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02-Abendausgabe Leipziger Tageblatt und Anzeiger : 04.11.1899
- Titel
- 02-Abendausgabe
- Erscheinungsdatum
- 1899-11-04
- Sprache
- Deutsch
- Digitalisat
- SLUB Dresden
- Lizenz-/Rechtehinweis
- Public Domain Mark 1.0
- URN
- urn:nbn:de:bsz:14-db-id453042023-18991104027
- PURL
- http://digital.slub-dresden.de/id453042023-1899110402
- OAI-Identifier
- oai:de:slub-dresden:db:id-453042023-1899110402
- Sammlungen
- LDP: Zeitungen
- Strukturtyp
- Ausgabe
- Parlamentsperiode
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- Wahlperiode
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Inhaltsverzeichnis
- ZeitungLeipziger Tageblatt und Anzeiger
- Jahr1899
- Monat1899-11
- Tag1899-11-04
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Reklamen unter dem RedactionSstrich (4a<» spalten) 50/H, vor den Famtlieanachrichten (Kgespalteu) 40^- Größere Schriften laut unserem Preis« verzeichniß. Tabellarischer und Zifsernsatz nach höherem Tarif. (»rtra-Beilagen (gesalzt), nur mit der Morgen-Ausgabe, ohne Postbeförderung X 00.—, mit Postbeförderung ^l 70.—. Annahmeschluß für Anzeigen: Ab end-Ausgabe: Vormittag- 10 Uhr. Morgen.Ausgabe: Nachmittag« 4Uhr. Bei den Filialen und Annahmestellen je ein« halbe Stunde früher. Anzeigen sind stets an die Expedition zu richten. Druck und Verlag von E. Polz in Leipzig 93. Jahrgang. Politische Tagesschau. * Leipzig, 4. November. Der im heutigen Morgenblatte mitgetheilte neueste Artikel der „Nordd. Allgem. Ztg." über die Flottenfrage, der zweifellos auS Regierungskreisen stammt, enthält in seinem letzten Satze eine förmliche Aufforderung an den Reichstag, so bald als möglich die Flottenfrage „anzuschneiden". Denn wenn in diesem Satze gesagt wird, die Veröffentlichung deS bekannten Planes sei erfolgt, „um auf dies« Weise das große Problem der Schaffung einer ausreichenden Kriegsflotte der öffentlichen DiScussion zu über geben und dadurch die Meinungen und Ansichten zu klären", so ist eS selbstverständlich, daß die Stelle, die eine öffentliche DiScussion veranlassen wollte, eine DiS cussion nicht nur in der Presse und in Volksversammlungen, sondern auch in der Körperschaft wünscht, die von den gewählten Vertretern des deutschen Volkes gebildet wird, die überdies allein in der Lage sind, Auskunft über dunkle Puncte vom Reichskanzler zu verlangen. ES wird nun zwar gesagt, so lange keine Vorlage vorliege, werde die DiScussion über den Flottenplan keinen rechten Zweck haben. Man braucht aber nur die Mittel zu betrachten, mit denen der Radikalismus Stimmung gegen den Flottenverstärkungsplan zu machen sucht, um zu erkennen, daß die Negierung schon vor der Einbringung einer Vorlage gar manches zu sagen hat, was jenem Treiben ein Ende machen kann. So wird der demokratische und klerikale Particularismus aus gestachelt, sich gegen den „Absolutismus" zu erheben, der, ohne vorher den Bundesrath zu fragen, die „Dämme der Verfassung überflutheud", den neuen Flotten plan veröffentliche, der das ganze Flottengesetz „über den Hausen Werse". Begierig wird die Parole ausgenommen und schon wird von der bayerischen Kammer al« Act patriotischer Pflichterfüllung verlangt, vermittelst der der Socialdemokratie verdankten Kammermehrheit die bayerische Negierung deshalb zur Rechenschaft zu ziehen, daß sie Bayern „in dem hcreinbrechenden deutschen Emheitsstaate versinken lasse." Nun ertheilt die „Nat.