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01-Frühausgabe Leipziger Tageblatt und Anzeiger : 14.01.1901
- Titel
- 01-Frühausgabe
- Erscheinungsdatum
- 1901-01-14
- Sprache
- Deutsch
- Digitalisat
- SLUB Dresden
- Lizenz-/Rechtehinweis
- Public Domain Mark 1.0
- URN
- urn:nbn:de:bsz:14-db-id453042023-19010114012
- PURL
- http://digital.slub-dresden.de/id453042023-1901011401
- OAI-Identifier
- oai:de:slub-dresden:db:id-453042023-1901011401
- Sammlungen
- LDP: Zeitungen
- Strukturtyp
- Ausgabe
- Parlamentsperiode
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- Wahlperiode
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Inhaltsverzeichnis
- ZeitungLeipziger Tageblatt und Anzeiger
- Jahr1901
- Monat1901-01
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Amtsblatt des Königlichen Land- und Amtsgerichtes Leipzig, des Rathes und Nokizei-Ämtes der Stadt Leipzig. Anzeigen-Preis die 6 gespaltene Petitzeile 25 Reklamen unter dem Redaction-strich (4 gespalten) 7S H, vor den Familiennach- richten (S gespalten) SO H. Tabellarischer und Ziffernsatz entsprechend höher. — Gebühren für Nachweisungen und Offertenannahme L5 (excl. Porto). Ertra-Beilagen (gesalzt), nur mit der Morgen-Ausgabe, ohne Postbesördcrung 60.—, mit Postbrsörderung 70.—^ Annahmeschluß für Anzeigen: Nbend-Au-gabe: Vormittag- 10 Uhr. Morgen-Ausgabe: Nachmittags 4 Uhr. Bei den Filialen und Annahmestellen je eine halbe Stunde früher. Anzeigen sind stets an die Erpehffix.. zu eichten. Die Expedition ist Wochentags ununterbrochen geöffnet von früh 8 bis Abends 7 Uhr. Druck und Verlag von E. Volz in Leipzig. ^-24. Montag den 14. Januar 1901. 95. Jahrgang. Zur Communnlentwickelung Londons. Angesichts der Zunahme der großen Städte in Deutschland, ihres Wachsthums an Einwohnern und ihrer räumlichen Aus dehnung, nicht minder der Fülle communaler Aufgaben, ist wohl ein kurzer Blick auf die kommunale Entwickelung Londons an gebracht, die uns ein Bild giebt, wie wir es in Deutschland wohl selten finden, die aber doch viele ähnliche Züge deutscher Städte entwickelung enthält. Wir tonnen in Deutschland von einem gewöhnlichen und außergewöhnlichen Wachsthum der Ein wohnerzahlen sprechen. Ein« Stadt, die ihre Einwohnerzahl durch den Geburten- und Zugangsüberschuß vermehrt, zeigt ein gewöhnliches Wachsthum, eine Stadt, die nothgedrungen ihre Einwohnerzahl gemäß ihrem Wirthschaftsgebiet vermehrt, zeigt ein außerordentliches. Das letzte Jahrzehnt des verflossenen Jahrhunderts ist für den letzten Fall geradezu typisch geworden. Es mögen nur sehr wenige große deutsche Städte existiren, die sich nicht ihre Vor- und Nachbarorte einverleibt haben, und so schneller zur Großstadt gereift sind, als in gewöhnlichen Zeit läuften. Unser Leipzig selbst hat mit vollen Händen genommen und sein Weichbild und seine Einwohnerzahl stark vergrößert, während Berlin sein Annexionsgelüst aufgeben mußte und nun um sich einen ehernen Kranz neuer Städte erstehen sieht, die, mit Ausnahme der demnächst durchzuführenden gemeinsamen Sicherheitspolizei, keine engeren kommunalen Interessen haben. Man kann über diese Mittel der preußischen Regierung gecheckter Meinung sein, jedenfalls ist das Experiment lehrreich. Viel leicht kommt einmal der Tag, wo die wirthschaftlichen Verhält nisse «durchaus auf eine Einverleibung drängen, und dann wird man vielleicht für das eigentliche Berlin eine Sondrrverfafsung aufstellen. In