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01-Frühausgabe Leipziger Tageblatt und Anzeiger : 10.11.1899
- Titel
- 01-Frühausgabe
- Erscheinungsdatum
- 1899-11-10
- Sprache
- Deutsch
- Digitalisat
- SLUB Dresden
- Lizenz-/Rechtehinweis
- Public Domain Mark 1.0
- URN
- urn:nbn:de:bsz:14-db-id453042023-18991110010
- PURL
- http://digital.slub-dresden.de/id453042023-1899111001
- OAI-Identifier
- oai:de:slub-dresden:db:id-453042023-1899111001
- Sammlungen
- LDP: Zeitungen
- Strukturtyp
- Ausgabe
- Parlamentsperiode
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- Wahlperiode
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Inhaltsverzeichnis
- ZeitungLeipziger Tageblatt und Anzeiger
- Jahr1899
- Monat1899-11
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Reklamen unter dem Redactionsstrich (4gv- fvaltrn) ÜO^, vor den Familiennachrichtru (6 gespalten) 40^. Brößere Schriften laut unserem Preis- verzeichniß. Tabellarischer und Ziffrrnsatz nach höherem Tarif. Extra-Beilagen (gefalzt), nur mit der Morgen-Ausgabe, ohne Postbrförderung ^lt 60.—, mit Postbefördrrung 70.—. —— Ännahmeschlvß für Anzeigen: Abend-Ausgabe: Vormittag» 10 Uhr. Morgen-Ausgabe: Nachmittags 4Uhr. Bei den Filialen und Annahmestellen je eine halbe Stunde früher. Anzeigen sind stet» an die Expedition zu richten. Druck und Verlag von E. Polz in Leipzig. 93. Jahrgang. Colonialpolitik, Handelspolitik und Socialdemokratie, Die „Sächs. Arbeiterztg." spricht heute recht gering schätzig von der wirtschaftlichen Bedeuiung des „mongolischen" Ostasien und des von „Kassern" bewohnten Colonialbesitzes Deutschlands in Afrika. Durch diese Geringschätzung bekundet das genannte socialdemokratifche Blatt, selbst wenn sie im Ver gleich mit dem „civilisirten Amerika" ausgesprochen wird, doch eine beträchUiche Unkenntniß der einschlägigen Verhältnisse im Allgemeinen; im Besonderen aber zeigt die „Sachs. Arbeiterztg." dadurch, wie wenig sie sich um das „wissenschaftliche" Organ der Socialdemokratie, um die „Neue Zeit", kümmert. Die „Neue Zeit" hat in ihrer jüngst erschienenen letzten Nummer Wer das Wachsthum des Handels der Ver einigten Staaten mit Ostasien dem „Econvmiste fran^ais" wenige, aber sehr lehrreiche Zahlen entnommen. Darnach haben Vie Vereinigten Staaten im Jahre 1888 aus China, Hongkong und Japan für 183 Millionen Francs, im Jahre 1893 für 231 Millionen Francs importirk, während die Vereinigten Staaten nach Ostasien im Jahre 1888 für til Millionen Francs, im Jähre 1898 für 183 Millionen Francs cxportirten. Die „Neue Zeit" bemerkt hierzu: „Namentlich der Export aus der Union zeigt einen überraschenden Aufschwung. Er hat sich in einem Jahrzehnt verdreifacht. Viel mehr als dem alternden Europa dürfie die Aufschließung Chinas der gewaltig emporschießenden Industrie der Vereinigten Staaten zu Gute kommen." Welche Einwirkung auf diese Entwickelung der wirtschaft lichen Lage Ostasiens der spanisch-amerikanische Krieg ausüben wird, darüber hat sich das Centralorgan der socialdemokratischen Partei, der „Vorwärts", am 1. December 1898 sehr zu- lreffend geäußert. Er sagte von den Eroberungen, welche die Vereinigten Staaten in jenem Kriege gemacht haben, u. A. das Nachstehende: „Von viel größerer Bedeutung (als die Ver mehrung des stehenden Heeres und der Marine der Union. Redaktion.) ist der Vortheil, den die amerikanische In dustrie und der amerikanische Handel durch die Er oberungen erlangen werden: ein Vortheil, der sich bald genug in einer verstärkten Concurrenz der Union