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Leipziger Tageblatt und Anzeiger : 24.02.1901
- Erscheinungsdatum
- 1901-02-24
- Sprache
- Deutsch
- Digitalisat
- SLUB Dresden
- Lizenz-/Rechtehinweis
- Public Domain Mark 1.0
- URN
- urn:nbn:de:bsz:14-db-id453042023-190102240
- PURL
- http://digital.slub-dresden.de/id453042023-19010224
- OAI-Identifier
- oai:de:slub-dresden:db:id-453042023-19010224
- Sammlungen
- LDP: Zeitungen
- Strukturtyp
- Ausgabe
- Parlamentsperiode
- -
- Wahlperiode
- -
Inhaltsverzeichnis
- ZeitungLeipziger Tageblatt und Anzeiger
- Jahr1901
- Monat1901-02
- Tag1901-02-24
- Monat1901-02
- Jahr1901
- Titel
- Leipziger Tageblatt und Anzeiger : 24.02.1901
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Veznq->Vre1- <» der Hauptexpeditton > der dea im Stadt» -«zirk und dea Vororten errichtete» Nu», aabestellea abgeholt: vterteljlthrlich >ch 4.KV, Lei zweimaliger täglicher Zustellung ins Hau« S.LO. Durch die Poft bezog,» für Deutschland ». Oesterreich: vierteljährl. ^l 6. Man abonnirt srrner mit entsprechendem Postausschlag bei den Postanstolten in der Schwei». Italien, velgien, Holland, Luxem burg, Dänemark, Schweden und Norwegen, Rußland, den Donaustaaten, der Europäischen Türkei, Egypten. Für alle übrigen Staate» ist der Bezug nur unter Kreuzband durch die Expedition diese« Blatte« möglich. Die Morgen-klusaabe erscheint um '/^7 Uhr, die Lbend-Au-gave Wochentag« um k Uhr. Lr-aclion vn- LrveLUro«: Aohanntsgaffe 8. Filialen: Alfred Hahn vorn», v. Klemm'« Sortim. Uuu>«rsitLt«straße 8 tPaultnum), Soul« Lösche, Kathariuenstr. 14, Part, und König-Platz 7. WxMrIagMM Anzeiger. Imtsölatt des Königlichen Land- und Amtsgerichtes Leipzig, des Mathes und Molizei-Amtes -er Ltadt Leipzig. Anzeigen »Prei- die 6 gespaltene Petitzeile 25 H. Reklamen unter dem Redactton-strich (4 gespalten) 75 vor den Familienuach- richten (6 gespalten) bv Tabellarischer und Ziffernsatz entsprechend höher. — Gebühren für Nachweisungen und Offertenannahme 2ü (excl. Porto). Grtra-Beilagen (gesalzt), nur mit der Morgen-AuSgabe, ohne Postbeförderung 60.—, mit Postbesörderung 70.—. Ännahmeschluß für Änzeige«: Abrnd-vu-gabe: Bormittag« 10 Uhr. Morgen-AuSgabe: Nachmittag« 4 Uhr. Bei den Filialen und Annahmestellen je «in« halbe Stunde früher. Anzeigen sind stet» an die Expedition zu richten. Tie Expeditton ist Wochentag« ununterbrochen geöHnet von früh 8 bi« Abends 7 Uhr. Druck und Berlag von L. Polz in Leipzig. M. Sonntag den 24. Februar 1901. 95. Jahrgang. Aus der Woche. Da« Befinden der Kaiserin Friedrich soll sich zwar in den letzten Tagen nickt verschlimmert haben, e« rechtfertigt aber seiber, wie bestimmt versichert Wirb, dir ernstesten Besorgnisse. Tiefer Umstand benimmt der Ankunft de- König- Eduard in Cionberg jede- po iiische Interesse. Der Bruder bat der sckwerleibenden Schwester die letzten Giühe der soeben verstorbenen Mutter ru überbringen. Damit batte sich mancke» deutsche Preßorgan über alle noch so v>rstanvliche Antipalbie binauö beruhigen können. Bon einem „Gegenbesuch" ist keine Rede und wahrschein lich erfolgt ein solcher auch im Frübjahr nicht. DaS englische Hofblatt „Trukb", da- ibn ankündigt, ist wahrscheinlich nur von einem übermiilbigen britischen Junker, der die Stimmuna de« deutschen Volkes kennt und keinen Grund siebt, uns nicht zu reizen, zu seiner Melkung veranlaßt worden. Auf alle Fälle wäre auch ein spaterer Besuch de- englischen König- politttck