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01-Frühausgabe Leipziger Tageblatt und Anzeiger : 07.11.1899
- Titel
- 01-Frühausgabe
- Erscheinungsdatum
- 1899-11-07
- Sprache
- Deutsch
- Digitalisat
- SLUB Dresden
- Lizenz-/Rechtehinweis
- Public Domain Mark 1.0
- URN
- urn:nbn:de:bsz:14-db-id453042023-18991107015
- PURL
- http://digital.slub-dresden.de/id453042023-1899110701
- OAI-Identifier
- oai:de:slub-dresden:db:id-453042023-1899110701
- Sammlungen
- LDP: Zeitungen
- Strukturtyp
- Ausgabe
- Parlamentsperiode
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- Wahlperiode
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Inhaltsverzeichnis
- ZeitungLeipziger Tageblatt und Anzeiger
- Jahr1899
- Monat1899-11
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Reclameu unter demRedactionsftrick (4g«e spalten) bO^Z, vor den Familirnnachrichtea (6 gespalten) 40^. Größere Schriften laut unserem Preis- vrrzeichniß. Tabellarischer und Zifferusatz uach höherem Tarif. Extra-vestagea (gefalzt), nur mü der Morgen-Ausgabe, ohne Postbeförderung 60.-, mit Postbeförderung ^l 70.—. - Aunahmeschlnß fiir Anzeigen: Abend-Ausgabe: Bormittag» 10 Uhr. Morgen-Ausgabe: Nachmittag» 4Uhr. , Bei den Filialen uud Annahmestelle« je eiu« halbe Stunde früher. Anzeigen sind stets an die Extzedttia« zu richte». Druck und Verlag von S. Polz i« Leipzig 93. Jahrgang, Vor dem Jusammentritt der italienischen Kammern. Rom, 3. November. Seit drei Monaten schläft das politische Leben in Italien einen wirklichen Todesschlaf. Ganz zu Anfang versuchten es noch die radikalen Blätter, aus der Heimsendung der Tcputirtenkammer Capital zu schlagen; da sich aber bei diesem Versuche kaum eine Hand im Publicum regte, um ihnen Beifall zu klatschen, so ließen sie auch dieses Manöver sehr bald fallen, um dagegen wieder ihr altes Gewerbe von Lüge, Jntrigue und schlechten Witzen ein- zutauschen, in dem sie allein noch, wenn auch in bedauerns- wercher Art, leistungsfähig sind. Wer sich noch der wilden Reden des früheren Justizministers Bonacci und des ehemaligen Kammerpräsidenten Zanardelli erinnert, hätte glauben müssen, daß mindestens ein Drittel des Landes in die heftigste Aufregung gerathen würde. Die Todtenstille aber, die auf den Schluß des Parlaments folgte, hat jedem Kenner der hiesigen Ver hältnisse lediglich recht gegeben, der eben weiß, daß die italie nische Bevölkerung wohl durch den Hunger zum Aufruhr ge trieben werden kann, doch nimmermehr durch eine rein politische Frage, so lange eine solche nicht die nationale Einheit betrifft, und daß zwischen Wählern und Gewählten hier zu Lande im Allgemeinen keine rechte Interessengemeinschaft besteht. Das Volk wählt häufig — wie solches noch die letzten Nachwahlen in überzeugender Art dargelegt haben —, um der Regierung Mißfallen, aber keineswegs, um seinen Abgeordneten Gleichartig keit der Gesinnung oder gar Achtung damit bezeugen zu wollen. Tenn die Nichtachtung der Italiener für ihre Reichsboten ist fast durchweg so groß, daß solches dem Fernerstehenden nahezu unverständlich wird. Aber es ist so. Radikale Blätter haben den Ministerpräsidenten in den letzten zwei Monaten unaufhörlich Rundschreiben schicken und neue Präfecten ernennen lassen, nur damit er so schnell wie mög lich Neuwahlen vornehmen könne. Man hat seit dem Parla- mcntsschluß überhaupt von nichts Anderem in der italienischen Öffentlichkeit gehört, als von diesen beabsichtigten Neuwahlen. Pelloux ist nun mit seinen sämmtlichen College» aus der Sommerfrische zurück, er denkt aber jetzt ebensowenig wie früher an ein solches Abenteuer. Es würde auch so ziemlich das Uebelste sein, was er thun könnt«, wollte er die von den Radikalen ersehnten Neuwahlen