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02-Abendausgabe Leipziger Tageblatt und Anzeiger : 21.01.1901
- Titel
- 02-Abendausgabe
- Erscheinungsdatum
- 1901-01-21
- Sprache
- Deutsch
- Digitalisat
- SLUB Dresden
- Lizenz-/Rechtehinweis
- Public Domain Mark 1.0
- URN
- urn:nbn:de:bsz:14-db-id453042023-19010121027
- PURL
- http://digital.slub-dresden.de/id453042023-1901012102
- OAI-Identifier
- oai:de:slub-dresden:db:id-453042023-1901012102
- Sammlungen
- LDP: Zeitungen
- Strukturtyp
- Ausgabe
- Parlamentsperiode
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- Wahlperiode
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Inhaltsverzeichnis
- ZeitungLeipziger Tageblatt und Anzeiger
- Jahr1901
- Monat1901-01
- Tag1901-01-21
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Anzeigen-Preis die 6gespaltene Petitzeile 25 H. Reklamen unter dem Rrdactioiisstrich («gespalten) 75 H, vor den Familiennach» richten (ü gespalten) 50 H. Tabellarischer und Ziffernsatz entsprechend höher. — Gebühren für Nachweisung«, und Osfertenannahme 35 H (excl. Porto). Extra-Beilagen (gefalzt), nur mit der Morgen-Ausgabe, ohne Postbesürderung Ü0.—, niit Postbesörderung 70 -. Ännahmeschluß für Jinzeigeu: Ab end-Ausgabe: Vormittags 10 Uhr. Morgen-Ausgabe: Nachmittags 4 Uhr. Bei den Filialen und Annahmestellen je ein« halbe Stunde früher. Anzeigen sind stets an die Expedition zu richten. Die Expedition ist Wochentag« ununterbrochen geöffnet oon früh 8 bis Abend« 7 Uhr. Druck und Verlag von E. Polz in Leipzig. Montag den 21. Januar 1901. 95. Jahrgang. Die Wirren in China. In einem in der „Nordd. Allg. Zta." veröffentlichten Artikel über die seit EndeDecember v. I. bestehende Vertheilu«, der Landstreitkräfte, so weit sie dem Oberbefehl des Felvmarschalls Grafen Walder- see unterstehen, wird angeführt, daß die deutschen Truppen im Allgemeinen die Standorte beibehalten haben, in welchem sie sich Ende November befanden. Nur in wenigen Punkten sind Aenderungen eingetrrten. So ist da« erste Bataillon des 2- Infanterie-Regiment« zur Vereinigung mit den übrigen Theilen der 1. Jrrfanteriebrigade von Schanhaikwan nach Peking herangezogen worden. An seine Stelle sind in Schanhaikwan di« 9. Compagnien de« 3., 4. und 6. Infanterie-Regiment« ge treten, welche vordem in Tangku gestanden hatten. Die 3. Es kadron de« Reiter-Regiments, welche zuletzt mit dem Stabe und der 4. EScadron zusammen in Tientsin garnisonirte, ist seit dem zum Etappendienst herangezogen worden. Bei der Artillerie endlich ist die zur 2. Abtheilung gehörige 8. (Gcbirgs-)Batterie jetzt im Verbände der dritten Abtheilung in Tientsin, und die 2. Batterie der schweren Artillerie, welche zunächst in Tsingtau ausgeschifft worden war, ist in Taku mit der schon dort befind lichen 1. Batterie vereiuigt worden. Die Gesammtstärke der dem Oberbefehl des Feldmarschalls unterstellten deutschen Truppen (ausgenommen die ursprüngliche Garnison von Tsingtau) beträgt — an fechtenden Truppen — rund 17 750 Mann: davon sind in der Provinz Tschili rund 17150 Mann. Di« Gesammtstärken der Truppen der übrigen Nationen betragen: Franzosen 14050 Mann, Engländer 12 850 Mann, Russen 9000, Japaner 6000, Italiener 2350, Amerikaner 1600, Oesterreicher 25V. Im Einzelnen sind die Stärkeverhältnisse in den von ver schiedenen Nationen belegten Orten folgende: ES befinden sich in Peking: 6700 Deutsche, 3900 Engländer, 3500 Franzosen, 3200 Japaner, 2050 Italiener, 1400 Amerikaner, 600 Russen, 250 Oesterreicher, zusammen 21 MO Mann. — InTientsin: 5100 Engländer, 4150 Deutsche, 3550 Franzosen, 2600 Russen (einschließlich der bisher zum