glcickgiltig. Wir baden in den letzten Tagen wieder die Bestätigung dafür erlangt, daß der britische Baal sich durch Opfer nickt rübren läßt. Selbst ein Blatt, da- der deutschen Negierung immer gefallen will und in der Verehrung vor England erstirbt, findet, die Regierung de« König- Eduard habe die Ankündigung einer neuen militärischen Action, zu der Gras Walderser veranlaßt wurde, „dilatorisch" behandelt. Un befangenen Leuten siebt ein klüftigere- Wort zur Beifügung; sie meinen, England habe den China-Plan seine- Cbina- Verbündeten geradezu mit Hobn bebandelt. Sie, die un befangenen Leute, liegen deswegen keinen Groll. Es ist ein Glück für Deuilchlanv, da,; der neueste Berliner Einfall ein Einfall bleibt Nationalempfi bliche Naturen mögen sich üverdiesen aber maligen Scklag inS Wasser und die erheiternde Wirkung, die er im Auslände unverkennbar geübt bat, damit trösten, daß da- „Berliner Tageblatt" lagt: „Woran alle Kunst der zünftigen Diplomaten sich «eit Wochen vergeblich abmübt, da ist also der eisernen Faust teS Feldmarschalls Grafen Waldersee in einigen Stunden geglückt. Er brauckte sie nur zu erbeben, nickt einmal sie niedersaus^o zu lassen." Vorau- geschickt ist, daß„unter der Dl ohuug deS Felbmavschalls Waldersee mit einer großen Expedition nach Taiyuanfu oder womöglich (!) nach Singansu die Ausflüchte machende Taiclik der Chinesen Wie Schnee in der Sonne zerschmolz." Für diese Leistung verdient ter Beamte de- Auswärtigen Amtes, der den Rechercheur de- „Berliner Tageblattes" informirt bat, eine Beförderung und dieser selbst da- Allgemein« Ehrenzeichen oder eine noch böbere Auszeichnung. Aber mit der Erwerbung der Anwartschaft auf Orden und Titel macht mau die Weltgeschichte nicht, wenigstens nickt die bessere. Tie dem Grafen Waldersee suggerirte Idee hat auch in Deutschland sehr wenig Beifall gesunden und selbst rin Blatt wie die „National-Zeitung", die dem Grafen Bülow sebr ungern webe lhut, begleitete di« Meldung von der proj ciirlen Großlbat mit der philisteriösen aber sehr verständigen Bcmeikung, man möge sick der chinesischen Regierung gegenüber auf die schlechterdings unerläßlichen Forderungen beschränken. Daß die erhobene und nichi einmal niedergesauste eiserne und, wie e- vollständiger heißen sollte, marsckallitabbegabte eiserne Faust de« Grafen Waldersee die Dinge in China auch nur um die LeibeSläuge einer M.lbe vorwärts gekrackt, glaubt außer den beiden oben erwähnten Rubme-candidaten kein Mensch. E- ist auch gar nicht möglich, mehr als das „schlechterdings Unerläßliche" »u erreichen, denn all« anderen Mächte treiben in Cbina überlegte Politik, Realpolitik. Rußland ist die letzte Macht, mit der Deutschland, wenn seine Regierung sich gleichfalls auf eine nüchterne Auffassung der chinesischen Dinge besinnen dürfte, in einen ernstlichen Conflict girathen könnte. Rußland sucht in West-und Nord- asieu Macht, muß sic dort suchen; wir suchen in jenen Gegenden Absatzgebiete. Der viel beredete Artikel einer russischen Zenuug — deshalb viel beredet, weil da- deutsche halbamtliche Telegraph^ nbureau ibm eine Weltverbreitung gegeben — diese Preßergießung ist noch lange kein Grund, einen Gegensatz zwischen russisch-politischem und deutsch-industriellem AusdehnungSbegehre» nach zuweisen. Im Gegentbeil, wenn der Artikel, wje unsere Freihändler behaupten, auf den Finanzminister Witte zurückzuiühren wäre, so hätten wir gegen eben diesen Autor oder ministeriellen