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01-Frühausgabe Leipziger Tageblatt und Anzeiger : 31.10.1899
- Titel
- 01-Frühausgabe
- Erscheinungsdatum
- 1899-10-31
- Sprache
- Deutsch
- Digitalisat
- SLUB Dresden
- Lizenz-/Rechtehinweis
- Public Domain Mark 1.0
- URN
- urn:nbn:de:bsz:14-db-id453042023-18991031015
- PURL
- http://digital.slub-dresden.de/id453042023-1899103101
- OAI-Identifier
- oai:de:slub-dresden:db:id-453042023-1899103101
- Sammlungen
- LDP: Zeitungen
- Strukturtyp
- Ausgabe
- Parlamentsperiode
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- Wahlperiode
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Inhaltsverzeichnis
- ZeitungLeipziger Tageblatt und Anzeiger
- Jahr1899
- Monat1899-10
- Tag1899-10-31
- Monat1899-10
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Größere Schriften laut unserem Preis- verzeichniß. Tabellarischer und Zisfernsatz nach höherem Tarif. vrtra-Beilagen (gefalzt), nur mit der Morgen»Ausgabe, ohne Postbefürderung SV.-, mit Postbeförderung ^l 70.—. Ännahmeschlnß für Anzeigern Ab end-Ausgabe: Vormittag« 10 Uhr. Morgen- Ausgabe: Nachmittag« 4 Uhr Bei den Filialen und Annahmestellen je »ine halb« Stunde früher- Anzeigen find stets an die Expedition zu richten. Druck und Verlag von L. Polz in Leipzig. Dienstag den 31. October 1899. 83. Jahrgang 555. su^.l '»'» ", >!-.^t - «--->«! > Rußland und England in Westasien. V. 8. Ter Kriegsausbruch in Südafrika hat eine be- merkenswerlhe Verschärfung der Beziehungen zwischen Ruß land und Großbritannien zur Folge gehabt. Beunruhigende Gerüchte von englischen Rüstungen und von bevorstehenden Actionen der vereinigten russisch - französischen Flotte werden seit Kurzem in der Presse verbreitet. Di« englische Ne gierung hat, wie bekannt, die Milizen einberusen und bildet ein Reservegeschwader, dessen Ziel indeß nicht der Süden Afrikas, sondern das Mittelländische Meer oder der Indische Ocean mit der Südküste Persiens bilden soll. Auf Persien bat das Zarenreich schon lange seine besondere Aufmerksam keit gerichtet und Erfolge dort errungen, die den Argwohn und die Besorgniß seines britischen Nebenbuhlers Wohl er regen können. Bor wenigen Monaten war das Gerücht verbreitet, die russische Regierung habe mit dem Schab ein Abkommen wegen der Abtretung des Hafens Bender AbbaS getroffen. Die Bedeutung dieses Platzes, der den Eingang znm persischen Golfe beherrscht, ist seiner Zeit ausführlich gewürdigt worden. Der energische Wider spruch Englands brachte indeß die Sache alsbald zum Stillstand, und von russischer, wie von persischer Seite beeilte man sich, sestzustellen, daß nichts derartiges beabsichtigt sei. Wie weit diese Erklärungen auf Wahrheit beruhten, mag offen bleiben; jedenfalls wäre der Zeitvunct für Ruß land schlecht gewählt gewesen, eine derartige Erwerbung vor zunehmen. Seitdem war lange von Unternehmungen deS Zarenreiches in Persien so gut wie nichts zu hören. Erst im Laufe dieses Herbstes, als der Krieg in Südafrika bereits am politischen Himmel erschien, erfuhr man, wie umsichtig und zielbewußt Rußland vorgearbeitet hatte, um seinen Einfluß in Westasien zu festigen und die Engländer allmählich zu verdrängen. Den Schauplatz der Thätigkeit hatte man nur aus dem Süden in den Norden verlegt. Dort nämlich war das Zarenreich un- z erwartet als handelspolitischer Factor in die Arena getreten. H Schon der Bau der Eisenbahn vom KaSpischen