gerade jetzt vornehmen. Die Zusammensetzung der zweiten Kammer ist ja zweifellos höchst bedenklicher Natur, aber die Regierung hat doch zum Min desten noch immer eine Mehrheit in ihr, Vie bis auf Weiteres zuverlässig erscheint. In Anbetracht aller Verhältnisse war die frühzeitige Schließung des Parlaments eine weise Maßregel. Der Kammerpräsident hatte sich der Lag« nicht gewachsen ge zeigt, und ohne die durchgreifende Energie gerade dieses Mannes war über di« Obstructiv« nicht hinwegzukommrn: einen anderen Kammerpräsidenten kann aber erst wieder die neue Session bringen. Zugleich sollte der Kammerschluß sowohl den Gegnern, als der lauen Regierungsmehrheit nachdrücklich zu Gemüthe führen, daß die Krone noch immer allen anderen Gewalten im Staate an Kraft überlegen, und daß die Regierung überall, wo es Noth thun sollte, auch von dieser Kraft Gebrauch zu machen entschlossen sei. Den Schluß dieser Beweisführung bildet der eingekeitete Urnenproceß. Es ist daher durchaus glaublich, daß die Regierung nach einer viermonatigen Pause, Vie Zeit genug zum Nachdenken gegeben hat, sich einer völlig ernüchterten Kammer gegenüber befinden wird. Nur muß sie für alle Fälle vorbereitet sein, und um H«rr der Lage zu bleiben, muß sie sich einen Kammerpräsidenten zu schaffen verstehen, der kein Intrigant ist und zugleich das höchste Maß von Energie besitzt. Das ist dir «ine von den zwei Schwierigkeiten, mit der sie zunächst zu rechnen hat; allerdings muß zugegeben werden, daß dieselbe außerordentlich ist. Wollte aber Pelloux gerade in diesem Momente Neuwahlen ansschreiben, so würde er damit «iner ganz unsicheren Zukunft entgegengehen. Der General hat freilich soeben eine vielver sprechende Kraftprobe abgelegt, deren Bedeutung die nachdenklichen Köpfe in der Nation wohl verstehen, aber im Allgemeinen ist in der Bevölkerung so wenig politischer Sinn vorhanden, daß dies« bei alledem immer nur das Eine begreift, nämlich daß ihre wirthschaftliche Lage genau so elend geblieben ist, wie vordem. Ohne daher einige sehr auffällige ökonomische Reformen gebracht zu haben, würde die Regierung höchst wahrscheinlich nach Neu wahlen im gegenwärtigen Augenblicke auf Mont« Citorio eine Kammer einziehen sehen, Vie noch weit feindseliger als die letzte wäre. Nicht daß gerade die wirthschaftlichen Reformen die für das Allgemeinwohl allerdringendsten wären — weit wichtiger sind jene moralischer Natur, denn Schule und Kirche schreien schon seit Jahrzehnten nach einer weiseren Neuordnung —, aber die moralischen Ideale sind in d«r italienischen Bevölkerung von jeher so wenig gepflegt word«n, daß die letztere nach jenen kaum verlangt und immer nur das sinnliche Wohlergehen betrachtet. Wer daher diesem Volke reichlichen Verdienst und weniger Steuern schafft, wird sein Abgott sein. Pelloux aber hat bislang keine einzige wirthschaftliche Reform ins Werk zu setzen vermocht er kann darum auch jetzt noch kein« Neuwahlen vornehm«» — vorausgesetzt immer, daß sein« Politik auf keinen wirklichen, be absichtigten Staatsstreich hinsteuert. Nicht als ob ein solcher, der das Parlament für längere Zeit einfach nach Hause schickte hier zu Lande ein gefährlich«» Ding wäre; das ganze Land, von dem Dunstkreise um Monte Citorio abgesehen, würde ein« solche Maßregel sogar beifällig begrüßen, denn das Volk wählt eben nicht gegen die Regierung, weil ihm das Parlament besser ge fiele, und weil «s gerade von letzterem Gott weiß was Gutes erhoffte, sondern nur, um damit der ersteren seine Unzufriedenheit zu bez«ugen. Ihm mißfällt sogar das Parlament in allerhöchstem Maße, weil in diesem die alles schädigende Camorra überhand genommen hat, obschon es ihm durchaus selbstverständlich er scheint, daß