Jnsvirator em Zeugniß anzu- jübren, da» rralpoliuscher ist und ohne Aweifel die Meinung de« bedeutenden russischen WirthlchaftSpolttikerS ausdrückt. Herr Witte bat nämlich vor längerer Z it in der russischen Commission zur Regelung de« Getreide handel« bemerkt: Da« Grundel«m«nt unserer productiv«« THStigkett bildet unzweifelhaft die Landwirthichast und «S giebt in Rußland k«in« wichtig«»« wirthsckaftlich« Frag«. Diese Kundgebung ist dir beste Widerlegung de- in Deutschland von sreihändleriscker Seite berüdmt gemachten „Drobartikel-" der in Petersburg erscheinende» „Handel-- und Jnkustriezeitung". Die russisch« Landwirtblchafi, die von Herrn Wille mit Reckt als das Rückgrat des russi'chen Staat-Wesen« bezeichnet wird, bat, soweit Deutschland tu Bet, acht komm», vor allem ein Interesse an der Roggen» ausfubr. Und Herr Witte, der so mächtige heilige Synod und noch stärkere russisch« Factoren könne» niemals wahr macken, wa« jener ZcitungSauSlassui'g zu Grunde gelegt ist, baß nämlich Rußland seinen Roggen bei Eoncurrenten D«utschlaav«, die leine Getreirerölle erheben, schlankweg adzusetzea in der Lage s«i. E« bedarf mebr al- «in«r gewandten Fever dazu, um die große Masse der Engländer zuRoggrnbrotessern zu macke». Und um den Roggen bandelt r- sich nicht allein. Es ist eine sehr brutal« Thaisack«, daß nack dem letzten Lu-weis« Rußland nach Deutschland für 7lk Millionen Mark Lanve-erzeugll'sse verkauft bat und Deutschland nach Rußland nur für 4S7 Million«« Mark. Wear» dieser zwei Ziffern nebmen wir al- Leute, dir keine Spayennaiuren und auch nickt auf tzU-schließlicke Hänkleeinteressen eingeschworen sind, den Peter-» ß»rt»r vchrecklchuß mcht «ast. „Versöhnung." Von einem Mitgliede deS GesammbauSschusses des Deutschen Ostmarken-Verein- wird uns geschrieben: Das führende rheinisch« Centrumsorgan kündigt das Ende des „Experiments hakatistischer Politik" als bevorstehend an und verbindet damit eine Empfehlung der Ver- söhnungSpolitik; wer gegenüber den Polen eine ander« Politik befolgt wissen wolle, der bleibe zwar ein Patriot, sei aber „im politischen Denken und Handeln nicht unbeträchtlich ungeübter", als die Befürworter der Versöhnungspolitik. Je m«hr Anzeichen vorlicgen, daß eine solche Anschauung auch in Regierungskreisen vertreten wird, um so nothwcndiger ist es, an Thatsachen zu zeigen, welche Früchte die Versöhnungs politik der Aera Caprivi in den Jahren 1891 bis 1894 ge zeitigt hat. Vergegenwärtigt man sich vorher in aller Kürze die Art, wie jene Versöhnungspolitik ins Werk gesetzt wurde, so ist mit dem Erlasse des preußischen CultuSministers GrafenZedlitzvom 11. April 1891 zu beginnen. Durch ihn wurde die Ertheilung polnischen Privatunterrichtes und di« Ersetzung des Deutschen durch daS Polnische b«im Religions unterricht wieder gestattet. Noch in demselben Jahre, am 30. De» cember, willigte die preußische Regierung in die Ernennung des Prälaten von Stab lew Ski zum Erzbischöfe von Posen. Im Jahre 1892 wurde Graf SierakowSki während der Anwesenheit <deL Kaisers in Danzig (18. Mai) zum königlichen Kammerherrn ernannt. Durch CabinetSordre vom 27. September 1893 wurde genehmigt, daß auch in der Erzdiöcese Posen der Vorsitz im Kirchenvorstande bei den Pfarrkirchen dem Probst oder Pfarradministrator, im Vorstand« bei den Filialkirchen den gesetzlich bei ihnen an-nstellten Geistlichen übertragen werde. Schon vvrher war die Änovdnug ergangen, daß Kirchenvorstände und Gemeindevertretungen in ihren Ver handlungen und im schriftlichen Verkehre mit den Gemeindemit gliedern und den geistlichen Behörden der deutschen Sprache nur dann sich bedienen sollten, wenn "dies bisher schon der Fall war. oder wenn Kirchenvorstand und Gemeinde vertretung .