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02-Abendausgabe Leipziger Tageblatt und Anzeiger : 05.04.1900
- Titel
- 02-Abendausgabe
- Erscheinungsdatum
- 1900-04-05
- Sprache
- Deutsch
- Digitalisat
- SLUB Dresden
- Lizenz-/Rechtehinweis
- Public Domain Mark 1.0
- URN
- urn:nbn:de:bsz:14-db-id453042023-19000405022
- PURL
- http://digital.slub-dresden.de/id453042023-1900040502
- OAI-Identifier
- oai:de:slub-dresden:db:id-453042023-1900040502
- Sammlungen
- LDP: Zeitungen
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- Ausgabe
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- Wahlperiode
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Inhaltsverzeichnis
- ZeitungLeipziger Tageblatt und Anzeiger
- Jahr1900
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Größere Schriften laut unserem Preis- verzeichniß. Tabellarischer und Ziffrrnsatz nach höherem Tarif. sfxtra-Beilage» (gefalzt), nur mit der Morgen »Ausgabe, ohne Postbesörderung 60.—, mit Postbesörderung 70.—. —2—c>-— "Xnnahmeschluß für Anzeigen. Abend-Ausgabe: Vormittag- 10 Uhr. Morgen-Ausgabe: Nachmittags 4 Uhr. Bei den Filialen und Annahmestellen je ei« halbe Stunde früher. Anzeigen find stets an die Expedition zu richten. Druck und Verlag von E. Polz in Leipzig 174. Donnerstag den 5. April 1900. 84. Jahrgang. Das Attentat auf den Prinzen von Wales. —t>. Gestern Nachmittag ist in Brüssel ein Attentat auf den Prinzen von Wales verübt worden, über das wir schon kurz berichteten. Heute Morgen sind folgende aus führlichere Mittheilungen eingelausen: 'Brüssel, 4. April. Der Prinz von Wales war von Calais, nicht von Ostende angekommen und befand sich in dem nach Köln abgehenden Zuge, als das Attentat verübt wurde. Der Attentäter feuerte vom Trittbrette aus zwei Revolverschüsse in La- geschlossene Fenster des Salonwagens hinein. Der Prinz war von seiner Gemahlin, welche neben ihm sah, und einem Ordonnanzofficier in Civil begleitet. Der Attentätrr wurde sofort durch einen Polizeiofficier verhaftet und durch den Oberbahn. Jnspector einem Verhör unterzogen. Der Verhaftete ist ein sechszehnjähriger Klempner Namens Sipido und wohnt in der Rue de la Forge in St. Gilles, einer Vorstadt von Brüssel. In seinen Taschen fand man zahlreiche anarchistische Papiere. Er erklärte, daß er die Absicht gehabt habe, den Prinzen zu tödten und daß er über das Attentat keine Rene empfinde und bereit wäre, es noch einmal zu verübe», wenn er könne. Der Staatsanwalt traf alsbald an Ort und Stelle ein, um den Verhafteten, welcher in dem Polizeibureau des Nord bahnhofs vorläufig untergebracht ist, zu verhören. * Brüssel, 4. April. Der Prinz von Wales war mit dem Expreßzuge von Calais 4 Uhr 45 Min. hier eingetroffen und war dann etwa 30 Minuten lang in Begleitung zweier Sekretäre in der Haupthalle des Bahnhofes auf- und abgegangen. Mit dem 5 Uhr 15 Min. nach Köln abgehenden Zuge fuhr der Prinz weiter. Als die Schüsse fielen, wurde der Expreßzug sofort angehalten nnd es entstand unter dem Publicum eine große Aufregung. ES wurde sestgestellt, daß weder der Prinz noch sonst Jemand verwundet worden war. Ter Bahnhofsinspector eilte auf die beiden Schüsse herbei und gab dem Attentäter einen Schlag auf den Arm, bevor dieser einen dritten Schuß abgeben konnte. Zwischen den Beiden entstand dann ein Ringen, der Attentäter wehrte sich und versuchte, sich frei zu machen. Mehrere Personen eilten zu Hilfe, entwaffneten den Attentäter und machten ihn dingfest. Der Prinz