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01-Frühausgabe Leipziger Tageblatt und Anzeiger : 25.04.1901
- Titel
- 01-Frühausgabe
- Erscheinungsdatum
- 1901-04-25
- Sprache
- Deutsch
- Digitalisat
- SLUB Dresden
- Lizenz-/Rechtehinweis
- Public Domain Mark 1.0
- URN
- urn:nbn:de:bsz:14-db-id453042023-19010425019
- PURL
- http://digital.slub-dresden.de/id453042023-1901042501
- OAI-Identifier
- oai:de:slub-dresden:db:id-453042023-1901042501
- Sammlungen
- LDP: Zeitungen
- Strukturtyp
- Ausgabe
- Parlamentsperiode
- -
- Wahlperiode
- -
Inhaltsverzeichnis
- ZeitungLeipziger Tageblatt und Anzeiger
- Jahr1901
- Monat1901-04
- Tag1901-04-25
- Monat1901-04
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Ämtsvtatt des königlichen Land- nnd Äintsgerichles Leipzig, -es Aatyes und Nolizei-Ämtes der Ltadt Leipzig. Donnerstag den 25. April 1901. Anzeigen-Preis die 6gespaltene Petitzeile 25 Reelamen unter dem Redaerion»strich (4 gespalten) 75 vor den Familienaoch« richten («gespalten) KO Lj. Tabellarischer und Ziffernsatz entsprechend höher. — Gebühren für Nachweisungen «nd Offerteiiannahme LS L, (excl. Porto). Ertra-Beilagen (gefalzt), nur mit der Morgen-Ausgabe, ohne Postbesörderung .4! vv.—, mit Postbesörderung 70.—. Annahmeschluß für Anzeigen: Ab end-AuSgab«: Bormittag» 10 Uhr. Morgen-Ausgab«: Nachmittag» 4 Uhr. Bei den Filialen und Annahmestellen je eine halbe Stunde früher. Anzeige« find stets an die Expedition zu richten. Die Expedition ist Wochentags ununterbrochen geöffnet von früh 8 bis Abends 7 Uhr. Druck und Verlag von E. Polz in Leipzig. 95. Jahrgang. Stabilität der Lismarck'schen Politik und der heutigen Negierungspoutik. H. Die Weltpolitik. J-n einem der schönsten und sinnvollsten Märchen aus „Tausend und einer Nacht" wird von einem herrlichen Schatze erzählt, der sich auf dem Gipfel eines verzauberten Berges be findet. Tausende von muthigen Jünglingen haben ihn herunter zuholen gesucht, aber Alle sind sie dabei umgekommen, Denn auf dem Wege vom Fuße des Berges bis zum Gipfel dringen ihnen unaufhörlich lockende, drohende, scheltende, bald menschliche, bald thierische Stimmen in die Ohren, und wer sich auch nur ein mal noch diesen Stimmen umdreht, ist dem Tode verfallen. End lich naht sich ein ebenso kluger wie entschlossener Jüngling, der un- veirrt durch diese Stimmen den Berg hinaufklimmt und dem nun der köstliche Schah zufällt. Fürst Bismarck hat zeitlebens beim Anstrebcn seiner Ziele nach der Allegorie dieses Märchens gehandelt, und es gelang ihm dadurch, die töstlicken Schätze zu heben, von denen wir vorhin ge sprochen haben: die Einigung Deutschlands und die Sicherung des geeinten Deutschlands. Der Besitz dieser beiden Schätze er möglicht es nun, nach einem dritten zu streben, der kaum minder kostbar ist und der zutreffend durch das Schlagwort „ Welt politik" gekennzeichnet worden ist. Ja, „Weltpolitik" ist ein gutes Schlagwort, wie es denn überhaupt an treffenden Schlagwokten heute kaum weniger fehlt wie zu Bismarck's Zeiten, der bekanntlich ein Meister darin war, prägnante Aus drücke zu schaffen. Nur ein kleiner Unterschied besteht. Wenn Bismarck in den sechziger Jahren das Wort in die Welt hinaus- oonnerte: „Nur durch Blut und Eisen wird Deutschlands Einheit gewonnen werden", so war dieses Wort eben nicht nur ein Wort, sondern es war die Richtschnur seines Handelns. Wenn aber heute Worte wie „Weltpolitik", „Platz an der Sonne" u. s. w. in der Luft umherschwirren, so ist es nicht ganz sicher, daß die Staatskunst auch unter allen Umständen gesonnen ist, diese Worte zur Richtschnur ihres Handelns zu machen. Denn läßt sich der leitende Staatsmann heute durch die lockenden, scheltenden, mahnenden und warnenden Stimmen, di« ihn umschwirren, nicht beirren? Wir wollen es wünschen, aber ivir wissen es nicht. So viel erscheint jedenfalls sicher, daß die Warnungen Derer, denen das Wort „Weltpolitik" ein Greuel zu hören ist, eine gewisse Einschränkung dieses Begriffes ver anlaßt haben. Und doch hat nun einmal Deutschland Interessen innerhalb der ganzen Welt, und zwar Interessen zweierlei Art: das Interesse zur Erhaltung und Belebung des Deutschthums bei den Millionen deutscher Landsleute, die über den ganzen Erdkreis zerstreut leben, und zweitens das Interesse, gewonnene wirthschaftliche Positionen festzuhalten und neue zu schaffen. Was aber geschieht nach beiden Richtungen? Es wäre nicht nur für das Ansehen und die Ehre des deutschen Namens, sondern auch politisch und wirthschaftlich von höchster Bedeutung, wenn alle Mittel angespannt würden, um in den Landsleuten jenseits der Meere das Gefühl der Zusammengehörigkeit mit demHeimath- lande fortdauernd lebendig zu erhalten. Unter allen Mitteln verstehen wir aber nicht nur die staatlichen Mittel — denn diese können immer nur beschränkt sein und werden sich außerdem niemals von einem gewissen bureaukratischen Zuge frei machen können, der gerade in diesem Falle ihren Werth stark verringert — sondern die Zusammenfassung des so stark emporgediehenen Nationalgefühls zu Organisationen, die unter Mitwirkung der staatlichen Organisationen arbeiten. Daß cs hierfür gangbare Wege giebt, dessen sinv wir gewiß, freilich muß mit der bureau kratischen Ansicht, daß der Staat Alles allein oder doch am besten machen könne, gebrochen werden. In welcher Richtung hier etwas geschehen kann, das sei kurz andeutend durch den Satz ausge- drückt: Von den Deutschen im Auslande wird nur dann ein inniges Festhalten an ihrem Deutschthume und an dem alten Vaterlande verlangt werden können, wenn man nicht immer nur von ihnen verlangt, sondern wenn man ihnen auch ge währt. Daß ein viel innigeres Gemeinschaftsgefühl der über seeischen Deutschen mit dem Reiche, als es heute besteht, ein un endlich wichtiger Hebel für eine erfolgreiche Weltpolitik ist, dafür bedarf es keines Beweises. Wir kommen zu den wirthschaftlichen Weltinteressen Deutsch lands. Auch hier läßt sich durch ein Zusammenwirken staatlicher und privater Organisationen außerordentlich viel erreichen. All zuviel Zeit ist nicht zu verlieren, wenn Deutschland nicht von den nicht nur politisch, sondern auch wirthschaftlich in den letzten Jahren mit ungeahnter Kraft und mit bekannter Rücksichtslosig keit vorwärts strebenden Vereinigten Staaten über den Haufen gerannt werden will. Nicht die Bajonette und die Panzerschiffe werden diesen Kampf entscheiden, sondern die staatsmännische Fähigkeit zur Organisation und zur Ausnutzung aller vorhan denen Kräfte. Daß es die Aankees in dieser Hinsicht nicht an sich fehlen lassen werden, dessen können wir sicher sein. Die bestehende Abneigung gegen die Aankees mag noch so be rechtigt sein: jedenfalls wäre man blind, wenn man ihnen Eins nicht zugestehen wollte: die Freiheit von der Schablone. Da durch sind sie groß