Suche löschen...
01-Frühausgabe Leipziger Tageblatt und Anzeiger : 09.01.1901
- Titel
- 01-Frühausgabe
- Erscheinungsdatum
- 1901-01-09
- Sprache
- Deutsch
- Digitalisat
- SLUB Dresden
- Lizenz-/Rechtehinweis
- Public Domain Mark 1.0
- URN
- urn:nbn:de:bsz:14-db-id453042023-19010109013
- PURL
- http://digital.slub-dresden.de/id453042023-1901010901
- OAI-Identifier
- oai:de:slub-dresden:db:id-453042023-1901010901
- Sammlungen
- LDP: Zeitungen
- Strukturtyp
- Ausgabe
- Parlamentsperiode
- -
- Wahlperiode
- -
Inhaltsverzeichnis
- ZeitungLeipziger Tageblatt und Anzeiger
- Jahr1901
- Monat1901-01
- Tag1901-01-09
- Monat1901-01
- Jahr1901
- Links
-
Downloads
- Einzelseite als Bild herunterladen (JPG)
-
Volltext Seite (XML)
VezuqS-PreiS I» der Haupt,xpedition oder den tm Stadt bezirk und dru Vororten errichteten AuS- Ladestellen 'dgeholt: vierteljährlich 4 SV, bei zweimaliger täglicher Zustellung in» Hau» 5.50. Durch dir Post bezogen für Deutscklavd n. Oesterreich: virrteljährl. ^ll ». Man avonurrt serner mit entsprechendem Postaufschlag bei den Postanstalten in der Schweiz, Italien, Belgien, Holland, Luxem burg, Dänemark, Schweden und Norwegen, Russland, den Donaustaaten, der Europäischen Dürket, Sg pteu. Für alle übrigen Staaten ist der Bezug nur unter Kreuzband durch di« Expedition diele» Blatte» möglich. Die Morgen-Ausgabe erscheint um '/,7 Uhr, die Abeno-Ausgabe Wochentag» um 5 Uhr. Ne-action und Lrpedition: JohanniSgasse 8. Filialen: Alfred Hahn norm. v. Klemm'» Gortim. Uolversitätsstraße 3 (Paultnum), LouiS Lösche, Katharineustr. 14, part. und Künig-platz 7. Morgen-Ausgabe. Anzeiger. Amtsblatt -es Königlichen Land- und Amtsgerichtes Leipzig, -es Aathes und Nolizei-Ämtes -er Ltadt Leipzig. 15. Mittwoch den 9. Januar 1901. Anzeigen.Preis die 6gespaltene Petitzeile S5 Reklamen unter dem NedacttonSstrtch s4 gespalten) 75 L,, vor den Faiutlieunach» richten («gespalten) 50 H. Tabellarischer und Ziffernsatz entsprechend höher. — Gebühren für Nachweisungen und Ofsertenaanahme 25 (excl. Porto). Vrtra-Beilagen (gesalzt), nur mit der Morgen.Ausgabe, ohne Postbesörderung 80.—, mit Postbesörderung 70.—» Ännahmtschlub für Änzeigen: Abend-Ausgabe: Vormittag» 10 Uhr. Morgen-Ausgabe: Nachmittags 4 Uhr. Bei den Filialen und Annahmestellen je ein« halbe Stunde früher. Anzeigen sind stets an die Erpedstiss zu richten. Die Expedition ist Wochentags ununterbrochen geöffnet von früh 8 bis Abends 7 Uhr. Druck und Verlag von E. Volz tu Leipzig. 95. Jahrgang. Der Reichskanzler Graf von Lütow und der südafrikanische Krieg. i. Der Reichskanzler Graf von Blilow ist von seiner Rund reise, reich geickmiickt mit Zeichen Allerhöchster Anerkennung, nach der Heiinalb zurückgekehrt, an der Schwelle veS Hauses haben ibn neue höbe Ebrcn erwartet, und so darf er wobt mit B f ieoigung auf die letzten Wochen zurückbl-cken. Tas deutsche Volk freut sich gewiß mit ihm, daß dem neuen Reichs kanzler bas Vertrauen der deutschen Fürsten in so reickcm Maße entgegcngebracht wird, denn eS kann der Entwicklung des deutschen Reichs gewiß nur förderlich sein, wenn an so hoben Stellen Vertrauen unv Uebereinstimmung herrscht und bekundet wird; aber eS liegt in der Natur der Verbältnisse, Wenn e» selbst, das sein Urtbeil sich nur nach den Reben und Tbatrn deS neuen Reichskanzlers zu bilden vermag, in seinem Vertrauen etwas zuiückbaltender ist unv sich gedrungen füblt, über da», waS e» bisber von ihm gesehen und gehört bat, si» mit ihm anSeinanderzuseyeu. Veranlassung dazu haben inSbeioudere die Reden gegeben, welche er gelegentlich der Ver handlungen