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02-Abendausgabe Leipziger Tageblatt und Anzeiger : 09.02.1901
- Titel
- 02-Abendausgabe
- Erscheinungsdatum
- 1901-02-09
- Sprache
- Deutsch
- Digitalisat
- SLUB Dresden
- Lizenz-/Rechtehinweis
- Public Domain Mark 1.0
- URN
- urn:nbn:de:bsz:14-db-id453042023-19010209021
- PURL
- http://digital.slub-dresden.de/id453042023-1901020902
- OAI-Identifier
- oai:de:slub-dresden:db:id-453042023-1901020902
- Sammlungen
- LDP: Zeitungen
- Strukturtyp
- Ausgabe
- Parlamentsperiode
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- Wahlperiode
- -
Inhaltsverzeichnis
- ZeitungLeipziger Tageblatt und Anzeiger
- Jahr1901
- Monat1901-02
- Tag1901-02-09
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Sonnabend den 9. Februar 1901. Anzeige« «Prei- die 6 gespaltene Petitzeile 25 Ls. Reklamen unter dem RedactionSstrich (»gespalten) 75 vor den Familienuoct» richten (6 gespalten) 50 H. Tabellarischer und Ziffernsatz entsprechend höher. — Gebühren für Nachweisungen und Offertenannahme 25 H (excl. Porto). Ertra - Beilagen (gesalzt), nur mit'der Morgen-Ausgabe, ohne Postbesörderuug 60.—, mit Postbesürderung ./L 70.—. Iiunahmeschlllk für Anzeigen: Alb end-Ausgabe: Vormittags 10 Uhr. Morgen-Ausgabe' Nachmittags 4 Uhr. Bei den Filialen und Annahmestellen je ein halbe Stunde früher. Anzeige« sind stets an die Expedition zu richten. Die Expedition ist Wochentags ununterbrochen geöffnet oon früh 8 biS Abends 7 Uhr. Druck und Verlag von S. Polz in Leipzltz. 95. Jahrgang. Die Wirren in China. Sprengung zweier Tempel in Paotingfu. Da die deutsche Pioniercompagnie am 27. October noch nicht angekommen war, wurden beide Sprengungen durch die dritte Queens Own Madras Sapperö and MinerS auSgefübrt. Des Morgens um 8 Ubr sollte die Sprengung stattfinden. Die erste dumpfe Detonation wurde hörbar und kurz darauf stieg eine dichte Rauchwolke über der Mauer auf. So schnell wie möglich ging cS durch daS Osllbor hindurch und die langgestreckte Esplanade zur Stadtmauer hinauf, die 20 Meter hoch ist. Bon hier hofften wir, so berichtet ein Theilnebmer, einen guten Einblick auf den gesprengten Tempel zu haben. Wir ritten auf der Stadt mauer oiS weit über das Nordthor hinaus, sahen aber nichts. Ruhig breiteten die Bäume ihr noch grünes Laub über die Tacker und verbargen unS die einstöckigen Ebmesenkäuser; die Menschen aber, die wir nach der Lage deS eben gespreng ten Tempels fragten, zeigten nach tausend verschiedenen Rich tungen, und so viele Tempel gab es selbst in dem tempelreichen Paotingfu nicht. Mil dem erhöhten Standpuncle war eö also nichts; wir ritten daber am Nordtbore wieder in die Stadt hinunter, um die Stätten selbst zu sucken, wo gesprengt wurde. Unten webte und tobte daS laute, übelriechende Ebinesenleben, als wenn die Einwohner mit der Tempel sprengung gar nichts zu tbun hatten, und ich glaube, eS war ihnen auch völlig gleichgiltig. Die Tempel und ähnlich: Häuser baut und unteihält der Kaiser. Dafi er sie baut, oder daß sie für sein Geld gebaut werden, sieht man, denn sonst wären sie nicht da. Daß sie unterhalten werden, sieht man schon weniger, denn in den meisten Fällen sind sie ent setzlich staubig und bald zerfallen. Ich bin indessen überzeugt, daß im chinesischen Etat eine Summe für die Unterhaltung der einzelnen Tempel auSgesetzt ist, aber —. Daß eö dem durch und durch realistischen Bolke natürlich einerlei ist, ob die Tempel, für die es nichts bezahlt, gesprengt Werren, ist auch klar. Aber auch die Soldaten wußten nichts, und als mir ein Ossicier auf die Frage, ob er wüßte, wo die Tempel