ähnlicher Weis« hat sich auch London entwickel:, die City ist selbst 1888, als die große städtische Reform voll zogen wurde, mit einigen Sonderrechten stehen geblieben. Aller dings, so ähnlich auch manche Züge im städtischen Leben Eng lands und Deutschlands sind, verschiedenartig sind sie dennoch. Diese Verschiedenartigkeit beruht nicht nur auf der Entwickelung des englischen Handels und der englischen Industrie, sondern zum großen Theil« mit auf dem Nationalcharakter und der Ge schichte. Die englischen Städte, und besonders London, genoffen von jeher Vorrechte, und ein englischer Bürger war immer noch etwas Anderes, als der einer deutschen Stadt, selbst wenn sie Reichsstadt war, denn hinter ihm stand der Staat, der, mächtig, keinen Vergleich mit unseren Reichsstädten zuläßt. Aber eng lischer Bürger zu sein, war nicht Jedem beschiedcn, und eifer süchtig wachten die Herren über ihre Vorthecke und ließen nur wenige daran theilnehmen. So waren die Bürger in vielen Städten von Lasten und Abgaben befreit, und das Vergnügen dies« zu tragen, fiel den Nichtbürgern zu. Die letzteren waren hauptsächlich zur Zahlung der städtischen Zölle und Gefälle ver pflichtet. Beispielsweise hatte ein Kaufmann in New Castle in einem Jahre an städtischen Zöllen 450 Pfund zu zahlen, ein: Ausgabe, die weggefallen wär«, wenn er Bürger gewesen wäre, eine Firma in Liverpool hatte sogar 1400 Pfund solcher Aus gaben. Kein Wunder, daß unter solchen Verhältnissen di« Bürger sich durchaus nicht beeilten, ihre städtischen Verhältnisse zu ändern. Sehr lehrreich auch für uns Deutsche ist daher eine Be trachtung der Gesetzgebung der englischen Städte, insbesondere Londons, vr. Ludwig Sinzheimer giebt in seinem Werke „Der Londoner Ärafschaftsrath"*) davon «in aufs Minu tiöse ausgeführtes Bild. Der Verfasser kommt in dem vorliegen den Bande nur bis zur großen Reform 1888, in der die neuen liberalen Ideen zum Theil Sieger blieben, aber auch das, was er über die Zustände zwischen 1835 und 1888 sagt, ist interessain genug, um Jedem, der sich um Kommunalpolitik kümmert, oder der an dem öffentlichen Leben thätiqen Antheil nimmt, ein ein- gehendes Studium des Buches zu empfehlen. Wir können hier na türlich nur Einiges herausgreifen und in einer skizzenhaften Dar stellung den Gang der Geschichte und ihre Behandlung in dem fleißigen Buche wiedrrgeben. Wir wollen damit nur zum weiteren Studium anregen. Als Zeitpunkte sind in der neuen englischen kommunalen Gesetzgebung wichtig die Jahre 1835, 1855, 1888. Die Ge schichte Londons veranschaulicht uns den Kampf des dritten und des vierten Standes um die Macht in der Gemeinde, sie zeigt uns, wie konservativ, aber auch wie ungerecht die englische Com- munalgesetzgebung war, und wie sehr sich die herrschenden Claffen bemühten, diese ihnen allein zum Vortheil gereichende Verfassung beizubehalten. Auch in Deutschland finden wir ein größeres Privilegium der Stände und Geschlechter, aber zugleich auch eine langsame oder schnellere Erweiterung der Bürgerschaft und ihres Einflusses auf die Geschicke der Stadt. Geld und wieder Geld spielte in England di« erste Rolle, und selbst Re formatoren auf kommunalem Gebiete glaubten die fürstlichen Kaufleute, die reichen Händler, die sich von den Geschäften zu rückgezogen hatten, nicht missen zu können in der Verwaltung der Stadt. So ganz zu verwerfen ist diese Meinung nicht. Ihren Ursprung, und damit ihre