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02-Abendausgabe Leipziger Tageblatt und Anzeiger : 08.12.1899
- Titel
- 02-Abendausgabe
- Erscheinungsdatum
- 1899-12-08
- Sprache
- Deutsch
- Digitalisat
- SLUB Dresden
- Lizenz-/Rechtehinweis
- Public Domain Mark 1.0
- URN
- urn:nbn:de:bsz:14-db-id453042023-18991208025
- PURL
- http://digital.slub-dresden.de/id453042023-1899120802
- OAI-Identifier
- oai:de:slub-dresden:db:id-453042023-1899120802
- Sammlungen
- LDP: Zeitungen
- Strukturtyp
- Ausgabe
- Parlamentsperiode
- -
- Wahlperiode
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Inhaltsverzeichnis
- ZeitungLeipziger Tageblatt und Anzeiger
- Jahr1899
- Monat1899-12
- Tag1899-12-08
- Monat1899-12
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Reklamen unter dem RedactionSstrich (-ge spalten) bO^L, vor den Familiennachrichte« (6 gespalten) 40 Größere «Schriften laut unserem Preis» Verzeichnis. Tabellarischer und Ziffernsatz nach höherem Tarif. Extra-Beilagen (gefalzt), nur mit der Morgen-Ausgabe, ohne Postbeförderung 60.—, mit Postbeförderung 70.—. Anuahmeschluk für Anzeige»: Ab end »Ausgabe: Vormittags 10 Uhr. Morgen-AuSgabe: Nachmittag» 4Uhr. Bei den Filialen und Annahmestellen je ein« halbe Stunde früher. Anreisen sind stets an die Expedition zu richten. Druck und Verlag von E. Polz in Leipzig. 825. Freitag den 8. December 1899. 93. Jahrgang. Politische Tagesschau. * Leipzig, 8. December. Obgleich die Tagesordnung der gestrigen Sitzung des Reichstags recht lang war, war die Sitzung selbst sehr kur;; jedensallS wollte sich ein großer Theil der Theilnehmer noch der NachmittagSzüge bedienen, um die Zeit bis zur nächsten Sitzung — Montag — daheim recht gründlich ausnützen zu können. Lediglich dieser Eile dürfte es zuzuschreiben sein, daß der von der eigenen Partei deS Abg. Jacobsen ge stellte Antrag, dessen Mandat wegen deS über das Ver- mögen deS Inhaber- eröffneten Concurses für er loschen zu erklären, der GeschäftSordnungScommission über wiesen wurde, statt sofort im Plenum erledigt zu werden. Der Fall ist doch einfach und klar genug, um einer Com- mission-berathung nicht zu bedürfen. Auch daraus, daß die social demokratische Fraction eS unterlassen bat, in Bezug auf ihr eigenes, gleichfalls in ConcurS verfallenes Mitglied Agster dasselbe zu beantragen, was die Freisinnige Bolkspartei be züglich deS Abg. Jacobsen beantragte, rechtfertigt die geschäft- liche Behandlung deS letzteren Antrags nicht. Daß die dritten Lesungen des Antrag» Bassermann auf Aufhebung deSVer- biadungSverbvteS für Vereine und des Antrags v. Heyl, betr. die Ausdehnung der Krankenversicherungspflicht auf die Heimarbeiter, ohne Debatte verliefen, war vorauSzusehen, denn über den letzteren Antrag war nichts mehr zu sagen und die grollenden Auslassungen über die Zustimmung deS BundeSratheS zu dem ersteren haben die beiden conservativen Fraktionen der Parteipresse überlassen. Die rasche Erledigung dieser beiden Anträge war auch des halb zu begrüßen, weil sie dem Hause Zeit ließ, von der Fülle eingelaufener und von der betr. Commission schon durch- berathener Petitionen wenigstens eine Gruppe zu erledigen, die von allgemeinerem Interesse ist. Diese Petitionen verlangen eine Abänderung bezw. Abmilderung der Strafbestimmungen deS tz 3lk d. R.-Str.-G.