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02-Abendausgabe Leipziger Tageblatt und Anzeiger : 21.02.1901
- Titel
- 02-Abendausgabe
- Erscheinungsdatum
- 1901-02-21
- Sprache
- Deutsch
- Digitalisat
- SLUB Dresden
- Lizenz-/Rechtehinweis
- Public Domain Mark 1.0
- URN
- urn:nbn:de:bsz:14-db-id453042023-19010221028
- PURL
- http://digital.slub-dresden.de/id453042023-1901022102
- OAI-Identifier
- oai:de:slub-dresden:db:id-453042023-1901022102
- Sammlungen
- LDP: Zeitungen
- Strukturtyp
- Ausgabe
- Parlamentsperiode
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- Wahlperiode
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Inhaltsverzeichnis
- ZeitungLeipziger Tageblatt und Anzeiger
- Jahr1901
- Monat1901-02
- Tag1901-02-21
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Mr. Adalbert Hay, Amerikas Consul in Pretoria, Sohn des amerikanischen Staatssekretärs, und bekanntlich «in großer Freund der Engländer, auf deren Betreiben und zur Förderung deren Interessen er ausdrücklich nach Abberufung sein«» „zu doerenfreundlichen Vorgängers" nach Pretoria gesandt wurde, ist von dort zurückgetchrt und hat nun eine Anzahl englischer Interviewer Rede und Antwort gestanden. Was er gesagt, ist allrrdings so entmuthigend, als irgend möglich, und die be geistert«» Begrüßungsworte, mit den«n die englische Presse ihn empfangen, sind rasch einem tief enttäuschten Schweigen ge wichen. Mr. Hay sieht kein Ende des Kriegesunv erklärt rund heraus, man scheine sich daheim in England „über haupt ein ganz falsches Bild von der wirklichen Lage der Dinge in Südafrika zu machen." Er lehnt es ab, die politische Seit« der Fragen überhaupt zu berühren, und betonte nur immer wieder, es sei doch selbstoerstänolich, daß die Engländer den Boeren gegenüber sich in durchaus ungünstiger Lage «befinden müßten. Nicht nur die Thatsache, daß sie sich in Feindesland befänden, sondern vor Allem, daß sie dieses Land auch heute noch nicht zu kennen schienen, wie sie die Bewohner desselben, ihre Art zu denken und zu handeln, ja nicht einmal die Sprache der selben verständen, lassen'sie von Irrung zu Irrung schreiten und selbst da den Kürzeren ziehen, «wo das unter anderen Um ständen ganz ausgeschlossen sein würde. Als ein Beispiel dieser Unfähigkeit, Land und Leute zu begreifen, führte er die That sache an, daß man z. B. De 'Wct's Erfolgt auf dessen sogenanntes „Glück" zurückführc. Das sei ganz falsch. De Wet habe weder „Glück" gehabt, noch sei er vor den englischen Truppen „geflohen". „De Wet ist", sagte Mr. Hay mit be sonders warnendem Ernst, „ein ganz hervorragender Mann, der jeden seiner Schritte sorgfältig vorher überlegt, und ein Gemral, welcher seine Pläne mit bewunderungswürdigem, strategischem Talent faßt und ausführt. De Wet, wie Botha, dessen Feldherren-Talent man in London noch gar nicht er kannt zu haben scheint, werden dabei von dem geradezu sparta nischen Helvenmuthe ihrer Burghers, der denkbar gründlichsten Kcnntniß des Landes und der Sympathie, ja schwärmerischen Anhänglichkeit der gejammt«» Bewohnerschaft desselben unter stützt, Thatsachen, die nur eine systematisch einseitige Bericht erstattung verdunkeln könnte. Wo immer ein Boerencommanso erscheint, kann es auf jede Art von Unterstützung und darauf rechnen, nicht an die Engländer verrathen zu werden, «während die englischen Truppencommanvanten nicht nur