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01-Frühausgabe Leipziger Tageblatt und Anzeiger : 07.03.1901
- Titel
- 01-Frühausgabe
- Erscheinungsdatum
- 1901-03-07
- Sprache
- Deutsch
- Digitalisat
- SLUB Dresden
- Lizenz-/Rechtehinweis
- Public Domain Mark 1.0
- URN
- urn:nbn:de:bsz:14-db-id453042023-19010307019
- PURL
- http://digital.slub-dresden.de/id453042023-1901030701
- OAI-Identifier
- oai:de:slub-dresden:db:id-453042023-1901030701
- Sammlungen
- LDP: Zeitungen
- Strukturtyp
- Ausgabe
- Parlamentsperiode
- -
- Wahlperiode
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Inhaltsverzeichnis
- ZeitungLeipziger Tageblatt und Anzeiger
- Jahr1901
- Monat1901-03
- Tag1901-03-07
- Monat1901-03
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BezuqS »Preis in der Hauptexpedition oder den im Stadt bezirk und den Vororten errichteten Aus gabestellen abgeholt: vierteljährlich 4 50, bei zweimaliger täglicher Zustellung ins HauS 5.50. Durch die Post bezogen für Deutschland u. Oesterreich: Vierteljahr!, 6. Man abonnirt ferner mit entsprechendem Postaufschlag bei den Postanstaltcn in der Schweiz, Italien, Belgien, Holland, Luxem burg, Dänemark, Schweden und Norwegen, Rußland, den Donaustaaten, der Europäischen Türkei, Egypten. Für alle übrigen Staaten ist der Bezug nur unter Kreuzband durch die Expedition dieses Blattes möglich. Die Morgen-AuSgabe erscheint um Uhr» die Abend-AuSgabe Wochentags um 5 Uhr. Re-action und Expedition: JohanniSgasse 8. Filialen: Alfred Hahn vorm. O. Klemm'- Sortim. UnwersitätSstraße 3 (Paultuum), Louis Lösche, Katharinenstr. 14, part. und Königsplatz 7. .R 12«. Morgen-Ausgabe. Wp,ügtr Tageblatt Anzeiger. Amts6lalt des Königlichen Land- und Amtsgerichtes Leipzig, -es Nathes und Nokizei-Ämtes der Ltadt Leipzig. Anzeigen »Preis die 6 gespaltene Petitzeile 25 H. Reclamen unter dem RedactionSstrich (4 gespalten) 75 H, vor den Familiennach richten («gespalten) 50 H. Tabellarischer und Ziffernsatz entsprechend höher. — Gebühren für Nachweisungen und Lffertenannahme 25 H (excl. Porto). Grtra-Beilagen (gefalzt), nur mit der Morgen-Ausgabe, ohne Postbeförderung .XL 60.—, mit Postbesörderung .4! 70.—. Annabmeschlnb für Anzeigen: Abend-AuSgabe: Vormittags 10 Uhr. Morgen-Ausgabe: Nachmittags 4 Uhr. Bei den Filialen und Annahmestellen je eine halbe Stunde früher. Anzeigen find stets an die Expedition zu richten. Tie Expedition ist Wochentags ununterbrochen geöffnet von früh 8 bis Abends 7 Uhr. Druck und Verlag von E. Polz in Leipzig. 85. Jahrgang. Donnerstag den 7. März 1901. Amtlicher Theil. lieber das Vermögen deS Kaufmanns PhiliPV Julins Alexander Auerbach, Inhabers einer mechanischen Schuhwareusabrik in Leipztzl, Sternwartenstr. 39/41, ist heule, am 19. Februar 1901, nach mittags ' ,6 Uhr, das Konkursverfahren eröffnet worden. Verwalter: Herr Kaufmann Johannes Müller hier, König» Johannstr. 22. Wahltermin am 9. März 1901, vormittags 11 Uhr. Anmeldefrist bis zum 2A. März 1901. Prüsungstermin am 2. April 1901, vormittag-Z II Uhr. Offener Arrest mit Anzeigevslicht bis zum 19. März 190l. Königliches Amtsgericht Leipzig, Abt. 11.4.', Nebenstelle JohauniSgasse 5, den 19. Februar 1901. Bekannt gemacht durch den Gericht^schreiber Sckr. Beck. NachläßMlctivn. Freitag, Sen 8. März, Vormiit. von V, 10 Uhr an, sollen Töpferstraste 2, Hl., aus einem Nachlasse stammend, einige Mahag.