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02-Abendausgabe Leipziger Tageblatt und Anzeiger : 04.05.1901
- Titel
- 02-Abendausgabe
- Erscheinungsdatum
- 1901-05-04
- Sprache
- Deutsch
- Digitalisat
- SLUB Dresden
- Lizenz-/Rechtehinweis
- Public Domain Mark 1.0
- URN
- urn:nbn:de:bsz:14-db-id453042023-19010504022
- PURL
- http://digital.slub-dresden.de/id453042023-1901050402
- OAI-Identifier
- oai:de:slub-dresden:db:id-453042023-1901050402
- Sammlungen
- LDP: Zeitungen
- Strukturtyp
- Ausgabe
- Parlamentsperiode
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- Wahlperiode
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Inhaltsverzeichnis
- ZeitungLeipziger Tageblatt und Anzeiger
- Jahr1901
- Monat1901-05
- Tag1901-05-04
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Ärntsvlatt des Königlichen Land- und Amtsgerichtes Leipzig, des Raches und Polizei-Amtes -er Ltadt Leipzig. 228. Sonnabend den 4. Mai 1901. Anzeigen »Preis die 6 gespaltene Petitzeile 25 H. Reklamen unter dem RedactionSftrich (4 gespalten) 75 H, vor den Familiennach» richten (ti gespalten) 50 H. Tabellarischer und Ziffernsatz entsprechend hoher. — Gebühren für Nachweisungen und Offertenannahmr L5 H (excl. Porto). (?rtra-Beilagen (gesalzt), nur mit der Morgen-Ausgabe, ohne Postbrsörderung OE—, mit Postbrsörderung 70.—. Ännahmeschluß für Anzeigen: Abend-AuSgab«: Vormittags 10 Uhr. Morgen-Ausgabe: StachmittagS 4 Uhr. Bei den Filialen und Annahmestellen je eine halbe Stunde früher. Anzeigen sind stets an die Expedition zu richten. Die Expedition ist Wochentags ununterbrochen geöffnet von früh 8 bis Abends 7 Uhr. Druck und Verlag von E. Pol- in Leipzig 93. Jahrgang. Oie Wirren in China. Tas Pekinger ElnbhauS und die Bcrdächtiguugen gegen die Deutschen. AuS Peking, 10. März, schreibt man uns: Große Heiterkeit hat hier die in verschiedene europäische Zeitungen übernommene telegraphische Nachricht des „Bureau Lassan" erregt, wonach die Deutschen das Pekinger ClubhauS mit seinem ganzen Inventar im Wcrthe von 300 000 Taels (!) mit Beschlag belegt und das Gebäude gänzlich ausgeleert hätten, um Material für die Aus besserung des Hauses der deutschen Gesandtschaft zn ge winnen. Die Weigerung des deutschen Gesandten, das un bewohnte Gebäude herauSzugeben oder sür das beschlag nahmte Material Zahlung zu leisten, habe zur Ueberweisung der Angelegenheit an die Vertreter der Mächte geführt. Wenn wir hier auch daran gewöhnt sind, daß in den vielen nach Amerika und Europa flatternden Zeitungsnach richten die Zahlen im Quadrat der Entfernung zwischen dem Orte der Begebenheit und dem Platze der Veröffentlichung wachsen, so machte doch die Zahl von 300 000 Taels einen verblüffenden Eindruck auf die an der Sache mehr oder weniger betheiiigten Personen. Der Pekinger Club, dem die hier wohnenden Fremden, in erster Linie die Mitglieder der Gesandtschaften und die Zoll beamten, anzugehören pflegten, hatte sich aus bescheidenem Anfänge heraus so sehr vergrößert, daß im vorigen Jahre zur bequemeren und angenehmeren Aufnahme ter an Zabl stetig wachsenden Mitglieder der Bau eines neuen Clnbhauses nack Conlrabirung einer Anleihe von etwa 17 000 Taels in An griff genommen wurde. Dieses im Rohbau noch nicht vollendete Haus wurde im vorigen Sommer, bei Beginn der Belagerung, von einem Theil des deutschen Detachements besetzt und gab eine vorzügliche BertbeidigungSstellung ab. Als die Position*«:» 13. Juli v. I. vor den in starker Ueber- macht heranstürmenden chinesischen Soldaten auf kurze Zeit geräumt werden mußte, wurde von den