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02-Abendausgabe Leipziger Tageblatt und Anzeiger : 07.03.1901
- Titel
- 02-Abendausgabe
- Erscheinungsdatum
- 1901-03-07
- Sprache
- Deutsch
- Digitalisat
- SLUB Dresden
- Lizenz-/Rechtehinweis
- Public Domain Mark 1.0
- URN
- urn:nbn:de:bsz:14-db-id453042023-19010307024
- PURL
- http://digital.slub-dresden.de/id453042023-1901030702
- OAI-Identifier
- oai:de:slub-dresden:db:id-453042023-1901030702
- Sammlungen
- LDP: Zeitungen
- Strukturtyp
- Ausgabe
- Parlamentsperiode
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- Wahlperiode
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Inhaltsverzeichnis
- ZeitungLeipziger Tageblatt und Anzeiger
- Jahr1901
- Monat1901-03
- Tag1901-03-07
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Amtsblatt des Königlichen Land- und Amtsgerichtes Leipzig, -es Ratyes und Rotizei-Amtes der Ltadt Leipzig. Anzeigen-Preis die 6 gespaltene Petitzeile 25 H. Neclamen unter dem Redactionsstrich (4 gespalten) 7L ^S>, vor den Familiennach» richten («gespalten) 60 Tabellarischer und Ziffernsatz entsprechend höher. — (Gebühren für Nachweisungen und Offertenannahme 25 H (excl. Porto). «rtra Beilagen (gesalzt), nur mit der Morgen-AuSgabe, ohne Postbesördernng vv.—, mit Postbesördernng .sl 7V.—. Znnahmeschluß für Anzeigen: Abeud-Ausgabe: Bormittags 10 Uhr. Morgen-Ausgabe: Nachmittags 4 Uhr. Bei den Filialen und Annahmestellen je eine halbe Stunde früher. Anzeigen sind stets an die Expedition zu richten. Tie Expedition ist Wochentags ununterbrochen geöffnet von früh 8 bis Abends 7 Uhr. Druck und Verlag von E. Polz iu Leipzig. Donnerstag den 7. März 1901. 85. Jahrgang. Thatlicher Angriff auf den Kaiser. Das Bremer Attentat aus den Kaiser stellt sich ebenso wie der Breslauer Zwischenfall als die mit unzuläng lichen Mitteln unternommene Tbat eines unzurechnungs fähigen Menschen heraus. Diese Tbatsache erfüllt uns mit größter Genugtbuung, die nur von dem Gefühl der Dankbarkeit dafür übertroffen wird, daß der Kaiser glück licherweise vor einer ernsthaften Verwundung bewahrt ge blieben ist. Wir geben nachstehend eine Zusammenstellung der bisher über den Vorfall und seine Folgen eingetroffenen Nach richten, die z. Th. von unS schon durch Extrablätter bekannt gegeben sind: G Bremen, 7. März. (Telegramm.) Nach der „Weser- Zeitung" wurde der Kaiser von dem nach ihm geschleuderten Eisen stück an der Wange unter dem rechten Auge getroffen, konnte aber nicht schwer verletzt sein, da er aus der ganzen Fahrt nach dem Bahnhofe zu dem neben ihm sitzenden Bürger meister nichts darüber äußerte, sondern erst aus dem Bahnhose von den Herren seines Gefolges aus die blutende Wange auf merksam gemacht wurde. Der junge Mensch, der die Tbat verübt hatte, gerieth unter die Pferde der hinter dem Wagen reitenden Landjäger, wurde vom Publicum sestgenommen und nach dem Stadtbause gebracht. Bei seiner Vernehmung siel er wieder holt in Krämpfe, er war aber in Len Intervallen Vernehmung«, fähig, lieber den Beweggrund seiner That gab er keine Aus kunft. Daß er dauernd an epileptischen Krämpfen leidet, scheint das Arzneimittel zu beweisen, Las er bei sich führte. Ter „B. L.