Berechtigung, hatte sie in der Ge schichte'des Volkes. Kaufleute hatten die Schätz« Indiens und Amerikas dem Volke vermittelt, — Kaufleute waren es, die in mitten einer kleinlichen Handwerkersippe sich auf einer höheren Warte befanden, als die kleinen, an die Scholle gebundener. Leute. Solche Leute mit den großen Gedanken, mit dem weiten Blick, kann keine Stadt entbehren, sie muß in ihrer Verwaltung Männer haben, die sich loslösen können von den Sorgen des Tages für sich und für die Commune, die auf Jahre hinaus denken und sich über di« Anderen erheben. Es lag nahe genug, daß man in England diese Geister unter den Kaufleuten, die den Befähigungsnachweis in so glänzender Weise erbracht hatten, suchte. Zugleich aber hatte ihre einseitige Bevorzugung einen starken plutokratischen Zug, und gegen diesen mußte ein Gegen gewicht geschaffen werden; deshalb mußte das Wahlrecht er weitert, die Aufgabe der Stadt vermehrt und vertieft wetoen. Wie vor der Reform des englischen Parlaments im Jahre 1832 weite Kreise des dritten Standes von jeglichem Einfluß auf den Gang der Staatsgeschäfte ausgeschlossen waren, so waren auch, so führt Sinzheimer aus, vor 1835 und 1855 weite Kreise der Besitzenden der Möglichkeit beraubt, auf den Gang der Stadtverwaltung einzuwirken. In den meisten englischen Städten betrug die Zahl der Personen, die mit dem Bürgerrechte ausgestattet wurde, der freemen, nur einen geringfügigen Bruch- theil der wohlhabenden Einwohner. In zahlreichen Städten war die Zahl der Bürger seit Langem dauernd auf eine konstante, *) Der Londoner Grafschaftsrath. Ein Beitrag zur städti schen Socialreform von Or. Ludwig Sinzheimer. 1. Band. Die Schlußperiode der Herrschaft der Mittelklasse in der Lon doner Stadtverwaltung. Stuttgart, I. G. Cotta'sche Buch handlung Nachfolger. 512 Seiten. engbegrenzte Zahl fixirt. Für 237 Städte wird mitgetheilt, daß sie vor 1835 eine Einwohnerschaft von 2 Millionen hatten, daß aber die Zahl ihrer Bürger sich auf nicht ganz 90 000 be lief. Noch deutlicher springt die geringe Zahl der Bürger bei der Betrachtung einzelner Städte in die Augen. Beispielsweise hatte Portsmouth vor 1835 eine Bevölkerung von fast 50 000 Köpfen, aber nur 102 Bürger. In Ipswich belief sich die Zahl der dort ansässigen Keemen auf nur der Bevölkerung, und die Ge- sammtheit dieser kreemen besaß nur Vl2 des in Ipswich be steuerten Grundeigcnthums. Hier wie auch theilweise anders wo bestand ein Bruchtheil der Bürgerschaft aus Unbemittelten, Helfershelfern der in der Bürgersckaft herrschenden Kreise, von denen sie zum Bürgerrechte zugelassen wurden in der Absicht, durch Bestechung und sonstige unlautere Einflüsse leicht zu lenkende Elemente in die Bürgerschaft hineinzubringen. Keineswegs gingen überall die Gemeinderäthe aus Wahlen hervor, für die die gesammte Bürgerschaft stimmberechtigt ge wesen wäre, und gerade in der Mehrzahl derjenigen Fälle, in denen eine relativ große Zahl von Einwohnern das Bürger recht hatte, war mit dem Bürgerrecht kein Stimmrecht verbunden. Nur in 12 von 237 Städten wurden die Gemeinderäthe von den Bürgern gewählt, in der Mehrzahl der Städte, in 186 Städten, wurden sie durch Cooptation ohne Befragung der Bürger berufen. Aehnlich war es in London. Auch hier waren Bürgerwahlen die Ausnahme. Wo Wahlen in London statt fanden, war das Stimmrecht an den Besitz eines Hauses von mindestens 10—40 Pfund Sterling steuerbarem Jahreswerthe