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01-Frühausgabe Leipziger Tageblatt und Anzeiger : 14.10.1899
- Titel
- 01-Frühausgabe
- Erscheinungsdatum
- 1899-10-14
- Sprache
- Deutsch
- Digitalisat
- SLUB Dresden
- Lizenz-/Rechtehinweis
- Public Domain Mark 1.0
- URN
- urn:nbn:de:bsz:14-db-id453042023-18991014018
- PURL
- http://digital.slub-dresden.de/id453042023-1899101401
- OAI-Identifier
- oai:de:slub-dresden:db:id-453042023-1899101401
- Sammlungen
- LDP: Zeitungen
- Strukturtyp
- Ausgabe
- Parlamentsperiode
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- Wahlperiode
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Inhaltsverzeichnis
- ZeitungLeipziger Tageblatt und Anzeiger
- Jahr1899
- Monat1899-10
- Tag1899-10-14
- Monat1899-10
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Dies« Leute riefen dann wohl wehmüchig aus: „Ja, wenn Fürst Bismarck noch lebte . . . .!" Dieser Wunsch gehört nicht zu den sogenannten frommen, d. h. unerfüllbaren Wünschen. Fürst Bismarck lebt noch. Ein Mann wie er ist nicht todt, wenn das Herz zu schlagen aufhört, und wie er im gegebenen Falle gehandelt hätte, können wir ans seinen Werken, seinen Schriften und seinen Reden entnehmen. Die Zumuthung, einer anderen Macht in einer nicht ganz unmittelbar die deutschen Interessen betreffenden Frage den Frieden aufßuzwingen, hat Fürst Bismarck, als es sich um den russisch-türkischen Conflict vor 20 Jahren handelte, mit größter Schärfe zurückgewiesen. Er sagte: „Die Freundschaft, die uns glücklicher Weise mit mehreren europäischen Staaten ver bindet, deshalb aufs Spiel zu setzen mit dem einen Freunde, um einem anderen in Fragen, an welchen wir Deutsche «in directes Interesse nicht haben, gefällig zu sein, . . . das kann ich wohl, wo ich nichts als meine Person in die Schanze schlage, ich kann es aber nicht, wenn ich die Politik eines großen, mitten in Europa gelegenen Reiches von 40 Millionen Sr. Majestät dem Kaiser gegenüber zu berathen habe, und deshalb erlaube ich mir hier allen di« senStimmen und Zumut Hungen eine offene Absage zu erklären, daß ich mich darauf unter keinen Umständen «inlass en würde." Fürst Bismarck hat sich denn auch damals vor und nach dem Kriege und während desselben sehr reservirt verhalten. Daß er Konferenzen zur Verhütung eines Krieges keinen großen Werth bcimaß, hat er offen erklärt. Damals hatte der russisch« Kaiser nämlich vor dem Beginne des Krieges «ine Konferenz der euro päischen Mächte angeregt. Dazu sagte Fürst Bismarck: „Inder augenblicklichen Sachlage liegt die Möglichkeit sehr nahe, daß trotz der Nebereinstimmung diese Costferenlz resultatloS verläuft, und es ist nach den Erklärungen der russischen Regierung für di«sen Fall die Wahrscheinlichkeit sehr nahe gelegt, daß Rußland auf eigene Hand Vorgehen würde, um der Pforte mit den Waffen ab zukämpfen, was sie freiwillig nicht bewilligen will." Wohl gemerkt, Fürst Bismarck verhielt sich selbst einer von einer der streitenden Parteien angeregten Konferenz gegenüber mißtrauisch. Vollends lehnte er es ab, selbst Mischen die streitenden Parteien zu treten. Da sagte er, gewiß habe Deutsch land die Macht gehabt, den Krieg zu verhindern. „Es wäre das aber ein« sehr große Thorheit, um mich nicht eines stärkeren und geläufigeren Ausdruckes zu be dienen, wenn wir das gethan hätten. Es sind ja dergleichen Versuche in der neuesten Geschichte mehrere gewesen. Sie sind nie Demjenigen, der auf diese Weise einen Krieg Anderer verhindert, der mit einem quos exo den Frieden geboten hat, sie sind ihm niemals gedankt worden." Fürst