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02-Abendausgabe Leipziger Tageblatt und Anzeiger : 20.02.1900
- Titel
- 02-Abendausgabe
- Erscheinungsdatum
- 1900-02-20
- Sprache
- Deutsch
- Digitalisat
- SLUB Dresden
- Lizenz-/Rechtehinweis
- Public Domain Mark 1.0
- URN
- urn:nbn:de:bsz:14-db-id453042023-19000220026
- PURL
- http://digital.slub-dresden.de/id453042023-1900022002
- OAI-Identifier
- oai:de:slub-dresden:db:id-453042023-1900022002
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- LDP: Zeitungen
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- ZeitungLeipziger Tageblatt und Anzeiger
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Reclamen unter dem Redactionsstrich (4ge- spalten) 50/H, vor Len Familiennachrichtea (6 gespalten) 40/ij. Größere Echristen laut unserem Preis- verzeichniß. Tabellarischer und Ziffernsatz nach höheren! Tarif. —— e-rtra-Beilagen (gesalzt), nur mit der Morgen-Ausgabe, ohne Postbrsörderung 60.—, mit Postbrsörderung 70.—. Annahmeschluß für Anzeigen: Abend-Ausgabe: Vormittags 10 Uhr. Morgen-Ausgabe: Nachmittags 4Uhr. Bei den Filialen und Annahmestellen je eia» halbe Stunde sruher. Anzeigen sind stets an die Expedittan zu richten. Druck und Verlag von E. Polz in Leipzig 8t. Jahrgang- Politische Tagesschau. * Leipzig, 20. Februar. Welchen Preis die CcntrumSfraction des Reichstags für die Zustimmung einer hinreichenden Anzahl ihrer Mit glieder zu der Flottenvorlage fordern und erhalten wird, ist noch nicht zu übersehen. Darüber wird wahrscheinlich erst während der CommissionSberathunsi der Vorlage eine Ver einbarung getroffen. Um so eifriger ist in Preußen das Centrum beflissen, Vorauszahlung zu erlangen, um auch für den Fall des Scheiterns jener Ver handlungen nicht leer auszugehen. Und bei diesem Bestreben findet sie die freundliche Unterstützung der preußischen Conservativen. DaS trat in voriger Woche in der Budgetcommission des Abgeordnetenhauses bei der Berathung des Cultusetats zu Tage. Zur Verbesserung der Schulaufsicht sind in diesem Etat sechs neue Kreis- schulinspectoren im Hauptamt gefordert, und zwar sind diese Stellen bestimmt, nm einen zu umfangreichen Aufsichts bezirk zu theilcn, in drei Bezirken, in denen die Verwaltung provisorisch geregelt ist, eine endgiltige Regelung herbeizuführcn nnd in zwei bisher nebenamtlich beaufsichtigten KreiSschul- Jnspeclionsbezirken, niit Rücksicht auf die örtlichen Verhält nisse, KreiSichulinspcctoren im Hauptamt einzustellen. Für die neuen Kreisschulinspectoren waren inSgesammt an Ge halt, Dienstunkosten und Wohnungsgeldzuschüssen ganze 42 000 mehr gefordert. Zur großen Ueberraschung des Cultusministers Studt wurde aber nur eine neue Kreis- schulinspectorstelle im Hauptamt genehmigt; die übrigen fünf Stellen wurden abgelehnt und die für sie geforderte Summe zu Titel 20 hinzugefügt, in dem bereits 50 000 mehr als im Vorjahre an widerruflichen Remunerationen für die Kreisschulinspectoren im Nebenamt, die geistlichen Kreisschulinspectoren, ansgeworfcn sind. Der CultuSminister gab sich vergebliche Mühe, die sechs neu geforderten Kreis schulinspectoren durchzusetzcn; die Centrumsmitglieder machten ihm klar, wie sie künftig das Schulregiment geführt wissen wollen, und ihre conservativen Collegen sorgten dafür, daß der Wille der klerikalen Herren vurchdrang. Die preußische Centrumspresse triumpbirt natürlich über diesen Sieg und richtet an die Conservativen die dringliche