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Leipziger Tageblatt und Anzeiger : 22.10.1899
- Erscheinungsdatum
- 1899-10-22
- Sprache
- Deutsch
- Digitalisat
- SLUB Dresden
- Lizenz-/Rechtehinweis
- Public Domain Mark 1.0
- URN
- urn:nbn:de:bsz:14-db-id453042023-189910227
- PURL
- http://digital.slub-dresden.de/id453042023-18991022
- OAI-Identifier
- oai:de:slub-dresden:db:id-453042023-18991022
- Sammlungen
- LDP: Zeitungen
- Strukturtyp
- Ausgabe
- Parlamentsperiode
- -
- Wahlperiode
- -
Inhaltsverzeichnis
- ZeitungLeipziger Tageblatt und Anzeiger
- Jahr1899
- Monat1899-10
- Tag1899-10-22
- Monat1899-10
- Jahr1899
- Titel
- Leipziger Tageblatt und Anzeiger : 22.10.1899
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Größere Lchristen laut unserem Preis, verzeichniß. Dabellarischer und Zifirrnsatz nach höherem Tarif. s?rtra-Beilagen (gesalzt), nur mit der Morgen-Ausgabe, ohne Poslbesörderunq 60.—, mit Postbesörderung 70.—. Annahmeschluß für Anzeigen' Abend-Ausgabe: Bormittags 10 Uhr. Morgen-Ausgabe: Nachmittags 4Uhr Bei den Filialen und Annahmestellen je eine halbe Stunde früher. Anzeige« sind stets an die Expe-itka«» zu richten. Druck und Verlag von E. Polz in Leipzig. Sonntag den 22. October 1899. 93. Jahrgang. Aus -er Woche. Die verflossene Woche hat reichlichen neuen Gesprächsstoff gebracht, der aber besser auch Gesprächsstoff bleibt. Die, wie es scheint, von sehr einflußreicher Seite gewünschte Reise des Kaiser- nach England wird als ein Borbaben rein fami liärer Natur geschildert, die samoanischen Pläne, wenn solche überhaupt existiren, sind noch zu vag, und selbst über da« ostafrikanische Centralbahnproject, daS ja greifbare Gestalt annimmt, laßt sich im Augenblicke kaum mehr bemerken, als daß r- plötzlich in dem Afrikakenner Schweinfurtb einen Gegner gesunden hat, dessen Bedenken nicht so ohne Weiteres in den Wind geschlagen werden dürfen und jedenfalls die ReichSrcgicrung zu einer nochmaligen Prüfung der anscheinend bereits ausgearbeiteten Vorlage nöthigen werden. DaS iunerpolitische Ereigniß der Woche ist die Hamburger Rede deS Kaisers gewesen, wenn dies auch in der Presse nickt so reckt deutlick hervortreten konnte. Ein nicht unbeträchtlicher Theil einflußreicher Blätter, darunter die „Kreuzztg.", läßt sich über die Ansprache überhaupt nicht aus, im andern Tbeile sieben sich enthusiastische Aufnahme und kühle Krilik ziemlich schroff gegenüber. Das BemerkenS- werthe dabei ist, daß die Begeisterung am lautesten aus links liberalen Prcßorganen herausschallt und die „ratione8 clubi- tamii" vornchmlick von Organen der Rechten hervor gekehrt werden. So schreibt z. B. der sehr conservative „Reicksbote": „Wenn der Kaiser über das Parieiwesen und die Kritik klagt, so ist Las nach den letzten Wochen wieder besonders begreiflich; aber das wird auch, wie die Erfahrung beweist, durch alle Klagen nicht anders; das Parteiwelen ist eine Schattenseite, eine Unart der deutschen Natur, der aber auch die Lichtseite deutscher individueller Wahrhaftigkeit und persönlicher Äcwisscnhastigkeit gegenübcrstedt. Die Regierung sollte sich deshalb durch das Parteitreiben nicht stören oder ärgern lassen. So gar zu schlimm ist es bei den ehr- lichen deutschen Kritikern und ihrer oft recht stupenden Gründlich keit — namentbch der Regierung gegenüber — doch nicht gemeint und ein Körnlein Wahrheit, manchmal sogar ein recht dickes, liegt doch meistens in der deutschen Kritik und im deutschen Parteiwesrn. Die Regierung sollte sie deshalb nicht ganz in den Wind schlagen oder gar verachten; sie soll vielmehr daraus bedacht sein, die Nation unverdrossen auf wohlerwogenen Wegen vorwärts zu sührcn Wir sind überzeugt, wenn