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02-Abendausgabe Leipziger Tageblatt und Anzeiger : 05.01.1901
- Titel
- 02-Abendausgabe
- Erscheinungsdatum
- 1901-01-05
- Sprache
- Deutsch
- Digitalisat
- SLUB Dresden
- Lizenz-/Rechtehinweis
- Public Domain Mark 1.0
- URN
- urn:nbn:de:bsz:14-db-id453042023-19010105020
- PURL
- http://digital.slub-dresden.de/id453042023-1901010502
- OAI-Identifier
- oai:de:slub-dresden:db:id-453042023-1901010502
- Sammlungen
- LDP: Zeitungen
- Strukturtyp
- Ausgabe
- Parlamentsperiode
- -
- Wahlperiode
- -
Inhaltsverzeichnis
- ZeitungLeipziger Tageblatt und Anzeiger
- Jahr1901
- Monat1901-01
- Tag1901-01-05
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Sonnabend dm 5. Januar 1901. Unzeiten «Prei- die 6gespaltene Petitzeile 25 H. Reklame» unter dem RedactionSstrich (4 gespalten) 7S L>, vor den FaiuUirnnach» richten (6 gespalten) SV H. Tabellarischer und Ziffernsatz entsprechend höher. — Gebühren sür Nachweisungen und Offertenannahme LS H (excl. Porto). Ertra-Beilagen (gesalzt), nur mit der Morgen-Ausgabe, ohne Postbesörderung 80.—, mit Postbesörderung ^l 70.—. Iinnatsmkichlub für Anzeigen: Abend-AuSgabe: Bormittag« 10 Uhr. Morgen.Ausgabe: Nachmittag« 4 Uhr. Bei den Filialen und Annahmestellen je «in« halbe Stunde früher. Anzeigen sind stets an die Expedition zu richten. Die Expedition ist Wochentag- ununterbrochen geöffnet von früh S bis Abend« 7 Uhr. Druck und Verlag von L. Polz tu Leipzig. 95. Jahrgang. Die Wirren in China. Die Artedensverhandlunge». Wie die Lontoner „Central News" er'abren, ging eine amtliche Depesche in London ein, die meldet, die von den Mächien gestellten Bedingungen seien von der chinesischen Regierung zwar angenommen worden, aber sie erkläre, daß die unverzügliche Erfüllung einiger Forderungen unmöglich sei und vorläufig verschoben werden müsse. Nack Sbangbaier Depeschen der Morgenllätter scheinen die Meldung n au« Singansu die Annahme zu bestätigen, daß dir Erlangung der Zurückziehung der verbün deten Truppen von Peking der Hauptzweck Cbinaö sei. Es verlautet, der Kaiser und die Kaiserin seien geneigt, nach Peking rurUckzuktbren, vorausgesetzt, daß die fremden Truppen au« Tschili zurückgezogen werden. Einem Telegramm der „Daily Newö" zufolge beabsichtigt der Hof eine Note an die verbündeten Mächte zu richten, worin an sie das An sinnen gestellt werde, 200 Puncte hinsichtlich der Detail« des endgiltigen Friedens zu erörtern, vor deren Erledigung der Hof nicht nach Peking zurückkehren könnte. ES hapert also schon mit dem guten Willen und der Ehrlichkeit der chinesischen Diplomatie, und man darf ge spannt sein, was von den Forderungen der Mächte schließlich nock übrig bleibt. Englische Blätter verbreiten in tendenziöser Fassung die Meldung, daß Graf Waldersee sich geweigert habe, dem Wunsche deS chinesischen Hose« auf Stnstcllung der Feindseligkeiten zu entsprechen. Es ist selbstverständlich, daß über die Ein stellung der Feindseligkeiten kein Beschluß gefaßt werden kann, bevor nicht die Forderungen der Mächte von d>r chinesischen Regierung angenommen sind. Zunächst handelt cS fick darum, für die zustimmende Erklärung zu der gemein samen Note der Mächte die Unierschr.sleu der beiden chinesischen Bevollmächtigten zu erlangen. Tie Verleumdungen der „Times". Es ist erfreulich, zu sehen, daß die „Times" mit ihren unerhörten Anklagen gegen die deutschen Truppen in Edina und gegen den Odercommandanten in der englischen Presse fast