Mahnung: „Hoffentlich bleiben die Conservativen fest und geben dem neuen Cnltu-minister gleich von vornherein unzweideutig zu verstehen, daß sie eine Umkehr ans dem zur völligen Verweltlichung der Schulau sjicht führenden Wege fordern." Dabei wird von klerikaler Seite selbst vorgerechnet, daß die Localschulinspectionen so gut wie überall wenigstens den evangelischen Geistlichen übertragen sind und daß 02t evangelische und 96 katholische KreiSschulinspectionen im Nebenamte bestehen, während es nur 3tO staat liche Kreisschulinspectorstellen giebt, zu denen nach Maßgabe des Etats ganze sechs neue Stellen kommen sollten, und zwar: weil ein Bezirk zu umfangreich war und getheill werden mußte, in drei Bezirken eine provisorische Verwaltung bereits bestand und in zwei bisher nebenamtlich beaufsichtigten Bezirken „in Rücksicht auf die obwaltenden Verhältnisse" hauptamtliche Kreisschulinspectoren eingestellt werden sollen. Genau genommen, sollten also von 10t7 Kreis- schulinspectionen im Ncbenamte zwei besonders schwierige Bezirke mit Kreisschulinspectoren im Hauptamt besetzt werden; — das beißt dann im CentrumSjargon „völlige Verweltlichung der Schulaufsicht". Dabei ist der für die Remuneration der geistlichen Kreisschulinspectoren auSgeworfene Betrag in diesem Etat ohnehin um 50 000 erhöht worden. Unter solchen Umständen ist eS, wenn auch beklagenswerth, so doch begreiflich, daß der Klerikalismus über die Niederlage der Unterrichts verwaltung triumphirt und vorsichtig ankündet, daß er eines Tages die „paritätische" Vertheilung der geistlichen KrciS- schulinspectionen von seinen conservativen Societären nach fordern werde. Vielleicht überlegt sich die conservative Fraktion diese Consequenzen und gedenkt der Sorgen, die conservative Organe wegen der wachsenden parlamentarischen Machtstellung des CentrumS wiederholt bekundet haben. Von nationalliberaler Seite wird natürlich die Wiederher stellung der Position im Plenum beantragt werden, denn so sehr man auf dieser Seite auch wünscht, daß das ReichstagS- centrum seine patriotische Gesinnung bei der Entscheidung über die Flottenfrage bethätige, so wenig ist man geneigt, für die Bethätigung dieser Gesinnung einen Preis zu zahlen, und noch dazu einen solchen. Gestern ist an dieser Stelle auf den Zusammenhang der dem preußischen Landtag zugegangenen Sekundär- nnd Klcittbahnvorlage mit der Canalangelegenheit und fernerhin mit der innerdeutschen politischen Gesammtlage hingewiesen worden. Ein solches Gesetz war im vorigen Jahre auS- geblieben. Die Regierung erklärte dies und erklärt eS noch beute mit besonderen technischen Schwierigkeiten, aber ein Tbeil der Nurcanalpresse erblickte in dem Nicht erscheinen ein auf die Canalgegner berechnetes Pressions mittel oder eine ihnen zudictirte Strafe und wußte deshalb das passive Verhalten der Regierung nicht genug zu loben. Für diese Art der Beurtheilung ist die nationalliberale Partei Preußens verantwortlich gemacht worden. Wie sehr mit Unrecht, geht auS Bemerkungen hervor, die der Äbg. v. Eynern in der letzten Sitzung des preußischen Ab geordnetenhauses machte. Der gewiß nicht canallaue nationalliberale Parlamentarier führte auS: „Kurz vor Schluß der vorigen Session fragte ich den Minister, wann die Secundärbahnvorlage erscheinen würde, der Herr Minister antwortete, es bestünde die Absicht, die Vorlage noch im Laufe der Session einzubringen. Da in der vorigen Session die