Boxern sowohl an das neue, wie an das in der Nähe liegende alle Clubgebäude Feuer gelegt. Nach Vertreibung der Chinesen stand letzteres bereits in bellen Flammen, während der Brand im Neubau leicht gelöscht werben konnte. Die chinesischen Soldaten hatten sich aus rin nur wenige Meter hiervon cniferntes, mtt einer Mauer umgebenes Terrain zurückgezogen, wo sie sich in der Folgezeit häuslich niederließen, indem sie gleichzeitig die dort lagernden Baumaterialien des Pekinger Clubs zn Barrikaden gegen die deutsche VertbeidigungSmannschaft, sowie zu eigenen Bau zwecken, wie z. B. zur Errichtung von Schutzdächern gegen die Unbilden der Witterung verwandten. Was die Güte der Boxer an Baumaterial übrig gelassen hat, ist wahrlich wenig genug. Die deutsche Besetzung des ClubgrundstückS, welches in den Herbstmvnaten zur Unterbringung von Pferden und Mannschaften benutzt werden mußte, ist den Winter bindurch aufrecht erhalten worden, weil sich nicht über sehen ließ, ob nicht militärische R '.cksichten noch für einige Zeil die Inanspruchnahme des E rndslücks und des Neu baues erforderlich machen würd Nachdem neuerdings die Verhandlungen des diplo, tischen Corps bezüg lich der Ausdehnung, Einthei. ig und Verlheidigung des GesandtschaflSviertels hierüber einige Klarheit geschaffen haben, hat der deutsche Gesa dte das Grundstück dem Clubdirectorium sofort .urückzegeben. Irgend welcher nenncnSwcrlbe Nachtheil is dem Club durch die Be setzung nicht erwachsen, da der Cluv an die bauliche Wieder herstellung der zerstörten oder beschädigten Gebäude im Winter ohnehin nicht denken konnte, eine Verwerthung der Gebäulichkeiten in dem gegenwärtigen Zustand aber völlig ausgeschlossen war. * London, 4. Mai. (Telegramm.) „Reuter'S Bureau" be richtet aus Söul unter dem 3 Mai: Die Mac Lcavy Brown- Frage ist von der koreanischen Regierung wieder aufgeworfen worden. Tie Regierung bat Brown aufgefordert, sein Haus zu verlassen und den Posten als Gencralzolldirector niederzulegen. Ter britische Vertreter ist eifrig in dieser Angelegenheit thätig. * London, 4. Mai. (Telegramm.) Ueber die Cabinets- krisis in Japan wird dem „Reuter'jchen Bureau" aus Yoko hama unter dem 3. Mai eine Berichtigung einer früheren Nachricht berichtet: Es scheint, daß alle Mitglieder des Cabinets zurückgetreten sind, mit Ausnahme des Finanzministers Walanaba, der den Marquis Saionji zum Verweser des Cabinets nud des Präsidiums ernannt hat. Es ist zweifelhaft, ob Marquis Ito vorgeschlagcn hat, das Damagata die Bildung des Cabinets übernehmen solle. Oer Krieg in Südafrika. (sine Niederlage der Engländer in der vopcolonio. Die Bekanntmachung des Londoner Kriegsamtes, daß das Bataillon der Lanzenreiter und eine Compagnie der berittenen Lancashire-Jnfanterie wegen ihrer Haltung in 'dem Kampfe am Seacotv-Flusse bestraft worden seien, schließt das nachträgliche Zugeständnis einer schweren Niederlage in sich, welche die Eng länder vor zwei Wochen im Norden der Ccpcolonic, nahe bei Philippstown erlitten haben. Es war damals ein: Privatmel dung eingetroffen, nach welcher die beiden Boeren-Commandos Herzog und Kreuzinger mehrere Hundert Mann englischer Reiterei gefangen genommen und nach Abnahme ihrer Pferde, Waffen, Schießbedarf und Lebensmittel wieder in Freiheit ge setzt hätten. Damals wurde diese Meldung von dem Kriegsamt als unwahr bezeichnet, während jetzt die genauen Meldungen vorliegen, daß die englische CavallerieTruppe nicht weniger als 60s) Mann start war die sich nach einem Verlust von Z.0 Tobten und 26 Verwundeten sämmtlich ergaben. Tie