-B., betr. fahrlässige Gefährdung von Eisenbahntransporten. Seit der Ucberhandnahme des Straßenbahnverkehrs mit Dampf und Elektricität hat man sich allmählich mehr und mehr davon überzeugt, daß es auf die Dauer unmöglich ist, bei Zusammenstößen zwischen gewöhnlichem Fuhrwerk und Dampf- oder elektrischen Straßen wagen stet» und ausnahmslos die strengeren Strafvorschriften in Anwendung zu bringen, welche zum Schutze deS eigentlichen Eisenbahnverkehrs bestehen. Dazu ist das Treiben auf den Straßen namentlich der Großstädte denn doch zu rege, ganz abgesehen davon, daß auch bei einer kleinen Caram- bolage auf den städtischen Straßen die Gefahr für Leben und Gesundheit keinenfallS in dem Maße und in dem Um fange vorhanden ist, wie bei Gefährdung eines Eisenbahn- zugeS. ES ist daher zu begrüßen, daß das HauS gestern noch Zeit fand, einem von nationalliberaler Seile beantragten Gesetzentwürfe zuzustimmen, welcher für die Richter den Zwang beseitigt, in jedem Falle auf Gefängniß zu erkennen; es soll fortan, je nach den Umständen, auch bei einer Geld strafe sein Bewenden haben können. Die schon gekAinzeichnete Methode, die man in Berlin für die Behandlung der Verbindungsverbotsangelegenheit gewählt hat, bringt eS mit sich, daß die endliche Erledigung der Sache politische Erörterungen nach sich zieht. Das Schwergewicht deS Gegenstandes selbst würde es nicht rechtfertigen, daß z. B. die „Kreuzztg." die vorgestern durch den Fürsten Hohen- lohe abgegebene Erklärung des BundeSraths zum Anlasse nimmt, einen Artikel mit der an eine bange Frage deS großen russischen Pessimisten Gogol erinnernden Ueberschrift „Wohin steuert unsere Reichspolitikzu veröffentlichen. DaS Blatt selbst erklärt, „dieser ganzen Gesetzgebungsmaterie", der Auf hebung deS Verbotes des Verkehrs zwischen Vereinen, geringe Bedeutung beizulegen, und wenn es trotzdem an daS Schicksal dieser Lappalie politische Betrachtungen knüpft, so können wir dem um so weniger entgegentreten, als wir gestern daS Gleiche gethan. Aber — dies der Unterschied — die Partei der „Kreuzztg." ist mitschuldig an dem politisch beklagens wertheil Verlauf der Angelegenheit, sie hat, als zu aller Parteien Erstaunen in Preußen an die Aushebung deS Ver- bindungSverbotS ein wenig durchdachtes hochpolitisches Unter nehmen angeknüpft werden sollte, statt HauSpolitik Staats politik getrieben, und wenn ihr von linksliberaler Seite der Vorwurf gemacht wird, dieConservativen hätten auch vorgestern nicht an die Sache gedacht, sondern neben die Peitsche ihrer Canalopposition daS Zuckerbrot» der aussichtslosen Befürwortung eines zwar untauglichen, aber nicht überall dafür gehaltenen Mittels zur Bekämpfung der Umsturz bestrebungen legen wollen, so ist dieser Verdacht nicht allzu weit bergeholt. Jedenfalls haben die Deutschconservativen kein Recht» anderen Parteien wegen der Anregung und ber Zustimmung zur reichSgesetzlichen Beseitigung des Verbindungs verbots die allerhöchste Entrüstung kund zu geben. DaS ist vielmehr grobe Heuchelei. Die Deutschconservativen waren in dieser Frage keineswegs geschlossen. Wenn, was leider wegen des schlechten Besuches des Reichstags unmöglich war, vorgestern namentlich abgestimmt worden wäre, so würden Conservative sich gezwungen gesehen haben, der Abstimmung fern zu bleiben, Andere sogar, für den Antrag Basser mann zu stimmen. Die „Deutsche Tageszeitung" rühmte sich noch am Tage der Entscheidung, die Beseitigung des V-r- bindungSverbotS von jeher für notbweiidig erachtet zu haben. Der Redacteur dieser Zeitung ist Mitglied der conservativen NeichstagSfraction, hätte aljo jedenfalls mit den National- liberalen votirt oder sich absentirt. Diesem Beispiele ließen sich viele andere benebst derErinnerung anreihcn, daß auch die con- servativeProvinzpressePreußens s. Z. überwiegend gegen die Ver- einSgesetznovelle der Regierung und für dirAufhebung des Verbots sich erklärt harte. Die Conservativen verfahren in dieser