von Wale- zeigte sich zweimal am Fenster deS Salonwagen- und fragte, ob der Attentäter verhaftet worden sei. Man bejahte dies. Kurz darauf setzte sich der Zug mit der prinzlichrn Familie in Bewegung. Ein Augenzeuge berichtet, augenscheinlich sei das Attentat vorher überlegt gewesen. Es wurde festgestellt, daß der verhaftete Sipido ein Perronbillet gelöst hatte nnd auf dem Bahnhofe zu derselben Zeit, wie der Prinz pro- menirte. In dem Verhör vor dem Staatsanwalt er klärte der Verhaftete, er sei Anarchist. Der Beweg, gründ zur Thal feien seine anarchistischen Ideen, er bedauere nur, daß er sein Ziel verfehlt habe. Zahlreiche Personen, die der Scene beigewohnt hatten, wurden vom Staats- anwalt als Zeugen geladen. Ein Arzt wurde zur Feststellung des Geisteszustandes des Verhafteten herbeigerufen. Ter Revolver ist eine minderwerthige Waffe für sechs Schüsse; eine Patrone wurde darin noch vorgefunden, zwei Patronen hatten versagt. Dem „Patriote" zufolge waren dem Vorstande desNord- bahnhofes gewisse Aeußerungen mitgetheilt worden, die in einer Versainmlung gefallen waren, und dieser hatte daraufhin seine Maßregeln getroffen. Der Prinz von Wales schien in keiner Weise über den Zwischenfall erregt zu sein, er fragte, ob der Revolver geladen war, und auf die bejahende Antwort lächelte er und sprach den Wunsch aus, daß man mit drmThäter nicht zu streng verfahren möge. Sipido hatte zu der Thal seinen besten Anzug angelegt und, um seinem Vater gegenüber diesen Umstand zu erklären, gesagt, er müsse sich vorstellen, um eine Stellung zu bekommen. Noch ist die bestialische That Luccheni's, dessen Mord stahl am 10. September 1898 das edle Leben der Kaiserin Elisabeth in Genf auslöschte, in grauenvoller Erinnerung, und schon wieder ist eS, wenn auch kein gekröntes, so doch der KönigSkrone wartendes Haupt, gegen das der Arm eines verruchten Mordgesellen die Waffe, zum Glück ohne Erfolg, erhoben bat. Der Prinz von Wales, der geborene englische Thronfolger, erfreut sich in Deutschland und Wohl auch anderwärts keiner besonderen Sympathien, aber in diesem Augenblick wendet sick ihm und seiner greisen königlichen Mutter trotzdem die Tbeilnabme der gesammten gesitteten Welt zu. Nicht als Privatmann, sondern als einer der Repräsentanten des monarchischen Princips, des Princips der staatlichen und gesellschaftlichen Ordnung, bat der Brüsseler Klempnergeselle ihn aufs Korn genommen. Diesem Princip sollte wieder ein tödtlicher Stoß versetzt, die Welt wieder einmal „vom Tyrannen" befreit werden, nnd dem Phantom der „Weltbesreiung" sollte der Erbe eines der größten und mäch tigsten Reiche der Welt zum Opfer fallen. Es ist gut, daß Sipido ebenso wie Luccheni keinen Zweifel darüber gelassen hat, daß er Anarchist ist und den Beweggrund zu seiner „Heldenthat" anarchistischen Ideen entnommen hat. Eine Bemäntelung wird diesmal der dem Anarchismus wurzel verwandten Socialdemokratie nicht kköglich sein. Sipido'S Tbat ist ein neues Menetekel für die Herrscher auf den Thronen, wie für die gesammte Culturmenschheit, die in Ruhe und Ordnung sich auSleben und die in sie gelegten Kräfte entfalten will, welche sie, wenn auch langsam, so doch sicher von Stufe zu Stufe dem Menschheits - Ideale näher bringen. Gerade England war cS, das sich stets einer internationalen Treibjagd auf die anarchistische Raubthierbrut wiedersetzt hat, obwohl, oder gerade weil London das anerkannte Refugium aller auS- gewiesenen Anarchisten, das Asyl der gefährlichsten