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02-Abendausgabe Leipziger Tageblatt und Anzeiger : 09.04.1901
- Titel
- 02-Abendausgabe
- Erscheinungsdatum
- 1901-04-09
- Sprache
- Deutsch
- Digitalisat
- SLUB Dresden
- Lizenz-/Rechtehinweis
- Public Domain Mark 1.0
- URN
- urn:nbn:de:bsz:14-db-id453042023-19010409023
- PURL
- http://digital.slub-dresden.de/id453042023-1901040902
- OAI-Identifier
- oai:de:slub-dresden:db:id-453042023-1901040902
- Sammlungen
- LDP: Zeitungen
- Strukturtyp
- Ausgabe
- Parlamentsperiode
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- Wahlperiode
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Inhaltsverzeichnis
- ZeitungLeipziger Tageblatt und Anzeiger
- Jahr1901
- Monat1901-04
- Tag1901-04-09
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Amtsblatt des Königlichen Land- und Amtsgerichtes Leipzig, des Rathes nnd Volizei-Ärntes der Ltadt Leipzig. Anzeige« »Preis die 6 gespaltene Petitzelle 25 H. Reclamen unter dem Redaction«strich («gespalten) 75 H, vor deu Aamilieuuach- richten (6 gespalten) 50 Tabellarischer und Ziffernsatz entsprechend höher. — Gebühren für Nachweisungen und Offertenannahme 25 H (excl. Porto). Ertra Beilagen (gefalzt), nur mit der Morgen-Ausgabe, ohne Postbesörderung ^l 80.—, mit Postbesörderung ^l 70.—. Iinnahmeschluß für Anzeige«: Äb end-Ausgabe: BormittagS 10 Uhr. Morgen-Ausgabe: Nachmittag- 4 Uhr. Bei den Filialen und Annahmestellen je eine halbe Stunde früher. Anzeigen sind stet- an die Expedition zu richten. Die Expedition ist Wochentags ununterbrochen geöffnet von früh 8 bis Abends 7 Uhr. Druck und Berlag von E. Polz in Leipzig. 179. Dienstag den 9. April 1901. S5. Jahrgang. Der Krieg in Südafrika. Der letzte Stand. Auch heute sind noch keine Nachrichten vom Kriegsschau platz eingegangen, auS denen zu erkennen wäre, wo sich die Boerengenerale Dewet und Botha mit ihren Streitkräften eigentlich aufhalten und in welcher Lage sie sich befinden gegen über den von den englischen Generalen Campbell und Frerich befehligten HeereStheilen. Das Gerücht, daß Botha und Dewet vereinigt nach dem Norden, vielleicht sogar bi« nach dem Z out Pan Sb er g, 100 Kilometer nördlich von PieterSburg, zurllckgrhen und von diesem sicheren Schlupfwinkel aus die britischen Truppen durch plötzliche Augriffe und Eisenbahnzerstörungen beunruhigen wollen, erhält sich mit großer Bestimmtheit. Die englischen Truppen im südöstlichen Transvaal sollen deshalb angewiesen sein, die Vereinigung von Dewet und Botha, sowie deren Abzug in nördlicher Richtung unter allen Umständen zu ver hindern. ES wird jetzt behauptet, daß die Nachricht von Dewet's Ueberschreitung deS VaalflufseS bei VillierSdorp und sein Eindringen in Transvaal unrichtig gewesen sei, Dewet sich vielmehr immer noch im nördlichen Theil deS Oranje-Staate« befinde, wo in Vrede am Sonnabend, den 30. März, eine Zusammenkunft zwischen Botha, Steijn und Dewet stattgefunden habe. Hier soll der Beschluß gefaßt worden sein, die Hauptmacht der Boeren am Zout- panSberg zu versammeln und nur kleinere Abtheilungen zur Beunruhigung der Engländer und zur Beschädigung der Bahnen zurückzulafsen bezw. vom ZoutpanSberge gelegentlich auszusenden. Inzwischen nähern sich die Engländer unter dem General Plumer immer mehr dem Gebiet, das oie Boeren in der nächsten Zukunft zu besetzen beschlossen haben sollen. Wie