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02-Abendausgabe Leipziger Tageblatt und Anzeiger : 09.05.1900
- Titel
- 02-Abendausgabe
- Erscheinungsdatum
- 1900-05-09
- Sprache
- Deutsch
- Digitalisat
- SLUB Dresden
- Lizenz-/Rechtehinweis
- Public Domain Mark 1.0
- URN
- urn:nbn:de:bsz:14-db-id453042023-19000509023
- PURL
- http://digital.slub-dresden.de/id453042023-1900050902
- OAI-Identifier
- oai:de:slub-dresden:db:id-453042023-1900050902
- Sammlungen
- LDP: Zeitungen
- Strukturtyp
- Ausgabe
- Parlamentsperiode
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- Wahlperiode
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Inhaltsverzeichnis
- ZeitungLeipziger Tageblatt und Anzeiger
- Jahr1900
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Da au- unsrem Parlaments berichte nicht ganz klar hervorgeht, um was eS sich bandelte, so sei hier nachgetragen, daß nach dem tz 57 der Regierungs vorlage dem EntschädigungSberechtigtcn vor Feststellung der Entschädigung Gelegenheit gegeben werden soll, sich zu den Unterlagen, die für die Entschädigungsbemessung maßgebend sind, binnen einer Woche zu äußern. Zn der Commission waren dem Paragraphen auf Antrag des Abg. Trimborn und Gen. folgende Bestimmungen hinzugrfügt worden. „Dem EntschädigungSberrchtigten sind die Unterlagen, auf Grund deren die Feststellung der Entschädigung erfolgen soll, durch Vermittelung der unteren Verwaltungsbehörde vorzu» legen, diese hat den Entschädigungsberechtigten zu Protokoll zu hören, auf Kosten der Berussgenossenschaft die ihr erforderlich er» fcheinenden weiteren Ermittelungen vorzunehinen und in jedem Falle auf Antrag den behandelnden Arzt zu hören. Steht der behandelnde Arzt zur Genossenschaft in einem Vertragsver» hältniß, so ist auf Antrag rin anderer Arzt zu hören. Dem Ent schädigung-berechtigten kann gestattet werden, einen Beistand zu» zuzirhen und im Falle der Behinderung sich durch einen Bevoll» mächtigten vertreten zu lassen. Dir rntstandenen Verhandlungen sind drr Berufsgrnossenfchaft zu überfendrn. Giebt der Ent» schädigungsberechtigte keine Erklärung ab, so ist der Berussgenossen» schäft hiervon alsbald Nachricht zu geben." Gegen diese Bestimmungen hatte sich die StcinbruchS- genosseuschaft an den Reichstag mit einer Eingabe gewendet, ,n der es hieß: „Diese Fassung strebt einer Regelung zu, die schlechterdings unvereinbar ist mit drm Rechte der Selbstverwaltung, welches den Berussgenossenschaften gegenwärtig zu eigen ist. Die Stellung drr wichtigsten und umfangreichsten Thätigkeit, welche z. B. von den berus-genossenschaftlichen Organen ausgeübt wird, unter Aussicht der unteren Verwaltungsbehörde bedeutet daS Grab der bcrussgenossenschastlichen Selbstverwaltung. Wenn die noch bestem Wissen und Gewissen abgegebenen Urtheile oder vorgenommenen Handlungen der bei der Vorbereitung der Renten feststellung im Ehrenamte mitwirkenden berufsgenossenschaftlichen Organe einer ständigen Nachprüfung unterzogen und gegebenenfalls durch behördlicherseits aus Kosten der Berufsgenossenschaft veranlaßte anderweit« Maßnahme paralysirt und im Ansehen herabgesetzt werden, so dürfte e- sür dir Berufsgenossenschaft fernerhin schlechterdings un möglich werden, die Männer zu finden, welche die Ausübung der» artig eontrolirtrr Ehrenämter mit ihrer Selbstachtung in Einklang zu bringen vermögen. In gleicher Welse wird durch die von der ReichStagscommifsion zu 8 57 bewirkten Zusätze rin ungerecht» fertigte- Mißtrauen gegen die zu den Berufs genossenschaften in einem VertragSverbältuisse stehenden Aerzte ausgesprochen. Der