geworden, und nur Der wird mit gleich starken Waffen gegen sie kämpfen können, der sich ebenfalls von der Schablone zu befreien versteht. Und auch dabei müssen wir unwillkürlich an Bismarck denken. Was hatte ihm denn zu seinen unerhörten diplomatischen Erfolgen verhalfen? Daß er schlechthin in Allem von Den Staats männern der alten Schule abwich. Er schuf den Typus des modernen Diplomaten. Diesen Typus weiter auszugestalten, den neuen Erfordernissen entsprechend, ist die Aufgabe Der heutigen Staatskunst. Wird Graf v. Bülow dieser Aufgabe gewachsen sein? Mit der Beantwortung dieser Frage entscheidet sich zugleich sein Schicksal im Amte und in der Geschichte. Bismarck war den Friktionen in der Hofgesellschaft und im parlamentarischen Leben gewachsen, weil er das ungeheure Gewicht seiner Leistungen und Erfolge in die Waagschale werfen konnte. Wenn es Graf Bülow gelingt, durch eine wahrhaft moderne Auffassung der Deutschlands har- I renden Aufgaben in der Weltpolitik ähnliche Erfolge zu erringen, I wie sie Bismarck in der europäischen Politik errungen hat, fo I wird er auch dem Anstürme seiner innerpolitischen Gegner gegen über eine ganz andere Position haben als heute. Und damit ent scheidet sich zugleich auch seine Stellung in der Geschichte, die ja ooch davon nicht abhängt, ob er 5, 10 oder 20 Jahre Reichskanzler ist, sondern davon, was aus dem Reiche innerhalb der Zeit seiner Kanzlerschaft geworden sein wird. Je mehr er durch eine wahrhaft zielbewusste und moderne, die Volkskräfte anspannende und inter- essirenve Weltpolitik das Volk unter sein Banner bringt desto weniger wird er auch genöthigt sein, seine Kraft im Kampfe gegen Jnkriguen zu verzetteln. Die Wirren in China. Brief von vr. Küttner. Der „Schwäbische Mercur" veröffentlicht wieder einen Brief des bekannten Chefarztes des Vereinslazareths vom Rothen Kreuz in Dangtsun, vr. Küttner, dessen Mit- theilungen das Beste sind, was bisher an Ort und Stelle ge schrieben ist. Der an Professor vr. v. Bruns in Stuttgart ge richtete Brief besagt in der Hauptsache: s!) angtsun , 12. Februar. Allmählich scheint derFriede in China einzuziehen-, wenigstens bilden wir es uns ein. Zur Sicherheit wollen wir „unberufen" hinzufügen, denn was der Chinese sich denkt und vorhat, bleibt jedem Europäer verschlossen, auch wenn er zu der hier sehr gefürchteten Classe der China kenner gehört. Thatsache ist, dass die Bewohner Petschilis, welche unter dem Terrorismus und der Brutalität ihrer fanatisirten Landsleute Wohl noch mehr gelitten haben, als die Fremden, in die zerstörten Dörfer und Städte zurllckkehren, daß sie so gar Frauen und Kinder mitbringen, ein gutes Zeichen bei der fast mohamedanischen Aengstlichkeit, womit der Chinese das Weib (namentlich das jugendliche) vor fremden Augen verbirgt. Nur hier und da wird das Land noch durch starke, mit Boxern zusammenarbeitende Räuberbanden beunruhigt. So treibt a'igenvlicklich -ine hauptsächlich aus versprengten Resten der Lutai-Armee bestehende, über 1000 Mann starke Bande in der Nähe von Aangtsun ihr Wesen, brandschatzt die Ortschaften und versetzte auch uns neulich Nachts in Alarm. Von unseren Truppen wird eifrig Jagd gemacht, hoffentlich gelingt es bald, die durch Spione ausgezeichnet unterrichtete und sehr gut bewaffnete Bande zu überrumpeln. Sieht man von derartigen vorübergehenden Beunruhigungen ab, so beginnt die chinesische Bevölkerung, sich