Anwerbung von Italien« als englische Freiwillige «n Kanada. Aus Mailand wird uns berichtet: In Folge dec wieder holten Anfragen oppositioneller Abgeordneter ist jetzt durch die italienischen Konsuln in Antwerpen und den kanadischen Hafen plätzen festgestellt worden, daß im Laufe der letzten beiden Monate ca.LVOOJtaliener, zumeist alleinstehende Männer, durch eine Aus wanderungsgesellschaft die freie Ueoerfahrt über Antwerpen nach Canada erhielten, und daß die Betreffenden nach ihrer Ankunft in Canada aufgefordert wurden, als Freiwillige in verschiedene canadische Milizcorps cinzutreten. Eines dieser Corps, etwa 500 Mann stark, worunter sich über 200 Italiener befanden, wurde alsdann nach Südafrika abzesandt, während die anderen Corps teilweise als Grenztruppen, theilweise als Ersatz für die abzuberufenden indisch-englischen Truppen in China Ver wendung finden sollten. — Die italienische Regierung hat jedoch nunmehr strenge Weisungen gegeben, jede weitere Anwerbungs- thätigkeit besagter Gesellschaften in Italien zu verhindern, und gleichzeitig sind den italienischen Consulaten in Canada dir Geld mittel zur Verfügung gestellt worden, um die dor: befindlichen Italiener, welche keine andere ausreichende Beschäftigung finden können, nach der Heimath zurückzubefördern. * London, 4. Mai. (Telegramm.) „Evening Post" berichtet aus Washington: Montagu White theilte dem Staatsdepartement mit, Präsident Krüger werde die Vereinigten Staaten im August besuchen. Es wurde ihm der Bescheid, Präsident Krüger fei herzlich willkommen, er werde aber officiell nicht empfangen werden. * London, 4. Mai. (Telegramm) Der Correspondcnt der „Times" berichtet aus Pretoria unter dem 3. Mai: „Der Um stand, Laß Frau Botha neuerdings die Erlaubniß erhalten hat, ihren Galten zu besuchen, hat zu dem Gerücht Anlaß gegeben, daß die Verhandlungen mit Botha wieder eröffnet worden seien. Ich bin zu der Erklärung ermächtigt, daß dies nicht der Fall ist, und Laß keine Absicht besteht, auf die Sache zurückzukommen." Politische Tagesschau. * Leipzig, 4. Mai. Dem ersten Aufzuge der Haupt- und Staatsaction, zu der das preußische Regiment sich aufzeraffl bat, der Schließung der Landtagssession, ist ein zweiter ge folgt: der Rücktritt der Minister vr. v. Miquel, v. Hammer stein - Loytcn nnd Vrefcld. Der „Reichs- und preußische Siaalsanzeiger" meldet allerdings von diesem Rücktritte noch nichts, aber da das ofsiciöse Telegraphen - Bureau berichtet, der Kaiser habe dem Vernehmen nach die EntlaffungSgesucke der genannten Würdenträger genehmigt, so ist an der Tbat- sacke wobt nicht zu zweifeln, klebrigen« schreiben die Herrn v. Miquel nahestehenden „Bern Polit. Nachr.": „Ter Vicepräsident des Etaatsministeriums Finanzminister Dr. v. Miquel hat schon vor Monaten ihm näher stehenden Persönlichkeiten seine feststehende Absicht mitgetheilt, in Rück sicht auf sein Alter, wie aus seinen in letzter Zeit immer schwankender gewordenen Gesundheitszustand mit Schluß der Landtagssession von seinem Amte zurück- zutrcten. Ter Minister hat diese Absicht jetzt aus geführt und Se. Majestät nm Enthebung von feinem Posten ge beten. Wer in letzter Zeit Gelegenheit gehabt hat, Herrn v. Miquel des Oeftercn zu sehcu, hat bemerken können, daß sein Gesundheils, zustand in der That ihm nicht erlaubt, auf seinem Posten länger zu verbleiben. Herr v. Miquel wird noch einige Zeit in Berlin bleiben und dann nach Frankfurt a. M. übersiedeln, wo er be kanntlich schon vor Monaten ein Haus, wenn auch nicht gekauft, so Loch gcmiethct bat." Wahrscheinlich ist auch das