gebunden. Die Regel war aber in der Mehrzahl der Fälle nicht Bürgerwahl, sondern Cooptation. Der geringe Einfluß der Einwohner auf die Gemeinde- vertretungSkörper zeigte sich nicht nur in der Unmöglichkeit, die Zusammensetzung der Stadträthe zu bestimmen, sondern auch in der Unmöglichkeit, Einblick in ihre Geschäftsführung zu ge winnen. Eine Controle ihrer Finanzgebarung war vielfach un möglich. Eine geordnete Rechnungsführung war selten. Noch seltener war die öffentliche Rechnungsablegung. Natürlich ent wickelte sich in dieser Atmosphäre unter den Mitgliedern der Stadträthe üppig die Gewohnheit, städtisches Eigenthum in ihre eigenen Taschen llberzuführen. Andererseits mußten viele Ein wohner Steuern bezahlen, ohne zu wissen, was die Gemeinderäthe damit anfingen. Die einfachsten Verwaltungsausgaben wurden vernachlässigt. Die Aufrechterhaltung der öffentlichen Sicherheit, die Anlage. Pflasterung, Reinigung und Beleuchtung der Straßen, die Canalisation, wurd^m nur lax durchgeführt. Das war nicht nur da der Fall, wo der städtische Rath für diese Der- waltungszweige zuständig war, sondern auch da, wo das Parla ment in der Ansicht, daß die Stadträthe nichts Ersprießliches zu leisten vermöchten, die Fürsorge für die genannten Zwecke nicht den Stadträthen überließ, sondern besonderen hierfür eingesetzten Ausschüssen, den sogenannten Commissioners oder Special Trusts, überwies. In der Vernachlässigung solcher primitiven Verwaltungs ausgaben wurde auch in London Unglaubliches geleistet. Beson ders schlimm stand es hier mit der Canalisation. Um den grauenhaften Canalisationsverhältnissen ein Ende zu machen, wurde im Jahre 1848 die Metropolitan Commission of Sewers begründet, deren Mitglieder zum größten Theile durch die Krone ernannt wurden. Unstreitig führte diese Körperschaft manche kleine Verbesserung durch. Aber sie leistete so wenig Durch greifendes, daß die Londoner Canalisationsverhältnisse geradezu scheußliche blieben. Nicht besser stand es um die Ordnung des StraßenwesenZ. Zahlreiche ungepflasterte, bei Nacht schlecht beleuchtete, kurze und enge Straßen waren vorhanden. An großen und breiten Straßenzügen war großer Mangel. In manchen, von einem großen, stetig zunehmenden Verkehre durchflutheten Theilcn Londons gab es um die Mitte der fünfziger Jahre nicht zahl reichere und nicht geräumigere Communicationswege als am Beginne des 17. Jahrhunderts. Zwischen entfernteren Punkten gab es keine direkte Verbindung. Durch enge und winkelige Gäßchen mußte der Verkehr in langsamem Tempo, häufig für längere Zeit gänzlich stockend, sich hindurchwinden. Jene Lethargie der Gemeinderäthe stand im Einklänge mit den Absichten, deren Frucht die unreformirte Städteordnung war. Sie verdankte ihr Dasein nicht dem Wunsche, leistungsfähige Administrativorganc zu schaffen, sondern dem Streben, Hilfs organe für die Erreichung politischer Ziele zu gewinnen. In zahlreichen Städten war vor 1832 das parlamentarische Stimm recht auf den engen Kreis der Bürger oder der Gemeinderäthe beschränkt. Zuerst war es die Monarchie, die Schritt für Schritt die Theilnahme an der Stadtverwaltung einengte und die privi- legirten Organe mit dem parlamentarischen Wahlrechte aus stattete, um so die Macht der Monarchie im Parlamente zu stärken. Dann war es die Grundaristokratie, die die Restriktion der Theilnahme an der Stadtverwaltung und die Beschränkung des parlamentarischen Wahlrechts