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02-Abendausgabe Leipziger Tageblatt und Anzeiger : 23.03.1900
- Titel
- 02-Abendausgabe
- Erscheinungsdatum
- 1900-03-23
- Sprache
- Deutsch
- Digitalisat
- SLUB Dresden
- Lizenz-/Rechtehinweis
- Public Domain Mark 1.0
- URN
- urn:nbn:de:bsz:14-db-id453042023-19000323021
- PURL
- http://digital.slub-dresden.de/id453042023-1900032302
- OAI-Identifier
- oai:de:slub-dresden:db:id-453042023-1900032302
- Sammlungen
- LDP: Zeitungen
- Strukturtyp
- Ausgabe
- Parlamentsperiode
- -
- Wahlperiode
- -
Inhaltsverzeichnis
- ZeitungLeipziger Tageblatt und Anzeiger
- Jahr1900
- Monat1900-03
- Tag1900-03-23
- Monat1900-03
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Durch die Post bezogen für Deutschland und Oesterreich: vierteljährlich 6.—. Direkte tägliche Kreuzbandicadung io» Ausland: monatlich 7.Ü0. Li« Morgea-AllSgabe erscheint um '/.7 Uhr, die Abend-Au-gabe Wochentag» um ä Uhr. Nedactiim und Ervedition: IvhanniSgaffe 8. DieExpeditiou ist Wochentag» ununterbrochen geösstjet von früh 8 bi» Abend» 7 Uhr. Filialen: Alfred Hahn vorm. L Klemm'» Sortim. Universitätssttaße 3 (Paulinum^, Po»i« Lösche, MMHMmchr. In, »art. und KömgSplotz r. 150. Abend-Ausgabe. MpMerTaMalt Anzeiger. Nmlsökatt des Königlichen Land- nnd Amtsgerichtes Leipzig, des RatHes nnd Nolizei-Ämtes der Ltadt Leipzig. Freitag den 23. März 1900. A«zetge«-PretS die 6 gespaltene Petitzeile 20 Pfg. Reklamen unter dem RrdactionSstrich (»ge spalten) öO^A, vor den Familieunacyrichten (6gespalten) 40^. Größere Schriften laut unserem Preis- verzeichniß. Tabellarischer und Ziffernsatz nach höherem Tarif. Extra-Beilagen (gefalzt), nur mit der Morgen»Ausgabe, ohne Postbeförderung 60.—, mit Postbesörderung 70.—. Annahmeschluß für Anzeigen: Ab end-Ausgabe: Vormittag» 10 Uhr. Morgen-Ausgabe: Nachmittag» 4Uhr. Lei den Filialen und Annahmestellen je ei» halbe Stunde früher. Anzeigen sind stet» an die Expedition zu richten. Druck und Verlag von E. Polz ta Leipzig 9t. Jahrgang. Politische Tagesschau. * Leipzig, 23. März. Während da» durch besondere Kraftleistungen der letzten Tage gewiß nicht ermüdete Plenum des Reichstag» gestern die zweite Lesung de» Etats in einer Verfassung zu Ende führte, die dem ganzen Verlaufe der zweiten Etatsbcratlmnz entsprach — d. h., e» waren einige dreißig Mit ¬ glieder anwesend —, hat sich die fleißige und thatsäch- lich der Ruhe bedürftige B u d g c t c o in m i s s i o u de« Hauses denn doch noch entschlossen» am DienStag nächster Woche wieder zusammenzutreten und über die Flottenvorlage eine „Generaldebatte" zu veranstalten, bei der auch die verschiedenen Vorschläge zur Erörterung ge langen sollen, die sich bisher schüchtern als Vorschläge zur sogenannten „Deckungsfrage" bemerkbar gemacht baden. Es werden einige Stempelsteuern genannt und die Erhöhung der Zölle für mehrere Luxusartikel, Alles in Allem Steuerguellen, deren Erschließung mit der in Kraft bleibenden Bestimmung des letzten FlottengesetzeS, daß der Massenverbrauch keine Belastung erfahren soll, im Einklänge steht. In Uebereinstimmung mit dem, was wir unlängst über vie Stimmung im Centrum mittbeilen konnten, wird jetzt in Ab