allein stebt und in der auswärtigen Presse nur von dem „New Aork Herald" eine gewisse Unterstützung erfährt. Der Berliner Berichterstatter des „Daily Telegraph" bemerkt sehr richtig, daß solche Aeußerungen, wie die, denen die „Times" ihre Spalten geöffnet bat. wobl dazu führen können, daß in weiten Schichten des deutschen Volkes, daS seine in China unter Waffen stehenden Brüder beschimpft sieht, die ohnehin England nicht freundliche Gesinnung sich zu einer ausgesprochen unfreundlichen vertieft. Davon würden nur Diejenigen Nutzen ziehen, die im Trüben fischen. Bon der „DmeS" dürfen wir aber wobl erwarten, daß sie die Welt nicht im Unklaren läßt, ob sich nach ihrer Auffassung die Anklagen bestängcn oder nicht. Wie den „Times" aus Konstantinopel gemeldet wird, versichert man im Palast, daß die Idee, eine islamitische Mission nach China zu senden, vom Kaiser Wilhelm stamme, der sie bringend empfoblen habe, da hierdurch das moralische Prestige der Türkei im fernen Osten gehoben würde. Ter Sultan habe dem Kaiser dafür gedankt, daß er sich für seine (de« Sultans) Interessen so besorgt zeige. * London, 5. Januar. (Tel) „Rruter'S Bureau" berichtet aus Shanghai unter dem 1. Januar aus sicherster Quelle: die Franzosen beabsichtigen, aus Tonking aus dem Landwege eine Abteilung Truppen zu entsenden in dem Falle, daß derHos sich dafür entscheiden würde, nach Tschengtu zu gehen. " London, 4. Jannar. Die Admiralität vrrösseutl cht eine Note, in welcher sie erklärt, es sei nicht richtig, daß die Besatzung des Kriegsschiffes „Barste ur" im äußersten Osten gementer' hat; es hätten nur einige Mann sich einer unbedeutenden Unordnung schuldig gemacht, die vou der übrigen Besatzung nicht gutgeheißen worden sei. Drei Mann seien verhaftet worden. Drr Krieg in Südafrika. Vom Kriegsschauplätze. -9. Die in die Capcolon ie eingerücklen BoerencommandoS sieben nur noch SO deutsche Meilen von Capstadt entfernt. Dabei verfolgen dieselben eine Taktik, welche es den Engländern ganz unmöglich macht, die Bordringenden zum Steden zu bringen. Die CommandoS sind in Abtbeilungen von lv biS höchstens 30 Mann zertbeilt, welche auf einer Linie von mindestens 20 deut schen Meilen Breite vvrrücken. Auf diese Weise können die Boeren aus jeder Ortschaft und von jeder Farm, die sie paisiren, BerslLrkunaen ausbeben. * CraSock, 5. Januar. („Rruter'S Vurrau.") Oberst Williams griff am l. Januar cmc starke Vocr eil st cllung aus ör« Kopfes, einige Meilen westlich vou Middelburg, an, iriiic Streitmacht war jedoch nicht genügend, um den Feind aus seiner starke» Stellung zu vertreibe». Tie Ci gtänvcr hatte» fünf Verwundete. Ter Fc>nd zog sich wälncud der Nacht zurück nud waudte sich nach Veihe^da. (Dao heißt, er-ruckle nn>wäris Süden zu, ohne wenereu Widernand zu finden, denn Bclhe-.-o^ liegt 50 englische Meilen suddcti von Middelburg an der Bohn nach Graasf Reinet. Oberst Will ams scheint also eine tnchnge Schlappe erlitten zu haben und ganz außer Gefecht gesetzt worden zu sein. D. Red.) * Capstadt, 5. Januar. („Neuter's Bureau.") 