auf exclusive kommunale Or gane als Mittel zur Niederhaltung der Macht des dritten Standes im Parlament benützte. Die unreformirte Städteordnung ge hörte bis zum Jahre 1832 zu den stärksten Stützen des Adels im englischen Staatsleben. Nicht aber wirkten die kommunalen Organe als politische Organe nur bei den Parlamentswahlen, auch sonst entfalteten sie eine rührige politische Thätigkeit. Für die Verwaltung der zahlreichen Städten verliehenen Criminal- justiz und Civilgerichtsbarkeit wurde die Begünstigung der politi schen Parteigenossen, die Zurücksetzung der politischen Gegner der maßgebende Gesichtspunkt. Kirchenpolitische Tendenzen wurden für die Zusammensetzung der Stadträthe mitbestimmend. Nur selten konnten Nonkonformisten und Katholiken, auch, wenn st reich waren, einen Platz in einem Gemeindevertretüngskörtzer finden. DaS Bild ist nicht sehr schmeichelhaft für englische Ver hältnisse. Im Jahre 1835 brachte das liberale Ministerium eine Vorlage zur Reform de: Städteverwaltung ein. Voraussetzung des aktiven Wahlrechts war darin eine dreijährige Ansässigkeit als Inhaber eines Wohnhauses und Bezahlung von Communal- steuern während dreier der Wahl vorangegangener Jahre. Ein Census war nicht vorgeschlagen. Böse Menschen behaupten, daß dies mit Absicht nicht geschehen sei, um durch ein Kompromiß die Reform bei den konservativen angenehmer zu machen. Das geschah denn auch. In kleineren Städten sollte das Vermögen des Wählers mindestens 500 Pfund, oder einer jährlichen Schätzung von 15 Pfund zur Avmensteuer, in den größeren Städten das Doppelte betragen. Als im Jahre 1855 der neue Verwaltungskörper der Metropolitan Board of Works in London geschaffen, wurde der Census auf 40 Pfund für die reicheren und auf 25 Pfund für die ärmeren Bezirke festgesetzt. Dis Wahl zu diesem Metropolitan Board war indirekt, insofern seine 46, später 60, Mitglieder durch die Destries oder Districtsboards gewählt wurden. Corona Schröter. Dort, wo jetzt die Lessingstraße und die Promenadenstraße sind, am südlichen Ende des Fleischerplatzes, befand sich vor hundertunddreißig Jahren ein großer Garten, den die Brüder ZachariaS und Christoph Richter im Jahre 1740 angelegt hatten, und der deshalb der Richter'sche Garten hieß. In diesem Gart«n war natürlich eine Gärtnerwohnung, und hier wohnte der Gärtner Probst und wiederum bei diesem Gärtner wohnte die stolzeste Schönheit, die Leipzig gesehen, Corona Schröter. Es ist für die Stellung unserer Stadt zu Ende des vorigen und zu Anfand d«S jetzigen Jahrhunderts bezeichnend, daß wohl jede der damaligen Größen der Literatur und des Theaters in irgend einem persönlichen Verhältniß zu Leipzig gestanden hat, und eS macht daher immer ein besonderes Vergnügen, bei den Gedenktagen vergangener Größen an ihren Aufenthalt in Leipzig anzuknüpfen. Corona Schröter, die von aller Welt angebetete Sängerin des Großen Concertes, wie damals das Gewandhaus hieß, war die Tochter eines Musikers aus Guben, der den Titel emeS Hof- hautboisten deS polnischen Königs führte und der, nachdem er einige Zeit in Warschau gewesen war, 1763 nach Leipzig über- siedelte. In Guben war ihm seine Tochter Corona am 14. Januar 1751 geboren worden. Sie zeigte, wie auch die anderen drei Kinder, musikalische Begabung, die ihr Vater weiterbildete. In Leipzig führte damals Johann Adam Hiller das musikalische Scepter und vermittelte in den „Drei Schwänen" im Brühl den