geordnetenkreisen versichert, daß die Mehrheit der ausschlag gebenden Fraktion der Vorlage nicht feindlich gegenüberslebe und die Hinausschiebung der Specialdebatte bis nach den Osterferien nur desbalb wünsche, um während der Ferien daheim beruhigende Erklärung über die Lösung der Deckungs frage geben und Stimmung für die ganze Vorlage machen zu können. Ist das richtig, so kann man sich mit der Hinausschiebung der Specialdebatle nur einverstanden er klären, und sollte einer oder der andere der Herren während der Ferien nicht Stimmung für die Vorlage machen, sondern sich von seinen Wählern gegen die Verstärkung unserer Seewehr stimmen lassen wollen, nun, so werden diese schlauen Taktiker nach Ostern erfahren, daß sie falsch gerechnet haben. Je länger nämlich die Entscheidung über vie Flottenfrage hinauSgezögert wird, nm sc intensiver wird die Agitation für die Vorlage und in um so weiteren Kreisen werden die Scheingründe, welche die Gegner inS führen, al» solche erkannt worden. S.'/llk sihn heraus, daß die Fraktionen, die aus Kurzsichtigkeit, Un schlüssigkeit oder schacherpolitischen Gründen die Entscheidung hinauSgeschoben haben, die Vorlage zu Falle zu bringen entschlossen sind, so wird ein Unwille gegen sie durch da» Reich gehen, der ihnen die schlechtesten Aus ¬ sichten bei Neuwahlen eröffnet. Hätte da» Centrum eine verneinende Entscheidung rasch herbcigefübrt, so würde ihm die Auflösung des Reichstags schwerlich so verhängniß» voll geworden sein, wie sie ihm werden muß, wenn sich herausstellt, daß eS in einer so überaus wichtigen Frage eine Verschleppungstaktik geübt hat, um endlich zu versagen. Das wird in den Osterferien Wohl Manchem klar werben, nnd deshalb begrüßen wir den Entschluß der Budgetcommission, vorher in einer Generaldebatte die Deckungsfrage zu klären und nachher erst in die Specialdiscussion zu trete», mit Freuden. Wenn die neumodischen preußischen Conservative» einmal einen wirklich conservative«, d. h. einen gemäßigten Ton an schlagen, kann man nie wissen, ob sie wirklich sachlich ver fahren oder die Nachbarschaft durch Zweideutigkeiten hinterS Licht führen wollen. Nachdem von Berlin aus mit größter Leidenschaftlichkeit und unter den üblichen Drohungen gegen Regierung und Staat für das Flcischriusnhrvcrbot im Fleisch beschaugesetze agitirt worben war, schreibt jetzt die „Kreuzztg." i» einer Besprechung deS Chemnitzer Parteitages der sächsischen Nationalliberalen über die Behandlung dcS erwähnten Gegenstandes durch den Abg. vr. Paasche: „Der Redner (eben Herr Paasche) mahnte jedoch mit Recht, daß die Parteien sich nicht auf den Standpuuct stellen sollten: „Da ich das Beste nicht haben kann, mag ich gar nichts"; er rieth darum, namentlich die Fristbeslimmung im Interesse des Zustandekommens des Gesetzes fallen zu lassen." Wir können es ruhig dahingestellt sein lassen, ob die O-uintessenz der Ausführung des Abg. Paasche von der „Kreuzztg." richtig erfaßt ist, denn es kommt hier allein auf die Feststellung an, daß die „Kreuzztg." die Mahnung zu einer Verständigung durch die angeführten Sätze gebilligt hat. Aber die Frage, ob eS ihr ernst damit ist, bleibt eine wohl aufzuwcrfende. Nicht nur Wege» dcS