«L heschlvss«n. Im Jahre 1894 erfolgte mittels Er lasses des Bult u stzn i n i st e r s Bosse vom 16. März die Wiedereinführung des polnischen Sprachunterrichtes in den Volksschulen der Provinz Posen. Im September 1894 ver weigerte der commandircnde General des V. ArmeecorPS von Seeckt di« Stellung einer Militär capelle für die Huldigungsfahrt der Deutschen nach Varzin. Die Zugeständnisse, die in dieser Versöhnungspolitik den Polen gemacht wurden, waren so wichtig, daß selbst der Posener „Kuryer" nicht umhin konnte, sie „nicht unbedeutend" zu nennen. Die Wirkung aber auf die national-polnischen Agitatoren be stand lediglich in einer Steigerung ihrer Ansprüche und ihrer herausfordernden Haltung. So äußerte der „Goniec WielkopolSki" über die Ernennung des Grafen SierakowSki zum Kammerherrn „Mißbehagen", weil er lieber gehört hätte, daß der Herr Graf zum Oberpräsi denten ernannt worden wäre. Dasselbe Blatt formulirte im Juni 1892 die Wünsche der Polen unter Anderem dahin, daß der gesammte Schulunterricht in polnischer Sprache zu ertheilen sei. Der schlesische „ Katolik" ermunterte um die gleiche Zeit die polnischen Schulvorstände, „nur dreist hcrvorzutreten", denn „Minister Bosse ist ein guter und freundlicher Mensch". So er füllten sich die Befürchtungen, die vo-n den Deutschen Ober schlesiens laut wurden, als Graf Zedlitz seine oben erwähnte Verfügung erließ. Vor Allem aber erfuhr das Ccntrum am eigenen Leibe, wie die Polen die Lersöhnungspolitik beant- warteten: am 28. Januar 1894 siegte imReichStagSwahl- kreise Neustadt der Pole Strzoda über den deutschen Cen trumscandidaten. Der Posener „Orendownik" aber feierte die Wahl Strzoda's als einen „großen Sieg deS polnischen Volks willens, ein großes EreigNiß in der Geschichte der Volksbewegung" u. s. w. Mit erhöhtem Selbstbewußtsvin konnte bald danach, am 31. März 1894,auch von den preußischen Polen die hundert- jährtae Feier des Gedächtnisses an den polnischen Nationalhelden Kosziusko begangen werden. Gleichwohl sprach Erzbischof von Stablewski Anfang Mai in einem Dankschreiben an den Papst, das die Antwort auf ein päpstliches Schreiben an die polnischen Bischöfe bildet«, von dem unglücklichen pol nischen Volke und den traurigen polnischen Her ze n. Am Ende des Wonnemonats 1894 waren die Aeußerunqen der nationalpolnischen Propaganda besonders auffällig. Der „Goniec" ermahnte di« Polen, keinen Concertgarten zu be treten, in dem die Programme nur in deutscher Sprache abgefaßt seien. Der . Dzi« nnik" fordert« auf, in allen Localen uns Geschäften polnisch zu sprechen, damit die Wirth« und GeschäftS- inhaber zur Anstellung polnischer Bedienung gezwungen würden. Am 3. Juni 1894 begannen di« Verhandlungen des „Zweiten Katholikentages für di« polnische Bevölkerung unter pnußischer Herrschaft". Da rühmte Herr von ChlapowSki, daß jetzt am politischen Himmel für di« Bolen ein Sonnenstrahl sich zeiqe, Propst Schroder (!) indessen verlanat« «ine polnische katholische Universität! Damals war eS auch, daß Erzbischof v. Stablewski seine berühmten Um, zöge durch die Provinz veranstaltete, geleitet von 50—100 Reitern in polnischen Uniformen oder Nationalcostümen, begrüßt