reckt wohl zu fühlen. Der eigentliche Krieg hat zum Theil auf gehört, und die Fremden sorgen dafür, daß Geld unter die Leute kommt, und daß weder der blutsaugende Mandarin noch der Boxerhäuptling ihre Schreckensherrschaft auszuüben vermögen. Im Grunde seiner Seele (wenn man von einer solchen überhaupt reden darf) ist nämlich der Durchschnittschinese ein friedliebender Mensch, und die meisten sind der Boxerbewegung nur beigetceten, weil sie dazu gezwungen wurden. Ist allerdings die Bestie ein mal entfesselt, wer vermag sie dann zu halten. Wie weit der Terrorismus der Boxerführer gegangen ist, läßt sich daraus er sehen, daß einer der Häuptlinge hier in der Gegend von jeder Familie ein männliches Mitglied requirirte und Haus und Hof verbrannte, wenn der Betreffende fahnenflüchtig wurde oder die Heeresfolge verweigerte. Wir erhalten jetzt regelmäßig Zeitungen aus Deutschland, doch zu einer rechten Freude über das Gebotene vermögen wir nicht zu kommen, und oft legen wir die Blätter mißmuthig aus der Hand, wenn wir die Chinaartikel durchgelesen haben. Na mentlich die Reichstags Verhandlungen entrollen ein wenig erfreuliches Bild. Auf Grund welcher Dokumente versucht man dort und in manchen Zeitungen das Vaterland in den Augen der Welt herunterzusetzen! Ein Brief aus Taku z. B. vom Anfang Oktober starrt förmlich von Blut und wird als Beweis für die Brutalität unserer Leute in die Welt hinausposaunt. Wir sind selbst um diese Zeit in Taku gewesen, aber wir haben nur das lebhafte Getriebe gesehen, welches die Ein- und Aus schiffung von Trupven, von Proviant und Handelsartikeln für ein großes Heer mit sich brachte. Gekämpft wurde hier schon seit Monaten nicht mehr, und die unbeerdigten Leichen, die in den Straßen Tongkus noch umherlagen, waren ältesten Datums. Selbst die Niederbrcnnung der Pekinger Hanlin-Bibliothck hat man, wie wir hören, in Deutschland den europäischen Truppen in die Schuhe geschoben, und doch wurde diese einzig dastehende Sammlung von den Chinesen selbst ohne Zögern in Brand ge steckt, nur damit sich von ihr aus die Feuersbrunst auf die benachbarte englische Gesandtschaft ausbreite. Es ist eigentlich zu verwundern, daß man nicht vorsichtiger in der Wahl der Dokumente gewesen ist, auf Grund deren das deutsche An sehen in den Staub gezerrt werden soll. Solche Beweisstücke, 'wie die eben angeführten und viele aridere, sind doch gar zu leicht zu widerlegen und bewirken nur das Gegentheil von dem, was ursprünglich beabsichtigt war. Recht betrübend für uns Deutsche in China ist es auch, zu lesen, in welch' zartfühlender Weile über unseren Feldmarschall hcrgezogen wird. Ich hätte z. B. nie gedacht, daß ein Blatt wie die Münchener „Jugend" ein Gedicht aufnehmen würde, wie das in Nr. 46 enthalten«, über die Dysenterie-Erkrankung des Grafen Waldersee. Welch' ungeheure Schwierigkeiten die Aufgabe mit sich bringt, welche der bejahrte Feldmarschall in treuer Pflichterfüllung übernommen hat, sollte man auch zu Haus beurtheilen können. Man sollte einsehen, daß es für einen alten Soldaten viel angenehmer und leichter ist, große kriegerische Actionen zu leisten, als sich mit diplomatischem Geschick und Tact durch alle die Schwierigkeiten hindurchxuwin'derz, «welche die widersprechenden Interessen der Mächte ihm verursachen. Daß allmählich wieder Ruhe und Ordnung in Petschili einzieht, daß Handel und Wandel wieder zu