-Möbcl, als: 1 Bücherschrank, 1 Eommodc, 1 Waschtisch mit Marmorpl., 1 Bettstelle mit Sprung feder- u. Rosthaar-Matraste :e, ferner 1 Bett, Wäsche, 1 Gehpelz und biv. gute Herrcnklcidcr, 1 Partie z. Th. neue Albums u. div. Herrensachcn, l Partie Bücher, einige Schmnckfachc» und verschiedene andere Gegenstände öffentlich ver steigert werden. kranke, Loealrichter. Professor vr. Karl Liedermann f. n. Nach seiner Rückkehr vom Landtage batte Biedermann seine akademische Tbätigkeit wieder ausgenommen. Tas Verbot, staatsrechtliche Vorlesungen zu halten, war stillschweigend fallen gelassen worden. Daneben wid mete er sich wieder literarischen Arbeiten. Ein von ihm herausgegebeneü großes Sammelwerk „Germania, die Vergangenheit, Gegenwart und Zukunft der deutschen Nation", dem viele der Frankfurter College», u. A. der ehr würdige E. M. Arndt, ihre Theilnabme schenkten, brachte cs bei der Ungunst der Zeiten nur bis zu zwei Bänden. An seine Stelle traten die „Deutschen Annalen zur Kenntniß der Gegenwart und Ennnerung an die Vergangenheit", die sich unmittelbarer an die Tagesereignisse anschlosseu. Aber so gleich das erste Heft zog dem Herausgeber einen höchst Wunderlichen Preßproceß und einen Monat Gefängniß zu — nach dem Unheil unseres berühmten StrafrechtSlehrerS von Wächter „das Skandalöseste, was er kenne": wegen Aufnahme eines Angriffs gegen Napoleon III., den damals von den deutichen Regierungen noch gar nickt anerkannten Mann des Staatsstreichs! Und das Ministerium Beust, unseligen Andenkens, benutzte diese Gelegenheit, um den unbequemen Professor gegen die Fürsprache der philo sophischen Facnltät und gegen Gesetz und Neckt vom Lehr amte zu entlassen. Dies war für ibn um jo schmerzlicher, als er sich damals mit dem Plane trug, die deutsche Cultur- aeschicbte „als ein allseitiges Bild der Gesammtlbätigkeit dcö Volkes im organischen Zusammenhang aller Tbeile und nach bestimmten inneren Entwickelungsgesetzen" in umfassender Weise zu behandeln. Er hielt nun zunächst eine Reihe öffentlicher Vor träge über bas l8. Jahrhundert und benutzte dann seine unfreiwillige Muße zur Ausarbeitung eines größeren Werkes über diesen Gegenstand, von dem der 1. Band 1854 unter dem Titel erschien: „Die politischen, ma teriellen und socialen Zustände Deutschlands im achtzehnten Jahrhundert". Ilm aber wieder eine bestimmte Be- rufstbäligkeit, der seitherigen äbnl ck, zu gewinnen, richtete er im folgenden Jahre sein Absehen auf die neubegrünkete polytechnische Hochschule iu Zürich. Bevor jedoch von dort eine Entscheidung kam, erhielt er von Weimar aus die Be rufung aiS Leiter der balbofficiellen Weimarischen Zeitung, welcher der Verleger H. Böhlau eine erweiterte Bedeutung zu geben beabsichtigte, und nahm sie an, nachdem er volle Sicherheit dafür erlangt hatte, daß er nicht in die Lage kommen könne, etwas gegen seine Ueberzeugung vertreten zu müssen. Von dem trcfflicken Minister von Watzdorfs, dessen Charakter und politische Ansichten ihm von vornherein das vollste Vertrauen einflößten, mit gleichem Vertrauen und mit Wohlwollen aufgenommen, von allen Seilen achtungs voll gewürdigt und unterstützt, sand er, ter anderwärts Vervehmte und Verfolgte, hier eine so befriedigende Wirksamkeit, wie er sie kaum batte erwarten können. Nach fünf schweren Jahren der Entsagung thaute er jetzt gleichsam wieder auf und gab sich den Freuden eines vertrauten Ver kehrs mit Gleichgesinnten rückhaltlos bin; auch seine Frau, die mit ihm schwer gelitten und ihre glückliche Heiterkeit deS GemülhS fast verloren batte, fühlte sich neu belebt, und die Kinder wuchsen fröhlich heran. Neben den NcdactionSgeschästen arbeitete Biedermann weiter an seinem großen culturgeschicktlichen Werke, doch wurde diese Arbeit oft durch Auisätze über Fragen der Tagespolitik, u. a. für die hiesige „Deutsche Allgemeine Zeitung", auch durch