auf dem mittel- und südamerikanischen, wie auch dem ostasiatischen Markte bemerkbar machen wird. Dabei ist es durchaus gleichgiltig, ob Cuba, Portorico und der philippinische Archipel direct dem Besitzstände der Vereinigten Staaten eingegliedert werden, oder ob ihnen in irgend einer Form eine Art politischer Sondergestaltung zu gestanden wird; denn wirtschaftlich werden sie zum Vereinigten Staaten-Gebiet gehören." — Der „Vorwärts" führt alsdann aus, daß das „Dankee Capital" in Ostasien voraussichtlich ebenso „wie in Mittel- und Südamerika dominiren werde, sobald erst die Union sich auf den Philippinen häuslich eingerichtet haben wird, und sie für die dort genoffene Ausbeute von Colonial- Producten einen Absatz auf dem ostasiatischen Markte suchen muß." An die vorstehenden, sehr richtigen Auslassungen des „Vor wärts" im Zusammenhänge mit den oben wiedergegebenen Zahlen der „Neuen Zeit" zu erinnern, liegt jetzt um so mehr Veranlassung vor, als die Erörterung der Flottenfrage die socialdemokratische Presse zum immer wiederholten Auftischen der Behauptung bestimmt, daß das deutsche Reich eine phantastische Eroberungs politik ins Blaue hinein plane und betreibe. Auch in der heutigen Nummer der „Sächs. Arbeiterztg." taucht diese Verdächtigung wieder auf, und wenn im Reichstage dec Etat für Kiautschau rur Verhandlung gelangt, werden die socialdemokratischen Redner die Bedeutungslosigkeit Kiautfchaus als eines „Drecknestes" nicht höhnisch genug herunterreißen können. Gerade deshalb ist es an der Zeit, die reale Bedeutung eines Colonialbesitzes in Ostasien im Hinblick auf die oben wiedergegebenen Ausführungen des „Vorwärts" in das richtige Licht zu rücken. Bei dieser Gelegen heit muß noch eine andere Behauptung der „Sächs. Arbeiterztg." widerlegt werden. Das genannte Blatt macht nämlich unter Berufung auf den R e c i p r o c i t ä t sv e r t rag, den di« Vereinigten Staatenund Frankreich abgeschlossen haben und der Frankreich wichtige Zollermäßigungen für eine Reihe von Jndustrieprbducten gewährte, der deutschen Regierung den Vorwurf, daß sie nicht auf dem Wege der Verhandlung, z. B. durch Reducirungder Getreidezölleum die Hälfte, auch für Deutschland eine Ermäßigung der amerika nischen Jndustriezöllc herbeigeführt habe. Die „Sächs. Arbeiter zeitung" fchrribt wörtlich: „Daß dieser Weg gangbar war, zeigt eben das Vorgehen Frankreichs. . . Aber die deutsche Regierung wollte diesen Weg nicht beschreiten — zum großen Schaden für den deutschen Export." Die Frage einer deutschen Zollreduction um die Hälfte lassen wir als solch« auf sich beruhen, wir begnügen uns damit, dem von der „Sächs. Avbeitenztg." hervorgerufenen falschen Anschein entgegenzutreten, als ob Frankreich für die amerikanischen Zoll ermäßigungen eine Herabsetzung seiner Getreidezölle zugestanden hab«. In Wirklichkeit haben die Franzosen nur die amerikanische Einfuhr von Holz, Obst» Büchsenfleisch uNd Aehnliches be- günstigt- Preßstimmen über das Samoa-Abkommen. D Berlin, 9. November. (Telegramm.) Die deutschen Blätter besprechen in ihrer großen Mehrzahl das Samoa- Abkommen als ein für das deutsche Reich günstiges E r- eigniß, sowie als einen großen Erfolg des Staats sekretärs Grafen Bülow. Die „K r r u z z e i t u n g" nennt das Abkommen hoch erfreulich und hebt die Fortdauer der Tendenz, nach allen Richtungen hinklareundunanfechtbareRechts- titel zu schaffen, hervor und schließt: „Das Abkommen ist günstiger, als wir hoffen durften. Wenn Graf Bülow durch das Großkreuz des Rothen Adler-Ordens