgerlichen Parteien kann es gleich- giltig sein, welche Complimente sich bis zum Wochenschluß die beiden Gegner sagen; für den Staat bleiben beide Methoden gleich gefährlich; die Bebel'sche, weil sie die der Socialdcmokratie verfallenen Massen in ewigem Fieber zustande halten und zu Explosionen treiben will; die andere Richtung, weil sie bei Politikern der „Bourgeoisie", die nur von brüte auf morgen rechnen, das Gewissen einschläfert und die Kriezsführung im großen Stile durch einen schwer zu controlirenden Kleinkrieg ersetzt. Dieser Gesichtspunct wird für die Abwehr der Umsturzgefahr entscheidend bleiben müssen. Die soeial-emokratischen Allüren -cs französische!» Miuijt.l- -räsi-cntc» Waldeck-Rousseau, wie sie in dem von ihm eingebrachlen Gesetzentwürfe, betreffend die Ausstattung der Ar- beitershndicate mit juristischer Persönlichkeit, zu Tage treten, bilden eine mindestens fragwürdige Zugabe zu der behufs Ueber- windung der Streik-Krisis in Creuzot eingeschlagene Regie- runzstattik. Ausnahmesituationen entschuldigen Mancherlei, was sich in normalen Verhältnissen von selbst verbietet. Die Noth- wendigkeit, das republikanische Regime gegen royalistisch--klerikale Verschwörungen und generalstäblerische Pronunciamientos zu schützen, niag das französische Cabinet zu weiterem Entgegen kommen nach links drängen, als bei minderer Spannung der innerpolitischen Atmosphäre zulässig scheinen dürfte. Ob es aber die Probe auf das Exempel staatsmännischer Correctheit aushält, den socialdemokratisch organisirten Arbeitergewerk schaften die Klinke der Gesetzgebung in dem Maße zur Verfügung zu stellen, wie dies in dem erwähnten Gesetzentwürfe des Conseils vorsitzenden geschieht, darf man im Hinblick auf die inner politische Gesammtlage Frankreichs bis auf Weiteres doch be zweifeln. Dergleichen Zugeständnisse macht man wohl unter dem Drucke höherer Gewalt, aber nicht als Abschlagszahlung auf geleistete oder noch zu leistende Freundschaftsdienste. Herr Waldeck-Rousseau muß sich seiner Sache sehr sicher oder sehr unsicher fühlen, um sich so tief mit einem politischen Factor zu engagiren, der als Bundesgenosse gefährlicher ist denn als er klärter Gegner. Jedenfalls droht der Republik in Folge des neuesten Schachzuges des Ministerpräsidenten die Gefahr, in den gemäßigten Bevölterungskreisen mehr Terrain zu verlieren, als sie in den socialdemokratisch organisirten Masten des Industrie Proletariats gewinnen kann. Für die Continuität und Gleich Mäßigkeit der Entwickelung der französischen Politik aber ist jegliches Abweichen von der Linie des mittleren Ausgleichs der Gegensätze vom Nebel. Es ist vorauszusehen, daß die Initiative des Herrn Waldeck Rousseau zu leidenschaftlichen parlamen tarischen Auseinandersetzungen führen wird, die besser unter bleiben würden, weil die Anfang November zusammentretenden Kammern ihr bischen Arbeitszeit bis Jahresschluß höchst noth- wendig zur Erledigung des Staatshaushaltsetats pro 1900 ge brauchen. Die Deputirtentammer wird nicht viel mehr als vier Wochen zur Verfügung haben, um ihrerseits mit Aufarbeitung des Materials zu Stande zu kommen. Aber wenn die partei politischen Leidenschaften und Gegensätze sich ins Spiel mischen dann ist eine rechtzeitige Fertigstellung des Etats ein Ding der Unmöglichkeit, und statt mit einer glatten Bilanz, muß die Republik mit einem Debetconto in das Ausstellungsjahr treten, das sich um so verhängnißvoller erweisen kann, je ungehemmtere Bewegungsfreiheit dieselbe im Jahre 1900 benöthigt. Die Depesche Cbamberlain'S an Sir A. Milner, in der die Antwort auf das Ultimatum Transvaals erthcilt wird, lautet wie folgt: „Tie Rcqiernua Ihrer Majestät erhielt mit grvszem Bedauern die peremptorischen Forderungen -er Regierung der Südafrikanischen Republik, -ie in Ihrem Telegramm vom v. d. M. übermittelt sind. Theilcu Sie der Südasrikanischen Republik als Antwort mit, -atz die Bedingungen derartig sind, -atz die Regierung Ihrer Majestät cs sür unmöglich erachtet, darüberzn discutiren." Die Weltmacht England nimmt also den Fehdehandschuh auf, den ihr daö kleine Boerenvolk in Südafrika notb- gedrungcn hingeworfen bat. Die kriegerische» Ereig nisse sind naturgemäß noch nicht über Plänkeleien hinauS- gekommen. Vom westlichen Kriegsschauplätze wird un gemeldet: * Mafeking, 12. October. („Reuter'S Bureau.