Bis marck erinnerte dann an das Verhalten des Kaisers Nikolaus bei den Verhandlungen von Olmütz . Der russische Kaiser habe damals den Krieg zwischen Preußen und Oesterreich verhindern wollen und auch verhindert. Sei ihm dies gedankt worden? Von Oesterreich nicht, das habe der Krimkrieg bewiesen. „Bei uns in Preußen ganz gewiß nicht. Die edlen Absichten dieses Herrn wurden verkannt gegenüber der Empfindlichkeit, die das nationale 'Gefühl einer großen Nation berührt, wenn «ine andere Macht ihr gebietet oder verbietet, was sie in einer Frage des eigenen Interesses, die sie glaubt selbst zu verstehen, thun oder lassen soll." Dieser Satz über die nationale Empfindlichkeit, die durch die Intervention einer anderer Macht berührt wird, trifft auf die gegenwärtig« Situation so zu, als wenn Bismarck den gegenwärtigen Zustand vorausgeahnt hätte. Denn wenn man auch gewiß der Ansicht ist, daß England sich im Unrechte befinde, so wird doch Niemand bestreiten wollen, daß es sich um englische Interessen handelt, und zwar um Inter essen, die die Engländer selbst zu verstehen glauben. Bei den Verhandlungen von Olmütz wird es sicherlich nicht an Dritten gefehlt haben, di«, je nach ihrem Standpunkte, Preußen bezw. Oesterreich als im Unrechte befindlich an'sahen. Aber diese Ueber- zeugung giebt eben nach des großen Staatsmannes Ansicht kein Recht zur Intervention. Ob ein Volk im Rechte oder Unrechte ist: seine nationale Empfindlichkeit wird verletzt, wenn eine andere Macht, wie Fürst Bismarck sich ausdrückt, „ihr gebietet oder ver bietet, was sie in einer Frage des eigenen Interesses thun oder lassen soll". Fürst Bismarck war sogar so vorsichtig, daß er ganz und gar nicht den Wunsch hegte, daß der Kongreß, der nach dem russisch türkischen Kriege abgehalten wurde, inBerlin stattfände. Er er klärte vor dem Kongresse ausdrücklich, er wäre ebenso mit Wien, Brüssel, einem Orte in der Schweiz oder irgend welchem anderen Orte einverstanden. Fürst Bismarck wußte eben, daß, wenn der Kongreß inDeuischland stattsäNde, Deutschland das Präsidium übernehmen und dann naturgemäß eine besonders 'hervorragende Rolle als Vermittler der Gegensätze spielen müßte. Die Voraus setzung Bismarck's traf ein. Da der Kongreß in Berlin statt sand, mußte Bismarck eine hervorragende Rolle als „ehrlicher Makler" spielen. Er verfuhr dabei auf das Gewissenhafteste, er vernichtete bei der aufreibenden Thätigkeit seine angegriffene Ge sundheit vollends, und was war der Dank? Eine langjährige Verstimmung mit Rußland, über die er sich bekanntlich in seiner großen Rede vom 6. Mai 1888 mit der halb humoristischen, halb bitteren Bemerkung äußerte, er hätte gedacht, wenn er nicht schon den höchsten russischen Orden gehabt hätte, müßte er ihn für seine Thätigkeit auf dem Kongresse erhalten, statt dessen seien nur Angriffe seine Belohnung gewesen. Die hier erwähnten Reden des Fürsten Bismarck fallen mit Ausnahme der letzterwähnten Aeußerung sämmtlich in die Zeit vor dem Berliner Kongresse. Wenn er schon damals eine sehr energische Abneigung gegen Interventionen empfand, so konnten die bitteren Erfahrungen nach dem Berliner Kongresse ihn nur in der Anschauung bestärken, sich um fremde Angelegenheiten so wenig wie möglich zu kümmern. „Eine sehr groß« Thorheit, um mich nicht eines stärkeren Ausdrucks zu bedienen", hat Fürst Bismarck das Verlangen ge nannt, sich zwischen zwei kampfbereite Gegner zu stellen. Wer also behauptet, die Auffassungen Bismarck'scher Politik als richtig und für die eigenen Grundanschauungen maßgebend anzu sehen, handelt doch