von der Bevölkeruna durch das AuSbänaen von Fahnen in pol nischen Farben. Dies«n polnischen FriihlinaStagin entsprach der polnische Herbst. Am 16. September erschienen in Lembera preußisch« Dolen und aus dem Festmahl, das ihre Landsleute ihnen aerüstet hatten, wurden von vreuhischen Staatsangehörigen bosnischer Auna« jene unaeheuerlicken Reden qebalstn, deren W'edera-abe durch den Dziennik" zeigte, wie doch der pol nische Uebermuth anaeschwollen war. Der Preuße Or. Ku - z, t«lan sagt« unter Anderem: „Wir versickern «nck. daß wir un- nicht eraeben.,, Uebrraft ist polnischer Geist, überall bör«n wir die St'mm« unsrer Bor- satzrrn: haltet euch und »rgebt «nch nicht. Wer in diesem pol nisch«, Land« da« Brod »fs«a wird, muß frührr od«r fpi»«r Pole w«rd«n." Herr von Ko-eiel-Ii sagte darauf di« viel erörterten, von ihm selbst so unglücklich int»cpr«tir:en Worte: ,,Di« pk'ußischen Pole» Hütt«» von den -oiizilch»« .. jene Kl»gh«tt -,l-»»t, di« dsm G-fßtzl« tzdufig Httll« s chwetgen auferlegt, damit nicht geäußert werde, was schaden, nicht aber nützen werde." Solche offenen Bekenntnisse landesverrätherischer Gesinnung erschöpften endlich die Geduld des Königs von Preußen. Am 21. September ermahnte der Kaiser in Thorn die Polen, sich unbedingt als preußische Unterthanen zu fühlen, indem er hinzufügte: „Ich kann auch sehr unangenehm werden". Ter Reichskanzler Graf von Caprivi hat das Ende der Ver söhnungspolitik noch im Amte erlebt, am 26. October 1894 erst ist er zurückgetreten. Ueber diesen Termin hinaus den „Er folgen" nachzugehen, welche die Bersöhnungspolitik gezeitigt hat, ist überflüssig. Die im 'Vorstehenden angeführten Thatsachen beweisen unwiderleglich, daß die allerneueste Bersöhnungspolitik ebenso Fiasko gemacht hat, wie diejenige Friedrich Wilhelm's IV. Fast möchte man sagen, daß jede entgegenkommende Maßnahme der preußischen Regierung Zug um Zug von den Polen mit einer Herausforderung des preußischen Staates und des DeutschthumL beantwortet worden ist. Knapp ein halbes Jahrzehnt ist ver gangen, seit wir diese Erfahrungen von Neuem haben machen müssen. Wenn trotzdem jetzt von dem führenden rheinischen Centrumsblatte wiederum im Tone anmaßendster Ueberlegenheit die Bersöhnungspolitik empfohlen wird, so ist das eine dreiste Specm. ,/wn auf die Vergeßlichkeit oder die Unwissenheit. Die Regierungskreise aber, die dem Zauberworte „Bersöhnungspolitik" sich nicht entziehen können, müssen sich doch sehr ernstlich fragen, wie sie es rechtfertigen wollen, wenn sie daran denken, ihrerseits nochmals dieselben Erfahrungen zu machen, die vor einem Jahr fünft gemacht worden sind. Der Krieg in Südafrika. Kitchcncr'S neue Kriegführung. Ueber die englischen Heeresverhältnisse in Südafrika während der letzten paar Monate giebt ein Berichterstatter der „Times" in Victoria mancherlei Auskunft, di« solchen Lesern, die mit Kriegswesen und Krieg nicht aus persönlicher Anlchauung ver traut sind, Aufklärung über verschiedene, ihnen bisher unklare Thatsachen bietet. Als Lord Kitchener den Oberbefehl übernahm — schreibt dieser sachkundig« Gewährsmann — sah er und die unter ihm stehenden Generäle sich ainer Lage gegenüvec, die der jenigen ziemlich ähnlich war, die Lord Roberts ein Jahr vorher oorgefunden hatte. Im natürlichen Laufe der Dinge war ein gewisser Zersetzungsproceß eingetreten. Die Truppen waren ziemlich locker über die beiden ehemaligen Boerenstaaien verstreut, Brigaden, die