Meere nach Samarkand bereitete den Engländern einiges Unbehagen. Als dann bald darauf eine Straße von Mesched nach Aschkabad, der nächsten Station dieser wichtigen Linie, mit bedeutenden Geld opfern zu Stande kam und eine Verbindung der reichen Provinz Ehorassan mit dem europäischen Rußland hcrgestellt war, da mußten die Briten die Wahrnehmung machen, daß der russische Handel allmählich der herrschende in den nordwestlichen Theilen Persiens wurde. Mit den beiden VerkehrSmöglichkeiten begnügte man sich indeß in Petersburg nicht. Verschiedene Gründe machten es wiiufchenswerlh, eine directe Verbindung zwischen dem Kas pischen Meere und der Hauptstadt Persiens herzustellen. So wurde eine neue Chaussee, die von Rescht nach Teheran führt, angelegt. Damit muß der russische Handel einen weiteren Aufschwung nehmen und wirthschaftlich das Land immer mehr beeinflussen. Mit der wirthschaftlichen Herrschaft würde aber die politische Hand in Hand gehen. Letztere immer weiter auszudehnen, den Schah zu einem Werkzeug in der Hand des Zaren und sein Reich zu einem Vasallenstaate desselben zu machen, ist Wohl der eigentliche Zweck des raschen Aus baues der Verkehrsmittel mit Persien. Die Unterwerfung Mussafer-Eddin's unter den Willen deS Kaisers von Rußland ist nun aber im Hinblick auf den Gegensatz zu England von großer Bedeutung. Ein gefügiger und dem Zaren Wohl gesinnter Schah, dessen Grenzen durch Eisenbahnen und Chausseen mit dem Kaiserreiche des Ostens verbunden sind, wird den russischen Truppen den Durchzug nach Indien gern gestatten, wenn es ein Mal zu ernsten Auseinandersetzungen zwischen den beiden rivalisirendcn Großmächten kommen sollte. Ein Hinderniß wäre freilich Afghanistan, vorausgesetzt, daß der Emir den Engländern treu bleibt und der russischen Armee daS Betreten seines Gebietes versagt. Nun sollen aber dort gerade die russischen Agenten in wirksamer Weise vorgearbeitet und Abdurrahman zu einer Schwenkung in russenfreundlichem Sinne veranlaßt haben. DaS häufig geleugnete Gerücht, daß Rußland und Afghanistan ein Abkomme» gegen England ge- chlofsen, ist bis heute nicht auS der Welt verschwunden, lnd wenn auch ein wirklicher Vertrag bisher noch nicht icsteht, so gewähren die verschiedenen strategischen Bahnen Rußlands an der Grenze Afghanistans diesem die Möglichkeit, den Emir seinem Willen gefügig zu machen. Dazu kommt die Erkrankung Abdurrahman's, die, wenn sie einen Thronwechsel zur Folge haben sollte, die Russen zur Einmischung und Einsetzung eines ihnen genehmen Herr scher« veranlassen würbe. Hieraus kann man ersehen, daß die Engländer gegründete Ursache haben, wegen der Lage in Westasien besorgt zu sein und Truppen und'Kriegsschiffe in den Indischen Ocean, zum Schutze ihrer Interessen am Golfe von Persien, zu entsenden. So aleichgiltig übrigens, wie man vielleicht annehmen wollte, hat England den Fortschritten des Zarenreiches in Persien nicht zugeschaut. AuS den Petersburger Blättern erfahren wir die Thatsacke, daß die britische Negierung in Folge eines kürzlich vereinbarten Vertrages mit dem Cban von Kelat den Bezirk von Nusebki erworben hat. Der Preis dieses Landzuwachses beträgt 9000 Rupien jährlich. Der Nusebki-Bezirk liegt im Norden von Beludschistan, ist wüst und gebirgig und besitzt eine rohe und wilde Bevölke rung. Seine Bedeutung für England liegt nun darin, daß der Handelsweg aus Indien nach Persien durch dieses Gebiet