im Deutschen Reichstage tbrilS über den sogen. Toleranzantrag de» CcutrumS, tbeil» über die Haltung des Deutschen Reichs zu den südafrikanischen Republiken und insbesondere den Richtempfang deS Präsident Krüger gehalten hat. Namentlich durch eine der letzteren hat er sich direkt an das deutsche Volk gewendet; in der Sitzung vom 12. December v. 9. hat er nach den amtlichen steno graphischen Bericht n IN der Elwidernng auf die Rede des Or. Hasse Folgendes gesprochen: „Ich habe ln den letzten Tagen immer wieder gehört und immer Wieder gelesen, daß das Siecht auf Seiten der Boerrn stände. Ich scheue mich nicht, auch hier ganz offen zu sagen, daß das nicht das Entscheidende für uns sein kann. Wir können — das sage ich nicht bloS für diese» Hohr Haus, ich sage eS auch für das deutsche Volk, dessen RrchtSsinn so ausgebildet ist — wir dürfen bei Streitigkeiten zwischen fremden Völkern nicht fragen, wo do« Recht liegt und wo da- Unrecht liegt. Der Politiker ist kein Sittenrichter; er hat lediglich die Interessen und das Recht seine- eigenen Lande« zu wahren. Vom Standpunkte der reinen Moralphilosophi» kann ich auswärtige Politik nicht treiben, — da- hat auch Fürst B'-marck nicht grihan — und vom Siandvuncte der Bierbank auch nicht. (Heiterkeit und sehr gut! links.) Ferner: Ich achte den Idealismus, der in dem Abgeordneten vr. Hasse steckt. Da» ist rin schöne- Erb- thril de» deutschen Volke» und den wollen wir alle unserem Volke erhalten. Aber die kreis« unserer auswärtigen Politik darf dieser JbealiSmuS nicht stören, da» Wohl und die Zukunft der Nation darf er nicht gefährden; und so lange ich hier stehe, mutz ich den Frieden und die Wohlfahrt de« deutschen Volke» gegen alle Störungen und Gefahren in Schutz nehmen, von welcher Seite si« auch kommen mögen, wie da- mein« verdammte Pflicht und Schuldig keit ist." (Lebhasier Beifall.) Bon Tbeilen de» Reichstag» hat also der Reichskanzler beifällige Zustimmung zu seinen Axiomen bereit» erhallen, aber da» deutsche Volk kann die Antwort auf diese Mah nungen nicht schuldig bleiben; sie bat sie bereits in vielfachen, zum Theil recht erregten Versammlungen ertbeilt, und e» mag in Folgenrem der Versuch einer ruhigen Auseinander setzung mit dem neuen Herrn Reichskanzler gemacht werden. Für den, der die Worte de» Reichskanzler» mit ruhiger Ueberlegung liest, ist wohl das Gefühl de» Erschrecken» da überwiegende. So vordebaltSlo» hat wobl kaum noch ein Staatsmann der neueren Zeit der Moral au» dem Gebiete der Politik die Thür gewiesen. Seit den Tagen von Hugo Grotiu», welcher au» den Bedürfnissen de» menschlichen Gemeinleben» da» allgemeinste RechtSgedot der Menschenliebe adleitete und damit die Grundlagen einer neuen Entwickelung de» Völkerrechte» schuf, ist letztere immer darauf gerichtet ge wesen, der Moral und der Sittlichkeit mehr und mehr Geltung auch im Bereiche der Politik zu schaffen. Ja, Montaigne in seinem Essay: „Politik und Moral" (cko l'utilo ot cko I'houvs-to) erinnert gleich an der Spitze an — Tiberiu», dem aus Germanien gemeldet wurde, wenn er e» gutbeiße, werte man ibn durch Gift von Arminiu» befreien, und der darauf zur Antwort gab, da« römische Volk sei gewöhnt, sich an seinen Feinden durch offene Mittel zu rächen, mit den Waffen in der Hand, nicht heimlich und hinterlistig, der also den Vortbeil sür da», was recht war, aufgab. Wir glauben gewiß nickt, daß der neue Reichskanzler hinter Tiberiu» zu'ückstehen wolle und daß er in seiner Politik jemals unsilliickc Mittel anwenven werde, aber schon hieran» wird er erseben, wie sehr sein Satz: „Vom