gesprengt würden, erwiderte: „Warum soll denn ein Tempel gesprengt werden? ES hat ja eist kürzlich geregnet!', gab ich tief erschüttert das weitere Fiagen ans und durchstreifte auf eigene Faust die engen winkligen Ekinesenstrafien des noidwestlicken Biertels von Paotingfu und zwar eine Zeit lang ohne Erfolg. Plötzlich kamen wir an eine Straße, die durch Sikbs gesperrt war. Die Sperrung geschah übrigens in sehr praktischer Art und Weise. Die Sikkü machten den Leuten verständlich, daß sie hier nicht durchgebcn dürsten, ver suchten, sie zurückzurusen, brachten aber keinen mit Gewalt zurück, sondern ließe» die Unfolgsamen ruhig ihres Weges ziehen; jeder soll auf seine Faoon selig werben, und bei einer Spren gung kann man sehr le cht dazu kommen. Wir folgten des halb seinem Wink, und ritten durch andere Straßen im Bogen um die Stelle herum, um vielleicht vou einer andern Seite näher zu kommen und den Tempel sehen zu können. Denn von der ersten Stelle sah man nichts, als eine etwas breitere Cbinesenstraße. Nachdem wir uns wieder einige Mal verirrt batten, begegneten wir einem englischen Capitän, den ich befragte, und zu unserem Glücke war es Capitän Tullock, der die Sprengung leitete, selbst. Er gab mir die Auskunft, daß ein Th-il des Tempels schon in die Luft gesprengt sei, daß bei einem anderen Theile aber die Zündschnur versagt hatte, und daß mittels einer neu gelegten Zündschnur binnen kurzer Zeit auch der noch stehende Theis in die Lust gesprengt werden würde. Er gab mir darauf einen jungen Ossicier mit, der mich in der liebenswürdigsten Weise berumfübrte. Der Tempel zeigte nicht, wie die meisten anderen in China, nach der Straße hin nur eine kahle, zinnoberrotb «»gestrichene Mauer; 3 m vor dieser stand vielmehr eine Marmor balustrade, die mit kleinen Löwenköpjen geschmückt war. Die Straße vor dem Tempel war mit Spieren und Steinen bedeckt, die von der Sprengung dorthin ge schleudert waren. Sonst bemeikte man von der Straßenseite nur, daß die Dächer der beiden Glockentbürmc arg beschädigt waren. Wir kamen von einer Seitenstraße in den Tempel hinein, da die vorder» Eingänge versperrt waren. Durch eine Reibe niederer Gebäude, von denen aus die Zündschnur zu der Sprengladung ging, gelangten wir auf den mittleren Tcmpelbof. Die Scheiremauer zu dem ersten Tempelhof stand noch, ebenso die Seitenhallen, aber der Tempel selbst war nur noch ein rauchender Trümmerhaufen, ebenso der zweite Tempel binter dem dritten Hose. Die Schieß baumwolle batte ihr-Wirkung getban; es war kein Stein mehr auf dem andern, nur eine Hobe Broazeurne halte der Spren gung widerstanden und ragte einsam aus dem Trümmer haufen heraus. Im ersten Tempelbofe standen die Um fassungsmauern noch; aber die Sprengung halte auch hier schon ihre Wirkung ausgeübt. Die Dächer der Glockentbürme waren hinweggefegt, die schweren Bronzeglocken waren durch zwei Balkenlagen hindurch ins Erdgeschoß gefallen; aus der Kuppel der meterhohen Glocke balle die Sprengung ein großes kreisrundes Stück berausgeschlagen. In den niedrigen Gebäuden am Fuße der Glvckeutbürme waren die fäuimt- lichen Papiersenster in Fetzen gegangen, und in dem nach der Straße führendem Atrium war ein Dutzend übermenschen große Bronzegötzen von ihren Postamenten gefallen. Auch im ersten Hofe war die Erde mit Spieren, Bronzestücken und Steintrümmern bedeckt, über die man sorgfältig weg klettern mußte; nur die Lebcnsbäume standen unversehrt und rauschten ibr altes, urewiges Lied fort vom Tage, vom ciust gewesenen Tage. (Ostasiat. Lloyd.) Der Krieg in Südafrika. Wie lange noch? Anläßlich der eben erfolgten