Commissionsvorschlag ist aber auch, abgesehen von drr in ihm liegenden ungerechtfertigten Schmälerung drr beruf«» genossenschaftlichen Selbstverwaltung, im Interesse des Arbeiters zu verwerfen. Jedem in der Praxis der bernfsgenossenschaftlichen Ver waltung Stehenden ist bekannt, welche Mühe es macht, die Unter lagen für die Feststellung der Entschädigung rechtzeitig zu beschaffen. Bei der Säumigkeit mancher Unternehmer, Aerzte und Ortsbehördrn ist rS oft nur mit der größten Mühe möglich, die Entschädigungs- feststellung so rechtzeitig zu bewirken, daß der Berechtigte beim Beginn der Entschädigungspflicht oder doch thunlichst kurz nachher in den Besitz der ihm zustehenden Entschädigung gelangt. Soll aber vor cndgiltiger Feststellung der Entschädigung noch die untere Ver» waltungsbrhörde die ihr erforderlich erscheinenden Ermittelungen vornehmen, so wird es nur ganz ausnahmsweise möglich sein, die EntschädigungSseststellung rechtzeitig zu bewirken. In der Regel wird der Berechtigte Wochen-, wenn nicht monatelang auf die Aus zahlung der Entschädigung zu warten haben. Eine solche Regelung kann unmöglich im Interesse des Arbeiters liegen." Denselben Bedeuken gab gestern dcr Abg. Frbr. v. Stumm Ausdruck; besonders betonte er, daß im Interesse des Ver letzten die Rentenfcstsetzung nicht verzögert und im Interesse der berufsgenossenschaftlichen Organe deren Selbstständigkeit nicht eingeschränkt werden dürfe. Der Staatssekretär Graf Posadowsky legte diesen sachlichen Bedeuken nicht so großes Gewicht bei, wie dem geschäftlichen einer Ueberlastung der unteren Verwaltungsbehörden. Der Heranziehung des behandelnden Arztes sprach der Staats sekretär mit Hinzufügung der beherzigenswerthen Mah nung an die Berufsgenossenschaften, die ärztlichen Gut achten nur innerhalb des Umfanges ärztlicher Sack verständigkeit als maßgebend zu behandeln, volle Berechtigung zu. Dieser Punct wurde denn auch endlich aus Grund eines Vermittelungsantrageö des Freiberrn von Stumm von dem Commissionövorschlage ausschließlich aufrecht erhalten. Die Socialvemokraten hatten versucht, das Renten - Festsetzungs verfahren noch über das von der Commission vorgcschlagene Maß hinaus zu compliciren. Ueber den Ausgang der noch strittigen Gesetzgebungs angelegenheiten, also nicht über die Flotte, wird z. Z. viel geredet und geklatscht. Anscheinend weiß aber Niemand, wie es mit dem Fleischbeschaugesetze werden und ob und wie man von dem Kunst- und dem Theater paragraphen der Ivx Heinze abzukoinmen suchen wird. Sicher ist nur so viel, daß auf die Erklärung ultramontaner Blätter, diese beiden Paragraphen müßten „natürlich" Gesetz werden und zwar noch vor der Flottenvorlage, nickt« zu geben ist. Trotz Herrn v. Landmann und seinem Kautschutlob und ohngeachtet des Grasen Lerchenfeld scheint man nun auch an sehr einflußreichen Münchener Stellen wegen des tz184a recht bedenk lich geworden zu sein. Jedenfalls ist die Opposition gegen daö Gesetz moralisch gestärkt durch die unzweideutige Verurtheilung der Kunstbeschlüsse des Reichstags durch den König von Württemberg und deren kaum weniger entschiedene Ab weisung durch die badische Regierung. Daß, wie u. A. erzählt wird, Centrum und Socialvemokratie überein gekommen wären, die 88 184n und 184b zu belassen, aber den Zeitpunct ihres Inkrafttretens so weit hinauszuschieben, daß sie bequem wieder beseitigt werben könnten, ehe sie Schaden angerichtet, an eine solche gesetzgeberische Komödie glauben wirvorerst nickt. Allerdings ist zu beachten, daßdie Para graphen jetzt, da die Abstimmung dritter Lesung