bereits mitgetheilt, bat der General Plumer PotgieterSburg, das nur noch 50lrw von PieterSburg in südwestlicher Richtung entfernt ist, besetzt, ohne auf Wider stand zu stoßen. Neuerdings wurde gemeldet, daß die Boeren beim weiteren Vorrücken deS Generals Plumer auf PieterSburg auch diesen Ort ohne Kampf auf geben und sich dann nach dem stark befest'gten und mit schweren Geschützen ausgerüsteten HaenertSburg zurückziehen würden. HaenertSburg liegt etwa 45 km östlich PieterSburg in dem Theil der ZoutpanSberge, der speciell den Namen DrakenSberg führt. Da die Eisenbahn bei PieterS burg aufhört, so würden die Engländer bei einer weiteren Verfolgung deS Gegners in diese unwirthliche Gegend auch mit erheblichen VerpflegungSschwierigkeiten zu kämpfen haben, ohne daß sie hoffen könnten, ihn au dieser Stelle mit einiger Aussicht auf Erfolg zu bekämpfen, da e- in dem unübersicht lichen Gelände den dort gut bekannten Boeren nicht schwer sein wird, jedem Angriff von überlegeuen Kräften rechtzeitig auSzuweichen. Für die Boeren soll in den ZoutpanSbergrn an Verpflegung kein Mangel sei». Lord Kitcheuer ist nach Londoner Meldungen nun ernst lich bemüht, die noch im südlichen Transvaal stehenden Bocrenheere dort festzuhalten, um sie durch Ge fangennahme oder Vernichtung unschädlich zu machen und so möglichst schnell den Krieg zu beendigen. Bis jetzt scheint-er allerdings nur wenig Aussicht auf eine baldige Verwirk lichung der ihm zuaeschriebenen Absichten zu haben. Man wird abwarten müssen, ob eS dem englischen Oberbefehls haber gelingen wird, eine für England günstige Wendung de« Kriege- herbeizuführen, wenn die friscken Truppen, deren Zahl der Kriegsminister Brodrick auf 43000 Mann angegeben hat, zu seiner Verfügung stehen, was bis zum Ende diese« Monats bekanntlich der Fall sein soll. Obgleich Kitchener fast täglich über Siege seiner Unterfeld herren berichtet, scheinen die Boeren doch noch sehr thätig in dem östlichen Transvaal zu sein. Nach einer Meldung deS „Standard" aus BolkSrust vom 2. April sollen sie Ermelo und Amersvort wieder besetzt haben. General French, der dieses Gebiet schon wiederholt reingefegt haben sollte, wird daS Commando angeblich dem General Hildyard übergeben, um sich ganz der Organisation der von England eintreffenden Verstärkungen zu widmen. BoerischcS Ttanvgertcht. Ein Herr De Kock auS IagerSfontein theilt der englischen Zeitung „Bloemfontein Post" mit, daß sein Bruder Meyer De Kock von den Boeren am II. Februar in Belfast er schossen worden sei. Er habe sich nach dem Fall von Pretoria, nachdem er eingesehen, daß weiterer Widerstand zwecklos sei, ergeben und em BoerenfriedenScomitv gegründet, zu dessen Präsident er ernannt wurde. Später sei ihm von den Engländern erlaubt worden, nachBelfastzurückzukehren.um dort in seinem eigenen District für den Frieden zu wirken. Am 21. Januar habe er eS unternommen, einen Brief von General Smith-Dorrien au General Botha zu überbringen, und ^r habe in Folge dessen Belfast unter dem Schutz der weißen Hlagge verlassen. Sobald er das Boerenlager erreichte, wurde er jedoch gefangen genommen und wegen HochverrathS in RooSsenekal abgeurtheilt, wobei die einzigen vorgebrachten Beweise einige Papiere gewesen seien, die auf daS FriedenS- comile in Pretoria Bezug hatten. Er sei trotzdem für schuldig gefunden und zum Tode verurtheilt und später hingerichtet