Schutze der Bahnlinie Mngtsun- Tangku verwandten Truppen), 1900 Japaner, 200 Italiener, 200 Amerikaner, zusammen 17 700 Mann; in Schanhaikwan: 4700 Rusten (einschließlich der bisher zum Schutze der Bahnlinie Schanhaikwan-Langku verwandten Truppen), 3000 Engländer, 1000 Franzosen, 900 Japaner, 600 Deutsche, 100 Italiener, zusammen 10300 Mann; in Paotingfu: 4000 Deutsche, 3500 Franzosen, zusammen 7500 Mann. Soweit die hier genannten nichideutschen Truppen die vorher angeführten Gesammtstärken nicht erreichen, weiden sie an den Etappenlinirn und zum Bahnbau und Bahnschutz verwandt. Die Russen beabsichtigen eine weitere Verminderung ihres Contingents, so daß in der Provinz Tschili nur noch 1000 Mann bleiben würden, doch ist über die Ausführung dieser Absicht bis her noch nichts bekannt geworden. Ueber den in letzter Zeit wieder mehrfach erwähnten Tschaugtschitung lasten sich die „Daily New»" folgendermaßen auS: Die chinesische Krisis hat den Namen Tschangtschitung's, des bedeutenden chinesischen Bikekönigs, wieder in den Vordergrund deS Interesses gerückt. Tschang ist VicekLnig der beiden Aangtsc- provinzen Hupeh und Hunan. Es ist seinen Intentionen haupt sächlich zuzuschreiben, daß der Frieden während der Krisis wenigstens in der Mitte deS Reiches gewahrt blieb. Neben I seinem unbestreitbaren Herrschertalent ist Tschang aber auch einer I der bestgebildeten Beamten Chinas. Kurz nach der unglücklichen I DemUthigung des Reiches durch Japan ging Tschangtschitung mit Eifer daran, di« Gründe der Niederlage Chinas zu ftudiren und sie übersichtlich zusammenzufassen und zu veröffentlichen. So entstand ein Büchlein, welches des jungen Kaisers wärmsten Beifall fand. Es wird behauptet, daß es in mehr als einer Million Exemplare in China verbreitet wurde. Der Vicekönig ist ein aufrichtiger Bewunderer Japans, und aus jeder Zeile geht hervor, daß er seinem Volke die Nachahmung der dort an gewandten Methoden empfiehlt. Während die Japaner sich der Wissenschaft und Kunst der westlichen Mächte anzupassen ver suchen, ohne jsdoch ihre eigene Individualität aufzugeben, be harrt China auf seinen alten Principien und verwirft alle mo dernen Neuerungen. Ein Jahr auf der Reise, bemerkt Tschang philosophisch, sei mehr Werth als ein Studium von fünf Jahren daheim. Die Japaner senden ihre jungen Männer nach Deutsch, land, England und Frankreich zum Zwecke ihrer Ausbildung, und man habe ihnen den Ausdruck „Heroen des Orientes" ber- gelegt. Der Vicekönig geht -dann weiter darauf ein, daß cs nutzlos sein würde, die jungen Chinesen nach dem Westen zu senden. „Japan liegt uns näher als Europa, und wir können mehr junge Leute dorthin senden, und dazu noch für w->k billigeres Geld." Was die Sprache, die Sitten und Trachten der beiden Völker anbetreffe, so seien sie ja nahe verwandt, und die wichtigen Bücher westlicher Schriftsteller und geistiger Größen seien ja in der Hauptsache ins Japanische übersetzt. „Laßt uns endlich Schulen nach europäischem Muster er führen. Woher das Geld nehmen? Nun, haben wir nicht Myriaden von Buddhisten- und Taoistenschulen? Laßt uns dies« als Schulhäuser benutzen, und, was das Geld anbetrifft, haben diese nicht genügende Einnahmen? Was ist der eigentliche Zweck dieser Affenzüchtereien? Die Religion, die sie lehren, pfeift auf dem letzten Loche. Warum bekehren wir uns nicht zum Christenthum? Warum sollte es uns verletzen? Es ist eine Schmach und Scham, daß einige Hundert Chinesen ein oder zwei vertheidigungslose Christen -bezw. Ausländer überfallen, und zwar ohne daß irgend «in Grund dafür vorliegt. Es ist noch dazu feige, und gerade diese