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01-Frühausgabe Leipziger Tageblatt und Anzeiger : 25.10.1899
- Titel
- 01-Frühausgabe
- Erscheinungsdatum
- 1899-10-25
- Sprache
- Deutsch
- Digitalisat
- SLUB Dresden
- Lizenz-/Rechtehinweis
- Public Domain Mark 1.0
- URN
- urn:nbn:de:bsz:14-db-id453042023-18991025013
- PURL
- http://digital.slub-dresden.de/id453042023-1899102501
- OAI-Identifier
- oai:de:slub-dresden:db:id-453042023-1899102501
- Sammlungen
- LDP: Zeitungen
- Strukturtyp
- Ausgabe
- Parlamentsperiode
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- Wahlperiode
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Inhaltsverzeichnis
- ZeitungLeipziger Tageblatt und Anzeiger
- Jahr1899
- Monat1899-10
- Tag1899-10-25
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Gleichwohl haben mir vor Kurzem das Schauspiel erlebt, Latz der leitende Staats mann Rußlands, Graf Murajew, aus Biarritz nach San Se bastian reiste, dort von der Königin empfangen wurde und darauf sich nach Madrid begab, um mit dem Ministerpräsidenten Silvela zu conforiren. Welche Erklärung gtebt es für diesen auffallenden besuch? Die Officiösen beeilten sich, festzustellen, daß die Vor stellung Murajew's in San Sebastian lediglich ein Act der Höflichkeit war, der durch den Aufenthalt des russischen Ministers im benachbarten Biarritz veranlaßt worden sei. Das mag richtig sein, so weit «s sich um di« Königin Christine handelt, aber die Frage bleibt bestehen, warum der Graf L«nn gerade das berühmte französische Bad zum Curgebrauch aufsuchte und ob bas diplo matische Herkommen auch erforderte, in Madrid bei Silvela vor- zusprechen? Es giebt gewiß keinen denkenden Menschen in Europa, der sich mit dieser harmlosen Erklärung der Reise Murajew's zufrieden geben wird. In San Sebastian und Madrid haben zweifellos bedeutsam« politisch« Erörterungen stattgefunden. Di« Wichtig keit dieser «Konferenzen ergiebt sich u. A. auch aus der weiteren Reise des russischen Staatsmannes nach Paris, wo Besprechungen mit Loubet und dem Minister des Auswärtigen, Delcassö, ab gehalten wurden. Nach Lage der Sache und bei dem di« Welt umfassenden Gegensätze zwischen Rußland und England muß man annehmen, baß die Action, welche Graf Murajew unternommen hat und die offenbar bestimmt ist, Frankreich und Spanien in Mitleidenschaft zu ziehen, ihre Spitze gegen Großbritannien richten werde. An die Absicht eines Krieges kann man indeß hier so wenig denken, wie an ein« Intervention zu Gunsten der Boerrn. Trotz der feindseligen Sprache, welche die Petersburger und Moskauer Blätter gegen die beutegierigen Engländer führen, besitzt Rußland nur ein mäßiges und indirectes Jitteresse am Schicksal Trans vaals. Es ist aber wohl anzunehmen, daß man an der Newa den Krieg in Südafrika und die Gebundenheit Englands be nutzen werde, um seine eigenen Geschäfte in Asien zu betreiben, und vor Allem, um gewisse Pläne in Europa in Ausführung zu bringen, die lange Zeit an der Eifersucht der Briten gescheitert waren. Rußland bedarf für sein Mittelmeergrschwader einen sicheren Kriegshafen, der seiner Flotte als Stützpunkt und Ope- rauonsbasis dienen kann- Die Petersburger Diplomatie hat stch lange redlich bemüht, einen solchen Ankerplatz von Frankreich oder Italien zu erwerben. Aber Alles war fruchtlos, und auch die geplante Besetzung der Suda-Bai in Kreta mußte in Folge des Liderstandes der Engländer aufgegeben werden. Nun ist aber Spanien im Besitz einiger Plätze an der Nordküste Marokkos, Vie sich sehr wohl für derartige Zwecke