-Lib. Corr." diesen Hütern deS auf der NeichSverfassung beruhenden „förderativen PrincipS" schon beute folgende Belehrung: „Wir gehen von der Thatsache auS, daß die Flotte ein wesent liches Werkzeug der deutschen auswärtigen Politik ist, soweit diese die Pflicht hat, sich der überseeischen Interessen des deutschen Volkes mit gebührendem Nachdruck anzunehmen, sie zu schützen und ihnen versorgend die freie Bahn zu sichern, auf die friedlicher Wettbewerb unter civilisirten Nationen Anspruch hat. Die Verfassung weist zunächst im Artikel 11 die Sorge für die aus wärtige Politik dem Kaiser zu. Dieser hat im Namen deS Reiches Krieg zu erklären und Frieden zu schließen, Bündnisse mit fremden Staaten einzngchen und was sonst dazu gehört. Für die Bearbeitung der auswärtigen Angelegenheiten ist das Auswärtige Amt eingerichtet, eine Behörde, die dem Reichskanzler unter stellt ist, und deren Autorität und Verantwortung dadurch verstärkt wird, daß der Staatssekretär dieses Amtes zugleich preußischer Staatsminister ist. Die freie Initiative aus dem Gebiete der auswärtigen Politik hat noch dadurch besonderen Ausdruck gefunden, Laß der bekannte BundesrathsauSschuß für die auswärtigen Angelegenheiten keinerlei active Befugniß auf dem Gebiete der auswärtigen Politik besitzt, sondern nur dazu dient, Mitlheilungen der Reichsregierung über den Stand derselben ent- gegenzunehmen. Damit ist deutlich genug gesagt, daß die Führung der auswärtigen Geschäftes auch volle und freieste Initiative hat wenn e« darauf ankommt, eine Verstärkung der Werkzeuge der auswärtigen Politik in Anregung zu bringen, ein Fall, der jetzt vorlirgt. Weiter weift die Reichsverfassung nach Artikel 53 dem Kaiser die Sorge für die Mariae zu. Ihm liegt die Organisa tion und Zusammensetzung der Marine ob; für die Verwaltung der Marine, die Fürsorge, sie auf der Höhe der Leistungs fähigkeit zu erhalten, wie sie die auswärtigen Aufgaben des Reiches verlangen, dazu ist daS Reichsmarineamt da, dessen Chef seine Verwaltung führt mit einer Verantwortlichkeit, die wie beim Auswärtigen Amte entlehnt ist von der Verantwort lichkeit de« alleinigen Reichsministers, des Reichskanzlers. Daraus ergiebt sich, daß im vorliegenden Falle die Reichsregierung sich ge wissenhaft nicht nur an die Grenzen ihrer Befugnisse gehalten, wie sie in der Verfassungsurkunde gezogen sind, sondern daß einfach eine verfassungsmäßige Pflicht erfüllt worden ist, wenn die Leitung der auswärtigen Geschäfte die Nothwendigkeit einer Ver mehrung der Flott« sofort, alS sie unabweisbar feststand, auch constatirte und demgemäß das Reichsmarineamt sich ungesäumt seiner technischen Obliegenheiten entledigte. So constitutionell, wie es nur möglich war, ist verfahren worden, indem die Grundzüge deS neuen FlottenplanS dem deutschen Volke zur Beurtheilung sofort unter- breitet wurden, nachdem der Reichskanzler den Plan gebilligt und seine Veröffentlichung gestattet hatte,ehr die Vorlage durch die Beschlußfassung deS BundeSrathS di« abgeschloffene Form erhalten! Das ist schon oft bei wichtigen gesetzgeberischen Plänen geschehen, weil eine pflicht- bewußte Staatsleitung eben an eia politisch reifes Volk sich zu wenden in der Lage ist, und constitutionell ist auch weiter vor gegangen worden, indem der Bundesrath am letzten Donnerstag, bei seinem ersten Zusammentreten nach Veröffentlichung des Plans, NamenS deS Reichskanzlers durch den Staatssekretär des Reichs- marineamtrS über den Gang der Dinge unterrichtet wurde." Aber was kümmert sich der RadicalismuS um solche Dar legungen und wohin dringen sie überhaupt? Dock säst nur dahin, wo sie kaum nöthlg sind. Im Reichstage müssen die Vertreter der Regierung die Wortführer deS Radi kalismus mit ihren particularistischen Einwendungen uä