-A." weiß über das Ercigniß Folgendes zu melden: * Bremen, 6. März. Aus den Kaiser wurde, als er den Nachsteller verlassen hatte, auf der Fahrt zum Bahnhofe rin Attentat verübt. Ein Mann sprang in der Buchtstraße auf den Wagen des Kaisers zu und warf ein eisernes Instrument, eine sogenannte Lasche, nach dem Monarchen. Der Kaiser wehrte mit dem Arme ab, trug aber eine leicht blutende Schramme davon. Der Attentäter ist ein relativ junger Mensch. Sein Name ist Weyland. Er wurde von Gendarmen, die sein Beginnen gar nicht bemerkt hatten, überritten, er suchte dann aufzuspringen, wurde aber von einem Dienst- mann niedergeschlagen. Man trug den vor Erregung und infolge der Huftritte Sprachlosen zur Polizeidirection, wo er wieder zu sich kani. Sein Verhör ergab zu- nächst noch keine Aufklärung über die Beweggründe Les Atten tates. Ter Kaiser, Ler gerade gegrüßt hatte, als ihn das Eisenstück traf, zuckte zusammen und wischte sich das herab rinnende Blut ab. Das Eisenstück war etwas über ein Pfund schwer, doch keine ernste Masse. Ter Attentäter war vor der That mehreren Personen aus dem Publicum durch sein unruhiges Wesen ausgefallen. — Der Attentäter Dtetri ch Weyland, Schlosser aus Bremen, ist geboren am 20. April 1881. Er giebt an, Epileptiker und bereits in irrenärzt licher Behandlung gewesen zu sein. In der That führte er eia Schächtelchen, das abgetheilte Pulver zum Einnehmen enthielt, bei sich. In Rücksicht hierauf, wie auf die ungeeignete Waffe, wird man gut thun, sein Beginnen nicht allzu ernst zu nehmen. Das Eijea war, wie sich heraus- gestellt hat, eia Schienenriegel. G Bremen, 7. März. (Telegramm.) „Boesmann'S Bureau" meldet: Die Untersuchung gegen den Arbeiter Wehland ergab bis her nicht» Neues. Weyland will von dem gestrigen Vorfall nichts wissen. Er äußert fortgesetzt, daß er Epileptiker sei, und macht den Eindruck eines fast stupiden, geistig nicht nor malen Menschen. T Bremen, 6. März. Der Kaiser ist heute Abend 10 Uhr 40 Minuten von hier abgefahren. D Berlin, 7. März. (Telegramm.) Ter Kaiser ist heute Morgen 8 Uhr hier eingrtroffen. t-> Berlin, 7. März. (Telegramm.) Der Kaiser, welcher am Bahnhof von der Kaiserin und von dem Reichskanzler Grafen v. Bülow empfangen wurde, empfing im königl. Schlosse den Geheimrath v. Bergmann. Der Kaiser hat die Theilnahme an der heutigen Besichtigung des Ofsicier-Reit-Unter- richtes der Potsdamer Cavallerie-Regimenter ausgegeben. DaS sehr beruhigende ärztliche Bulletin über das Befinden deö Kaisers besagt: G Berlin, 7. März. (Telegramm.) Ter Kaiser hat in der rechten Gcsichtshälstc eine 4 cm lange, über das Jochbein verlaufende Wunde, die bis auf de» Knoche» geht. Tic Wunde, welche die Beschaffenheit einer gequetschten hat, blutete stark und wurde ohne Naht durch den Verband geschlossen. Se. Majestät hat die Nacht leid lich verbracht, ist frct von Kopfschmerzen und bei gutem allgemeine» Befinden, (gcz.) v. Lcuthold, v. Berg mann, Jiberg. G Berlin, 7. März. (Telegramm.) Der Kaiser hat wegen der Verwundung an der reckten Wange die Reise nach Königsberg zur Einweihung der Königin-Luise-Gedächtnißkirche zu seinem besonderen Bedauern aufgeben müßen. Der Krieg in Südafrika. Te Wct abermals „umzingelt" ! „Daily Telegr." wird aus de Aar, 0. März telegraphirt: Die britischen Truppen halten Philippolis und umringen De Wct, welcher wieder, wie üblich, seine Leute