Flugschriften und Abhandlungen mannigfaltigen Inhalts unterbrochen. Wieder holt mahnte er hierbei an den Beruf Preußens zur Lösung der deutschen Frage; auch trug er durch eiuen in diesem Sinne g eflogenen ausgedehnten Briefwechsel mit Gesinnungsgenossen zur Entstehung deS Deutschen National vereins bei. In Weimar war es auch, wo seine mehrfach mit Erfolg aufgeführten vaterländischen Dramen entstanden: „Heinrich IV ", „Otto III." und „Der letzte Bürgermeister von Straßburg". Auf die Dauer wurde ibm dock der Wirkungskreis in Weimar zu eng, zumal als das politische Leben in Deutschland sich wieder zu regen begann. Er nahm daher, als 1863 die Firma F.A. Biockuaus in Leipzig die schon früher an ibn gerichtete Auf forderung, die oberste Leitung der „Deutschen Allgemeine» Zeitung" zu übernehmen, nachdrücklich wiederholte, diesen Ruf an. In verdienstvoller Weise hat er diese Zeitung über 15 Jahre lang geleitet, und als sie schließlich 1879 einerseits von dem Wettbewerb der örtlichen Tagesblätter und ter großen Berliner und Wiener Zeitungen, in den kleinen Städten nud auf dem Lande von den unter Beust ins Leben gerufenen zahlreiche» Amtsblätter» beemiräckttgt, von du Partei aber zu wenig unterstützt, ihr Erscheinen rinstellte, machte sich die dadurch entstandene Lücke schmerzlich fühlbar. Im Herbst 1863 war B. nach Leipzig zurllckgekehrt. Bald nachher winde er wieder zum Stadtverordneten ge wählt, auch 1865 auf Verwendung ter philosophischen Facultät, ohne eigene Bewerbung, als außerordeiiil eher Professor an der Ilniversiiät mit dem früheren Gebälk wieder angcstcllt, und die Zuhörer strömten dem verehrten Lehrer so zahlreich und so freudig zu wie ehedem. Der Gang der Tinge im Frühjahr 1866 bot ibm Anlaß zu einer ähnlichen Tbat wie 1848. Da die Bcust'sche Politik ihm schwere Besorg»iß nm daS Schicksal Sachsens und um die Folg'n für Deutschland cinslößte, brachte er es Anfang Mai zu Wege, daß Rath und Stadtverordnete eine Vorstellung im Sinne einer von Sachsen zu beobachtenden strengen Neutralität an die Regierung richteten. Tie Folge war eine scharfe Rüge, welche der Stadtrath ruhig zu den Acten nahm, während das Sladlvervrdneten-Collegium auf Biedermann's Antrag zu Protokoll erklärte, daß nach seiner unveränderten Ueberzeugung die beiden Körperschaften „nur nach bestem Wissen und Gewissen daS gethan haben, was sie als ihre Pflicht gegen die Stadt sowohl als gegen das Vater land erkannten". Von einer großen Bürgerversammlung in ter Buckhäudlerbörse wurde kinz darauf gegen Len lebhaften Widerspruch einer großdeutscken und sccialisliscken Minder heit, als deren Vertreter I)r Heine und Bebel anftraten, eine Petition gleichen Inhalts an den Landtag beschlossen, die aber gleichfalls eifolgloö blieb. Als dann liack Ausdruck des Krieges, dessen Eisolg sich so rasch entschied, ein Tbeil von B.'ö polnischen Freunden die glücklichste Lösung in der Annexion Sachsens durch Preußen erblicken zu müssen glaubte, da Wal es wiederum Biedermann, welcher warnend seine Stimme gegen solche Gelüste erhob. Durch leidenschaftliche Erregung nickt beirrt, beharrte er treu auf dem seit 1848 auch in den schwersten Zeiten festgebaltenen Grundsätze der bundesstaat lichen Entwickelung Deutschlands. In dem 1869 nach dem freieren Wahlgesetz von 1868 gewählten sächsischen Landtag erhielt auch B., von Chemnitz gewählt, wieder einen Sitz in der Zweiten Kammer, in der zum ersten Mal eine nationalliberale Fraclion, anfänglich nur wenig über ein Dutzend Köpfe stark, erschien. In B. verehrten diese ihren ebenso maßvollen wie zielbewußten, erfahrenen und schlagfertigen Führer. In allen