eigentlich hätten Zusammenwirken sollen, hatten die Fühlung mit einander verloren. Auf den Verbindungslinien gab es Puncte, wo ganze Bündel von Cavallerie, Infanterie und Artillerie zusammengezogen waren, während andere nicht minder wichtige Puncte, unzureichend besetzt, jeden Augenblick einer Ueberrumpelung ausgesetzt blieben. Es gab Stellungen von un zweifelhafter strategischer Wichtigkeit, aber ganz ohne Besatzung, und ganze Bataillone fanden sich an anderen Stellen vollständig vereinzelt und nutz- und zwecklos aufgestellt. Züge und ganz- Batterien Artillerie standen an Orten, wo nicht die allermindestc Aussicht auf einen Boerenbesuch vorlag. Niemanv wird Lord Roberts aus diesem Zustande einen Vorwurf machen wollen. Es handelt sich nur um die unvermeidliche Folge eines lange und weit hinausgeschleppten Feldzuges in schwierigem Gelände uno auf furchtbar weit ausgedehntem Kriegsschauplätze und einer voll ständigen Umwandlung im Charakter de5 Krieges auf Seiten der Boeren, der sich auS einem Vertheidiaungsfeldzug« in einen offen siven Kleinkrieg umgestaltet hatte. Das eigentlich« Kriegsdrama war vorüber, aber es folgte ein Epilog, und für diesen Epilog mußte die ganze Bühne abgeräumt und neu in Ordnung ge stellt werden, eine schwierig« und viel Zeit verschlingende Auf gabe. So wurde denn der Vorhang niedergelassen und daS Publicum mußte sich bescheiden, zu warten, bis der Regisseur Kitchener mit seinen Gehilfen die Bühne für die große Schluß scene hergerichtet hatte. Nunmehr — Ende Januar — ist Alles bereit, Jeder an seinem Platze und die handelnden Personen harren angelegentlich des Stichwortes. An diesem Puncte scheint es angemessen, einen Blick auf die Einzelheiten deS ReorgaittsationSwerkes zu werfen, das die letzten zwei Monate auSgefullt hat. Als Lord Kitchener das Kom mando übernahm, befand er sich an der Spitz« eines Heeres, das auf dem Papier 210 000 Mann stark war. Darunter befanden sich allerdings 20000 Mann, die in Folge von Krankheiten oder au- andern Gründen kampfunfähig waren. Weitere 50 000 Mann muhten zu Besatzungszwecken und zum Schutze der Verbindungs linien abgetheilt werden, so daß für active Verwendung höch stens 140 000 Mann zur Verfügung blieben. Verstärkungen waren nachgesucht worden und theilweise schon unterwegs, unv vom 6. Februar an, wo die allgemeine Bewegung beginnt, wirv der Oberbefehlshaber ein Heer von etwa 160 000 Mann zur Verfügung baben, da- zur Hälfte auS Artillerie, Caval lerie unv berittener Infanterie besteht. Dieses Heer wird brigadenweise operiren und jede Gruppe von Brigaden steht für sich unter dem Oberbefehl eines Divisionsgencrals. Die alten DivisionSverbände sind in der Auslösung begriffen. Ein zelne Divisionen, wie z. B. di« siebente, baben ganz aufgehört zu bestehen. Heut« stehen im Ganzen 38 Brigaden im Felde, und darunter sind nicht weniger als 26, deren Commandeure nur ört lichen und zeitweiligen Commandorang besitzen. (Nach unserem Sprachgebrauch Obersten, Oberstleutnants und vereinzelt sogar Majori, die mit der Führung einer Brigade beauftragt sind.) Di«s« Brigaden sollen in genauer systematischer Weis« Zusammen wirken. Für die Zwecke des neuen Feldzugsplanes ist das ganze Gebiet deS Kleinkrieges wie ein mili tärische- Schachbrett abgetheiit worden. Die ein zelnen Vierecke werden mit Brigaden ruppen bedeckt und jeder Brigade ist ihr besonderes Operationsgebiet angewiesen. Sie bewegt sich in bestimmter