An gelegenheit so wie am Sterbebette der „Zuchthausvorlage". Sie weisen jetzt empfehlend auf ihr Nein zu einem Gesetze bin, von dem sie wußten, daß ihm eine erdrückend« Mehrheit sicher war, genau so, wie sie rvr vierzehn Tagen die Belobigung für ihr Ja zu der Bewilligung eines Gesetzes beantragten, ressen Ablehnung außer Zweifel stand und für das sie nach den Äußerungen ihrer Führer und ihrer Presse gar nicht hätten stimmen können und dürfen, wenn auf die conservative Stimmen abgabe etwas angekommen, diese also beachtet worben wäre. Der Canal scheint den preußischen Conservativen in der Thal nicht minder schwer in den Gliedern zu liegen, als einem Theile der dortigen Liberalen. Sonst würde die „Kreuz zeitung" wohl auch nicht eine Auflösung des Reichstages wegen der Flottenfrage als etwas nahezu Unvermeidliches hinstellen. Es geschieht dies in dem Vertrauen, daß selbst bei der jetzigen Zerfahrenheit in den Berliner Regierungs kreisen an eine zeitlich nicht sehr weit auseinander liegende Ausschreibung einerseits von Reichstags-, andererseits von Landtagswahlen nicht gedacht werde. Man kann aber, vorausgesetzt, daß man das Interesse der Allgemeinheit und nicht ein Gruppeninteresse im Auge hat, sehr wohl die Verkehrtheit der Auflösung des Landtags behaupten, ohne mit der Vorhersagung, daß eine Flottenverstärkung ohne Neu wahlen nicht zu erzielen sei, im Allgemeinen Verwirrung anzurichten und im Besonderen die Sache der Marine zu schädigen. Wie die Stimmung im Reiche vielfach ist, leistet dies ewige AuflösungS-Gerede nur Denen Vorschub, die, gerade weil die Flotte nur immer populärer wird, zu der ihnen schicklichen Zeit mit der Be hauptung hervortreten werden, bei Neuwahlen bandle eS sich weiniger um neue Schiffe, als um einen Reichs tag, der die bekannten schwarzen ReactionSpläne, mit deren Erfindung die Demagogen schon manche» gute Geschäft gemacht, verwirklichen werde. Vorläufig ist die Wahlschein- lichkeit.mit diesem Reickstage zu einem Flottengesetz zu kommen, mindestens ebenso groß wie die entgegengesetzte. Nur darf die Regierungsvorlage nicht allzu lange auf sich warten lassen — ber Boerenkrieg mit seinen Begleiterscheinungen para- lysirt tausend socialdemokratische und demokratische Reden — und die gouvernementale Presse darf nicht unter Verachtung aller Volkspsyckologie vorgeben, wozu sie Neigung zeigt. In den jüngsten Tagen sind wieder aus schlechtestem Metall geprägte Redensarten geprägt worden, die der Flottenfreund lieber nicht gehört hätte. So der Satz: „Wer die Novelle zum Flottengesetz nicht will, will auch die Flotte nicht." Das ist einmal in Anbetracht deS Umstandes, daß eine Novelle noch gar nicht voriieg», sondern nur unverbindliche Zeitungsartikel, daß Niemand weiß, was die Negierung verlangen wird, so dann in Anbetracht des kritischen deutschen Bolkszeistes und drittens in Ansehung der „Höhe" deS CreditS, den die in Berlin Negierenden genießen, eine hahnebüchene Dummheit. Man soll sich doch nickt einbilden, Bismarck zu sein, der übrigens — von seiner auswärtigen Politik abgesehen — Blancocredit niemals beansprucht hat. Solche Aus schreitungen treiben Wasser auf die Müblen der gegnerischen Presse, die man bei vorsichtiger Behandlung der Sache nicht sehr zu fürchten hätte. Namentlich von den klerikalen Organen gilt noch immer, daß sie ihr Geschrei nur aus Verlegenheit über eine ihnen äußerst unbequeme Situa tion ausstößen. Wir glauben nicht, daß Herr Lieber, wenn im Reichstage befragt, zu der „Ausfassung" der „Köln. Volkszeitung" sich bekennen würde, welches Blatt heute, ohne übrigens jede Flottenverstärkung zu bekämpfen, meint, in