^ Die Bewegungen der britischen Truppen vor der Stadt hatten den Zweck, Defensiv.Stellungen rinzunehinen. Jetzt sind die Truppen de» Obersten Baden-Powell so vertheilt, daß sie einen Angriff zurückweisen können. Es sind indessen bisher keine Anzeichen von einem Anmärsche der Boeren vorhanden. * Loudon, 13. October. Wie dem „Reutersschen Bureau" au» Capstadt unter dein gestrigen Tage berichtet wird, ist der Tele graphen draht bei Maribogo, 40 englische Meilen südlich von Mascking, zerschnitten. — Dasselbe Bureau berichtet an- Bog- bürg, daß gestern Nackmitlag eine Abtheilung Boeren den Grenz zaun niedergeriisen und, nachdem sie gegen dir Eisenbahn vor gerückt war, die Telegraphendrähte zerschnitten hat. 2000 Boerea halten jetzt die Bahnlinie besetzt. Auch an der Natal-Grenze ist es zu einem Zusammen stoß noch nicht gekommen. Da die Engländer beschlossen zu Haven scheinen, CbarlcStown und Newcastle ohne Schwert streich zu räumen, so würden die Boeren vermuthlich erst be» Glencoe beziehungsweise Dundee auf bewaffneten Wider- Fenilleton. Äuf freien Lahnen. 11s Roman von Rudolf von Gottschall. Nachdruck verboten. „Die Frauenfrage", versetzt; Valesca, indem sie auf einmal einen warmen, leidenschaftlichen Ton annahm — „wie mich das empört, diese Vereine, diese Versammlungen, diese Cvnventikel, wo Alles hinläuft, was aus dem Unterrock herausstrebt, wo sie Vorlräge und Reden halten, wo jeder Haubenstock ein Cicero und Demosthenes wird! Und was wollen sie, diese Frauen? Arbeit, nichts als Arbeit! — Nicht genug mit dem Kochen, Nähen und Stopfen, Waschen und Scheuern, sie wollen Telegraphistinnen werden und Postsecrrtärinnen, Schreiberinnen bei den Anwälten, Gehilfinnen auf den Redactionsburcaus, vor Allem auch Aerztinnrn, gelegentlich auch Oberlandesgerichtspräsidentinnen, und auch ein schön gesticktes Ministerportefeuille würde sie nicht geniren! Und das nennen sie Freiheit! Es ist ja die nichts- würdigsteSclaverei;siewollen zu ihrer eigenen noch die Sclaverei der Männer hinzunehmen, und wir werden dann ehrwürdige Matronen mit Actenrunzeln haben." „Doch es ist der Kampf ums Dasein, der sie dazu zwingt", sagte Vagenow, „verhungern können sie doch nicht, und zur Bühne können sie doch auch nicht alle gehen." „Und das ist erst recht eine weiße Sclaverei", sagt« die Sömmerling. < „Wohl denn", fuhr Valesca fort, „so mögen sie's doch sagen, daß dies Alles nur Vorkehrungen sind gegen «ine große Hungers- nolh, welche das ledige weibliche Geschlecht hiirwegzuraffen droht, daß dies Alles traurige Nothwendigkeiten sind, wenn für gebildete Frauen „das Fabrikmädchen" das Ideal wird, das bei Tag und öfters mich bei Nacht arbeiten muß, um sich sein tägliches Brod zu verdienen! Was mich aber aufbringt, das ist, daß sie dabei von Freiheit sprechen und von Emancipation und so das Schönste und Herrlichste des Lebens auf den Kopf stellen. Für die Frau giebt es nur «ine Freiheit — die Freiheit zu lieben und zu leben, wie es ihr das Herz gebietet. Alles Andere sind Phrasen, mit denen man den Sargdeckel vergoldet, den man über ihrem Leben zuschlägk." „Dergleichen mußt Du nicht sagen, Valesca", versetzte di« Mutter, „das wirft ein falsches Licht auf Dich." „Ich verachte alle Heuchtlei", meinte Dalelca, „und sprech« aus, was ich denke. Die