worden. Er hinterläßt eine Frau und fünf Kinder. Einer soeben veröffentlichten amtlichen Aufstellung zufolge haben die englischen Verluste seit dem Beginne deS Krieges bisher betrügen: Getkdtet und an ihren Wunden gestorben 482 Officiere und 4775 Mann, an Krankheiten gestorben 2l6 Officiere und 8577 Mann, mit anderen Todesfällen zusammen 690 Officiere und 13 734 Mann todt. Vermißt und gefangen sind noch 17 Officiere und 758 Mann, als Invaliden wurden beimgesandl 1892 Officiere und 43 534 Mann, so daß der Gesammt- verlust sich auf 2599 Officiere und 58 026 Mann stellt. Von diesen Haden sich allerdings wieder viele als geheilt auf den Kriegsschauplatz begeben. Die Wirren in China. Rußland und die Mandschurei. DaS „Journal de St. PöterSbourg" schreibt: Die RegierungSmittheilung, die wir bereits veröffentlicht haben, enthält eine ausführliche Darstellung der Haltung Rußlands hinsichtlich der Frage, die durch die im ver gangenen Jahre in China au-gebrochenen Wirren entstanden »st. Diese Haltung ist schon in früheren amtlichen Mittheilunaen sehr genau gekennzeichnet worden: die russische Regierung bleibt derselben unveränderlich treu, indem sie sich bestimmte Grundsätze aufstellt, welche ihre Gesammtpolitik im Osten wie in den Beziehungen zu den Mächten leiten. Der Gesichtspunkt der Regierung bezüglich der schwebenden Frage wurde bestimmt durch ihre Lage hinsichtlich Chinas, da« auf einer ungeheuer weiten Strecke Rußlands Grenznachbar ist, sowie durch da« Verlangen, soweit wie möglich daS Feld für Ver wickelungen in Oslasien zu beschränken. Keine Absicht terrtvrialer Vergrößerung verfolgend, entsprechend ihren Traditionen fest entschlossen, das Princip der Integrität deS chinesischen Reiches zu wahren, hatte die russische Re gierung sich von Anfang an eine umgränzte Aufgabe gestellt, von der abzuweichen sie nicht beabsichtigte, indem sie sich dabei leiten ließ von gleichzeitig friedlichen und Humanitären Erwägungen. Im Nahmen deS allgemeinen Einvernehmens mit den Mächten hat sie sich an der Action bethriligt, die die Befreiung der Gesandtschaften und der belagerten Aus länder zum Ziele hatte, und wirkt jetzt mit bei den Maß nahmen, die getroffen werden, nm eine Wiederholung der Wirren de« vorigen JahreS zu verhindern, jedoch hat sie geglaubt, daß man Grund habe, sich bei den China zu präsentirenden Forderungen genau auf da« Unerläßliche und Mögliche zu beschränken. Aber neben den Fragen von gemein samem Interesse für alle Mächte war diejenige, die durch Angriffe auf russische Orte an der Grenze geschaffen war, sowie durch Beschädigungen der Eisenbahn ,m Osten Chinas, für deren Bau eine besondere Vereinbarung abgeschlossen war zwischen Rußland und China. Die russische Regierung mußte Truppen in die Mandschurei einrücken lassen, ohne Ab sichten auf Annectirung zu haben oder ein Protectorat zu be anspruchen, wie gewisse ausländische Organe ihr vollkommen mit Unrecht unterstellt haben. Der Schienenweg, um den eS sich bandelte, ist für die Allgemeinheit von Interesse, aber durch die Bemühungen Rußlands ist e« zu seinem Bau gekommen, eS war deshalb nothwcndig, sich zu vergewissern, daß in Zukunft die Arbeiten in voller Sicherheit fortgesetzt werden können. Garantien in dieser Richtung sind e«, die die russische Regierung bei den projectirten Verhandlungen mit der chinesischen Regierung im Auge