in kleine Abtheilungen vertheilt und sie zerstreut. — Die Engländer verfolgen auch Kruitzinger, welcher Parston in der Cap- colonie besetzte, aber nickt dort blieb. Te Wct S Rückkehr über den Lranjc spielte sich nach einer ausführlicheren Reutermeldung auS Colesberg folgendermaßen ab: De Wet, von Petrusvillc den Oranje in südöstlicher Richtung hinaufziehend, versuchte bei den einzelnen Driften vergeblich, das andere Ufer zu er reichen. Bei der Zandvrift, die er auf feinem Einfall benutzt batte, befand er sich am 20. Februar. Oberst Hickman griff ihn hier an und brachte ihm erhebliche Verluste bei. Am selben Tage stieß eine Abtheilung von 25 Mann der Nesbitt's Horse, die Pferde requiriren wollten, am unteren! Zeekoefluß (Seekubfluß), südöstlich von der Zanddrist, auf einige Hundert Boercn und mußte sich vor ihnen nach Hamel- fontein zurückziehen. Am 27. Mittags erschienen die Boeren in Stärke von 400 Mann auf den Bergen von Hamel- fontein. Sie nahmen hier den Kundschafter Ban de Merwe gefangen, der nachher wieder sreigelassen wurde, und feuerten vier Stunden lang ans die englische Abtheilung aus einer Entfernung von 700 m, ohne Schaden anzurichten. Sie zogen aber dann ab; offenbar dienten sie nur als Arriöre- garde, denn als die NeSbitt'S Horse, die fick ihnen an die Fersen hefteten, am 28. Liliefontcin in der Nähe der zer störten ColeSbergbrücke erreichten, sahen sie, daß die ganze Abtheilung De Wet'S, 1500 Mann stark, hier den Ueber- ganz bereits bewerkstelligt hatte. Der Strom hatte die Boeren ein gut Stück abwärts getrieben, nichtsdesto weniger baben sie aber doch fünf Capkarren, einen Ochsenwagen und zwei Ambulanzwagen binübergeschafft. NeSbitt'S Horse eröffneten aus guter Deckung das Feuer auf sie, während sie noch im Wasser waren, und brachten sic dadurch in große Verwirrung. Nachdem sie alle hinüber waren, stiegen die Engländer zum Flusse hinab und sanden noch 5 Karren diesseits, ebenso die Kleider mehrerer Leute, die man jenseits nackt oder beinahe nackt davonrciten sah. Sie waren also noch nicht ganz fertig gewesen, als die englische Patrouille sie überraschte. Einige Karten von der Capcolonie lagen herum, die offenbar weggeworfen waren. Auch mehrere Pferde waren zurückgclassen, meistens steif infolge der anstrengenden Ritte. 3 Mann von den Süd afrikanischen leichten Reitern, die gefangen waren, nahmen Reißaus, als sie die ersten Schüsse börteu. Ein ertrunkener Kaffer und mehrere gctödtcte Boeren, einer davon nur mit einem Hemd bekleidet, lagen am andern Ufer. Die Boercn erwiderten das Feuer nicht, da sie die Briten in ihrer Deckung nicht sehen konnten. Es war die höchste Zeit für De Wet gewesen, denn schon zog sich nm ibn von allen Seiten das Netz der englischen Abtheilungen zusammen. Von Nordwesten drängte Oberst Hickman mit der Derbyshirer berittenen Infanterie nach, den allerdings eine versprengte oder absichtlich zurückgelassene Boerenabtbeilung noch am 28. in die Gegend zwiscken PetruS- ville und Pbilipötown abgelenkt und dort in ein Gefecht ver wickelt batte. Von Osten aber rückten Oberst Byng mit den Südafrikanischen Leichten Reitern auS ColeSberg heran und von Süden und Westen die Obersten Haig und Bethune mit berittener Infanterie; alle diese Abtheilungen trafen am 28. in Hamelfontein