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02-Abendausgabe Leipziger Tageblatt und Anzeiger : 10.01.1901
- Titel
- 02-Abendausgabe
- Erscheinungsdatum
- 1901-01-10
- Sprache
- Deutsch
- Digitalisat
- SLUB Dresden
- Lizenz-/Rechtehinweis
- Public Domain Mark 1.0
- URN
- urn:nbn:de:bsz:14-db-id453042023-19010110025
- PURL
- http://digital.slub-dresden.de/id453042023-1901011002
- OAI-Identifier
- oai:de:slub-dresden:db:id-453042023-1901011002
- Sammlungen
- LDP: Zeitungen
- Strukturtyp
- Ausgabe
- Parlamentsperiode
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- Wahlperiode
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Inhaltsverzeichnis
- ZeitungLeipziger Tageblatt und Anzeiger
- Jahr1901
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Äurtsötatt -es Äönigtichen Land- und Ämtsgenchtes Leipzig, -es Mathes un- Mokizei-Ämtes -er Ltadt Leipzig. 18. Donnerstag dm 10. Januar 190 l. Anzeigen «Preis die 6gespaltene Petitzeile LS H. Reklamen unter dem RedactionSstrich (4 gespalten) 75 vor den Familiennaci). richten (6 gespalten) 50 H. Tabellarischer und Ziffernsatz entsprechend höher. — Gebühren für Nachweisungen und Lsfertrnannahine 25 5, (excl. Porto). Ertra Beilagen (gefalzt), nur mit der Morgen-Ausgabe, ohne Postbesörderung 60.—, mit Postbesörderung .Sl 70.—. Annahmeschlüb für Jinzeige«: Abend-Au-gabe: BormittagS 10 Ubr. Morgen-Ausgabe: Nachmittag» 4 Uhr. Bei de» Filialen und Annahmestellen je eine halbe Stunde früher. Anzeigen sind stets an die Expedition zu richten. Die Expedition ist Wochentag» ununterbrochen - geöffnet oou früh 8 bi» Abend» 7 Uhr- Druck und Lerlaa von L. P olz in Leipzig. 95. Jahrgang. Die Wirren in China. Es Havert weiter. Die „TimeS" melden aus Peking, 7. Januar: Die Ge sandten glauben, Prinz Tsching habe sein Wort in so unzwei deutiger Weise verpfändet, daß sie an einer Unterzeichnung durch ihn nicht zweifeln. Andere Leute aus der Umgebung der chinesischen Bevollmächtigten wollen freilich wissen, daß, da der Hof in zwei Lager getheilt sei, es politisch unklug wäre, wenn die chinesischen Bevollmächtigten jetzt unterzeichnen würden. Die Einwände der Vicekönige des Südens haben den Hof dazu bestimmt, den Bevollmächtigten zu befehlen, die Note nicht zu unterzeichnen, was in Peking großes Aufsehen hervorgerufen hat. Die Einwände der Vicekönige des Südens sind indessen eine Folge derjenigen des Hofes gewesen, die dieser dem Prinzen Tsching telegraphisch übermittelt hat. Ein Pekinger Bericht der „Agence Laffan" über eine Unter redung mit Li-Hung-Tlchang läßt die Unterzeichnung der V o c- friedensnote durch die chinesischen Bevollmächtigten vor der Hand in zweifelhaftem Lichte erscheinen. Li be stätigt ausdrücklich, daß auf den kaiserlichen Erlaß, der zur Unterzeichnung ermächtigte, ein weiterer Erlaß ge folgt sei, der diese Unterzeichnung unter sagte. Darauf warnten am 6. Januar beide Bevollmächtigten den Kaiser bezüglich der Gefahren eines weiteren Aufschubes mit dem Hinweise, China werde nicht wieder so glimpfliche Be dingungen erlangen. Li-Hung-Tschang erklärte auf die Frage, wer am Hofe die Bevollmächtigten unterstütze, er sei der einzige Minister gewesen, der für die Kaiserin maßgebend gewesen sei, bis Uunglu und Lutschwanlin ihn zurückdrängten. Auf Wengwangtschao's Veranlassung sei der Erlaß zur Unterzeichnung der Vorfricdensnote erfolgt. Lutschwanlin ist ver Schwager des Vicekönigs Tschangtschitung und Schwert bruder und Freund Aunglu's. Der Nankinger Vicekönig Liu- kunyi habe bisher kein Zeichen des Widerstandes gegen die Note gegeben, er unterstütze Tschangtschitung nicht und stehe mit den