eigentlich recht unhöflich, wenn er dem gegen wärtigen Leiter der auswärtigen Politik zumuthet, etwas zu thun, was Fürst Bismarck mit so derben Worten charakteri- sirt hat. Nun ist es ja nicht unmöglich, daß durch den V e r l a u f des Transvaalkrieges deutsche Interessen nicht nur mittelbar, sondern unmittelbar bedroht werden. Wenn aber dieser Fall eintritt, so befinden wir uns einer ganz anderen Lage gegenüber. Der bloße Ausbruch des Krieges schädigt unsere Interessen nicht. Wenn später eine Schädigung zu besorgen ist, so wird es Zeit sein, sich die Frage vorzulegrn, was zur Abwendung dieser Gefahr zu thun sei. Und dann wird uns auch der Bismarck, der in seinen Werken fortlebt, nicht im Stiche lassen. Deutsches Reich. -2- Leipzig, 13. Oktober. Der Vorstand des National liberalen Vereins für daS Königreich Sachsen beruft auf Sonntag, den 22. d. M., nach Leipzig eine Sitzung ein, zu der außer an die Vorstandsmitglieder auch Einladungen ergangen sind an die sächsischen nationalliberalen ReiwStagSabgeordneten, an die nationalliberalen Mitglieder beider Ständekammern und an die Vorsitzenden der national liberalen Vereine im Lande. Auf der Tagesordnung stehen außer Anderem ein Antrag Biedermann, betreffend die Stellung der Partei vor der zweiten Lesung des Gesetzent wurfes zum Schutze des gewerblichen ArbeitS- ver hältnisseS, sowie ein Referat über die Landtags wahlen und die bevorstehende Landtagssession. L. 6. Berlin, 13. Oktober. (Die Wissenschaftliche Deputation für das Medicinalwesen.) Mit Ge nehmigung deS CultusministerS I)r. Studt tritt Hierselbst am 25. d. Mts. die durch Vertreter der Aerztekammern er weiterte Wissenschaftliche Deputation für da- Medicinalwesen unter dem Vorsitz deS DirectorS, deS UnterstaatösekretärS vr. v. Bartsch, zu ihrer diesjährigen Sitzung zusammen. Die Bcratbungen werden, wie in früheren Jahren, voraussichtlich mehrere Tage dauern und sich an erster Stelle mit einer für die öffentliche Gesundheitspflege besonder wichtigen Frage beschäftigen, nämlich mit der Frage, in welcher Richtung die Bewegung für die Gründung von Heimstätten für Genesende zu fördern sein möchte. Diese Bewegung hat bekanntlich zuerst in Frankreich, später in England und neuerdings in Deutschland an Boden ge wonnen und ist auö der Erkenntniß bervorgegangen, daß r* nickt genügt, Heilanstalten für Schwindsüchtige zu errichten, sondern daß es der Gründung auch von Heimstätten für Genesende bedarf, um den Letzteren nach erfolgter Heilung in sogenannten Reconvalescentenbäusern Aufent halt und Pflege zu gewähren. Bei uns zu Lande bat die hierauf gerichtete Bewegung in neuerer Zeit einen mächtigen Aufschwung genommen; und da es sich hierbei nicht bloS um die Sorge für den Einzelnen, sondern um die Förderung des gcsammten Volkswohls handelt, so liegt eS auf der Hand, daß die bevorstehenden Berathungen der Wissenschaftlichen Deputation für weite Kreise von nicht geringem Interesse sind. Der zweite Gegenstand der Tagesordnung der Wissen schaftlichen Deputation betrifft die Aufgabe deS ärztlichen Sachverständigen nach dem Bürgerlichen Gesetzbuch« in den Fällen der Entmündigung (H 6 Nr. 1) und der Fest stellung der Geschäftsunfähigkeit (Z 104 Nr. 2). Be kanntlich entstehen vor Gericht bei der Anwendung deS Z 51 deS Strafgesetzbuchs nicht selten Meinungsverschiedenheiten darüber, ob der ärztliche Sachverständige die Frage beant worten soll, daß bei nachgewiesener Bewußtlosigkeit oder krank hafter Störung derGeistesrhätizkeit die freie Willensbestimmuag deS Thäters ausgeschlossen war oder nickt. Ebenso