von den Boeren selbst, sondern auch von den Schwarzen ständig irre geführt und über die Bewegungen ihres Gegners falsch unterrichtet werden. Selbst die scheinbaren, d. h. offen zur Schau ge tragenen Sympathien «inzelner Boeren sind lediglichMaske, und zwar selbst da, wo Selbsterhaltungs trieb oder Eigennutz sie den weniger charakterfesten Boeren auferlegen. Die britischen Truppen und'ihre Führer haben immer und überall mit der mehr oder weniger offenen Feindschaft der aesammten Bevölkerung zu kämpfen. Ebenso aussichtslos erscheint Mr. Hay die Lage der Gold gruben und Diamantenfelder. Nach ihm wird eine sehr lange Zeit vergehen, ehe die Verhältnisse die Wiederannahme des Betriebes derselben, wie er vor dem Krieg gewesen, gestatten werden. Und selbst dann scheint ihm nur ein riesiger Gelo- zufluß vom Auslande her das zu gestatten. „Dann wird der große Boom voraussichtlich kommen, aber das wird noch lange dauern." Tie Pest. * Kapstadt, 2Ü. Februar. (Neutcr's Bureau.) Km Eingeborener ist in vem unteren Stavtthcile tovt auf- ukfundrn worben. Man glaubt, die Eingeborenen ver heimlichen Pestfälle. Schalk Bürger. * Pretoria, 20. Februar. (Reuter's Bureau.) Berichte aus Lydenburg besagen: Ter stellvertretende Präsident Schalk Burger hielt letzthin an eine Boerenvcriammlung eine Ansprache, in der er aussührte, er erkenne jetzt, daß ihre Sache ganz hoff nungslos und ein weiteres Hinziehen der Feindseligkeiten zwecklo ses. Er wolle es persönlich nicht aus sich nehmen, ihnen zur Unter werfung zu rathen, aber wenn cs doch einmal unvermeidlich sei, wäre es eine Tborheit, dies in Gruppen von zwei und drei Mann zu thun. Ter richtige Weg sei der, zu einer allgemeinen Bcr- ständigung darüber zu gelangen, daß man sich als ganze Nation ergebe. (Das hat Schalk Burger nicht gesagt. T. Red.) Die wirre» in China. Sühne für Frevelthaten gegen Tcntsche. Aus Swatciu, 10. Januar, wirs uns geschrieben: Zur Erledigung der sogenannten C h a n g l o - A n g e l e g e n- heit, d. h. der deutschen Sühne- und Ersatz forderungen für Gewaltthätigkeiten, die im vorigen Herbst zu Changlo gegen dir Basler Mission uns ihre Christen be gangen waren, ist vor wenigen Tagen zwischen dem hiesigen deutschen Consul uns dem dazu bevollmächtigten chinesischen Bannermann und Salzcoinmissar Aui Kao eine Vereinbarung getroffen worden. Sie bestimmt, daß der frühere Kreisvorstehcr von Changlo, Tung li chih, seines Amtes enthoben, seiner Titel und seines Grades für verlustig erklärt uns sauerws von oer Bekleioung eines Amtes in China ausgeschlossen wird; ferner setzt sie zur Sühn« für «die verübten Äewalithaten die Hin richtung von sechs Haupträdelsführcrn, sowie als Entschädigung für zerstörtes Eigenthum der Mission und ihrer Christen sie ratenweise Zahlung von 28 000 Dollars fest. Dabei wirs in der Vereinbarung 'binesischerseits cmc Srncklich s><. maßvolle Haltung anerkannt, die von den deutschen Missionaren und dem kaiserlichen Consul in dieser Sache gezeigt worden ist, und es wird eine alsbaldige Genugthuung auch für die übrigen Aus schreitungen gegen Missionen in diesiger Gegend zugesagt. — Die Changlo-Angelegnheit ist damit für chinesische Verhältnisse überraschend schnell in befriedigender Weise erledigt worden. Von der ursprünglichen Schadenersahforverung (31860 Dollars) sind deutscherseits allerdings etwa li Procent nachgelassen, dcch haben sich