Leipziger Musikfreunden die Werke der Komponisten. Im Vo- calconcert war seine Hauptkraft Gertrude Schmehling, die ge reifte Sängerin mit wunderbarer, geschulter Stimme. Ihr Ruhm war auch nach Berlin gedrungen, und obgleich Friedrich der Große von deutschen Sängerinnen nicht viel hielt, zwang ihm doch die Schmehling die höchste Achtung ab, die freilich wieder verloren ging, als sie sich mit dem Sänger Mara ver- hriratbete und mit diesem heimlich Berlin verließ. Die Schmeh ling ist 1833 in Reval, wo sie Unterricht gab, in dürftigen Verhältnissen gestorben. Neben der Schmehling blühte aber Corona Schröter auf. Mit vierzehn Jahren trat sie zum ersten Male im Großen Concert auf und wurde bald der zweit« Stern am musikalischen Himmel Leipzigs. Vergleiche, die damalige Kritiker zwischen ihr und der Schmehling ziehen, lassen sie gleich bedeutend erscheinen. Wenn die Schmehling mehr Routine hatte, so hatte jedenfalls die jugendliche Corona mehr Seele in ihrem Vortrog. So wuchs denn Corona, von der Begeisterung der Leipziger getragen, heran und wurde nicht nur eine ge feierte Sängerin, sondern auch rin« gefeierte Schönheit. Ihr« Stimm« hat man der Nachwelt nicht aufbewahrrn können, ihr Bild aber ist nicht verloren gegangen, und in der That läßt sie das als ein mit den schönsten Reizen der Natur ausgestattetes We sen erkennen. Kein Wunder, wenn nicht nur ihre Stimme, sondern auch ihre Person entzückte. Unter den vielen begeisterten pla- tonischen Liebhabern und Verehrern war kein Geringerer, als Reichardt, der Componist, von dessen Liedern heute noch so viele gesungen werden. Er brannte für Corona lichterloh. „Ich sah — so schreibt er in seiner Autobiographie — die schöne, herrliche Künstlerin und ward zum ersten Male im Leben von heißer, inniger, tief begeisterter Liebe erfüllt und ganz durch- drungen. Sie ward mir die Sonne, die Tag und Nacht, Freud und Leid mir bestimmte, Alles erhellte oder verdunkelte. Das Jahr, welches ich in Leipzig zubrachte, habe ich eigentlich nur für sie gelebt, so mannigfach ich mich auch nach vielen Seiten hin daneben zu beschäftigen suchte. Jeder Morgen und jeder Nachmittag ward fast ganz mit ihr, in ihrer Gartenwohnung vor der Stadt, an ihrem Flügel bei Hasse'schen Partituren ver- lebt. Sehr eifrig und gern habe ich in den Liebhaberconcerten mitgewirkt, die während des Herbstes in Richter's Garten, den die Schröter bewohnte, abgehalten wurden. Nach einem solchen Concert, das sie sehr erfreut und gerührt zu haben schien, wagte ich es, ihr in einem Laubengange einen Kuß zu geben, der aber durch die spröde, wegwerfende Art, mit der sie diese Frechheit zurückwies, der einzige blieb. Ein leiser Händedruck, ja Finger druck, blieb die höchste Belohnung für mein treues Dienen und die grenzenlose Verehrung und Liebe, die ich ihr zollte." Ja, kalt war Corona, und wenn sich ihr Jemand mehr, als ein Freund nähern wollte, so konnte sie sehr kühl werden. Das mußte auch Einer erfahren, der später größer als Reichardt wurde, und der sonst alle Herzen entflammte: Goethe. Er trat ihr damals, 1767, näher, aber nicht, wie er so Vielen nahe trat. Er bewunderte „ihre schöne Gestalt, ihr vollkommen sittliches Betragen und ihren ernsten, anmuthigen Vortrag". Das war Alles. Auch Körner'S Vater bemühte sich um Corona, auch ihn ließ sie abblitzen, wie ebenfalls den Kriegsrath und Bürgermeister Müller, der ihr mit seiner Hand für die damalige Zeit