zusammen. De Wet hätte hier, sollte man meinen, gefangen genommen werden müssen, wenn die Drift bei Liliefontcin besetzt gewesen wäre. Aber, wie man sieht, war überhaupt keine einzige Drift besetzt. Entweder war daS wegen der Kürze der Zeit und der Ungunst der Witterung und der Transportverbältnisse unmöglich oder die Engländer haben sich in sträflichem Leichtsinn ans die Unter stützung dcS Hockwasscrs verlassen. Nack den Erfahrungen des ganzen Krieges dürfte man geneigt sein, die zweite An nahme als wahrscheinlich zu betrachten; es wird übrigens auck ausdrücklich hervorgeboben, daß die Nesbitt's Horse frische Pferde hallen, die Erschöpfung der Pferde wird also nicht als Entschuldigung angeführt werden können. Nach diesen Ausführungen bleibt nun das Schicksal der 80 Mann von Kitchener's Figbling Scouts noch unaufgeklärt; die an dieser Stelle gemachte Annahme, daß sie als Deckung bei der Drift gestanden hätten und überrumpelt worden wären, ist jedenfalls als falsch erwiesen. Tic erfolgreichrn Operationen votha'S, welche die Engländer ebensowenig, wie die glücklichen Bewegungen De Wet'S zu verhindern im Stande waren, Haden natürlich ebenso befestigend aus die Entschlüsse der Boeren gewirkt, wie sie in London die Unlust zur Fortführung der Campagne vertieften und den Wunsch nach annehmbaren Frievensbedingunzen verstärkten. Zum Ueberfluß werden die Kitchener'schen Truppenforderungen auf jeden Fall dringender, ohne daß man im Kriegsamte eine Aussicht sähe, die nöthigcn Anwerbungen mit besserem Resultate als bisher fortsctzen zn können. Man sträubt sich natürlich hier vfsiciell noch mit aller Macht dagegen, ven Boeren das Zugeständnis zu machen, daß sie ihre Absicht, die Engländer in diesem Kriege allmählich zu ermüden, schneller als erwartet, bereits jetzt erreicht haben. Ob Milner von Pretoria aus weitere Verhandlungen mit Botha anknüpfen wird, bleibt noch dahin gestellt. " London, 7. März. (Telegramm.) Wie die „Morning Post" erfährt, hat der Generalstaatsanwalt der Capcolonie I. Rose Jnnes LaS oberste Richteramt in Transvaal übernommen. Politische Tagesschau. * Leipzig, 7. März. Der Reichstag hat am Dienstag bei der zweiten Lesung des Etats des Auswärtigen Amtes den erwarteten „großen Tag" gehabt, der ihm eine reiche Besetzung zwar nicht des HauseS, wohl aber der Tribünen brachte. Zweimal ergriff der Reichskanzler daS Wort, das erste Mal, um sich über unsere Beziehungen zu England und Rußland auszusprechen, das zweite Mal, um mit aller Eutscheidenheit für eine Erhöhung der Getreidczölle einzutreten. Trotz dieses wiererholten Auftretens erfuhr man aber, wie Ler Ab geordnete Bassermann nachher feststellte, vom Grasen v. Bülow fast nichts Neues. Und das wenige Nene war nicht eben erfreulich. Zunächst erfuhr man nämlich, daß thalsächlich an Lord Roberts der Schwarze Adler orden verliehen worden ist. Zum ersten Male wurde dies vfsiciell mitgetbeilt; der „Reichsanzeizer" und der „Preußische Staalsanzeiger" haben bis jetzt noch keine Kenntniß von dieser Ordensverleihung gegeben. Schon hieraus konnte man entnehmen, daß der Auszeichnung von der Regierung eine politische Be deutung nickt bcigelegt wird. Der Herr Reichskanzler hätte dies nicht besonders zu betonen gebraucht. Ader gern hätte man erfahren, ob auck dem, was