200 Boeren gingen über den Oranje-Fluß zurück und wandten sich nach Norken. * London, 4. Januar. Sir Alfred Milner ist zum Gou verneur von Transvaal und vom Oranjesiaat neben seiner Stellung als Obercommissor von Südafrika ernannt worden. Hutchinson, bis jetzt Gouverneur von Natal, wurde zum Gouverneur der Capcolonie ernannt. Mc Callum, der Gvuverneur von New Foundland, wurde zum Gouverneur von Natal und Major Good-Adams, Resident - Commissär in Betschuanaland, zum stellvertretenden Gouverneur vom Oranjestaat ernannt. Der „Äug" »ach deu« Lüde»; Te Wet'S Truppen. Eve englische Dame, welche soeben aus der Capcolonie in Amsterdam eingetroffen ist, überbrachte einer frisischen Familie folgenden, der „Tischen. Wchnztg. i. d. Ndrlnren." zur Beifügung gestellten Brief ihres SobneS: „Mehr und mehr Stimmen erbeben sich in den CommandoS, welche darauf andriugen, nach Süden in die Capcolonie zu ziehen. Denn hier macht es Einem kein Vergnügen mehr zu kämpfen, da die Eng länder überall, wo gekämpft wurde, Alles dem Boden gleich macken. Ich bin deshalb fest überzeugt, daß im neuen Jahr verschiedene CommandoS in der Colonie, in Natal und Griqualand bernmschwärmen werden. G>otz werden diese Commandos nicht sein, denn wir vertbeilen uns gegenwärtig in kleine Haufen, welche jedock dermaßen Füh lung mit einander haben, daß in' kurzer Zeit ein paar Hundert beisammen sind, um „Khaki", sobald er von einem Ort zum andern schleicht, wie Bracken ein Wildschwein, bei den Obren rn nehmen. Wir haben damit folgende Absicht: 1. wollen wir uns nicht fangen lassen; 2. werden wir nickt so lcickt todtgesckossen und 3. haben wir stets Ckance, mit dem Feinde in Berührung zu kommen. Auf solche Weise tönnen wir im Feld noch reckt alt werden. Daß der Krieg wegen Mangel an Lebensmitteln beendet werden wird, ist bei unserer geringen Stärke nickt wobl anzuncbmen. Ein paar hun- dertBoereu finden überall für ein paareTageMundkost. Undwenn die Engländer Transvaal und Oranje-B-ystaat platt gebrannt haben, bann geben wir einfach nach dem Süden und leben aus Kosten der englischen Untertbanen. Patronen haben wir in Hülle und Fülle. Ich höre, daß in Transvaal die Mausei Patronen alle sind und daß, zum großen Anger der Engländer, die Boeren mit Martini Henry schießen, welche besser tödten als das gnädige Mauser. Viele unserer Leute benutzen aus diesem Grund das Martinigewehr, obgleich das Mauser leichter ist und weiter schießt; letzteres ist kein Vor- tbeil mehr, da wir unsere Kanonen vergraben haben. Bon den Martini-Patronen sind noch 40 Millionen vorräthig; schade, daß das Pulver nicht raucklvs ist Auck im Brystaat ist nock viel Munition; wobl bat jedes Commando nur einen oder zwei Maulesel-Trolleys (sämmtlicke Ocksenwagen sind abgesckasfi), die nut Munition beladen sind, aber cs sind überall Patronen in Hülle und Fülle vergraben. Und dann bleiben uns auch noch die erbeuteten Lee- Mriferdgiw br; mit Patronr» übrig In 1880 batte bei Ausdruck des Krieges jeder Boer nur 4 Patronen; nack einigen Gefeckten jedock gab es solche in Ueberfluß. Mil unseren Kleidern allerdings siebts traurig aus. Wir ziehen den gefangenen Tommy's wohl immer ihre Kleider aus, aber das Zeug taugt nickt viel; dafür sorgen die Aiincelieserauten. Die Tommy's tbun uns ja recht leid, wenn sie im Hemd den Marsch nach ihrem Knox (den Demel verfolgenden General) antrcten müssen, aber wir können doch nickt ovne Hojeu zu Pferde sitzen. Es siebt wiiklick komi'ch aus, wenn die auögeklcivcten Tommy's im Gänse marsch ihrem Lager zusteuern; sie sehen dann wirklich aus wie eine Herde Ganse. Merkwürdig, vaß keiner von ihnen Strümpfe trägt. Ta ich solche schon seit awt Monaten entbehre, suche ick eifrig danach; aber wie viele Tommy's ick auch schon die Stiefel habe ausziehen lassen, ich kann keine finden . . . ,,A» alle Christiane". Di« kürzlich aus Schierstem bei Wiesbaden au alle Vornamens vettern