Standpunkte der reinen Moralpbilosopbie kann ick au»wärlige Politik nickt treiben" der Einschränkung bedarf und wie bedenklich e» ist, Moralpbilosopbie und Bierbank in eine Linie zu stellen. Der Schwerpunkt der Erklärung liegt also Wohl in den Worten: „Wir können, wir dürfen bei Strritigkeltrn zwischen fremden Völkern nicht fragen, wo da- Recht liegt und wo da» Unrecht liegt. Der Politiker ist kein Sittenrichter; er hat lediglich dir Interessen und bi« Rechte seine» eigenen Lande» zu wahren." Ader auch biermit ist dem deutschen Volke eine Zumutbung gestellt, dir man «iilschieven zurückweisrn muß. Graf Bülow vergißt, auch an anderen Stellen seiner Reden, wo er von der küdlen VerstanvcSpolitik gegenüber den Gefühlen und BolkSstimmungen spricht, ganz, baß außer Kopf und Herz noch rin Dritte- mitspricht, und da» ist da» öffentlicke Gewissen. E« mag einem Staatsmann« wie Bülow gegen- über vielleicht etwa» altfränkiich erscheinen, von öffentlichem Gewissen zu reden, und doch baden die Staatsmänner selbst in den Acten, die au» der Haager FriedenSconserenj hervorgegangen sind, an die conscisnce pudligus appellirt. E« ist ungünstig sür die Sacke der Borren, daß der Krieg wit England unmittelbar an die Haager Conserenz sich an geschlossen bat. Alle diejenigen, welche rit Hoffnung auf einen ewigen Frieden al» eine nutzlos», ja vielleicht grfäbrlichr Träumerei betrachtet haben, finden durch die brutalen Thatsacken des Leden» ihr« Ansichten bestätigt und vuteelaffea e» dr»halb auch, demjenigen ihre Beachtung zu schenken, WaS ganz ab gesehen von jener Frage auf dem Congreß berathen und be- chlossen worden ist. ES ist eine äbnlicke Lage, wie diejenige, in welcher N obert v. Mohl seine Studien: „Ueber die Pflöge der internationalen Gemeinschaft al» Aufgabe deS Völker recht»" (StaaiSreckt, Völkerrecht und Polit k) schrieb. Nach dem damals Versammlungen von Friedensfreunden ohne Er- olg verhallt waren, sagte er in dem Abschnitte „über völker rechtswidrige Kriegöminel": „Wer in der jetzigen Weltlage an eine Erfüllung der Bemühungen derFriedenSfreunde glaubt,mag vielleicht von wohlwollender Gesinnung, aber sicher nicht von praktischem Verstände Zeugniß oblegen. V^r- hält sich dem nun ober ebenso bei Solchen, welche wenigstens bestimmte einzelne Uebel der jetzigen Kriegführung beseitigen und sür deren Unterlassung «ine allgemeine völkerrechiliche An erkennung erwirken möchten? Biele werden allerdings dieser Meinung sein. Es wird ihnen ebenso unpraktisch bebünken, die Gewaltigen der Erde von der nutzlosen Unmenschlichkeit einzelner bestimmter Krieg-Handlungen überzeugen zu wollen, als von der Barbrret de» Krieges überhaupt. Und selbst besten Fall» wird Ihnen der einzige zu einem solchen Ziele führende Weg, nämlich die Gewinnung einer unwiderstehlichen öffentlichen Meinung, so un absehbar weit erscheinen, daß si« seine Betretung für eitel Zeitverlust uns erklären". Graf Bülow scheint der ersteren Ansicht zu- zuneiqen, aber der letztere Weg hat sich doch nicht so un fruchtbar erwiesen; das Völkerrecht ist seit jener Zeit in vielfachen Beziehungen durch Vereinbarungen unter den Mächtige» weiter gebildet worden; die öffentliche Meinung bat darauf einen gewichtigen Einfluß geübt; insonderheit aber sind auch auf dem Congresse zu Haag bedeutungsvolle Schrille in dieser Richtung gethan worden, und der Congreß bat sich wieder nmgckehrt an da» öffentliche Gewissen als einen wichtigen Heiser gewendet. So heiße es in der Ein leitung zu der Convention, welche di« Gesetze und Gewohn heiten des Landkrieg» betrifft: II n'n pu ontrsr