führt. Zunächst ist es mit dem Verkehr dort schlecht bestellt; auch müßte die Bevölkerung gebändigt werden. Ist das aber einmal geschehen und ein englisches Consulat in Beludschistan gegründet, so wird man daran denken, eine Eisenbahn an die Grenze Persiens zu führen. Eine südliche Linie in britischen Händen wäre nun eine empfindliche Con- currenz für die russische TranSkaspibahn und die mit ihr verbundenen Handelsinteressen. Der russische Handel würde sich in Cborassan seinem alten Feinde gegenüber sehn und eS ist die Frage, ob er ihm auf die Dauer widerstehen könnte. Bei diesem Plane handelt cS sich um etwas, was im Schooß der Zukunft liegt. Einstweilen sind die Russen noch die Herren der Lage und sie werden alle Anstrengungen machen, um e» ferner zu bleiben. Bis die Engländer ihre Bahn an die persische Grenze gebaut und damit den Handel jener Gegenden in die Hand bekommen haben, kann daS Zarenreich manchen Gegenzug unternehmen und auch im Süden den Vorrang erringen. Weit näher ist im Augenblick die Entscheidung über den Hafen an der Straße von Hormuz und die Oberherrschaft über den Persischen Golf. Ein Zusammenstoß der englischen Flotte mit der russisch-französischen in ven westasiatischen Gewässer» wird von Vielen für keineswegs unwahrscheinlich gehalten. Trotz der drohenden Rüstungen glauben wir nicht an eine solche unmittelbare Kriegsgefahr. Rußland wird warten, bis die englische Streitmacht in Afrika vollständig beschäftigt und nicht im Stande ist, ihm hindernd in den Weg zu treten. Dann wird es seine Forderungen in Europa und Asien geltend machen und bei der Begleichung gewiß nicht auf Widerstand stoßen. Eine Wiederholung der Politik auS dem Herbste 1870, als die Schwarzmeerclausel zerrissen wurde. Die Nationalliberalen und die „Zuchthausvorlage". Von Herrn Professor vr. Biedermann werden wir um Aufnahme der folgenden Erklärung ersucht: „In Nr. 550 deS „Leipziger Tageblattes" befindet sich ein Artikel: „Die Nationalliberalen und die Zuchthausvorlage". Darin ist behauptet, daß sich bis heute noch kein national liberaler Mann, geschweige denn eine national liberale Organisation auf den Boden deS Arbeiter schutzgesetzes gestellt habe. Dem muß ich widersprechen auf Grund folgender offen kundiger Thatsachen: 1) DaS Telegramm vom 20. Juni, welches eine Anzahl von Mitgliedern deS Vorstandes der nationalliberalen Partei SacksenS an die nationalliberale ReichstagSfraction richtete, enthielt folgenden Wortlaut: Angesichts der feststehenden Thatsache, daß di« Socialdemokratie durch einen maßlosen Terrorismus gegen die Arbeitswilligen nicht nur die persönliche Freiheit und di« ökonomische Wohlfahrt deS ein zelnen Arbeiters auf« Höchste beeinträchtigt, sondern auch die Ge- sammtinteressen von Gewerbe und Industrie schädigt, er achten wir eS für dringend nothwendig, daß diesem Terro rismus wirksam Einhalt gethan werde. Die gesetzlich verbürgte Coalitionsfreiheit der Arbeiter muß aufs Strengste gewahrt, aber ebenso streng muß jedem Versuche eine- LoalitionkzwangeS gewehrt werden. Diese« ist nach unserer Auffassung Sinn und Zweck deS dem Reichstage von den verbündeten Regie- rungen vorgelegten Gesetzentwurfes zum Schutze deS Arbeitsverhältnisses. Wir wünschen, vorbehaltlich einer näheren Prüfung seiner Einzelbestimmungen, daS Zustande kommen eines solchen SchutzgesetzrS. 