Feiglinge, wenn sie im offenen Kampfe dem Feinde das Antlitz zeigen sollen, drehen sie ihren Zopf nach der anderen Seite und fliehen so schnell, als ihre Füße sie nur zu tragen vermögen. Welchen Fortschritt hat Cküna in den letzten fünfzig Jabern gewacht? Ist es o!chr 'm d-m Sch- z'- oon Dummheit verblieben?" Sehr emphatisch spricht sich der Reformer über die Eisenbahnen aus. Nur eine Macht wird uns die Thür öffnen zur Schule und dem Landmann, Arbeiter. Kaufmann und Soldaten großen Segen bringen. Diese Macht ist die Eisenbahn. Der Wunsch des Vicekönigs ist, daß der junge Kaiser Kwang-sü nach der Hauptstadt zurückkehren möge uns der Kaiserin-Wittwe alle Einmischungen in die Regierung ver boten würden. Der Krieg in Südafrika. Kein Friede. Aus Standerton, 20. Januar, meldet „Reuter's Bureau": Der Vertreter der Friedens-Com ¬ mission der Boeren, der am 18. Januar von hier nach Delangesdrift abgegangen war, um mit den Boeren des Oranje-Freistaats zusammenzutreffen, ist zuriickgekehrt. Er meldet, die Boeren sagten, sie hätten reich-1 liche Nahrungsmittel und Munition; für ihre Frauen und Kin- I der trügen die Briten Sorg«, sie, die Boeren, hätten daher nicht I die Absicht, den Frieden unter den von den Briten ge stellten Bedingungen anzunehmen. Präsident Steijn halte sich, wie er fest glaube, im Boerenlager auf. In der „Westminster Gazette" finden wir eine Zuschrift deS bekannten T«mperenzler-Führers Sir Wilfrid Lawson, welche sich mit dem südafrikanischen Problem beschäftigt. Es heißt darin: Es sind nahezu fünf Jahre, daß uns Mr. Chamberlain tm Unterhaus« erzählte, ein Krieg in Südafrika würde einer der ernsthaftesten Kriege sein, die nur überhaupt möglich wären, und ein langwieriger, bitterer und kostspieliger Krieg. In diesem Kriege stehen wir nun seit fünfzehn Monaten. Ob die Boeren bald oder später unterdrückt sein werden, kann Niemand mit Zu versicht Voraussagen; wohl aber könnte man sagen, daß nach ihrer Unterwerfung die Plackerei erst recht beginnen wird. Chamberlain hatte wohl in seiner Rede Recht, wenn er sagte, daß ein Krieg in Südafrika „die glühenden Funken eines Hasses hinter sich lassen würde, die kaum Generationen würden auslöschen können". Es ist wahrhaftig keine Uebertreibung, dies eine fürchterliche Aussicht zu nennen. In einem Artikel sagten Sie gestern: „Es ist ein liebel, immer weiter Mittel für die Lasten eines solchen Krieges bewilligen zu müssen. Es wäre ein größeres Uebel, uns als erfolglos bekennen zu müssen." Hier liegt die ganze Schwierig keit. Ich glaube, es giebt Tausende, ja Zehntausende, die in ihrem Herzen ebenso sehr als ich diesen Krieg verabscheuen, der geführt wird, um die Unabhängigkeit einer Nation zu vernichten, die darauf ebenso viel Anspruch hat, wie wir auf unsere eigene Unabhängigkeit. Aber sie bringen es nicht über sich, einzu gestehen, daß sic erfolglos gewesen sein sollen. Gebt den Boeren Unabhängigkeit — worunter ich Selbstregierung verstehe —, und es gäbe wohl keine Schwierigkeiten, auch in anderen wichtigen Puncten zu einer Verständigung zu gelangen. Die Unabhängig keit der beiden Republiken ist die einzige Möglichkeit eines an nehmbaren und chrenhaften Ausweges aus unseren gegen wärtigen Schwierigkeiten. Politische Tagesschau. * Leitzrt«, 21. Januar. Ein freisinniges Blatt, welches das Ausbleiben einer Amucstie anläßlich des Krönungsjubiläums bemängelt, sucht den Glauben zu erwecken, als ob man durch den Verzicht aus einen Amnestie-Erlaß Bismarck'sche Grundsätze befolgt hätte. Dieses Verfahren erscheint um jo seltsamer, als gleich zeitig erwähnt wird, daß Fürst Bismarck zur Zeit Wilhelm'» I. bei