Entlaffungszesuch mit NlterS- und Gesuurbeitsrücksichten begründet; das ist nun einmal üblich. Es ist auch mehr als wahrscheinlich, daß die Er- sahrungen der letzten Zeit die Kräfte des greisen Staats mannes stark mitgenommen haben; aber Niemand w:rd glauben, raß das der einzige Grund seines Rücktritts sei. Ueber den tieferen läßt sich einer unserer Berliner Herren Mitarbeiter in einer Darlegung der Ursachen, die zur Krisis geführt haben, zutreffend folgendermaßen anS: „Einerseits handelt es sich um eine Art von Auseinandersetzung des „neuen Herrn" mit seinen „Junkers". Der Kriegszu stand dauert ja schon so lange, als Kaiser Wilhelm II. an der Re gierung ist. Graf Bülow hat ein buntes Gewirr von Folgen dieses Kriegszustandes vorgefunden, als er ins Amt kam. Er Hot die Ursache und die bisherigen Wirkungen desselben nicht zu ver- antworten. Aber er kann diesen wechselvollen inneren Krieg nicht so weitergehen lasten, wenn überhaupt für ein Regierungssystem und für einen leitenden Staatsmann Platz sein soll. Die Heim« sendungLes Landtags hat jedenfalls in dieser Hinsicht einen nützlichen Effect. Die Atmosphäre wird etwas freier, das unmittelbare Reiben der elektrischen Flächen hört auf, es bietet sich Gelegenheit zu ruhiger Erwägung dessen, was etwa noch nützen und heilen kann und was aus jeden Fall von einem Staatsmann geschehen muß, der sich nicht alle Cirkel durch diese Nebenaction stören lasten will. Warten wir ab, zu welchen Erwägungen der Kanzler gelangt. In anderer Hin- sicht handelt es sich um wirthschaftspolitischen Streit. Mag man die wahre Sachlage durch »och jo glcißnerische Worte verbrämen, es wird nichts daran geändert, daß thatsächlich die extreme Agrarpartei in Preußen seit dem Abschluß der Lavrivi'schen Verträge Alles zu hemmen suchte, waS in wirtb- jchaftlicher Beziehung zum gemeinen Wohl dienen sollte, wenn es nicht vorzugsweise den agrarischen Interessen diente. Nicht als ob die Zustimmung grundsätzlich ober für immer versagt worden wäre, man wollte nur so lan^e damit zögern, bis man die Richt linien der neuen Handelsverträge erkennen würde. Herr von Miquel hat den schweren Conflict mit gewichtigen Landes interessen, in den die Agrarpartei dadurch hineingerathen mußte, wohl vorhergesehen. Er glaubte die Widerstrebenden durch die Parole der wirthschaftlichrn Sammlung gewinnen und sie an den Klippen ihrer eigensten Politik und Taktik vorbei führen zu können. Im Jahre 1899 sah er die erste Canal- Vorlage scheitern, ohne mit der Wimper zu zucken. Zeit ge wonnen, Alles gewonnen, mochte er sich selbst sagen. Aber ec hat die Rechnung ohne den Wirth gemacht und — in diesem Falle ist der Wirth der Kaiser selbst. In der Meinung, daß es in Preußen nirgendwo Schwierigkeiten bereiten werde, wenn höhere Agrarzölle in Len Taris eingeschrieben werden sollten, und daß angesichts der nahen Lösung Les tief eingewurzelten Streites um die Caprivi- Verträge auch bei der Agrarpartei die genügende Disposition für den Canal zu finden sein würde, gab Herr von Miquel dem Monarchen den Rath, die Canalvorlage wieder einzubringen. Auch diese Suppe hat der Kanzler nicht eingebrockt; er fand bei Uebernahme des Amtes im Herbst v. I. eine überreife Situation vor, an der nichts mehr zu ändern oder auch nur aufzuhalten war. Jetzt hat sich gezeigt, daß -Herr v. Miquel die Situation nur ungenügend überblickte, als er dem Kaiser em pfahl, den Canalcntwnrf zu unterzeichnen. Das blamable Schicksal dieses Entwurfs wirkt allerdings zum Schaden der Autorität der Krone weiter. Herr v. Miquel muß den Jrrthnm, in dem