ubsuräum führen, wenn nicht, nachdem die Vorlage ein gegangen sein wird, die rein sachlichen und technischen Ver handlungen durch Hereinziehung formaler Bedenken un gebührlich in die Lange gezogen werden sollen. Wir erwarten daher, daß auS der nationalliberalen Fraction heraus alsbald nach dem Wiederzusammentritte des Reichstages die Flottenfrage zur Sprache gebracht werde. In den Bcrgarbeiterkreiscn gährt es zur Zeit überall. Die belgischen Bergarbeiter bereiten eine große Lohn bewegung vor, über die am 28. November entschieden werden soll; die steyrischen und die englischen verlangen höhere Löhne. Die Bergaewerbegerichtswahlen am l7. No vember halten die Bergleute deS Ruhrgebiets in Athen,, und bei der ungemein lebhaften Agitation deS socialdemo kratischen Verbandes ist leider zu befürchten, daß eine große Zahl der sogenannten Zechencandidalen, ernste Männer, die im friedlichen Einvernehmen mit den Grubenbesitzern die Lage der Bergarbeiter fördern wollen, beseitigt und durch socialdemokratische Hetzer ersetzt werden wird. Auch in Bayern hat in der letzten Zeit der socialdemokratische Verband Boden gewonnen; so sollen nach einer Rede des socialdemokratischen Landtagsabgeordneten Franz Schmit- München in Peißenberg (Oberbayern) sämmtliche 150 Bergleute, die in der Versammlung anwesend waren, sich sofort in den socialdemokratischen Verband haben ausnehmen lassen. Für sämmtliche Braunkohlen reviere Mitteldeutschlands findet am 19. November eine Vertrauensmänner - Conferenz statt, in der in erster Linie über die Lohnbewegung berathen werden soll. In dem rheinischwestfälischen Reviere sind für morgen mindestens ein Dutzend Versammlungen anberaumt, angeblich um die Aufstellung der Candidaten zum Gewerbe gerichte vorzunehmen. Man sieht also, daß überall Leben und Bewegung in den BergarbeiterkreisenZ herrscht. Vorläufig bat daS Wohl nicht allzuviel zu bedeuten, da die Leiter des Verbandes eine Lohnbewegung im großen Style zur Zeit nicht sympathisch gegenuberstehen sollens weil sie sich einen Erfolg nicht versprechen. Aber bei dem fort währenden Wachsen des Verbandes dürften sie ihre Zurück haltung wohl nicht lange mehr bewahren. Eine Warnung an Alle, die eS angeht, ist daher jedenfalls am Platze. Der Dichter Peter Rosegger veröffentlicht soeben einen „Nationalen Vorschlag", in dem er u. A. sagt: „Wir müssen eine That vollbringen. Wir müssen opferwilliger sein, als wir es bisher gewesen. Was wir heute treiben, ist viel Geschrei und wenig Wolle. Wenn wir nicht mehr ideal genug sind, empfindliche Opfer zu leisten für unser Volkstbum, dann sind wir verloren, trotz alledem! Unser Blut zu opfern für unser Volksthum, dafür ist jetzt keine Gelegenheit. Aber einen Theil unseres Gutes müssen wir hinzugeben bereit sein. Mit Geld geht Vieles, wenn nicht Alles, eS muß nur genügend sein und richtig angewendet werden. Ich bin ein deutscher Schriftsteller, und daS läßt auf die Höhe meines Vermögens ungefähr schließen. Von diesem Vermögen bin ich unter Zustimmung meiner Familie bereit, den zehnten Theil für unsere nationalen Zwecke zu opfern. Aber nur dann, wenn alle Deutschen in Oester reich, die national zu sein vorgeben, im Verhältnisse dasselbe Opfer bringen. Nach flüchtiger Schätzung glaube ich in der deutschen Bevölkerung Oesterreichs doch mehrere hunderttausend Personen annehmen zu dürfen, denen es mit ihrem Deutsch- thum ernst ist. Die Nationalen, die Minderbemittelten wie die Reichen, sie mögen sich nun mit einander verstän digen, daß sie bereit sind, für den großen geschichtlichen Zweck, der unseren Nachkommen von höchster Wichtigkeit