können auch bei der Entmündigung und bei der Feststellung der Ge schäftsunfähigkeit nach dem Bürgerlichen Gesetzbuche Zweifel darüber entstehen, ob der ärztliche Sachverständige nur die Frage nach der Geisteskrankheit, der Geistesschwäche oder der krankhaften Störung der Geisteöthätigkeit zu begutachten over ob er sein Gutachten auch darüber abzugebcn bat, daß der zu Entmündigende oder derjenige, dessen Geschäftsunfähigkeit sestgestellt werden soll, seine Angelegenheiten nicht zu besorgen vermag. Da daS Bürgerliche Gesetzbuch am 1. Januar 1900 in Kraft tritt, so ist es gewiß zeitgemäß, wenn die Wissen schaftliche Deputation sich über die oben aufgeworfenen und die sich daran anschließenden Zweifelsfragen schlüssig macht. U Berlin, 13. Oktober. (Errichtung eines BerusS- consulatS in Saigon.) Wie kürzlich gemeldet, ist auS Handelskreiseo eine Eingabe an den Reichskanzler mit der Bitte um Errichtung eines BerufSconsulalS in Saigon ge» Erde als Nahrungsmittel. Von AlexanderBauer. Nachdruck verboten. Hundert Jahre sind jetzt vergangen, seit Alexander von Hum boldt das Land der erdessenden Otomaken durchwanderte, jenes Jndianerstammes am Orinoco, der sich jährlich drei Monate hindurch ausschließlich, oder doch fast ausschließlich, von Thon erde ernährt. Die Nachricht erregte damals in Europa unge heures Aufsehen, ja sie rief sogar lebhaften Widerspruch hervor, weil man, wie Humboldt selbst hervorhebt, zwei ganz ver schiedene Sätze: „Erde essen" und „sich von Erde ernähren" zusammenwarf. Die Frage, ob die Erde in irgend einer Form ein Nahrungsmittel bilden könne und wie sich der menschlich« Körper zu ihr verhalte, ist seitdem eingehend untersucht worden und kann wohl als gelöst betrachtet werden. Bevor wir hier näher auf dieselbe eingehen, sei erst das thatsächliche Material in kurzer Uebersicht hier wiedergegeben. Die Otomaken stellen einen am Orinoco wohnhaften, ver sunkenen Stamm dar, der durch seine den ganzen Körper ent stellenden Malereien noch häßlicher wird, als er ohnedies er scheint. Sie sind «in wildes, unruhiges Volk, gehören zu den schwer zu civilisirenden Savannenvölkern, wollen von Ackerbau nichts wissen und leben fast ausschließlich von Jagd und Fisch fang. „Es sind", wie Humboldt erzählt, „Menschen von sehr starkemKörperbau, aber häßlich, wild, rachsüchtig, d«n grgohrenen Getränken leidenschaftlich ergeben. Sie sind im höchsten Grade omnivore (alles fressende) Thiere; die anderen Indianer, die sie als Barbaren ansehen, sagen daher auch, nichts sei so «kel- hast, das ein Otomake nicht ess«. So lange das Wasser im Orinoco und seinen Nebenflüssen tief steht, leben die Otomaken von Fischen und Schildkröten. Sie schießen jene mit über raschender Fertigkeit mit Pfeilen, wenn sie sich an der Wasser fläche blicken lassen. Sobald die Anschwellungen der Flüsse er folgen . . . ., ist es mit dem Fischfang fast ganz vorbei . . . Zu dieser Zeit, die zwei bis drei Monate dauert, verschlingen die Otomaken Erde in unglaublicher Masse. Wir fanden in ihren Hütten phramidalisch ausgesetzte, 3—4 Fuß hohe Kugel haufen; die Kugeln hatten 3—4 Zoll im Durchmesser. Die Erde, welche die Otomaken essen, ist «in sehr feiner, sehr fetter Letten; er ist gelbgrau, und da er ein wenig am Feuer gebrannt wird, so sticht die harte Kruste etwa- in» Roth«, wat vom darin enthaltenen Eisenoxyd herrührt." Di« Otomaken essen nicht jede Art Thon, sie suchen, nach Humboldt's Darstellung, „die Alluvialschichten auf, welche di« fetteste, am feinsten anzufühlend« Erd« enthalten." Der Thon wird auch nicht, wie vielfach angenommen