ähnlichen Gelegenheiten den Erlaß einer Amnestie weoer habe verhindern wollen noch können. Wenn trotz des letzteren Ein geständnisses das freisinnige Blatt Bismarck eine grundsätzliche Gegnerschaft gegen die Ertheilung von Amnestie zuschreibt, so muß ein Gedächtnißfehler die Ursache dafür sein. Unseres Wissens hat sich Bismarck nur einmal zu der Angelegenheit ge äußert, und zwar am 22. März 1849 in der Zweiten preußischen Kammer. Damals wurde bei der Fortsetzung der Adreßdebatle in mehreren Amendements beantragt, den König um Erlaß einer Amnestie für alle seit dem 18. März 1848 begangenen poli tischen Verbrechen und Vergehen zu ersuchen. Hiergegen allerdings hat sich Bismarck ausgesprochen. Nachdem er vor ausgeschickt, daß er „nicht aus Unversöhnlichkeit gegen politische Gegner" wider den Antrag stimm«, sagte er unter Anderem: I „Die Amnestie ... ist ein RechtderKrone, dessen Wesen »gerade in freier und freiwilliger Ausübung be »steht.... Forderte die Majorität dieser Ver sammlung in diesem Augenblicke die Amnestie von der Krone, so würde es wenig mehr als die Erfüllung einer vorläufigen Bedingung sein, wenn die Krone darauf einginge ... Der zweite Grund, ivelcher mich bestimmt, mich gegen die Am nestie auszusprechen, ist der, daß durch die wiederholten Amnestien das Rechtsbewußtsein im Volke auf das Tiefste er schüttert wird." — Hieraus ergiebt sich, daß das Unterbleiben einer Amnestie bei einem Anlaß, wie das Krönungsjubiläum, durch Bismarck'sche Grundsätze schlechterdings nicht gerechtfertigt werden kann. Bismarck hat sich nur gegen wiederholte Am uestien und dagegen ausgesprochen, daß der Erlaß einer Amnestie von der Volksvertretung beantragt wird. Außerdem muß bei der Prüfung des Bismarck'schen Standpunktes einerseits der Zeitpunkt, andererseits der Umfang der damals beantragten Amnestie berücksichtigt werden. So kurze Zeit nach der März- revolution eine Amnestie für alle politischen Verbrechen und Vergehen fordern, das hieß allerdings das Rechtsbewußtsein des Volkes äußerst gefährden. Von allen Gesichtspunkten, die den damaligen Standpunkt Bismarck's rechtfertigten, kommt gegen wärtig kein einziger in Frage. Versuchte trotzdem das freisinnige Blatt die Verstimmung über das Ausbleiben einer Amnestie auf Bismarck abzulenken, so geschah es wohl mit in der Hoffnung, daß durch diesen rnoclus prooeckencki seine Kritik an gewissen Stellen weniger ungern würde gesehen 'werden. Die Canalvorlage ist am Sonnabend mit dem größten Theil der dazu gehörigen Denkschriften zur Ausgabe gelangt. Sie enthält neben dem bereits veröffentlichten Gesetzentwurf eine allgemeine Begründung, die sich auf die technischen, wirtbschaftlichen, finanziellen und strategischen Gesichtspunkte und die in Aussicht genommene Zeit der Bauausführung erstreckt und der zwei Pläne, eine UebersichtSkarte der preußischen Wasserstraßen und eine graphische Darstellung deS Verkehrs auf den deutschen Wasserstraßen beigefügt sind. Ferner sind ihr wiederum die Staatsverträge zwischen Preußen, Braunschweig und Bremen über die Canalisirung der Weser von Minden bis Bremen und zwischen Preußen und Lippe über die Canalisirung der Weser von Hameln bis Minden b-igegeben. Die Karten und Pläne zur Wesercanalisirnng werden der Commission deS Abgeordnetenhauses vorgelegt werden. Die Denkschriften betreffen den Rbein-Elbe-Canal, de» Großschifffahrtsweg Berlin-Stettin, den Ausbau der Wasser straße zwischen Oder und Weichsel, die Warthe-Correction, die Verbesserung der Vorfluth der unteren Oder und der unteren Havel und den Ausbau der Spree. Auch sie sind über wiegend mit UebersichtSkarte» auSgestattet. Von