hatte. ES versteht sich von selbst, daß keine militärischen Maßnahmen ge troffen werden konnten zur schrittweisen Räumung der Mandschurei, bevor uicht diese Garantien von China gegeben waren. Mit dem Augenblicke, wo der Abschluß eines Abkommens in diesem Sinne nicht statthaben konnte aus Grund von Hindernissen, die die chinesische Regierung darin fand, wird Rußland, wenn eS auch seinem mehr als einmal dargelegten politischen Programm unabänderlich treu bleibt, abwarten, bis ein normaler Zustand in China wieder her gestellt ist, und bis eine Central-Regirrung die Gewalt vollständig wieder übernommen hat, die unab- hängia ist und genügend stark, um Garantien zu geben gegen eine Erneuerung der letzten Wirren. Der langen Rede kurzer Sinn ist: Rußland hält die Mandschurei, da eS mit dem Willen China- nickt geht, ohne dessen Zustimmung „bis auf Weiteres" besetzt. Es kann ohne von seinen faktischen Erfolgen etwa« preiszugeben, der Weiter entwickelung der Dinge gewissermaßen passiv zusehrn, genau dasselbe Spiel treibend, wie seinerzeit die Engländer in Egypten. Proteste wird eS freilich noch genug über sich ergehen lassen müssen. So soll Japan, nicht zufriedengestcllt durch die letzte russische Antwort auf seine Vorstellungen wegen de« Mandschurei-Vertrag-, zu einer neuen, noch energischeren Protestnote, die angeblich einem Ultimatum gleichkommen werde, entschlösse»» sein. Die russische Regierung vermag aber, wie die „Münchn. Allg. Zig." zutreffend hervorhebt, demgegenüber darauf zu verweisen, daß ja der Vertrag von China abgelehnt wurde, daß also die Beschwerden gegen den selben eigentlich gegenstandslos sind. * Shanghai, 8. April. („Reuter-Bureau".) Jüjinlin, der Gouverneur von Hupeh, ist zum Gouverneur von Kwaugsi ernannt worden an Stelle von Huanghuaisrn, welcher den Be fehl erhielt, seine Entlassung einzureichen. Die „North China Daily News" sieht diese Ernennung als ein Zeichen dafür an, daß die reaktionäre Partei in Singaafu trachtet, der Boxer bewegung in den südlichen Provinzen Eingang zu verschaffen. * Peking, 8. April. In chinesischen Kreisen geht da« Gerücht um, Tungsuhsiang habe die Fahne der Empörung erhoben und marschire mit einer großen Streitkraft gegen Kalgan. Eine Bestätigung des Gerüchte» liegt nicht vor. * London, 9. April. (Telegramm.) „Standard" meldet auS Shanghai voin 8. April. Der Präsident der Fiuanzverwaltung, Mandschui Tschinghsin, welcher sich grgenwärtig auf dem Wege nach Singanfu befindet, führt «in« allgemeine Petition Peking- mit sich, in der der Kaiser gebeten wird, nach Peking zurückzukrhren und im Berein mit den Mächten den Frieden wieder herzustellen. Politische Tagesschau. * Let-ri«, 9. April. Kurz vor dem Osterfeste klagte ein Berliner Mitarbeiter der Münchner „Allgem. Ztg." darüber, daß die deutsche Nation sich nicht der Stimmung behaglicher Ruhe hingeben könne; je mehr der kleinliche Foyerklatsch zurücktrete, um so beängstigender brächten sich die „ungelösten Probleme", welche die Gegenwart beherrschten, zum Bewußtsein. Daß die Weltlage ernst sei, brauckt man nicht erst zu sagen; jedenfalls aber sei die Empfindung überwiegend, daß die innere Situation die größten Schwierigkeiten verursache. Am Anfänge deS nun zu Ende gegangenen Winter« habe man vor zwei großen Aufgaben, der Zolltarifreform im Reiche und dem Canalproject in Preußen, gestanden, und heute, vier, fünf