ist, daS Opfer zu bringen. Stammesgenosfen! Wenn ihr ein verstanden seid, den zehnten Theil eures bürgerlichen Ver mögens für die heilige Sache zu opfern, so mache ich mit meinen paar tausend Gulden gerne den Anfang. Ich glaube, eS werden viele so denken. Also, darum auf, zum Opferseste! Graz, im October 1899. Peter Rosegger." DaS Arbeitsprogramm der französischen Kammern, welche am Dienstag den 14. d. M. zu ihrer Wintertagunz zusammentreten werden, ist ein recht reichhaltiges. Abgesehen von dem Etat steht eine ganze Reihe wichtiger Gesetzesvorlagen in Aussicht, darunter eine Vorlage betreffend die Organisation der Gewerkvereinssyndikate, ferner Vorlagen betreffend die Unterrichtsfreiheit, die Vereine, die Kriegsgerichte. Das neue Vereinsgesetz soll auf gemeinrechtlichem Boden fußen, ohne Unter schied zwischen Vereinen geistlichen oderLaiencharakterS; doch wird eS Bestimmungen hinsichtlich der Verrinszwecke treffen, welche die Behörde in den Stand setzen, gegen religiöse Congregationen einzuschreiten, wenn dieselben unerlaubte Zwecke verfolgen. DaS Gesetz über die Freiheit des Unterrichts wird Bürg schaften bezüglich der Heranbildung der Staatsbeamten ent halten, während die Vorlage bezüglich der Kriegsgerichte darauf berechnet ist, die Zuständiockeit dieser Gerichte in Friedenszeiten ausschließlich auf die Delikte rein militärischen Charakters zu beschränken. Alle die hier erwähnten Vor lagen dürften nach Absicht der Regierung, im Verein mit den cabinetSseitig auf die angekündigten Interpellationen zu ertheilenden Antworten, die Kammer mit den nöthigen An haltspunkten zur Beurtheilung der Regierung-Politik in ihrem Gesammtrahmen versorgen. Hat eine zweite Schlacht bei Ladysmith stattgefunden oder nicht? Das Londoner Kriegsamt bestreitet eS fortgesetzt mit aller Entschiedenheit, indem eS darauf hinweist, daß es bis Freitag früh 1 Uhr keine Kenntniß gehabt habe, die auf irgend einen wesentlichen Wechsel der Lage in Ladysmith hin deutete. Aber wie sehr man sich auf amtliche englische Kund machungen verlassen kann, zeigt die Nebeneinanderstellung der beiden folgenden, uns heute Morgen übermittelten Nachrichten: * London, 3. November. („Rruter's Bureau.") DaS Kriegs amt theilt mit, daß die Verbindung mit Ladysmith wieder hergestellt ist. * London, 3. November. Die Meldung deS „Reuter'schen BureauS", daß die Verbindung mit Ladysmith wieder hergestellt sei, ist irrthümlich. Es handelt sich um das wirderhergestellte Delagoa-Kabel. Die Verbindung mit Ladysmith ist noch immer unterbrochen. Selbst die „Times" geben zu, eS sei möglich, daß einzelne Meldungen, welche in die continentale Presse gelangten, durch gewisse Canäle gegangen seien, welche die Censur noch nicht habe schließen können und durch welche immer Informationen zwischen den Boerenrepubliken und ihren Freunden im Aus lande hin und her geben. Die „Times" meinen damit offenbar den telegraphischen Verkehr, den ausländische diplomatische Vertreter in Pretoria noch immer mit ihren Regierungen unterhalten. DaS Blatt weist dann darauf hin, daß Montag Nachmittag, das heißt, viele Stunden, ehe daS Kriegsministerium in London die Nachricht von der Niederlage der englischen Truppen erhielt, in Rotterdam ein Telegramm, angeblich aus Ladysmith stammend, gesehen wurde, welches deutliche Kenntniß der schweren Niederlage verrieth, die am Morgen die britischen Truppen erlitten hatten. Die „Times" bemerken dazu: „Wenn, wie eS scheint, noch gewisse Canäle offen sind, über die unsere Behörden auS besonderen Gründen bisher absichtlich noch nicht im vollen Maße die Rechte geltend