verwenden ließen. Die Bai von Abhuzemas wäre dem Zarenreiche ebenso willkommen, mei M e l i l l a, am meisten jedoch das starke Centa , gegenüber Gibraltar. Dieser Ort, der im Verein mit der bekannten englischen F-stung Len Schlüssel zum Mittelländischen Mrere abgiebt und die Straße von Gibraltar "beherrscht, ist auffallender Weise nie mals von Spanien ausgenutzt worden. Die verschiedenen Madrider Regierungen haben England in allen Fragen Les Mittelländischen Meeres stets den Vortritt gelassen und sich mit einer untergeordneten Roll« begnügt. Daraus größtentheils er klärt sich auch das Uebergewicht, welches England bis auf den deinigen Tag handelspolitisch in diesem bedeutendsten Gewässer Südeuropas ausüben konnte. Die zarische Regierung würde ihrem britischen Nebenbuhler «inen Schlag an einer seiner empfindlichsten Sollen versetzen, wenn sie Spanien zur Abtretung eines Hafens in Nordafrika bawegen könnte. Besonders wenn ihr Ccnta überlassen würde. Die Herrscherstellung Großbritanniens würde damit einen Stoß erhalten, von dem sie sich vielleicht niemals wieder erholen könnte- Günstig genug ist der Augenblick gewählt. Spanien ist machtlos und hat kein Interesse, die Action der Russen gegen die Briten zu verhindern. England ist in Südafrika derart be schäftigt, daß es sich hüten wird, durch Widerspruch, die Russen herauszufor'dern und sie womöglich zur „bewaffneten Ver- theidigung des Vertrages mit Spanien" zu veranlassen. Von Frankreich endlich, daß an Len Mittelmeerfragen gleich falls «in lebhaftes Interesse besitzt, hat Rußland, vermög« seiner intimen Beziehungen, nichts zu besorgen. Damit wären wir an der letzten Station der Reise de l Grasen Murajew angelangt. Denn sein gegenwärtiger Aufenthalt in Paris hat jedenfalls keinen anderen Zweck, als den, di« Zu stimmung der Republik zu Len Abmachungen von Madrid cin- züholen. Kann man daran zweifeln, daß der geschick:« Leiter der russischen Politik auch im Elyss« und am Quai d'Orsay einen vollen Erfolg davonträgt? Zwischen Frankreich und Eng land haben sich im Verlaufe der letzten Jahre so viel« Streit- puncte angehäust, daß die Republik unmöglich «in Interesse daran haben kann, der Schwächung der Briten entgegenzutreten. Wird England im Mittelmeere zurückgedrängt, so mehren sich die Aussichten und Hoffnungen der Franzosen, im Südwesten Europas die Vormacht zu werden. Dann würd« auch die Be handlung der egvptischcn Frage einen anderen Charakter an nehmen und di« afrikanisch«, gegen England gerichtete Politik der Republik könnte energischer und wirkungsvoller betrieben werden. Die französische Regierung wird deshalb den Russen ihre Unter stützung gewiß nicht versagen, wenn es darauf ankommt, die britisch« Stellung im Mittelländischen Meere zu erschüttern. Als Chamberlain in d«r Absicht, den Krieg zu beginnen, svstematisch Li« Boeren reizte und mit voller Ueberlegung den Konflikt mit Transvaal verschärfte, La hat er kaum an die Schwierigkeiten gedacht, die Rußland ihm an and«r«r Stelle be reiten könnte. Jetzt ist es zu spät, das Abkommen des Zaren reiches mit Spanien und Frankreich zu durchkreuzen. Sieger die Engländer in Südafrika, so werden die Russen mit der Aus führung der Vereinbarung wahrscheinlich warten. Sobald sich aber die Lage für Großbritannien ungünstig gestaltet und die Anspannung aller Kräfte erfordert, wird man in Petersburg keinen Augenblick zögern und durch die Besetzung von Centa den entscheidenden Schlag gegen die britische Stellung in Südeuropa führen. Revolution in der Ostmark? Aus den Kreisen