agrarischer Seite wird inzwischen immer nachdrücklicher betont, daß die Canalvorlage jedenfalls erst nach der Erledigung der handels politischen Fragen im Reichstage zur Verabschiedung kommen dürfe. „Daran," so schreibt die „Deutsche Tagesztg.", „daß die Canalvorlage vor dem Zolltarif zur parlamentarischen Erledigung kommen könne, glauben wir nicht"; und um ihre Position zu stärken, fügt sie drohend binzu: „Wer das Ziel der Durchpeitschung verfolgt, der gefährdet vaS Schicksal der Vorlage." Von einer Verquickung der Canal vorlage mit dem Zolltarif will daS Blatt nichts wissen; sie wäre „unnötbig und ungerechtfertigt — unnötbig, weil die f-ierlich versprochene Gctreidezollerhöhung unter allen Um ständen kommen muß." — Die Hinausschiebung der Canalberathungen ist bereit« im Gange; im Abgeord- Feuillrtoir. ' Das neue Sahnproject. Roman von Paul OSkar Höcker. N-iLdruck vtrsotrn. „Wie ich höre, bist Du selbst erst seit kurzer Frist wieder im Lande. Vielleicht hat Dich meine Verlobung mit Anna Schwändi, von der ein Zufall Dir gewiß Kunde zutrug, ebenso schmerzlich enttäuscht, wie mich damals Deine Flucht, der ich so ganz, ganz andere Motive unterschob. Dessen aber sei versichert: nur eine Art Trotz konnte mich dazu veranlassen, mein Schicksal an das der Tochter Schwändi'S zu knüpfen. — Ich grollte Dir damals auS tiefster Seele! „Wie unglücklich ist dieser Brautstand nun geworden! Vor aller Welt ist das häßliche Schauspiel eines Streites geliefert worden, in dem ich meine Wahlverwandten auf der Seite des großsprecherischen Götz Orell erblicken mußte. „Einen Streit vermag ich es eigentlich nicht einmal zu nennen, was mich vom Vertrauen Schwändi'S schied. ES be stand kein Ringen zwischen uns; denn ich erkannte sofort den hohlen Streber, den eitlen Blender in ihm — noch bevor ich aus Dem Munde Deines Vertrauten vernahm, daß er lediglich einem Diebstahl sein Wissen, daS verhängnißvolle Material, mit dem er der breiten Menge zu imponiren wußte, verdankte. „Nun, immerhin: er galt als der „Mann der That" — unv sein Wort ward darum auch im Hause meines Schwiegervaters höher eingeschätzt, als daS deS stillen Gelehrten. „Heute kann ich Dir eS gestehen, daß mein wissenschaftlicher Ehrgeiz e» weniger war, der sich durch die Zurücksetzung ge kränkt fühlte. Liefen Kummer, ja, Abscheu und Entsetzen ver. ursachte mir vielmehr die abenteuerliche Zumuthung meines Schwiegervater», seine Spekulation zu unterstützen — lediglich seine» materiellen Dortheil» halber — auf Kosten meiner Red lichkeit, meiner Ueberzeugung, meiner Ehre! „Ich bin an jenem Abende lange, lange rast- und ruhelos umhergewandert, ohne zu einem festen Entschlüsse zu gelangen. „Spiit in der Nacht erst suchte ich meine Wohnung auf. Alle», wa» ich an Ersparnissen besaß, lag offen in meinem Schreibtische. Ich steckte e» zu mir — in der plötzlichen aben teuerlichen Vorstellung, ich müßte eS Schwändi bringen, gewisser maßen al» Entschädigung e» ihm darbieten, um ihm zu zeigen, daß ich lieber bettelarm sein, al» wie auf so fast verbrecherischen Wegen zu unermeßlichem Reichthume gelangen wollte. „Auf der Straße dann erst fiel mir das Lächerliche meines Vorhabens ein. Wie hochmüthig er mich wohl abgefertigt hätte, wenn ich mit meinen armseligen, wenn auch sauer verdienten paar Tausend Franken ihn einen Ersatz für seinen Millionen ausfall hätte bieten wollen! „Was sollte ich thun in meiner Noth? „Sollte ich den Mann, der mir bis vor Kurzem nur Gutes erwiesen hatte, der mir sogar das Kostbarste, was er besaß, sein Kind, schenken wollte — sollte ich ihn kurz entschlossen zum Bettler machen? Ich