gemacht haben, die ihnen aus Grund bestehender Conventionen zukommen, so muß in Betracht gezogen werden, daß dieselben Canäle auch dazu dienen können, uncontrolir- bare Informationen vom Continent nach Südafrika gelangen zu lasten. Dies wäre bei der gegenwärtigen Lage eine Sache von zu ernster Wichtigkeit, um irgend welchen Rücksichten auf politische Thunlichkeit oder internationale Empfindlichkeit unter geordnet zu werden." Diese Frage, fügen die „Times" hinzu, habe schon die Aufmerksamkeit der englischen Regierung auf sich gezogen und erheische zweifellos starke Maßregeln. Inzwischen hält man in Brüssel und Amsterdam, wo die Meldung von dem Kampfe bei Colenso zuerst eintraf — der Transvaalgesandte vr. Leyts befindet sich bekanntlich in Brüssel —, daran fest, daß Colenso besetzt, White nochmals geschlagen und Ladysmith eingeschlossen sei. In Amsterdam wurde die Nachricht mit Begeisterung ausgenommen. Im „Grand ThöLtre" spielte daS'Orchester Feuilleton. Auf freien Lahnen. 29f Roman von Rudolf von Gotisch all. Nachdruck verboten. „Das Will ich doch nicht sagen", meinte Frau von Bergen, „die Idylle ist Ihnen angeboren. Sie bringen sie gleichsam mit sich! Es ist der Heugeruch, es sind die Hemdsärmel, es sind die Dreschflegel, wenn auch ins Feine übersetzt, in den Stock des Magisters. In unseren Saloncirkeln bleiben Sie einmal die Rothhaut, Herr Blomer, doch Sie brauchen sich dessen nicht zu schämen. Das ist pikant und interessant. Die Bleichgesichter sind einander so ähnlich, daß man vor langer Weile verzweifeln möchte." Das waren verletzende Aeußerungen, der spöttische Ton der Frau von Bergen ließ darüber leinen Zweifel übrig. Timotheus wußte nicht, was er der Dame zu Leide gethan; in der That richtete diese ihre Geschosse auch nicht gegen ihn, sondern gegen die Freundin, deren Geschmack ihr uribegreiflich war und die lein Hehl daraus macht«, daß sie noch immer für ihren Joseph die Empfindungen einer Potiphar hegt«. Letory, der gegen den glücklichen Bräutigam der Alice Satorin feindseligen Haß im Herzen trug, benutzte diese Wendung des Gesprächs, um auch seinerseits das Feuer gegen ihn zu eröffnen. „Wer weiß, ob der junge Herr dir ländliche Idylle so in aller Gsmüthsruhe genossen hat! Er ist eben ein Don Juan, und den reizen nicht blos di« exotischen Prachtblumen der Salons, sondern auch die ländlichen Knollengewächse, den reizt Alles, das Derbe wie das Zart«, die schmachtenden Schönheiten in den Künstler boudoirs und die sultanische Pracht der zur Herrschaft geborenen Frauen. Wi« sollen da die Nerven zur Ruhe kommen! Ob Stadtmaus oder Feldmaus — wenn man in der Falle sitzt, da kommt immer das Fell zu Schaden." Der junge Lehrer fühlte sich höchst unbehaglich; woher auf einmal diese Feindseligkeit, di« sich gegen ihn richtet«, und gerade jetzt, wo er am liebsten ganz im Dunkel verschwunden wäre? Offenbar war di« Gunst der Gebieterin allzu ruchbar geworden und erregte Neid selbst bei Denen, welchen er nicht gerade im Lichte stand. Doch sie selbst kam ihm zu Hilfe; sie lenkte das Gespräch ab da» auch für sie manch« verborgenen Stacheln hatte; sie ahnte freilich nicht, daß Timotheus, der bisher nur mit Ruthen gezüch tigt wurde, jetzt mit Scorpionen gezüchtigt werden würde. „Was macht denn mein holdselige Feindin?" sagte sie zu Herrn Bagenow. Der Sportsmann schälte gerade eine Apfelsine und ließ sich in dieser Arbeit durch die unerwartete Frage nicht stören. Er war einer der unverfrorensten Cavaliere, der in zwei feindlichen Lagern mit gleicher liebenswürdiger Grazie verkehrte, und man respect'irte diese großartig«Unpart«ilichkeit, wie