Secundärbahn- Vorlage ausblieb, so hatte sich die Ansicht verbreitet, als wolle die Re gierung Las Land gewissermaßen strafen dafür, daß ihr der Canal nicht bewilligt worden war, nnd den Bau von Eisenbahnen so lange sistiren, bis die Bewilligung erfolgt sei. Ich glaube, daß eine solche Politik, wenn sie bestanden haben sollte, gleichmäßig von allen Parteien im Hause beklagt werden müßte, denn der Ausbau der Secundär- bahuen ist eine unbedingte Nothwendigkeit, ein dringendes Vediirf- niß, wenn wir überhaupt in der Entwickelung unserer Verkehrswege weiter schreiten wollen. Wenn die Regierung wegen der Ver weigerung des Canals den Ausbau der Secundärbahnen nicht fort setzte, so würde sie an jenen Jungen erinnern, der ra sagte: Es ist meinem Vater ganz recht, daß mir die Hände erfroren sind; warum hat er mir keine Handschuhe gekauft! In den Jahren 1897 und 1898 sind je 70 Millionen zum Bau von Secundärbahnen gefordert worden, im Jahre 1899 blieb die Vorlage ans und jetzt wird nicht etwa zum Ersätze dafür ein Mehr gefordert, sondern man verlangt nur 59 Millionen." Herr v. Eynern schloß mit Ausdrücken des Bedauerns darüber, daß das vorjährige Versäumniß nickt nachgeholt werde. Aehnlich hatte sich übrigens der Abg. vr. Sattler früher geäußert; die Nationalliberalcn im Parlamente sind also vollkommen unschuldig an der Empfehlung der Druck- und Bestrafungstheorie. Ein deutscher Tocialdemokrat in Johannesburg be richtet dem „Vorwärts", daß zahlreiche deutsche Socialvemo- kraten mit in den Krieg gezogen seien. In dem Briefe wird darauf hingewiesen, daß die Boerenregierung gänzlich un schuldig an dem Kriege sei und nur die englischen Capitalisten den Krieg herbeigeführt hätten. Damit wird an sich ja ge wiß nichts Neues gesagt, aber weder der Brief schreiber, noch der „Vorwärts" scheinen daran zu denken, daß damit zugleich der deutschen Socialdemokratie eine eindringliche Lehre gegeben wird, die Lehre nämlich, daß auch noch heute das Schiller'sche Wort seine Geltung hat: „Es kann der Beste nicht in Frieden leben, wenn es dem bösen Nachbar nicht gefällt." Gilt aber dieser Satz noch heute, so muß auck Deutschland jedem Angriffe völlig gerüstet gegen überstehen können. Dian wird ja doch wohl zugeben müssen, daß es ganz gleichgiltig ist, ob englische Habgier nach dem Golde des Transvaals oder französische Habgier nach den gesegneten Gefilden der Pfalz verlangt. Wenn aber deutsche Socialdemokraten, was nur gebilligt werden kann, aus regem Gerechtigkeitsgefühle in den Kampf ziehen, um Freiheit und Eigenthum eines fremden Volkes gegen fremde Naubsucht zu schützen, so werden sie doch gewiß noch lieber ins Feld ziehen, um das eigene Vaterland gegen fremde Habgier zu vertheidigen. Wollen sie aber das, so liegt es in ihrem eigensten Interesse, daß ihre Anhänger mit der besten Waffe und der durch die Stärke des Heeres gewährleisteten besten Aussicht in den Kampf gehen. Wenn also die Socialdcmokraten im Stande sind, aus dem TranS- vaalkriege logische Schlüsse zu ziehen, so werden sie sich all mählich zu dem Standpuncte ihrer jetzt noch von der Majorität so verketzerten Parteigenossen Schippel, Auer und Heine bekehren müssen. Auf eine Anfrage des Grasen Pullö in der italienischen Teputirtenkammer, welche Haltung die Negierung gegenüber der fortwährend wachsenden Thätigkrit der klerikalen antiunitartschcn Partei einzunehmen gedenke, erklärte Justiz- und CultuSminister Bonasi, er gebe zu, daß die