unsere Flotte, die doch dem Schutze der nationalen Interessen im Auslande dienen soll, an einem in die Augen springenden und allgemein verständlichen Puncte, wie z. B. bei der schweren Schädigung der natkonälen Interessen durch die willkürliche Zinsverkürznng auswärtiger Staaten, z. B. Portugal, thatsäckNch die deutschen Interessen geschützt und den deutschen Gläubigern zu ihrem Rechte verholten häkle, w würde das der Nation den Nutzen der Flotte viel einleuchtender gemacht haben, als zehn noch'so schöne Reden. Das deutsche Volk will gesunde, den deutschen Interessen dienende Thatsachen sehen; deshalb hat es die Besitzergreifung von Kiautjchau mit so großer Freude begrüßt. Gesunde Realpolitik, welche den thalsächlichen Bedürfnissen in zweckdienlicher Weise zu dienen sucht, ist es — da hört man aus allen Kritiken heraus —, die das deutsche Volk ver- langt, und wo es dieselbe findet, da wird eS sich ihr auch mit seiner Kritik unterordäen." Der „RrichSbotr" der sich so ausspricht, erklärt sich aber gleichzeitig sür eine Verstärkung unserer Kriegs flotte. TieS ist natürlich die Hauptsache. Es kommt nicht darauf an, ob die deutsche Nation bisher irgend etwas Erhebliche-, daS für die Marine gefordert war, verweigert hat oder nicht, sondern darauf, daß in Zukunft bewilligt werden wird, was eine mit Besonnenbeit die Weltfragen erwägende Regierung verlangt. Der früher plausibel ge wesene und sonderbarer Weise jetzt wieder aufrauckende Vor schlag, der ReickStag solle die Initiative zur Abänderung de« FlottengesetzeS, zunäckst also zur Abkürzung der für den Ausbau der Flotte vorgesehenen Zeitdauer ergreifen, ist aber nach der Hamburger Rede veraltet. Der Kaiser deutet mit keiner Silbe an, daß seine Re gierung behindert sei, an den Reichstag mit neuen Vor schlägen heranzutreten. Ein derartiges Hinderniß ist denn auch nicht zu erkennen. Hat man bei der Schaffung deS letzten FlottengesetzeS vielfach, nicht überall, gehofft, eS werde die folgenden sechs Jahre auf diesem Gebiete der Gesetzgebung Ruhe herrschen, so konnte man verständiger Weise diese Erwartung nur unter der Voraussetzung hegen, daß innerhalb dieses Zeitraumes die politischen Weltverbältnisse sich nicht wesentlich ändern würden. Nun aber läßt sich nicht leugnen, daß Verschiebungen eingetrcten sind. Die wichtigste derselben ist wohl die Entwickelung des Krieges in Südafrika, und der Umstand, baß wir z. Z. mit England stark be freundet sind und eS vielleicht bis zur Beendigung des jetzt auSgebrockenen Krieges bleiben werden, kann auch in frei sinnigen Augen nicht als ein Grund erscheinen, die Stellung Deutschlands in jenem Welttheil als eine seit Sommer 1897 nicht alterirte anzuschen. Die nationalen Parteien werden sich denn auch „im Ernst fälle" durch die aus den Bestimmungen des geltenden Flotten- gesctzeS hervorgehenden Bedenken von Bewilligungen, deren Nothwendigkeit dargethan wird, nicht abhalten lassen. Die nationalen Parteien sind aber bekanntlich nur eine Minder heit im Reichstag und die Erhaltung der Möglichkeit, daß sich die« ändere, ist nach der Hamburger Rede die wichtigste Aufgabe der Regierung sowohl, wie der nationalen Parteien. Ehe er von dieser Kundgebung de« Kaisers Kenntniß haben konnte, hat der frühere, wegen seiner Canalabstimmung zur Disposition gestellte Regierungspräsident v. Iagow in einer öffentlichen Versammlung geäußert: „Wahrscheinlich werden wir im nächsten Frühjabr wählen müssen zu einem neuen Reichstag, vielleicht auf Grund der Zuchthausvorlage, vielleicht auch auf Grund der Militärvorlage." Eine Militärvorlage, die eine Auslösung nötbig machen könnte, ist nun nach den neuesten osficivsen Versickerungen nicht zu erwarten, dafür