des deutschen Ostmarkenvereins wird uns geschrieben: Wovon kein Telegraph, kein vertraulicher Privat brief Kunde gab, das erfährt man aus dem Schluß eines Leit artikels der „Köln. Volksztg.": in Posen ist Revo lution ! Das genannte Polenblatt am Rhein« denkt, indem es von einer revolutionären Bewegung in Posen spricht, nicht an die nationalpolnisch« Propaganda, sondern an die deutschen Katholiken, di« eine größere Berücksichtigung der deutschen Sprache von der katholischen Kirche erbitten. Die „Köln. Volksztg." ist sofort bei der Hand, 98 Procent aller Beschwerden der deutschen Katholiken als „purer Demonstrationslust" ent sprungen auszugeben, weil „nur ganz vereinzelt" es vorkomme, daß polnische Pfarrer die religiösen Bedürfnisse ihrer deutschen Gemeinde-Eingesessenen nicht genügend befriedigen. Auf welche Weise die 98 Procent der „Köln. Volksztg." her ausgerechnet sind, das kehrt ein Blick in einen von der „Köln. Volksztg." vollständig abgedruckten Artikel der „Germania" über die bekannte Angelegenheit der deutschen Katholiken in Wronke. Die „Germania" läßt die deutschen Katholiken Wronkes aus „e t wa 30 See len" bestehen; von deutscher Seite wird die Anzahl der Leurschen Katholiken auf 400 berechnet, denen 3341 Polen gegenüberstehen. D«r Unterschied zwischen 30 und 400 ist so groß, daß di« 98 Procent-Nechnung der „Köln. Volksztg." keiner sonstigen Kritik bedarf. Ebensowenig braucht man sich bei der weiteren Behauptung der „Köln. Volksztg." auf zuhalten, daß diejenigen deutschen Katholiken in der Ostmark, die vom Erzbischof I)r. von Stablewski eine größere Berück sichtigung der deutschen Sprache erbitten, „sich bisher niemals um die Kirch« gekümmert haben." Mit solchen Ausreden wartete die Centrumspresse von dem Augenblick an auf, als die deutschen Katholiken in nationaler Beziehung sich zu rühren begannen. Nicht ohne Widerspruch aber darf die schon eingangs er wähnte Unterstellung des rheinischen Centrumsblattes bleiben, daß die ihrer Nationalität sich bewußt zeigenden deutschen Katho liken Revolutionäre seien. Die betreffende Stelle lautet in dem Polenblatt am Rheine wörtlich folgendermaßen: „Wenn wir unseren Stammesgenossen sagen, daß diese Bewegung eine revolutionäre ist und sich weit weniger gegen das Polen- thum, als gegen die Ordnung der Kirche richtet, so werden sie ihre Hände davon lassen." Das alte Wort „der Zweck heiligt die Mittel" ist lange nicht mit solcher Skrupel losigkeit beherzigt worden, wie im vorliegenden Falle von der „Köln. Volksztg." Denn eine gröber« Verdächtigung der deut schen Katholiken Posens kann es nicht geben. Zum Unglück für die „Köln. Volksztg." trifft es sich gerad« so, daß das genannte rheinische Blatt selbst den richtigen Maßstab für die Beurtheilung der von ihm wider die deutschen Katholiken Posens geschleuderten Verdächtigung liefert. Knapp acht Tage nämlich sind vergangen, seitdem die „Köln. Volksztg." deutsche Katholiken deswegen rühmte, weil sie ihrer Nationalität inmitten eines anderen Volkes eingedenk blieben. In Nummer 967 vom 16. October d. I. schreibt die „Köln. Volksztg." wörtlich das Nachstehende: „Die katholischenDeutschen Nordamerikas kann man als die hervorragendsten Stützen für die Er haltung deutscher Ueberlieferungen jenseits des großen Wassers ansehen. Im alten deutschen Vaterlande ist dies keineswegs allein von katholischer Seite anerkannt worden, vielmehr haben Nichtkatholiken . . . daS Gleiche gestehen müssen und es auch freimüthig gestanden . . . Die katholisch«» Deut schen hält ihr religiöses Interesse