Bevollmächtigten auf freundschaftlichem Fuße. Auf die weitere Frage, welche Artikel beanstandet würden, erklärte Li, die ersten vier und der zehnte würden ohne Weiteres angenommen, bei den übrigen werde sich eine Erörterung ergeben. Die „humanen" Russen. * Petersburg, 9. Januar. Wie der „Russischen Tele graphenagentur" aus Peking vom 7. d. M. gemeldet wird, hat der Kaiser von Rußland angeordnet, daß die seit einiger Zeit von der russisch-chinesischen Bank-Abtheilung eingerichtete Vertheilung von Reis an die Armen Pekings während des ganzen Winters fortgesetzt werde. Gegenwärtig geschieht die Vertheilung an 4 Puncten der Stadt in einer Anzahl von mehr als 10 000 Portionen täglich. Der Krieg in Südafrika. Im Süden der Capcolonie geht es drunter und drüber, wenigstens aus englischer Seite. Di- Einwohner der kleinrrenStädte flüchten in hellenHaufen entweder nach den noch vom englischen Militär besetzten Plätzen, oder dircct ganz nach Süden, nach den Hafenstädten. Capstadt siebt immer noch unter dem Zeichen der Panik, da die Boeren mit einer un heimlichen Geschwindigkeit sich dem Tafelberge nähern, und im äußersten Westen bereits bis an den Olephant River in die Nähe der Stadt Piquetsberg vorgedrungen sind. Bei der Stadt Southerland befinden sich nach den letzten Meldungen bereits über 2000 Boeren, denen eine Abtheilung englischer Garden am Verlatenkloof gegenübersteht, falls sie nicht inzwischen zurück gedrängt worden ist- Im Osten wurde die Stadt Richmond von den Boeren occupirt, während im klebrigen auf der ganzen langen Linie der Vormarsch der Burghecs nicht zum Stillstand gekommen ist. lieber die Frage der Invasion der Capcolonie läßt sich die Londoner liberale Wochenrevue „The Speaker" in ihrer heute erschienenen Nummer folgendermaßen aus: „Für Je manden, der die Holländer der Capcolonie und ihre gegenwärtige Stimmung nicht ganz genau kennt, ist es unmöglich, zu be- urtheilen, welchen Erfolg die Invasion haben kann. Eines aber steht fest: Daß wir nicht in der Lage sind, eine größere Zahl de: in die Capcolonie eingedrungenen Boeren gefangen zu nehmen. Wenn man davon spricht, größere Truppcnmengen schleunigst aus dem Norden heranzuziehen, so ist das reiner Unsinn. Man könnte über diese Truppen nur verfügen, indem man unsere Vor rathsmagazine im Stiche, oder die Eisenbahnen ungenügend be wacht ließe. Das Erstere würde alle Anstrengungen der letzten drei Monate werthlos machen, das Zweite würde kleine Truppen der Feinde in die Lage setzen, die einzige Eisenbahnlinie, über die wir noch nördlich von Bethulie verfügen, zu zerstören. Es würde scheinen, als ob die geforderten 3000 Mann blos eine kleine, leicht entbehrliche Zahl von Truppen wären, aber von den 210000 Mann, die wir in Südafrika haben, sind nicht 20000 für Operationen im Felde frei. Die übrigen sind entweder un brauchbar, krank oder mit der ständigen Bewachung von festen Plätzen und Verbindungslinien beschäftigt. Und von diesen etwa 20000 Mann ist der größere Theil zur Zeit im Osten des Frei staates vollauf in Anspruch genommen. Es ist deshalb kein Wunder, daß ein Aufruf an Sie englische Bevölkerung der Cap colonie erlassen wurde, Loch klingt cs wirklich pathetisch, wenn man hört, daß die grauhaarigen Kaufleute Kapstadts diesem Aufruf enthusiastisch Folge leisten. Wir müssen an ihrer Be weglichkeit zweifeln." London, 10. Januar. (Telegramm.) „Renter's Bureau" berichtet aus Capst dt: „Die Nachricht über einen Kampf der Radfahrer-Freiwilligen mit den Boeren bei Pükaneerskloos bestätigt sich nicht. (Sie war auch zum Lachen. D. Red.) Politische Tagesschau. * Leipzig, 10. Januar. Graf Bülow hat