aber muß man jetzt mit der Möglichkeit rechnen, daß eS zu einer Auflösung wegen einer Flottenvorlage kommt. Es versteht sich von selbst, daß die Frage des Arbeitsschutzes nicht neben der der Verstärkung der Flotte al« Wahlparole figuriren kann, und eS ist eine an Gewißheit grenzende Vermuthung, daß »ine — im nächsten Jahre — wegen der erstgenannten Angelegenheit befragte Wählerschaft keinen Reichstag bildet, der sür rin Flvttengesetz zu brauchen wäre. Tas Bestreben der nationalen Parteien muß daher darauf gerichtet sein, daß die Frage des Arbeiterschutzes möglichst bald in positivem Sinne gelöst werde und damit aus der Zahl der ConflictS- stoffe auSscheide. Leider ist die Aussicht auf einen solchen Gang der Dinge nur sehrgering. Es trifft sicksckon unglücklich,daß bieErörterung der Frage deS Schutzes der Arbeitswilligen in dem Augenblick, wo sie eine praktische werden soll, persönlichen Auseinandersetzungen nur schwer auS dem Wege gehen kann. Dem an der Führung der nationalliberalen Partei betheiligten Abgeordneten Basser- mann bat weder der Genius der Politik, noch der der Ge rechtigkeit zur Seite gestanden, als er die Agitation „der" Großindustrie und ihrer Presse als Heuckelei, als „eitel Heuchelei" brandmarkte und gegen das gesammte Großunter- nehmerthum den schweren Vorwurf erhob, eS bezwecke nur den Eckutz der „böckst eigenen Interessen" und die Pflege seiner „Machtbedürfnisse". Ein EntsckulbigungSgrund für diesen allgemein gehaltenen Ausfall würde sich nicht ausfindig machen lassen, eine Erklärung bietet der Umstand dar, daß Herr Bassermann und die mit ihm in der Arbeilerschutzfrage Uebereinstimmenden ein halbes Jahr von einem The», le der Presse der Großindustrie beleidigenden Angriffen aus gesetzt gewesen sind. Davon ist bei uns in Sachsen wenig bekannt geworden, weil die sächsische Publistik ihre von der des Herrn Bassermann abweickende Meinung sachlich ver treten und den Auslastungen jener Presse wenig Beachtung geschenkt bat. Im andern Falle würde man in Sacksen Gelegenheit erlangt baden, anzuerkennen, daß der Abgeordnete Bassermann nicht durchweg im Irrtbum ist, wenn er die Agitation dieses Sommers mit Zwecken, die mit dem Sckutze der Arbeitswilligen nichts Zuschüssen baden, verquickt findet. Man braucht sich darunter nicht ausschließlich und nicht einmal in erster Reihe die „Pflege der Interesten und der Macht bedürfnisse von Großindustriellen" vorzustellen, «S baden sich in der Agitation andere, viel dunklere Bestrebungen geltend gemacht. Wie viel oder wie wenig Gewicht man aber auch den bezeichneten und angedeuteten „mildernden Umständen" bei legen mag, die sächsische Industrie und die nationalliberale Partei Sachsens baden unseres bescheidenen Dafürhalten« keinen zwingenden Anlaß, einen persönlichen Zwischenfall zum 2susgangSpuncte ihrer Stellungnahme zu einer an sich hinreichende Schwierigkeiten bietenden Frage zu nehmen. Das Vorhandensein von Schwierigkeiten hat die sächsische nationalliberale Parte: schon anerkannt, indem ihre Leitung in dem am 20. Juni an den Abgeordneten Basier mann gerichteten Telegramm die Wahrung der gesetzlich ver bürgten Coalitionsfreiheit der Arbeiter dem Schutz der Arbeits willigen als eine gleichgewichtige Forderung voranstellte. Die Angelegenheit ist inzwischen im Reiche leider nicht einfacher geworden. Die „Nationallib. Corresp." hat zwar dieser Tage versichern können, im Schoße der verbündeten Negierungen sei die Erkenntniß durckgedrungen, „daß der Buchstabe die Vorlage nicht entscheidet", aber der Verzicht auf Buchstaben in einer bisher von - keiner Partei im Wesentlichen gebilligten Vorlage will herzlich wenig besagen, und in der „Berliner Corresp.", dem