hier die Engländer und Franzosen weit größere Ab züge gefallen lassen. Auch ist der Auszahlungsmovus bei den Deutschen viel vortbeilhafter und bequemer, als bei den Eng ländern und Franzosen. Politische Tagesschau. * Leipzig, 21. Februar. Nett und nobel war eS nicht, daß der Reichstag sich gestern, als über die Verweisung des die Aushebung der Theatercensur fordernden Antrags Bargmann u. Gen. an eine Commission abgestimmt werden sollte, beschluß unfähig, gleich darauf aber, als in einer Abendsitzung der Antrag auf Einführung von Präsenzgeldern für die Reichstags-Abgeordneten berathen wurde, beschlußfähig erwies. Wenn am BundeSrathStischc Jemand gesessen und wenn dieser Jemand eine ebenso scharfe Zunge, wie mancher der Herren Rcichöboten sie im Munde führt, geregt hätte, so würde das Hobe Haus darüber, daß cS dem nicht nur büchst interessanten, sondern auch sehr wichtigen Thema der Tbeatercensur geringere Antheilnabme entgegenbrachle, als einer den Geldbeutel der Mitglieder betreffenden Frage, eine recht beißende Glosse zu hören bekommen haben. Aber der BundeöralhStii'ch war während der beiden Sitzungen noch leerer, als in der Nachmittagssitzung das HauS, und so konnte dieses sich erlauben, über den Buntesratb, ja sogar über die „verbündeten Negierungen" zu witzeln. Der Adg. Or. Müller-Sagan begann damit, indem er die Hoffnung auSsprach, die verbündeten Regierungen würden nunmehr, nachdem auch konservative Stimmen sich für Len Antrag auf Einführung von Piäsenzgeltern ausgesprochen, Vernunft aniiehmcn, worauf Präsident Gras Ballestren» unter stürmischer Heiterkeit des Hauses entgegnete, Vernunft hätten die verbündeten Negierungen immer. Lb diese das Ccmpli- ment dadurch znrückgebcn, daß sie den» zu erwartenden Be schlüsse des HauseS znstimmcn, muß vorläufig dahingestellt bleiben, obgleich heute die „Nat.-Lib. Corr." schreibt: „In Reichstcgskreisen ist man geneigt, anzunehmen, daß, wenn der Diäten- rejp. Anwesenheitsgelder-Antrag in» Reichs tag wiederum zur Annahme gelangt, der Bundesrath an seinem bisherigen Xon posZnmuk-Standpunct nicht sesthalten werde." Jedenfalls wird die Commission, an die der Antrag ein stimmig verwiesen wurde, an diesem noch manche Aenderung vorncbmcu müssen, »venu er auch nur die Zustimmung der Mehrheit des Plenums sindcn soll. Es schien, als ob die meisten Redner derselben Ansicht wären, wie der Abgeordnete Bassermann, der im Namen der natiouallibcralenAraction sprach. Zur Ergänzung unseres sehr dürftig ausgefallenen Sitzungsberichtes lassen wir feine Ausführungen nach einem ausführlichen Berichte hier folgen: Meine politischen Freunde stimmen dem Anträge Grüber zu, 'swvkl bez-'. glich der Freijahrkarten, wie der Gewährung von Aniveicnhcitsgeldern. Bereits in voriger Saison habe ich ge- mein'am mit Herrn Grüber die Gewährung von Anwesenheitsgeldern beantragt; ich kann mich daher heute im Wesentlichen auf meine damaligen Ans'iihrnngcn beziehen. Hinsichtlich der Fahrkarten siir Ab- geordnele greift heute ein sehr kleinliches Verfahren Platz. lSehr richtig!) Fortgesetzt müssen dieielben onsgetanscht und umgeschrieben werden und feit einiger Zeit operircn die Abgeordneten vielfach bereits mit einem doppelten Wohnsitz. Dazu kommt, daß wir keine Gelegenheit haben, uns in anderen Landestheilen zu orient-ren, was nament lich häufig sür die Mitglieder der Budgetcommission sehr