Klöster sind ein offenes Geständniß des Bankerotts, welchen Frauen und Mädchen mit ihrem Erdenleben erleiden, wofür sie indessen im Himmel den erträumten Ersah finden, doch diese Hunderttausende, welche um jeden Preis Arbeit und Erwerb suchen, machen ja die ganze Welt zum Kloster — was sind sie denn anders als lveltliche Nonnen, mögen ihre Klosterzellen auch die Bureaus sein, wo sie Acten schreiben, oder die Sprache der Telegraphen entziffern, mögen sie keine Vigilien singen, sondern sich mir von ihren Vorgesetzten den Text lesen lassen, und mögen sie auch nur dann fasten, wenn der Arbeitsmarkt überfüllt ist? Di«: Jugend, die Liebe, das Leben wird bei ihnen Allen ertödtet, und wie graue Asche stirbt über sie der Auswurf aus den Tiefen, wo die Mächte einer dem Lich: des Lebens fremden Moral an ihrer zerstörenden Arbeit sind. Es geht «ine ungeheure Versündigung gegen die Natur durch diese ganz« Weltordn-ung, und darüber geht die Frauen bewegung ganz zur Tagesordnung über." „Aber, gnädige Frau", sagte Kreuzmaier, „das läßt sich doch mrn einmal nicht ändern. Die unerbittliche Statistik sagt uns, daß fast, die Hälfte aller weiblichen Wesen von dem Glück der Ehe ausgeschlossen ist, und wenn Sie selbst den ganzen Staat zu einem großen HeirathSbureau machen würden — die Nieten in der Ehelotterie würden doch immer die Treffer bei Weitem überwiegen." „Nun, ich habe mir's nicht in den Kopf gesetzt", meinte Valesca, „die menschliche Gesellschaft rrmzukrempeln. Dazu fehlt mir Lust und Talent, das überlasse ich den begabteren Schwestern in Apoll, wie die Dichterinnen sagen. Doch wenn die Ehe einmal und A ist, so mögen die Ehen anders werden, nicht aus Be rechnung geschlossen, vor Allem weniger kostspielig und leichter zu scheiden und zu lösen; sonst wird die Ehescheu in anspruchs vollen Kreisen — und anspruchsvoll ist ja unsere ganze Gesell schaft — in erschreckender Weise zunehmen. Das ist ein Mahn wort für die Zahmen, die an die alleinseligmachende Ehe glauben. Ich gehöre Nicht zu diesen, und ich mein«, die Welt wird ein anderes und besseres Gesicht erhalten, wenn dieser Glauben auf hört. Ich will nicht diesen Grundpfeiler des Staates und der Gesittung erschüttern, ohne die Ehe würde Alles ins Schwanken kommen, aber ich verdamme ihr ausschließliches Recht. Nicht Alle haben Talent zur Eh«, und wie Ihre unerbittliche Statistik beweist, Herr Krauzmaier, fast die Hälft« heirathet nicht, und von dieser Hälfte kann der bei Weitem größte Theil nicht heirathen. Was ist da natürlicher, als daß man neben der Ehe andere Verhältnisse nicht blos duldet, sondern vollständig legiti- mtrt vor dem Gesetz und der öffentlichen Meinung, ohne den Makel, der heutigentags die Heuchelei schafft und die Splitter richterei, und die Ueberhebung der unglücklich Glücklichen, die in den faulsten Ehen leben. Ich bin lein Gesetzgeber und finde keine Namen und Paragraphen für Das, was ich fühle, aber ich fühle, es steckt etwas Derartiges in der Lust des kommenden Jahrhunderts, denn das jetzige hat seine Rolle schon ausgcspielt, und vergeblich ist die Arbeit der Frauenbewegung, wenn sie nicht in die Tiefen gräbt, nicht dem ewig Menschlichen und ewig Weib lichen gerecht wird; sic klammert sich an das Nächste, die Nolh des Augenblickes; es ist der Nothschrei der in Bedrängniß gerathcnen Erbärmlichkeit, nicht der Jubelruf der aufjauchzenden Freiheit." „Sehr schön, diese Zukunftsbilder", sagte Vagenow, „aber die Kinder?" „Valesca", rief jetzt die Mutter, brechen wir auf — gehen wir in den Garten." Man schüttelt« sich die Hände. „Den Mokka trinken wir draußen in den Lauben", sagte die Mutter, „da können wir uns stehend und gehend unterhalten, das lange Sitzen macht müde." Es war ein warmer Spätsommerabcnd — einige Rosen blühten noch, doch die Astern machten sich breit auf