Organ der Regierung, fanden wir denn auch dieser Tage eine Wen dung, welche andeutet, daß man in Berlin an den „Grunt- zügen" des BundeSratbSentwurfs festhalten zu sollen glaube. Dieses Vorhaben ist aussichtslos, die Frage kann nur sein, ob eS überhaupt möglich ist, an diese Vorlage erfolgreich anzu knüpfen. Wie die Dinge liege», werden die Anträge, die in der Nation al liberalen Fraktion vorbereitet werden, thatsäcklick den Charakter eines Jiiitiativgesetzcntwurss haben, und er scheint das Centrum gleichfalls mit Anträgen, so wird der Reichstag mit zwei Jniliativgesetzentwürsen fick zu be fassen haben. Dabei aber schreibt die „Nationallib. Corr.", die bürgerlichen Parteien seien verpflichtet, sich nur an die Vorlage, das ist die Bundesralbsrorlage, zu halten. Soweit damit gesagt sein soll, die Vor geschichte des Entwurfes dürfe keinen Einfluß auf die positiv gerichteten Parteien üben, so begrüßen wir diese Auffassung auf das Lebhafteste, im Uebrigen wird es schwer, sich eine Vorstellung von einer erspicßlichen Behandlung de« bevorstehenden Nebeneinander zweier oder dreier, in ihren „Grundzügen" ohne Zweifel verschiedener Ent würfe zu machen. ES kommt ein sehr gewichtiges Moment hinzu. Tie BundeSrathSvorlage bat Politiker, die bis zum Erscheinen des Entwurfes in der Frage deS Schutzes der Arbeits willigen übereinstimmten, getrennt. Und ferner kommt hinzu, daß in der konservativen Neickskagö- sraction die begreifliche Neigung vorherrscht, dem Conslicte, in den die preußische AbgeordnetcnhauSsraction durch das Schicksal, das sie der Mittellandkanal vor läge bereitet bat, mit der Negierung und der Krone gerathen ist, durch weitgehendes Entgegenkommen gegen die Wünsche der Reichs regierung in Bezug auf den Schutz der Arbeitswilligen wenigstens etwas von seiner Schärfe zu nehmen. So fckwer es aber auch sein wird, daß die nationalen Parteien sich unter einander und mit der Negierung über die „Zuchthausvorlage" einigen: eS muß versucht werden. Vielleicht kann die Negierung das Beste zum Gelingen des Versuches beitragen, wenn sie schleunigst mit dem Flotten- projecte — sofern ein solches wirklich besteht — hervortritt und dadurch nicht nur sich selbst die Pflicht auferlegt, bei der Beraihuug der „ZnchtbausvoUage" nickt zu fest auf „ihrem Scheine" zu bestehen, sondern auch die nalivnalcn Parteien zu streng sachlicher und möglichst wenig verbitternder weiterer Behandlung dieser Vorlage mahnt. Am Wenigsten würde wohl mit einem solchen Vorgehen der Reichsregierung das Centrum zufrieden fein, das augenscheinlich einen Conflict und eine Auflösung des Reichs tag« wegen der „Zuchthausvorlage" wünscht. Die Centrums- Fettilletsn. Englisches Soldatenleben. Von G. von Weißbach. Nachdruck vcrbotcn. Wir sind auf Trafalgar-Square in London. Große, wie die Theater-Affichen angebrachte Placate ziehen unsere Auf merksamkeit auf sich. Wir treten näher und erblicken die mannig fachen glänzenden Uniformen der Armee Ihrer Majestät mit bunten Farben gar verführerisch abgebildet: da ist der Scharlachrock der Coldstream Guards, der Tartan der Royal Highlanders, der reichverschnürte Attila der 10. Husaren, deren Chef der Prinz von Wales ist, zu sehen. Prächtige Monturen, auf deren glückliche Träger ein junger Mensch, dessen vergebliches Sehnen nach Prunk und Glanz steht, wohl neidisch werden kann. Und welche Bortheile verspricht der die Bilder begleitende Text Denen, die sich in diese Uniformen kleiden wollen; welche An nehmlichkeiten und Vergünstigungen verheißt er ihnen! Beim Anblick dieses Werbeplacats mag einem jungen Menschen wohl leicht genug der Gedanke kommen: „Ha, welch« Lust, Soldat zu sein — in der Armee Ihrer huldreichsten