stattgefundcn, nicht mehr aus dem Gesetze herausgenommen werden können und mit ihnen auch die wirklich zur Bekämpfung der Unsittlichkeit geschaffenen Bestimmungen der Vorlage fallen müßten. Ein Unglück wäre das nicht, man könnte in der nächsten Tagung die brauchbaren Gesetzes ¬ vorschriften für sich einbringen und, da sie reiflich erwogen sind, in weniger als einer Woche erledigen. Auch wenn Vertagung des Reichstages statt des Schlusses eintreten sollte, könnte dies geschehen, da die Reichsverfassung das Verbot der meisten Landesverfassungen, einen und denselben Gesetzentwurf in derselben Session ein zweites Mal vorzulegen, nickt kennt. Erfolgt nicht in irgend einer Form eine Einigung, so ist das Wiederauf leben der Obstruction mehr als wahrscheinlich. Wir würden diesen Fortsetzung auS allgemeinen Gründen lebhaft bedauern, ist sie aber unvermeidlich, so scheint eine Betheiligung in der Form der Einbringung eines Antrages aus Beseitigung des tz 166 (Beschimpfung bestehender NeligionS- qesellschasten, ihrer Einrichtungen oder Gebräuche) sehr am Platze. Dieser Paragraph erschwert die Kritik des römisch- katholischen Kirchenwesens außerordentlich, während er den Ultramontanen gestattet, evangelische Ueberzeugung auf das Rücksichtsloseste zu verletzen. Selbstverständlich ist im Augenblicke keine Rede davon, baß die Negierungen einer Auf hebung zustimmen werden. Aber da daS Centrum selbst in diesen Gesetzentwurf, betr. Aenderung des Strafgesetzbuchs, Anträge bineingebracht hat, die mit dem Anlaß und dem ursprünglichen Zwecke des Entwurfs nichts zu schaffen haben, und da eS dadurch die lox-Krise heraufbeschworen hat, so wäre es ganz nützlich, die Klerikalen einmal zu zwingen, wegen der Beschimpfung des Evangelischen in ihrer Presse und Literatur Rede zu stehen. Ein Antrag auf Aufhebung des tz 166 würde bei dieser Gelegenheit um so besser passen, als die ultramontanen Federn bei drr Beurtheilung Lutber'S, Hutten's und Anderer, bei der Kritisirung der Aufhebung des CölibatS u. s. w. sehr häufig „daS Schamgefühl gröblich verletzen". Besser als das An legen wie immer beschaffener Hemmschuhe wäre aller dings die vorläufige Beseitigung ter ganzen Ivx, und dahin wird cs wohl auch kommen, höchstwahrscheinlich durch BundcSrathsbeschluß. Erscheint die Verzögerung dieser Angelegenheit nicht unerfreulich, so ist der verhältnißmäßig flotle Fortgang der Marinesache hochwillkommen. Die Budgetcommission hat, wie gemeldet, den Antrag Basser- mann auf Erhöhung der Zollsätze sür Liköre, Brannt wein, Bier und Champagner in einer Sitzung zum Beschluß er hoben. Dabei ergab sich die interessante Wahrnehmung, daß der vom Abg. Bassermann schon in der ersten Plenarberathung ausgestellten Behauptung, die Erzeuger deutscher Schaumweine seien einer Besteuerung ihres Products nicht entgegen, wenn nur gleichzeitig der Declarationszwang eingeführt würde, von keiner beachtcnswerthen Seile widersprochen wurde. Das ist eiu Fortschritt gegen 1893, wo der Vor schlag, die inländischen Schaumweine zur Deckung der damals zur Berathung stehenden Heeresverstärkung heran- zuziehen, peinliche Erregung unter den Interessenten hervor rief. Die gestrige Sitzung war auch sonst interessant. Wie ist eS zu erklären, daß die Centruinsredner mit Ausnahme deS Herrn Gröber sich zu hartnäckigen Verlheidigern deS Pilsener Bieres aufwarsen und zum Besten gerade dieses Getränkes die Erhöhung des BierzolleS bekämpften? Sollte etwa der Umstand von Bedeutung gewesen sein, daß das in Deutschland am meisten getrunkenen Pilsener Bier von Tschechen, den Bundesgenossen der