der Marinesache könne daS Centrum thun, was eS wolle, da „eS bereits zu Anfang des vorigen Jahre- durch die Zustimmung zum Flottensexennat seinen patrio tischen Sinn wahrlich hinlänglich bewiesen habe. Die „Köln. VolkSzrg." hält wohl da- Vaterland für ein Pfründner- hauS, in das man sich mit einem einmaligen Betrage „ein kauft", womit man jeder weiteren Verpflichtung ledig wird. Von wohlunterrichteter Seite wird unS geschrieben: Nach dem jüngst Mr. Bowle-, Mitglied deS Hauses der Ge meinen, unter Hinweis auf den Erlaß des Freiherr» von Marschall an den Botschafter Grafen Hatzfeldt vom 1. Februar 1895 im englischen Parlament die „Befürchtung" ausgesprochen hat, „ein" deutsch-englisches Uebereinkommcn binde England in Bezug auf die Zukunft Trans vaals die Hände, stellen sich die Berliner Correspondentrn der „Times" und der „Morning Post" mit an geblich authentischen Mittheilungen über die Haltung Deutschlands zn den von Mr. BowleS aufgeworfenen Fragen ein. Die angeblich authentischen Mittbeilunzen laufen auf eine Eröffnung hinaus, die der Correspondent der „Times" von competenter deutscher Seite gehört haben will, und die besagt, daß der Standpunct deS Freiherrn von Marschall — Erhaltung deS Transvaals als unabhängigen Staates gemäß der Londoner Convention von 1884, Erhaltung deS Status quo in Bezug auf die Eisenbahnen und den Hafen der Delagoa-Bay — beute nur die „Bedeutung einer geschichtlichen Erinnerung" hätte. In Wirklichkeit ist, wie auf da- Bestimmteste versichert werden kann, diese Eröffnung nicht gemacht worben. Vielmehr bat man es ausdrücklich abgelehnt, die Frage nach der jetzigen Stellung D-utsckland- zu dem Erlaß deS Freiherrn von Marschall zu beantworten, weil eine Antwort hierauf einerseits mit dem Grundsätze der Beobachtung unbedingter Neutralität nicht vereinbar, andererseits während deS gegenwärtig herr schenden Krieges doch nur von akademischem Werthe sei. Wenn der Correspondent der „Times" ferner von competenter deutscher Seite gehört haben will, es wäre denkbar, daß der geheim gehaltene deutsch-englische Afrika-Vertrag die in dem Erlaß deS Freiberrn von Marschall berührten Gegenstände in anderer Weise regele, al- 1895 an gegeben, so giebt er durch diele Ausstreuung einen deutlichen Wink, welchen Zweck die von Mr. BowleS «ingeleitete, von „Times" und „Morning Post" fortgesetzte Action hat: den Zweck, wegen eben desselben Vertrages auf den Busch zu klopfen. Daß durch solche Manöver die öffent liche Meinung Deutschlands zu Gunsten Englands nicht um gestimmt werden kann, sollten sich die Betheiligten selbst sagen. Der Krieg in Südafrika. —e- Auch die englische Presse steht unter dem bestimmten Eindruck, daß ein entscheidender Schlag in Natal unmittelbar bevorstebt. DaSLager bei F/e re wächst täglich und die hölzerneEisenbabnbrücke bei Frcre sollteam Montag oder Dienstag fertig werden, so daß dann Züge nach Cbieveley gehen können. Daß General Clery jetzt an der Front in Frere weilt und, wie uns heute ein Londoner Telegramm nach dem „Daily Cbronicle" berichtet, der Stab am 5. December aus Pieter maritzburg nach Frere abgereist ist, darf als ein Zeichen dafür angesehen werden, daß der Aufmarsch der Ost division >m wesentlichen beendet, die Zufuhr gesichert und die Etappenlinie hergestellt ist. Die Deckung der rückwärtigen Verbindung wird eine nicht unbeträchtliche Zahl der Clery zur Verfügung stehenden Truppen in Anspruch nehmen, zumal da auch in Natal, wenn auch nicht in dem selben Maße wie im Cap, mit einer unzuverlässigen Pe- völkerirng gerechnet werden muß. Neber Ladysmith wird beut« wieder einmal berichtet: * London, 