sich nun auch dem preussische» Abgcor-uctenhausc vvraestcllt und in begren.ter Weise politisch cntbüllk. Ein „Programm" ist in der Rede, die er in der gestrigen ersten ordentlichen Sitzung der zweiten Kammer hielt, nicht ausgestellt worden, er bat ein solches nickt aufstellen zu wollen ausdrücklich erklärt. Von Vielem, was eines neuen preußischen Ministerpräsidenten Her; bewegen könnte und sollte,so z. B. von derPolcnpvlitik und dem Verbältniß zwischen Staat und Kircke, schwieg der G>af. Er gab sich nur wirtbschaftlich und feine Selbstzeichnung bars auf den Beifall aller Unbefangenen rechnen, vorausgesetzt, daß das Boe ähnlich ist. Der Ministerpräsident spricht der Aussöhnung der wirtbschaftlicken Gegensätze das Wort. Er will für seinen Tbeil keine Tbat'gkeit auf Kosten der anderen begünstigen, aber er scheint ter Meinung, daß cS eine ungerechtfertigte Begünstigung nicht sei, wenn der Land- wirthsckaft als dem zur Zeil am wenigsten von den Ver hältnissen begünstigten Gewerbe eine besondere Berücksich tigung zu Tbeil werte. Der Mlnisterpräsikent deutet auch ver ständlich an, taß cr Ercessen der „menschlichen Selbstsucht" gegen über die Geduld nicht zu verlieren gedenke Nicht überraschend aber, weil zum ersten Male erst lgt, der Hervorhebung wertb ist seine Versickerung, daß die Negierung der Lantwirtbsckasl für „gesteigerten Zollschutz" sorgen müsse und sorgen werke. Diese Erklärung gehörte eigentlich in den Reichstag; in diesem aber, der vorgestern und gestern die erste Lesung der Vorlagen über das Urbeber» und das Verlagsrecht er ledigte, obue der besonderen Commission, der die Vorlagen überwiesen wurden, ihre Ausgabe wesentlich zu erleichtern, bot sich keine Gelegenheit, die Ei klärung anzubringen; sie war übrigens im Abgcorduelenbause den Zwecken des Frcib rrn von Bülow völlig angepaßk. Denn im Grunde war seine Rede vor Allem ein Empfehlungsspruck für die „w asserwir t h i chaft- licke Vorlage". Dabei muß tie Corrcctbeit tes Verfahrens anerkannt weiten. DieThromcde, die im Namen des Kaisers verlesen wurde, verhielt sich kühl unv geschäftsmäßig; in eigener Darlegung, die immer etwas Persönliches an sich bat, darf und muß das Colorit ein warmeö sein. Es erzielte denn auch einen kräftigen Eindruck, ter aber vielleicht noch stärker ge wesen wäre, wenn der neue Minislerpiäsirent ganz conieguenl geblieben und sich nicht doch wiederholt auf die Person teS Monarchen bezogen hätte. Graf Bülow fand bei seinen allgemeinen Betrachtungen über tie Interessen Harmonie und die Betürfnisse der Landwi, lhschaft — er machte dem Osten noch besondere Coiuptimcnle — lebhaften Beifall bei der Rechten. Man wurde dort stiller und schließlich ganz still, als er die Vorzüge der Wasservorlage schilderte. Und dock paßt auf dieser, Gesetzentwurf, dessen In halt man ja im Wesentlichsten kennt, gewiß die Kenn zeichnung als eines Werkes „ausgleichender Gerechtigkeit". Die grundsätzliche Opposition gegen die Canalvorlage dürfte gestern den Conscrvaüven unmöglich gemacht worden sein. Für Modificalivnen, die der Befriedigung der Wasser- baubedürfnisse des Ostens zeitlich den Vorrang einräumen, bleibt jedoch Raum, und Graf Bülow schien, ehe er den Gegenstand verließ, in einer mehrdeutigen Wendung über die Tauer der Bauausführung zu verstehen geben zu wollen, daß er »in sich reden lassen werde. Entgegen dem He, kommen, das dem Finauzminister das erste Regiernngswort bei Begin» einer Scssio i überläßt, kam Herr v. Miguel gestern mit seiner ' Elarsrede inö Hintertreffen. Er Harle zudem das Unglück, im givßercn Tverle seiner Ausführungen nickt deutlich ver nommen zu werden. Was