auf dem Boden nationaler Erinnerung zusammen, sie haben eine große Anzahl deutscher Pfarrkirchen gegründet und mit diesen Kirchen Pfarrschulen verbunden, die sie mit großen eigenen Opfern unterhalten . . . Von der Energie, mit der gerade das katholische Deutsch-Amerikanerthum an seinem Volks bewußtsein festhält, gab der soeben stattgehabte 4. Katholikenlag in St. Paul, der Hauptstadt Minnesotas, ein Beispiel." — Hier feiert also die „Köln. Volksztg." die deutschen Katholiken Amerikas aus demselben Grunde, um Lessentwillen sie die deut schen Katholiken Posens als Revolutionäre brandmarkt. Die katholischen Deutschen Amerikas dürfen ihre religiösen Inter ellen „auf dem Boden nationaler Erinnerung" verfolgen und deutsch« Pfarrkirchen gründen, der Katholikentag in St. Paul wird wegen der Energie, mit welcher er für sein nationales Bewußtsein Zeugniß ablegtr, gefeiert; wenn aber di- dcutschen Katholiken Posens ihre religiösen Interessen aus nationalem Boden zu fördern suchen, wenn di« Gründung deut scher Pfarrkirchen in Posen vorgeschlagen wird, dann soll das eine revolutionäre Bewegung gegen die katholische Kirche sein! Und wenn in Neiße die Generalversammlung der Katholiken Deutschlands Zusammentritt, dann beteuert die „Köln. Volks zeitung", jene Generalversammlung sei nicht deutsch! Daß gerade jetzt die Centrumspresse dem Polenthum solche geradezu verwegenen Handlangerdienste leistet, ist kein Zufall: in Beuthen-Tarnowitz steht eine Reichstags ersatzwahl in Aussicht. Deutsches Reich. * Leipzig, 24. October. Der Verband conditio- nirender approbirter Apotheker sächsischer Staatsangehörigkeit hat an die Ständever sammlung des Königreichs eine ausführlich begründet« Petition gerichtet, deren Kern lautet: „Der ehrerbietigst unterzeichnete Verband glaubt nicht unberech tigt« Wünsche auszusprechen, wenn er bittet, daß ein System süc Vermehrung der Apotheken aufgestellt werde, welches dem Be» völkerungsz uwachse unter Zugrundelegung einer Normaleinwobnerzahl von 10000 Seelen aus je eine Apotheke und Len Bedürfnissen der Gemeinden, Corpocationen rc. entspricht und bei dem das Anciennitätsprincip der Bewerber berücksichtigt wird — ein System, das in den meisten deutschen Bundesstaaten schon seit Jahren zur Zusriedenheit des gejammten Apolhekerstandes eingehakten worden ist." 1. Berlin, 24. October. (Deutschlands erstes Uebersee-Kabel.) Das deutsche Kabel nach Nordamerika wird innerhalb eines Jahres in Betrieb sein. Die erforderlichen Tonnirungcn und Vorarbeiten sind so weit vorgeschritten, daß im Frühjahr nächsten Jahres mit der Kabellegung begonnen werden kann. Ursprünglich bestand die Absicht, das im Jahre 1896 gelegte deutsch« Kabel Emden-Vigo mittels eines Anschluß kabels von den Azoren nach New Nori für die deutsch-amerika nische Korrespondenz zu benutzen, doch der Verkehr mit Spanien, Portugal, Afrika, Ostasien, Australien und Südamerika, den das Kabel in erster Linie zu vermitteln hat, entwickelte sich derart, daß der Beschluß gefaßt wurde, für den deutsch-amerikanischen Dienst «in directes Kabel zu legen. In technischer Beziehung bestand nun die Schwierigkeit, daß, wenigstens mit den heutigen Betriebsmitteln, auf dem Kabel bei seiner großen Länge nicht ohne Umtelegraphiren von der deutschen bis zur amerikanischen Küste gearbeitet werden konnte, wenn die im überseeischen Kabel betrieb übliche Geschwindigkeit aufrecht erhalten werden sollte. Es mußte deshalb unterwegs ein Punct gesucht werden, wo das Kabel gelandet und in eine Zwischenstation eingeführt werden