Angelegenheit einige Bedeutung habe. Die Negierung wende der klerikalen Partei und spc- ciell denjenigen Geistlichen, welche vom Staate Gehalt beziehen, dauernd ihre Aufmerksamkeit zu, sie mache einen Unterschied zwischen Katholiken und Klerikalen, welche Letzteren eine politische Partei darstellten. Die Negierung habe die Staatsanwaltschaften angewiesen, viertel jährlich über die klerikale Bewegung zu berichten und mit den Präsecten die wirthschaftlicken und erzieherischen Ten denzen der in ihrem Bezirke thätigen Vereinigungen zu über wachen. Der Minister fügte hinzu, er habe strenge Instructionen erlassen, dahin lautend, daß die staatlichen Gesetze bezüglich des königlichen PlacetS und des Exequaturs auf das Gewissen hafteste zu befolgen seien. Nach den ihm zugegangenen Mit- theilungen habe die klerikale Bewegung in der letzten Zeit abgenommen (Widerspruch): trotzdem werde die Negierung nicht ablassen, derselben ihre Aufmerksamkeit zuzuwendcn, da sie damit ihrer Pflicht Nachkomme, Angriffe auf die Ein richtungen deS Staates gegen Jedermann zu vertheidigen. Er glaube nicht, daß Sondergesetze uothwendig seien, da die bestehenden Gesetze genügten. Diese würden im Nothfall mit Nachdruck und in unparteiischer Weise ange wendet werden. Der Minister erklärte weiter, er werde niemals einen Vergleich eingehen, welcher das An sehen des Staates schädigen könnte, ebensowenig könne er sich aber damit einverstanden erklären, daß man sich ohne zwingenden Grund bitter bekämpfe. ES sei uothwendig, daß die auf dem Boden der Verfassung stehenden Parteien ihre Unthätigkcit aufgeben und bei der Vertretung ihrer Ideen dieselbe Energie zeigten, wie die Gegner. (Leb Hafter Beifall.) Bonasi schloß, die Regierung werde auch den Klerikalen gegenüber stets ihre Pflicht erfüllen. (Beifall.) Hiermit war der Zwischenfall geschlossen. Der Lrieg in Südafrika. —Dem „Soir" zufolge ist jetzt auch bei der Gesandt schaft der Südafrikanischen Republik in Brüssel eine Depesche Krüger's eingetroffen, die den Rückzug Cronje's sür einen strategischen Schachzug und den Sieg Frenck'S sür ganz bedeutungslos hält. Krüger hegt die festeste Sieges zuversicht; nach Allem, was man bis jetzt vom westlichen Kriegsschauplätze gehört bat, wohl auch mit Recht. In der Nacht vom 15. zum 16. Februar hat French's kühner Reiter zug nach Kimberley stattgefunden, und waS ist bis heute, den 20. Februar, geschehen? So gut wie nichts. Allerdings haben die Boeren sich aus einem Tbeil der Umgebung von Kimberley zu rückgezogen, aber das ist auch Alles. Ob die Besatzung schon frischen Proviant erhalten hat, ist noch nicht einmal sicher, da die für die Ausgehungerten bestimmte Colonne von 200 Wagen den Boeren in die Hände gefallen ist. Gestern hieß eS zwar, es würde anderer Proviant in die Stadt befördert, aber besonders rasch wird daS nicht gehen, da die Bahnlinie zwischen Kimberlen und Lord Roberts' Lager am Modderflusse sehr der Aus besserung bedürftig ist. Don der Verfolgung Cronje's, der nach Bloem fontein „flieht", ist cs heute merkwürdig still geworden. Er wird den „Verfolgern" längst aus dem Gesicht ge kommen sein, denn die Reiter Kenny Kelly'S und French s können unmöglich ganze Tagemärsche weit in den Freistaat ein dringen, da sic nur ganz nothdürstig verproviantirt sind, sich also immer in der Nähe ihrer Operalionsbasis bei Jacobsdal halten müssen. Auf das Schicksal Cronje's aber kommt eS einzig und allein an. Hätten die