man heute liest, war ein Bericht über Uelerschüsse, die kolossale genannt werden dürfen. Herr v. Miguel re ommirte aber nickt, foudern machte eher „flau". Und das wissen wir weniger gesegnete nichtpreußische Deutsche an dem Manne zu schätzen. Die „Sammlung" vollzieht sich und ihre Gegner tragen das Meiste dazu bei, die Neigung zu der wechselseitigen handespolitischen Verständigung, die das deutsche Volk beseelt, keutlia, bcrvortrelen zu lassen. Beweis dcssen der Verlauf des in Berlin versammelten Tcntschcn Handelstays. Er bat sich zwar „entschieden -gegen jede Erhöhung der Zölle aus Lebensmittel" auSgeiprocken, aber — mit 117 gegen 143 Stimmen, schreibe mit vier Stimmen Mehrheit. Der Mann, der diese „entschiedene" E'tläiung beantragte und durchsetzte, hatte biuauSgcdoui'ert: „Wir sind hier die Interessenvertretung von Handel und Industrie". Nun, wenn „Handel nnc Industrie" nur zu höchstens 52 Pivcenl gegen jede Erhöhung der G treidezölle sind, dann müßte schon angesichts der freundlichen Stimmung des Reichstags, zu dem bock» auch die Massen der Industrie wählen, der Frage zu Gunsten der Zollsteigerung als entschieden betrachtet werden. Dieser Folge rung entziehen sich auch die Organe de» Freihandel» nickt. Sie schweigen entweder oder sie sagen gerade heraus, wen» man keines anderen Ergebnisses sicher gewesen, so hätte man, — wie, beiläufig bemerkt, der „HandelSvertragS- verein" getban — gar keine Abstimmung über die Frage der Erhöhung der Getreidezölle herbeifübren dürfen. Das wäre allerdings klüger gewesen. Die Resolution de» Ausschusses res HanrelStagS batte die Erklärung gegen „jede" Er höhung anch vermieden und in der der Abstimmung vor» auSgegavgenen Debatte war von Veitretern au« Saarbrücken, Böckum und Düsseldorf die Zollschiitzbedürfiigkeit VerLandwirtb» schäft bervorgedoben worden. Da kam Herr Pulvermacher ans Cassel, hielt eine wilde Rede und erzielte die — 4 Stimmen Mehrheit. Dieses geringfügige Plus ist geradezu zwingend für die Erhöhung der Geireioezölle. Einmal stellt es, was die Freihändler nicht bestreiten, eine Zuf illsmajorität vor. Sodann ist ebenso unbestritten, daß die Industrie nicht ihrem Interesse gemäß entsprechend vertreten ist. Auch außerhalb des Centralverbankcs deutscher Industrieller stehende große und mittlere FabrikalionSgewerbe erkennen dem Handels» tage den Charakter einer Handel und Industrie gleich mäßig repräscntirenden Körperschaft nicht zu. Die Mehrbeit von nur vier Stimmen gegen die Gekreidezollerköhung läßt daher in der Jndustlie auf eine große Mehrheit für tie Zoll steigerung schließen unv sie giebt nickt einmal über die Stellung der reinen Handelswelt zu dieser Frage verläßlichen Ausschluß. AiS gewiß nehmen wir an, daß zahlreiche angesehene Kaufleute an dem in dem UcberrnmpelungSzus.itz zur angenommenenResolution gebrauchten Ausdrucke .Lebensrnittel» zölle" als einem agitatorischen Anstoß nebnicn werden. Wenn auch, wie cS in dem vergangenen Jabrzebnl wiederboit vor gekommen, auf der Productenbörse durch eine „Schwänze" die Gelreidepreise auf eine exorbitante Höhe gelr'eben worden waren, da las man in den Börsenberichten auch nickt- von „Brodfruckt", sondern eS hieß schlicht Roggen und Weizen. Geg«i einen Doppeltarif Hal sich der HandelStag mit großer Mehrheit ausgesprochen, mit allen gegen 15 Stimmen. Vielleicht wäre bas V rbältniß ein anderes, wenn die Frage stellung auf einen Doppeltarif für gew sse landwirtbschaft- liche Erzeugnisse gerichtet gewesen wäre. Jedenfalls ist es beachleuSwerlb, daß von 140 Handelskammern, die um ihre Meinung über den Doppeltarif befragt worden waren, 71, also mehr als