ckaus I'lntsntion ckos Haute» kartiss eoutruotontss, qus cns von prsvu» tussont, sank, cks Stipulation rite, lalss^s k I'apprvoiatiou arl-itrairo äo coux, qul ckiiigont les urmvv». Lu atteiickaut, qu'uu cocko tout L kait complet ckos lois cks la gueris puissv vtro ückicts, les llautos Lai tiss eoutractaates zuzcut opportun cks couststor gus ckaus le» cas oou pi6vus les xopuiutioua et Iss dvliigörauls restsut ckuos la sauvssknicks et sous l'smpiro cku ckroit ckes gsus tels, qu'ils rssultovt ckos usaxos 6tadlis eutre uutious civilisövs, cks» lois cks l'dumauitS st cksa vxizoncss äs In oousolouoe publiqus. Ebenso beißt e» in der Einleitung zur Convention Über die feierliche Regelung der internationalen Couflictc: Rsoouuaj88Lllt la solickaritö qui uuit lss womdre« cks In sociSt» ckes untiou» civilis^os Voulaut ütsuckrs l'ompirs cku ckroit et kortikisr le svullwsut cks In fustlov internationale Lstimaut, aveo l'augusto luitiatsur cks la Oout'örcncv iutsruatiouals cks la paix, qu'll Imports cks cousaci or ckan» uu acoorck iuternatiouai Iss principe« ck'öguitö st äs ckroit »ur Issquvls rspossut ia. s»cartt6 äo» Ltat« st Io diouStro äs» peupls«. Also unter den Schutz und dir Herrschaft de» Völker rechte» wurden die Bevölkerungen und Kriegführenden gestellt, wie es sich ergiebt aus den zwischen civilisirten Nationen heikömmlichen Gebräuchen, aus den Gesetzen der Menschlich keit und den Forderungen de» öffentlichen Gewissen». Anerkannt wurde die Solidarität, welche eint die Glieder der Gesellschaft der civilisirten Nationen; gestärkt soll werden da» Gefühl der internationalen Gerechtig keit; geheiligt sollen werden durch «ine internationale Ueber- rinstimmung die Grundsätze der Billigkeit unv des Rechte», auf welchen beruhen die Sicherheit der Staaten und vaS Wobl der Völker. Die Aktenstücke, denen die auf geführten Stellen entnommen, sind unterzeichnet auch vom Deutschen Reiche. Die „Nordv. Allg. Ztg." schrieb in einem Artikel vom 5. August l8S9 über die Haager Conferrnz u. A.: „Daß dke Consrrenz utoplfche Träume mit einem Schlage ver- w rkltchen würde, halt« kein verständig Denkender erwartet, aber bei einem so gewaltigen Problem, dem schwierigsten und umfassendsten Werk« der Welt, vermögen auch scheinbar kleine Schritte von segen bringender Bedeutung zu werden, w«aa dieselben sich innerhalb des Erreichbaren hallen, und dabet doch ia der Richtung auch da» Ideal verfolgen, da- nicht von heute aus morgen erreichbar ist Wer jetzt die Ergebnisse der Konferenz tm Ganzen überschaut, muß anerkennen, daß schon dt» Ausdehnung der Genfer Konvention und die detalllikle Festsetzung der KrirgSgesetze und der Kriegsgebräuche allein «turn wichtigen Fortschritt der Eivilisatton br- deutet, welcher d«r Loaserrnz «inen «hreuvollra Namrn in der Geschichte sichert.... Diese Beschlüsse der Haager Eoofrrrnz zur Einschränkung und tzumanistruag des Krieges sind ein werthvolles Lrrmächtniß de» scheidenden Jahrhundert» an da- kommende, rin Vermächtntß, da» dem edlen Schöpfer de« LonserenzgedankenS, de« Kaiser Nikolaus, zum bl«td«ndeu Ruhm gereichen wird." To die osficiöse Zeitung vom 5. August l899! Und beute ermahnt der Reichskanzler da» deutiche Volk mit dem Tone staalSmännischer Ueberlegenbeit, bei Streitigkeiten zwischen fremden Völkern nicht zu fragen, wo da« Reckt liegt und wo da« Unrecht ließt. „Der Politiker ist kein Sittenrichter!" Befürchtet man nicht, den sittlichen Kern de» Volkes und damit dir wichtigste Grundlage d<» Staate» zu zerstören, wenn mau h«ul« thatsächlich al» Komödie erscheinen läßt, wa» man vor wenig