gekenn zeichneten allgemeinen Charakters conservativcr Kundgebungen aus Berlin, sondern auch weil die „Kreuzztg." in der selben Ausgabe einen Herrn v. Brockhausen ausgiebig zu Worte kommen läßt, oer das Gegentheil will und in heftiger Sprache das Beharren aus dem Fleischbeschau gesetze, wie eS ist, verlangt. „Dieses Gesetz", heißt es da, „ist daS Vorposlengefecht für die künftige Schlacht um Handelsverträge." Herr v. Brockhausen'ö Fanfare begegnet sich — und dies mindert die Bedeutung der Chamade der „Kreuzzeitung" sehr stark herab — mit der von eben diesem Blatte erst ganz kürzlich ausgestoßeuen Drohung mit der Rückkehr zum Freihandel. Es drängt sich die Ver- muthung auf, daß mau in dem Berliner Direktorium der Partei zum Hörenlassen der schärfsten Tonart, die man dort selbst aus gewissen Gründen für z. Z. inopportun fiilbet, nach dem Vorgänge der Bundespresse „Stimmungs bilder aus dem Lande" gewünscht habe. Das Bcrfabren, übrigens ein alter Kniff von Skrupeln nicht geplagter Agita toren, ist recht praktisch. Ueber die Mäßigung verralhende und anralhenbe Beurtheilung der Auseinandersetzungen des Abgeordnete» Paasche durch die „Kreuzzeitung" büpsl der Leser 'eicht hinweg, aber Ausfälle, wie eie des Herrn v. Bror'Hausen, prägen sich ein. Z. B. der folgende: ,,W'' sebsu ^rne große Majorität Les Reichstages, welche die vat.rlauo.sche Production nicht unßhai.deln lasten will durch enorme' Begünstigung einer skrupellosen ausländijchen Einfuhr — wir sehen eine hohe Staatsregierung, welche mit zuckersüßen Worten, wie schon immer, die liebe Landwirthschaft tröstet, und wir sehen endlich die Mache des „Entrüstungsrummels" außerhalb des Parlaments L l» Frankreich 1790, welchem die außerparlamentarische Industrie sich anschließt. Ich sür meine Person weiß schon, wie es wieder werden wird — auch nachher bei den Handelsverträgen —, ich prophezeie aber nicht." Biel größer in der Kunst, in den Landwirtheu die Erbitterung der Verzweiflung zu erregen, sind die Herren v. Wangenheim nnd Hab« auch nicht. Die Getreidezölle, angemessene Getreidezölle, können durch Handelsverträge nicht gefährdet werden. Diese Gewißheit hat schon längst in die Reihen der Socialvemokratie und der freisinnigen Volkspartei — die süddeutsche Volkspartei wagt den Getreidezoll nicht mehr zu bekämpfen — Resignation getragen. Die Fleischbeschau vorlage wird wahrscheinlich eine andere Gestalt als ihre jetzige erhalten. Wenn bas aber als ein böses Omen sür die Er folge der Landwirthschaft bei künftigen Handelsvertragsver handlungen gedeutet werden könnte und wenn dadurch bei den Freihändlern ein Fünkchen von Hoffnung aus der Asche geblasen werden sollte, so trügen daran nur die Wildheit und die Un besonnenheit der extremen Agrarier die Schuld, die, wie jetzt Herr v. Brockhausen und vor wenigen Tagen noch die „Kreuzztg.", die die Aenderung oder Nichtänderung des Fleischbeschaugesetzes a'S eine Kraftprobe für die künftigen Handelsvertragsverhand lungen bezeichnet haben. Einer solchen Kraftprobe bedarf eS für d e Landwirthschaft nicht, denn die Frage der Getreidezölle wird zwischen ihr und der Industrie keine Gegensätze schaffen. Wenn jetzt von einer Probe die