Freund und Feind die Männer vom Rothen Kreuz respectiren, welche die Blessirten vom Schlachtfeld tragen. Man wußte hier, daß er ein Freund der Baronin von Siebeneck sei, und man trug es ihm weiter nicht nach — war er doch der Geschäftsfreund aller Welt, und er selbst trug auch kein Bedenken, den Duft der Rosen von Schiras einzu saugen und die Goldorangen zu genießen, mochten diese Ge nüsse auch auf der Tafel einer Landolin geboten werden, die in unliebsamer Weis« in den Proceß der Baronin verwickelt war. „Sie ist bei ganz heiterer Stimmung", versetzte er ruhig, indem er die schmackhaft« Südfrucht secirte; „der Proceß nimmt ja seinen Fortgang; auch Sie, gnädige Frau, werden nächstens als Zeugin vorgeladen werden." „Aber ist es nicht empörend", rief Valeska, aufspringend, „was sich diese Männer in den Tataren herausnehmrn. Da soll man Spießruthen taufen vor der Justiz, auch wenn man ganz unschuldig ist, Geständnisse machen, die man vielleicht einem Beichtvater ins Ohr flüstert, aber nicht solchen weltlich gesinnten Leuten macht, di«, wenn sie den Talar auSgezogen, auf allerlei Hintertreppen zu ihren Dulcineas «mporklettern und den Para graphen de» Gesetzes ein Schnippchen schlagen. Pfui, das ist auch eine Prostitution von Rechtswegen!" „Fürchten Sie nichts", sagte Bagenow, indem er sein« Genueser Orange mit Zucker bestreute, „die Richter errathen Vieles! Und im Uebrigen, criminell wird di« Sache nicht, da» kann ich Ihnen bestimmt sagen, auch wenn die Baronin den Proceß gewinnt. Sie will nur Geld, ihr Geld und noch etwa» mehr — Sie selbst gehören nur zum Beweismaterial. Die Sache spielt nur zwischen dem Baron und der Baronin, ich bin mit ihr und mit Ihnen befreundet, aber ich würde nicht an Ihrem Tisch« sitzen, wenn die Baronin feindselige Gedanken und Rachegefühle gegen Sie hegte." „Und doch", meinte Valeska, „in solche Unannehmlichkeiten kann un» die größte Feindin nur versetzen." „Der Baron hätte vorsichtiger sein können", meinte der Sportsman, hielt die Sach« damit für erledigt und begann nun «ndlich den Saft der köstlichen Frucht zu schlürfen. Der Lehrer war leichenblaß geworden — jede Erwähnung des Barons war ihm ein Stich ins Herz. Die Kunde vom Tode des Barons wollte er in diesem Kreise nicht verbreiten; es wäre ihm schon unmöglich gewesen, den Namen desselben über die Lippen zu bringen. Es trat eine längere Pause ein, welche der Maler Bannert mit Mittheilungen und Bemerkungen über die neueste Secession ausfüllte, indem er gegen die Pinseleien der alten Schule aufs Lebhafteste protestirte. „Das ist Alles die gemalte Lüge, die nur dem oberflächlichen Blick als Wahrheit erscheint!" „Diese fortwährenden Streitigkeiten auf allen künstlerischen Gebieten", meinte Valeska, „verleiden jeden unbefangenen Kunst genuß. Sehr verdächtig ist mir das Neue, welches das seit Jahr tausenden bewährte Alte plötzlich auf den Kopf stellen will. Das mag wohl einem Genie einmal aelinaen, aber nicht vielen hundert Genies, die auf einmal aus allen Ecken und Enden hervor wimmeln. Das verdirbt ja alle Freude am geistigen Leben, den geselligen Verkehr — und so Weh es mir thut, daß ich mich nächstens meinem Freundeskreise entziehen und in die ländliche Einsamkeit einer fernen Gegend zurückkehren muß, — es ist ein kleiner Trost für mich, daß das Echo dieser unerquicklichen Partei kämpfe nicht dorthin dringt." Wieder wurde es still im Kreise, man fand in dieser letzten Bemerkung etwas Unfreundliches, einen Wink zum Aufbruch, und man rüstete sich dazu. Nur Timotheus wollte nicht fort gehen, ohne sich mit Valeska ausgesprochen zu