worden ist, mit Oel, Fett oder Mehl vermischt und der Indianer ißt ihn nicht etwa nur während der Ueberschevemmung-period«, sondern »auch während der übrigen Jahreszeit, nur mit dem Unterschiede, daß er dann nur «ine Nebennahrung bildet. In der Uebrrschwem« mungszeit aber genießt er nicht weniger als H—1H Pfund in 24 Stunden, und Humboldt versichert, daß di« Otomaken bei dieser Nahrung nicht «twa abmagrrn, sondern im Gegentheil sehr kräftig sind. Auch hätten sie durchaus keinen gespannten, aufgetriebenen Bauch. Sowohl unser Reisender wie andere Forscher haben nun fest gestellt, daß sich die Gewohnheit des Erdeffens durchaus nicht auf genanntes Volk beschränkt. Der Stamm der Guanos huldigt bis zu einem gewissen Grad« demselben Gebrauch, „und zwischen den Einflüssen des Meta und des Apure spricht Jedermann von der Geophagie (Erdesserei) als von etwas Altbekanntem". Ueber- haupt hat Humboldt in d«r heißen Zon« „aller Orten bei vielen Individuen, bei Kindern, Weibern, zuweilen aber auch bei Männern einen abnormen, fast unwiderstehlichen Trieb bemerkt, Erd« zu essen, keineswegs alkalische oder kalkhaltige Erde, um (wie man gemeiniglich glaubt) saure Säfte zu neutralisiren, sondern einen fetten, schlüpfrigen, start riechenden Thon. Oft muß man den Kindern die Hände binden oder sie einsperren, um sie vom Erdessen abzuhalten, wenn der Regen aufhört." In Bonco am Magdalenenstrom verzehrten die das Töpfergeschirr bereitenden Weiber ohne Schaden große Stücke des von ihnen benutzten Materials. In anderen Gegenden ist das Thonessen dagegen von schädlichen Folgen begleitet. Ein kleines Mädchen vom Stamme der Guahibos, das seit vier Monaten nichts als Letten zu sich nahm, war mager wie ein Skelett. An der Küste von Guinea verzehren die Neger eine gelbliche Erde, Caouac ge nannt, als Leckerbissen, ohne daß es ihnen schadet, wogegen die amerikanischen Neger in ihrer neuen Heimath von der Fort setzung des alten Gebrauchs starke Nachtheile spürem Die betreffend« Erde wird förmlich auf den Märkten verkauft und keine noch so hoh« Strafe vermag die Neger von dem Genüsse derselben abzuhalten. Im indischen Archipel verkauft man Kuchen, Tanaampo, aus geröstetem Thon, die von den Ein geborenen mit Appetit gegessen werden. Nach Leschenault's Angaben essen diese Speise nur die Weiber, und zwar, um mager zu werden, da Leibesfülle für ein Zeichen von Häßlichkeit gilt. In Neukaledonien verzehren die Einwohner in Zeiten der Noth eine Art weißen TopfsteinS. Die Neger in Afrika essen weißen Speckstein, in Peru mischen sich die Indianer Kalk mit Coca, von ersterem führen sie beständig eine Büchse bei sich, wie wir unsere Cigarrentasche; bei dieser Kost vermögen sie lange zu fasten, da ihnen die Speise die Eßlust raubt. In Tigua sah Humboldt die Eingeborenen als Leckerei ebenfalls einen feinen, mit Quarzsand gemischten Thon verzehren, ein mit diesem Thon gemischtes Wasser, sogenannte Thonmilch, dient als Getränk. AuS d«m Orient werden ähnliche Gebräuche ge meldet. So aus Persien, wo trotz scharfen Verbots Erde als Nahrungsmittel genossen wird. Auch die Araber genießen auf ihren Karawanenzügen oft zwei Monate fast nichts als arabischen Gummi, mit Kamerlmilch vermischt, also ebenfalls eine einseitige Kost, die der Nahrungsstoffe entbehren würde, wenn nicht die Kamerlmilch solch« zuführt«. DaS Erdeflen ist sogar in der gemäßigten und kalten Zon« keine seltene Erscheinung. Humboldt machte darauf aufmerksam, daß sich die Arbeiter in den Sandstrinbriichen deS Kyffhäuser statt der Butter einen feinen Ton, den sie „Steinbutter" nannten, auf da- Brod strichen. Im Lüneburgischen herrschte ein« ähnlich« Sitte. Ferner genießt man Erde in Italien und Steiermark, im nördlichen Schweden u. s. w. Auf der Halb- ins«! Kola wird rin« al» Bergmehl bezeichnete Infusorienerde unter da» Brod verbacken. Allgemein bekannt ist, daß auch Bleichsüchtige, Hysterische und Kinder oft einen unwiderstehlichen Trieb, Kreide und ähnliche Stosse zu genießen, empfinden. Wie wir wissen, sind nun bis zu einem gewissen Maße dem menschlichen Körper anorganisch« Stoffe unentbehrlich. Vor Allem Kochsalz, Chlorkalium, Phosphor- und kohlensaurer Kalk, Eisen und Mangan finden sich als regelmäßige Bestandtheile in gewissen Körperorganen. Der Kalk bildet die Knochen, von der Zuführung von Eisen und Mangan ist die Bildung der rothen Blutkörperchen zum großen Theil abhängig, das Koch salz, das von Vielen irriger Weise für ein bloßes Genußmittel angesehen wird, steht in innigster Beziehung zum Zellenbildungs- proceß u. s. w. Eine Nahrung, welche alle Mineralbestandtheile entbehrte, würde bedenkliche Ernährungsstörungen, zur Folge haben, ja im Laufe der Zeit sogar zum Tode führen. Ebenso klar ist es ab«r, daß eine aus lauter anorganischen Stoffen be stehende Nahrung dem Körper in keiner Weise genügen kann. Der Hunger kann freilich für den Augenblick durch Aufnahme fester, unverdaulicher Stoffe in den Magen beschwichtigt werden, aber sehr bald kehrt er um so wüthender zurück, und erhält er wiederum weiter nichts und immer weiter nichts geboten, so magert der Körper ab, die Kräfte schwinden und der betreffende Mensch geht zuletzt zu Grunde. Der Leser wird uns entgegnen, daß dieser Behauptung doch das Beispiel der Otomaken und das Zeugniß Humboldt's dirrct entgrgenstehe. Und das um so mehr, als der groß« Forscher ausdrücklich d«r Behauptung des Paters Gumilla widerspricht, di« Otonraken vermischten ihren Thon mit Maismehl, Schikdkrötenöl oder Krokodilfett, und jedes Vorhandensein organischer Bestandtheile in der benutzten Erde mit Bestimmtheit in Abrede stellt. Keineswegs! Man darf wohl annehmen, daß die Otomaken, während sie ihre Thon klöße verzehren, doch wohl hin und wieder noch eine andere Nahrung, wenn auch nur in unbedeutender Menge, zu sich nehmen. Vielleicht hin und wieder einen tobten Fisch, einige Pflanzenwurzeln oder irgend eine Speise, die ihnen der Zufall in d«n Weg führt. Wir dürfen dann d«n Fall so ansehen, wie den oben mitgetheilten von den Arabern, die angeblich oft zw«i Monate „fast" nichts als arabischen Gummi genießen. Die Erklärung des Räthsels liegt eben in dem „fast" — sie ver mischen, wie wir sahen, ihr Harz mit Kamerlmilch, und diese enthält gerade die Nährstoff«, welche der Körper braucht. Aber auch angenommen, die Otomaken genössen während der Uebrrschwemmungsperiode wirklich weiter nichts als ihren Thon, so würd« daraus durchaus noch nicht hervorgehen, daß die ge nossene Erd« ihnen di« regelmäßige Nahrung ersetzen kann. Haben wir nicht innerhalb der letzten 26 Jahre zahlreiche Hungervirtuosen sich produciren sehen, welche in Folge langer Gewöhnung im Stande sind, bei ziemlichem körperlichen Wohl befinden vierzig, fünfzig und mehr Tage ohne jede Nahrung auszuhalten? Die Otomaken dürften also in Folg« einer durch Generationen fortgesetzten, noch weit wirksameren Gewöhnung recht wohl im Stande sein, mehrere Monate im Jahre — der Noth gehorchend, nicht dem eigenen Trieb — zu hungern, ohne nachtheilige Folgen davon zu verspüren. Es kommt nur darauf an, das sich einstellende Hungergefühl an sich zu befriedigen, die eint-retenden