wichtigen Fragen geschloffen stimmend und handelnd, wußte sich die Fraction, die von der Rechten von vorn herein, seit 1873 auch von der Linken stark angefochten wurde, doch bald Achtung und Ansehen, sowie einen nicht geringen Einfluß auf die Gesetzgebung zu erringen. So u. A. beim Volksschulgesetz und bei der schwierigen Reform der direkten Steuern; B. persönlich bat sich besonders um daS Preßgesetz von 1870, ferner um die An regung und dann um die Ausgestaltung der Verwaltungs reform große Verdienste erworben. Bedeutend waren namentlich seine Reden in politischen Fragen, zum Beispiel gegen den berühmten Abrüstungsantrag der Linken — wenige Monate vor dem Ausbruch deS Krieges gegen Frankreich. Er war kein hinreißender Redner. Er wollte nickt überreden, sondern überzeugen; was er sagte, war tief durchdacht und von großen GesichtSpuncten auS erfaßt, dabei sprach er flikßend und klar unk hielt sich stets streng an die Sacke. Auch mit ihm in der Minderheit zu bleiben, war ehrenvoll und erhebend. Er gehörte der II. Kammer bis 1876 an. Von 1871—74 war er zugleich Mitglied des Reichstags. Hier halte er u. a. die Freude, an dem Haft- pfl chtgesetz Mitarbeiten zu können, dem Vorläufer der großen iocialen Gesetze, zu dem die Anregung von ibm selber und seinen Leipziger Freunden ausgegangen war. Später, 18 73, gehörte er zu den Anregern des Reieus-PrcßgesetzeS. Dem An träge diente als Grundlage der Geictzentwurf. der ein Jahr vor her auf seiuReferak hin vomJourualistentag angenommen worden war. Tie Commission, an die der Antrag verwiesen wurde, bestellte ibn ebenfalls zum Berichterstatter. Der Entwurf, den 1874 die Negierung vorlegte, blieb freilich hinter jenem in vielen Stücken zurück. In der nationallibcralen Partei des Königreichs Sacksen führte Biedermann bis 1876 den Vorsitz. Aber auch nachher und bis in die letzte Zeit blich er ihr treuester, bewähr tester Bcratber und Führer, „man darf geradezu sagen: ihr gutes Gewissen".*) Sv, als 1882 die Secession auch in Sacksen Zwiespalt bcrvorrief; so wieder, als im März 1881 die sächsischen Parteigenossen zum Heidel berger Programm Stellung nahmen und Biedermann gegen über den anfänglichen Bedenken dringend mahnte, auf eine Vei ständiguug zwischen den nord- und den süddeutschen National- Liberalen hinzuarbciten. Weiterhin war er einer der ersten Be fürworter und treuesten Anhänger des Kartells, das er auch unter Schwierigkeiten, wie sie wiederholt hervortrat:», wenigstens in den G undzügen festzuhaltcn bestrebt war. Kein wichtiges Ereiguiß, dem er nicht unter dem national liberalen Gesichtspunclc volle Aufmerksamkeit geschenkt hätte. Und stelö war er bereit, der Partei mit seiner gewandten Feder zu Lienen. Noch wenige Tage vor seiner letzten Erkrankung erschien sein Aufsatz über national-liberale Jugenbvereine, der gleichsam als ein Ver mächtnis; an die Partei die Mahnung in sich birgt, für kräftigen NackwuckS zu sorgen. Und doch war er durchaus kein einseitiger Parteimann; daS Wort: „DaS Vaterland, nickt die Partei!" hatte für ihn volle Geltung. Und es war die gesammte Cullur- entwickelung des Vaterlandes, mit Einschluß der socialen Frage im weitesten Sinne, der sein Denken, Sinnen und Streben galt. Namentlich balle er auch für die Arbeiter ein warmes Herz. Schon in den vierziger Jahren hatte er sich mit iu den Dienst des Gesellenvereins gestellt, dem auch unser Freund Gustav Goetz angebö'te, den aber die Regierung unkluger Weise bald auflöstc. Später hielt er wieder Vorträge im Arbciter- bilrungsverein, bis dieser durch Bebel in daS socialbemo- kratische Fahrwasser abgeleitet wurde. In