außer dieser Verleihung während des letzten Aufenthalts des Kaisers in England geschehen ist, den Zuthaten zu dieser Ehrung, den Unter redungen mit den leitenden englischen Staatsmännern rc., jeder politische Charakter abgesprocken werden muß und ob namentlich diese Unterredungen mit der neutralen Stellung Deutschlands sich vertragen, die dem Präsidenten Krüger gegenüber mit der bekannten Schroffheit zum Ausdrucke ge bracht worden ist. Aber darüber ersuhr man nichts; denn die Wiederholung der alten Behauptung, Krüger habe die deutschen Staatsmänner überrumpeln wollen, schließt dock die Mög lichkeit, ja die Wahrscheinlichkeit nicht auS, daß die englischen FerröUeton. ii Zwei Lriider. Roman von Franz Rosen, ikachtrvü vktbclku. I. In dem kleinen Gartenhause außerhalb dec Stadt, in un mittelbarer Nähe des Flusses, das schon seit vielen Jahren die edle Frau Josefa Waldburg bewohnte, herrschte das bange Schweigen der Angst. Frau Joscfa lag im Sterben, und weil Alle, die mit ihr unter einem Dache wohnten, sie liebten und verehrten, waren sie Alle aufrichtig betrübt und schlichen auf leisen Sohlen, mit verweinten Augen unv kummervollen Ge sichtern im Hause umher. Eben war der Geistliche fortgegangen, der ihr die Sterbe- sacrcrmente gereicht hatte. Es war ganz und gar keine Hoffnung mehr. ES kam nur Darauf an, wie lange es dauern könne, bis der Tod den letzten Widerstand der Lebenskraft gebrochen haben würde. DaS Zimmer, in dem die Kranke lag, war nach Süden gelegen und überaus hell unv freundlich. Die Fenster waren weit ge öffnet; Vie warm« Matsonne warf ungehemmt ihre breiten, flrrthenden Strahlen bis auf Vas weiße Sterbebett. Draußen hört« man den Fluß durch seine Kiesel rauschen. In ven Büschen und Bäumen, die seine Ufer säumten, schlugen die Nachtigallen. Frau Josefa lag still und blaß in ihren weißen Kiffen. Sie war noch nicht alt. Ihr Haar war voll und braun; ihren Formen hatte selbst Vie tödtliche Krankheit Li« jugendliche Rundung nicht ganz nehmen können. Der siebrische Glanz ihrer grauen Augen erhöhte noch den Reiz ihres geistvollen Gesicht». Diese Augen richteten sich jetzt voll Trauer und Liebe auf ihr« beiden Söhne, Vie ernst und still an ihrem Lager standen. Der Aeltere, auf der Grenze der JiinglingS- und Mannesjahre, mit dunklem Haar und schwarzen Augen, stand zu Füßen und hatte die Hände über dem hohen Beltrand gefaltet. Sein Blick ruble auf der sterbenden Mutter mit unaussprechlicher Lieb« und ernstem Schmerz; seine Sippen blieben fest geschloffen. Neben ihm stand der Andere, dm .Kinderjahren kaum ent wachsen, den Kopf mit einer Fülle weicher, blonder Haare tief gesenkt, die Arme verschränkt. So stand er, seit der Geist liche, und auf Wunsch der Sterbenden auch alle Anderen, hin- autaegangen waren — bi» er sich nun plötzlich mit jähem Un gestüm tir dt» Kni« sinken ließ, den Kopf in den Bettkiffen vergrub und vergebens ein heftiges Schluchzen zu unterdrücken versuchte. Lange blieb dies Schluchzen der einzige Ton in dem sonnigen Sterbezimmer. Endlich legte Frau Josefa ihre große, schmäle, wohlgesormte Hand auf das blonde Haupt ihres weinenden Kindes — cs wurde ihr schon sehr schwer, denn sic Ivar schon todesschwach — und sagte mit verschleierter Stimme: „Manfred — mein armes, liebes Kind — gräme