Engländer ihn überrascht, ihn bei MagerSfontein abgeschnitten oder wenigstens seine Ge schütze und seinen Train weggenommen, ihn also kampf unfähig gemacht, so hätte von einem großen militärischen Er folg, von einem englischen Sieg die Rede sein können. Wie aber die Dinge liegen, hat der kluge Cronje sehr Wohl vor her gewußt, waS auf feindlicher Seite geplant war, und es ist ihm glänzend gelungen, der Uebermacht auszuweiche», seine Kanonen in Sicherheit zu bringen und daS Gros seiner Armee mit sammt der gewaltigen Proviautcolonne auf den Weg nach Bloemfontein zu dirigiren, ohne dabei nenncnSwertbenSchaden zu leiden. Erst als die Engländer erkannten, daß das Nest leer war, suchte Lord Roberts den Fehler, die Rückzugslinie oder dock eine der RückzugSlinieu der Boeren offen gelassen zu haben, dadurch gut zu machen, daß er nunmehr die Verfolgung ein leitete nnd die Fühlung mit dem abziehenden Gegner wieder herstelltc. Was Cronje verloren hat, wird vielleicht nur in der Zurücklassung einigerunbrauckbargewordenerWagen und einiger lahm gewordenen Thiere bestehen. Ist aber an eine weitere Der- Hans Eickstedt. Roman in zwei Bänden von Anna Maul (M. Gerhardt). JiachtliiN vcrbouii. Rudolf Eickstedt legte seinen Cigarrenstummel bei Seite und setzte den Hut auf. „Deine Mutter hat ein Heim", erwiderte er. „Mein Haus gehört ihr, und ich hoffe, sie wird sich niemals veranlaßt sehen, cs mit einem andern zu vertauschen. Stehst Du einmal so, daß Du eine Familie erhalten kannst, so werden Dir wahr scheinlich andere Wünsche näher liegen. — Ich rechne darauf, daß Du den Sommer bei uns in Pertitten bist, Hans. Dort kannst Du in aller Ruhe arbeiten, Dich und Dein Talent prüfen. Bist Du Deiner Sache gewiß, so werden sich auch Mittel und Wege finden, zum Ziele zu gelangen. Ich bin kein reicher Mann, aber ich stehe sicher in meinem Besitz, meine Töchter sind im Begriff, gute Partien zu machen. Für das einzige Kind meines einzigen Bruders werde ich immer vorhanden sein, und ich wünsche, daß Du bei mir wie der Sohn vom Hause stehst. Ver standen, Hans?" Er streckte seinem Neffen die Hand hin, und dieser legte zögernd, mit einem unbestimmten, argwöhnischen Unbehagen die seine hinein. Ihm war, als solle er hinterlistig für etwas gewonnen und verpflichtet werden, was mit all' seinem Wollen und Wünschen in entschiedenem Widerspruch stand. Neunte» Capitel. Als Gertrud nach dem Theater heimkehrend ihr Zimmer be trat, kam ihr ein Hauch süßen BlumendufteS entgegen. Wie verzaubert stand sie vor den Rosen und Maiglöckchen im Glase auf ihrem Tisch. Wer hatte die hier inmitten all' deS Wirr warr» für sie hingestellt? DaS Klopfen ihre» Herzen» gab ihr Antwort, noch bevor sie Eickstedt'» Karte gefunden. Aufregung und Freude hielten sie den größten Theil der Nacht wach. Sie hatte Hans heute sehen sollen und eS al» eine der gewöhnlichen bösen Launen ihre» mißgünstigen Schicksal» be trachtet, daß sein Onkel ihn verfehlt und nicht ins Theater mit gebracht hatte. Wie hätte sie denken können, daß sie um die» Wiedersehen gekommen, weil Hans sich nicht hatte bis morgen gedulden mögen, sie aufzusuchen. Ob er zu Henning'S kommen würde? Wahrscheinlich nicht, das Mißverständniß von neulich hatte sich wohl noch nicht aus geglichen. Vielleicht war es sicherer, zu Hause zu bleiben und ihn zu erwarten. Nach vielem Hin- und Hersinnen entschloß sich Gertrud doch, der Einladung zu folgen. Diesmal war ihr Schicksal bei guter