die An erkennung unseres Kaiserlichen Herrn erhalten hat, so war dies eine wohlverdiente Auszeichnung, zu der wir unsere Glückwünsche darbringen." Die „Tägliche Rundschau" sagt: Samoa deutsch ist «in Ergebniß unserer Diplomatie, das in allen deutschen Herzen dankbaren Widerhall finden wird. Das Abkommen erfüllt uns mit stolzer Freude und aufrichtigem Danke gegen Herrn v. Bülow, der mit sehr heftigen und widrigen Strömungen« zu kämpfen hatte." Die „Neuesten Nachrichten" constatiren die fast Ungetheilt günstige Aufnahme des Abkommens und sagen, so sei 1>er sehnliche Wunsch weiter Kreise des deutschen Volkes nach dem Besitz von Samoa nahezu vollständig in Erfüllung gegangen. Die „Vossische Zeitun g" schließt: „Die gemein same Abmachung beweist, daß gegenwärtig die besten Be ziehungen zwischen Berlin und London bestehen. Graf Bülow kann vor den Reichstag in dem Bewußtsein* treten, daß er seine Verheißungen vom 14. April im vollen Um fang erfüllt hat." DaS „Berliner Tageblatt" hebt hervor, der Vertrag habe nicht nur die sofortige Beseitigung der Unordnung auf Samoa zur Folge, er bedeute auch eine Erhöhung des staatlichen Ansehens und bewirke, daß uns ohne besondere Opfer das in den Schooß falle, was sonst nur ein glücklicher Krieg hätte sichern können. Die „Freisinnige Zeitung" begrüßt die Lösung der Samoa-Frage mit Genugihuung (!), weil die Samoa- Inseln seit Jahren der Zankapfel zwischen Deutschland, England und Nordamerika waren. Der „Hamburgische Korrespondent" sagt, das Abkommen finde auch in Hamburg den freudigsten Widerhall und bedeute eine sehr glücklich« und erfolgreiche Lösung, insbesondere, da es ohne jede Consequenz für die G e samm t p oli ti k Deutschlands sei. Das Blatt hebt hervor, die glückliche Hand des Grafen Bülow habe kaum jemals ein schwierigeres Problem gelöst, als die deutsche, durch alte Sünden bös verfahren« Samoa- Politik. Die „Hamburger Nachrichten" begrüßen das Abkommen mit um so größerer Freude und Genugthuung, als die Samoa-Ungelegenheit neben den materiellen deut schen Interessen ein« nationale Ehrenfrage be deute. Das Blatt beglückwünscht ebenfalls dm Staats sekretär des Auswärtigen Amtes zu dem Erfolg seiner Festigkeit. Von der auswärtigen Press« sind vor Allem die englischen Auslassungen von Bedeutung. (-) London, 9. November. (Telegramm.) In einer Besprechung des Samoa-Abkommens führen die „Time s" aus, dadurch feien die Bedingungen des Satzes „cko ut cke^' in billiger Weise befolgt. Keiner der einzelnm Puncte des Abkommens sei von größerer Bedeutung. Denn glücklicher Weise sei kein einziger Streitfall zwischen England und Deutschland von größerer Wichtigkeit gewesen, noch sei es wahrscheinlich, daß ein solcher Fall größere Bedeutung cmnehmen würde, lleber- haupt schein« das Abkommen so geartet, daß es sich zwei vernünftigen, praktischen Völkern selbst empfehle. „Daily News" sagen: Wenn auch Salisbury sich aus Samoa habe neuerdings verdrängen lassen, so sei es doch erfreulich, zu wissen, daß die Abtretung Samoas auch für Englands Freund«, die Amerikaner, etwas Gutes haben Werde. Das Abkommen werde auf jeden Fall mit Befriedigung aufzunehmen sein, und es sei erfreulich, daß alle Ursachen zu einer etwaigen Friction zwischen den beiden Regierungen beseitigt würden. „Daily Chronicle" betont, man müsse zunächst die Aeußerung der Colonien abwarten, bevor man sich endgiltig darüber schlüssig machen könne, ob das Abkommen «ine entsprechende Compensation dafür bilde, daß man Deutschland das schönste, fruchtbarste