eine glänzende gesellschaftliche Stellung bot. Sie blieb für sich und hatte allein keine Noth zu leiden, denn sie bekam für das Große Concert 400 Thaler, während allerdings die Schmeh ling die für damals große Summe von 1200 Thalern bezog. Je weniger Corona von Männern wissen wollte, umsomehr schloß sie sich an ihre Freundin, die Tochter ihres HauSwirtheS, Wil helmine Probst, an. Die Beiden wurden völlig unzertrennlich. AlS die Schmehling Leipzig verlassen hatte, war Corona Schröter unbestrittene Herrin in der Musik. Aber nicht diese allein pflegte sie. Sie kümmerte sich um Literatur und zeichnete sehr hübsch. So verstrich ihr Leben auf die harmonischste Weise. Wie es ihr damals in Leipzig ging, da» mag uns Reichardt nochmals berichten: „Gesellschaften besuchte ich sehr wenig; die einzigen, in denen Künstler noch eine ziemlich willig« Aufnahme fanden, waren dir der französischen Colonie. Der steife Ton in denselben behagte mir aber gar nicht. Noch seltener besuchte ich die öffentlichen Vergnügungsörter, die damals auch meist noch schlecht eingerichtet waren und unter denen mir die sogenannten Kuchengärten be sonders verhaßt waren. Dorthin pflegten die Leipziger Bürger reden Standes uno die studirende Jugend gleich nach Tisch zu gehen, um sich in todten, hölzernen Gitterlauben an ganz ge meinem heißen Kuchen Magen und Zähne zu oerderben. Selten sah man in Leipzig gute, gesunde Zähne, bei der Jugend so wenig, wie beim Alter. Ein einsames Dorf, wenn das Geoächi- niß nicht trügt, Schönefeld genannt, war desto öfter das an genehme Ziel d«r Spaziergänge, die ich unter sinnigen Gesprächen mit der schönen Corona uno ihrer treuen Hausfreundin, der Tochter ihres Wirthes, des Kunstgärtners Probst, machte. Dor: wurden in einem einsamen, am fruchtbaren Felde gelegenen Gartenhause sehr feine Bisquits gegessen, welche die zarte Corona ebenso vorzüglich fand, als ihr an Süßigkeiten gewöhnter preußischer Anbeter. Nicht selten gaben sie Veranlassung zu naiven Kinderscenen, die die geborene Künstlerin mit unnach ahmlicher Grazie und Wahrheit durchzuführen wußte." Im Jahre 1776 kam Goethe wieder nach Leipzig. Er kam nicht zufällig. In Weimar benöthigte man eine Sängerin und Goethe hatte Korona der Herzogin Anna Amalie empfohlen. Er brachte den Engagementsvertrag mit und Corona sagte zu. Im November sang sie schon das erste Mal. Weimar wurde nuu ihre zweite Heimath. Während sie in Leipzig die Bühn« nicht betreten hatte, ging sie in Weimar gleich zur Buhne über. Schon im Januar trat sie als Fee Tonna in Goethe's Festspiel „Lila" auf. Hier fand sie sich in ihrem ureigenen Elemente. Ihre geistvolle Auffassung der Charaktere ihrer Rollen machte sie bald zur ersten Schauspielerin. Ihre bedeutendste Leistung war wohl die Jphigenia. Am Osterdienstag 1779 spielte sie sie zum ersten Male, und kein Geringerer war ihr Partner, als Goethe, der der» Orest spielte. Es muß ein Wunderbares gewesen sein, diese beiden geistbegabten und schönen Menschen zu sehen und zu hören, und man kann es Goethe nicht versenken, wenn er wieder in Flammen für sie aufging. Schon von Leipzig bei feinem zweiten Besuche hatte er seiner Freundin, der Frau Charlotte von Stein, geschrieben: „Die Schröter ist ein Engel — wenn mir doch Gott so rln Weib geben wollte, daß ich Euch könnte in Frieden lassen", sowie gleich darauf noch: „Ich war bei der Schröter; ein edel Geschöpf in seiner Art! Ach, wenn die