Richtung und säubert ihr Gebiet, bis sie «inen lpunct in dem Gebiet einer zu einer anderen Gruppe gehörigen Brigad« erreicht. Wird es rathsam erachtet, so tritt al-dann die Brigade ihren Rückmarsch an und streift abermals ihr besondere- Sediet ab. Im Allgemein«» aber ist die ganze Bewegung «ine fortschreitende und nach dem Innern ge richtete, zugleich von Norden, Süden, Westen unv Osten her. so daß im Nothfalle leicht vier Brigade gruppen sehr schnell an einem Puncte gesammelt iverden und «In überwältigende- Gewicht zur Geltung'brinqrn könnten. Aeve Brigade wird durch ihre Patrouillen mit den übrigen zur Reckten und zur Linken, in der Front und im Rücken Fühlung haben. Unfehlbar werden sie sehr bald mit dem Foindc in Berührung kommen, und wenn es den Boeren gelingt, der einen Gruppe von Brigaden zu entrinnen, so werden sie nun dadurch einer der anderen Gruppen mitten in die Hände fallen, während sich hinter ihnen das Netz der übrigen schließt. Die Vorkehrungen für die Proviantirung des Heeres sind sehr einfach und vollständig. Niederlagen sind in kurzen Zwischen räumen von einander eingerichtet und mit allen Bedürfnissen für Monate ausgestattet. Thatsächlich wird eine Brigade nicht m«hr als zwei Tagemärsche von einer Proviantniederlage entfernt sein und sollte, was ja immerhin möglich ist, hier oder da der Feind einen erfolgreichen Vorstoß auf eine solche Nieder lage machen, so wird den zunächst betroffenen Truppen dadurch höchstens die Nothwendigkeit auferlegt, sich einen oder zwei Tage mit halben Rationen zu begnügen. Da sie immer in verhältnißmäßig geringer Entfernung von einer Niederlage marschircn, dürfen sic sich mit leichtem Gepäck begnügen, und die reitenden Truppen werden außerdem über eine genügende Anzahl Handpferde verfügen, um häufig wechseln zu können. Auch beim Sanitätscorps hat man ebenfalls aus den Erfahrungen des Krieges seine Lehre gezogen. Der ganze Plan ist verschiedentlich erprobt worden und arbeitet glatt und genau, und sobald Alles vollendet ist, wird an die Stelle der scheinbaren englischen Un- thätigkeit und Defensive ein lebhafter, rühriger Angriffskrieg treten. Es sei diesen Ausführungen deS „Times"-Bcricht- erstatters hinzugefügt, daß sie vor den concentrischen Angriffen im südöstlichen Transvaal und vor De Wet's Einbruch in die Capcolonie geschrieben sind. Diese beiden Ereignisse, sowie zahl lose Eisenbahnangriffe der Boeren, zum Theil in unmittelbarer Nähe der Hauptcentren, haben die Erwartungen deS Bericht erstatters bis jetzt nicht eben bestätigt. (Köln. Ztg.) Die Wirren in China. * London, 23. Februar. lTelegramm.) Die „Morniug Post" meldet aus Peking, Li-Hung-Tichang erklärte, die Be strafung von Prinz Tsckwang und Dühsien sei in Ueber- euuiiin^'unq mit den Forderungen der Gesandten vollzogen worden. (Wiederholt.) "London, 23 Februar. (Telegramm.) „Standard" meldet an- Lhangbai: Ein kaiserlickeS Decret ist erlassen worden, durch welches den Beamten in Peking befohlen wird, schleunigst die Paläste in der verbotenen Stadt wieder- berz ustellen und für den Hof in Bereitschaft zu ietzeu, welcher, wie es heißt, Singanfu im letzten Theil des März verlassen will. — Demielben Blatte zufolge haben während der Fricdensverhandlungen in Peking die auswärtigen Vertreter dem Vernehmen nach die Kaisertn-Wittwe vollkommen ignorirt und aus schließlich die Autorität deS Kaisers Kwangsü anerkannt. (Wdhlt.) Deutsches Reich. r-e Berlin, 23. Februar. (Der