blühen beginnen, daß vor Allem die leidigen Chinawirren bisher keinen Weltenbrand entfacht haben, Alles das ist in erster Linie das Verdienst des Grafen Waldersee und mit ihm des Commandeurs deS deutschen Ex peditionskorps, Generalleutnants v. Leflel. Ich habe, so viel ich weiß, noch niemals von unseren Soldaten erzählt; es geschah dies nur, weil ich mir erst durch längere Beobachtung und durch Vergleich mit anderen Nationen ein klares Urtheil bilden wollte. Jetzt, nachdem ich Ferrölleton» Die Musik der armen Leute. Von Eduard Gerstner (Dortmund). NaLcruck vcrbct i'. In den Beschreibungen der Musikinstrumente, den Lehr büchern der Jnstrumentationskunst und anderen Anweisungen für Tonsetzer und Musikliebhaber findet man sogar Tamtam und Triangel, Schellen, Ambos und Castagnetten und dergleichen derbe Effectmittel mehr gewissenhaft aufgeführt. Nur das volksthümlichste aller Musikinstrumente — der Leierkasten, die Drehorgel, fehlt darin. Dies allerdings blos rein mechanisch ge spielte Tonwerkzeug, auf das auch heute noch weite Schichten der Bevölkerung vorwiegend zur Befriedigung ihres musikalischen Bedürfnisses angewiesen sind, hat aber eine so anziehende und lehrreiche Geschichte, daß sie wohl auch weiteren Kreisen bekannt zu werden verdient. Der Leierkasten besitzt nämlich einen um fangreichen und um viele Jahrhunderte zurückweisenden Stamm baum, und unter seinen Ahnen befinden sich verschiedene höchst interessante Instrumente. Wie der Name „Drehorgel" darthut, weist dieser Stamm baum zurück auf die Königin aller Instrumente, die wegen der majestätischen Fülle ihres Klanges und ihres priesterlichen Amtes also benannte Orgel, die eine mehr denn tausendjährige Ge schichte aufweist. Bereits die alten Hebräer, wie die Griechen und Römer besaßen sowohl hydraulische als pneumatische Orgeln, die sich dadurch unterschieden, daß die tonerzeugende Luft entweder durch Wasser oder durch Blasebälge in die Pfeifen getrieben wurde. Die Wasserorgel bildete im alten Rom ein beliebtes Hausinstrument, und Kaiser Nero, der sich ja für einen bedeutenden Tonkünstler hielt, besaß ein« ganze Anzahl davon. Die Byzantiner nahmen verschiedene Verbesserungen an den Orgeln vor. Ihr Kaiser Konstantin V. Kopronymos beschenkte zuerst Pivin und nachher auch Karl den Großen mit Wind orgeln. Karl ließ nach diesem Modell verschiedene andere In strumente bauen, deren Pfeifen aus Erz, die durch Blasebälge auS Ochscnhaut zum Tönen gebracht wurden, nach der Ver sicherung des Mönches von St. Gallen das Rollen des Donners, dir Klänge der Lyra und das Rasseln der Becken nachzuahmen vermochten. Seit dem 9. Jahrhundert schon besaßen die deutschen Orgelbauer einen großen Ruf, und vom 13. Jahr hundert an finden wir diese Instrumente, deren Mechanismus bereitS ein sehr kunstvoller und complicirter war, in allen Kirchen. Et gab nun im Mittelalter wie später neben den großen Kirchenorgeln auch kleine, tragbare Instrumente für den Haus gebrauch, aber unsere Drehorgel entstammt dennoch nicht in gerader Linie der „Königin der Instrumente", gleichsam als ob diese zu stolz gewesen wäre, einem so niedrig stehenden Ton werkzeuge, daS gewissermaßen den Proletarier unter diesen dar stellt, das Leben zu geben. Mr gelangen zu dem Leierkasten erst als einem Umwege, der uns, wie «dieser Name andeutet, von der Orgel zu der Leier führt: ^Zum Leierkasten wird die Leier Mit einer ew'gen