Einberufung von 30 000 Mann neuer Truppen für Südafrika, schreibt die Londoner „Daily News" vom 7. Februar: „Ist das Volk damit einverstanden, diesem Ministerium von ConsusiouSrälben, das man fälschlich mit dem Namen Regierung bezeichnet, zu erlauben, daß es sortsabre, das Leben unserer Sol daten und daS Geld der Steuerzahler zu verschwenden, indem es Auslagen auf Auslagen und Stümpereien auf Stümpereien bänfi'? Wie lange noch sollen wir ohne auch nur einen Gedanken von Politik dahin treiben? Tenn Eins steht fest: Wir mögen noch so große Mengen von Truppen nach Südafrika schicken und scheinbar noch so gleichgiltig gegenüber allen Verlusten sein, so lange die An gelegenheiten Südafrikas nicht von Männern in die Hand genommen werden, die staatsmännische Einsicht in die Elemente des Problems haben, so lange werden wir einer Regelung und Lösung nicht näher kommen, selbst wenn wir zu den eben einberufenen 30 000 Mann noch 30 000 hinzu fügen, und noch tausend Millionen Pfund Sterling in den Abgrund der Verschwendungssucht nnv Unfähigkeit schütter» sollten? ES verlautet, Chamberlain habe jüngst in Birmingham Berathungen mit liberalen Staatsmännern wie Campbell Bannermann, Harcourt und Morley über eine geplante Aenderung der ministeriellen Politik hinsichtlich des Boerenkrieges gepflogen. Danach sollen gleichzeitig mit der ansehnlichen Verstärkung des britischen Heeres in Südafrika veu Boeren gewisse Friedensanträge im Sinne der von uns heute morgen mitgelbeilten Vorschläge Clarke's gemacht werden, sobald das Parlament wieder tage. Ferner beißt es, diesen Friedensanrrägen düifte die Abberufung Miluer'S vorangehen, woraus die liberalen Führer angeblich bestanden. Tas Bacrcn-AricdkuScomitb. Im Haag wird versichert, daß Piet Dewet, der Präsident des Vloemfonteiner FriedenScomites, gar kein Ver wandter des Generals Dewet, sondern ein von den Eng ländern bestochenes Individuum ist. Auch ein Opfer englischer Humanität. Präsident Krüger hat Berichte empfangen, daß seine Nickte, Frau Eloff, vor Kurzem durch australische Wald läufer niedergeschosse n worden ist. Ueber riesen ent setzlichen Vorfall brachte die „Dtsche Wchnztg. i. d. Ndrlndn." den folgenden Bericht: „Englische Grausamkeit gegen Frauen. Einem Privatbrief entnehmen wir folgende entsetzliche Scene: Aus einem Hause, von dem die weiße Flagge wehte, war auf unsere Truppen geschossen worden. Deshalb erhielt eine Ab- tkciluugWaldläuser B-fehl, raSHaus nicderznbrennen. Als die Truppe sich dem Hause näherte, trat ein Mann in dasselbe und begab sich eine Fran zum Brunnen. ES wurde eine Salve abgegeben und die Frau fiel. Die Waldläufer drangen inS Haus ein und fanden einen Boeren, den sie fesselten. Als der Boer seine Frau liegen sab, die sich noch regle, wollte er zu ihr binstnrzen, aber die Unmenschen hielten i hn fest. Der Ossicier constatirte, daß die Frau durch die Schläfe geschossen sei und doch sterben würde; man ließ sie deshalb liegen. AbendS wurde der Mann zurückgedracht, nm anzu geben, wo er Gewehr und Munition vergraben habe. AIS er beim Brunnen voibei kam, hörte er seinen Namen rufen. Es war feine Frau, die nach zwölf Stunden qual vollen Leibens noch immer lebte. All sein Bitten und Fleben, bei der Frau bleiben zu dürfen, balf nichts. Die Frau wurde aus einen Breltcrwagen gelegt, oknc verbunden zu sein. Als mau Rustenburg erreichte, war sie todk." Wir überlassen eS jedem fühlenden Menschen, zu ermessen, »vie schwer dieser furchtbare Schlag den greisen Präsidenten ge troffen hat. s London, 9. Februar. (Telegramm.) Das Amtsblatt ent hält Kriegsdepescheu des Feldmarschalls