österreichischen Klerikalen, hergeslellt wird? Jedenfalls wird es Herrn Müller-Fulda mit dem Hinweise, daß in Sachsen das Pilsener Bier ein Genuß mittel der Arbeiter sei, nicht sehr ernst gewesen sein. Wo eS sich nicht um Störung de« konfessionellen Frieden« handelte, haben die Ultramontanen noch niemals ein sonderliches Interesse für Land und Leute in Sachsen bewiesen. Herr Bebel pflichtete dem Abg. Müller und seinem Hinweise bei. DaS ist an sich nicht zu verwundern, bandelt eS sich doch um Mittel für die Flotte; aber wie verträgt sich die Be hauptung, ein höherer Zoll für Pilsener Bier belaste di» Massen, mit der Behauptung von der Verelendung derselbe» Massen? Pilsener Vier ist ein theueres Getränk. Auf der gleichen Höhe der Consequenz zeigte sich Herr Bebel, als er anführte, die Erhöhung des Bierzolles sei eine Illoyalität gegen Oesterreich. In der Sache ist der Einwand unsinnig denn der Zoll sür Bier ist in den Handelsverträgen nicht gebunden und er soll für alle ausländischen Biere gleich mäßig erhöht werden. Sieht man aber davon ab, so muß man die feindselige und ungerechte Sprache gegen Oesterreich, die der „Vorwärts" während de- Berliner Aufenthalts deS Kaisers Franz Joseph sich angelegen sein ließ, gelesen haben, um die socialdemokratische Rücksichtnahme gegen den Pilsener Bier erzeugenden Kaiserstaat vollauf würdigen zu können. Die Vertreter Sachsen- und Bayerns in der Commission sprachen sich für die Erhöhung aus, die denn auch mit starker Mehrheit beschlossen wurde. Während so der Antrag Bassermann fast glatt durchging, verstärkt sich im Lande die Opposition gegen die vom Abg. Müller-Fulda beantragte Erhöhung der Börsenumsatzsteuer, die in erster Lesung von der Commission bereits angenommen ist. Die Aeltesten der Berliner Kaufmannschaft und die Hamburger Börse erklären die in Aussicht ge nommene Verdoppelung für eine unerträgliche Maß regel, die insbesondere auch den deutschen Transithandel mit ausländischen Effecten zerstören würde. Gegen die Er höhung deS Lotte rieste mpels soll sich angeblich PrinzLudwig von Bayern im Interesse der Pferdezucht und der Kirchen- baulotterien erklärt haben und gegen die Besteuerung der Seefrachtbriefe geht unter Anderen die König-berger Kaufmannschaft entschieden vor. Die Anordnung dieser letzteren Besteuerungsform verschärft übrigens, beiläufig bemerkt, auch den Gegensatz zwischen den beiden freisinnigen Gruppen. Der Abg. Fresevon der Bereinigung, ein Hanseale, hat den Connossementstempel für annehmbar erklärt, was ihm nun, da auch nichtrichterischc Interessenten die Steuer per- horriSciren, auf der anderen Seite täglich aufgemutzt wird. Die „Nationalzeitung" hätte wirklich keinen geeigneteren Zeitpunct sür die Wiederholung ihres beliebten Rufes nach Einigung aller Liberalen wählen können. Den Anlaß gab eine von dem Blatte aber selbst nicht geglaubte Erzählung, wonach Herr Tirpitz mit der Volksparte, wegen der Flotte zu verbandeln gesucht, sich aber einen Korb geholt habe. Hierauf habe der Kaiser zum Marinesecretär gesagt: „Nun, Tirpitz, dann machen Sie>Z mit den Agrariern". Sehr un wahrscheinlich in der That. Von diesen Dornen wird die Negierung nicht Trauben lesen zu können geglaubt haben. Daß die Bekräftigung des Dreibundes, wie sie bei der Kaiserbrgcgnung tu Berlin erfolgt ist, bei den russische» Panslawisten ein unfreundliches Echo wecken würde, konnte vorausgesehen werden. Nicht zu erwarten aber war, daß dem Panslavismus bienende Preßorgane bei ihrer übelwollenden Kritik der Berliner Kaiserbegegnung so viel Ungeschicklichkeit an den Tag legen