es eine solche giebt. Diese eigenartige moralische Betrachtungsweise und der zur Zeit im Lande herrschende Zu stand würde für einen übermüthigen und unbesonnenen Politiker zweifellos sehr viel Verführerisches haben, seinem Willen eine unbeschränkt« Geltung zu verschaffen, aber man hat bislang noch keinen Grund, anzunehmen, daß Pelloux ein Mann dieses Schlages sei. Der Ministerpräsident will allem Anscheine nach nichts Andere-, als di« zweite Kammer dahin bringen, di- der-, fassungsmäßigen Rechte der Krone in ihrem vollen Umfange von Neuem anzuerkennen. Gelingt ihm solches mit dem gegenwärtigen Parlamente und bringt er dazu noch die uner läßlichen wirthschaftlichen Reformen, so wird er mit jeder späteren Kammer leichtes Spiel haben, denn er wird dann das Volk für sich haben. Aber er muß dies durchaus mit dem gegen wärtigen Parlamente durchzusetzen versuchen. Denn so lange ihm beides nicht gelungen ist, würde ihm jede Neuwahl eine noch böswilligere Kammer als die letzte einbringen, und er würde zum Schluß wohl doch nur in unerfreulicher Art zwischen Revo lution oder Staatsstreich zu wählen haben. Aus solchen Gründen sind für einen besonnenen Politiker Neuwahlen zur Zeit ein Ding der Unmöglichkeit. Im Uebrigen ist aber der Regierung der Weg klar vor gezeichnet. Der Urnenproceß kommt in diesen Tagen zum Aus trag. Werden die vier Angeklagten verurtheilt, so würde das den Uebermuth der Radikalen zweifellos dämpfen. Aber der Proceß wird sich vor den Geschworenen abspiel«» und die Strafe ist zudem sehr hoch — mindestens 12 Jahr« Gefängniß. Es ist daher Wohl möglich, daß die mitleidigen und politisch kurz sichtigen Geschworenen die ganze Sache nur als einen brutalen Scherz auffassen und di« Angeklagten freisprechen. Das wäre nun freilich Oel ins radikale Feuer! Aber auch über die wildesten Orgien des italienischen Radikalismus wäre mit geringer Mühe Hinwegzukommen, wenn der Kammerpräsident und die Re gierungsmehrheit dies nur einmal wirklich wollten. Die in der letzten Zeit viel geschmähte Geschäftsordnung der Kammer die bezüglich d«S Präsidenten Alles unbestimmt läßt, giebt diesem dafür in allgemein gehaltenen Ausdrücken eine unbegrenzte Ge walt: er ist allmächtig, sobald er nur will. Die Obstructiv» kann er beispielsweise ganz allein mausetodt schlagen, dazu braucht er gar keine Kammermohrheit. Wer wäre nun aber dieser Herkules? Der Marchese di Rudini? Dieser hat die Kraft, wenn er nur auch den Will«« hätte. Aber der Marchese ist ein ganz unberechenbarer Herr. Die Führer der Rechten — PrinettioderColombo? Vielleicht. Als ganz sicher jedoch mag der ebenso verfassungstreue wie streng königlich gesinnt« Äaron Sonniino gelten. Allein, der Kammerpräsident kann, wenn er nur will, di« Obstruction bewältigen, um aber Gesetze zu machen, dazu bedarf es «iner Regierungsmehrheit. Ist diese vorhanden? Dem Änschein nach, ja! Indessen, die Kammermehrheit verabscheut die Obstruction und begünstigt sie gleichwohl imGeheimen. Warum dies? Weil ihr die Erscheinung Pelloux' als Ministerpräsident im hohen Grade zuwider ist; denn dieser hat eben die ausge sprochene Absicht, die Kammer von der Höhe ihrer angemaßten Rechte wieder auf das bescheidene Maß ihrer verfassungs gemäßen Rechte zurückzuführen. Solches will letztere aber be greiflicherweise in jedem Falle verhindert sehen. Sie hätte ihn schon längst gefällt, wäre er nur nicht der erklärte Vertrauens mann der Krone. Da sein Sturz bislang aus diesem Grunde nicht möglich war, so will man ihm durch Jntrigue» die Re gierung unmöglich machen. Auf diesem Zustande beruht die zweite und ungleich größere Schwierigkeit der Lage. Es ist im letzten Grunde ein Kampf der Krone mit der zweiten Kammer um das