Monaten mit dem ganzen Nachdrucke sittlichen Ernste» feierlich verkündet bat, weun man das LermächtUlß an da» kommende Iabrbundert verleugnet, cbe letztere« noch recht angefange« bat? Da» deutsche Volk läßt «» sich nicht nehmen und kann e» sich nickt nehmen lassen, zu fragen, ob bei einem Kriege, der die Welt bewegt, das eine oder da« andere Volk im Reckte ist und ob d>e Mittel, di« die Kriegführend«, verwend«», mit d«m Völker recht und dem öffentlichen Gewissen in Einklang sieben. Weder in der einen, noch in der anderen Beziehung aber vermag eS die Frage zu Gunsten der Engländer zu beaniworten. Man wird auch nicht einwenden wollen, daß die Völker fick wobl mit der Frage beschäftigen dürfe», ob die in einem Kriege angewendeten Mittel dem Völkerrechte entsprechen, nicht aber damit, ob der Krieg überhaupt berechtigt sei, oder nicht. Denn jeder Gebrauch von Kriegsniitteln setzt doch voraus, daß der Krieg, in dem die Mittel gebraucht werden, dem Völkerrechte entspreche. Graf Büiow hat ein eigenes Unheil über Recht und Unrecht in dem südafrikanischen Kriege nicht abgegeben, er hat nur davor gewarnt, danach zu fragen. Es ist eigenihüuilich, kurz vorher halte der Kanzler gesagt, der Kaiser habe durch taS Telegramm vom Neujahr 1896 seinem richtigen Empfinden für das Völkerrecht correcten Ausdruck gegeben. Schweigt denn nunmehr das Völkerrecht? Und wenn nicht, darf man nur dein Em pfinden dafür keinen correcten Ausdruck mehr geben? Und wenu dies der Fall, warum? weil eS fick nunmebr „um einen regulären Krug zwischen zwei Staatswesen" handelt? Oder darf nur das Volk seinem Empfinden keinen Ausdruck gebe»? Vie Wirren in China. Nach Paotingfu «uv Ver chinesischen Maner. Aus dem Kriegstagebuche seines Korrespondenten theilt der „Ostas. Lloyd" in seiner heute hier eingetrofsenen Nummer aus führliche Schilderungen mit, aus denen wir Folgendes heraus greifen: Am Morgen des 20. October reitet General Gaselee mit seinem Stabe durch die Stadt und bestimmt die Quartiere. Paotingfu ist rin Unicum an Schmutz und elenden Gassen, die Quartiere sind vcrhältnißmäßig bester. Bei den Franzosen liegt ein amerikanischer Missionar, den sie aus dem Ge fängnisse der Stadt befreit haben, im Sterben. Sein fünf jähriges Töchterchen ist ihm vor wenigen Lagen oorausgegangen, und ich fand durch Zufall deren Sarg in einem Seitenbaue des chinesischen Theaters. Wi: unS seine Gattin erzählt, sind drei Missionare, vier Frauen und drei Kinder in Paotingfu er mordet worden. Sie selbst waren auch zum Tode bestimm: und flüchteten wie gehetztes Wild wochenlang durch Kaulianfelder, immer verfolgt von Boxern. Ihre Kinder starben, der Mann bekam einen Streif schuß am Kopse, endlich wurden sie eingefangen und nach unsag baren Martern vom Taotai in den Kerker geworfen und vor: bis zu diesem Tage fcstgehalten. Eine Erzählung, schaurig in ihren Details und erschütternd als Hinweis 'daraus, was für Qualen wohl Jene gelitten haben mögen, die ermordet wurden ... Bei Tsu-king-kwan an der chinesischen Mauer suchten reguläre chinesische Truppen den Bormarsch der Verbündeten aufzuhalten. Gegen sie rückte eine deutsche Colonne unter MajorFörsteramLS. October aus. Er war am 29. etwa tausend Meter vom Thor auf eine Barri kade gestoßen, hatte einen Soldaten wcglaufcn gesehen und ihn mit der Pistole erschossen. Zausend Schritte weiter erhielt er aus einem Wachhausc Feuer aus 159 Meter. Ein Geschoß zersplittcrie an der Mündung seiner Pistole und verletzte seine linke Hand; drei Leute sielen, einer todl und zwei schwer verwundet. Sowohl er al» Or. Berg nahmen