des tapieren BoerensuhrerS Christian De Wet ergangene Anregung zu einer Ehren slijlnng sür Vielen ist aus fruchtbaren Bo>en ges'lleu. Aus allen Th ilen Deutschlands, auch ickon aus Italien und Belgien, sind bei der „Sckierilcmer Zeitung" und bei Heien Chr. Schneider Geltbeträge eingelausen. Ein preußischer Hauptmann aus einer Garnison in Ostpreußen begleitet seine 10-.Z- Svende mit folgenden Worten: „Ich heiße zwar nicht Ehiistia>, möchte aber bei der Eyrung sür den Blücher der Boeren n.cht fehlen. Möchte der laviere De Wet daS erreichen, was Jeder, drr das Herz aut dem rechten Fleck hat, wünscht, em freie« Loerenreich auf lange Zeit." , Politische Tagesschau. * Leipzig, 5. Januar. Der Reichstag nimmt am DienStag seine Arbeiteu wieder auf. Ter preußische Landtag wird am gleichen Tage feierlich eröffnet. Beide Parlamente werden zunächst mit der Erledigung von Angelegenheiten des Etats beschäftigt sein. Der ReickS tag soll nur noch die erste Lesung ceS Gesetz entwurfes über das Verlagsrecht vornehmen, um sich dann der zweiten Elalberatbung zuzuwe -den. In hergebrachter Weise dürfte auch diesmal, sobald der Cbinacrcdil bewilligt ist, der Etat des Reicköamies des Innern an die Reihe kommen. Er bietet bekanntlich den Socialdemokraten vielfachen Anreiz zu tocialpolitischen Erörterungen, deren Länge im um gekehrten Verbältniß zu ihrem sachlichen Ergebnisse stebt. Es wäre deshalb sekr wünsckenswertb, daß ter Reichstag von vornherein darauf hielte, beschlußfähig zu sein. Bor der Thatsacke, daß er eS ist, pflegen die Socialdemokraten sich zu beugen. Dann beschränken sie sich auck aus den zum Etat gehörigen Stoss. In diesem Jahre wäre eS übrigen- im besonderen Interesse deS ReickStagS selbst gelegen, daß er seine Beschlußfähigkeit aufreckt erhielte. Denn daS ihm zugewicsene Arbeitspensum, soweit es jetzt zu übersehen ist, l>eße sich bei verständigem Gebrauch der Zeit recht wohl bis Ostern aufarbenen, ohne daß von einer Ueberbastung die Rede zu sein brauchte. WaS das preußische Abgeord netenhaus anlangt, so wirb eS, ebenfalls in her gebrachter Weise, am Mittwoch die Präsidentenwahl voll ziehen und dann den Etat nebst dem mündlichen Be gleitworte deS Finanzministers entgegennebmen, um sich daraufhin bis zum Beginn der anderen Woche zu vertagen, damit die Fraktionen in , der Zwischenzeit den Etat selbst prüfen und zu den wichtigeren Fragen, die im Zusammenhänge mit dem Etat besprochen werken, ihre Stell»..g nehmen können. Wie weit sich die LandlagSt'ession in die Länge zieht, hängt davon ab, wann die Canal vorlage an den Landtag gelangt. Die Nachrichten darüber widersprechen sich vorläufig nock. Die Meinung in parla mentarischen Kreisen selbst geht überwiegend dahin, daß die Vorlage in den ersten Wochen ter Session erwartet werden dürfe. Interessant ist die »Stellung, welch« die Presse de» CentrumS zu dem erwarteten Entwürfe nimmt. Die „Köln. BolkSztg." nämlich schreibt: „Die Canaloorlage ist beute so aussichtsl 0 s wie je. Niemand wird sich einbilden, daß die Conservativen ihr gegenüber jetzt eine andere Stellung einn.hmen werden wie früher, nachdem sie durch die Maßregelung der canalseindlicken Landräthe und Regierungs präsidenten geradezu an ihrer politischen Ehre gefaßt sind. Ebenso wenig wird aber Jemand sich einbilden, daß das Centrum jetzt sür die Canalvorlage ins Zeug geben wird, nachdem nicht nur die canalgegnerijchen Conservativen gemaßregelt worden sind, was den Anschauungen deS Ceulrums ebenso Ichrvff widersprach, wie denen der Con crvai.ven, sondern auch die gemaßregelien Landräthe fast alle nachträglich mit Besö derung bedacht worden sind. Die Canal sacke ist gründlich verdorben und Niemand kann sie mehr retten. Wenn dieRcgierung sie jetzt wieder einbrinqt, so kann das nur dieselbe Bedeutung haben, als wie seiner Zeit Fürst Bismarck das völlig aussichtslose Tabakmonopol im Reichstage vorlegte. Feuilleton. 