Exemplare dieses Untermenschenthums von jeher gewesen ist und auch gegenwärtig noch al- solches gilt. Man calculirte in London so: Lassen wir die Anarchisten ruhig gewähren, dann werden sie klug sein und un- mit Attentaten verschonen, sie müßten ja sonst riSkiren, daß wir uns ihrer ebenso wie andere Staaten entledigen und sie dann auch ihrer letzten Zuflucht beraubt sein würden. Wie falsch diese Rechnung war, lehrt die Brüsseler That. Auch vor dem englischen Thronerben ist die anarchistische Mordgier nicht zurückgescheut, um ein Haar wäre auch er ein todter Mann gewesen. Wird man nun endlich in London ehrlicheren Erwägungen Raum geben? Großen Hoffnungen kann man sich nach dieser Richtung nicht hingeben, wenn die Aeußerung des Prinzen, „man möge mit dem Thäter nicht zu streng verfahren", ernst gemeint ist. Aber vielleicht kommen die Männer, welche die constitutionelle Verantwortung in England tragen, zu andern Ansichten, wenn sie sehen, welche Früchte die Politik der luisser aller gezeitigt hat. Der Vorstand des Brüsseler Nordbahnhofes war davon verständigt, daß etwas geschehen werde. Er hat seine Maßregeln getroffen, aber sie scheinen auch danach gewesen zu sein. Das ist auch die Art der eng lischen Behörden diesem Gezücht gegenüber. Die Londoner Polizei kennt jeden Einzelnen, weiß von jeder Clubsitzung und weiß manchmal wahrscheinlich noch mehr, aber man drückt ein Auge, vielleicht auch beide zu — uns werden sie ja doch nichts tbun! Wir sind gespannt, wie die öffentliche Meinung in England sich zur Sache äußern wird. Folgende Meldungen liegen noch vor: * Brüssel, 5. April. Der König der Belgier richtete an den Prinzen von Wales eine Depesche, in der er seinem Be- dauern über den Mordanschlag Ausdruck giebt. — Der Minister des Aeußeren stattete dem englischen Gesandten in Brüssel einen Besuch ab. ' Brüssel, 4. April. Die Presse verurtheilt auf das Schärfste das Attentat auf den Prinzen von Wales. „Patriote" meint, der schlimmste Feind Belgiens hätte nichts Besseres ersinnen können; „Chronique" sagt, Belgien könne in keiner Weise ver- antwortlich gemacht werden für die That eines Narrens?) oder eines Unsinnigen, die es nach Gebühr verurtheile. * Brüssel, 5. April. Tie „Gazette" schreibt: Tas ganze belgische Volk wird mit Nachdruck die ebenso hassenswerthe, wie unqualificirbare Wahnjinnsthat(?) verdammen, deren Gegenstand der Thronerbe einer befreundeten Nation war, die der unserigen so viele Dienste erwiesen hat. Politische Tagesschau. * Leipzig, 5. April. Die Commission des Reichstages zur Vorberathung der verschiedenen Unfallversicherungsnovellen hat ihre Berathungen vor Ostern soweit gefördert, daß, falls sich bis dabin der Bericht feststellen läßt, bald nach Ostern die zweite Lesung der Novelle zum viewcrbcunfaUvcrsichr- rnngSgeselzc im Plenum begonnen werden kann. Man nimmt auch allgemein an, daß nicht erst die Beendigung der der Commission übertragenen gesammten Aufgabe abgewartet werden wird, ehe die Plenarsitzungen über diesen Gegen stand anfangen werden. Ueber die Verbandlungen ver Com mission sind nur höchst unvollständige Berichte in die Oeffent- lichkeit gedrungen, man wird demgemäß erst den officiellen Bericht abwarten müssen, um zu den dort gefaßten Beschlüssen Stellung zu nehmen. Soweit jetzt schon zu übersehen ist, haben die Bestrebungen aus Abkürzung oder gar Ab schaffung der Carenzzeit sowie auf Einführung des Capitaldeckungsverfabrens auch schon in der Com mission eine Unterstützung nicht