wünschens- wcrth ist. (Sehr richtig!) Hinsichtlich der Anwesenheitsgelder kann man jetzt wohl sagen, es geht die comiaunm opinio dahin, daß sie den Abgeordneten gewährt weiden muffen. Es wäre gewiß rin idealerer Zustand, wenn solche Entschädigungen überflüssig wären, vielleicht ist dann die Werthschätzung des Parlaments beim Publicum eine höhere, aber wir müssen mit Len Verhältnissen rechnen, wie sie sind, und diese Verhältnisse führen zweifellos dazu, auf Len Boden des Antrags Gröber zu treten. Ohne Diäten ist die Auswahl der Candidaten sehr eingeengt. Es sind da durch große Bevölkerungsclaffen von der Wahl vollkommen aus geschlossen, die nicht in der Lage sind, ohne Entschädigung rin Mandat anzunrhmrn. Die Folge ist, daß gegenwärtig manche Abgeordnete privatim eine Entschädigung für ihre Thätig- keit beziehen, was gewiß nicht wiinschenswerth ist, da diese Abgeordneten dadurch in eine gewisse Abhängigkeit ge- rathen von den Leuten, die ihnen die Entschädigung zahlen. Es ist ferner durchaus unerwünscht, daß die Zahl der Doppel Mandat« beständig zunimmt. Gegenwärtig ist es so, daß eine Reihe von Personen Eandidatureu zum Reichstag nur unter der Bedingung annimmt, daß ihnen auch ein Landtagsmandar übertragen wird. Dazu kommt die Thatsache, daß wir hier jahraus jahrein mit wenigen Ausnahmen beschlußunfähig sind und daß oft vier Fünftel der Abgeordneten fehlen. Manche Candidaten er klären vornherein, daß sie nur zu wichtigen Abstimmungen kommen können; andere machen stillschweigend diesen Vorbehalt. Diese Gründe sind so durchschlagend, daß auch der Bundesrath das Be streben haben sollte, hier Wandel zu schassen im Interesse der Er ledigung der Geschäfte und zur Hebung des Ansehen» des Reich-tag». Wir stehen also principiell auf dein Boden LeS Antrags. Wir haben nur gewisse Bedenken bezüglich der Fassung. Zunächst kommt nicht klar zur Erscheinung, ob die freien Fahrkarten nur während der Session oder im ganzen Jahre gewährt werden solle». Hier müßte eine präcijere Fassung gefunden werden. Ein Theis meiner Freunde wünscht ferner eine Erörterung der Frage, ob die Anwesenheitsgelder bereits den jetzt gewählten Abgeordneten gezahlt werden sollen, oder ob das Gesetz erst mit der nächsten Legislaturperiode in Kraft treten soll. Endlich wünschen wir eine präcisere Fassung sür den Fall, daß ein Abgeordneter gleichzeitig Mitglied eines Einzellandtags ist. Wir werden also wohl kaum heute in die zweite Lesung eintreten können. Ich beantrage Ucberweisung des Antrags au eine Commission von 14 Mitgliedern, und zweifle nicht daran, daß wir doch etwas Brauchbares schaffen werden. Hoffentlich wird dann auch der BundeSrath dem Anträge zustimmen. Ich vertraue da besonders aus die große Weisheit unseres Reichskanzlers, der hoffentlich seinen Einfluß kinieyen wird, u n unseren Antrag im Bnndesrathe zur Annahme zu bringen. (Beifall.) Im prcnsjischctt AbgcorSnctcnhause wird es bei der Be- ratbung des CultuSetatS wieder zu einer Polendebatte kommen, in die unsere nationalliberalen Freunde energisch eingreifen ;n wollen scheinen. Die „Nat.