4) Vas neue Lahnproject. Roman von Paul OSkar Höcker. Nachdruck v«r»oiin. Ein noch größeres, leidenschaftliches Verlangen lebte in ihrem Herzen — ein Wunsch, der ihrer Meinung nach eine heilig« Berechtigung hatte: sie wollte erfahren, ob er glück lich war. Obwohl sie sich seit gestern Arnold immer so vorstellen mußte, wie er im Phaeton an der Seite seiner schönen, eleganten Braut davongefahren war — manchmal tauchte doch wieder sein düsteres, trauerndes, ernstes Antlitz vor ihr aus, wie sie's währens seines Vortrages gesehen — und dann klang sein Ton wieder in ihrem Ohr, so schwermuthSvoll, so klagend, so herzzer reißend . . . Sie fuhr am Morgen jäh empor und kleidete sich rasch an, um den Bruder zu wecken. Nein, sie könne nicht reisen, sie würde es jetzt nicht aushalten in Wängli! Er solle allein fahren — und sie hier lassen. Er bat, er sprach ihr zu. Er meine es doch so gut mit ihr, stellte er ihr vor. Sie soll« ihm doch folgen. Weinend lehnte sie in seinen Armen. „Hab Geduld mit mir, Alex. Ich werd« schon wieder ganz brav werden. Aber gieb mir Zeit, gönne mir Ruhe. Ein paar Wochen — vielleicht auch nur ein paar Tage. Aber die Einsamkeit dort bei Dir würde micht jetzt tödten. Ich werd« lernen, arbeiten, fleißig sein, um mir Zerstreuung, Abwechselung zu schaffen . . ." Er erhob die Hand. „Dorthin willst Du?" fragte er er schrocken. „Ins Collcg? Zu — zu ihm?!" Trübe schüttelte sie den Kopf. „Nein, überallhin — nur dorthin nicht!" Der junge Geistliche blickte zum Himmel empor und seufzte. „Des Menschen Wille ist sein Himmelreich — oder seine Holle. Gott behüte Dich — Gott behüte Dich, Elisabeth!" III. Die neue Schwändi'sche Villa war die schönste der ganzen Neustadt. Sie hatte eine prächtige Lage inmitten der Weinberge über drr Hohen Promenade und repräsentirte gut den zehn fachen Werth des alten Landhauses drüben an der Sihl, das in den sechziger Jahren, in denen es entstanden, weit und breit als kvaßrhnst fürstlicher Bau gerühmt wordxn war. Die Züricher, Berner und Baseler Patricier würden — so heißt eS in der Schweiz — mit keinem Fürsten oder Herzog tauschen wollen. Bei näherer Prüfung der Schwändi'schcn Ver hältnisse konnte man dieses etwas großsprecherische Selbst bewußtsein vielleicht verstehen.' Denn abgesehen von den Sorgen der Regierung über mehrere Hundert Seidenwebstühle, die Herr Schwändi aber auch auf seine „verantwortlichen Minister" ab zuwälzen gewohnt war, gab es für ihn auf der ganzen großen Welt kein wirkliches Muß. Erfühlte sich in seinem Hause als absoluter Herrscher — die einzige „Constitution", die für den Gang der häuslichen Geschäfte irgendwie maßgebend hätte sein können, wäre höchstens seine eigene körperliche. Schwändi hatte durchaus nichts Aristokratisches in seinem Aeußeren, obwohl er unter die allerersten Patricier Zürichs zählte. Nach dem frühen Tode seiner Gattin hatte er sich einem nicht gerade ausschweifenden, aber doch sehr vergnüglichen und opulenten Leben ergeben, das ihm noch bei ziemlich jungen Jahren zu einer bedeutenden Leibesfülle