haben; sie warf ihm «inen vielsagenden Blick zu, welcher ihn zum Bleiben ermuthigte. Frau von Bergen schien das zu bemerken und sie schied von der Freundin mit einem leichten Achselzucken. Kaum war der Lehrer mit Valeska allein, als sich sein ganzes Wesen ändert«. Der schreckliche Vorgang mit dem Baron lastete so niederdrückend auf ihm, daß er sich nur mit einer gewissen Ge waltsamkeit aufrichten konnte. Valeska bemerkte dies nicht ohne Verwunderung — sah sie ein zum Satze ausholendes Raubthier vor sich? Eine wilde, fremde Energie prägte sich auf einmal in den meistens so schlaffen Zügen aus; seine Augen funkelten, was war über ihn gekommen? Werden auch die Stillen im Lande von plötzlicher Besessenheit heimgesucht? Das fragte sich Valeska — es war «in Feind, der vor ihr stand, doch sie trat ihm mit Entschlossenheit entgegen. „So darf ich Ihren heutigen Besuch wohl als einen Beweis dafür ansehen, daß Sie es bedauern, neulich in so schroffer Weise sich von mir verabschiedet zu haben?" „Nein, da» bedauere ich nicht", sagte Timotheu», „ich habe einen Anderen veldrängt ohne mein Wissen. Jetzt verlang» ich von Ihnen, daß Sie mir die volle Wahrheit sagen. Der Baron von Siebeneck hatte ein Recht auf Ihre Liebe durch lange Huldi gung, durch Zugeständnisse und Hoffnungen, die Sie erweckten." „Ich kann meine Gunst und Ungunst verschenken, wem ich will — ich kann begnadigen und kann verdammen — was kümmert Sie der Baron?" „Man hört auf, sich um die Tobten zu kümmern!" „Um die Tobten?" „Ja, der Baron ist tobt!" „Unmöglich!" Es durchschauerte Valeska — der schöne Edelmann! Sie hatte ihn aus gerechtem Stolz zurückgewiesen und doch — er fügte sich ja ihren Wünschen, die Scheidung war im Gange. Eine schöne Verheißung mußt« sich erfüllen und dazwischen war eine seltsame Trauer getreten, die sich ihrer bemächtigt batte; die Befriedigung, welche der Triumph über ein reines Gemüth gewährte, sollte die Ungeduld der Sinne im Zaume halten. Und jetzt — jetzt — daS sollte auf einmal Alles oerl-"-n :e n! Und nun stand er vor ihr im Geiste, in seiner edlen Männlichkeit, in seinem ganzen, sieg haften Wesen — und caneben dieser ländliche Poet mit seiner schlaffen Haltung, mit den, ewigen Fragezeichen im Gesicht, krankhaftes Feuer beseelte! War sie denn von Sinnen gewesen? mit den schwärmerischen, verträumten Augen, die nur heute ein Der Todte drückte den Lebenden zu einem Schatten herab — und dieser durste durch ihre Träume so lange al» ein Blendwerk aauteln, das ihre Zinne, ihre Seele gefangen hielt? Unbegre tl:we Wallungen des Blutes, unsinnige Launen der Phantasie, welch« unser ganzes Selbst mit fortreißt auf ihren Ihörichten Irr fahrten. Und er war tobt — er, der nicht der Held war einer ver« hexten Liebesleidenschaft, welche Niemand begriff — er, welcher von Kopf zu Fuß ein ganzer Mann war, ein Caoalier, den Mann und Weib, Alt und Jung, Alles bewunderte, welche offene Augen hatten, um dessen Gunst sie alle Frauen beneideten. Sie war die Launenhaft«, die Blinde mit ihren krampfhaft verstimmten Nerven, welche das Aparte begehrten; doch der Zorn, den sie gegen sich selbst hegte, sprang über auf den Anderen, der mit feindseliger Haltung vor ihr stand, und den sie doch einen Augenblick aus dem Staube zu sich erhoben. „Sie sagen, der Baron ist todt! Wie ist er gestorben?" „Er ist verunglückt!" „Mit dem Pferde?" „Wohl möglich! Er hat sich, wie ich höre, bei einem Fall die Schläfe an einem scharfen Grenzstein tödtlich verletzt! Wie er zu Fall gekommen, weiß ich nicht! Da» mögen st« untersuchen."
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