2) Die Versammlung vom 22. October, die auS einigen 40 Delegirten der nationalliberalen Partei deS Königreichs Sacksen bestand, hat (laut „Tageblatt" vom 23. Oktober) einstimmig folgende Resolution gefaßt: Unter voller Billigung der am 20. Juni o. I. von Seiten angesehener Leipziger Vorstandsmitglieder des nationalliberaien Vereins für das Königreich Sachsen über den „Gesetzentwurf zum Schutze des gewerblichen Arbeitsverhältnisses" der nationalliberalen Rrichstagssroction telegraphisch zum Ausdruck gebrachten Auf- fassung spricht die Versammlung das Vertrauen aus, daß die nationalliberale Fraktion im Reichstage sich einer Mitarbeit an der Verbesserung und Erweiterung des 8 153 der R.-Gew.-O. nicht entziehen werde. Die Versammlung giebt sich der Hoffnung hin, die nationalliberale Fraktion werde dabei den Gesichtspunkt festhalten, eS dürfe auf der einen Seite die gesetzlich bestehende Coalitionsfreiheit nicht angetastet, eS müsse aber auf der anderen Seite dem Terrorismus der Socialdemokratie entschieden entgegengetreten und den Arbeitswilligen der Schutz des Gesetzes in noch höherem Maße als bisher zu Theil werden. 3) In dem von mir erstatteten Referat, auf welches hin diese Resolution gefaßt wurde, war gesagt: Ich beklagte, daß der Reichstag durch die in der ersten Lesung beschloßene Ablehnung einer Conimissionsberathung den sonst üblichen Weg der Verbesserung solcher wichtiger Gesetzentwürfe verlassen habe; ich hielt die vorhandenen Gesetzesbestimmungen (8 153 der Gewerbe- Ordnung und Strafgesetz) nicht für ausreichend zu einem wirksamen Schub der Arbeitswilligen gegen den von socialdeinokratischer Seite auf sie geübten Zwang*); endlich fände ich es unbegreiflich, wie man in dem Rcgierungsentwurse eine Beschränkung oder Bedrohung der durch 8 152 der Gewerbe-Ordnung den Arbeitern gewährleisteten Coalitionsfreiheit habe erblicken können. Nach alledem kann wenigstens von Sa chsen nicht gesagt wer den: „kein nationalliberaler Mann.geschweige denn eine national liberale Organisation, stelle sich auf den Boden deS Arbeiter schutzgesetzes", denn sowohl die Absender deS Telegramms vom 20. Juni alS die Versammlung vom 22. Oktober und deren Referent haben zwar nicht einseitig auf der Form und den Einzel bestimmungen der Regierungsvorlage beharrt, vielmehr er klärt, daß sie auck mit einer Verbesserung und Erweiterung deS § 157 der Gewerbe-Ordnung zufrieden sein würden, *) Tas Gleiche that der stellvertretende Vorsitzende des national liberalen Vorstandes, Reichsgerichtsralh a. D. l)r. jur.Stenglein, der als Redner in der Versammlung vom 22. Oktober auftrat. (Siehe d. Abdruck seiner Rede im „Leipz. Tagebl." Str. 552.) allein an dem Grundgedanken der Vorlage, die Noth- Wendigkeit eines „stärkeren Rechtsschutzes der Arbeitswilligen", habe« sie unwandelbar festgehalten. Karl Biedermann/' Wir bedauern, daß wir durck den von Herrn Professor Biedermann bekämpften Satz Anlaß zu einem Miß verständnisse gegeben haben. Denn nur um ein solches handelt e« sich. Mit der Tendenz der Regierungs vorlage, den Arbeitswilligen einen wirksameren gesetzlichen Schutz zu schaffen, sind wir ganz ebenso einverstanden, wie der verehrte Nestor der nationalliberalen Partei. Mit dieser Tendenz sind sogar die Herren Abgeordneten Bassermann und Casselmann im Grunde einverstanden. Wir haben auch nur seststellen wollen, daß für die Vorlage so, wie sie ist, noch keine nationalliberale Stimme sich erhoben bat. Daffelbe bat Herr ReichsgerichtSrath a. D. vr. Stenglein