brauchte ja nur hervorzutreten mit dem, was ich durch Deinen Boten erfahren hatte, brauchte blos dem berühmten „Manne der That" öffentlich die Anklage ins Gesicht zu schleudern, daß er ein Dieb sei, und sofort würde der Commistar des Bundes in eine genaue Untersuchung einzutreten gezwungen worden sein. „Oder sollte ich schweigen? . . . Mehr verlangte Schwändi ja nicht von mir. Nur so lange sollte ich schweigen, bis die Ver handlungen mit dem Bund zum Abschluß gelangt, bis der Ver kauf vollzogen, das Millionengeschäft abgeschlossen war. Ich sei ja durch eigenen Augenschein noch nicht von der Richtigkeit meiner Analysen und Theorien überzeugt worden; Gelehrtendünkel allein solle mich aber doch nicht dazu verleiten, meinen ehemaligen Gönner, Anna und ihr ganzes Haus unglücklich zu machen! „Ich kann die Kette der Bilder und Vorstellungen, die ver- schiedentlichen Gedankenbrücken, die mich aus dem Wirrwar be trogener Empfindungen heraus zu einem festen Entschluß leiteten, Dir nicht mehr schildern. Düster, gramvoll, peinvoll ist die Er innerung an jene furchtbaren Stunden. „Nachdem ich mir daS „Schiffli" am Ouai gemiethct hatte, trieb ich in der unklaren Vörstellung auf den See hinaus, irgend «ine mitleidige Welle werde sich meiner erbarmen, werde das kleine Boot zum Kentern bringen, und mich so mit einem Schlage aus den unerträglichen Wirrsal hinüberretten inS selige Gefilde des Todes, in dem die Erinnerung an die jämmerliche Fehde Orell'S, an meine Pflichten als Ehrenmann Anna gegen über, und an die Geldgier Schwändi'S mich nicht mehr erreichen und peinigen konnte. „Aber da war es der Gedanke an Dich, Elisabeth, der mich hinderte, den Wellen ihr Mitleid zu erleichtern. Du würdest von meinem kläglichen Abschied auS der Welt erfahren, sagte ich mir, und würdest eine Anklage gegen mich im Herzen mit Dir Herum tragen: denn Orell hatte an Dir wie ein Schurke gehandelt — und er verdiente Strafe dafür. Strafe durch mich. Nicht als Rächer aus eigener Initiative durfte ich mich fühlen — ich war vielmehr da» Werkzeug Gotte», um ibn zu vernichten. „Ja, so schrie'» mit einem Male in mir, ich mußte weiter leben, um an Götz Orell die irdische Gerechtigkeit zu voll ziehen. „Aber nicht mit gelehrten Deduktionen, mit abstrakter Weis heit durfte ich ihn widerlegen. Da alle Welt nach Thaten schrie, nur Thaten bewunderte, die Körperkraft und Muth bekundeten, so wollte auch ich der „Mann der That" sein, der kühn nach dem Licht der Sterne greift, um Aufklärung über die Welt zu bringen. „Durch starre, eisige Winterwildniß gelangte ich auf meiner Fahrt — nur schlecht ausgerüstet mit dem nothwendigsten Gepäck, das unterwegs erstanden war — nach Windgäll. „Mein Plan war der, unverzüglich mit meinen Arbeiten zu beginnen, um an der Hand meiner Aufzeichnungen, die die Un möglichkeiten des Orell'schen Planes darthaten, Punkt für Punct meine Behauptungen zu beweisen. „Man glaubte mir nicht, daß Vergletscherungen die Durch führung der Trace mittels eines großen Kehrtunnels im Brand- eisgletschcrgebiet verhinderten? Man warf mir vor, daß ich selbst ja auch noch nie zuvor in den Felsen hineingesehen hätte? . . . Nun Wohl, so sollte ein Arbeiterbataillon unter meiner Führung das Abenteuerliche fertig bringen: Schachte zu graben, die auf die Stellen der Orell'schen Trace stießen, das Erdinnere bloßzulegen, so daß die Gelehrtenwcisheit, in Thaten umgesetzt, nicht mehr ungehört im Winde zu verhallen brauchte! . . Kommet her und seht — so wollte ich — durch Anna Schwändi'S Mund — der Welt zurufen! „Dir allein aber, Elisabeth, will ich gestehen, wie qualvoll ich unter dieser Bethätigung