verhalf. Er war so zusagen kugelrund. Das Kinn fiel von seinem gewaltigen Kopf, der eine merkwürdig große, abnorm verlängerte, bis in den Nacken reichende Stirn besaß, in mehreren Absätzen herab. Er hatte die fast dunkelrothe Gesichtsfarbe des zur Schlag flüssigkeit neigenden Genußmenschen, von der sich einerseits der weiße Hemdkragen, andererseits die weiße Glatze scharf abhob. Das sonst materialistische Aussehen des mittelgroßen, Mannes erhielt eine Art Veredelung lediglich durch das überlegen prüfende Auge. Von Ehrenämtern aller Art hatte er sich sein Lebtag frei gehalten — ganz gegen seine Neigung hatte er erst kürzlich einmal ein exotisches Generalconsulat übernehmen müssen, das er aber bestrebt war, sich schleunigst wieder vom Hals zu schaffen. Lediglich seinen Bürgerpflichten als Steuerzahler und Wähler kam er al» gewissenhafter Schweizer nach; im Uebrigen wollte er frei sein, ganz frei, und sich weder von oben, noch von unten chicaniren lassen. Er wahr wohlthiitig, zahlte angemessene Löhne, so daß in seiner immensen Seidenweberei noch niemals rin Streik ausgebrochen war, er zeigte sich gerecht gegen Jeder mann, besonder» mitleidig gegen Arme, Alte und Kranke, und war auch sehr thierfreundlich, — und trotz all diese? famosen Eigenschaften, die ihn nach außen hin — übrigens ohne daß ers darauf absichtlich anlegte — in den Ruf eine« Musterbürgers brachten, war er maßlos egoistisch und schwelgerisch veranlagt. Exclusiv war sein Hau« von jeher gewesen. Das englische Wort von der Burg, die das Heim darstellen solle, war von ihm aber nur einseitig erfaßt worden: er gewährte keiner Menschen seele Asylrecht darin, zog vielmehr einen Srenzwall darum, über den er Niemand herüberkommen ließ. Den Begriff der Gastfreundschaft kannte er nicht; er verkehrte nur wenig mit Männern seiner socialen Stellung. Schon aus Opposition da gegen, daß ihm Jemand vorschreiben möchte, was er anzuzichen habe, machte er keine Geselligkeiten mit. Er haßte den Frack und Alles, was steif und cereiupniell war. Tie Einen nannten das originell und behaupteten, ein großer Geist spr:che sich in all den kleinen Eigenheiten aus — die Andern hielten es schlank weg für Faulheit und Rücksichtslosigkeit — und wieder Andere fanden es einfach „verdreht". Frühzeitig war seine Gattin ins Grab gesunken — damals, al» Anna bei dem ältlichen Fräulein Hubinger eben lesen lernte. Als aber das verwaiste Mädchen heranwuchs und ihren Vater bestürmte, sie in die „Gesellschaft" einzuführen, begegnete sie ebenso tauben Ohren, wie in früheren Zeiten ihre Mutter. Schwändi liebte seine Tochter, und Wünsche, deren Befriedigung m't Geld zu erreichen war, versagte er ihr nie; aber zu persön lichen Opfern war er nicht zu bewegen. Anna ward nach ihrer Konfirmation in ein Pensionat nach Cassel geschickt, wo sie mehrere Jahre verbleiben mußte. Ihr Vater machte während dieser Zeit eine Reise um die Welt; danach führte er, mehr der Zerstreuung als eines wirklichen Bedürfnisses halber, sein neues, großes Landhaus auf, dessen grandiose Einrichtung mondelang das Gesprächsthema vieler Einheimischer bildete. Anna war inzwischen rin bildhübsches Mädchen geworden, sie wußte sich vorzüglich zu kleiden, denn sie hatte einen sehr aus geprägten persönlichen Geschmack, der sich nur manchmal in'» Capriciöse verirrte, und sie erregte Aufsehen. Man kannte Vater und Tochter bald in der ganzen Stadt. Sah man irgendwo eine recht schlanke, elastische, pariserisch gekleidete, brünette