fest gestellt, indem er in der Versammlung vom 22. Oktober ausführte: Er sei außerordentlich überrascht, daß man sich überhaupt noch die Mühe gebe, den Gesetzentwurf zum Schutze der gewerb lichen Arbeitsverhältnisse in seinen Einzelheiten widerlegen zu wollen. Derselbe sei allseitig als wenig glücklich sowohl in seinen Bestimmungen als in seiner Fassung, mit seinen dehnbaren Begriffen und Unklarheiten (Zuruf: Juristisches Monstrum!) auf- gegeben, so daß bezweifelt werden dürfe, ob es der Reichsregierung noch darum zu thun sei, ihn eingehend berathen zu sehen. Obgleich er also ganz dasselbe in Bezug auf die Vorlage, wie sie ist, äußerte, was wir gesagt haben, stimmte er doch der die Tendenz der Vorlage billigenden Resolution zu. Das Gleiche that unser Chefredakteur. Auf diese Ueber- einstimmung der Beurtheilung sowohl der Vorlage, wie sie ist, als auch ihrer Tendenz gründen wir unsere Hoffnung, baß am Ende doch noch eine völlige Uebereinstimmung der nationalliberalcn ReichStagsfraction bezüglich der der Vorlage zu gebenden Fassung sich werde erreichen lassen. Denn da auch die Herren Bassermann und Casselmann mit der Tendenz der Vorlage einverstanden sind, so würden sie mit sich selbst in Widerspruch kommen, wenn sie einer Fassung widerstrebten, durch welche die Tendenz rein zum Ausdrucke gelangt und die von der ursprünglichen Vorlage mit Recht befürchteten Nach theile abgewendet werden. Deutsches Reich. -4- Berlin, 30. Oclober. (OeffentlicheS Recht und bürgerliches Reckt.) Mit Rücksicht auf die bevorstehende Einführung des Bürgerlichen Gesetzbuchs haben die deutschen Negierungen neue Studieuordnungen für ihre Länder erlassen. Bei einer Prüfung derselben kann man sich leider deS Eindrucks nicht erwehren, daß sie zum Theil bas größere Gewickt auf daS Privatrecht legen. Es ist deshalb wobl an der Zeit, wenn der Heidelberger Rechtslehrer Professor Georg Meyer im Vorwort zu der soeben erschienenen V. Auflage seines „Lehrbuchs des deutschen StaatS- rechtS" (Verlag von Duncker <L Humblot in Leipzig) nachdrücklich auf die Bedeutung deS öffentlichen Rechtes für die Rechtswissenschaft und für unsere ganze politische Ent wicklung hinweist. „Es wäre im höchsten Grade zu beklagen", schreibt Meyer, „wenn das große nationale Gesetzgebungs werk die Folge hätte, daß die Bildung unserer Juristen wieder eine einseitig privatrechtliche würde. Haben wir doch unter diesem Uebelstande lange genug zu leiden gehabt." — Das Inkrafttreten des Bürgerlichen Gesetzbuchs ver anlaßt den genannten Heidelberger RcchtSlehrer noch zu einer zweiten Bemerkung. Er schreibt: „Vom Beginn deS nächsten Jahres an ws»d daö Privatrecht in Deutschland überwiegend auf reichsrechtlicher Grundlage be ruhen und neben dieser daS Particularrecht nur noch eine beschränkte Rolle spielen. In dem größten Theile der LeiriHetsn. „Thurmhanne". Eine Sage auS der Neuzeit, erzählt von Marie Bohm. Nachdruck verboten. (Schluß.) Der Schlußvers des Liedes war noch nicht zu Ende, als sie, von Neugierde getrieben, schnell von ihrem Lager aufsprang, eiligst das Fenster öffnete und auf daS Dach niederschaute, von dem ihr zwei schelmische dunkle Augen entgegen lachten. Ach, dort hing, nur mit einem Tau an einem Balken be festigt, auf einem hölzernen Sitz. Mischen Himmel und Eide der schwarzgelockte Bursche von gestern- Doch war er nicht allein, denn ameisenartig krochen auf dem Dache die Dachdecker um