Lord Roberts vom 6. Februar 1900 bis 15. November 1900. Er meldet: Bei seiner Ankunft fand er keinen organisieren Transportdienst vor; seine erste Sorge war, Len Transportdienst zu organisiren. General Buller tele- graphiric am 6. Februar, der Vormarsch zum Einsätze Labyimirhs werde 3000 Mann kosten, der Erfolg sei zweifelhaft. Roberts antwortete, Ladysmith müsse entsetzt werden, und koste es Len äußersten Preis. Buller telegraphirte am 9. Februar, die Operation sei ohne Ver stärkungen undurchführbar. Bezüglich der Gefangennahme delochirter englischer Truppenabtheilungen jagte Buller: Tie Möglichkeit solcher Unglücksfälle war vorauszuschcn, da es vor der Einnahme Pretorias unmöglich gewesen wäre, die Bahnlinie mit ausreichenden Streitkräften zu besetzen und ohne den Vormarsch LeS HaupttruppenkörperS zu tchwächcn. Eine schließliche Depesche besagt: So groß die ver- wendeten Streitkräfte gewesen sind, waren sie doch zu schwach für die vou ihnen verlangten Aufgaben; sie theilt Zahlen mit, Lurch die die große Ausdehnung des Operationsgebiets nachgewiesen wird, und schreibt die Eidbrüche der Boeren, die sich bereits ergeben hatten, hauptiächlich dem Mangel an Schutz durch englische Truppe« und einem Drucke der Boerencommandanten zu. " Brüssel, 8. Februar. Repräsentantenhaus. Bei Bt« rathung der Petition um Vermittelung zwischen England und Transvaal, für die sich die PetitionScommission ausgesprochen hatte, erklärte der Minister deS Auswärtigen, diese Rolle komme Belgien um so weniger zu, als die Macht, die zu Len Hauvtbürgen der Unabhängigkeit Belgiens gehöre, in Len Streitfall verwickelt sei. Trotzdem nahm aber die Kammer eine Tagesordnung im Sinne der Petitionscommijsion an. Politische Tagesschau. * Letpzi», 9. Februar. Endlich wieder einmal eine leidlich gut besuchte Sitzung des Reichstags! Freilich beschäftigte sich das Hobe HauS gestern mit Wein, und wenn auch die Verhandlung nur theoretischer Art war, so regte sie doch jedenfalls zu praktischer Belkätigunz des Interesses an dem edlen Getränke mehr an, als z B. eine Beichä'liguug mit dem Etat deS ReickeamtS des Innern zu irgend einer amüsanten Nachsitzung. Vielleicht führt die Erfahrung, die man gestern mit der Anziehungs kraft der Gegenstände der Tagesordnung gemacht hat, zu einer glücklichen Lösung der Frage, wie der Besuch der Sitzungen überhaupt gehoben werden kann. Vielleicht entschloßt man sich dazu, statt der in Vorschlag gebrachten Aiiweseuheilsgelder An wesenhei ts wein als Preis für fleißige Betbeiligung an den Arbeiten deS Hauses auSzusetzen. Das Kälte den großen Vortheil, daß eine Commission eingesetzt werden müßte, vie nicht nur die Güte, Reinheit und Bekömmlichkeit der meisten Weine, sondern auch die Geschmacksrichtungen der einzelnen Abgeordneten zu piüfen hätte. Welche Anziehungskraft müßte das allein auf alle die Volksvertreter ansüben, die nickt Ab stinenzler sind! Und was würde die Wissenschaft süc Vor« tbeile davon haben! Vielleicht käme man gar zu der Erkenntniß, welchen Einfluß die Fractionszugehörigkeit auf die Weinzungen der MandatSinbabcr und ibrc Leistungsfähigkeit auSübt, wie diese Fädigkeit mit der Ent wickelung der rhetorischen Tbätigkeit wächst oder abnimmt und in welcher Weise die BeralhungSgegenstände die Neigung zu diesem oder jenem Gewächse sowobi, wie zu der Zahl der Flaschen beeinflußt. Daß der Consum bedeutend zunehmen wülde, ist selbstverständlich. Noch bedeutungsvoller aber würde cS sein, daß man in einer solchen ReichSlagS-Wein- Commission, die nnter der stetig zu neuer Arbeit anreizencen Controle des Plenums stände, eine