Land im Stillen Ocean einräume. „Morning Post" schreibt: „Die Bedingungen des Abkommens scheinen die eines für beide Theile gleich guten Geschäftes zu sein, und werden hoffentlich auch von den Regierungen von Australien und Neuseeland begrüßt werden." „Standard" bemerkt: „Insofern der Vertrag die Ursache etwaiger Meinungsverschieden heiten beseitigt, sollte er in England und Deutsch land mit allgemeiner Befriedigung ausge nommen werden." Deutsches Reich. Berlin, 9. November. (Protestantische Fürstinnen und das päpstliche Jubiläums jahr.) Die „Köln. Volksztg." macht in sehr eigenartige: Weise für die große päpstliche Feier Reclame, die zum „Jubiläumsjahr" 1900 in Rom stattfinden wird. Das rheinische Centrumsblatt verzeichnet nämlich das Gerücht, es würden der vom Papste selbst Ende dieses Jahres vorzunehmenden Eröffnung des Jübiläumsjahres die Kaiserin Friedrich und die „im Vatican wohlbekannte Kronprinzessin von Schweden" beiwohnen. Wir halten es für ausgeschlossen, daß dieses Gerücht sich bestätigt. Die ganze Feier des „Jubiläumsjahres" läuft auf die Verherrlichung des römischen Papstthums hinaus. Eine solche durch persönliche Thei(nähme ihrerseits mitzumachen, werden protestantische Fürstinnen ohne Zweifel Bedenken tragen, und sie werden das sicherlich dann thun, wenn sie wissen, daß die überwiegende Mehrheit der Be wohner ihrer Heimath an dem entgegengesetzten Verhalten Anstoß nimmt. In Deutschland dürste außerhalb des Ultramontanismus und der Socialdemokiatie die Ueberzeugung allgemein sein, daß die Theilnahme deutscher protestantischer Fürstinnen an einer päpstlichen Feier in Rom gegenwärtig weniger angebracht sei, als je; und in Schweden wird man ohne Zweifel ebenso denken. Er innert man sich vollends der I u b i l ä u m S b u l l e. die Leo XIII. am 11. Mai d. I. erlassen hat, so muß man es für ein Ding der Unmöglichkeit halten, daß protestantische Fürstinnen der Jubiläumsfeier ihre Gegenwart schenken. Denn in der Jubiläumsbulle befiehlt der Papst den Katholiken u. A. Folgendes: „Alle sollen aus ganzem Herzen zu Gott beten uni die„AusrottungderKetzerei"." — Ob angesichts des herausfordernden Charakters d«r Jubiläumsfeier, an dem im Hinblick auf das vorstehende Citat nicht zu zweifeln ist, von der „Köln. Volksz:g." klug gehandelt wurde, als sie für jene Feier durch die Ausssreuung besagten Gerüchtes Reclame machte, mag sie sich selbst beanrworten. Berlin, 9. November. (Die Altersgrenze der Criminalität.) Die Frage der Hinaufsrtzung des Beginns der Criminalilät von 12 auf 14 Jahre wird voraussichtlich in der nächsten Session den Reichstag sowohl, als den württembergischen Landtag beschäftigen; in beiden Parlamenten soll auch die Frage der Erweiterung desZwangs- erziehungswesens der Erörterung unterbreitet werden. Unter diesen Umständen ist es von besonderem Interesse, daß eben jetzt die Betheiligung der Kinder im Alter zwischen 12 und 14 Jahren an criminellen Handlungen für die letzten Jahre ziffernmäßig bekannt wird. Danach ist zunächst die erfreuliche Thatfache zu constatiren, daß die Zahl der zur Bestrafung heran zuziehenden Personen zwischen 12 und 14 Jahren unvergleichlich geringer ist, als die der zwischon 14 und 18 Jahren stehenden Personen, nämlich rund 8000 gegen rund 37 000. Diese verhält- nißmäßig gering« Ziffer ist neben anderen Gründen.Wohl auch darauf zurückzuführen, daß die Kinder zwischen 12 und 14 Jahren noch der strengen Zucht und der Aufsicht der Schul« unterstehen, während die zwischen 14 und 18 Jahren — es handelt