Laune. Eickstedt war gekommen. Er hatte sich bei Philipp Henning wegen seines drastischen Abgangs von neulich zu entschuldigen. Dafür gab Tante Wally ihm SatiSfaction. „Jahr und Tag hatte ich mich eingeärgert über Dich, und dann kam noch der Klagebrief Deiner Mutter. Immer dacht' ich: „Wenn das mein Jung' wär!" — sei froh, daß Du's nicht bist, Hans! —, und da kochte das Töpfchen über. Na, übrigens bist Du mir nichts schuldig geblieben, mein Schatz. Sei jetzt ganz ruhig, ich rede Dir kein Wörtchen mehr drein, und wenn es Dir belieben sollte, mit dem Satan Brüderschaft zu machen." Bei Tisch war die Stimmung heiter, die Unterhaltung all gemein und angeregt. Später, nachdem der Kaffee gereicht worden, zog Wally sich zurück, um ein bischen zu schlummern. Hans und Gertrud traten auf den schmalen Balkon hinaus, wo sie frische Luft schöpfen und ungestört plaudern konnten. Die beiden älteren Herren blieben bei ihrer Cigarre und ihrem Cognac sitzen — Philipp Henning kraute das schwarze Fell seines Pudels, der in dem Rittergutsbesitzer seinen Meister witterte und sich exemplarisch verhielt, und weihte diesen letzteren in seine Petroleumunternehmungen ein. Er war kürzlich in der Lücnburger Heide gewesen und wollte morgen wieder hin. Die Sache kam in Zug und versprach etwas. Ein Capitalist, der sich mit seinem Gelde betheiligen wollte, war gefunden, er gefiel aber Henning nicht. In der Ge schäftswelt hielt man ihn für einen schlauen Fuchs. Nützlich konnte er dem Unternehmen immerhin werden. Eickstedt hielt es für eine mißliche Sache, mit fremdem Capital zu arbeiten. Da» Schicksal seine» Bruders und mancherlei ähnliche Vorfälle in seinem weiten Bekanntenkreise hatten ihn vorsichtig gemacht. Freilich ließ sich dergleichen im Ge- schtift»leb«n nicht ganz vermeiden. Philipp zog die langen Ohren des Pudels durch seine Finger und blickte den Rauchwölkchen seiner Cigarre nach. Don Natur schweigsam, ging er selten so offen mit der Sprache heraus, wie gegen den ihm persönlich wenig bekannten Eickstedt, der ihm großes Vertrauen einflößte und gewissermaßen al» Repräsentant von Wally'» Familie erschien. Unter seinen Umgang», und Ge schäftsfreunden war keiner, von dessen Intelligenz und Charakter er eine hohe Meinung hatte, er stand im Grunde recht isolirt da. „Ich glaube nicht, daß ich alt werde", sagte er. „Wally hat bei einer früheren Gelegenheit den Muth gehabt, mir einen Theil ihres Vermögens zu einem Unternehmen anzuvertrauen, das guten Erfolg versprach. Ich hatte kein Glück, und das Geld ging verloren. Sie verstehen, Herr Eickstedt, das drückt mich. Dafür mutz Ersatz geschafft werden. Ich habe schöne Gewinne seitdem gehabt, aber kein Capital sammeln können. Man will auch leben. Daher muß noch einmal ein großer Wurf gewagt werden." Eickstedt schüttelte den Kopf. „Das Spiel um Ersatz ist trügerisch und hat schon Manchem den Hals gebrochen. Besser, das Verlorene ohne Sang und Klang begraben. Ihre Frau wird Ihnen sicherlich nie einen Vorwurf machen!" Philipp Henning ließ ein langgezogenes „Hm —" in einem Ton hören, der zweifelhaft ließ, ob er davon überzeugt war. „Es ist mir Ehrensache", erwiderte er. „Ich weiß, Wally s Verwandte — ich meine nicht Sie und Ihre Schwägerin — hielten es für einen thörichten Streich, daß sie mich heirathete. Man hat ihr abgerathen — vorher — nachher sie bejammert. Sie kann ja nicht dafür. Aber ich möchte doch ihren Freunden beweisen, daß sie keinen Grund