die Hä fle, gar nicht geantwortet haben. Daraus läßt sich schließen, daß diese Mehrheit mindesten- nickt den W liuntergang von Ver Einführung einer solchen Neuerung befürchtet. Obwohl das Centrum, wie wir gestern zeigten, eifrig be müht ist, die Polen zufrieden zu stellen, können dies« daS Mißtrauen nicht bannen, daS ihre Protektoren durch ihre allzu „deulsche" Haltung im Reichstage erweckt haben. So bringt der in Jnowrazlaw erscheinende .Dziennik Kujanzki", der öfter von polnischen Abgeordneten alS Sprachrohr benutzt wirk, unter der Ueberschrift „Das Centrum und Vie Polen" einen Aitikel, in dem es u. A. beißt: Zwar sei von allen deutschen Parteien das Centrum diejenige, die für die Palen noch immer am sympathiichslen sei. Jedoch dürfe man nie vergessen, daß auch daS Ceutrum eine deutsche Partei sei, die mit der Strömung, von welcher der Geist des deutichcn Volks beherrscht werde, auch rechnen müsse. Zwischen dem Ceutrum und den Polen müsse c» doch über laug oder kurz zu einem Kampfe kommen und zwar wegen Obrrschlesien» und Ermlands. In Obrrschlesien sei eine völlige Trennung d>r dortigen F-uilletsn. Das neue Dahnproject. Roman von Paul Oskar Höcker. Nachdruck verböte». Arnold war unglücklich, tief unglücklich — daran gab es für sie keinen Zweifel mehr. Das Mißverhältniß zwischen ihm und seinem Schwieger vater ward ja schon öffentlich besprochen! Ghcy hatte eine Ver sammlung des neu gegründeten Vereins zur Förderung der Brandeisgletscherbahn besucht und den Damen der Palm'schen Pension darüber berichtet: es sei Vorstanvswahl gewesen und oer alte Schwändi habe mit offenbarem Vergnügen an der Sache Len ihm angetragenen Vorsitz übernommen, trotzdem kurz zuvor von einem in Bern gewesenen Herrn ein begeistertes Loblied ge sungen worden war auf denselben Götz Orell, der in so hoch- müthiger Weise in seinem Vortrage über die Broschüre unv daS Werk Zwhler's geurthcilt hatte! Und das Empörendste sei: am nächsten Montag finde im Baugarten ein Vortrag des fremden Herrn über diese Angelegenheit statt, angeregt durch daS hiesige ComitS- Natürlich erklärten die Pensionärinnen daraufhin sofort mit größter Erregung, daß sie die Vereinssitzung geschloffen besuchen würden. Elisabeth war an diesem Abend aber nicht zu bewegen, im Saale selbst Platz zu nehmen. Im Dunkel des Säulenganges postirte sie sich; denn Niemand sollte das Fieber ihrer Augen und Wangen sehen. „Wenn blos der Professor da wär'!" sagte der Student ein um's andere Mal während des Vortrages, dessen äußerlicher Glanz die Laien blenden konnte, während die Kenner der Zwyler- schen Schrift, die unter der Studentenschaft vertreten waren, aus ihrem Mißfallen an den oberflächlichen Ausführungen Orell's kein Hehl machten. „Man müßte jetzt zu ihm schicken unv ihm sagen, ivaä hier ge schieht!" meinte die Petrowitsch aufgeregt. Elisabeth'- Unruhe war von Minute zu Minute gewachsen. Es hatte einen qualvoll peinigenden Eindruck auf sic gemacht, den Mann, der so tief in ihr Lebensschicksal ciiigegriffen, der aus der reichen Erbin eine Bettlerin gemacht hatte, da in vollem Glanze auf der Rednertribüne vor sich zu sehen. Er benahm sich arrogant und überlegen, wie damals schon in Wien und bann in Vlasgow — aber nun kam noch hinzu, daß er erfolg gewöhnt war, daß er gelernt hatte, mit billigen, die Menge leicht verführenden Volksrednerphrasen fortgesetzt zu Bcifallssalven herauszufordern. Zwhler's Schüler waren die Einzigen, die opponirten. Ghey verhandelte schon darüber mit einigen Commilitonen, ob nicht Einer von ihnen sich zu Worte melden und in die Debatte ein greifen sollte. Plötzlich aber rief er ganz aufgeregt: „Potztausend — Kinder — guckt blos: da ist er! Wahr haftig, da ist er!" Sie waren alle Vier in die Höhe gefahren — so überraschte und erfreute sie der Eintritt Zwhler's. Die innere Antheilnahme war bei Elisabeth natürlich am größten; der StudiosuS Ghcy legte sich aber dem indifferenten Vorstand gegenüber am eifrigsten und feurigsten in'S Zeug. Auch nachdem er endlich durchgesetzt hatte, daß Zwyler das Wort ertheilt ward, bestimmte er die Haltung seiner Com militonen. Demonstrativ war schon der Beifall, der den Pro fessor beim Betreten der Rednertribüne empfing. „Ich folge Ihrem Rufe, Ihnen meine Ansicht über das Thema Ihrer Verhandlungen mitzutheilen, nicht ungern!" begann der Professor. „Bedauern muß ich nur, daß mir der erste Theil der Ausführungen meines Vorredners nicht bekannt ist. Ich vermag mich also nur mit dem zu beschäftigen, was ich vernommen habe. Aber schon darin waren so viele Jrrthümer enthalten, daß ihre Klarstellung meine Zeit — und Ihre Geduld — so wie so lange genug in Anspruch nehmen wird!" Wie eine Salve setzte der Beifall seiner Schüler ein — Dank dem vorbereitenden Murmeln Ghey's, mit dem er die letzten Worte seines Professors begleitet hatte. Arnold Zwhler's äußere Ruhe war nur gespielt. Seine Studenten merkten es den nervösen Bewegungen seiner Hände, einem gel-gentlichen Versprechen, einem kurzen Stocken an, wie sehr ihn dieser Disput erregte. Sein Widerpart stand am Borstandstisch, lächelnd, über legen, wie immer; nonchalant hatte er die Rechte in die Tasche gesteckt; hie und da wandte er sich an einen der Herren, ihm eine, wie eS schien, humoristische Bemerkung zuraunend. Wenigstens lachte der Betreffende dann immer. Es war aber auch möglich, daß man sich's mit dem plötzlich so berühmt gewordenen Manne blos nicht verderben wollte. Schwändi vermochte dem Beitrag des Professors, der ihm den Rücken wandle, nicht zu folgen. Das plötzliche Verschwinden Anna's beunruhigte ihn. Er fühlte die Unhaltbarkeit dieses Zu stande» nun endlich selbst heraus und er ärgerte sich, daß er sich von der Opposition gegen seinen Schwiegersohn soweit hatte hinreiben lassen. Aber um nichts in der Welt hätte er sein Unrecht eingeräumt. Schließlich war es ja eine rein akademische, eine unpersönliche Angelegenheit, über die die Ansichten doch auch innerhalb einer Familie auseinanoergehsn konnten, ohne daß des halb gleich an eine Fcindschoft bis auf's Blut gedacht werden brauchte. Originell war es ja — das gab er zu — daß ein wissenschaftlicher Streit zwischen Schwiegervater und Schwieger sohn öffentlich ausgetragen wurde. Aber, er liebte ja das Ori ginelle, und aus dem Geschwätz der Leute hatte er sich nie etwas gemacht. Im Gegenthcil, eS konnte ihn nur amüsiren, wenn die da unten sensationslüstern zu ihm bcraufstarrtcn und in seinen Zügen lesen wollten, wie die Ausführungen des Professors und namentlich der dann und wann demonstrativ einfallende Beifall der Studenten auf ihn wirkten. Er setzte ein behagliches Schmunzeln auf, das nur allmählich, als die Haltung des ge stimmten Auditoriums mehr und mehr zu Zwyler'S Gunsten umschlug, etwas Krampfhaftes, Gezwungenes annahm. So unsicher sich der Professor iv Anfang auch anstellte — seine Gereiztheit und Abgespanntheil wich mehr und mehr einem edlen Feuer, das sich von der hohlen Phrasendrescherei Orell'S Vortheilhaft unterschied. Zunächst legte er dar, dab dieses vielbesprochene Bahnproject noch der allerersten Vorbedingung entbehre, nämlich einer festen, auf genaue Vermessungen ausgebauten Grundlage, und daß des halb alle Angaben über seine technische Durchführbarkeit und seine Rentabilität