Monate später, stehe man diesen Aufgaben gegenüber auf dem alten Flecke, und die Frage, ob und wie sie ihre Lösung finden werden, sei ungeklärter als je. Der Verfasser wies dann darauf hin, daß die Conservativen sich gegen den Verdacht, als ob sie beide Gegenstände mit ein ander verkoppeln wollten, ebenso entschieden verwahrt hätten, wie die Regierung, und fuhr dann fort: „Um so eifriger ober wird in der der Zollreform opponirenden Presse ein angebliches Wort de« Kaiser- colportirt und auSgebeutet, nach welchem er vor Annahme des Canal- dem Zolltaris seine Zustimmung nicht geben werde. Wa- an dieser angeblichen Arußerung vom Schlucken müssen der Canalvorlage, fall- die konservativen Tariswünsche sich erfüllen sollten, Wahres sein könnte, braucht man nicht weiter zu untersuchen; an sich liegt kein Grund vor, diese Erzählung ander- zu behandeln al- sonstigen Hofklatsch. Jedenfalls läßt aber die Form, in welcher der Au-spruch herumgeboten wird, genügend erkennen, daß e» den Colportruren darum zu thun ist, die Con- fervativen zu verletzen und sie dadurch in ihrer Hartnäckigkeit Forrilletsn. Der Oger. Roman von Hermann Birkenfeld. Nachdruck »«rboleii. Barhaupt eilt Rudi den einsamen Sandweg entlang, durch eine Lücke der Stadtmauer, über den Kirchplatz, lauft durch ein paar winklige Gäßchen, bi» er da» Wasser d«S Hafen- vor sich blinken sieht. Auf der schmalen Zugbrücke, die zum jenseitigen Ufer führt, bleibt er stehen und holt ein paar Mal tief Athem. Kaum fechszig Schritt vor ihm leuchtet das Fenster seiner Muttep. Ob sie es schon weiß? Das hat er noch gar nicht über dacht; aber jetzt, während er auf die Hellen Scheiben sieht, meint er, eS sei ganz bestimmt, daß sie von Allem unterrichtet ist. Be klommenen Herzens geht er weiter, dicht an ein paar Häusern, an einer dunklen Mauer entlang, die bis an seiner Mutter Wohnung reicht. Ein paar Leute begegnen ihm, Frauen auS der Nachbarschaft, in eifrigem Gespräch. Wovon werden sie reden, als von ihm? Er schleicht an ihnen vorüber — Gott Lob, un erkannt! Er wundert sich, sonst Niemanden hier draußen zu treffen; er fühlt ja den kalten Nebel nicht, der vom Flusse lßr weht und Neugierige, wie Müßige in die Häuser treibt. Sein elterliches Haus steht in einer Straßenecke;, wie ein Dieb huscht er um dieselbe herum — an dieser Seit« sind alle Fenster dunkel. Mit einem Satze ist er auf dem niedrigen Staket da« Hautgärtchens, mit einem zweiten hinüber. Ein Weg, den «r so oft schon eingeschlagen hat. Auch hier kein Licht, kein Geräusch. Dir Hofthiir, an der er tastet, ist verschlossen. Wer ihn jetzt hier fände! Er sieht an der Giebeltvand empor. Da« zweiflüglige klein« Fenster oben gehört zu seiner Schwester Zimmer. Er nimmt ein Steinchen vom Boden und wirft «S hinauf, dann ein zweite» und noch ein». Alle» bleibt still, starr — todt. Ja, wie Lodtenaugen sehen die glanzlosen schwarzen Scheiben droben auS ihrem weißen Rahmen auf ihn herab. Ihm wird unheimlich. „Gabriele!" rüst er halblaut. Kern« Antwort. So schwingt er sich über den Zaun zurück; an der Hau-eckr aber lehnt er den Kopf an die Mauer und dncht in ^schluchzen au» ,.. „Rudi, o Rudi, was soll die» werden." Gabriele hat e» daheim, als ihr Bruder nicht zurückkehrie, nicht aushalten können vor Qual und Angst; so hat sie Erna Hansen aufgesucht, die ihr, selbst in Thränen, das Schreckliche mittheilte, sie