7. December. Das „Reuter'sche Bureau" meldet unter dem gestrigen Tage aus dem Lager bei von Frere: Ein Läufer, der heute aus Ladysmith hier eingetroffen ist, berichtet, daß dort Alles gut fei. Die Beschießung dauere fort; sei jedoch unwirksam. Die Geschoße träfen nur Gebäude. Was auf die Meldungen solcher Kaffernboten zu aeben ist, weiß man. Sämmtliche Privatnachrichten über Lady smith lauten so, daß die Stadt gegenwärtig aufs Aeußerste bedrängt wird und die Lebensmittel anfangen bedenklich knapp zu werden. Das Reuter'sche Telegramm sucht zu vertuschen. In Brüssel wird die Nachricht,daß der Oberftcowmandirendc General Joubert krankheitshalber den Oberbefehl an Schalk Burger abgetreten habe, für glaubhaft gehalten. Letzterer Sf Das verkaufte Genie. Ein Sommernachtstraum. Novelle von Anton Freiherrn v. Perfall. N»chtruck verboten. In seinem starken Naturgefühl hatte das Alles individuelles Leben für ihn, eine Seele, die auch in seiner Verwendung zum Ausdruck kommen mußte. Und dann kamen erst die künstlichen Pröducte der Industrie, welche den kühnsten Gedanken, die an den Grenzen des natürlichen Materials angelangt waren, neue Möglichkeiten verlieh. Jetzt fühlte er erst, was es heißt, ein Künstler zu sein, Genie zu besitzen, und er lachte im Innern über die thörichten Schranken, die man den Künstlern setzte, und er empört« sich über die Fachmännerei, über den Handwerkergeist der Architekten und Ingenieure, die ihm oft mit ihrer Prin- cipienreiterei, ihren verhaßten Schulregeln die Laune verdarben. Eine echte Künstlernatur allein kann schaffen, gleichviel, was es sei, rin Bild oder ein Gebäude, der Techniker ist nur der Hand langer. Daß er trotz Allem höchst einseitig, nur als Maler sah und schaffte, dessen Schaffen sich Selbstzweck ist, daß er darüber die höchste Kunst des Architekten ganz vergaß, sein Wirk dem Zweck unterzuordnen, ohne darüber die Schönheit und das Eben maß zu opfern, daß dazu ein tiefes technisches Wissen gehör«, darüber machte er sich keine Gedanken. Und so sah er nicht, was jede» Bauernkind sah, die Ungereimtheit des ganzen Baues, welche trotz der einzelnen Schönheiten das gesunde Zweckbewußtsein verletzte. Auch Marie sah mit einem gewissen Angstgefühl den Fort schritten des Baues zu; für sie war derselbe ein getreues Abbild deS Seelenzustandes ihres DaterS. Dieses verworrene krank hafte Sehnen, dieses Abschweifen und Sichverlieren, diese Ueber- kreibungen in das Prunkhafte, Bizarre, das sie so oft beunruhigte, vor dessen letzter Entwickelung sie zittert«, da nahm eS vor ihr feste Form an. Dies« sich übersteigenden Thürmchen, von denen das ein« da andere zu verdräng«» strebte, bis zuletzt der massige mittlere, der aus zwei übereinander gebauten Terrassen hervorwuchs, wie «in tyrannischer Gedanke alle zusammen erdrückte — das waren feine ruhelosen Träume, über die er sich selbst, seine Kunst, fein stilles Glück, sein Kind vergaß. Jede schüchterne Andeutung, jeder leise Einwand ihrerseits erregte einen Sturm in dem jetzt doppelt überreizten Manne. So schwieg sie. Sie waren nun einmal nicht zu friedsamem Glücke geboren. In jedes andere Haus hätte ein Mann wie Mister Floot nur Sogen gebracht. Für das ihre war er, trotz seiner hohen Eigen schaften, ein Verderben, ja gerade in diesen selbst lag die Gefahr. Er vergötterte den Vater, hing mit dem frommen Glauben eines Kindes an ihm, war sein rücksichtsloser Bewunderer. Das Genie, das ihm fehlte, war für ihn Alles, der Reichthum, den er besaß, nichts. Es war ein Vergnügen, ihn zu zerpflücken, ihn aus zustreuen in alle Welt. Ja, oft erfaßte ihn wirklich etwas wie Zorn über dieses Gold, das