der Zwischenzeit hatte er iu Weimar einen ähnlichen Verein ins Leben gerufen und geleitet. Kurz nach Beendigung des französischen Krieges begründete er in Gemeinschaft mit einigen Freunden die Gemeinnützige Gesellschaft. Dann nahm er wieder leb haften Anlbcil an ter Begründung deS Volksvercius, der 1881 im Verein für Volksivohl aufging. Besonders lag ihm *) Blum, Vorkämpfer der deutschen Einheit, Berlin 1899, S. 81. die Frage der ArbeitSvermittelung am Herzen, und als nach wiederholten vergeblichen Anläufen im vorigen Sommer end lich ein paritätischer Arbeitsnachweis hier inS Leben trat, begrüßte er daS mit lebhafter Genugtbunng. Wie ibn die Jugenderziehung im Sii-n einer harmonischen Ausbildung deS ganzen Menschen beschäftigte, davon geben mehrere seiner Schriften Zcugniß; besonders bemerkenswerth ist die, welche 1851 unter dem Titel: „Die Erziehung zur Arbeit: eine Forderung deS Lebens an die Schule" und unter dem angenommenen Namen „Karl Friedrich" erschien — eine frühe Vorläuferin der großen Bewegung, die seit 1881 für Deutsch land ihren Mittelpunkt in Leipzig hat und für die Bieder mann seitdem noch vielfach thalig gewesen ist. Bis zuletzt unermüdlich arbeitend, bat Biedermann, neben der Vollendung seiner großen Culturgeschichte des 18. Jahr hunderts (1 Bte., 1851—80), noch eine kürzere deutsche VolkS- und Culturgeschichte von den ältesten Zeiten bis 1871 (2. Ausl. 1893) geschrieben und in verschiedenen Werken die deutsche Geschickte von 1815 bis 1870 behandelt. Und wollte man von seinen zerstreuten Aufsätzen nur die sammeln, die dauern den Werth haben, so würden sie noch manchen Band füllen. Sein» in einem langen Leben voller Arbeit, voll trüber und freudiger Erfahrungen gereiste Weltanschauung aber wird wobl am besten aus dem vor zwei Jahren erschienenen Sckriftcken „Zeit- und Lebensfragen aus dem Gebiete der Moral" erkennbar. Es sind die Ideen der Pflicht, der Tbätigkeit als Ouelle des wahren Glücks, der Selbst verleugnung und der Willensfreiheit, die er neueren Richtungen gegenüber in Schutz nimmt. Das Ganze aber ist durchleuchtet und durchwärmt von dem milden Svnucnschcin echter Menschlichkeit und von der unverwelk- licken Hoffnung auf die Zukunft seines geliebten deutschen Volkes. ' I. Gcnsel. Missionen und Schulen in unseren Colonien. i. Mit der Entwickelung unserer Colonien gebt die Ver größerung und Vertiefung der MissionS- und Schulcnarbc.it Hand iu Hand. Sind doch die Missionen viel eher in den Ländern gewesen, als die deutsche RcichSflagge gehißt wurde und haben sie dock schon so manches Gutes gewirkt. Daß mit der Besitznahme der Länder durch daS deutsche Reick ihre Stellung befestigter wurde und ihre Wirksamkeit selbst außer den idealen Zielen auch noch eine sehr zweckmäßige Ver wendung im Interesse des DeulschlhumS fand, ist natürlich. Aber wenn die Missionen auf der einen Seite mit ihrer Er fahrung und mit ihrer Vorarbeit der deutschen Sckutz- berrsckaft den Weg ebneten, so fanden sie wieder in dieser Schutzhcrrschaft den politischen Halt, dessen sie manchmal entbehren mußten. Jedenfalls ist fist überall eine geteiblichc Entwickelung der Missionen im abgelaufenen Colonialjabre, das mit dem 30. Juni 1900 schließt, zu constatiren. Auch ist der confessionelle Friede nicht gestört worden. Die einzelnen Religionsbekenntnisse arbeiten fleißig, unverdrossen und mit großen Opfern an Menschen und Geld neben einander und die Nachkommen können die Früchte dieser reichen und gesegneten Arbeit ernten. Neben der MissionSthätigkeit im Schulwesen sind die drei Simultanschulen der Negierung zu berücksichtigen. Zumeist werten