verfassungsmäßige Recht, das nicht die erstere, sondern die letztere bedroht. Ein brauchbarer Kammerpräsident wird sich zur Noth noch immer finden lassen — aber auch eine brauchbare Regierungsmehrheit? Das ist di« große Frage, deren Beant wortung für das spätere Schicksal des Landes von unberechen barer Wichtigkeit ist. Beim Schlüsse der letzten Session war jene brauchbare Regierungsmehrheit nicht vorhanden. Darum mußte eben geschlossen werden. Aber man kann nicht immer nur — schließen. Doch solches ist wohl auch nicht mehr zu besorgen, denn man weiß, daß Pelloux nicht bloS als Militär ein Taktiker ersten Ranges ist, sondern daß er diese Eigenschaft auch auf das politische Feld zu übertragen versteht. Das hat er auch jetzt wieder bewiesen, indem er noch in der letzten Minute den Urnen- procetz vertagen ließ und so mit dieser sehr gewandten Schwenkung die Radikaken aus einer siegessicheren Offensiv« in die sehr bedrohte Defensive warf. Der Urnenproceß ist vertagt worden, um zunächst der zweiten Kammer im geeigneten Moment Gelegenheit zu geben, sich darüber auszusprechen. Setzt also die Obstruction mit dem alten Ungestüm von Neuem ein, so wird die Erbitterung darüber sowohl im Parlamente wie im Volke derart von Neuem in die Höhe lodern, daß die auf gebrachte Kammermehrheit ohne Weiteres den Antrag auf Ver folgung der schuldigen Abgeordneten gutheißen und so eigentlich an Stelle d«r Regierung, die dabei bislang allein war, die Be strafung der Angeklagten fordern wird. Unter dem Eindrücke dieses allerhöchsten parlamentarischen Willensausdruckes dürften denn auch die Geschworenen kaum zaudern, gegen die radikalen Uebelthäter zu entscheiden, und die Nemesis würde alsdann, da alle Vorbereitungen bereits getroffen sind, mit der Schnelle eines Blitzes aus die Häupter dieser niedersauscn. Das gäbe dann in d«r That ein höchst dramatisches Bikd, in dem Alles auf einmal zum Vortheil der Regierung und zum Nachtheil der Radikalen verändert erscheint. Darum mißfällt auch den Radi kalen diese Vertagung aufs Allerhöchste. Bei jedem wilden Worte, das fortan aus ihren Reihen ertönt, und bei jedem weit ausgeholten — Schlage wird also auch zugleich ihr besorgter Blick verstohlen die bedrohliche Höhe suchen, in der das scharfe Messer des piemontesischen Damokles an einem seidenen Urnen- proceßfädchen hängt. Das wird zum Mindesten von höchst komischer Wirkung sein. Und wer setzt sich gerne dem allgemeinen Gelächter aus? Di« italienischen Witzblätter pflegen Pelloux unausgesetzt mit zwei entsetzlich langen Ohren abzubilden, aber es ist anzunrhmen, daß, wie so oft schon im Leben, gerade di« Witzbolde die eigentlich wahren Esel siitd. Zum Wenigsten ist es unschwer, nachzuweisen, daß schon mehr als einmal der General sowohl Kammer, wie Minister, wie Radikale überlistet hat. Die List ist ja ganz gewiß sticht das Allerhöchst« an einem Staats mann«; aber auch Bismarck hat zuweilen diese Eigenschaft in überlegener Art bekundet, und es ist durchaus nicht unwahrschein lich, daß der schlaue Savoyarde die innere Beschaffenheit der gegenwärtigen italienischen Kammer in dem Sinne richtig be greift, um sie vorwiegend mit der List lenken zu wollen und schlagen zu können. Deutsches Reich. 