dann heimgeleitete und nun mit abgewandtem Kopfe neben ihr steht. Er hat sich aufgerichtet und hält der Schwester Hand in seiner eigenen. „Ich wollte Dich noch einmal sehen, Gabriele —" „Du willst fort?" fragt sie, von unten herauf in seinen Augen forschend. Er nickt nur. Er weiß ja noch nicht einmal, wohin. Nur daß er zu Karl Flügge zurück muß. Und ihr ist die Nothwendig- keit seiner Flucht klar, alles Andere im Augenblick ja auch neben sächlich. „Warte hier eine Minute!" Er starrt ihr nach, wie sie in der Hausthür verschwindet. Erna Hansen anzuschauen, fehlt ihm der Muth. So sieht er nicht, daß zwei große Thränen langsam über ihre Wangen rollen, und sie wagt kaum, zu athmen, viel weniger die heißen Tropfen abzuwischen. Gabriele kehrt zurück, in der Hand einen Hut, Ven sie ihm aufsetzt. Dann zieht sie ihm seinen alten Ueberzieher an. „Ich habe etwa» für Dich hineingesteckt", flüstert sie, doch nicht so leise, daß Erna die Worte entgangen wären. Mit raschem Entschlüsse tritt diese auf ihn zu und läßt einen kleinen, schweren Gegenstand in die Tasche seine» UeberzieherS gleiten. Unwillkürlich greift er danach, und glühende Scham brennt ihm im Gesicht. Ihre Börse! „Nein, nein, das nicht —" wehrt er. Sie ist einen Schritt zuriickgetveten. „Warum nicht?" fragt sie, unk> er bemerkt, wie sie die Lippen verzieht. „Meinen Sie gerade jetzt den Stolzen spielen zu müssen? Dies wär« ja wohl die passendste Gelegenheit dazu. Aber meinet wegen! Ihre sogenannte Ehr« geht mich blutwenig an, und Ihnen ein Almosen anjubieten, ist mir wahrlich nicht in den Sinn ge kommen. Sir können mir die paar Lhaler ja mit Zinsen zurück geben — wenn Sie 'mal soweit sind. Ich entbehr sie gewiß nicht." Die Schärf« in ihrem Tone und ihr Selbstbewußtsein reizen ihn. Don ihr Geld annehmen? — Nein! — zum Ueberfluß gedenkt er noch der Scene mit Lisa Flügge, bei der die Mädchen ihn belauscht haben. „Ich danke Ihnen, aber ich verzichte auf dai Darlehn", spricht er, und als sie die Hand nicht auistreckt, ihm da« Portemonnaie abzunehmen, läßt er eS zu Boden fallen. Gabriele hebt es auf. „So nicht!" sagt sie entschieden. „Ich, ich danke Dir tausend Mal, Erna. So, nun gehört das Gelio mir, und von mir mußt Du es nehmen." Damit schiebt sie das Portemonnaie wieder in seine Tasche. „Rudi, Rudi, wie thuft Du ihr Unrecht! Sie hat cs so gut gemeint, und Du —" „Gute Nacht, Gabriele!" sagt Erna Hansen. Ihre Stimme zittert dabei ein wenig. „Gute Nacht!" sagt auch er. „Lebewohl, Schwesterherz! Ich schicke Dir Nachricht, sobald ich kann." Er darf sich nicht länger aufhalten lassen. Noch eine rasche Umarmung, dann steht das kleine Geschöpf mit den großen Augen allein vor der alterthümliehen Hausthür. Aber die Thür öffnet sich noch lange nicht, und auS den Augen quellen Viele Thränen, dieweil Erna Hansen über die Brücke in die Stadt eilt. Es ist gut, daS Karnin noch ein« recht mangelhafte Be leuchtung hat. So etwas empfindet wenigstens Rudolf Lam mert. Jenseits der Zugbrücke hat er Erna eingeholt. „Ich hoffe, daß Sie mir das Geleit nicht wehren, oder scheint es Ihnen gefährlich, so allein über die Straß- zu gehen, mit dem Oger?" Durch Thränen wirft sie ihm einen zornigen Blick zu. „Lassen Sie den Namen, ich mag ihn nicht. Die Gefahr ist auf Ihrer Seite, ich habe —" Sie stockt. „Sie haben kein Verbrechen begangen? Im Gegentheil, Sie wollen noch feurige