Körperschaft bekäme, die in wenigstens absehbarer Zeit alle die Schwierigkeiten lösen würde, die dem Zustandekommen eines guten, die Interessen ver größert und der kleinen Weinbauer, der Weinbändler und der Consumenten gleichmäßig wahrenden WeingesetzeS seit langen Jahren im Wege standen und heute noch steb-n. Wie ganz anders hätte die gestrige Debatte über die Novelle zum Weingesetze sich gestaltet, wenn die Väter dieser Novelle daS Gutachten einer solchen Commission vorder hätten ein holen und weun ein in der Schule dieser Commission zur tiejsten Erfassung aller einschlageuden Fragen vor geschrittenes Plenum über die Novelle hätte zu Gericht sitzen können. Jetzt wird man die Novelle aus Mangel an Sach verständigkeit deö Plenums an eine besondere Commiision ver- Feurllrtsn. Die Geschwister. dj Roman vou Alexander Römer. NaLtnick »ertöt«». Ellen war kreidebleich, das Blakt zitterte in ihren Händen. Das kam unerwartet, klang räthselhaft — schrecklich. Ihr Kopf schwindelt«. Wie konnte sie denn hier fort, augenblicklich, wo alle ihre Interessen, ihre glänzenden Zukunftsaussichten lagen. Sie stöhnte unwillkürlich laut auf. Miß Scvtt, welche ein Buch genommen und anscheinend sich in die Lectüre vertieft hatte, um sie nicht zu stören, trat jetzt theil- nehmend zu ihr. „Schlechte Nachrichten, Miß Ellen?" Mit ihrem bleichen, verstörten Gesicht reichte Ellen ihr den Brief. Die Dame las mit steigendem Erstaunen. Aber was für ein Mensch ist denn Ihr Bruder?" rief sie unwillkürlich. Ellen sagte sich bitter, daß es schwer für sie sei, die Frage zu beantworten. Sie hatte nur rühmend von Leopold gesprochen, wo sie seiner erwähnt hatte, sie glaubte ihn im Hafen, voin Glück getragen — und doch — wenn sie sich ernstlich prüfte, wie be- urtheilte sie im Grunde seinen Charakter? Wenn sie ganz ehr lich war, so wußte sie von jeher, er war ein großer Egoist, der nie auf Andere Rücksicht nahm. Die Mutter — Susi, das Mädchen, das er auS ihrer stillen, fviedevollen Welt herausqelockt —, wie handelt« er an ihnen? Eine Reih« von tiefen Schatten, die sein Bild verdunkelten, stiegen ihr herauf, sie vermochte keine Ant wort zu geben. „Ich fürchte, theure Ellen, Sie müssen gehen", sagte Miß Scott nach einer langen Pause. Ellen zuckte zusammen, es rann kalt durch ihre Adern. „Wenigstens für ein« Zeitlang, um mit eigenen Augen zu sehen, was da vorliegt, um Ordnung zu schaffen", entgegnete sie tonlos. „Natürlich nur für ein« Zeitlang — hoffentlich nur für furze Wochen —", bestätigte Miß Scott. In Ellen stieg es bitter herauf. Sir, die vom schwach«» Ge schlecht, sollte den durch eigene Kraft eroberten Boden unter ihren Füh«n verlassen und sich auf rin schwankt»» Schiff begeben, in Noth und Sorgen, um Ordnung zu schaffen, wo der Bruder, der von jeher zu ihrer Stutze bestimmt gewesen war, die Fäd«n heillos verwirrt hatte. Wer konnte sagen, wann sie wi«derk«hrte, wrnn sie hier jetzt schied —, wer wußte, was in- dessrn geschah —- hier oder dort. Aber «s half nicht, je mehr sie nachdachte, desto klarer drängte es sich ihr auf, daß es ihre Pflicht sei, zu gehen, stark zu sein und auf sich zu nehmen, was Gott schickte. Recht zerschlagen an Leib und Seele, saß sie schon nach wenig Tagen an Bord des Postdampfers „Vienna". Sie war noch kaum zur Besinnung gekommen seit der aufregenden Nachricht, die nöthigen Vorbereitungen für eine längere Abwesenheit, der Abschied von den Schülerinnen, der sich sehr stürmisch und ihränenrcich gestaltete, hatte ihre Gedanken in Anspruch ge nommen. Sie fühlte bei diesem Scheiden, wo die bange Frage, wann und ob sie werde wiederkehren