haben, sie zu bejammern." In dem schmalen Schattenstreifen an der Wandseite des Balkons standen Hans und Gertrud neben einander, in kritischer Fehde um das Trauerspiel: „Der Kampf umS Dasein, von Hans Eickstedt", entbrannt. Gertrud voll heiligen Ernstes, der junge Dichter selbst voll leichtsinnigen Uebermuths. „Es ist kein liebenswürdiges Stück", erklärte Gertrud. „Ge packt hat es mich, wie mit eisernen Tatzen, mich durchgerüttelt und gequält und mich doch nicht warm gemacht." „Weil Si: eine kalte, skeptische Natur sind. Liebenswürdig. — Eine junge Dame ist liebenswürdig. Ein blühender Linden baum und eine Nachtigall, die am Sommerabend darin singt, sind liebenswürdige Dinge. Aber ein liebenswürdiges sociales Trauerspiel wäre eine oontrackiotiv in ackzecto, ein höherer Blödsinn, geben Sie das zu?" „Meinetwegen. Glauben Sie aber nicht, Han», daß — wie soll ich sagen, ein kräftiger Mittelpunkt der Handlung — ein eigentlicher Held dem Stücke fehlt?" „Ein Volk-stllck kann keinen eigentlichen Helden haben. Sein Held ist eine Vielheit — eben daS Volk." „Ja wohl — aber — das beeinträchtigt die Wirkung." „Ja wohl, aber — was noch? Wünschen Sie vielleicht eine Jntrigue? Etwas Liebe? Zwei bis drei Verlobungen?" „Etwas Liebe könnte nicht schaden!" lachte Gertrud. „Das dacht' ich gleich, daß Sie da hinaus steuerten! Ein Theaterstück ohne Liebe ist wie ein Napfkuchen ohne Rosinen, nicht wahr?" „Liebe ist nicht immer Süßigkeit, Hans." „Das ist wahr. Haben Sie schon Erfahrung in der Liebe, Gertrud?" „Ach, Unsinn!" erwiderte sie, roth werdend. „Nein, ernstlich, sagen Sie mir, haben Sie schon geliebt?" fragte er, sic in eine Ecke des Balkons drängend und sich mit höchst interessirter Miene vor sie hinpflanzend. „Ich meine natürlich nicht, ob Sie für Ihren Literaturlehrer odec für den BräutigamJhrerHerzensfreundin geschwärmt haben, sondern —" „Sondern — nein!" lachte sie. „Ich habe noch nicht Zeit ge habt, mich zu verlieben." o „Schade. Aber wie wollen Sic dann eine Künstlerin werden, wenn Sie noch gar kein fertiger Mensch sind, sondern rin über den Dingen schwebendes, holdes Abstractum — ein personifi cirter jungfräulicher Jdealbegriff." „Warum sagen Sie nicht ohne Redensarten: Eine alte Jungfer?" „Weil das erstens grob und zweitens gelogen wäre. Hören Sie, Gericud, welche Scenen fanden Sie so abscheulich und brutal?" „Die vorletzte im ersten Act und die sechste und siebente im vierten", erklärte Gertrud gewissenbaft. .Aber ich habe mich überzeugt, sie sind ganz leicht zu streichen oder zu ändern, ohne daß der Zusammenhang darunter leide:/ Hans brach in ein Hobnlacken au». „Streichen und ändern! Die besten Scenen im ganzen Stück, den Höhepunkt der psvckologischen Entwickelung. Ich dachte mir gleich, daß Sie die meinten. Hören Sie, Gertrud, Ihr Lieb lingsdichter ist Ernst Wildenbruch, gestehen Sie's offen! Sie schwärmen für die „Geierwally", sind begeistert für die „Waise von Lowood" und lieben insgeheim Äensichen's „Märchentante". .Muß ich entweder für diese Blüthenlese oder für d«n „Kampf ums Dasein" schwärmen?" versetzte Gertrud ärgerlich. „Gewiss, Sie müssen Partei ergreifen. Sie müssen sich ent scheiden — zwischen der blauen Blume der Romantik und dem knorrigen Eichbaum der modernen Wirklichkeitsdichtung." „Sie wollen mich in die Enge treiben und einschüchtern, da wird mein Urtheil Ihnen wenig nützen. Sie haben mich über-
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