in der Luft schwebten. „Herr Orell beruft sich darauf, daß er vor Jahren schon selbstständig den Plan einer Bahn zum Gipfel des Brandeis- gletschers erwogen, einen Theil der Trace, die anzunehmen wäre, sogar persönlich vermessen und durchforscht habe. Nun, ich kenne Herrn Orell's Ausbildung als Geodät zu wenig, als daß ich mir ein Urtheil über den Werth seiner persönlichen Forschungen erlauben dürfte " „Was ich mir auch höflichst verbitten würde!" unterbrach Götz Orell nachlässig den Redner. „Ruhe dahinten!" rief der Student Ghey — und die Glocke des Präsidenten mußte den oufkommenden Lärm beschwichtigen Das aber will ich Ihnen beweisen, daß das von meinem Vorredner besprochene Project — eine Bahnlinie am Aar- und Trübtenflüßchen entlang, zwischen Windgäll unv dem Grimberg hindurch, an der Gscherhornhütle vorbei, durch den Oberaargletsckcr und weiter unter dem Brandcisgletscher joch durch zum Gipfel empor — daß dieses Project nicht nur einen übermäßig weiten und geologisch ungünstigen Weg nimmt, i sondern daß man von der Durchführung dieser Trace, von der nur ein kleiner Theil bisher vermessen ist, — und zwar blo» von Herrn Orell — voraussichtlich überhaupt abstehen muß!" Wiederum Beifall — aber auch höhnisches Lachen, und zwar auf dem Podium selbst ausgestoßen von Götz Orell. — Der Redner ließ sich, einmal im Zuge, nicht mehr beirren; was er sagte, war klar und sachlich. Er hatte sich in den letzten Monaten so eingehend mit dem Studium der Berner Alpen befaßt, daß er allen diesen Fragen auf den Grund gehen konnte. Er hielt es für ausgeschlossen, einen Tunnel vom Oberaar gletscher bis zum Brandeisgletscher zu bauen, weil beständige Eisbildungen im Innern des Tunnels zu erwarten seien; und man würde ja auch — das sagten schon die Niveauziffern — unter dem Brandeisgletscherjoch dreihundert Meter schon er reichter Höhe wieder verlieren, um sie alsbald aufs Neue ge winnen zu müssen. Eine große Reliefkarte, die an der anderen Seite des Podiums hing, hatte Zwyler erst entdeckt, als er schon im Zuge seines Vor trags war. Ganz ausgefüllt von seinem Thema trat er zur Karte und erläuterte seine bisher gegebenen Ausführungen. Am schlagendsten wurde er, als er sich schließlich dem Zahlen material zuwandte. Während Orell ausgeführt hatte, daß das Meter Tunnel für dreihundcrtundfünfzig Franken herzustcllen sei, erinnerte er demgegenüber daran, daß bei dem unteren Theile der Jungfrau bahn tausend bis zwölfhundert Franken dafür ausgesetzt werden mußten. Demnach würde die Bahn also nicht zehn, sondern dreißig Millionen kosten. Sollte eine solche Summe aber bei der kurzen jährlichen Betriebsdauer sich verzinsen können? Zwyler bezweifelte es. Um so mehr, al» auch eine fast zwei Stunden währende Fahrt im Dunkel eines Tunnel» auf die Frequenz der Bahn ungünstig einwirken dürfte. „ES war meine Pflicht, Ihnen die» zu bedenken zu geben, meine Herren vom Comite", so schloß er schlicht, aber nicht ohne innere Erregung, seine Ausführungen, „meine GewiffenSpflicht, weil ich fürchte: auch die Ersparnisse der Armen und Minder begüterten würden Ihne» zufliegen, wenn Sie mit Ihren all gemein so hochgeschätzten Namen und mit größeren Summen daS meiner Ansicht nach von vornherein verunglückte Unternehme» unterstützen. Die moralisch und social bedenkliche Seite diese- Planes ist es, die mir selbstverständlich wichtiger erscheint, als die capitalistische. Und darum nochmals: Besonnenheit —> Ruhe — kein Gründungs- und Baufieber!" Er machte eine kurze Verbeugung und trat ab. Schwändi kochte vor Zorn. Er wollte den vielstimnvgen
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