Rede sein kann, so nur in dem Sinne, daß den Vertretern der Landwirthschaft Gelegenheit gegeben ist, das Wort dcS Ministers Thielen, die Landwirthe seien nickt allein auf der Welt, auf seine Richtigkeit zu prüfen. Zn dem Glauben, Alles fordern zu dürfen, auch das Abenteuerlichste wie die Getreideeinfuhrverstaatlichung, ist übrigens nur ein Theil der Landwirthe versetzt worden und dieser nur durch die rasfinirte Propaganda von Leuten, deren Existenz mit dem Vor handensein unerfüllter landwirtbscbaftlicher Wünsche steht und fällt, weswegen sie sich der Stetigkeit und Geschäftsvereinfachung halber vorzugsweise auch die Erfindung unerfüllbarer For derungen verlegen. Zn der Frage der Zölle besteht, ganz ab gesehen von der ausreichend weit verbreiteten Erkenntniß der Eigenart, der socialen Bedeutung und der gegenwärtigen Schwierigkeiten der Landwirthschaft, eine auf absehbare Zeit hinaus gar nicht zu erschütternde Solidarität zwischen Ackerbaugcwerbe, Industrie und Ausfuhrhandel. Ueber das Maß des Zollschntzcs wird, wenn die Zeit heran kommt, wohl bei jedem Artikel oder jeder Gruppe von Artikeln gestritten werden. Vorläufig haben auch die Wort führer der Landwirthschaft noch nicht gesagt, was sie in drei Zabren etwa zu bedürfen glauben werden. Der mehr fach erwähnle Herr v. Brockhausen macht darüber allerdings eine Andeutung, die wir zum Zwecke der Orienlirung wiedergeben: „Kein Agrarier, auch nicht der sogenannte „wildeste", erstrebt einen ungemessrnen Zoll — dazu find wir Alle viel zu patriotisch und viel zu gerecht — wir wollen weiter nichts, al» nur unsere Staatssleuern und unjere Schuldzinstu bezahlen, einfach leben und unsere Kindern etwas lernen lasten tönne: a».« Lcm Ertrage unseres Vermögens und unserer persönlichen Lhätigkeit: unbegründet 'v'lc onch nicht, erscheiurn, wenn wi > wünsch d«st ».na «ach etwas übrig bleibt zum Legen auf die „hohe Kante", was doch auch jeder ordentliche Arbeitsmann erstrebt." Wir theilen, wie gesagt, diese GesicbtSpuncte für die Be messung eines GetreidezollcS nicht mit, um daran Kritik zu üben, sondern lediglich zur Kenntnißnahme. Eine Wahr nehmung, die sich auf den ersten Blick ausdrängt, mag her vorgehoben werden. Der Verfasser hat unverkennbar die Lebenshaltung des großen Grundbesitzes im Auge. Das verräth schon der Hinweis auf die Kosten der Ausbildung der Kinder, die für den Bauern, der seine Kinder in seinem Gewerbe groß werden läßt, wenig ins Gewicht fallen. Betreffs der katholischen Ordensgesellschaften spielen sich gegenwärtig in Norwegen Vorgänge ab, die von der größten grundsätzlichen Bedeutung sind; denn sie zeigen, daß selbst in diesem gelobten Lande des Radikalismus das Princip der schrankenlosen Bewegungsfreiheit den katholischen Ordensgesellschasten gegenüber nicht durchführbar ist. Im vorigen Jahre hat, wie erinnerlich, das Stortbing die soge nannte Ordensclausel des norwegischen Staatsgrundgesetzes aufgehoben, die geistliche Ordensgesellschasten in Norwegen nicht zuließ. Die klerikale Presse, die damals jenen Beschluß als eine „mannhafte und echt freiheitliche Tbat" feierte, muß jetzt Leu Schmerz erleben, zu sehen, daß die Norweger die Rückkehr zum früberenZustande