sich hier ja vorwiegend um Angehörige der unteren Classen — schon vielfach als Lehrlinge bei Kaufleuten und Handwerkern, als Arbeiter in Fabriken und in ländlichen Betrieben thätig sind, und in dieser Stellung einer weit geringeren und weniger zuverlässigen Aufsicht unterstehen. Diese Thatfache, in Verbindung mit dein Unistande, daß von den jugendlichen Missethätern zwischen 12 und 14 Jahren nahezu 70 Pro«, wegen Diebstahls bestraft werden, wirft ein bezeichnendes Licht auf die Frage des Hin aufrückens der Altersgrenze. Wer im Alter zwischen 12 und 14 Jahren steht, also durchschnittlich etwa 13 Jahre alt ist, untersteht schon seit 7 Jahren dem sittlichen Einfluß der Schule und untersteht ihm nur noch der Regel nach 1 Jahr. Gerade der Begriff „Du sollst nicht stählen" — wie erwähnt, handelt es sich in 70 Proc. der Fälle um Diebstahl — müßte die Schule in siebenjähriger Thätigkeit dem Kinde eingeprägt haben, und wenn das Kind, während es noch dem Einfluss« der Schule untersteht, trotzdem nicht sittlichen Halt genug besitzt, sich vom Diebstahl und ähnlichen Delikten fernzuhalten, so wird es, wenn es diesem sittlichen Einflüsse entzogen ist, noch weniger Garan tien für ein straffreies Verhalten geben. Gerade aus dieser Thatfache heraus würde es uns bedenk lich scheinen, wenn man Kinder zwischen 12 und 14 Jahren schlechthin der criminellen Ahndung entziehen wollte. Die Straf möglichkeit muß vorhanden bleiben; über eine Aenderung der Strafart läßt sich diel eher reden, lieber die Sckxidlichkckit der G es ä n g n i ßst ra f e für so jugendliche Delinquenten ist man sich wohl allseitig einig, ebenso natürlich über die vollständige Zwecklosigkeit einer Geld ftrafe. Es sollte dem Richter deshalb die Möglichkeit geboten werden, in ganz leichten Fällen auf einen Verweis (viele Möglichkeit ist gemäß § 57 Absatz 4 schon heute gegeben) zu erkennen, in weniger leichten, aber auch nicht gerade schweren Fällen, auf Prügelstrafe, in schweren Fällen auf Zwangserziehung. Die criminelle Verfolgung und Ver- urtheilung generell und mechanisch durch die Zwangserziehung zu ersetzen, würde uns nicht als praktisch erscheinen, außer dem in vielen Fällen als eine durch die Sachlage nicht gebotene Härte. Feuölletsn» Schiller in Sachse». Gcdcnkblatt znm 10. November. Von Hermann Pilz. In unserer Alles nivellirenoen Zeit, einer Zeit, die sich nur zu selten auf den Schwingen der Begeisterung über das Alltagsleben rmpcuheden läßt, ist es ein schöner Brauch, den 10. November, den Geburtstag Schiller's, als einen Festtag zu feiern, und des Dichiers zu gevenk«n, der in seinem innersten Wesen deutsch war und in seinen unsterblichen Werken deutsches Denken und Fühlen zum Ausdruck brachte, wie kein Anderer vor und nach ihm. Die Ge bilde, die er geschaffen, waren einer großen, freien, einigen Nation iverth und würdig! Schiller eilte im Geiste seiner Zeit voraus. Deutschland war zu seinen Lebzeiten keine Nation, aber in ihm flammte das Feuer de: Begeisterung so mächtig aus, ols ob er zu einem großen Volke spräche, wie einst Aeschylos und Sophokles zu dem Volke der alten Hellenen. Und heute? Heute, wo wir durch ernste Männer des Wortes und der That wieder ein einiges, freies Volk geworden sind, heut«, wo dem Genius Schiller'» erst recht die Opferfeuer auf den Altären der Kunst rauchen sollten, heute will man uns im Banne einer armseligen Afterkunst glauben machen, der Dichter des „Teil" habe sich überleb!, er sei nur noch „historisch" von Werth. Dann hat sich auch die Be geisterung