junge Dame mit feinem,' picantcm Profil und recht bewußter Haltung, und in ihrer Begleitung einen ungeschlachten, bart- und haar losen Fleischcoloß im unmodischen, kaffeebraunen Saeco und mit einem ungefügen, grauen Filzhut, dann wußte man schon, daß es Schwändis waren. > Vater und Tochter schienen ernander äußerlich durchaus un- ähnlich: er war stark und untersetzt, nicht über Mittelgröße, sie schlank und elegant mid groß — er in seinem Auftreten plump und rechthaberisch, sie gracivs und moquant. Nur Eines war ihnen gemeinsam: Anna besaß ganz die braunen, klugen, kühlen und doch bedeutenden Augen ihres Vaters, und sie waren, wenn auch nicht das Snmpaihischste, so doch das Schönste, Jmpo- j nircndste ihrer Erscheinung. Die wenigen Menschen, dir mit Vater und Tochter genauer j bekannt waren, — zum Beispiel Fräulein Hubinger, die als Haushälterin dagebliebcn war, als man Anna in die Pension geschickt hatte — fanden freilich auch mancherlei innerliche Be- rührungspuncte zwischen den Beiden heraus. Zum Beispiel hielten sie Anna für ebenso kalt und egoistisch, wie ihren Vater, für ebenso genußsüchtig, wie ihn — wenngleich ihre Launen und Wünsche, in's Weibliche übersetzt, sich graciöser präsentirten. Weil sie ungemein freigebig war, hielten Fremde sie für gut» müthig. Das war sie aber durchaus nicht; die hervorragende Wohlthätigkeit, di« sic ausübte, war für sic lediglich eine Art Sport. Die Stumpfheit ihres, nur auf sein leibliches Wohl bedachten Vaters künstlerischen und rein geistigen Dingen gegenüber war auch bei ihr zu constatiren, wirkte aber — wiederum bloS in'» Weibliche übersetzt — als Blasirtheit. Sie hatte allenthalben genippt — den weiteren Inhalt aber tmmer bald schal gefunden. Dabei war sie merkwürdig gut veranlagt, in gewissen Fächern, zum Beispiel Mathematik, sogar ganz bedeutend talentirt. In Cassel war sie die beste Schülerin gewesen; nur für Zeichnen, Malen, Handarbeiten und Musiciren hatte sie keinerlei Anlage und darum auch kein Interesse gezeigt. Nach Absolvirung der Schule kümmerte sie sich dann um kein einziges ihrer ehe maligen Licblingsfächer mehr. Da kam zuerst eine Epoche, in drr sie nur für körperliche Uebung Sinn zeigte: sie nahm de» Reitunterricht wieder auf, erbat und erhielt von ihrem Vater eine schmucke Segelyacht und trat dem Golfclub der englischen Colonie bei. Im Verkehr mit den Engländerinnen ward dann ihr kirchliches Interesse mehr geweckt, und es kam wirklich dazu, daß sie in der Dorstadt Enqe von ihrem Nadelgeld ein kleine» Hous baute für eine Beschäftigungsschule von Kindern, deren Eltern tagsüber auf Arbeit waren. Dort unterrichtete sie an fangs selbst in Religion und Lesen, und zwar mit großer Be geisterung. Bald langweilte sie aber daS tägliche Zusammen sein mit den naiven Kleinen — und der nothwendige Umschlag zeitigte dann plötzlich ihren Wunsch, das Symnasialabiturium zn macken und Naturwissenschaften zu studiren. Herrn Schwändi war Alle- recht, was sein« Umgobmrg van ihm erbat — nur gebeten wollte er immer sein! — wenn man bloS nicht von ihm verlangte, daß er sein Frühstück verschieben oder Besuche machen solle, oder ihm zumuthet«, persönlich «ine Jnspection in drr Fabrik vorzunehmen, was ihn oft tagelam peinigen konnte. Seiner Tochter, die er auf seine Art herzlich liebte, schlug er nicht gern eine Bitte ab, sofern diese in fein« ptrsönlichen Neigungen und Pläne keinerlei Eingriff übt«, Aß»
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