in demselben Augenblicke wünschen, da sie inne werden, welchen Gebrauch von der neuen Freiheit die katho lische Propaganda in Norwegen gemacht hat. Den Anlaß, sich hiernach zu erkundigen, bot ein Sendschreiben des aposto lischen VicarS für Norwegen, Monsignore Fallice, an den bekannten Assumptionistenpater Picard, das die Assumptionisten zum AuSharren ermunterte und für den Fall, daß die Orden gänzlich auS Frankreich vertrieben würden, an die norwegische Gastfreiheit erinnerte. Gegen die hiermit eröffneten Aussichten einer „jesuitischen In vasion" wird von parlamentarischer Seite ebenso wie von den führenden Blättern der Rechten und Linken um so lebhafter Widerspruch erhoben, als man erfahren hat, daß die neue Bewegungsfreiheit der katholischen Propaganda sehr zu statteu gekommen ist. Das „Morgenbladet" kündet bereits gesetzgeberische Maßnahmen in der gedachten Richtung an. Man sieht also auch hier wieder, daß die vom Centrum ge forderte „freie und ungehemmte" Tdätigkeit der katholischen Orden im modernen Staate praktisch nicht durchführbar ist. Wenn selbst das radikale Norwegen eine solche „Freiheit" fortwünscht, nachdem eS sie kaum gewährt hat, dann ist es klar, daß sie für Deutschland ernsthaft gar nicht in Frage kommen darf. Der größte Theil Les deutschen Radikalismus freilich wird theilS aus Doktrinarismus, theils aus taktischen Gründen die lehrreichen Erfahrungen Norwegens in den Wind schlagen. Vielleicht aber machen sie auf die badischen Conservativen Eindruck, die in der Zweiten badischen Kammer in der Ordensfrage auf Seite» des KlcrikaliSmus zu stehen pflegen Der Ausschuß der französischen Kammer hat die Prüfung deS von der Subcommission ausgearbeiteten Textes des neuen Vereinsgesetzes beendigt, der sich fast durchweg an die Regierungsvorlage anlehnt. Die zwölf ersten Artikel, die schon früher von dem Ausschüsse genehmigt worden waren, schaffen drei verschiedene Kategorien von Vereinen: die ersten, die auf Grund der Erklärung ihrer Gründer eine legale Existenz haben, die zweiten, die durch Dekret für gemein nützig erklärt werden, und die drillen, die nur auf Grund eines Gesetzes bestehen können. Die letztere Kategorie umfaßt: l) die Beieine zwischen Franzosen und Ausländern; 2) die Vereine zwischen Franzosen, deren Sitz oder Leitung inr Auslände ist oder Fremden anvertraut wird; 3) die Vereine, deren Mitglieder in Gemeinschaft leben. Die folgenden Artikel befassen sich mit den Mitteln, die Vereine daran zu verhindern, indirekt oder durch Strohmänner Güter zu er werben, die sie gesetzlich besitzen können, und mit der Liquidation der Güter der nicht autorisirten Vereine, die mit der Anwendung des neuen Gesetzes aufgelöst werden. Nach Art. 14 haben die Vereine sich innerhalb sechs Monate» den Bestimmungen des neuen Gesetzes zu fügen. Die von den Mitgliedern des Vereins vor dessen Bildung besessenen Güter werden diesem zurückerstattet; die deut Vereine gemachten Geschenke können innerhalb eines ZahreS nach der im „Journal officiel" veröffent lichten gerichtlichen oder freiwilligen Auflösung von den Spendern oder deren Erben beansprucht werden. Der Rest der Güter wird entweder den Statuten gemäß verwendet, sonst