deren Gewehre und schossen nun selbst auf die etwa zwölf Mann starke Abtheilung der Chinesen. Nach wenigen Salven war dort Alles ruhig. Sechs Chinesen lagen tobt am Boven, der Rest war um die FelSecke verduftet. Aber wtiiige Minuten später prasselte au» den Lhälcrn und von den Gebirgsrücken herab eine Salve nach der anderen, die trotz der großen Entfernung mit staunenswcrther Präcision gezielt waren, auf den schmalen GebirgSpfad herab. Knapp und klar wurden die Befehle ertheilt. Die beiden Züge der 8. Compagnie unter Hauptmann Bartsch entwickelten sich links von der Straße aus einem Dcrgkammc zum Feucrgefccht, während die Meldereiter unter Leutnant von Stockhausen und der 3. Zug der 7. Compagnie unter Leutnant Wilde rechts über die felsigen Höhen dem Gegner in die Flanke kommen sollte. Um 6,15 Uhr war der erste Schuß gefallen, um 6,30 Uhr war das Gefecht bereits in vollem Gange; bis dahin war nur Gewehr feuer vernehmbar. Nun tönten plötzlich in daS scharfe Kleingcwchr- gcknatter dumpfe Geschiitzschläge, unter die sich später ein hellerer Ton mischte. Anfangs war kein Explodircn von Granaten zu sehen, sondern nur ein scharfes Pfeifen, wie von großem Salvcnseuer verursacht, hörbar. Nun kamen aber auch regelrechte Granaten und schlugen immer hinter der Feuerlinie in den rückwärts ge legenen Abhang ein. Wir wurden demgemäß aus Geschützen ver schiedenen CaliberS beschossen, die uns aber keinen Schaven zu fügten, obgleich in der ersten Stunde nicht weniger als 40 Gra naten einschlugen. Wie wir un» mit den Ferngläsern überzeugen konnten, war es eine Batterie von Vorderladern, welche uns die unerklärlichen Schüsse zusandtr. Indessen waren die zur Umgehung entsandten Abtheilungen auf den Höhen in den Kampf eingetreten, und beschossen aus dominirrnden Positionen die Vorderiaderbatterie, ein Schncllseuer- geschütz und eine Mauerbresche, welche von einigen fitnszig Regu lären vertheidigt wurde. In der Front wurde das anfangs sehr lebhafte Feuer immer ruhiger. Tic Leute sollten mit der Munition sparen und schossen ruhig und voll Interesse, wie auf Scheiben, denen die aufrecht stehenden Chinesen, deren Contouren sich scharf vom Horizonte abhoben, sehr ähnelten. Um 8,45 Uhr war daS erfolgreiche Eingreisen der UmgehungS- truppe stark fühlbar geworden, obwohl man von ihr nichts sehen konnte, da sie Uber Fel» und Thal geklommen und hinter den Höhen verschwunden war. Man sah von der Straße auS, die der Gegner fortwährend heftig bestrich, wie die Chinesen ihre Haupt kräfte aus ihren rechten Fitigel, flankirend zur Compagnie Bartsch, zogen, und da« Feuer in ihrer linken Flanke langsam verstummte. Dort waren nach 8 Uhr die Leutnants Wilde und von Stock hausen, sowie Lrutnant Muther mit kleinen Abtheilungen stürmend gegen die zwei Qstthürme der Stadtmauer vorgegaugen und hatten die Stellungen im Basonettangrisfe genommen, und zwei Schncll- feuergeschUtz« (S' 7") erobert, in ihrer neuen Position noch hestig vom llbzithenden Gegner beschossen. Hier fiel ein Mann, und ein zweiter wurde schwer verwundet. Dir Compagnie Bartsch ging nun unter heftigem Yener de« ab,letzenden Gegner« zum Sturm« vor und erkletterte mit Hurrah- rusen die Paßhöhen. Major von Förster leitete sofort di» Verfolgung deS abziehen- dcn Gegner» ein und stieß mit seinen Truppen einige Kilometer nordwestlich In der Richtung der RückzugSlinie der Chinesen vor, wobei ebenfalls noch Flüchtige erschossen wurden. Nachdem die Bergfestung bereit« genommen war. trafen eng lische Vanzenreiter ein, die mit einem Aifir von 1500 Meter einen unsichtbaren Gegner