Dich doch Nicht so sehr!" Das Schluchzen wurde heftiger. Frau Josefa schloß über wältigt die Augen, und der Andere seufzte schwer. Nach einer kleinen Weile schlug sie dir Augen wieder auf und sah ihren Aeltesten an. „Peter, ich muß mit Euch reden, ehe es zu spät ist. Komme näher, damit ich leiser sprechen kann. Es rvirD mir schwer —" Peter Waldburg kam auf den Spitzen seiner Stiefel herum an Manfred'» Seite und blieb dicht neben dem Haupt seiner Mutter aufrecht stehen. Und Frau Josefa sprach, während ihre eine Hand auf ihres Jüngsten Blondkopf liegen blieb und die andere unruhig auf der weißen Decke zuckte: „Meine Söhne, ich sterbe, und Ihr werdet ganz allein stehen im Leben. Ich kann nichts mehr thun für Euch. Ich have Such auf betendem Herzen getragen, so lange ich Euch besitze, und mich bemüht, in Eure jungen Seelen den Grund zu legen, darauf Ihr zu frommen, tüchtigen Menschen erwachsen könnt. Meine Arbeit ist zu Ende. Ihr werdet fortan für Euch selbst verantwortlich sein. Ihr werdet eine größere Selbstständigkeit haben, wie die meisten Eures Alters und Eures Stande?-. Die Welt wird sich Euch aufthun und Ihr werdet allein darin stehen. Bleibt fest. — Vergeßt nicht, daß diese Welt mit Allem, waS sic ist und bringt vergeht. Was nachher kommt, das bleckt in Ewigkeit. — Merne lieben Kinder, Ihr wißt, ich kann Euch keine irdischen Güter hinterlassen. Aber ich denke, ich habe Such gelehrt, wie man auch mit Wenigem in Ehren und Anstand fertig werdm kann. — Ihr werdet den Reizen und Lockungen des Leben» gegenüber stehen und oftmals entsagen müssen. Bleckt fest! Ein Entsagen in Ehren ist glückbringender, als ein Genießen in Unehren." Sie schwieg und schloß erschöpft die Augen, um sie dann wieder groß und voll auf Peter zu richten. „Du, Prt«r, bist immer mein« Hoffnung und weine Stütze gewesen. Du hast ein gewisses Herz und «inen festen Willen. Um Dich ist mir nicht bange. Aber er " Ihre Blicke wandten sich voll Unruhe dem Knaben zu, dessen Kopf noch immer in ihren Kiffen lag. Sie seufzte bang. „Ich lege ihn an Tein Herz, Peter. Sorge für ihn. Er hat das rasche Blut und ven leichten Sinn Eures Vaters. Und ec hat alte äußeren Vorzüge, die diese Eigenschaften gefährlich machen. Nimm ihn unter Deine Obhut! — Ich mache Dich nicht verantwortlich für ihn — das wäre ein großes Unrecht an Dir. Aber was Du thun kannst, ihn vor Gefahren an Leib und Seele zu behüten, Vas thue! Versprich mir das, Peter!" Sic sah ihn bittend an UM machte einen Versuch, ihm ihre sterbende Hand zu reichen. Und Peter nahm die Hand, beugte sich tief darüber und küßte sie. „Ich verspreche es Dir, Mutter. —" Sie lächelte ihm dankbar zu. Ihr Gesicht gewann seinen friedlichen Ausdruck wider. Sie lag lange Zeit ganz still. Dann ging ein Zittern und Zucken durch ihren Körper; die Finger tasteten unruhig umher, als suchten sie einen Halt. „Kinder", hauchte sie, „geht hinaus — Ihr seid so jung —" Bei diesen Worten fuhr ManfrSd auf und starrte entsetzt in ihre veränderten Züge. Seine Hände umklammerten den Bett rand, rr bog den Oderkörper weit zurück. Gleichzeitig wac Peter neben ihm niedergekniet, hatte die erkaltenden Hände seiner Mutter mit seinen warmen, lebensvollen fest ergriffen und sagte mit leiser, weicher Stimme: „Laß uns bei Dir bleiben, Mutter. Wir