aber, wenn hierüber nichts vor gesehen war, dem Staate übergeben, der sie für analoge Zwecke zu verwenden hat. Diese letztere Bestimmung wurde von dem Abg. Peschaud dem Entwürfe entnommen, den der Spuren der verstrichenen Jahre, geistiger Anstrengungen, vielleicht erschöpfender Genüsse — «aber das war es nicht, was ihm einen so ganz veränderten Charakter gab. Etwas darin war erloschen und erstorben, so schien es. Freude und Schmerz, Lieche und Haß leuchteten und stürmten nicht mehr darüber hin. Den Augen fehlte das Feuer, eine kalte, müde Gleichgiltigkeit war an die Stelle der brausenden, überschämnenden Lebensfülle von einst ge treten. Die Worte, die sie vor rin paar Tagen an der Tadle d'höte gehört, fielen Gertrud ein: „Abgewirthschaftet — bankerott an Körper und Geist —" Ein stechendes Weh überfiel sie. Sollte dies "das Ende sein? Und so bald, so furchtbar schnell? „Wie haben Sie inzwischen gelebt, Gertrud?" fragte die gedämpfte Männerstimme weiter. „Ich Höffe, es geht Ihnen gut. Professor Keßler sprach mit großer Anerkennung von Ihren künstlerischen Leistungen." „O — der hak Anerkennung für Alles, nur nicht für seine eigenen Vorzüge." „Er muß Ihnen ein ioerther Arbeiksgenoff« sein." „Mehr als das! Ein Borbild, ein Freund und Rathgeber." „Und Ihre Arbeit gewährt Ihnen Befriedigung?" „Sie beglückt mich, wenn ich mich ihr ohne Nebengedanken hinge-en darf." „Warum dürften Sie das nicht?" Gertrud nickte. „Es bedarf Niemand mehr meiner. Ich brauche wenig, die Tagelöhnerei für den Erwerb habe ich aus gegeben. Ich kann mit all meinen Kräften den höchsten künst lerischen Zielen zustreben, ohne Rücksicht auf Erfolg, ohne Zwang und Fessel, außer den Schranken meiner Begabung und meiner Persönlichkeit." „Ein beneidenSiverlhes Glück", erwiderte Eickftedt mit Sar kasmus. Sie hatten den Bohlensteg erreicht. Gertrud blieb unschlüssig stehen, drehte sich um. Zwanzig Schritte weiter, unterhalb am Herrenbad« war eine starke Brücke in die See hinein gebaut, von der kleine Treppen für die Badenden inS Wasser führten. Sie machte den Vorschlag, auf die Brücke zu gehen. Der Wind hatte nachgelassen, der Himmel sich etwa» mrsgchellt. Der letzte gelbe Abglanz des Sonnenunterganges spiegelte sich auf der weiten, bewegten Wasserfläche bis zum fernen Horizottt. Landwärts in breitem, gezacktem Gürtel stiegen die Dünen über dem weiten Bogen oes Strandes an und Hoven sich weiß gegen die dunkle Luft. Darüber glänzte die Mondsichel. Gertrud konnte nicht anders, sie mußte jetzt ihren schweigen- Fr»»iHetsn. Hans Eickstedt. Roman in zwei Bänden von Anna Maul (M. Gerhardt), Nachdruck verboten. Und jetzt erschien es einfach selbstverständlich. Wie doch der Athmn des Todes ausgleichend, kühlend und lösend über Menschennoth und Menschenzorn hingeht. Was liegt jetzt noch daran, was Dir das Herz zerfressen und das Blut vergällt hat! Was liegt an ein bischen mehr oder weniger Glück und Leid! — Nur baß der Arme, dessen Sonne im Untergehen ist, noch einen Strahl don Licht und Wärme erhalt, bevor die Nacht hereinbricht. Gertrud stand noch und blickte nach dem westlichen Himmel, der sich in Gold und Rosenroth zu tauchen begann, als von dec Seeseite