beschossen. Um »,4L Utze fl«l der letzte Schuß, und Oberst von Ronnann, der inzwischen eingetroffen war, ließ daS Bataillon nördlich der Festung auf dem linken Ufer ves Kii-ma-ho bei einem Tempel sammeln und von den cintresfenden Truppen seiner Colonne Vor posten ausstellen und Patrouillen entsende». Die Engländer boten »ns sofort ihre Tragbahren an, und wir konnten unsere Verluste zählen. Zwei Mann waren todt, zwei starben 48 Stunden später auf dem Transporte, ein Schwerverwunderte und fünf Leichtverwundete sind noch am Leben. Was die Haltung der Truppe anbelangt, so glaube ich, mich frei anssprechen zu dürfen, ohne von Jemandem der Speichelleckerei bezichtigt zu werden. Ich habe einige Campagnen hinter mir, und zwar mit türkischen Truppen, die wohl nicht mit Unrecht als außer ordentlich tüchtig angesehen werden. Was ich aber hier oom oeut- ichen Soldaten sah, hat mir eine derartige Bewunderung eingeflößt, daß ich darin die Lösung sür die immer wieder auftauchcnde Frage der so consegncntcn deutschen Erfolge erblicken muß. CS ist Weber vie besser« Waffe, noch die bessere Führung, noch das bessere Material, welche die deutsche Truppe so stark machen; diese Eigen schaften findet man ja auch bei anderen Nationen. ES ist eben Alles hier harmonisch vereint, und nicht zum Wenigsten ist es die ruhmvolle Tradition, die den Leuten den Gedanken an einen Miß erfolg gar nicht möglich erscheinen läßt. Wenn es ausländischen Blättern bestallen sollte, den Erfolg von Tsu-king-kwan zu ver kleinern oder etwa mit der nun stereotyp gewordenen Phrase ab- zuthun: „Man focht ja gegen Chinesen» — letztes Wort mit langem Gähnen ausgesprochen — so können wir uns darüber kalt lächelnd hinwegsctzen. Es war ein Erfolg, den ich absolut für ausgeschlossen hielt, als ich die Leute noch nicht im Feuer gesehen hatte. Es war kein Morden schlecht bewaffneter Boxcrbanden oder elend adjustirter und noch elender geführter Regulären. ES war ein Erfolg von hundertunddrei Gewehren im schwierigsten Gelände gegen einen Gegner in uneinnehmbar scheinender Felsenfestung mit Sckmcllfcucrgeschiitzcn, der uns eine vierfache Uebermacht in die Feuerlinie warf und eine ebenso starke Reserve hinter sich hatre. Tie gefallenen Feinde waren tadellos gekleidete, gut genährte und hoch gewachsene Burschen. Unter ihren Lfsicieren standen zweifel los solche, die ihre Ausbildung in Europa genossen hatten, denn ihr Vorgehen entsprach den modernen Anschauungen vollkommen. Im Ganzen, sagten Gefangene ans, hätten uns gegenüber drei Bataillone gestünden, und zwar zwei Bataillone M "wntrnvven ans Peking unter General Wu, und ein Bataillon Chinesen deS Generals Chi, im Ganzen gegen 2000 Mann. Ich halte diese An gabe aber, WaS die Zifscr anbctrtfft, für weit übertrieben. ES können wohl 700 bis 800 Mann in Tsu-king-kwan gelegen haben, von denen aber keinesfalls über 400 activ am Gescchtr be» thciligt waren. Tie chinesischen Verluste an Todten betrugen 83 Mann, dezpy» Leichen in oder in der unmittelbaren Nähe der Stadt lagen. WaS an Tchwerverwundeten ans ihrem Rückzüge noch liegen blieb, konnte nicht festgestcllt werden. Unter den Gefallenen sand man auch etwa ein Dutzend Boxer, die mit Gewehr II. 71 bewaffnet waren. Tie Regulären hatten Mannlicher Geivehre. Tas Vorgehen des Major? von Förster, der in jeder Beziehung das Muster eine? thaikrüftigen und soldatischen Charakters ist, war bewunderungswürdig. Er kannte eben seine Leute ganz genau, und da er die Vorbedingungen für einen glänzenden Erfolg gegeben sah, wartete er nicht das Eintreffen einer Verstärkung ab, sondern