88 Berlin, 6. November. Die Novelle zu den Un- sallversicherungSgesetzen, welche dem BundeSrath zu gegangen ist, enthält in vier Anlagen die vorgeschlageuen Abänderungen deS Gewerbe-UnfallversicherungSgesetz-s, des UnsallversicherungSgesetzes für Land- und Forstwirthschast, des Bau- und des See-Unfallversicherungsgesetzes. In prak tischer Weise ist, wie im vorigen Jahre bei der Vorlage de» Invalidenversicherungsgesetzes, der ganze Text der bis herigen Gesetze mitgetheilt und daneben die neue Fassung gesetzt. Der Novelle ist eine umfangreiche Begründung, ein allgemeiner und ein besonderer Tbeil beigegeben. Es wird darauf hingewiesen, daß seit Erlaß der Unfallversickerungsgesetze praktische Erfahrungen gesammelt und Bedürfnisse hervorgetreten sind, welche eine Abänderung dieser Gesetze und einer Erweiterung ihres Wirkungskreises angezeigt erscheinen lassen. Deshalb ist bereits 1896 dem Reichstage eine Novelle zugegangen, die zwar nicht zur Ver abschiedung gelangte, aber einer eingehenden Berathung in einer besonderen Commission unterzogen wurde. Die gegen wärtige Vorlage knüpft an die damals geschaffene wertvvolle Vorarbeit an und übernimmt eine große Anzahl der Com missionsbeschlüsse. Von einer Verschmelzung der verschiedenen Zweige der Arbeiterversicherung: Kranken-, Unfall-, In validenversicherung, ist Abstand genommen. Eine Zusammen legung der genannten VersickerungSzweige sei zwar im Grund sätze wünschenswertb, doch sei es bisher nicht gelungen, dafür annehmbare Grundlagen anfzufinden. Den Beschlüssen der ReichStagScommission, welche sich auf eine Umgestaltung der Fürsorge für die Verletzten während der ersten dreizehn Wochen nach Eintritt deS Unfalls beziehen, ist in der Novelle nicht Folge gegeben worden. Im Einzelnen wird in den Motiven die Erweiterung der Unfallversicherung begründet auf den ganzen Umfang der Gewerbebetriebe, welche sich auf Bauarbeiten erstrecken (Tischler, Schlosser, Schmiede, Fenster putzer), auf das gesammte Fleischergewerbe, auf die hand werksmäßigen Betriebe der Brauereien rc. Besondere Ab schnitte behandel» die Erweiterung der Leistungen der Berufs genossenschaften, Entlastung der Versicherungsämter und die Beibehaltung der Carcnzzeit. — In einem besonderen Gesetz entwurf ist schließlich, wie bereits mitgetheilt, einem Beschluss«, den der Reichstag auf Anregung seiner Commission gefaßt hat, Rechnung getragen und eine Regelung der Unfallfürsorge für Gefangene in Vorschlag gebracht worden. * Berlin, 6. November. (Die weltliche Souve- räuetät deS Papstes.) Bisher war eS bei den politischen Katholiken aller Länder Sitte, die Exterritorialität, welche dem Vatikan 1870 zugestanden wurde, entweder ganz zu ignoriren oder doch wenigstens als eine guuutitv ukgligeable zu behandeln, um deretwegen eS sich nicht lohne, die Klage gesänge über die verlorene weltliche Macht des PapsttbumS in einer sanfteren Tonart erschallen zu lassen. Wie eine Erleuchtung von oben kommt jetzt den ultramontanen Blättern ein Artikel des Jesuitenpater» Zecchi in der „Civiltü Cattolica": Ist die Souveränität des Papste» eine esfrctive? Gemeint ist die weltliche Souveränität in dem Zustande, in welchem sie sich heute befindet, wo sie gewissermaßen in die engen Grenzen des Vatikan» ringeschlossen ist. Der Jesuit stützt sich, wie er sagt, für die Bejahung der Frage ans geschichtliche Thatsachen. Die erste dieser Tbatsachen sieht er in dem Umstande, daß nach der Einnahme Roms im Jahr« 1870 zwar eine Militär convention zwischen den Commandanten der beiderseitigen Truppen, aber kein irgendwie gearteter Act eines politischen Vertrages, kein Friedens- oder Freundschaftsschluß zwischen den beiden Regierungen, wie rin solcher regelmäßig zwischen den Betheiligten stattfinde, geschlossen worden sei. Es rxistire daher factisch nur eine Art Waffenstillstand zwischen den beiden Mächten, der allerdings nun schon 30 Jahre dauer». Darau» folge, daß der Stand der Feindseligkeit rechtlich und thatsächlich fortdauere zwischen Denen, welche die Stadt Rom occupirt haben, und dem Sou verän, der seit Jahrhunderten regiert. Da» zweite geschichtliche Factum Feuilletsn. Ulrich von Lichtenstein als Frauenritter. Blicken wir in die Epoche