-Lib. Corr." schreibt nämlich heute: „Tie Polenadressen.Frage zeitigt ein sonderbares Nach spiel. Während die Verteidiger der nationalpoluijche» Propaganda in Preußen es für eine unerhörte Zumuthung erklären, daß von den preußischen Polen verlangt wird, sie sollen ihre Postadressen in deutscher Sprache schreiben, forderte der „Dziennik Cujawski" in Jnowrazlaw neulich in einem längeren Artikel die Einführung des russischen Unter- richts in den gehobenen Schulen des Ostens der Monarchie. Der „Dziennik Cujawski" hob hierbei hervor, daß das Ver- hältniß zwischen den Polen und den Russen ein immer herzlicheres werde. Dieses Verhältnis) sei lediglich die Folge der hakatistijchen Bestrebungen der preußisclrrn Regierung. Auch forderte der „Dziennik Cujawski" die polnischen Abgeordneten auf, mit ollen Kräften sür die Einführung Les Russischen in Len preußischen Schulen einzutreten, wofür ihnen die Polen sehr dankbar sein würden. Thatsächlich neigen neuerdings, meint die „Kölnische Volkszeitung", Feuilleton. Die Geschwister. 19s Roman von Alexander Römer. NaLtrvck verboten. „Ach, Kind!" Die Doctorin rückte näher an die Tochter heran und flüsterte vertraulich: „Du weißt das ja Alles gar nicht, ich konnte und wollte Dir das damals nicht verrathen — der Poldel reichte ja nie mit seinem Gelbe. Zu mir kamen sie dann, «diese schrecklichen Menschen, mit Rechnungen und Wechseln, von denen ich nichts verstand. Was ich irgend decken konnte, das deckte ich, und im Uebrigen r«dete ich die Leute zur Ruhe und vertröstete sie, damit sie nur nicht zum Justizrath gingen." „In der eisten Zeit, als er hier zu prakticiren anfing, hat er Einiges abbezahlt, und ich war so froh. Ach, Ellen! Mich hatten die fortwährenden Aufregungen krank gemacht. Aber später — na, nun hat ja Gottlob alle die schreckliche Noth ein Ende. Poldel kann alle seine Schulden bezahlen, und — Du sollst es sehen — er fängt dann auch wieder an zu arbeiten. Es war Trotz bei ihm, glaub' es mir; er wehrte sich gegen die Fessel, ich kenne ihn, ein guter Kern sitzt doch in ihm." Die alte Frau wurde in ihrer HerzenSerleichterung redselig, und Ellen ergrimmte wieder innerlich. Wie war es möglich, daß die Mutter so blind sein konnte. Sie überredete sie, sich heut' früh schlafen zu legen, da der morgende Tag jedenfalls viel Aufregung bringen werde. Ihr brach das Herz fast in dem Gedanken an dieselbe, und wie die schreckliche Wahrheit der heut' so HoffnungSfreukugen dann nicht mehr zu verheimlichen war. Als sie die Mutter zur Ruhe gebracht hatte, ging sie noch ein mal hinüber an des Bruders Zimmer, nachzusehen. Die Thür war verschlossen — es packte sie ein« Todesangst; sie probirte mit einem Stift am Schlüsselloch — wie sie vermuthet, steckte der Schlüssel von innen — er war zu Hause. Blitzähnlich flogen Ueberlegungen durch ihr Hirn. Sie wollte kein Aufsehen — si, konnte ja nicht wissen — und doch — diese Angst war unerträglich. Sie holte allerlei kleine Werkzeuge aus ihrem Nähkörbchen und machte leise und vorsichtig Versuche, den drinnen steckenden Schlüssel zu entfernen. Sie besaß «inen einen zweiten, und war dann entschlossen, mit demselben zu öffnen und zu ihm hineinzugehen. Nach mehreren vergeblichen Mühen gelang da» Experiment, der Schlüssel fiel innen mit einem hörbaren Geräusch zu Boden, ober Alles blieb still. Leopold schien im zweiten Zimmer zu sein. Sie schloß leise auf und überschritt die Schwelle. Ein nervöses Zittern überfiel sie, sie kam sich wie ein Dieb und Einbrecher vor — aber wer könnt« wissen, wohin ihn die Verzweiflung trieb. Eine falbe Dämmerung herrschte in dem Gemach, schwarze Wolken standen draußen am Frühlingshimmel; einzelne schwere