her zwei Herren über die Düne kamen und der Brücke zuschritten. Gertrud beachtet« sie nicht, bevor sie so nahe waren, daß ihre Stimmen ihr Ohr berührten. Da fuhr sie auf, erschreckt, geängstigt, aber ausweichen oder fliehen war unmöglich, und so blickte sie, an das Brückengeländer gelehnt, bleich und aufgeregt den Kommenden entgegen. „Wollen Sie nach der S«e hinunter? So spät, Fräulein Pil grim?" fragt« Professor Keßler. Er stand vor ihr und bot ihr die Hand — und hinter ihm stand Einer — grüßte — und starrte sie an — jetzt erkannte er sie. „Ich — wollte —" stammelte Gertrud und raffte sich gewalt sam aus. „Ich reffe morgen früh, lieber Professor — und wollte Ihnen noch Adieu und auf Wiedersehen sagen." „Was Kuckuck, Sie reisen? — Das ist mir ja ganz neu. Wie kommt daS denn so plötzlich?" „Ein Brief — eine Nachricht — ein todtkranler Freund, der mich noch zu sehen wünscht —" „Der wartet freilich nicht", sagte Keßler. „Warum kamen Sie wenigstens nicht früher an den Strand? Ja, Pardon, ich vergesse, vorzustellen. Also dies ist Doctor Eickstedt, unser be rühmter Dichter, Fräulein Pilgrim, eine tüchtige Malerin — frühere Schülerin —" Er hatte sich so darauf gefreut, Gertrud seine „interessante Bekanntschaft" zuzusühren, und immerfort nach ihr ausgcschaut, ivährend er mit Eickstedt am Strande auf- und niedeiging und über künstlerische und literarische Tagesfragen philoso'phirte. Etwas verwundert sah er jetzt dem Gebahrcn der Beiden zu, die sich stumm und steif gegenüber standen. Endlich trat Eickstedt neiher. „Ich hoffe, es geht Ihnen gut, Fräulein Pilgrim. Wir haben uns lang« nicht gesehen." Langsam, prüfend gleichsam, kam seine Hand der ihren ent gegen, die, kalt und wie leblos, den Druck derselben kaum er widerte. „Wie, Sie kennen einander?" fiel Keßler ein. „Solch' un erwartetes Wioderbegegnen kann peinlich sein. Weshalb aber hatte Gertrud kein Wort davon gesagt, daß der „berühmte Dichter" ihr kein Fremder war? „Wir find entfernt verwandt", erklärte sie stockend und tonlos. Eine kleine, drückende Pause. — Eickstedt hatte sich abgewandt und blickte den Fluß hinab, dessen dunkle, unruhige Fläche den roth überstrahlten Mendhimmel zwischen Fetzen zerrissenen Ge wölks in gebrochenen Tönen zurückwars. „Also unwiderruflich, Sie reisen?" svagte Keßler, das mo mentane Unbehagen abschüttelnd. „Ich denke. Sie kommen nach dem Begräbniß zurück. Was meinen Sie? — Hier verträgt man sich noch am besten mit dem Menschheitsjammer — die Stim mungen im September sind prachtvoll. Ich bleibe noch, bis die See einfriert. Jetzt fängt es mir hier erst zu gefallen an." „Ich will's überlegen. Guten Abend, lieber Professor." Sie wechselte einen Händedruck mit Keßler, einen flüchtigen, blicklosen Gruß mit seinem Begleiter, und eilte über die Brücke, den Dünenpfad hinan, nach dem Strande hinüber. Ohne anzuhalten, schritt sie, dicht am Wasser entlang, weiter. Der Wind kam ihr entgegen, riß ihr fast den Hut vom Kopf, wühlte in ihren Haaren und wehte sie ihr in Locken von der Stirn zurück. Die Gluth am Abendhimmel war noch dunkler geworden. Die Wellen zu ihren Füßen spielten in wunderbaren grünlichen und rosa Tönen, in der Ferne hob sich eine