würden, als eS thatsächlick geschehen ist. So werfen z. B. die „PetersburgSkija Wjedomosti", das Organ deS Fürsten UchtomSki, die Frage auf, wozu daS Familienfest mit dem Klirren der Waffen Feuilleton. ss Anter egyptischer Lonne. Roman aus der Gegenwart von Katharina Zitelmann. Nachdruck verboten. Am nächsten Morgen machte sich Harald in aller Frühe auf den Weg nach den Pyramiden. Wildau, den er beim abendlichen Mittagessen getroffen, hatte ihm gerathen, möglichst zeitig auf zubrechen, da je mehr der Tag vorschreite, desto mehr Reisende kämen, die den Eindruck beeinträchtigten. Er selbst hatte soeben den ganzen Zag in Gizeh zugebracht und entschuldigte sich, Harald nicht zum Mitkommen aufgefordert zu haben; er habe draußen gemalt. So ritt dieser denn in den kühlen Morgen hinein. Hassan, der fünfzehnjährige Hüterbube, trabte fröhlich daneben. Die Sonne stand noch tief am Horizont, und der Thau der Nacht lag auf den Wegen, die so feucht waren, al« seien sie gesprengt. In den Straßen der JSmailiya war « noch stille; als sie aber an die Nilbrücke kamen, begegneten ihnen beladene Wagen und lange Züge von Lasten tragenden Kameelen, die von den be nachbarten Dörfern zum Markte nach Kairo zogen. Erst alt die Insel Bulak und der zweite Nilarm überschritten war, ging eS schneller vorwärts. Unter dem dichten Laubdach der Bäume war eS empfindlich kühl, ei» frischer Wind blies vom Norden her über di» gesegneten Fluren deS Nilthal« hin, die sich zu beiden Seiten deS Wege« bald in saftig grünen Wiesen, bald in «rnteschweren Kornfeldern breiteten. Auf halber Wegstrecke lag da- frühere Schloß, da- jetzige Museum von Gizeh, dessen weiter Park, zum zoologischen und botanischen Garten umgeschafsen, »inen beliebten Erholungsort für dir Städter bildet. Nun dehnte sich vor dem Reiter einsam die lange Straße; — drr Esel trottete ruhig vorwärt», und Harald verfiel in Sinnen, in Gedanken, die ihn schon den Abend vorher ernstlich beschäftigt hatten. Die Heirath-frag« war ei, Re große offen« Lebenifrage, die in ihm nach Antwort drängt«. Er war achtundzwanzig Jahre alt, hatte sein Staatsexamen bestanden und sichere Aussicht, nach seiner Rückkehr sogleich bei drr Regierung in Stettin angestellt und alsbald zum Landrath deS Kreise- ernannt zu werden, in dem sein Gut lag. E» war nicht schuldenfrei, das Gut, und die Lage der Landwtrthschaft verschlechterte sich von Jahr zu Jahr, Freilich, Sorgen hatte er sich bisher nicht zu machen gebraucht; seine Mutter hatte ihm stets so viel Geld gegeben, wie er ver langt, und gespart hatte er gerade nicht. Er war ja der einzige Erbe, und die Mutter war eine so vorzügliche Rechnerin! Aber viel war nicht hineingesteckt worden in die heimische Erde. Dazu hatte eS nicht gereicht. Und das Vorwerk, das an Berkwih grenzte und das dem widerwärtigen Speculanten Nathanson in die Hände gefallen war, weil seine Mutter die Kaufsumme da für nicht riskiren wollte, das mußte schließlich erworben werden. War er erst Landrath, er duldete sicher den Wucherer nicht neben sich. Summa summarum: er tonnte eine reiche Frau ge brauchen. Reichthum schändet doch schließlich nicht. Er konnte sich dann auch Reitpferde halten, wozu ihm jetzt immer die Mittel fehlten. Und wie unendlich würde seine Mutter sich freuen, wenn er ihr eine Schwiegertochter ins Haus brächte! Sic wünschte es ja sehnlich, daß er heirathete, träumte jetzt schon immer von den Enkeln. Es war am Ende auch Zeit, solide zu werden! Dies Herumsitzen in den Kneipen war wirklich recht öde, und viel Geist ward nicht verzapft dabei. Und dann die