für das wahrhaft Schöne, das Gefühl für die reine, göttliche Kunst, das Geschenk aus Himmelshöhe.n ja das Empfinden für nationale Würde überlebt, denn Schiller war und ist für das Alles der gewaltigste, lebendigste Ausdruck. Aber wir lassen uns auch nicht Lange machen. Wir wissen, daß es in der modernen Literatur und Kunst Persönlichkeiten giebt, welche glauben, groß zu scheinen, wenn sie Größen zu stürzen suchen. Ihre Attentate auf unsere größten Nationaldichter werden ober ohne Wirkung bleiben, so sehr auch dabei die Trommel gerührt und ins Horn gestoßen wird. Die Feier von Schiller's Geburts tag ist «in Protest gegen die Kritik auf Irrwegen, die dem deutschen Volte seinen Lieblingsdichter entfremden möchte. Und wir haben besonders Ursache, Schiller's immer von Neuem zu gedenken, denn «r hat zu unserem Sachfenlande in den intimsten Beiziehungen gestanden. Am 13. Januar 1782 waren in Mannheim „Die Räuber" mit großem Erfolge in Sc«ne ge gangen, und der Regimentsmedikus Schiller fühlte sich von den Fesseln feines Berufes und noch mehr von der Beraubung seiner geistigen Freiheit so schwer bedrückt, daß er am 22. September desselben Jahres mit dem Manuskript des „Fresko" in der Tasche auS Siuttgurt flöh. Ab«r das Mißgeschick folgte ihm, und er wurde hierhin und dorthin verschlagen, bis er endlich auf dem Gute der edlen Gönnerin Henriette von Wolizogen eine Freistatt fand- Bauerbach wär das erst« glückliche Asyl in seinem sturm bewegten Loben. Anfang December kam er in einem dünnen Uciberrock, ausgefroren, mit dem Postwagen dort an und erholte sich bald unter der mütterlichen Pflege seiner Gönnerin. „Kabale und Liebe" reifte hier der Vollendung entgegen, und die ersten Entwürfe dcS „Don Carlos" beschäftigten seinen unermüdlichen Geist- Bis zum 24. Juli 1783 währte die Idylle von Bauer bach, die freilich einen anderen Charakter hat, als die Idylle von Sesenheim, und wir sehen Schiller zunächst wieder als Theater dichter bei Herrn von Dalberg in Mannheim mit einem Jahres gehalt von 300 Gulden. Der Kampf mit den Geldsorgen konnte durch dirse Einkünfte nicht beendet werden. Schiller's Kraft drohte in ihm zu erliegen. Da sollte aus Sachsen, und zwar zunächst aus Leipzig Heil und Hilfe kommen. Zwei Brautpaare, die von den Werken des Dichters mächiig angezogen waren, bereiteten ihm eine Huldi gung vor, nxlche für seine Zukunft bedeutungsvoll werden sollte. Kleine Ursachen haben groß« Wirkungen! Anonym erhielt der Dichter «ines Tages in Mannheim durch di« Post aus Leipzig ein Packet, in welchem ein Brief, der ihm die Sympathie der vier glücklichen Menschenkinder ausdrückte, die PorträiS derselben, eine gestickte Brieftasche und eine Comppsition von „Amaliens Lied" aus den „Räu'bern" lag. Der Schreiber des Briefes war Ludwig Ferdinand Hüber, ein belletristischer und politischer Schriftsteller, der in Paris 1764 geboren, aber schon in seinem zweiten Lebensjahre mit feinenEltern nachLeipzig gekommen war. Schon in seinem 15. Jahre trat er als Uebersetzer auf. Huber wurde 1788 Legationssekretär bei der sächsischen Gesandtschaft zu Maiwz, nachdem er zuvor in Dresden im Bureau des Ministers von Stuttcr'heim gearbeiket hatte. Seine amtliche Stellung gab er aber wieder auf, als er sich der verlassenen Familie feines Freundes Johann Georg Forster annehmen mußte, dessen Wittwe, Therese Forster, er 1794 heirathete. Er wendete sich der Schriftstellere! zu, ging 1798 nach Stuttgart, wo er die Redaction der „Allgemeinen Zeitung" übernahm, 1806 nach Ulm, wo er am 