her, welche eine blanke Schieferplatte an die andere fügten, um jene glatte, glänzende, schräge Fläche zu bilden, die noch heute die Besucher des LhurmeS in Erstaunen setz:. Erschrocken fuhr Hanne zurück. So wie dieser Mensch hatte sie noch Niemand angesehen. Augenblicklich zog sie sich noch einmal auf ihr Lager zurück, wo sie sich weiblich dehnt« und streckt«, aber schlafen konnte sie nicht mehr, denn die Sonne schien gar zu hell in« Fenster, und draußen hämmerte es und lärmte es gewaltig. Sie mußte sich doch wohl wieder- erheben. Bald stand sie vor dem Spiegel und betrachtet« sich eifrig. — Der erste Verehrer bringt dem Mädchen oft da« Bewußtsein der Schönheit. So überlegte auch Hanne, ob eS dir Reize ihre« Gesichtes seien, die die Blicke Les Jünglings fesselten. Sie mußte wohl von ihrer Prüfung befriedigt sein, denn als sie noch einmal an daS Fenster trat, um dasselbe wieder gu öffnen, umspielte ein Lächeln ihr« Züge. Kaum strömte die frischt Morgenluft in die kleine Schlafkammer, so flog «in Gegenstand durch die Fenster öffnung. Bei nÄherer Betrachtung gewahrte sie einen Ball, um den ein Papierstreifen gewickelt war, der mit Bleistift geschrieben die Wort« enthielt: „Antonio Bussato grüßt die weiß« Taube von gestern." So etlwas war Hannen noch nicht vorgekommen. Sie schämt« sich bis ins Herz hinein und eilte zur Mutter, um ihr die Unverschämtheit zu klagen. Indessen brachte sie die Er zählung der Unihat nicht über ihre Lippen. Das Einzige, waS sie that, war, daß sie sich einig« Tage streng zur Mutter hielt und nicht einmal wagte, di« Brücke zum anderen Dhurm zu überschreiten. Antonio mußte wohl fühlen, daß er zu kühn gewesen. Er hielt sich hübsch in der Ferne- Nur seine Stimme ließ er bei der Arbeit fräftiy erschallen, und sein« duniklen Augen flammten feurig auf, wenn er die Helle Gestalt auf der Galerie erblickte. Antonio war kein gewöhnlicher Arbeiter, sondern der Sohn eines italienischen Meisters, der überall hingerufen wurde, wo es galt, monumen talen Bauten durch ein künstlerisch ausgeführtes Dach die architektonische Vollendung zu geben. Antonio sollte seinem Vater in dieser Laufbahn folgen. Zu diesem Zwecke war er eben dabei, seine Lehrzeit, und zwar in Deutschland, durchzumachen. Die freundliche Erscheinung der Thiirm«rstochter wurde ihm bei der harten Arbeit nicht nur ein angenehmer Zeitvertreib, son dern sie «rregt« auch da- heißblütige Temperament des poetisch angelegten Jüngling». Nach einigen Tagen wurde es Hanne müde, den süßen italienischen Melodien nur von ferne zu lauschen. Eine Rose kn der Hand, wanderte sie eine- Tages muthig über die Brück«, der Galerie de» anderen Thurmes zu, neben welchem Antonio arbeitete. Tie legte sich mit dem Oberkörper auf daS Ge länder und ließ — doch wohl zufällia — die Rose gerade vor Antonio hinfallen. Ein freudiges „Danke, danke!" war die Antwort dieser That, der bald ein Plauderstündchen aus der Entfernung folgte. — Erfinderisch, wie er war, wußte sich Antonio bald den Eintritt zur Wohnung des Thürmers zu erschleichen. Eine Depesche, welche er für seinen Meister in dem Thurme aufgeben sollte, bahnte i-hm hierzu den Weg. Jonas Uebrr fand Gefallen an dem jungen, lebensfrischen Fremdling und lud ihn selber rin, ihm und seiner Familie an Feierabenden etwas von seinem schönen Vaterlande zu erzählen. Von diesem freundlichen Anerbieten machte Antonio den freiesten Gebrauch. Es gab wohl kaum