Magenbeschwerden zu lindern; dazu dient unseren modernen Hung«rkünstlern da» von ihnen reichlich genossen« Wasser und den Otomaken ihre Thonerde. Für die Richtigkeit unserer Annahmr spricht noch folgender Umstand: Humboldt betont ausdrücklich, daß den Otomaken das Erdessen recht gut bekommt, so lange sie sich wenig Bewegung machen — so lange sie also keinerlei Kräfte verbrauchen, sondern sich einer ruhigen, trägen Lebensweise befleißigen. Wer angestrengt thätig ist, bedarf bekanntlich einer reichlicheren Nahrung als Jener, der träge zu Hause liegt — rechnet man hierzu noch die wenn auch unbedeutenden, so doch immerhin in Betracht zu ziehenden (und wahrscheinlich vom Körper um so besser ausgenutzten) minerali schen und vegetabilischen Zuschüsse, die doch sicher nicht gänzlich fehlen werden, so verliert die zuerst so schauerlich klingende Nach richt von den vier Monate Erde essenden Otomaken für uns ihren erstaunlichen, befremdlichen Charakter; das Geheimniß ist enthüllt, das Wunder erklärt! Wersen wir sodann die Frage der Bekömmlichkeit der als Nahrungsmittel verwandten Erde auf, so finden wir die tref fendste Antwort hierauf in den uns vorliegenden thatsächlichen Mittheilungen selbst. Wir hören von den Otomaken, daß sie weder vom Fleische fallen, noch sonst in Folge der seltsamen Kost an ihrer Gesundheit leiden. Wir vernehmen dagegen von anderen Erdessern, daß sie in Folge dieser Gewohnheit abmagern, und daß die afrikanischen Neger durch den Genuß in Amerika ver zehrter Erd« erkrankten, während sie in ihrer Heimath dem Ge brauch« d«S Erdessens ohne gesundheitliche Nachtheile huldigten. Daraus geht zweifellos hervor: Erstens, daß di« Gewohnheit hier eine große Rolle spielt, zweitens, daß nicht alle zur Nahrung benutzten Erden von gleicher Bekömmlichkeit sind. Ob in der That auch der Genuß geistiger Getränke zur leichten Verdauung der Erde beiträgt, wie eine Aeußerung Humboldt's fast schließen läßt, mag hier unentschieden bleiben. Der Reisende sagt nämlich: „Man meinte die Beobachtung zu machen, daß bei den asrikan» schen Sklaven der abnorme Trieb, Erde zu essen, zunimmt und schädlicher wird, wenn sie auf reine Pflanzenkost gesetzt werden und man ihnen die geistigen Getränke entzieht." Die Otomaken sind aber groß« Trunkenbolde, sie sind dem Genuß gegohrenrr Ge tränke aus Manioc und Mai» und dem Palmwein im Uebermaß zugethan. Suchen wir uns schließlich auf Grund d«s obigen Materials ein Urtheil über die Ursachen des Erdeffens im Allgemeinen zu bilden, so werden wir unbedingt vr. Richard Lasch beipflichten müssen, der über das Ergebmß einer von ihm angestelltrn Unter suchung berichtet, „daß der Genuß von Erde nicht als ethnologi sches Moment aufzufassen ist, das für einzeln« Völkerstämme oder Völkerrassen charakteristisch ist, sondern daß die Ursach« hiervon in der besonderen geistigen und körperlichen Constitution des Individuums gesucht werden muß." In vielen Fällen zwingt die Noth zu dem Gebrauch« des abnormen Nahrungsmittel-, in anderen Fällen mag ein gewisser Wohlgeschmack der betreffenden Erde die Veranlassung zur Verspeisung abgeben (da dieselbe, wie mitgetheilt, von manchen Völkern al- Leckerbissen betrachtet wird). Manchmal mag auch ein unbewußtes Bedürfniß des Körpers, wie bei Magenleidenden, zu Grund« liegen, oder die Erde, wie Lasch hervorhebt, als Surrogat des Salzgenusses dienen. Auch religiös« Motive kommen in Betracht, oder rin krankhafter und abnormer Trieb, wie bei Hysterie oder einigen in den Tropen einheimischen Krankheiten.
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