des Mittelalters zurück, in d«r die Ritterschaft eine besonders glänzende Rolle spielte, so beschleicht uns wohl leicht ein Gefühl des Neide» bei dem sich unwillkürlich oufdrängenden Vergleiche zwischen der damals herrschenden Romantik und der heutigen Nüchternheit unserer Lebensführung. Lernen wir jene wunder- und wonnesam« Vergangenheit doch zumeist aus den Gesängen und Erzählungen unserer Dichter und Schriftsteller kennen, denen es leicht widerfährt, schließlich gchört's ja auch zu ihrem Metier, daß sie daS Romantische noch romantischer gestalten, als e» ohnehin ist, dem nur Blinkenden einen Glanz, einen Strahlenzauber verleihen, d«n es in Wahrheit gar nicht besitzt. Diese Erfahrung können wir auch machen, wenn wir den Schilderungen mittelalterlichen Ritterthums aus der Feder späterer Erzähler die Darstellungen zeitgenössischer Chronisten gegenüberstrllen: beide weichen doch erheblich von einander ab. WaS un» dort als nur schön und reizvoll erschien, berührt uns in dieser Gestaltung doch mehr wunderlich, nicht silten auch direct komisch. Schließlich müssen wir sogar zu der Einsicht gelangen, daß die Romantik jener Tage in Wirklichkeit zumeist eine Spielerei mit gewichtigen Dingen, mit Ehre, Pflicht und Leben war, unmännliche» Schmachten und Trachten mit einem Stiche ins Lächerliche. Eine specifisch weibische Periode, in der das Lächeln oder Zürnen, Gewähren oder Versagen den Ritter zum Narren oder zum Gotte machte. Diese Betrachtungen müssen sich Unsereinem, will sagen uns Mensch«» von heute, unwillkürlich aufdrängen, thut man z. B. «inen Blick in das Rittergedicht „Der Frauendienst" von Ulrich von Lichtenstein. Es ist dies ja eben nur ein Gedicht, aber doch in hohem Maße charakteristisch für di« Auffassung jener Zeit, ja mehr noch, es wird vielfach angenommen, daß Lichtenstein hier in der Hauptfach« Selbsterlebnisse schilderte, daß er die Aben teuer und Leiden im Dienste einer Herrin, die den Inhalt des Gedichtes ausmachen, nicht gefabelt, soiwern thatsächlich be standen und erduldet habe. Auf jeden Fall kann Lichtenstein als das Prototyp des romantischen Ritterthums gelten, als Frauen ritter ist er von idealer Bedeutung. „Als ich noch ein kleiner Knabe war", so heißt es in dem genannten Opus, „hörte ich oft von weisen Leuten, Niemand könne zu hohem Ansehen gelangen, al» wer guten Frauen in Beständigkeit diene, und Niemand sei so wohlgemuth, als wer eine reizende Frau so lieb habe, wie seinen eigenen Leib. Ich war zwar damals nur ein kleines Kind, das noch auf dem Stocke ritt, aber ich dachte doch schon: Leib, Gut, Muth und Blut will ich den Frauen weihen, so gut ich es kann." „Als ich zu einem zwölfjährigen Knaben herangewachsen war", berichtet Ulrich dann weiter, „hörte ich von einer Frau erzählen, die war hochgeboren, schön, gut, keusch und sanft. Da rieth mir mein Herz, mich der zu eigen zu geben." Er tritt also bei ihr in Dienst und erwähnt später mit be sonderer Freud«, daß er ost schöne Blumen habe für sie pflücken und ihr überreichen dürfen. Den Gipfel seiner Glückseligkeit aber erreichte Ulrich, wenn er dazu kam, wie gerade der schönen Frau Wasser über di« Hände gegossen wurde. Da» Waschwasser trug er dann hinaus und „trank e» vor Liebe zu ihr aus." Nachdem er seiner Herrin dann fünf Jahre gedient hatte, brachte ihn sein Vater al» Knappe zum Markgrafen von Istrien. Natürlich wurde dem verliebten Jungen der Abschied von seiner Herrin sehr schwer. „Da lernte ich zuerst die Sehnsucht kennen", schildert er sein« Empfindungen, „und der Minne Gewalt. Mein Leib schied von ihr, aber mein Herz blieb zurück " Doch da sein neuer Herr „kühn und wohlgemuth war und den Frauen gut diente", fand Ulrich bald Trost in dem Ge