er sich befand, in der üblichen Weise büßen, er muß gehen. Das Ansehen der Krone wieder hcrzustellen, wird nun die Aufgabe des Grasen Bülow sein. Beneiden wird ihn Niemand durum l" Daß der Landwirthschaftsminister Frbr. v. Hammer- stein-Loxlen Herrn Lr. v. Miquel folgt, ist begreiflich. Er, einer der Grüncer der Agrarpartei unv damals als solcher von den« damaligen Oberbürgermeister von Osnabrück und Abgeordneten Oe. Miquel scharf bekämpft, dann aber in ge- ' mäßigteres Fahrwasser gelangt, verdankt feine Berufung Lenrlleton. Abenteuer des Lnpitäns kettle. 1j Von C- Hyne. Nachdruck vkrdvlcu. Herrn Gedge's Sündenbock. Capitän Owen Kettle faltete Len eben gelesenen Kartenbrief zusammen, steckte ihn in die Tasche und zündete seine erloschene Cigarre wieder an. Er zog ein Blatt Papier heraus, nahm einen Blcistiftstumpf zur Hand und versuchte Verse zu machen, wie es feine Gewohnheit war, wenn er sich in einer besonders ver wickelten Lage befand. Aber heute wollten Vie Reime ihm durch aus nicht gelingen. Er veränderte das Versmaß; zn der Melodie des „Swanee River" wollten die Worte nicht Pasten. Vielleicht ging es im Rhythmus von „Auf Grönlands eisbcdeckten Bergen". Darauf war er besonders ringeübt und schon häufig hatte er nach dieser Melodie ganz bedeutende Erfolge erzielt. Aber auch das half nichts. Alle Augenblicke hatte er ein paar Versfüße zu viel. Das rothe Mohnfeld, womit sich seine Muse diesmal beschäftigte, verblaßte immer mehr. Die Kunst versagte; er konnte seine fort während abschweifenden Gedanken nicht zwingen. Er legte den Bleistift nieder und seufzte. Stirnrunzelnd vor Aergrr über seine Unschlüssigkrit zog er den Kartenbrief wieder aus der Tasche und las ihn nochmals von Anfang bis zu Ende höchst bedächtig durch. Capitän Kettle war «in Mann, der feine Entschlüsse gewöhn lich mit der Schnelligkeit eines Pistolenschusses zu fassen und dann, ob mit Recht oder Unrecht, hartnäckig daran festzuhalten pflegt«. Aber hier, in diesem Kartenbrief handelte es sich um Ding«, über die er absolut nicht mit sich ins Rein« kommen konnte. Die hier in Frage kommenden Interessen waren zu be deutend, um sich darüber so im Handumdrehen zu entscheiden, und der kleine Capitän ärgerte sich namenlos darüber, daß er zu keinem endgiltigen Entschluß kommen konnte. Der Kartenbrief war anonym und bot weder in Form noch Inhalt den geringsten Anhalt zur Ermittelung des Verfassers. Der Brief war mit der Schreibmaschine gedruckt und, wie der Stempel befugte, in Newcastle zur Post gegeben. Der Absender hatte also Alles gethan, um sein Jncognito zu wahren. Die von ihm gemachten Behauptungen aber mußten, wenn sie auf Wahr heit beruhten, vollkommen genügen, um Jemanden ins Zuchthaus zu bringen. Jedenfalls versetzten die Andeutungen des anonymen DriefschreiberS unseren Capitän in große Unruhe und Besorgniß Es ist gewiß «in ausgezeichneter Grundsatz, anonyme Briefe ganz and gar unbeachtet zu lassen. Aber eS ist keineswegs so leicht, in der Praxis diesem Grundsätze immer treu zu bleiben. Zuweilen bringen es die Umstände so mit sich, daß man nur die Wahl hat, eine freundschaftliche Warnung anonym zu senden oder sie ganz zu unterlassen. Kettle zerbrach sich auch durchaus nicht etwa den Kopf über die ethische Berechtigung dieser Arr des Briefschreibers. Im Gegentheil; dieser von „Einem, der Ihnen wohl will" unterschriebene Brief nahm seine ganze Aufmerksam keit in Anspruch. Er lautete: „Ihr Schiff geht in See, um niemals seinen Bestimmungs hafen zu erreichen. Es handelt sich darum, die Versicherungs gesellschaft zu