hier die Schüler für den Staalstienst vorgebildct, indessen kommen auch genug andere Schüler in die Staats poste». ES ist in ter Tbat erstaunlich, wie schnell die Ein geborenen begreifen und wie anstellig sic sich benehmen. Ihr geradezu phänomenales Sprachtalent befähigt sie oft in jungen Jahren nach einem 3» bis 4jährigen Unterricht in Deutsch iu den Stationen Stellungen im Zolldienst, Post dienst, in der Verwaltung, als Commis anzunehmen und im Allgemeinen ist daS Ürthcil über ihre Leistungsfähigkeit recht gut. In unserer betriebsamen Colonie Togo haben wir eine Regicrungösckulc. Hier werten viele eingeborene Beamte gebraucht und deshalb hat die Ncgieruugsschule vorwiegend die Aufgabe, solche heranzubilden. Es wurden deshalb für die beiden oberen Classen vier Tenlsckstuntcn mehr angesetzt, der für diese beiden Classen bestimmte HantfcrligkeilSunterricht hingegen der 3. Classe Feuilleton. Hältst Su was? Humoreske von Arnim Nonai. Nachdruck verbvttu. Irgend einen Sport betreibt heute Jedermann. Dafür leben wir ja im Zeitalter des Sportes. Einen so leidenschaftlichen SportSmann, wie meinen Freund Theodor, giebt es aber auf dem Erdenrund nicht wieder. Sein Sport ist der Sport sans pürss«. Der Sport in jeder Aeußerung und Nüance, mit all' seinen Abstufungen und Auswüchsen. Er schwärmt in gleicher Weise für den Turf wie für das Velodrom, war bei jeder Regatta anwesend und fehlte auch nicht beim Skilaufen über schneebedeckte Bahnen. Jedesmal war ihm aber der Sport ein Mittel zum Zweck — zum Hauptzweck, um Wetten eingehcn zu können auf die urmöglichsten Voraussetzungen und um unge heuerliche Beiträge. Zur Winterszeit, wenn die Renngäule von den Strapazen des Sommers in den stillen Winkeln der Ställe ausruhten und Freund Theodor keine Gelegenheit hatte, auf den Rennplätzen zu Iffezheim, auf Karlsborst oder bei der Freudenau in meer grünen Schuhen und gelben Jnexpreffibles zu erscheinen, und wenn auch auf dem Eise keine Wettkämpfe stattfanden, dann blühte sein Weizen allerdings nicht. Aber ganz brauchte er seiner Wettleidenschaft doch nicht zu entsagen. Es fand sich ja immer Gelegenheit, um so eine kleine Weile zu entriren. Und fand sie sich nicht ohne Weiteres, so zog er sie an den Haaren herbei. Er wußte immer gleichgesinnte Partner aufzustöbern. Und mit welch' unglaublich wilder Phantasie verstand er es, seine Propositionen zu machen. Bald wettete er darauf, ob der erste Schnee in diesem Jahre vor oder nach dem 20. November fallen werde; dann wieder setzt« er sich ans Eckfenster seines Stammkafseehaufes und hielt Unsummen auf die Behauptung, daß zwischen drei und vier Uhr mindestens ISO Droschken vorbei fahren würden. Nebenbei gesagt, waren es das letzte Mal nur 112 gewesen, und Theodor hatte in Folge besten 200 Mark und 5 Flaschen Sect verloren. — Wenn einmal im Hoftheater die „Götterdämmerung" gegeben werden sollte, wettete erjedesmaldar- auf, daß die Primadonna wenigstens eine Stunde vor Beginn der Aufführung noch absagen werde. Für diese Wette fand er aber kaum mehr einen Partner. Denn er hatte sie fast jedesmal ge wonnen. Das war also mein Freund Theodor, der das Wetten mit seltener Leidenschaft betrieb, und dem es ein unabweislicheS Lebensbedürfniß war, jeden Tag auf das Zutreffen irgend eines Umstandes oder auf das Eintreffen irgend einer Voraussetzung eine Wette abzuschließen. Eines schönen Tages — es war schon sportliche saisvn morto, die Vollblutpferd« ruhten auf den Lorbeeren der letzten Campagne aus, die Fahrräder hingen wohlgeölt in den Rumpel kammern — da begegnete ich zufällig Theodor. „Hurrah", schrie mein Freund in einem