Melodei." Di« Leier »der Leyer darf nicht verwechselt werden mit der antiken Lyra, dem ältesten Saiteninstrument, dessen Erfindung man dem Hermes oder Mercur zuschrieb. Sie war zuerst drei eckig und hatte drei Saiten, deren Zahl sich später bis auf elf vermehrte. Das Spiel geschah durch Reissen der Saiten mit einem Plektron oder auch mit den Fegern; das Instrument, das nur so viel Töne wie Saiten enthielt, die indessen in ver schiedenen Harmonien gestimmt wurden, hielt man dabei zwischen den Knien. Das später unter dem Namen Leier bekannt und beliebt gewordene Instrument wurde auch deutsche Leier geheißen, weil es in Deutschland erfunden worden war und dort mit Vorliebe gespielt wurde. Wir begegnen diesem merkwürdigen und inter essanten Saiteninstrumente bereits im 9. Jahrhundert, wo man es Organistrum nannte. Es glich einer riesigen Guitarre mit zwei Schalllöchern und zwei Saiten, unter Denen oben an der Seite des Halses acht bewegliche Stege erhoben uns nieder gelegt werden konnten, die also eben so vielen, die Töne ver ändernden Tasten glichen. Unten liefen die Saiten über ein durch eine Kurbel drehbares Rad. Zuerst bedurfte das Organistrum zweier Spieler, von denen der eine die Kurbel drehte und der andere die Stege handhabte; als man es später in kleinerem Formate herstellie, konnte eine einzige Person darauf spielen. In der Folge fügte man auch noch einige Saiten hinzu, die zwar ebenfalls über das Rad liefen und von ihm angestrichen wurden, ohne jedoch von der oberen Claviatur berührt zu werden. Sie summten daher immer in demselben Tone fort, weshalb man sie Hummeln nannte. In Frankreich bezeichnete man dieses Instrument bald als Rubelle oder Rebel, bald als Symphonie, aus welchem Namen im Dolksmunde Chikonie und Sifonie wurde; seit dem 16. Jahr hundert legte man ihm auch den alten Namen der Fiedel, „Vielle" bei. Die fahrenden Spiellente oder M6n6triers führten, wenn sie in mittelalterlicher Zeit zu größeren Festlichkeiten an den Höfen er schienen, verschiedene Gattungen von Instrumenten bei sich, unter denen wir neben der Harfe, Vielle, Rote oder Rotta (eine Art Zither), Saldier (Psalterium oder Zither), Gigue (Geige, «ine kleine Fiedel mit «drei Saiten), Fresteln (Pfeife), Armonie (eine Art Glockenspiel) auch stets die Chifonie oder Drehleier erwähnt finden. Diese deutsche Leier bestand aus einem der späteren Viola d'amore ähnlichen Resonanzkörper mit sehr hohen Zargen oder Seitenwänden, der nach dem Kopfe hin in einen länglichen Kasten auslief. Dieser Kasten hatte in seiner rechten Seiten wand 10 bis 12 Tasten, die den klingenden Theil der Saiten be grenzten und mit den Fingern der linken Hand gespielt wurden. Von den vier Darmsaiten, womit die Leier bezogen war, lagen zwei außerhalb zu beiden Saiten deS die Tasten enthaltenden Kastens und summten stets im Einklänge fort, weshalb sie wiederum Hummeln hießen. BloS dir mittleren wurden von der Tastatur beeinflußt und gaben die diatonische Scala von so viel Tönen, wie Tasten vorhanden waren. Die Schwingungen der Saiten wurden wie bei dem alten Organistrum durchcin hölzernes, mit Kolophonium bestrichenes Rad bewirkt, daS eine von der rechten Hand des Spielers gedrehte Kurbel in -die anstreichende Bewegung versetzte. Der dem Ende deS 16. und dem Anfang de» 17. Jahr hunderts angehörende Michael PraetoriuS nennt dieses Instru ment, daS trotz seiner Unvollkommenheit vom 