können, sie beängstigte, wie fest sie inmitten dieser Jugend wurzelte, wie herzlich Alle an ihr hingen. Nun war sie allein, ihr Kopf schmerzte, sie vermochte es nicht, unten in ihrer Cabine zu bleiben, wo es heiß und schwül war. Sie nahm ihren dunklen Regenmantel, zog die Kapuze über den Kopf und ging auf Deck. Schlafen würde sie in dieser Nacht doch nicht können, jetzt kamen die schweren, sorgenvollen Ge danken, was sie zu Hause finden tverde, mit peinvoller Wucht über sie. * Sie saß auf einem Haufen zusammengerollter Taue, in einer windgeschützten Ecke, die See war ruhig, der Koloß glitt in gleichmäßiger Bewegung durch die Wogen, und in dem von der Schraube aufgewühlten Gischt und Strudel zitterten die Mond strahlen. Sie kauerte da in sich versunken, die kalte Nachtluft that ihrem schmerzenden Kopf wohl, die marternden Gedanken er trugen sich hier besser, als da unten. Es war still an Deck, die Passagiere schliefen in den Cabinen, nur die wachthabende Mann schaft ging hin und her, wechselte Reden und Zurufe. Sie achtete auf nichts, was um sie her geschah, sie stützte den durch die Kapuze verhüllten Kopf in den Händen und blickte auf das Wellengewoge. Da schlugen wohltönende Laute einer sonoren Männerstimme an ihr Ohr und gleich darauf ein jugendfrohes Lachen. Sie wandte den Kopf, rechts von ihr, nur wenige Schritte entfernt, standen zwei dunkle Gestalten, die sich scharf abhoben vom Horizont in der klaren Luft der Septembernacht. Der Eine war ein großer, kräftig gebauter Mann, in seiner Haltung lag etwas Ruhiges uns Stolzes. Ein weicher Filzhut saß auf dem wehen den Blondhaar, sie sah sein Gesicht im Profil, feste, scharf ge schnittene Züge, ein weicher, freundlicher Mund unter dem blonden Schnurrbart, es spielte gerade ein Lackeln um denselben, das Kinn darunter breit und kräftig. Sein Gefährte erschien jünger, hochaufgeschossen und lang beinig, sie sah die weißen, vorstehenden Zähne im Mondlicht blitzen, er dehnte sich nachlässig auf der Bank ani Schiffsrand. Die Beiden achteten ihrer nicht, sie unterhielten sich in eng lischer Sprache. Sie hätte darauf wetten mögen, daß der Groß-, so fließend er die Sprache auch redete, kein Engländer ssi. Der Jüngere war zweifellos ein Sohn Albions. Unwillkürlich lauschte sie den getauschten Reden, der Klang der Stimme des Aelteren tönte ihr so sympathisch im Ohr. Sie sprachen vom Zauber südlicher Sonne, der Jüngling trat seine erste große Reise an, er wollte imt dem Schiff bis Genua und den Winter in Italien verleben, ein großmüthigcr Onkel hatte ihm die Reisecasse gefüllt. Er ward nicht müde, den Anderen, der von jenseits des OceanL kam, von Valparaiso, und die halbe Welt bereist zu haben schien, auszufragen über hundert Dinge. Er schien recht ungenügend vorbereitet für seine Jtalienfahri. Der Aeltere gab unermüdlich Antwort und guten Rath. Es lag etwas Sicheres, Festes, Erschöpfendes in jedem Wort, welches er sprach, Ellen horchte immer interessirter. Er ging jetzt nach Brüssel, wo er Geschäfte zu erledigen hatte, dann fpäter auch nach Italien, der Jüngling sprach lebhaft die Hoffnung aus, daß sie sich dort wieder treffen möchten. Sie saßen jetzt Beid in ihrer unmittelbaren Nähe, ihre dunkle Gestalt verschivamm wohl mit dem Hintergrund; sie achteten ihrer nicht. Der Aeltere wandte ihr sein, jetzt voll vom Mond beschienenes Gesicht zu, ein schönes, gutes, Vertrauen erweckendes Gesicht. Freundliche klare Blauaugen, eine hohe Stirn, umweht von dem vollen Blondhaar. Er hatte den Filzhut abgcnommen, und der frische Seewind wirbelte es um seine Schläfen. Ellen war traumhaft zu