nur ein halb Jahr um Sie wäre, beste Frau, was sollte aus der werden! .. ." Charlotte mag gewiß eifersüchtig geworden sein, einen Grüns hatte sie nicht dazu. Corona ging keinen Schritt zu writ und ließ Goethe keinen zu weit wagen. Wohl mag e» in ihm, dem dreißig jährigen Manne, geschäumt und gebraust haben, indessen die Wogen der Leidenschaft- glätteten sich wieder und gingen zurück, bi» da» Gefühl nur noch ein rein freundschaftliche» geworden war. Ein noch Höherer, wenn auch nicht Größerer, mußte sich eine Abweisung holen. Der Herzog selbst war völlig verliebt in sie, aber auch ihn ließ sie gründlich abfallen. Er war zwar darüber ärgerlich, doch befestigte diese Konsequenz in d:r Abschllttelung sämmtlicher Liebhaber ohne Zweifel ihre auS gezeichnete gesellschaftliche Stellung. Ihre Kunst ging ihr über Alles, sie Pflegte den natürlichen Stil, alles Komödiantenhafte war ihr zuwider. Selbst Schiller, der ihr nicht zu sehr zugelhan war, erkannte dies an. Aber auch Corona's Stern verblich. Die Bühne will Jugend haben und Corona wurde allmählich älter. Ihre Schülerin Christiane Neumann that sich hervor, später kam die Jagemann und eroberte sich, weniger jungfräulich als Korona, den Herzog. Das Alles mußte sie nach und nach verbittern. Sollte sie auch, so hoch sie sonst stand, als Schauspielerin keinen Neid besessen haben"! Das ist nicht zu glauben. Im Jahre 1801 befiel sie eine Brust krankheit und am 23. August 1802 erlag sie dieser Krankheit im lieblichen Ilmenau. Ihre unzertrennliche Freundin Wilhelmine drückte ihr die Augen zu. Mit ihr war eine Persönlichkeit dahingegangen, die in den Rahmen des Musenhofes gehört, ohne die Weimar zu jener Z:: schwer denkbar ist. Wenn auch ihre eigentliche Wirksamkeit a»s ausübende Künstlerin in Weimar verhältnißmäßig kurz war, fo hat sie doch für Diele vorbildlich gewirkt. Fascinirend mu-, ihre Schönheit gewesen sein. „Von hohem, junonischem Muckste und edlem Ebenmaß, mit einem fast südländischen, etwas dun- kein, aber außerordentlich frischen Teint, seelenvollen leuchtend.": braunen Augen, mit eigenthümlichem Adel der Haltung, m:: Grazie in jeder Bewegung", so schildert sic Goethe. Neben ihrer Schönheit war sie nicht nur im Verhältniß zur damaligen Zeit hochgebildet. „Sie war", sagt Keil, „eine groß angelegte Natur, eine geistvolle, hochgebildete, tief empfindend: Künstlerin, welche sich durch überaus fleißiges Selbststudium zu harmonischer Vollendung erhoben hatte. Sie besaß gediegen: musikalische Kenntnisse, sie sang mit bezaubernder Anmuth, sir zeichnete sich auch im reritirenden Schauspiel durch seelenoolles Spiel aus . .., spielte Piano und Guitarre meisterhaft und com- ponirte sogar. Sie zeichnete und malte in Pastell und Oel vor trefflich. Sie sprach außer ihrer deutschen Muttersprache die französische, englisch« und polnische Sprache." Und Goethe: „Ihr Freunde Platz! Weicht einen kleinen Schritt! Seht, wer da kommt und festlich näher tritt! Sie ist es selbst; die Gute fehlt un» nie: Wir sind erhört, die Musen senden sie! Ihr kennt sie wohl, sie ist'», dre stets gefällt; Als eine Blume zeigt si« sich der Welt; Zum Muster wuchs da» schöne Bild empor, Vollendet nun, sie ist'» und stellt e» vor. E» gönnten ihr die Musen jede Gunst Und die Natur erschuf in ihr die Kunst. So häuft sie willig jeden Reiz auf sich, Und selbst Dein Name ziert, Lorona, Dich!"
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