danken, daß er nun lernen könne, „wie man auf den Rossen ! sitzet, und wie man mit Frauen spricht und in Briefen süße Worte dichtet." Dann konnte er doch hoffen, mit größerem Er folge seiner Herrin zu dienen. Auf der Hochzeit des Fürsten von Oesterreich zum Ritter geschlagen, dachte Ulrich jetzt mit Eifer daran, die Gunst seiner Schönen zu gewinnen. Er be- theiligt sich an vielen Tournieren, thut sich überall hervor, aber er bekommt die Ersehnte gar nicht zu Gesicht. Dann verdrängte auch der kalte Winter den Sommer, und mit den Tournieren war'S vorbei. Da entdeckte sich der „minnesieche Mann" endlich seiner „Stiftel" (Anverwandte) mit der Bitte, die Meinung seiner Herrin über ihn zu erforschen. Die Gutmllthige entledigt sich auch mit Geschick ihres Auftrages, bringt aber schlechte Botschaft an Ulrich zurück, die Schöne denkt gar nicht daran, ihn zu lieben. Sie fand überhaupt noch keinen so trefflichen Mann, daß der zu ihr paffe. „Und schließlich", so endet sie ihren Sermon, „wäre Ulrich von Lichtenstein vollkommen in jeder höfischen Zucht, wovon ich bisher aber noch keine Kunde bekommen, so mußte doch sein ungefüger Mund einem Weibe jederzeit unlieb sein." Der Ritter scheint nämlich eine Hasenscharte gehabt zu haben. Selbstverständlich hatte er nun nichts Eiligeres zu thun, als „sich von seinem Munde weg schneiden zu lassen, was daran zn viel war". Er geht zu einem Meister nach Graz, der die Operation auch glücklich zu Stande bringt. Doch lag Ulrich danach sechs Wochen als ein wunder Mann darnieder und litt großen Hunger und Durst. Denn der Bader hatte ihm eine „kleegriine Salbe auf die Wunde gestrichen, die so übel roch", daß dem armen Patienten Hunger und Durst verleidet wurde. Seiner Herrin läßt er nun sagen, daß er alle Schmerzen ertrüge, weil ihr sein Mund nicht gefallen hätte. Was sie an ihm häßlich fände, würde abgethan; selbst wenn ihr sein« rechte Hand nicht behagte, so würde er sie auf der Stelle abschlagen. Diese Liebesprobe hatte die spröde Schöne anscheinend ge rührt. Sie schrieb an die Stifte v. Ulrich's, daß sie diesen „seines Mundes wegen sehen wollte". Sobald es sein Zustand gestattete, machte er sich nun auf den Weg zu der Geliebten hin. Er trifft sie an dem vereinbarten Orte, aber so von Rittern und Gesinde umgeben, daß er nicht an sie heran, nicht mit ihr reden kann. In seiner Noth dichtet er nun ein Büchlein voller Lieder und schickt es an seine Herrin. Diese behält Buch und Boten zwei Tage bei sich und sendet dann beides Ulrich zurück. Da entdeckt er wohl, daß in dem Buche jetzt mehr stand, als er hineingeschrieben hatte, da er selbst aber Geschriebenes nicht lesen konnte und sein Schreiber gerade nicht zugegen war, mußte er bis zu dessen Rückkehr, zehn lange Tage, warten, ehe er erfuhr, was seine Schöne ihm zu sagen hatte. Ach, das war wieder eine traurige Botschaft, die Hartherzige blieb dabei, daß er seine Bemühungen um sie endlich beenden solle. „Wie ich das hörte", so lauten jetzt Ulrich's Worte, „ward mein Herz voll Trauer und mein Körper schmerzte mich." (moderne Schriftsteller würden sagen, „ich empfand di« Worte wie einen körperlichen Schmerz".) „Doch ich sagte zu mir: nur immer zu, wa» auch die Süße mir zufiigt, da» muß mich Alles gut dünken. Ich will doch nicht von ihr lassen, sondern ihr bi» zu meinem Ende in Beständigkeit dienen." Er stürzt sich nun also in einen Strudel von Tournieren hinein, in denen er zu Ehren seiner Dame Lanze auf Lanze bricht, bis ihm einmal «in Finger so durchstochen wird, daß derselbe nur noch mit einer Sehne an der Hand hängt. Flugs meldet Ulrich das der Schönen: „In Eurem Dienste habe ich «inen Finger verloren."
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