gefunden, und es darf deshalb darauf gerechnet werden, daß das Plenum des Reichstags erst recht darauf verzichten wird, sie wieder aufzunehmen. Trotzdem darf nicht verkannt werden, daß die Commission verschiedentlickc Beschlüsse gefaßt bat, welche darauf abzielen, die schon durch die Vorlage der verbündeten Regierungen gesteigerten Lasten der Arbeitgeber noch zu vergrößern. Gegen alle diese Steigerungs pläne, soweit sie unnöthig und schädlich sind, werden hoffentlich die Vertreter des BundesratbS energischer protestiren, als sie in letzter Zeit gegen so manchen anderen Commissionsbeschluß protestirt haben. Zunächst freilich scheint man an maß- l gebender Stelle zu erwarten, daß das deutsche Gewerbe selbst nachdrücklichen Einspruch erhebe. Wenigstens wird diese Er Wartung von den „Berl. Polit. Nachr." in einem Artikel ausgesprochen, der zugleich den Puuct bezeichnet, gegen den der nachdrücklichste Einspruch erwartet wird. ES heißt nämlich in diesem Artikel: „Unter die unnöthigen und schädlichen Regierungspläne gehört auch der auf die Steigerung der Reservefonds der Be- russgenossenschaften gerichtete Plan. Aus den Zahlen, welche das Reichs-Bersicherungsamt noch jüngst über die Steigerung der Entschädigungsbeträge von 1898 aus 1899 dem Reichstage mit getheilt hat, geht hervor, daß die Lasten, welche den Arbeitgebern schon aus dem jetzigen Gesetze erwachsen, von einer Periode zur anderen einen immer stärker werdenden Zuwachs erfahren. Während in der ersten Zeit die Entschädigungsbeträge sich von Jahr zu Jahr um 4 Millionen steigerten, beträgt der Zuwachs jetzt bereits 8 Millionen. Man sollte sich doch angesichts solcher Thal sachen hüten, noch ganz unnöthige Steigerungen zu veranlassen. Und unnöthig ist die Forderung nach einer Verstärkung der Reserven in der Unfallversicherung, die doch jetzt schon 160 Millionen und darüber betragen. Kommt dazu, daß man diese Ver- stärkung in einer Form wünscht, nach welcher ein fester Procentsatz der Entschädigungen als Zuschlag gewählt wird, so wird die Schädlichkeit der Maßnahme noch erhöht. Tenn wenn die Entschädigungsbeträge, wie es thatsächlich der Fall ist, von Periode zu Periode eine stets stärker werdende Steigerung aus- weisen, so werden das die Zuschläge zu den Reservefonds natürlich auch thun, und somit wird die Vergrößerung der Lasten für die Arbeitgeber aus doppelte Weise herbeigeführt. Das deutsche Gewerbe hat die Lasten der gesammte» Versicherung gern auf sich genommen, es muß sich doch aber die Ausführung dilettantischer, durch nicht begründeter Pläne verbitten, nach welchen ihm schließlich unerschwing liche Lasten aus purem Uebermuth aufgebürdet werden." Obwohl es von echten „Genossen" mit aller Bestimmtheit behauptet wird, daß der inzwischen verstorbene RcichStags- abgeordnete Lertel von seiner Partei in die Wahnsinusnacht gestoßen worden sei, muß der Fernstehende diese Anklage auf sich beruhen lassen. Ueber die Ursachen von Seeleb- störungen vermögen selbst Sachverständige häufig keinen Aufschluß zu geben. Aber die Angaben von Partei genossen, die Bestätigung dieser Angaben durch bürgerliche Blätter, die, wie die „Frankfurter Zeitung", von jeher mit der Socialdemokratie auS Neigung ober Interesse kokettirt haben, vor allen Dingen aber die Haltung der socialdemokratischen Presse und das Schweigen der Partei leitung beseitigen jeden Zweifel daran, daß in Nürnberg brutale Gewinnsucht sich in brutalster Weise an dem Schicksal eines Mannes, einer Familie