allein ihm vielleicht die Thore in das Genieland verschloß. Jetzt war es ihm wenigstens vergönnt, seine Atmosphäre zu athmen, ganz einzudringen in eine Künstler seele, mehr, ganz Besitz davon zu ergreifen. Ja, zum ersten Mal in seinem Leben fühlte er den Verth des Goldes, das ihm dazu verhalfen. Zu dieser bereits nicht mehr ganz reinen Regung gesellte sich noch «ine andere, eine geheime Schadenfreude, wenn er beobachtete, wie dieser Thor sich einmal ganz zufrieden fühlte in der Ueberfülle seiner Natuvgaben und sich nach dem lang weiligen blöden Gold« sehnte, das er so tief verachtete. In seiner blinden Anbetung des Genies billigte er alle Pläne des Freundes, sah er in all' den ausschweifendsten Bizarrerien nur edelsten Geist und feinsten Geschmack. Jolander hingegen verstand es sehr wohl, Floot's Eitelkeit zu schmeicheln, ihn als Mitarbeiter und Anreger zu behandeln, zur rechten Zeit seinen, feinen Geschmack zu bewundern und seinen Wünschen Concessionen zu machen. Kurz, Beide waren ausgesöhnt mit ihrem Schicksal, der Glaube an eine glückliche Fügung ihres Zusammentreffens hatte Floot nicht betrogen. Und selbst Marie ließ sich immer, gegen ihren Willen und trotz ihrer Ablehnung der drohenden neuen Gefahr, durch diese begeisterte Freundschaft bestechen, deren Wärme sie unwillkürlich mit ergriff. Wärme ist aber für ein jungfräulich Herz immer ein bedenklich Ding. Sie weckt die tiefschlummernden Keime, und ein Wachsen und Blühen beginnt, dem kein Halt mehr zu bieten ist. Floot batte trotz aller Ritterlichkeit, di« er nie verletzte, kein Auge für sie, er ging ganz im Vater auf, in der Begeisterung für srine Kunst, aber gerade dieser, ihr an einem funaen Mann« so ungewohnte Idealismus, den sie bisher im väterlichen Hause so schmerzlich mißte, diese Verachtung des Goldes, des DämonS, welcher den Vater so quälte, entzückte, sie. . Welches Glück, von diesem Manne geliebt zu werden, ihn wieder zu lieben. Dies« Vorstellung beglückte sie, ohne-daß sie, sich selbst auch nur in Gedanken an die Stelle der Glücklichen setz:-. Im Gegen- theil, sie hatte sich von dieser bereits ein Bild geschaffen, das keinen Zug hatte von ihrer unbedeutenden Person und glaubt« sich so sicher und zufrieden von ihrem Beobachtungsposten aus. Ja, sie wäre gestorben vor Scham, wenn er auch nur aus einer Miene, aus einem Worte den Verdacht hätte schöpfen können, sie nähre Hoffnungen in dieser Beziehung, Hoffnungen — auf den vielfachen Millionär. So gab sie sich spröder, zurückhaltender, als es sonst ihre Art und jetzt ihre Empfindung war. Er aber bemerkte kein Zuviel und kein Zuwenig, er behandelte sie mit einer geschlechtslosen Freundlichkeit, konnte stundenlang mit ihr unter vier Augen plaudern, ohne daß nur einmal seine Wange röther sich färbte, sein Händedruck wärmer geworden wäre. Er pries ihr goldiges, seidenweiches Haar, ihre unergründlich blauen Augen, ihre zierlichen, wohlgepflegten Hände, wie er das Alles auf irgend einem Bild- des Vaters pries und sprach sich aleich darauf in Helles Feuer, das seine Wangen brennen, seine Augen glühen macht-, üb«r irgend ein Meisterwerk, dos er ge sehen. Er liebte sie nicht. Das war das Resumö Mariens. Und das war gut. Sie liebt« ihn auch nicht. Gold bricht auch die Fesseln des Winters. Es wurde rastlos weiter geschafft, die freien Stunden in der Villa füllten neue Pläne für sie Zukunft, gemeinsame Arbeiten im Atelier.' Jolander versäumte nicht, der dilettantischen Eitelkeit des Freundes zu schmeicheln, Hoffnungen in ihm zu erwecken, daß aus dem mageren Kräutlein einer bescheidenen Veranlagung noch einmal der stattliche Baum eines