fürchten uns nicht. Wir haben Dich ja so sehr lieb!" Sie sah ihn dankbar an mit ihren brechenden Augen. Es war ihr letzter Blick, den er nie vergaß. — Bon nun an wandten sich ihre Äugen, ihre Gedanken nach oben — fort von dieser Welt, die sie verließ, der andern zu, der sie «ntgegeneilie. „Falte wir die Hände!" >bat sie. Behutsam legte er ihr die kraftlosen Finger ineinander über der heftig arbeitenden Brust. ES war, als ob ihr daS Ruhe bringe; ihr Athen, ging leiser, langsamer. „Gott macht es gnädig mit mir. Er wird für Euch sorgen. Ich komme, Herr! Ich lasse sie Dir! Ich komme gerne!" Peter's Hände lagen gefaltet neben den ihren. Er rührte sich nicht. Er beobachtete unablässig ihr Gesicht; er sah, wie es die Farbe veränderte — immer stiller, starrer wurde. Gr sah den Glanz ihrer nach oben gerichteten Augen erlöschen — das Klopfen ves Pulses in ihrer durchsichtigen Schläfe immer schwächer werden, bis es endlich ganz aufhörte. Er sah ihre Lippen sich plötzlich thcilen zu einem Wort — sie konnte eS nicht mehr sprechen. Nur ein langer, leiser, befriedigrer Seufzer ward hörbar. — Als Pct«r begriffen hatte, daß Alles aus sei, sank sein Kopf in stillem Schmerz auf seine gefalteten Hände herab. Dann drückte er seiner Mutter die Augen zu. — Neben ihm erklang ein furchtbarer Schrei. Diese sein« letzte Bewegung hatte dem Knaben klar gemacht, was er bis Dahin noch nichi begriffen hatte: daß Ser Tod dagewesen war. Dav ganze Grauen, das Kinder diesem Unbegreiflichen, Entsetzlichen gegenüber erfaßt, kam über ihn, gepaart mit dem erwachenden Willensbewußtsein, Das nickt anerkennen will, was ihm gewalt sam aufgezwungen wird. „Sie soll nicht sterben!" rief er außer sich. „Sie soll bei mir blecken! Rufe doch den Pfarrer — den Ärzt — nein, geh nicht fort! Bleib hier! Laß mich nicht allein!" Weinend klammerte er sich an den Bruder an. „Aber Manfrüv, sei doch ruhig! Du hast Doch gewußt, vaß Gott sie uns nehmen würde! Ltöre ihren Frieden nicht — sie hat ihn wohl verdient!" „Das ist wir Alles ganz gleichgiltig!" rief Manfred, un gestüm weinend, riß sich wieder von dem Brrtver los und drückie die Hänoe vor die Augen. ,Sie soll bei mir bleiben! Sie soll leben! Was soll ich denn machen ohne sie! Mutter! Mutter!" Und er klagte unv jammerte weiter in knabenhaftem Un gestüm. Peter ließ ihn gewähren. Das Herz that ihm selber zu weh, um einen Andern zu trösten. Endlich legte er sanfr seinen Arm um Manfrov's schmale Schultern und sagt« bewegt: „Komm, Freddino, das geht nicht. Sag« Deiner Mutter Lebewohl —" Manfred ließ die Hände von den Augen sinken und sah seine todte Mutter scheu an. Dann schüttelte er verzweifelt den Kopf. „Das ist nicht meine Mutter —" sprach er grauenvoll vor fick bin. „Mein« Mutter sah mich an und war freundlich und lächelte. Si« hatte rothe Wangen und Lippen. Sie hatte nie solch rin gefallenes Gesicht, solch« spitze Nase, so tiefe Augen — war nie so grau und fahl. Nein — das ist nicht mein« Mutter — das ist eine kalte, schreckliche Leiche —" Er schüttelte sich vor Ent setzen. „Meine Mutter ist todt!" schrie er auf, und warf sich von Neuem in Petrr'S Arme. Der zog den verzweifelten Knaben fest an sich und führt« ihn langsam hinaus. (Fortsetzung folgt.)
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