vergriffen hat. Der „Vorwärts", also das Sprachrohr der Parteileitung, getraut sich nicht — offenbar auS gebotener Rücksicht auf moralisch noch nicht hinlänglich „fortgeschrittene" Anhänger — die Angelegenheit mit völligem Stillschweigen zu übergehen, noch weniger aber wagt er, sich in eine sachliche Widerlegung der Darstellung der empörten Genossen einzulassen. Er behilft sich mit der Anwendung einer als „marxistisch" oder als „talmu distisch" zu bezeichnenden Methode, indem er die bürgerlich-publizistische Erörterung einer älteren nnd ganz ander« gelagerten Erscheinung — des bei der social demokratischen Berliner Genossenschaftsbäckerei bervorgetretenen privaten Geldhungers der anticapitalistischen Unternehmer — her- FerröHeton. 8, Drei Theilhaber. Roman von Bret Harte. Nachdruck »erdotni. „Durchaus nichts Neues", versetzte er. „Vor fünf Jahren habe ich unter dem Namen Steptoe in hiesiger Gegend am Kieferberg gewohnt, und irgend Jemand könnte mich wieder erkennen. Ich war gerade hier, als Dein Freund Jim Stacy — der mich nur als Steptoe und nicht als Hornburg kennt und nicht weiß, daß ich Dein Mann bin, obgleich er mein Ver mögen für Dich in Beschlag genommen hat —, als Stacy, sage ich, im Verein mit seinen zwei Theilhabern den großen Gold fund machte. Am selbigen Abend habe ich ihn in seiner Hütte ausgesucht und seinen Whisky getrunken. O, es ist damals ganz mit rechten Dingen zugegangen, und ich hab« Alles in bester Ord nung hinterlassen — doch ist es immerhin gut, wenn er nicht weiß, daß ich Hornburg bin. Auch hatte ich dazumal den Knaben zufällig bei mir —" Er hielt inne und sah sie mit bedeutsamen Blicken an. Ihr GesichtSausdruck hatte sich plötzlich verändert. Heftige- Verlangen, Besorgniß, sogar Furcht malten sich wechsilweise in ihren Zügen, ohne daß sie deshalb ihre Verachtung zu verbergen trachtete. „Wie steht's um den Knaben?" fragte sie, und auch ihre Stimm« klang ander-. „Du versprachst mir, daß ich Alle- erfahren sollte. Hörst Du — Alle-!" „Wo ist das Gekd?" entgegnete er und fuhr dann unter rohem Lachen fort: „Mann und Frau sind ein-, da- weiß ich wohl; aber in diesen Sachen trau« ich mir selber nicht." Sie nahm au» einem Reisrtäschchen, das neben ihr stand, rin« Rolle Papier und einen g«m»led«rnen Sack voll Silbergeld und legte beid«» vor ihn aus den Tisch. Er untersuchte c» sorg fältig. „All«» in Ordnung", sagte «r. „Ich sehe, Du hast die Wechsel auf „den Ueberbringer" ausgestellt, Conny; den Kopf hast Du auf dem rechten Fleck, da» muß ich sagen. Schade, daß wir nicht miteinander au-kommen können." „Gleich nach meiner Ankunft war ich auf der Bank drüben", entgegnete si« kurz. „Ich sagte, ich sei auf dem Weg nach Hymetius und würd« vermuthlich Geld brauchen." Er setzte sich ihr gegenüber auf einen Stuhl, stützte seine breiten, derben Fäuste auf die Knie und betrachtet» sie ebenfalls mit unverhohlener Verachtung, in die sich jedoch bei ihm der ge meine Stolz des Herrn und Besitzers mischte. „Natürlich wirst Du auch nach Hymettus gehen, um Dich zur Schau zu stellen, wie Du das immer thust: Die schöne Frau Hornburg, das hilflose Opfer eines verkommenen, aus schweifenden, nichtswürdigen Mannes, der Alles vertrinkt und verspielt! Ein schrecklich trauriges Schicksal — aber was für eine interessant« Frau! Könnte sich gleich von dem brutalen Menschen scheiden kaffen, wenn sie wollte, aber ihre religiösen Anschauungen verbieten es ihr. So vagabundirt und schwindelt der Kerl denn weiter, bringt