ihren Beeten; schon streute der Abendwind welke Blätter, die er auf den Linden und Platanen gepflückt, auf die Wege aus. Die stumpfen Farben der späten Blumen, die an den verkrüppelten Aesten der Obstbäume hängenden reifen Früchte, der Mond, der selbst voll und rothwangig, wie eine reife Frucht, am fernen Horizont hing — das Alles war anders, als wenn Frühlingshauch und Frühlingsluft durch die erwachende Natur schauerte — das war, als wenn diese zu Verstand gekommen wäre, die blöden Jugend- eselvien ihrer Blüchenzeit abgestreift hätte und sich mit recht voll- safiigem Behagen an ihren reichen Früchten erfreute — ist doch die Frucht die zu Verstand gekommene dumme Blüthe, die nicht recht weiß, was sie will. Man ging, die Tassen in der Hand, in den Laubengängen, auf den Kieswegen, die bald die Blumenbeete entlang liefen, bald sich durch Buschvcrstecke schlängelten, auf und ab. Die hochqewachsene Heroine ging neben dem Kritiker einher und empfand es ihm gegenüber peinlich, daß ihreWürde und Höbe dir Vertraulichkeit entfernte; indem sie sich möglichst zu ihm herab beugte, etwa wie eine Giraffe, die ihren Durst in einer Cistcrne löschen will, flüsterte sie ihm mit einem holdseligen Lächeln zu, das von dem Mann unter ihr nicht einmal bemerkt wurde: „Sie ist kühner als wir Alle, diese Landolin, doch sie spricht uns aus der Seele. O, auch ich bin leidenschaftlich — sehen Sie sich nächsten» meine Fedora an. Tie werden darüber einen wunderbaren Artikel schreiben können — und Sie werden ihn schreiben, nicht wahr, lieber Doctor?" Kreuzmaier sagte sanft ablehnend: „Der Artikel wird jedenfalls wunderbar sein, da er von mir herrührt, und er wird, wie Alles, was ich schreibe, mein eigenes Lob singen; ob auch das Ihrige, mein Fräulein, das wird von Ihrer kiinstlerisclM Leistung abhängen." Die Sömmerling versuchte zu lächeln, doch es war ein sauer süßes Lächeln, und ihr Kopf schnellte wieder in die Höhe, wie derjenige einer Giraffe, der das Sumpfwasser nicht mundet, zu dem sie sich herabgelassen. Auf einem anderen Wege, der tiefer ins Gebüsch führte, wandelte Herr von Trautheim mit dem sporenklirrenden Vagenow, dessen er sich sogleich am Tisch be mächtigt hatte. Dieser war nicht blos in den 'Sportkreisen, er war überall zu Hause, ein Agent, nicht blos für Rittergüter und Rennpferde, sondern für Alles, was sich vermitteln ließ, und Trautheim sehnte sich nach einer näheren Auskunft über die Dame des Hauses, deren Speisen und Getränke bei ihm die beifälligste Aufnahme gefunden; er wußte, daß der Baron von Siebeneck ein Freund dieser Dame war, doch dieser, der ihm sonst Alles anverira-ute, hatte sich nur in vorsichtigen Andeutungen über die schöne Frau ausgesprochen. „Sagen Sie mir, lieber Vagenow, wer ist denn eigentlich diese Frau von Landolin, die mit so geistreichen Reden ein so köstliches Mahl zu würzen weiß? Hat sie irgendwo studirt? Sie spricht ja wie «in Buch!" „Studirt hat sie nicht", sagte Vagenow, „sie hat's aber in sich! Sie ist ein Rassepferd — ob sie irgend Jemand trainirt hat, weiß ich nicht, aber es werden ihr wenig« von den Frauen zimmern nachkommen." „Doch woher kommt sie?" „Das weiß ich nicht — ich kenne nicht ihr National; irgendwo vom Pruth oder Palnk aus Rumänien oder vielleicht stammt sie von den Tartaren der Krim ab: jedenfalls ist sie von dorther herübergeschneit." „Und ihr erster Mann?" „Der wird wohl dort irgendwo begraben liegen; jedenfalls hatte sie da» Joch der Ehe bereits abgeschüttelt, al» sie hier auftauchte." „Und ihre Mutter?" „Na, ein« Geheime Commerzienräthin ist e» sicher nicht! Ich glaube, es hat noch kein Mensch nach ihrem Namen ge fragt, es ist eben die Mama — basta! Würde man danach fragen, ich bin überzeugt, man würde sich die Zunge zerbrechen
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