Gesellschaften! Als Referendar in Potsdam hatte er sie aus gekostet, dort und in Berlin. Er hatte sich meist recht gut unter halten. Wie kam's nur, daß von hier aus betrachtet, ihn ein gelinder Schauer erfaßte, nur daran zu denken? Vauitx tau', der Markt der Eitelkeiten! Schon wieder kam ihm der Ausdruck in den Sinn. ES war doch entsetzlich hohl, einförmig, oberfläch lich, dies Gesellschaftstreiben. Das war doch nicht das, was sich des Leben» verlohnte? Leben ist doch etwa» Anderes, viel Schönere» und Tiefere». Die Welt war da so eng und hier so weit, so unbegrenzt. Und wenn er eine Frau aus dieser weiten Welt heimbrachte, da» war doch schon ein Gewinn, führte frische Luft in dir sterilen Salons. Und Geld hatte ja Daisy und ein Schloß in Irland, und von vornehmer Familie und schön war sie und lieb! Dazu ein gutes Geschöpf, und daß sie ihn gern hatte, daß er nur dte Hand nach ihr auszustrecken brauche, das war ja klar. Darum gerade mußte er sich in Acht nehmen. Das Flirten gestern war etwa» weit gegangen, und wenn sie ihm nun gar englische Stunden gab — er mußte mit sich ins Reine kommen, sonst vergaß er sich einmal. Er war ja nicht von Stein, und einer so bestrickenden Person gegenüber, die noch dazu Wittwe war , welch' ein Aufsehen sie erregen würde, wenn er sie in Deutschland vorstellte! Aber sie paßte doch nur auf die ganz qrcßen Feste, auf die Diners und Bälle. Für die Berliner Abendgesellschaften, die Herren hier Bier trinkend und wi: Schornsteine rauchend, die Damen dort, von Dienstmädchen, Kindern, Toiletten redend — nein, dahin paßte sie nicht. Wie er nur wieder auf di« verwünschten Gesellschaften kam? Wa» gingen die ihn an? — Er heirathete doch nicht, um in Gesell schaft zu gehen! — Daisy würde das aber verlangen! Sie war eine Gesellschaftsdame; ob sie auf dem Lande, allein mit ihm, sich nicht langweilen und ihn langweilen würde? In alle Zweifel zurückgestürzt, gab Harald dem armen Bis marck die Sporen, daß der einen erschreckten Satz machte. Am Ende der Straße und seitwärts durch eine Lücke im Gezweig erblickte er, klein und noch fern, die Dreiecke der Pyramiden. Sie enttäuschten ihn; er begriff nicht, was man von ihrer Größe fabelte. Und, seinen Gedankengang wieder aufnehmend, ritt er, die Pyramiden vergessend, weiter. Die Stille um ihn her, der lange, einsame Ritt thaten ihm wohl. Seit er den Fuß auf Egyptens Boden gesetzt, war er ja kaum zu sich selbst gekommen. Was er sah und hörte, war so reich und schön und beispiellos interessant, daß er gar nicht Zeit fand, sich mit sich selbst zu be schäftigen. Er nahm nur auf in sich mit allen Sinnen, bestrebt, ja, gezwungen, zu erfassen und zu verstehen, was sich ihm bot. „Aber das Interessanteste bleibt Einem doch immer daS eigene liebe Ich", sprach er vor sich hin, — „das eigene Ich in wechselnder Beleuchtung. Mir Liebt die egyptische Sonne ganz neue Aufschlüsse über mich selbst, das steht fest. Also die Ge sellschaftsdame, für die ich stets eine so große Vorliebe gehegt, ist mir zweifelhaft geworden! Sollte das an der scheuen, dunkel äugigen Millionärin liegen, für die der Vater einen Baron sucht?" Ihr Bild hatte sich ihm merkwürdig nachhaltig eingeprägt, ihr Spiel, ihre wunderbar melodiöse Stimme, ihre Erscheinung in dem einfachen Kleide — er sah und hörte Alles wieder vor sich, erlebte die Scene von gestern von Neuem. Sehr sympathisch war ihm ihr Antlitz nicht; es war zu energisch, zu stolz für seinen Ge schmack, nur in den Augen lag Weichheit. Aber Leidenschaft besaß sie! Wo die einmal liebte, da liebte sie ganz! Es war Natur in ihr, Race sie