konnte. AuS verschiedenen Gründen wählte man hierzu die Azoren-Inseln. Von hier aus geht das Kabel direct nach New N»rk, dem Centralpuncte der meisten transatlantischen Geschäfte, während die jetzt vohandenen Linien entweder in Kanada oder weit nördlich von New Nork münden. Durch ein Abkommen der deutschen Seetelegraphen-Gesellschaft, welch« das Kabel Emden-Azoren-New Aork legen und betreiben wird, mit zwei großen amerikanischen Kabelgesellschaften ist erreicht, daß das Kabel unter voller Wahrung der deutschen Interessen an das bestehende,, weitverzweigt« Netz der Lransamrrikanischen telegraphischen Gesellschaften Anschluß findet und sogleich in den Genuß ihrer bewährten Einrichtungen tritt, während andererseits durch vertragsmäßig« Abmachungen mit der deut schen Reichspostverwaltung die Benutzung für eine bestimmte Zahl von Werken gesichert ist. Für die umfangreichen kom merziellen Beziehungen zwischen Deutschland und Amerika dürfte das neue Kabel von großem Einfluß sein; es wird sich aber auch von großer politischer Bedeutung erweisen, da es die Nothwendig- keit beseitigt, im Nachrichtendienst zwischen Deutschland und Amerika lediglich auf die zweifelhaften Dienste Englands an gewiesen zu sein. Die Erkenntniß, welche enormen Vortheile das Nachrichtenwesen vermittelst eigener Kabellinien hat, saßt immer weiteren Boden. Deutschland darf in dieser natürlichen Entwickelung nicht zurück bleiben. Die Linie nach Amerika ist das erste deutsche überseeische Kabel. Sie kann aber nur als erster Schritte angesehen werden, um das Telegraphennetz in der Richtung auf die überseeischen Länder weiter auszudehnen, denn Deutschland muß sich im Tclegrammverkehr mit denjenigen Ländern, an welche es poli tische oder wirthschaftliche Interessen knüpfen, von der Abhängig keit andere Staaten und auswärtiger Privatgesellschaften befreien. Feuilleton. Paris macht Toilette. Von Karl Mintorp. Nachdruck verboten. „Wenn die Könige bcm'n", sagt der Dichter, „haben die Kärrner zu thun." Aber auch wenn di« Republik großartige Bauten aufführt, werden viele fleißige Hände beschäftigt, und Las ist mehr als je der Fall. Nicht blos am Marsfelde, an der Jnvaliden-Esplanade, ar» Len Seinestaden, wo die neue Alexanderbrücke den Strom überspannt, und in den Elysäischen Feldern, wo die Mauern der gewaltigen Ausstellungspaläste aus dem Boden hervorwachsen — nein, an allen Ecken und Enden der Stadt erdröhnt Lie Lüft vom Lärm der Spaten und Schaufeln, der Hämmer, Bohrer und Aext« und vom Gerassel der Lastwagen. Wohin man auch kommen mag, wird Tag und Nacht die Erde aufgewühlt, Schutt abgefahren, Material aller Art in ungeheuren Massen hrrbeigeschleppt, gemauert und ge zimmert, als gälte rS, den Helion auf den Ossa zu thürmen. Mit fieberhafter Rastlosigkeit wird in einer erstaunlich kurzen Spanne Zeit, innerhalb etlicher zwanzig Monat«, ein gewaltiges Wert vollbracht, ein Werk, welches die Aufgabe hat, das alte Paris völlig umzugestalten, die Bevölkerung dem öden Pessi mismus und unfruchtbaren politischen Gezänk, in deren Bann sie schon seit Jahren festgehaliten wird, zu entreißen und ihr die alte Schaffensfreudigkeit wiederzugeben. Dieses Werk ist die Stadtbahn. In keiner Großstadt empfindet man so sehr den Mangel an raschen, bequemen und billigen Verkehrsmitteln wie in Paris. Die Omnibusse sind überfüllt und werLen an den zahlreichen Haltestellen ihrer Strecke durch die Controleure, welche dort Las Ein- und Umsteigen der Reisenden auf dem Fahrzettel des Schaffners zu vermerken haben, so lange zurückgehalten, daß