meines Ehrgeizes gelitten habe. Ich war an Strapazen nicht gewöhnt, nie hatte ich Wintertouren im Hochgebirge ausgeführt, die Stubenluft hatte mich verweichlicht, die Aufregung der letzten Wochen, meine wissenschaftliche Arbeit, der Gram über Anna's Haltung — zugleich die nieder schmetternde Mittheilung über Deine Wiederkehr, die mich unter anderen Umständen so unsagbar glückselig gemacht hätte — das Alles trug die Schuld an einer völligen Zerrüttung meines Ner vensystems. „Und nun denke Dir, mit welchem Mißtrauen die guten Leute in Windgäll, von wo auS ich das Werk in Angriff nehmen mußte, mich blassen, matten Stadtherrn betrachteten, der da so kühne Pläne äußerte, der in die höchsten Eisregionen geführt zu werden verlangte, während er doch zugeben mußte, nie zuvor — auch im Hochsommer nicht, also zu viel günstigerer Jahreszeit — solch' halsbrecherische Touren auSgeführt zu haben. „Geld brachte endlich die zweifelnden Armen dahin, wo ich sie haben wollte. Und nun begann eine schwere — und ddch glückliche Zeit. Ich richtet« mich zunächst in der Jägerherberge ein; der Zeit- und Kräfteverlust der Arbeiter, den der tägliche Aufstieg bedingte, bewog mich dann aber, die obere Hütte zu bauen. Täglich wagte ich mich nun in immer höhere Regionen. Wurmspach Vater und Sohn, die meine Führer blieben, haben mich nie feig zaudern gesehen — und doch will ich Dir gestehen, Elisabeth, daß es für mich übermenschlicher Ueberwindung be durfte, um das Grauen vor diesen Gletscherschriesen loszu werden. „Der Gedanke an meine Pflicht, der Gedanke daran, daß ich die Arbeiter in der grimmen Kälte, in solcher Hast, bei so schlechter Versorgung und Körperpflege, lediglich durch das moralische Uebergewicht bei der Durchführung ihrer Aufgabe halten konnte — der machte aus dem zaudernden Gesellen Schritt für Schritt den „Mann der That", der nun endlich, endlich das kühne Werk vollendet sieht. „Die letzte Etappe war in der verflossenen Woche die Grabung des tiefen Schachtes auf dem Brandeisgletscher selbst. Spren gungen waren da vorzunchmen, die gewissenhaft vorbereitet sein mußten. Es war eine Expedition, die die letzte Grenze meines Könnens erreichte. „Mit meinen beiden Führern trat ich den ernsten Aufstieg am letzten Sonntag in aller Frühe an. Haar scharf war der Weg uns vorgezeichnet. Die Schneekuppe ist von ver höchsten Spitze des Brandcisglctschers ourch einen schwindelnden Eisgrat getrennt. Dieser Grat nahm seinen An fang auf der Spitze der Erhebung oberhalb der Hütte. Als wir bahin gelangten, klang das Glockengeläute vom Thale em por. Wir grüßten zurück nach dem kleinen Kirchthurm oon Wängli. Damals ahnte ich noch nicht, daß Dn, Elisabeth, mir so nahe weiltest. Ich erfuhr es erst gestern — Durch Zufall — aus dem Munde eines WindgällerS. Und selbst jetzt ist es nur Bermuthung. Mit innerlichem Zittern betrat ich den Grat. Er senkte sich zuerst steil abwärts bis zu einem Punkte, wo dir Richtung sich scharf umsetzt und wiederum ansteigt. Hier war der Anfang der steilen Kante, die zu der Eispyramide der höchsten 'Spitze führte. „Daß dieser Aufstieg die letzte, die schwerste Prüfung meine» Muthes sein würde, daran ließen gleich die ersten Schritte keinen Zweifel. „Wir hielten uns an dem oberen Saume des mächtigen Hanges, der zu dem Firnboden des südlich von den Schreck hörnern gelegenen StrubleggletscherS abfällt. Fast senkrecht stürzte dieser Hang in unermeßliche Tiefen ab. Wir hatten zwar guten, festen Schnee unter den Füßen, bei der beängstigenden Steilheit konnte der Fehltritt «ine» Einzigen aber — denn wir
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