glich einem ungezähmten jungen Berberroß, da», eingefangen, traurig im Stalle den Kopf hängen läßt. Es kam nur darauf an, ei richtig zu ziehen, seine Eigen schaften zu entwickeln. Da» wäre schon eine Aufgabe. Aber eine Frau aus einer Emporkömmlingsfamilie nehmen? Den Stammbaum verunzieren durch die Heirath mit der Tochter eines Abenteurers? Glich die Million den Nachtheil aus? Und solch' ein Schwiegervater dazu! — Der war freilich fern, sehr fern, würde ihm kaum beschwerlich fallen, und allzu häufige Be suche in der Nähe von St. Louis waren ja auch ausgeschlossen; daraufhin konnte er'» wagen! Ob sie seiner Mutter zu ¬ sagen würde? Mehr vielleicht mit ihrer Schlichtheit al» die andere. Freilich, deren Liebenswürdigkeit würde auch seine Mutter nicht lange widerstehen. Aber Re Kleine würde sich den Teufel daran kehren, ob sie gefiel, oder nicht; die würde seine gute Mutter lieben, weil sie seine Mutter war, und wo Liebe ist, da — Harald lachte über sich selbst. Begann er über Liebe zu philo- sophiren? Hatte er sich jemals früher den Kopf darüber zer brochen? Was war denn plötzlich in ihn gefahren, daß ihm „das Herz so sehnsüchtig wuchs"? — Er wollte doch den Ball im Gczirehotcl morgen besuchen Nun war es aber Zeit, daß er sich mit den Pyramiden be schäftigte. Da lagen sie ja, gerade vor ihm! Donnerwetter! Von Nahem sahen die Dinger doch anders aus! Er hielt fast er schrocken den Esel an, als er jetzt unter den Bäumen des in die Wüste auslaufenden und bergan auf das Plateau führenden Weges hinauskam, und starrte zu den Kolossen auf, die sich erst hier seinem erstaunten Blick in ihrer Riesengröße offenbarten. Scharf zeichneten sich die drei hintereinander geschobenen Dreiecke gegen den dunkelblauen Himmel ab; das erste aber, das größte, die Cheopspyramide, thronte wie ein Herrscher über den anderen, und ihm zu Füßen dehnte sich hier das wunderschöne, lebens volle Nilland, dort die todte feindliche Wüste. An ihrem Rande, unten, wo die grüne Ebene abschließt, hatte sich das Hotel Mena House angesiedelt, das seinen Gästen, den armen Kranken, die in der Wüstcnluft gesunden wollten, als tägliche Kost diese Denkmäler einer uralten Vergangenheit vorsetzte, als wolle es sie trösten über die Vergänglichkeit des Staubes mit der Unver- gänglichkeit des Menschheitsgeistes, der aus diesen Steinen sprach. Harald ritt langsam bergan und fand sich, als er den Fuß der Pyramiden erreicht hatte, auf einem Plateau, auf dem er kn weitem Kreise Steinhaufen, Ueberreste kleiner, unvollendet ge bliebener oder zerstörter Bauten erblickte. Es war noch nicht 8 Uhr, und Alles war noch still und einsam. Nur eine einzige Gestalt erblickte er in der Ferne. So flieg er vom Esel, wies Hassan an, zu warten, und begann eben seinen Spaziergang, czjs sich aus den niedrigen Hütt/n des Dörfchen», das sich einize Hundert Schritte entfernt, angesiedelt hatte, ein weißer Menschenhaufe auf ihn zu ergoß. Die Beduinen, denen die Hütung der Bauwerke und die Führung der Fremden anvertraut ist, waren eS, ihr Anführer, der Sh5kh, in ihrer Mitte, und wie eine Schaar hungriger Raubvögel stürzten sie sich auf ihn, den ersten Fremden, als auf eine willkommene Beute. Ihr Schreie«, Feilschen, Fordern, Handeln prallte jedoch an der Ruhe de» deutschen Hünen ab, der, auf diese Scene vor bereitet, sich von oben herab di» dunNe, gesti« kulirende. aufgeregte Gesellschaft gelassen ansah und sein Angebot, die Taxe und nicht einen Pfennig mehr für die Führer zahlen zu wollen, wiederholte. Endlich ergaben sich di»
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