Kohlen auf eines Vogelfreien Haupt sammeln." „Ich wollte gar nichts, als — all Gabriele über di« nächste, allernatürlichste Sorge htnweghelfen", antwortete sie heftig. „Ich weiß ja nicht, wie der Streit zwischen Ihnen und Ulrich entstan den ist; denn was die Leute schwatzen, glaub« ich einfach nicht, am wenigsten, daß sie Jemanden überfallen könnten. Uebrigens kommen wir nun an den Markt, und da» —" „Ist kein Weg für Verbrecher." „Schämen Eie sich, zu spotten!" Er möchte lachen, dock e» gelingt ihm nicht. „Ich danke Ihnen", spricht er langsam, ihr die Hand zum Abschiede reichend. „Wofür? — Sie haben daS Geld ja von Gabriele —" Nun stampft er mit dem Fuße auf. „Sir wissen, daß ich davon nicht rede. Nur — Ihre gute Meinung. — Ich bin's gar nicht gewöhnt, daß noch Einer etwas von mir hält." Seine Hand will sie nicht «»nehmen. Aber sie flüstert mit stockendem Athem: „Vielleicht. — Wer weiß, ob's so schlimm wird, wie die Leute sagen! Doch Sie müssen fort Adieu!" Wie eine Prinzessin hat sie ihm zugenickt. Den Kopf ganz voll krauser Gedanken, langt er wieder bei Flügges an, und sehr unfreundlich ist der Empfang. Der Alte wie dessen inzwischen zurückgekehrter Sohn schelten über seinen unglaublichen Leichtsinn, und Lisa's venoeinte Augen reden gleichfalls schwere Vorwürfe. Doch besänftigt er alle Drei einigermaßen dadurch, paß er sich nun nicht mehr weigert, sein Abendbrod einzunehmen und dabei dem Alten versichert, Gabriele seinen jetzigen Aufenthalt nicht verrathen zu haben. Karl Flügge drängt übrigens zum Aufbruch. Er hat schon einen alten Mantel und Hut für seinen Schütz ling hervorgesucht — recht zweifelhaft aussehend« Kleidungs stücke, die nun überflüssig werden. Aber einen Brief, den er während Rudolf'- Abwefenheit geschrieben hat, schiebt er ihm jetzt in die Brusttaschr. Mit Allem klebrigen weiß Heini Bescheid. Er geht mit Ihnen, taugt besser dazu, als der Schnapsflügge. Uebrigens Ihr Glück, daß Sie den heute 'mal nüchtern getroffen haben", sagt er, und wieder zieht ein grimmiges Lächeln über sein Gesicht. „Hahaha, unsere Spießbürger! Die Schafsköpfe, die «da glauben, Karl Flügge thäte nicht», al« vagabondiren und saufen! Jawohl! Hab's ihnen heute 'mal wieder bewiesen. Schweiß saufen, Schweiß! Meinen Sie, ich ginge zum Spaß wildern? Freilich, höll'schen Spaß macht mir «, dem Schwager Senator die Jagd zu verderben — brauchst nicht so bärbeißig d'reinzuschauvn, Heini! Meinst, es ist ein unehrlich Gewerbe? Als ob Friedrich Fett henne In seinem Leben nicht- Schlimmere- gethan hätte! Na, heute hat er'» gekriegt, Bock und Sohn — Sohn unto Bock. Auf's Blatt hat er'» gekriegt — schnack»! Da» sitzt!" Karl Flüggc's Athem duftet derrätherisch. Sein Sohn zieht Rudolf mit sich hinaus. „Pestluft!" ruft er. „Aber der Alte thut mir mehr leid, als daß ich ihm gram sein könnte." Lisa hat ein Tuch um den Kopf geschlagen und mtt den Beiden das Haus verlassen. An der ersten Wegecke fchiöbt Heini Flügge sie dem Freunde zu „Gebt Euch meinetwegen 'nen Kuß, und kann Adieu!" sagt er und dreht sich diskret um. Es bleibt aber nicht bei einem Kuß. Ei regnet Küsse. Wild aufschluchzend hängt Lisa an Rudolf'» Halse, bis er sich fast gewaltsam loSmacht und sie zurückeilt, rasch wie der Wind. Heini nickt gleichmiithig. „Wußte ja Bescheid, unv — hol'» der Henker, Junge —
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