Tropfen schlugen gegen die Fensterscheiben. Sie schritt weiter — auch in dem folgenden Raume schien es dunkel zu sein. Leise machte sie die Thür auf — ihr Athem stockte. Da saß er — sein Hut und Stock lagen an der Erde, — er selbst hielt den Kopf vornübergeneigt über den Tisch — sie sah ihn von rückwärts — seine rechte Hand hielt etwas in der zusammengeballten Faust. Ein furchtbarer Schreck flog ibr durch die Glieder, sie war mit einem Schritte neben ihm. Ihre Hand lag auf seiner Schulter — er richtete langsam den Kopf empor — er lebte! Ihre Phantasie hatte ihr Schreckliches gemalt. Aber wie sah er aus! Seine Züge waren aschfarben, bis zur Unkenntlichkeit entstellt. Er sah sie mit einem leeren Blicke an, der nichts Aeußerliches zu erfassen schien. „Poldel! Besinne Dich! Ich bin es — und ich weiß Alles!" S«in Kopf fiel in di« vorige Stellung zurück, er stöhnte dumpf auf. Sie gewahrte jetzt, daß es ein zerknitterter Brief war, den er in der geschlossenen Hand hielt. Und da neben ihm, auf der anderen Seite — in dem düsteren Licht, das durch di« Fenster fiel, blitzte etwas gespenstisch auf — der blanke Lauf einer Pistole. „Also doch" — murmelt« sie. „Leopold!" rief sie und schüttelte ihn. „Raffe Dich auf. Mensch, sei ein Manu! So Eine! — Ich war eben bei ihr, ich habe ihr ihre Ehrlosigkeit ins Gesicht geschleudert; schüttele den Bann ab und zeige ihr, daß Du über sie und ihre höllische Falschheit triumphirst." Er faßt« an seine Schläfen und richtete sich langsam auf. Die geschloffene Rechte hatte sich geöffnet, untv das zerknitterte Papier war ihr entglitten. Ellen erkannte im Dunkeln Adinens groß; kanggezogene Schriftzüg«. In Leopold's Augen trat «in Strahl des Verständnisses. „Du hier?" sagt« rr dumpf. „Aber es ist jetzt einerlei, es ist au», Ellen — aus! Ich war «in elender, erzdumm«r Narr." „Das warst Du", entgegnete sie lakonisch, ohne sich der schonungslosen Rede bewußt zu sein, „aber — bleiben wir bei dem „war". Du bist los, frei! Das war das Gefühl, welches sich bei mir durchklärte, als ich von Adinen ging." Adine! Der Name schien ihn voll zur Besinnung zu bringen und Alles in ihm aufzuwühlen. Sein Gesicht verzerrte sich; er packte der Schwester Arm, daß es sie schmerzte. „Du — Du warst bei ihr? Jetzt?" knirschte er zwischen den Zähnen. Sie machte sich von seinem Griffe los und faßte s«ine Hand. Sie war kalt wie Eis. „Versprich mir, daß Du vernünftig sein willst", sagte sie in ruhigem Tone, „und ich will Dir berichten. Erst laß mich aber Licht anzllnden." Sie trat an den Schreibtisch, und ihr erster Griff war, das blanke Ding da in seinem Kasten zu bergen. Unter dem Vor wande, die Lampe aus dem Nebenzimmer zu holen, nahm sie das Kästchen mit sich und verwahrte es drüben an sicherem Orte. Als sie mit der brennenden Lampe wieder eintrat, stand Leopoks noch auf demselben Flecke, das erdfahle Gesicht an die Wand ge lehnt. Sie nahm seinen Hut und Stock vom Boden auf und «bat ihn, sich neben sie zu setzen. Das Licht weckte den Verstörten aus seiner Betäubung. Er warf di« Arm« in die Luft und schluchzte laut auf. „Verrathen! am Narrenstil geführt!" rief rr mit erstickter Stimme, „und von ihr, die ich geliebt über Alles in der Welt. Ellen, ich habe sie angebetet, vergöttert, ich hätte mein Leben tausend Mal für sie gegeben — und was für Plan« hatten wir gemacht — wenn — wenn mir das Erbe zufiel, wollte