bemogeln. Ich weiß wohl, daß Sie sich für sehr schlau halten. In diesem Falle werden Sie jedoch an der Nase geführt oder, wenn Ihnen das besser gefallen sollte, als Sün denbock gebraucht." Und mit folgenden Worten schloß der unbekannte Brief schreiber: „Ich kann Ihnen keine Einzelheiten darüber angeben, wie die Sache ausgeführt werden soll. Daß aber Ser Untergang des Schiffes beschlossen ist, weiß ich mit Bestimmtheit, halten Sie also die Augen offen, und wenn es Ihnen gelingen sollte, den „Sultan von Labuan" glücklich an seinen Bestimmungsort und glücklich wieder nach Hause zu bringen, werden Sie höchst wahrscheinlich eine solide Belohnung erhalten von Einem, oer Ihnen wohl will." Capitän Kettle's Gedanken, während er dieses Schriftstück las, waren sehr verschiedener Natur. In erster Linie kam die Loyalität, die er seinem Rheder, Herrn Gedge. schuldig war. Gedge hatte ihn schon früher einmal angeführt; aber das war Loch einigermaßen wieder gut gemacht, dadurch, daß er ihm jetzt dieFührung des „Sultan von Labuan" übertragen hatte. Anderer seits hatte er aber doch ein Recht auf das Vertrauen des Rheders und konnte erwarten, daß Herr Gedge ihm selber seine etwaigen Wünsche mittheilte. Sein eigener moralischer Standpunct bei der Sach« war ein etwas eigenthiimljcher. An Land in South-Sields war er «in guter Christ, der fleißig zur Kirche ging und rin ebenso morali sches Leben führte, wie der Pastor selber. Dabei war er von einer geradezu peinlichen Ehrlichkeit; er stahl nicht einmal Streichhölzer, wenn er Hallett's Cafe, sein Stammlocal, besuchte. Und das hat doch von jeher als erlaubt gegolten. Auf See aber betrachtete er sich nur als Werkzeug seines Rheders, der ihn für die Tauer der Reise gekauft hatte und in dessen Interesse er stets bereit war, als Acquivalent für die ihm gezahlt« Gage Leib und Seele aufs Spiel zu setzen. Nun war die Frage, auf welche Art er diesmal die Interessen des Rheders wahrnehmen sollte. Bis zu diesem Augenblick war er der Mejnung gewesen, er würde es dadurch thun, daß er den „Sultan von Labuan", so schnell es bei einem gewissen Kohlenoerbrauch möglich wäre, über See brächte, daß er alle Unkosten auf «in Minimum beschränkte, lurz mit allen ihm zu Gebote stehenden Mitteln darauf hin arbeitete, den Dampfer eine möglichst große Dividende erzielen zu lassen. Nun deutete aber dieser eben erhaltene Kartenbrief auf einen ganz anderen Plan seines Rheders, der, wie er den Mann kennen gelernt, durchaus nicht ganz unwahrscheinlich klang, und wenn man ihn dabei als SUndenbock gebrauchen wollte — Er schlug mit der Faust auf das vor ihm liegende dichterische Fragment. „Bei James!" murmelte er. „Mich als Sündenbock gebrauchen? Von dem Gesichtspunct habe ich die Sache ja noch gar nicht betrachtet. Na, darüber wollen wir uns doch lieber erst mal klar werden." Er stand auf, steckte den blauen Kartenbrief in die Tasche und nahm seine Mütze. Unten in der Küche war Missis Kettle bei der Familienwäsche beschäftigt. „Lieber Schatz", rief er ihr zu, „ich muß mal nach Newcastle. Habe noch was bei Herrn Gedge auf dem Contor zu erledigen. Du brauchst mit dem Thee nicht auf mich zu warten." Auf dem Wege von South - Sields bis zu den düsteren Comptoirräumen seines Rheders in New castle zerbrach sich Capitän Kettle den Kopf darüber, auf welche Art er am besten diese, um den allermildesten Ausdruck zu gebrauchen, ungeheuer heikle Angelegenheit Herrn Gedge gegenüber zur Sprache bringen sollte. Der Rheder hatte ihn als Capitän des „Sultan von Labuan" angestellt, aber nie ein Wort davon erwähnt, daß