Majestät!" Und mehr als einer von den zahlreichen Lesern, die da ausfällige Placat umdrängen, sieht aus diesen Bildern und Ver heißungen eine begehrenswerthe Zukunft sich entgegenleuchten. Sind es doch meist schlecht genährte junge Menschen in abge tragenen Kleidern, die auf die bunten Bilder starren, — solche, die schon lange vergebens nach Arbeit gesucht, oder solche, die durch Leichtsinn sich in die bedrängtest« Lage versetzt haben. Nur ein Wort, ein Handschlag — und alle Poth hat ein Ende, und sie haben schöne Kleider, gutes Esten, eine sichere Zukunft und ein Leben wie im Himmel. So versichern ihnen eifrig die eleganten Unterofficiere, die sich schnell an Jeden heranmachen, den sie schwanken und den Gedanken des Eintritt- in die Armre erwägen sehen. So löst sich denn bald dieser, bald jen«r junge Mensch aus der Gruppe und folgt dem Rothrock in di« Caserne, wo er nach kurzen Formalitäten als Soldat angeworben wird. Dabei geht e8 sehr schnell zu, damit der Anzuwerbende sich nicht etwa noch einmal besinnen tönn«; aber bei Vielen folgt dann die Reu« gar bald auf dem Fuße, und nicht weniger al- 4000 Mann im Jahre desertiren aus der englischen Armee. Etwa 2000 machen dann noch von dem Rechte Gebrauch, sich gegen Erlegung von 10 Pfund Sterling vom Dienste loszukaufen; und von den Angeworbenen, die noch übrig bleiben, muß die Armee selbst wieder an die 2000 im Jahr« wegjagen, weil sie ein gar zu wüste- Gesindel sind. Die Uebrigbleibenden aber haben eS. wenn auch da- Placat ihre Existenz gar zu rosig schildert, doch in Wirklichkeit nicht schlecht. Allerdings steht der britisch« Soldat in der öffentlichen Schätzung nicht hoch; der konservative Engländer hält nun ein mal cm der Vorstellung fest, daß, wer sich anwrrben läßt, mehr oder minder ein mauvsis srijot sei, und aller Ruhm von Om- durman oder vomKhaiber-Passe wäscht denEinzelnen von diesem Makel nicht rein. Dafür hat er's in seiner Caserne gut. Sein Dienst nimmt ihn täglich nur vier Stunden in Anspruch, dann muß er noch eine Stunde Instruction absitzen und für den Rest des Tages ist er ein freier Mann, der sich mit Eifer und Behagen den Sportspielen widmet, di« für den Normal-Engländer ein LebenSbedürfniß bilden und für die in seiner Caserne ausgiebige Vorrichtungen getroffen sind. Zweimal in der Woche ist er Nach mittags sogar ganz frei. Dann spielt er Cricket oder Fußball oder hält sich im Recreation-Room de- Regiments auf, dem überall besondere Sorgfalt gewidmet ist. Dort findet er eine Bibliothek und «in Lesezimmer, ein Billardzimmer und eine Kegelbahn und gewöhnlich sogar eine Bühne, auf der Abends Concerte oder Vorstellungen stattfinden. Die drei Mahlzeiten, die er täglich erhält, füttern ihn bald gut heraus und nach wenig Jahren ist der halbverhungert« und heruntergekommen« Mensch, der vor dem Placate auf Trafalgar-Square stand, ein wohl genährter, stattlicher und stolzer Soldat geworden. Was dieser Soldat im Felde leisten kann, Hai er hundert Mal gezeigt. Er ist tapfer, zähe, entschlossen und ruhig. Aber er hat auch zwei große Mängel: er ist gewöhnlich zu jung, da die Altersgrenze recht niedrig gestellt ist und bei der Anwerbung nicht einmal sehr streng auf das Minimum des Alters gehalten wird. Vor Allem ab«r: er ist von seiner Caserne her an zu großen Comfort gewöhnt. Er wird ständig von seiner Küche bedient und weiß sich sein Mahl nicht selbst zu bereiten; so kam es im Krimkriege vor, daß die Soldaten mit ihren 1Z Pfund Fleisch in der Hand hungerten, weil sie nicht wußten, was damit anzufangen sei. Wenn ungewöhnliche und anstrengende Arbeiten im Felde zu leisten sind, so fehlt es dem britischen Soldaten zwar nicht an Kraft und Ausdauer, wohl aber