sie mir folgen; im sonnigen Süden wollten wir uns ein Paradies schaffen Ellen zuckte die Achseln — hatte er das jemals glauben können; sie vermochte solche Verblendung nicht zu begreifen. „Ich verstehe", sagte sie, „daß der schändliche Verrath Dich heute über den Haufen wirft, heute — ober morgen muß der Zauber, in den sie Dich verstrickte, doch gebrochen und ihr Bild auch in Deiner Seele ein anderes geworden sein. Du hast Deine ganze Manneikraft nöthig, um dem Kommenden gewachsen zu sein." „Dem Kommenden?" rief er bitter. „Für mich gicbt's kein morgen mehr." Seine Augen glitten suchend über die Stelle, wo das blanke Ding verschwunden war. „Die Pistole habe ich an mich genommen", sagte Ellen ge lassen. „Ick wollte "meinen Bruder, den ich in dieser Stunde für unzurechnungsfähig halte, davor bewahren, sein Leben für die elende Kokette hinzuwerfen, die ihn in genug Sünde und Schuld schon verstrickte. Später, wenn Dein Verstand wieder klar ist, wirst Du vielleicht erkennen, wozu uns Menschen das Leben gegeben ist. Wahrlich zu einem anderen Zwecke, als um es um einer Sinnenkiebe und zerstörter Lust willen hinzuwerfen. Der erbärmlichste Feigling ist in meinen Augen Der, der sich der Verantwortung für seine Thaten entzieht." Er wandte ihr sein in unheimlichem Zorne funkelndes Ge sicht zu. Sie sah ihm furchtlos in die Augen. Es mußte etwas Bannendes in ihrem Blicke liegen; er sank matt in einen Sessel und starrte finster vor sich hin. „Wie denkst Du Dir eigentlich ein Weiterleben für mich?" fragte er höhnisch. „Komm zur Besinnung, nimm Dein« Kraft zusammen und arbeite", entgegnete sic, „in Deinen Jahren läßt sich noch viel schaffen." „So — und weißt Du etwa, wie es hier morgen nach der Testamentseröffnung wimmeln wird von gierähnlichem Raub volk, die blutgierig, weil ihnen ihre Beute zu entschlüpfen droht, über mich herfallen, meine Ehre zertreten und mich wi« einen Bettler über die Schwelle jagen wird?" rief er. „Aber Ihr sekd nicht haftbar, merkt Euch das", fuhr er mit einem unheim lichen Funkeln in seinen Augen fort, „Ihr laßt Euch auf keiner lei Zugeständnisse «in. Sir dürfen nach dem Gesetze Euer Eigen thum nicht antasten, wenn Ihr ihnen keine Versprechungen macht." Ellen war todtenbleich geworden, aber sie blieb ruhig. „Red' nicht mehr solche Worte, als ob Du Dich aus dem Wege schaffen wolltest. Ist denn Deine Ehre völlig eingeschlafen? Siehst Du es denn nicht ein. daß Du auch ihr, die es gewagt hat, mit Dir zu spielen, beweisen mußt, daß Du ein Anderer bist, al» wie sie Dich taxirte?" Ellen fühlte instinctiv, daß hier "allein die Stelle war, wo sie d«n Verzweifelten fassen konnte, und wie von einer plötzlichen höheren Eingebung erfaßt, beugte sie sich feierlich über Sen finstrr Dastehenden, und ein wunderbare- Licht leuchtete auf ihrem Ant- lih, während sie langsam weiter sprach. „Alles Andere üb«rlaß dem Gott, der unsere Schritte leitet und uns unsere Bestimmung gab. Suche darnach, und Du wirst sie erkennen. Du bist tief gefallen, niedere Geister haben Gewalt über Dich gewonnen, weil Du sie ihnen einräumtest. J«tz erhebe Dich in Deinem Sinn. Die Binde ist von Deinen Augen ge nommen, Du bist wieder sehend — wir armen Menschen er ringen unsere Erkenntnisse meist unter tiefem Leide — aber die Erkenntniß wird ihre Frucht tvagen — urtd Hilfe wird Dir
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