sie in Schmach und Schande; mutz bald hier vor "der Polizei ausreiß«n, bald dort vor 'nem Lynch gericht in irgend 'ner abgelegenen Gegend. — Inzwischen schau spielerst Du in Hotels erster Claffe und in Badeorten herum, gefällst Dir in der Rolle d«r beleidigten Unschuld und läßt Dir von allerlei Männern den Hof machen, die mit Vergnügen meine Stelle einnehmen möchten; im Nothfall selbst auf Kosten ihre? guten >Rufs." „Schweig!" rief sie plötzlich so laut, daß der Glaskronleuchter zu klirren begann. Sie richtete sich in die Höhe; auch er war aufgestanden und warf ein«n raschen, ängstlichen Blick nach der Thür. Ihre Aufwallung ging jedoch schnell vorüber; sie sank wieder in den Stuhl zurück und sagt« in ihrem früheren gering schätzigen Ton: „Einerlei. Sprich nur weiter. Du weißt, daß Alles erlogen ist." Er nahm wieder Platz und betrachtete si« mit kritischen Blicken. „Ja, was Dich betrifft, habe ich gelogen. Ich kenne Deine Art. Aber Du weißt auch, daß ich Dich ohne Weiteres umbrächte, sammt dem ersten Mann, den ich in Verdacht hätte. Jeder Gerichtshof in ganz Californien würde mich freisprechen, ja, man würde sogar der Meinung sein, daß mich di« That rein gewaschen hat — Richter und Geschworene würden mir'» hoch anrcchnen." „Ich weiß, was ihr Männer Ritterlichkeit nennt", sagte sie kalt, „und ich bm nicht hergekomnwn, um mir darüber Auskunft zu holen. Es handelt sich um da» Kind!" fügte sie rasch hinzu und beugte sich wieder vor, mit dem Blick voll Gorge und Ver langen. „Ja so, das Kind — unser Kind — das heißt, eigentlich sage ich lieber mein Kind", begann er ohne weitere Umschweife. „Ich werde Dir'» sagen; aber ich will nicht, daß Du thust, als müßtest Du mir den Bericht abkoufen. Wenn ich sricher geschwiegen habe, so war's, weil ich dachte, Du brauchtest nicht- zu wissen. Da» Kind hab« ich Dir nicht anvertraut, weil ich nicht wollte, daß Du mit einem dreijährigen Kind heoudnspaziertest, wenn ich —", er hielt inne und fuhr sich 'Mit der Hand ü'ber den Mund — „Dich eben erst zu 'ner anständigen Frau gemacht hatte — so nennen's ja wohl die Leute." .M'ber", sagte si« «ifrig, ohne auf die beleidigende Rede zu achten, „ich hätte es an einem Ort verborgen, der nur mir allein bekannt war; in einer Schulanstalt hätte ich es als Verwandte besuchen können." „Jawohl", entgegnete er kurz, „um eines schönen Tages Alles hevauszuschwatzen und den Kohl fett ZN -machen, wie die Weiber pflegen." „In detm Fall", rief sie außer sich, „wäre ich auch bereit ge wesen, die SchaNde aus mich zu nehmen. Habe ich doch schon weit mehr ertragen!" „Aber das wollte ich nicht", versetzte er rauh. „Du bist ja sehr besorgt um meinen guten Rus." „Um den scheer' ich mich den Henker; nur an seinem ist mir gelegen. Kein Mensch soll ihn einen Bastard nennen, dafür werde ich schon sorgen!" Dieser letzte grausame Schlag verstärkte noch ihren Abscheu; doch konnte sie nicht umhin, in seinem rohen Gesicht ein gewisses Etwas zu lesen, das sie früher nie darin gesehen hatte. War es denn möglich, daß in den tiefsten Tiefen seiner gemeinen Natur noch etwas schlummerte, was er Ehrgefühl nannte? Eine krampfhafte Erregung bemächtigt« sich ihrer, welche jedoch schon bei seinen nächsten Worten einem unbestimmten Angstgefühl Platz machte. „Nein", sagte er mit heiserer Stimme, „eS ist ihm schon reichlich genug Unrecht geschehen!" „Wvs soll das heißen?" bat si« in flehendem Ton. „Oder ist dies nur eine Lüg«? Vor vier Jahren sagtest Du, er hätte einen Unfall