24. December 1804 als Landes- directionsrath in der Section des Schulwesens der neuen bayerischen Provinz Schwaben starb. Huber bereicherte da deutsche Theater durch gute Bearbeitungen französischer Lust spiele und gab auch anmuthige Erzählungen heraus, die viel zu früh der Vergessenheit anheimgefallen sind. Huber wär mit Dora Stock verlobt, welche auch die Porträis gezeichnet hatte, während die Brieftasche von ihrer Sckwester Minna, und die Komposition von deren Bräuiigam. Sem in Dresden angestellten Oberconsistorialrath I>r. Christian Gott fried Körner, dem Sohn des Leipziger Superintendenten Prof. Johann Gottfried Körner, herrllhrte, der mi: ^Hube: eng be freundet war. Unerwartet hatte der bedrängte Schiller Freund« in Leipzig gefunden. Er kundschaftete dir Namen seiner Ver ehrer aus und trat mit ihnen in regen brieflichen Verkehr, in dem sich auch bald die bedrängte Lage des Dichiers herausftrllte. vr. Körner wollte ihm helfen und übermittelte ihm durch den Verlagsbuchhändler Göschen 100 Ducaten. die zur Tilgung seiner Schulden ausreichten und ihm die Ue'bersiedelung nach Leipzig er möglichten. Am 17. April 1785 theilte er vom „Blauen Engel" aus Hüber seine Ankunft in Leipzig mit. Mit Huber und den Geschwistern Stock entspann sich nun bald ein reger persönlicher Verkehr, während mit Körner fleißig correspoNdirt wurde. E:st am 1. Juli 1785 erfolgte ein per sönliches Zusammenrrcssen in Kahnsdorf, und die Freundschaft wurde für die Ewigkeit besiegelt. Schon im Juni halte Schiller an Körner geschrieben: „Deine Freundschaft und Güte be reitet mir ein Elysium. Durch Dich, :beurer Körner, kann ich vielleicht noch werden, was ick zu werden verzagte. Meine Glückseligkeit wird steigen mirde: Vollkommenheit meiner KräflH und bei Dir und durch D-ick ge:raue ich mir, diese zu bilden. Die Thränen, die ick die: an Ser Schwell« meiner neuen Lauf bahn, Dir z-um Dante, zur Verherrlichung vergieße, diese Thränen werden wieder kommen, wenn diese Laufbahn Vollender ist. Werde ick bas. was ich jetzt träume — wer ist glückliches als Du? Eine s^eund'chaft, die so ein Ziel hat, kann niemals! aufbören. Zerreiße diesen Brief nicht, Du wirst ihn vielleicht in zedn Jadren mar einer seltenen Empfindung lesen, und auch im Grabe wirst Du sanft darauf schlafen." Es ist bekannt, daß Schiller aus der geräuschvollen" Stadt — was man damals geräuschvoll nannte — auf das Land nach Gohlis entfloh, üm hier in dem einfachen Häuschen, das heutS Eigentbum des> Leipziger SchillerdereinS ist, sein Dichterquartier aufzuschlagen. Frühzeitig oft schon um 3 oder 4 Uhr erhob er sich vom Lager, um hinaus in die Felder zu gehen und dort seinen Gedanken freien Lauf zu lassen. Er schrieb bei diesen Morgerrspa zier gär, gen nichts nieder, und erst wenn er zurückkehrte, brachte er zu Papier, was er draußen in der freien Natur er? sonnen. Die Morgenspaziergänge führt« er gleich im Schlafrock, mit uübedeckrem Halse auS, denn Aeußerlichkeiten machten ihm die geringste Sorge. Ein Augenzeuge von damals schildert ihn als freundlich blaß von Gesicht, mit vielen Sommersprossen und röchlichem Haar und als sehr lang. Im selben Grundstück wohnte auch der Buchhändler Göschen, mit welchem Schiller dal» ebenfalls befreundet wurde, und seine Ideen auStauscht«, wobei es oft zu lebhäften Debatten kam. Derselbe Augenzeuge, Johann Christoph Schneider, berichtet, daß Schiller nicht geraucht, aber sehr stark geschnupft habe- Sein« Wohnstube habe stet» voller
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