10. bis zum 12. Jahrhundert in Deutschland al» Hau»- und Lieblinglmstrumrnt fast eine ähnliche Rolle gespielt zu haben scheint, wie heutigen Tages etwa das Clavier, ein« „BawrewLeyre" (d. h. Bauern- Leier) oder „umblaufende Weiber-Leyre, die mit einem Hand griff herumbgedrchet und deren claves (Tasten) mit der linken Hand tangirt werden". Das einst so beliebte Instrument war damals längst in Mßachtung gerathen und fand sich nur noch bei den wandernden Strassenmusilanten und Bettlern, weshalb man es auch als Bcttlcrleier bezeichnete. Wenn Goethe im ersten Theile seines „Faust" den Bettler die Spaziergänger vor dem Thore ansingen läßt: Ihr guten Herrn, ihr schönen Frauen, So wohlgepuht und backenroth, Belieb' cs Euch, mich anzuschaucn: Ach seht und mildert meine Noch!" so müssen wir uns dazu die auf einer Vettlerleier gespielte Be gleitung denken, weshalb der Dichter ihn auch gleich fortfahren läßt: „Lasst hier mich nicht vergebens leiern!" In späterer Zeit erfuhr wie Leier aber noch mancherlei Constructionsverbesserungen und erlebte in Frankreich während des 17. und 18. Jahrhunderts eine zweite Blüthezeit, bis sie von der Guitarre abgelöst und endgiltig verdrängt wurde, an deren Stell« in der Neuzeit wann das Clavier als Allerwelts- Jnstrument trat. Heutzutage findet man außer in Samm lungen eine Leier nur noch vielleicht in den Händen einzelner Savoyarden, die mit ihren Murmelthieren umherziehen. Es bleibt aber noch eine dritte Kategorie von Tonwerk zeugen zu besprechen, die zu den Vorläufern oder Ahnen unserer Drehorgel gehören, das sind die automatischen Musikwerke, so wohl in Kasten- oder Dosenform (Spieldosen) als in Gestalt von Menschen oder Vögeln. Sie enthielten Federn, Gewichte und dergleichen, bewegten Walzen oder Blasebälge, wodurch Stahl zungen oder kleine Orgelpfeifen zum Tönen gebracht wurden. Derartige Werke scheint bereits das Mittelalter gekannt zu haben; im Mittelalter verband man sie gern mit Uhren auf den Thürmen, und schon im 17. Jahrhundert stellte man Werke mit großen Maschinerien zusammen, Vie ein ganzes Orchester er klingen ließen. Im letzten Viertel jenes Jahrhunderts gab es automatische Orgeln besonders zahlreich in Mtttrlitalien. Die Familie Kauffmann in Sachsen that sich im 18. und 19. Jahr hundert im Bau solcher automatischen Musikwerke rühmlichst hervor; auf ihren Versuchen beruht auch das 1861 erfundene Orchestrion, sowie daS Bellonion, Symphonion und ähnliche Werke. Automatisch werden auch die selbstthätigen Spieluhren bewegt, die aus obgestimmten Stahlfedern bestehen, die durch die Stifte einer mittel» des Uhrwerks in Umdrehung versetzten Walze geschnellt werden. Ferner giebt eS nach dem gleichen Princip construirte mecha nische Musikwerke, auf denen man durch Auflegen runder Noten scheiben aus Papp« jedes in letztere eingeschnittene Musikwerk spielen kann, wodurch also die befristete Walze in Wegfall kommt. Solche Instrumente sind das Ariston, die Aristonette, das Herophon, der Phönix, das Melyphon nnd das Symphonion, letzteres mit Notentafeln auS Zinn. Sie olle sind aver nicht automatisch, sondern spielen nur dann, wenn man eine Kurbel dreht, wa» bekanntlich auch von der Drehorgel oder dem Leier kasten gilt, den wir nun endlich klangvoll in die Erscheinung treten lassen können. ES sind die», wir Jrdrrmann weiß, klein» tragbar» Orgeln mit Pftikenwerk. Eine auf der rechten Seite befindliche