gehabt und nvhmst das zum Vorwand, um ihn mir fern zu halten. Hast Du damals auch gelogen?" Sein rauheS Wesen veränderte sich plötzlich und ward weicher; aber nicht etwa auS Mitgefühl für sie, sondern weil seine eigsne Stimmung wechselte. „O, das war nichts", meinte er, eine Helle Lache aufschlagend: „jedem frischen Jungen, wie er einer ist, könnt« so 'was passiren. Davon brauchst Du nichts zu Wissen; und 'waS das Unrecht betrifft, das er erlitten hat, so ist daS meine Angelegenheit! — Also Du willst, ich soll Dir be richten, was ich mit ihm gemacht habe, wer für ihn sorgt und wo er ist? DaS verlangst Du für Dein Geld — mir nicht .zu wider!. Aber vor Allem sollst Du wissen — magst Du'S glauben oder nicht —, daß jeder rothe Heller, den Du mir heute gegeben hast, ihm zu Gute kommt. Hörst Du, merk' eS Dir!" Er sprach mit frecher Offenherzigkeit; zwar wußte sie, Laß er sie häufig belogen hatte, aus Bosheit, aus Leichtsinn oder zum Spaß; aber -Ausflüchte hatte er nie gemacht. Zudem verriet!» ihr jetzt wieder jenes gewiss« Etwas in seinem Wesen, daß er die Wahrheit sagte. „Du weißt schon, daß ich ihn nach dem Kieferberg mnnrihm", fuhr er fort und lehnte sich aus den Stuhl -zurück. „Als ich Dich verließ, wollte ich ihn in keine Schule geben — für mich wußte er ganz genug. Nun kam ich aus der Gegend, wo Niemand Dich kannte, mehr in die Nähe von Frisco, wo sich die Leute unser vielleicht erinnerten, und da wollte ich nicht mit dem großen Jungen Herumreisen uns sagen, daß ich sein Vater bin. So verabredete ich denn mit einem jungen Menschen hier, er -sollte «ihn für 'seinen kleinen Bruder a-usqeben, ihn zu sich nähmen, Acht auf ihn haben und ihn verpflegen. Ein Hobe? Kostgeld habe ich 'ihm dafür befahlt, versichere ich Dir. Jetzt ist er ein vornehmer Herr; er gehört zur feinsten Gesellschaft, und kein Mensch würde glauben, vatz er von 'nem Kerl, wie ich einer Lin, einmal für solche Schulmeisterei Geld genommen hat.' Aber gethan Hot er's, und sein Name ist Van Loo. Bei der Gruben gesellschaft war er eingestellt." „Van Loo!" rief die Frau mit einer Geberde des Abscheus „dieser Mensch!" „Was hast Du an Man Loo rusziksetzen?" fragte er, sich an ihrem offenbaren Schrecken weidend. „Er spricht Französisch und Spanisch, und Du solltest einmal hören, wie der Junge di? Sprachen welschen kann, die er von ihm gelernt 'hat. Auch auf Manieren -verstäht er sich, und wie man sich fein anzieht, und der -Junge macht Kratzfüße und hat eine Haltung, Vie sich sehen lassen kann. Dan Loo war nicht gerade nach meinem Geschmack; auch verspür' ich keine Sehnsucht nach ihm, aber für meine Zwecke könnt' -ich ihn gereke gebrauchen." „Und dieser Mensch weiß ", begann sie schaudernd. „Er «weiß etwas von Steptoe und seinom Knaben, aber von Hornburg und Dir ahnt er nichts. Du brauchst gar keine Angst zu haben. Auch ist er der letzt« Mensch, der «wümschen würde, mich oder den Jugen wiedcrzusehen; vor aller West würde er es leugnen, daß er uuS kennt. Himmel, was für «sn unverschämtes Gösicht würde er machen, wenn Eddy und ich eines schönen Tages bei »hm und seiner hochnäsigen Mutter und Schwester hereinspaziert kämen — ich seh' ihn ordentlich vor mir!" Er warf sich wieder in den Stuhl zurück und brach wiöder und wieder in ein laute?, «höhnisches G^liiMer aus, daS wcit mrbr Schadenfreude über den Verdruß Anderer verrieth, als eigenes Vergnügen und Behagen. Off lwtte er auch so über si« gcklacht.
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