an Intelligenz und Schick; er ist im Friedenszeiten zu derlei Arbeiten nicht an gehalten worden, da man allen Grund hat, ihn in der Caserne bei guter Laune zu erhalten. Ohnedies geschieht es nicht eben selten, daß die Soldaten in der Caserne dem Vorgesetzten den Gehor sam verweigern. Im Felde freilich gehorchen sie der Führung prompt. Eigenthümlich ist die Stellung der Subalternofficiere. Sie werden von den Soldaten nicht gegrüßt. Dabei hat der britisch« Subalternosficier «inen ausgedehnteren Dienstbereich und eine größere Verantwortung, als der deutsch« oder der französische. Der englisch« Officier versieht seinen Dienst einigermaßen im Stile des Grandseigneurs; er überläßt einen guten Theil der Arbeiten, die er bei un- selbst verrichten muß, dem non eorn- missionock okkioer. Dadurch wird der Unterofficier in vieler Hinsicht die eigentlich« feste Stütze des Dienstes. Da dies all- gem«in anerkannt ist, so sucht man für diese Chargen besonder gute Kräfte hercmzuziehen und hat daher für die Subaltern- officiers-Carriöre sehr günstige Bedingungen geschaffen. Sie bekommen gute Löhnungen und es winken ihnen gute Stellungen nach Beendigung des Dienste- in Großbritannien oder in Indien, dem Dorado der Beamten. Di« Messen der Unteroffi- ciere können sich an komfortabler Ausstattung manchem unserer Officierscasinos an die Seite stellen. Die verheirateten Sub alternen — dies sind etwa OOProc. — bewohnen mehrere Zimmer in hübschen Häuschen, ihre Kinder werden gut ausgebildet; für ihre Frauen zu sorgen ist eine traditionelle Ehrenpflicht der Officiersdamen des Regiments, und zu Weihnachten fehlt nie de: Baum und die Geschenke, die die Damen des Regiments den Untvrofficiersfrauen spenden. Unter diesen Umständen ist es be greiflich, daß das englisch: Subaltern-Officierscorps hohe Quali täten besitzt. Es besteht durchweg aus körperlich tüchtigen, ge schickten Männern in den besten Jahren, die reiche Gelegenheit hatten, Erfahrungen zu sammeln, gewöhnlich schon ein gut Stück Welt gesehen haben und in den Wechselfällen des Krieges ihren vollen Gleichmuth bewahren. Auch der englische Officiersstand trägt sein ganz eigenes Ge präge. Der britische Officier ist stets von guter Familie, durch und durch Gentleman. Ja, er ist noch mehr Gentleman als Of ficier. Er ist nicht so durch und durch, so vor Allem Officier, wie sein deutscher Kamerad. Er thut seinen Dienst — und viel leicht intensiver, als man daS bei uns im Allgemeinen annehmen mag —, aber er thut ihn immer wie ein großer Herr, dem eine zahlreiche Schaar von Intendanten und Dienern zu Gebot« steht. Er ist der einzige Officier unter den großen europäischen Armeen, der sein« Uniform gern ablegt. Im Club, in der Gesellschaft sieht man ihn nie in der Uniform; beim Diner in der Messe ist gewöhnlich ein eigener Meß-Anzug vorgeschrieben. Weshalb «in Brite aus den bevorzugten Ständen in die Officierscarriöre ein tritt, hat am prägnantesten wohl Lord Wolseley, der Höchstcom- mandivende des englischen Heeres, ausgesprochen, wenn er sagt, für den britischen Officier repräsentire das Soldatenhandwerk den Sport in seiner vollkommensten Form. Ist der Morgendienst absolvirt, dann ist der Officier nur noch Sportsman. Dann hetzt er die Meute des Regiments hinter den Fuchs, kutschirt die Regiments - Mailcoach, spielt Cricket oder liegt dem kostbaren Polosport ob, den die 10. Husaren aus Bengalen mitgebracht und in Mode gebracht haben. In Hurlingham findet alljährlich das große Polo- Turnier der Arme« statt. In Folge dieser ausgiebigen und fortgesetzten Sportsübungen trifft man in der englischen Arme« kaum einen beleibten Officier. Wie in England unter allen Gentlemen, so herrscht auch