nahm das Nest, welche? ihm den Weg versperren wollte, mit jener übe-renaten Ruht, mit der wir unS zuweilen eine Cigarre anstecken. Und wie das Haupt, so sind auch die Glieder. * Slmugyai, 7. Januar. („Reuter's Bureau".) Feldmarschall Gras Waldersee bat dem Gouverneur Jnanschikoi von Schon tunq telegraphisch seine Anerkennung für die Energie, mit der dieser die Deutschen in Schontung beschützt Hobe, ausgesprochen und ihm zugesichert, daß die Deutschen nicht zum Zwecke von Repressivmaßrcgeln in dem Gebiete Jnanschikoi'» rinrückrn würden. * Pari», 7. Januar. Der Minister de» Auswärtigen DelcassS theiltr im Ministerratbe Nachrichten ouS China mit und bestätigt* insbesondere die Zustimmung deS chinesischen Kaisers zur Collectionote der Mächte und zu der am 28. December in Singanfu erfolgten Hinrichtung Nutzsten-, eines der Haupt schuldigen, dessen schwere Bestrafung die Mächte verlangt haben. Der Krieg in Südafrika. Tie Schweizer über den voerenkrieg In Prof. Hilty's politischem Jahrbuch (14. Jahrgang, 1900, Verlag von K. I. Wyß) begegnen wir einer vorzüglichen Aus führung des Herausgebers über den Krieg in Südafrika. Er schreibt: Der Boerenkrieg, der schon im October 1899 begonnen hatte und jetzt noch nicht zu Ende ist, war von Seiten der Boeren eine der größten Thaten, die die moderne Geschichte kennt. Kein Mensch hätte es für möglich gehalten, daß zwei kleine Republiken ohne ein europäisch geordnetes Heerwesen dem größten Reiche der Welt einen so langen, in) Ganzen genommen glorreichen und im Einzelnen wieder erfolgreichen Widerstand würden leisten können. Die Geschichte wird daS verzeichnen und die einfache g:ra:e Wahrheit, daß dies ein ungerechter Krieg war, den England, angeblich zwar im Namen des Fortschritts, längst plante, wird sich zuletzt doch noch siegreich über all dem Lügengewebe erheben, mit dem die Vertreter dieses Fort- schritis ihre Thaten zu beschönigen suchen. ES hat den Boeren Niemand beistehen wollen; aber wenn sie einstweilen ihre staat liche Existenz verlieren, so sind sie ruhmvoll, nach einem un erwartet langen und kräftigen Widerstand untergegangen, und ein solches Voll kann sich stets wieder erheben, während England den Fluch dieses Krieges, in dem es sich keine Art von Ehre erwarb, noch lange zu tragen haben und sich vielleicht von dem Verluste seine» moralischen und militärischen Ansehens nie mehr ganz erholen wird. Der Krieg selbst, der für alle kleinen Staaten der heutigen Welt viel politisch und militärisch Lehr reiches enthält, schien sich anfangs für die verbündeten Repu bliken glücklich anzulasien, endete dann aber in dieser ersten Phase plötzlich sehr unglücklich mit einer großen Kapitulation deS HauptfiihrerS Cronje bei Paardeberg. Es sind nicht die Niederlagen, sondern die Kapitulationen, die einer Nation am gefährlichsten sind. Hätte Cronje, wenigstens mit einem Theile seiner Truppen, bis zum Tode auSgehalten, so würde er jetzt an der Seite der Spartaner unter Leonidas im Glanze eines unver gänglichen Ruhmes strahlen und die wundervolle Grabschrift: „Wanderer, kommst du nach Sparta, berichte dorten, du habest unS hier liegen geseh'n, wie das Gesetz es befahl", würde nult nochmals an einem südafrikanischen Hügel stehen und jede» Volt, das in g'eiche Lage kommen kann, neu ermuthigen. Während jetzt, trotz alles vorangegangenen Widerstande», der Name Cronje nur einen der vielen „Kapitulanten" der Geschichte bedeut^.
- Aktuelle Seite (TXT)
- METS Datei (XML)
- IIIF Manifest (JSON)
- Doppelseitenansicht
- Vorschaubilder
Erste Seite
10 Seiten zurück
Vorherige Seite