Trust als Anleihe vermittler!) Das wäre denn das Neueste, was wir im Bereich der großkapitalistischen Entwickelung ver Vereinigten Staaten erleben. Allen Ernstes, unv als ob nichts dabei zu er innern wäre, hat der Telegraph soeben die Nachricht verbreitet, baß die Vertreter Chinas in den Vereinigten Staaten mit der Standard Oil Company, also mit Herrn Rockefeller, über die Beschaffung der chinesischen Kriegsanleihe verhandeln. Zunächst hat uns diese Nachricht mit einer gewissen Heiterkeit erfüllt. Wenn H«rr Rockefeller die deutschen Petroleumconsumenten in nichts weniger als zartfühlender Weise ausgebeutet hat, um ferne Milliaooen jetzt den Chinesen darzulcihen, damit sie uns Vie Kriegskosten ersetzen können, legt sich ein wohlthätiges Pflaster auf die Wunden, welche unS die Standard Oil Company geschlagen hat. Und wenn Herr Rocke fcller nicht für sich allein Gläubiger Chinas werden w^ll, sondern mit einigen anderen amerikanischen Riesenrrusts in Verbindung tritt, um das chinesische Creditbevürfniß durch ein Syndica: der Trusts zu. befriedigen, dann wird diese Wirkung nur um so wohlthätiger. Aber nach d«r anderen Seite hin sind die Per spectiven doch im hohen Grade bedenklich. Man hat lange genug darüber geklagt, daß bestimmte große Wöltdanthäüser 'm so weitvor- geschrittenem Maße die Gläubiger der Großmächte der Welt ge worden sind, daß ohne sie nichtlKirieggeführi, noch Frieden geschlossen Verben kann. Di« Thatsachen haben vorläufig noch nicht be stätigt, daß dieses Anhänglichkeitsoevhältniß ein bedenkliches oder gar unerträgliches wäre. Ein gewisser «schuh für die ver schuldeten Großmächte lag ja auch einerseits in den internatio nalen Beziehungen der Weltbankhäuser, andererseits in ihrem Charakter reiner Geldinstitute. Ganz anders aber würde die Abhängigkeit sich gestalten, wenn derartig« Riesentrusts, wie sie in Amerika sich entwickelt Haven, mit ihren ausgesprochen eng herzigen Tendenzen die entscheidende Instanz über Krieg und Frieden in der Welt wevden sollten. Das Geldinstitut trägt die Tendenz der Weltfrievensvermittelung in sich. Ein Trust lebt vom Kampf« und wurzelt mit allen seinen Interessen in regionalen Grenzen, von denen aus er sich die Welt zu unter werfen strebt. Da könnte er wohl kommen, daß die Abhängige keit der Schuldner vom Gläubiger sich wesentlich veränderte. Jetzt sagt man: der Schuldner kann keinen Krieg erklären, ohne sich der Zustimmung seines Gläubigers vergewissert zu haben. Wenn Herr RockefeÜer dieser Gläubiger ist, kann die Sach« so kommen, daß der Schuldner in schärfer« Gegensätze internatto naler Natur hineingedrängt wird, gleichviel, ob er selbst kriege rische Neigungen hat oder nicht. Und je weniger wirthschaftlich selbstständig der Schuldner ist, wie das von China ohne Weiteres ' gilt, desto stärker wird der Einfluß des Gläubigers wirken können, wenn es sich darum handelt, durch den Schuldner dritten Staaten Verlegenheiten bereiten zu lassen. Gewiß sind das weitauSschauende Gedanken, aber die Perspectiv« ist durch das anscheinend so harmlose Telegramm aui New Kork plötzlich derart aufgehellt worden, daß man bei ihr verw«il«n mußt«. Auch sollen die modernen Staaten nicht von enzen Eestchts- § puncten aus geleitet werden, sondern weite Entivickelunatzeit- i räume berücksichtigen. Und da darf mgn doch ap die Vdreffe der j modernen Großmächte die Mahnung richten: vonsüln!
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