Gruppe von Masten und Tauwerk in verschwommenen Umrissen gegen die leuchtende Lust ab. Gertrud hatte keine Sinne für den schwermüthigen Zauber der abendlichen Landschaft. Er —! Er —! das war Alles, was sie zu denken, zu fühlen vermochte. Seine Gestalt —! Seine Stimme —! Sein Antlitz, feine Augen — so verändert und doch di« alten! — Es überwältigte sie so, daß sie dahineilte, als müßte sie seiner Nähe — sich selbst entrinnen. Erst als üe dem Anlegeplatz brr Fischerboote ganz nahe war, blieb Gertrud erschöpft stehen. Dann ging sie langsam weiter, fetzte sich auf den Bord eines auf den Sand gezogenen Bootes und blickte auf die weite dunkle Wasserfläche und die mit leichiem Schaumgekräusel bedeckten heranrollenden Willen hinaus. Das Abendroth fing an zu erblassen. Gertrud stand end ¬ lich auf und trat den Rückweg an. Der Strand war, wie ge wöhnlich, um diese Stunde fast menschenleer. Zwei in ihre Mäntel gewickelte Damen, vom Winde getrieben, waren dem Herren bade, wo der Bohlensteg zum Strande hevablief, schon ganz nahe. Ein Knabe trieb sein Spiel mit einem Hunde, der den Wellen entgegenbellte und geängstigt zurücksetzte, wenn sie ihm das Fell durchnäßten. Ein Herr schritt dicht am Wasser auf dem von den Wellen gehärteten Sande. Er kam stetig näher, und Gertrud konnte schon berechnen, wo sie mit ihm Zusammen treffen würde. Ein Schauer überlief sie. Sie blieb stehen, ihre Hand fuhr nach dem Herzen. — Aber mußte er es denn sein? Vielleicht eine flüchtige Ähnlichkeit der Gestalt. Sie ging weiter. Jetzt konnte sie schon Haltung und Klei dung des Nahenden unterscheiden. Sein Antlitz war vom Hut rand beschattet, denn er bog den Kopf vor, um dem Winde zu be gegnen. Jetzt stand er vor ihr — „Gertrud —" Sic stand zitternd, blickte ihn an und brachte kein Wort heraus. „Sie reisen morgen, und wir haben uns in sechs Jahren nicht gesehen. Sollten wir so aneinander vorirberqehen wie -Fremde?" „Sind wir's nicht?" muvmelie sie. Er gab keine Antwort, hatte vielleicht nicht gehört. Gertrud besann sich. Welches Recht hatte sie denn zur Bitterkeit? War ihr Eickstedt je etwas schutbig gsworden? War sie nicht vielmehr seine Schuldnerin, wäre ihr Leben nicht ganz arm, dunkel und blüthenlos gewesen, ohne ihre Liebe zu ihm? — Und warum sollte sie nicht das Almosen, das er ihr jetzt barreichte, dankbar annehmen? Hatte sie Grund, üdermüthig zu fein? Aber ihr Herzfchlaa stürmte und regte sie so auf, daß sie sich Gewalt anlhun mußte, ruhig zu scheinen. Langsam setzte sie sich wieder in Bewegung. Eickstedt ging neben ihr, auf dem nassen Sande, dicht am Wasser. „Sie haben Ihren Bater verloren, Gertrud. Ich wollte Ihnen damals schreiben, — aber was hätte ich Ihnen sagen können? — Er hak sein Leben ausgelebt. Mancher Andere wird schneller damit fertig, dem die Natur noch nicht das Ziel gesteckt hat. Wok>l dem, der nicht verdammt ist, sich selber zu über leben." Im Brausen von Wind und Wellen klang Eickstedt'» Stimme gedämpft, eintönig. Gertruv warf einen raschen Blick in sein A«tlitz. Sie batte e» vorhin schon deutlich genug gesehen, jede: Zug darin war ihr wieder vertraut geworden. Es trug tiefe
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