unter den Officieren eine völlige Gleichberechtigung. Außerhalb deS Dienstes kommt das Borgesetzten-Verhältniß nicht zur Gel tung. Beim Uorse-plaz- oder Fußball wirft oder besiegt der jüngere Officier ohne alle Rücksicht auf die Charge den älteren — wenn er kann. In der Messe präsidirt abwechselnd jeder Officier einmal dem Tische und der Oberst entschuldigt sich, wenn er sich verspätet, überaus höflich bei dem präfidirenden Leutnant. So bald ein Officier den anteroom der Messe betreten hat, ist er eben nur noch ein Gentleman, der dir Gesellschaft anderer Gentlemen aufsucht. Hier in der Mess« trifft man nun den ganzen LuxuS und Comfori, mit dem sich der englisch« Offieirr umgiebt. Seine Wohnung ist in der Regel bescheiden und auch nur einfach möblirt, da er sich in Rücksicht auf den häufigen Garnisonwcchiel nicht mit überflüssigem Hausrath beschweren will. In der Mess: aber herrscht der gediegenste und reichste Luxus. Einmal in dec Woche ist sie auch Gästen geöffnet und dann kann der Fremd: bei guter Gelegenheit die imponirenden Schätze eines vornehmen englischen Regiments an silbernem Tafelgerälh, Krystall u. s. w. bewundern. Manche Regimenter besitzen solche Schätze im Wertbe von 30 000 cA — Dedicarionen von Officieren und Freunden des Regiments, erstrittene Preise u. s. w. Dazu kommen Vic Trophäen aus seinen Feldzügen, die mit beredter Sprache von Englands Weltmacht erzählen: hier ein Bronze Gong aus Birma, dort ein fein bearbeiteter Elefantenzahn aus Benin, ein Drache aus dem Sommerpalaste des Sohnes des Himmels, der Thron eines Aschanti-Fürsten. In dieser luxuriösen Um gebung wird dann ein reiches und gediegenes Dinner servirt und herrscht die behaglichste Geselligkeit. Der kameradschaftliche Verkehr unter den englischen Officieren ist ein sehr herzlicher. Da der Officier lange Jahre bei demselben Mgimente bleibt, mit ihm in der Fremde und daheim Freude und Leid theilt, so sieht er seine Kameraden als seine eigentliche Familie an und stellt sich zu ihnen herzlich und vertraulich. Unter den zahlreichen Räumen der Officiersmesfl: pflegt der Bibliothek ein verhältnißmäßig bescheidener Raum reservirt zu sein. Die Stärke des englischen Officiers liegt in dec That nicht im Studiren und im Ablegen von Examina. Obwohl die letzteren in der neuesten Zeit vermehrt und erschwert sind, so bilden sie doch thatsächlich auch jetzt noch kein ernstes Hinderniß für den Examrnfaulen — körperlich hervorragend aus gebildet und praktisch sehr gewandt, findet der britisch« Officier auch ohne Studium und Examina in Afghanistan, im Sudan oder Guinea reichlich« Gelegenheit, sich auszuzeichnen, und das Avancement in der Armee ist auch in der That ein ziemlich schnelles. Welche Mängel sich aus diesem Mangel an wissen schaftlicher Ausbildung ergeben, braucht hier nicht weiter erörtert zu werden. Das sind die Hauptelemente der rigenthümlichsten Armee Europas, einer Armee, die oft besiegt wurde, aber noch nie eine nationale Niederlage erlitt. Von ihren ruhmreichen Traditionen erzählen ihre Fahnen, auf denen u. A. die Namen Malplaquet, Dettingen, Vittoricr, Waterloo, Balaklava zu lesen sind. Zwei ihrer Regimenter, die Royal Horse Guards und die Coldstream Guards, gehen in ihren Ursprüngen noch bis in die Zeiten der Puritaner-Armee zurück. Keine Arme« Europas hat so viel Gelegenheit zu fortgesetzter und mannigfaltiger Kriegsübung, aber alle ihre Kriege pflegen kleinen Maßstabes zu sein. Seit Jahrzehnten hat noch nie ein« so große Zahl britischer Officiere und Mannschaften ihre bequemen, ja luxuriösen Casernements mit den Beschwerden des Krieges vertauscht, wie jetzt beim Boerenkncge.
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