ein guter Fußgänger sie leicht überholt. Eine Droschkenfahrt kostet einschließlich des obligaten Trinkgelds 2 Franc»; dafür kann man allerdings von einem End« der Ltadt bis zum anderen fahren, aber so extreme Touren bilden doch schließlich Ausnahme fälle; in der Regel Hai man das Bedürfniß, eine Viertel oder halbe Stunde weit befördert zu werden, und dafür Hal man genau den gleichen Preis wie für eine stundenlange Fahrt zu entrichten. Tritt nun diese Notwendigkeit blos ein- oder zweimal täglich ein, so kann man sichs noch gefallen lassen; wie aber, wenn man viele Wege zu machen hat? Dann wird die Ausgabe selbst für das Budget eines nicht Unbemittelten ziem lich lästig! Außerdem haben auch die Fiaker die unangenehme Eigenschaft, gerade dann, wenn man sie am nöthigsten braucht, besetzt zu sein. Der Bau der Stadtbahn wäre also auch ohne die Weltausstellung eine unabweisbare Notwendigkeit gewesen. Diese Bahn, oder vielmehr dieses complicirte Netz von Bahnen, die den Norden und Süden, den Osten und Westen der Stadt durchschneiden, alle ihre Theilc unter sich und mit dem Ausstellungsgebirte verbinden sollen, wird hoffentlich die Ver kehrsverhältnisse von Paris gründlich verbessern und auch in den „esprit äs quartier", der hier seit alter Zeit herrscht und der «in« gewisse Ähnlichkeit mit dem „Kantönligeist" der Schweizer aufweist, eine Bresche legen. Kein Großstädter ist so philisteriös seßhaft in seinem Stadtviertel wie der Pariser. In London, in Berlin u. s. w. Hai sich ja auch ein gewisses abgegrenztes Leben der Metropolitanen Bezirke herauSgebildet, aber man ist doch nicht in solchem Maße „eingrmauert" wie hier, wo das Quartier nicht blos ein ehrwürdiger historischer Begriff ist — jedes der 20 Arrondissem«nts von Paris hak seine vier „Viertel", und daher der Name —, sondern ein« Realität des täglichen Lebens, der sich jeder Bewohner, als könnte es gar nicht anders sein, sklavisch unterwirft. Nur di« „emaneipirten" Leute sind so un ternehmend. Man zieht wohl mit Kind und Kegel am rli- OnrSms und Hlaräi-Oras schaarenweise auf di« großen Boule vards hinab, um sich den Mummenschanz anzusehen, oder in bewegten politischen Zeiten, um die Kundgebungen zu beobachten — oder mitzumachen — und die Wahlergebnisse noch deS Abends zu erfahren. Aber um elf Uhr, spätestens um Mitternacht, kehrt man in sein geliebtes Stadtviertel zurück, die Einen nach Piepus, di« Anderen nach Saint Philippe oder Chaillot oder nach den Quinze-Vingt». Hier kennt Jeder Jeden und Jed«, und wenn rin Fremder dort rinzieht, so misten nach vierzehn Tagen die Nachbarn mehr von ihm als er selbst, und die Garmins lächeln ihm vertraulich zu, und die kecken Gören nicken „bon jour, .Vlonsieur", und: „II est äs notrs quartier". Diese Abgeschlossenheit der Stadtviertel mag mit dem Er werbsleben Zusammenhängen, das die verschiedenen Produktions zweige in gewissen Straßenzügen gruppirt hat. So ist fast das ganze Papier- und Buchgewerbe auf dem linken Seineufer zwischen Pantheon und Saint-Sulpice zusammengedrängt; in einem anderen Viertel trifft man alle Gerber, wieder in anderen die zahllosen kleinen und großen Fabrikanten des „/trtisls äs I'aris", in anderen die Mode, die Stoffe, die Möbel, die Ta- pctenindustrie u. s. w. Daran wird die Stadtbahn nun freilich nicht viel ändern können, aber wenigstens wird sie die einzelnen „Viertel" in engere Berührung miteinander bringen und dadurch den Geist der Routine und die Einseitigkeit, um nicht zu sagen die Beschränktheit, des sonst so liebenswürdigen Pariser Völkchen