Tone, der ihn mindestens zum Indianerhäuptling qualificirt hätte —, „hurrah, alter Tipp-Topp!" Damit streckte er mir auch schon die Hano entgegen und schüttelte meine Rechte, als wolle er sich davon überzeugen, ob sic noch festgewachsen sei. Tipp-Topp nannte er mich aber noch dem Derby-Sieger des letzten Jahres. Es war Theodor's Gewohnheit, seine Freunde mit den Namen hervor ragender Turfgäule anzurufen. Dann erzählte er mir flüchtig Einiges über die Aussichten des Frühjahrsrennens und von den Konditionen der über winterten Pferde, plötzlich schrie er aber: „Hältst Tu was?" „Ich halte", antwortete ich kurz; denn ich wußte, Saß cs sich ,etzt um eine Wette handelte. Auch mir boten ja die drolligen Wetteinfälle Theodor's angenehmen Zeitvertreib. „Dann also los", rief Theodor und warf einen Blick auf das ganze um uns liegende Universum. Dabei blieb sein Auge auf dem an der Ecke stehenden Schutzmann haften, der in sich gekehrt dastand, als träume er von großen Frevelthaten, die er auf gedeckt, over von Mördern, die er verhaften könnte, um dann viele Tausende als Prämie einzuheimsen. „Hm", machte Theodor und zeigte mit seinem gewichtigen Spazierstock nach dem träumerischen Wächter der Ordnung. „Einverstanden", gab ich zurück und erwartete jetzt nur noch die näheren Propositionen für die Wette. Theodor versank für eine Weile in tiefes Nachdenken. Die großen Denker unserer Zeit haben bei dem Ergründen der tiefsten Probleme ihr Gesicht sicherlich nicht in geistreichere Falten gelegt, wie mein Freund Theodor in diesem Momente. Endlich schien er mit sich einig zu sein. „Wie wär's denn mit dem Alter des Polizisten?" „Gemacht, Theodor! Also das Alter!" „Wohlverstanden: paar oder unpaar", sagte ec erklärend. „Der Mann muß doch paar oder unpaar alt sein." „Segr richtig. Also ich balte auf unpaar", erwiderte ich nach kurzem Besinnen. Dabei drückte ich meine beiden Daumen recht fest mit den übrigen Fingern. Das ist schon so eine Glücksbeschwörung bei allen Wettenden von Profession. „Und der Betrag?" „Ganz nach Belieben." „Gut, dann sagen wir fünf Pfund", meinte Theodor. Er hctte nämlich die Gewohnheit, Alles in englischer Münze anszudrückcn. Besonders in Sportssachen würde ihm jede ani-re Wälrung als Entweihung erschienen fern. Darauf näherten wir uns dem ahnungslos dastehenden Polizisten. Theodor schritt mit einer energischen Bewegung auf ihn zu. „Schutzmann!" rief er mit einem Organ wie ein Nebel Horn, „rasch, wie alt sind Sie?" Der asto überfallene Hüter von Besitz und Leben sah uns erst, sprachlos vor Staunen, an. Er wußte offenbar in dcr Eile r icht, in welche Kategorie abnormer Menschen er uns ein reihen solle. Freilich konnte es auch ein ihm unbekannter Vor gesetzter in Civil sein, der sich auf diese Weise ein kleines Eramen mit ihm gestattete. Der Rücksicht auf diese Möglich leit verdankten wir es wohl, daß er nach einigem Zögern die Antwort gab: „Einunddreißig Jahre." „Mensch, wann hatten Sie denn Ihren werthen Ge burtstag?" „Gerade gestern", gab er zur Antwort. Theodor stieß einige englische Ausdrücke hervor, die gerao- nichts Freundliches für den „unpaarjährigen" Schuhmann ent hielten. Ich aber ließ einige Geldstücke in seine Tasche gleiten als Antheil an der durch seine Hilfe gewonnenen Wette. Da durch wurde er sichtlich in noch größere Verlegenheit gebracht, und als wir um die nächste Straßenecke bogen, sah ich ibn ncch immer dastehen mit weit aufgesperrten Augen und offenem Munde. Und was er über uns dachte, war gewiß nichts Schmeichelhaftes. Das Ende der Wette war natürlich «in
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