Talents sich entwickeln könne; lenkt« er ihn damit doch von dem Bau ab. Es war auch nicht zu leugnen, daß unter Jolander's ständigem Einfluß Floot's lieb«nswürivig« Veranlagung erstarkte, wenn auch aus Kosten aller Selbstständigkeit. Gleichviel, des Jünglings Eifer wuchs damit ins Unermeß liche, seine glühendsten Wünsch« rückten jetzt an die Grenze des Er reichbaren. Mit innerer Angst betrachtete er das rasche Wachsen des Baues vom Atelierfenster aus. Fühlte er sich denn je glück licher, als hier, in dem kleinen Häuschen, im Atelier des Meisters, vor seiner Staffelei, in dieser schlickten, vom Flügelschlage deS Genies durchrauschten Häuslichkeit, in welcher Mariens heitere Ruhe so besänftigend auf die stürmischen Gemüther wirkt«? Was j wollte er denn einmal da drüben in dem Prachtbau, der jetzt schon auf ibn drückte, ihm den Athem benahm der das geistige Eigenthum Jolander's war, an dem er keinen Lntheil hatte, als den in seinen Augen völlig werthlosen, den das Goto verlieh, daS er dafür zur Verfügung stellte. ' ' Und Jolapder sah mit gleichem Bangen, wenn auch aus ganz anderen Gründen, der Vollendung entgegen. Was dann? Dan» hatte er ausgedient. Dann konnte er wieder zurückkchren zu seinen seligen Inseln und Wissen, in die Enge feines Ateliers, und Alles war nur ein kurzer Traum, dem ein ödes, qualvolles Erwachen folgt. Der Löwe hatte Blut geleckt. Die anregende Thättgkeit hatte tausend neue Entwürfe und Gedanken erweckt. Das einfach bürgerliche Leben, das er führte, sein enges Heim, das Alles wirkte jetzt doppelt drastisch den riesigen Geldsummen gegenüber, mit welchen er jetzt zu rechnen hatte. Und wie sollte das erst werden, wenn der Freund das Schloß bezog, ein diesem Edelsitze entsprechendes Haus führte? — Immer der Gast sein, der Parasit, dazu war er am wenigsten geschaffen. Mit stoischer Ruhe von seinem Spießbürgerheim aus Alles mit ansehen und weiter arbeiten im Schweiße seines Angesichts, das wird noch weniger durchführbar sein. Also Wieder das Zelt abbrechcn, wieder fliehen — in eine Wildniß vor dem verfluchten Gold. So verzögerte er, ohne daß er es wollte, den Bau durch ständige Aenverungen, neues Hinzufügen, und Floot dachte nicht daran, ihn zu drängen. Da stand er eines Tages fix und fertig. Das letzte Gerüst wurde abgebrochen. Kein Hammerschlag war mehr zu machen. Jeder Stuhl stand an seinem Platz, jedes Bild hing an seinem Nagel. Jolander war mit seinem Werk zufrieden. Er besichtigte noch einmal jeden Raum, alle Details und wurde nicht satt, zu be wundern. Von jeder Rosette in den Kreuzgewölben des Corri- oors mußte er sein Auge losreißen, und schmeichelnd strich seine Hand über die cannrlirten glatten Marmorschäfte der Säulen halle, welche den Eingang bildeten. Die Stille ringsum, nach dem ständigen Lärm der Arbeit, weckte Todesgedanken. Und es war auch wirklich der Tod, der in der Villa drüben winkte, gegen das Leben der letzten Monate. Dann trat Jolander zögernd den Weg in die Villa an, Floot zu benachrichtigen, ihn in seinen Besitz einzufllhren. Die letzte Zeit hatte sich derselbe völlig von dem Bau zurückgezogen, Jolander Alles überlassend. Ein neues Bild, da- er begonnen, nahm sein ganzes Wesen in Anspruch. Mit ihm versprach er sich, endlich auS dem Kreise des Dilettantenthum» endgiltig herauszütreten in das lang ersehnte Reich der wirklichen Kunst. Jolander hatte sich seit Wochen nicht um Floot's Arbeit ge kümmert, höchstens einen flüchtigen Blick darauf geworfen, ein conventionell klingendes Lob ertheilt. DaS ist der Nekd, dachte dieser. So sind sie Alle, dir Besten.
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