Muthe. Das Lauschen auf das Gespräch der Beiden hatte sie von ihr«» quälenden Gedanken abgelenkt, ihre Sorgen eingelullt, und diese Bilder des sonnigen Südens, die Erdern, dir Pinien und Rosen erstanden vor ibrcm Blick. Eine unbekannte Sehnsucht, ein schmerzhaftes Wünschen überkam sie — wer so frei wäre, wie die da, und die Welt schauen durfte in ihrem wechselnden Zauber, all die Schönheit der Natur und Kunst. Ihr Horizont war eng gewesen von jeher und wurde vielleicht nun noch enger. Seit sie ans Putney geschieden, hatte sie nur trübe Ahnungen. Ihr wurde ihre Lage, der Sitz auf den Tauen allmählich sehr unbequem, sie wünschte aufzustehen, umher zu wandeln, oder hrnunter zu gehen, nur genirten oie Beiden sie. Die erste Be wegung von ihrer Seite verrietb sie als Lauscherin, das war ihr peinlich. Ha, jetzt erhoben sie fick — Gottlob! sie wechselten ihren Standort und wandten ihr den Rücken. Sie sprang rasch aus ihre Füße und dehnte ihre steif gewordenen Glieder. In diesem Moment kehrte der Aeltere sich noch einmal um, seine Cigarrenkasche lag da auf dem Platz, wo er gesessen, er ver mißte sie und kam, sie zu holen. Sir standen sich ganz nahe, Auge in Auge gegenüber. Die Kapuze war ihr in den Nacken geglitten, auf ihren braunen Flechten flimmerte das Mondlicht, und eine jähe Röth« schoß in ihr Gesicht. Er stutzte, für ihn mußte es räthselhaft sein, woher dies« Erscheinung plötzlich auftauchte, auf dem leeren Platz, wo er eben gestanden. Seine Augen forschten scharf in ihrem Gesicht, sie standen Beide ein paar Secunden steif und stumm. Dann faßte sie sich und glitt mit einem leichten Neigen des Kopfes an ihm vorüber, nach dem Vorderdeck eilend, wo die Treppe zur Cajüte hinuntersichrte. Der Fremde verfolgte sie mit seinen Blicken und blieb noch eine Weile unbeweglich auf seinem Platz, dann wandt« er sich an einen der Schiffsleute, der in der Nähe ein Tau aufrollte. „Wo kam diese Dame her?" fragte er, „ich habe hier doch ein gut Weilchen gesessen und sie nicht bemerkt, sie hätte ja an mir vorüber gemusit, wenn sie von der anderen Seite kam." Ter Mann wandte sich schwerfällig um. „Wen meinen Sie, Herr?" „Nun, die Dame, welche da eben um die Ecke bog. Haben Sie hier Jemand außer uns Beiden in der letzten Viertelstunde gc» sehen?" Der Mann spuckte einen Priem, den er im Munde hatte, in großem Dogen in die See, reckte den Hals und schüttelte den Kopf. „Nee, Herr, ich hab nichts gesehen — die is woll aus der See heraufgekommen, — na, wenn sie Ihnen zugelacht hat, bringt'» Glück." Der Fremde nahm seine Cigarrentasche und sah sich nochmals nach allen Seiten um, die Stelle hatte keinen anderen Zugang — „wunderlich" murmelte er. „Aber ein Wesen von Fleisch und Blut war sie, sie hatte nichts Geisterhaftes. Will mich morgen früh nach ihr umsehen, das Gesicht kenne 'ich unter Tausenden wieder." Ellen ivar am anderen Morgen «ine der Eisten, die ans Land stieg, sie sah den großen Herrn noch einmal aus der Ferne, wich ihm aber geflissentlich aus. Eine abermalige Begegnung beim Tageslicht hätte sie verlegen gemacht. Sie bestieg eilig ihren Zug und setzte ohne Unterbrechung ihre Reise fort. * Am Mittag des nächsten Tage» war Ellen bei der MuHee. Die lag schwach, abgemaqert, völlig kraftlos im B«tt. Ellen lag auf den Knien an ihrem Lager, tief bewegt —, und streichelte die welken Hände der Kranken. Si« mußte ja fröhlich scheinen und ihr plötzliches Anftauchen nicht zu einem Besorgnis; erregenden Act für vie Kranke machen. Sie war selbst nervös, erschöpft, überwältigt, das wurde iyr schwer.
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