er das Schiff zu verlieren wünschte. Wie konnte er nun diesen geriebenen Geschäftsmann zwingen, ihn ins Vertrauen zu ziehen? Es schien wirklich ein sehr wenig aus sichtsvolles Unternehmen. Außerdem war Kettle, so kühn und verwegen er sich auch sonst in den schwierigsten Lagen bewies, doch nicht frei von der den meisten Schisfscapiiänen eigenthümlichen Befangenheit, wenn sie ihren Rheder in seiner Höhle hrimsuchen. In dieser Stimmung betrat er Geo^e's Privatzimmer. Der Chef saß vor seinem großen Schreiblijche und war bannt be schäftigt, einen Haufen vor ihm liegender Briefe zu unterzeichnen. Dazwischen dictirt« er der an einem Seitentisch sitzenden jungen Dam« ab und zu einige Sätze. Augenscheinlich war der Rheder ungehalten über die Störung. Stirnrunzelnd wandte er sich zu Kettle. „Nun, Capitän, was giebt's? Schießen sie los. Ich kann sehr gut zuhören, während ich meine Briefe unterschreibe." „Ich möchte Sie gerne in einer Privatangelegenheit sprechen, Herr Gedqe. Es betrifft den Dampfer." „Sie wünschen, daß Fräulein Payne sich entfernt?" „Wenn ich Sie um diese Gefälligkeit ersuchen dürfte" Gedge machte eine Kopfbeweguna nach der Thür hin. „Sie können vorläufig so weit drucken, wie Sie stenographirt haben." Die Maschincnschreiberin verschwand und schloß die Glasthür hinter sich. „Nun Kettle?" Capitän Kettle zögerte. Er war in Verlegenheit, wie er be ginnen sollte. „Na, vorwärts, Capitän. Ich habe nicht allzu viel Zeit." „Ich möchte, daß Sie mir etwas ausführlicher — im Ver trauen natürlich — Ihre Wünsche in Betreff dieses Dampfers mittheilten. Wollen Sie, daß ich — ich mein« —" „Na, weiter, Mann, quetschen Sie sich aus." „Wann wünschen Sie, daß da» Schiff wieder zurück lommt?" Gedge lehnte sich in seinen Stuhl zurück und klopfte mit dem Federhalter gegen seine Zähne. „Hören Sie mal, Capitän", sagte er, „Sie sind doch wohl nicht hierher gekommen um Bleck zu reden? Sie haben doch Ihre Ordres erhalten. Ich weiß, daß Sie kein Alkoholiker sind; sonst würde ich glauben, Sie wären angesäuselt. Also steckt irgend was anderes dahinter — nur 'raus damit." „Ich weiß wirklich nicht recht, wie ich davon anfangen soll." „Machen Sie kein« Redensarten. Wenn Sie mir was zu er zählen haben, erzählen Sie, wenn nicht —" Herr Gedge beugte sich über seinen Schreibtisch und fuhr fort, sein« Briefe zu unter zeichnen. Capitän Kettle ließ sich diese grobe Behandlung ruhig g« fallen. Er seufzte tief, überlegte einige Augenblicke und zog schließlich den Kartenbrief aus der Tasche, um ihn auf den Schreibtisch seines Rheders niederzulegen. Nachdem Gedge ein paar Bogen durchgesehen und unterzeichnet hatte, nahm er den Kartenbrief in die Hand und überflog den Inhalt. Während des Lesens wurde sein Gesicht dunkelroth. Kettle bemerkte es wohl, sagte aber nichts. Einen Augenblick schwiegen Beide. Gedg: klapperte mit dem Federhalter an den Zähnen und schien in Nachdenken versunken. Dann fragt« er: „Woher haben Sie dieses Dina?" „Per Post erhalten." „Und weshalb bringen Sie es mir?" „Ich glaubte, daß Sie mir vielleicht näher« Aufklärung darüber geben würden." „Haben Sie es irgend jemand Anderem gezeigt?" „Nein, Herr Gedge. Ich stehe in Ihren Diensten und werde von Ihnen bezahlt." „Das ist richtig. Sie sagten wenigstens, als ich Sie neulick wieder einmal auf die Beine stellte, daß Ihr Heuervorschuß dies mal gerade zur rechten Zeit käme, um Vie Kleider Ihrer Frau noch mal wieder aus dem Leihamt einzulösen." „Ich bin Ihnen auch sehr dankbar, Hrr, Ssdge, -aß Sie mir
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