Kurbel wird gedreht, wenn das Instrument erklingen soll; die eigent liche Stelle des Spielers vertritt aber eine Walze mit kleinen, darin eingeschlagenen Stiften, die rin« Art von Claviatur in Bewegung setzen. Sobald nämlich die Walze durch das Drehen der Kurbel in Umlauf gesetzt wird, drücken die Stifte die Klappe des Tones, der jedesmal erklingen soll, nieder. Es öffnen sich dadurch die Ventile der Windlade für die erforder liche Dauer des Tones, wodurch die Pfeifen zur Ansprache gebracht werden, indem die Walze an ihrem einen Ende mit einem kleinen Blasebalg in Verbindung steht, der mit ihr zu gleich Lurch das Drehen der Kurbel in Thätigieit geräth. Dieses allerdings höchst einförmig« Instrument, das natürlich nicht mehr Tonstücke zu spielen vermag, als auf der Walze durch die eingeschlagenen Stifte angeordnet sind, erfreut sich einer überaus großen Popularität und bildet noch immer einen stehenden Bestandthcil aller Volksbelustigungen, Messen und ähnlicher Volksfeste. Es war in der ersten Hälfte des vorigen Jahrhunderts, als die Drehorgeln zuerst aus Italien nach Frankreich gelangten. Er funden hatte ste ein italienischer Instrumentenmacher Namens Barberi, und darum heißen sie mißverständlicher Weise in Frankreich Orgues de Barberie (Orgeln aus der Berberei). Bald hielten die Leierkastenmänner ihren Triumphzug durch ganz Europa, und während das Volk überall dies« Concrrte unter freiem Himmel mit lebhaftem Beifall begrüßte und die von Len „Troubadours der Höfe" gespielten Melodien eifrig nachsang, fehlte es natürlich auch nicht an zartbesaiteten Gemüthern, die das allzuhäufige Auftreten der Drehorgeln al» Belästigung empfanden. Als die Pariser Polizei einmal mehrere Leierkastenmänner in Haft nahm, um ste wegen Landstreicherei und Beleidigung des guten Geschmackes, sowie der betreffenden Tonsetzer vrrurtheilrn zu lassen, ließ sich der berühmte Advocat CrLmieux bereit finden, die Vertheidigung der armen Schelme zu übernehmen. Er holte von verschiedenen namhaften Tondichtern Gutachten über den Nutzen ihres Gewerbes ein, auf Grund deren sie frei gesprochen wurden. So schrieb ihm z. B. Halevy, der Com ponist der „Jüdin": „Mein lieber berühmter Freund! Ich glaube nicht, daß ein einziger Componist oer Ansicht sein wird, sein Ruf könne darunter leiden, wenn einige sriner Melodien von den Drehorgeln oder anderen Musikkasten, von denen Sie sprechen, wiedergegeben werden. Ich glaube rm Gegentheil, daß Vic dem Publicum preisgegebenen Melodien, weit entfernt, den Ruf der Componisten zu vermindern, diesen eine BolkS- thümlichkrit verleihen, die ihnen nicht unangenehm ist. Gewiß, die Componisten lieben die großen Sänger, die berühmten Tenöre, die gefeiencn Primadonnen, aber die Volkistimme hat auch ihr Gutes, und sie sind weit entfernt davon, diese gering zu schätzen." BedauernSwerth aber ist eS jedenfalls, daß di« in neuere, Zeit technisch wesentlich vervollkommneten Drehorgeln, die früher vorzugsweise Opernmelodirn und Volkslieder auf der Walze hatten, heutzutage fast nur noch Gassenhauer, Operrtteuweisen und glatt» Tänze, die oft genug in geschmackloser Weise zu sommengestoppelt sind, ihrem Publicum zum Besten geben. Das muß man beklagen, denn auch auf diesem Gebiet« läßt sich der Geschmack fördern wie verderben, und auch der Leierkasten könnte «in VolkSbildun-Smtttel sein.
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