durch jenes universelle Begreifen und Streben ersetzen, das der Ausländer bisweilen so ungern an ihm vermißt. Ist doch der National-Particularismus der Franzosen im Grunde nur der Gesammtausdruck ihres Stadtviertel- und Kirchthurm-Parti- cularismuS! Hand in Hand mit dem Bau der Stadtbahn geht noch ein anderes Werk: die Kanalisation von Paris. Die hygi- einische und kulturelle Bedeutung dieses Unternehmens wird Jeder zu würdigen wissen, welcher einmal Gelegenheit gehabt hat, die geradezu kläglichen, alber Beschreibung spottenden Verhältnisse kennen zu lernen, welche in dieser Beziehung hier herrschen und welche kaum noch in Neapel ihres Gleichen finden dürften, Zu stände, die nur allzu oft an den römischen Namen von Paris, „Lutetia", auf gut deutsch: „Schmutzstadt", erinnern. 8a- pienti sat! Endlich darf ich nicht unerwähnt lassen, daß diese doppelte Unterwühlung der Stadt zu zahlreichen Privat - Neu bauten Anlaß gegeben hat und noch giebt, welch« durchweg, namentlich in den westlichen Stadttheilen, den Ansprüchen mo dernen Komforts im vollsten Umfange Rechnung tragen. Ins besondere giebt es jetzt erfreulicher Weise viele neue Häuser mit Fahrstühlen, elektrischem Licht, Dampfheizung u. s. w., und jede bester« Wohnung ist, statt mit den veralteten Kaminen, mit guten Oefen, sowie mit einem Badezimmer ausgestattet. Paris fängt jetzt wirklich an, auch für gewöhnliche Sterbliche, die ein gesun des, behagliches Heim verlangen, bewohnbar zu werden. Inzwischen erörtert man lebhaft die Frage, ob denn Paris bis zur Eröffnung der Ausstellung seine Toilette beendet haben werde, insbesondere ob man die Stadtbahn werde in Betrieb setzen können. Dir Skeptiker bezweifeln es, — das ist nun ein mal ihr Beruf, — aber die Optimisten behaupten es bestimm:, und bisher haben die Optimisten in Allem, was Paris betrifft, stets Recht behalten. „I'Iustuat neo nrer^itur" ist die Dev:s« der Stadt, und ihr Schifflein umsegelt munter alle Klippe.. Schon ist ein Sektor der Bahn, das Boulevard Sebastopol en: lang, im Mauerwerke des Tunnels vollendet. Am vorigen Sonn abend war, wie ein bunt bebänderter Kranz auf der Straßen insel, von der man zur Station hinabsteigen wird, verkündet«, fröhlicher Richtschmaus, wobei die Streikenden vom vorigen Jahre mit ihren Meistern und den städtischen Bauführern vec gnügt anftießen. Freilich, das Straßenpflaster ist noch immer aufgerissen, und wahr« Barrikaden hemmen an vielen Punkten sogar drn Ver kehr der Fußgänger und vollends gar den der Wagen. Das ist mißlich für di« gesellschaftlichen Kreise. Di« Gäste erscheinen mit starken Verspätungen und oft in etwas ramponirtem Zu stande; manche Visite, zu der man sich verpflichtet fühlt, muß man aufschieben, und selbst der obligate Blumenstrauß erreicht nicht ungefährdet seinen Bestimmungsort. Auch der Besuch der Theater ist erschwert. Glücklicherweise hat die Saison noch nicht recht begonnen. Di« meisten Bühnen haben vorerst ihr altes Repertoire wieder ausgenommen. Viel Neues dürfte es im ersten Therlr der bevorstehenden Spielzeit überhaupt nicht geben, wenig stcns nichts Hervorragendes, denn die Directoren sparen ihr« ganze Kraft und ihren ganzen Erfindungsgeist für die Jabr Hunderts-Weltausstellung auf, um den Fremden etwa» recht Apartes vorfllhrrn zu können. Mit den beliebten „Entkleidunys stücken" ist'S da nicht mehr gethan; dm Effert dieser Gattung dramatischer Kunst hat man bereit» in aller Welt genügend ge kostet und möchte gern etwa» Andere» erleben.
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