einen schönen Sommerabend, an dem man nicht bis zu später Stunde seine wohllautende Stimme auf der Galerie erkennen konnte- Hanne war bei den poetisch gefärbten Schilderungen ganz Äug' und Ohr, und täglich umfing die tiefe, weich« Stimme mehr ihr Gemüth. Ebenso wurde die Seele des Jünglings ganz von der Holdseligkeit deS blonden Mädchens erfüllt. — Doch JonaS Ueber war ein strenger Hüter des Rufes seines Töchter leins; niemals wurde es Antonio gestattet, allein mit ihr zu verkehren! — Schon nahte die Vollendung der Erneuerung des Kirchen daches, mit ihr eine Trennung auf Nimmerwiedersehen, und immer noch hatten sich die Herzensergüsse des jungen Paare» auf ein unausgesprochenes Sehnen beschränkt. Di bor sich ihnen uner wartet «in günstiger Zufall, oder vielmehr Antonio ergriff die Gelegenheit sogleich beim Schopfe. — Wegen Unpäßlichkeit der Mutier mußte Hanne Schwester Johanna diesmal allein die Glückwünsche der Familie zu ihrem Gebur:«tage hinausbringen. Wohlgeschmllckt, «in Körbchen am Arm und «inen Blumenstrauß in der Hand, trat Hanne an einem klaren TonntagSmorgen die Wanderung an. Schnellen und muthigen Schrittes durcheilte sie Stadt und Park. Ach, ihr war so heiter und glücklich zu Muthe wie nie zuvor. Das Vorgefühl einer ni« gekannten Wonne berauschte ihr Gemüth. Eben wollt« sie «inen Kreuzweg überschreiten, als plötzlich Jemand eine Hand auf ihre Schulter legte und mit ein«m: „Guten Tag, kigginn mia" Antonio'S Stimme an ihr Ohr schlug. „Antonio, wie können Sie mich so erschrecken", rief sie, zit ternd vor Angst. „Eine Signorina darf nicht allein auf das Land gchen. Sie muß einen Beschützer haben. Ich werde sein Dein krotsttore. Ich werde Dich rudern in der Oonckoln piccoln nach den caso öiaueüe, ja nach den weißen Häusern, und wir werden haben einen sehr glücklichen Tag." „Ab«r Antonio, was wird der Vater dazu sagen?" „Dein Vater ist nicht hier! Er hat vergessen, wie junge Leute fühlen und denken!" Hiermit nahm er ihre Hand und führte sie bis an das bereit liegende Boot, in das er sie mit seinen starken Armin hob. Langsam nur ging die Fahrt aufwärts. Was sollten sie auch eilen? „Verweile doch, du bist so schön", konnten sie zum Augenblicke sagen, und das Morgenroth der ersten Lieb« war beseligend für sic angebrochen. Was sie sich sagten, w«r könnte es wiederholen? Es war eben jenes wonnige Kosen, wie es aus reinem Herzen strömt. Endlich war di« Landungsstelle der weißen Häuser erreicht. Indem «r «inen Kuß auf ihr« Lippen drückte, hob er sie wieder aus dem Kahn, und als sie sich trennten, ri«f er ihr noch ein „Auf Wiedersehn, carisoiuaa wia, — ich erwarte Dich" zu! — Ganz anders al» sonst erschien Hannen heute die Welt, und auch die Bewohnrr der weißen Häuser sah sie mit anderen Augen an. Für das unglückliche Mädchen besonder» hatte sich ihr Mit leid verdoppelt, denn si« verstand jetzt ihren Schmerz. „Ach", seufzte sie bei ihrem Anblick, „waS wird aus mir werden, wenn Antonio fortgeht und nicht wiederkommt, wenn er eine Andere findet und ich hier allein bleiben muß! Wird mich dann Schwester Johanna auch pflegen müssen?" — Doch daS Glück des Augenblicks verwischte wieder die melancholischen Gedanken und freudestrahlend eilt« sie am Spätnachmittage dem jungen Freunde entgegen, der, ihrer wartend, am Flusse stand. DaS Boot ward wieder bestiegen, aber nicht heimwärts ging die Fahrt.
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