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02-Abendausgabe Leipziger Tageblatt und Anzeiger : 27.06.1900
- Titel
- 02-Abendausgabe
- Erscheinungsdatum
- 1900-06-27
- Sprache
- Deutsch
- Digitalisat
- SLUB Dresden
- Lizenz-/Rechtehinweis
- Public Domain Mark 1.0
- URN
- urn:nbn:de:bsz:14-db-id453042023-19000627028
- PURL
- http://digital.slub-dresden.de/id453042023-1900062702
- OAI-Identifier
- oai:de:slub-dresden:db:id-453042023-1900062702
- Sammlungen
- LDP: Zeitungen
- Strukturtyp
- Ausgabe
- Parlamentsperiode
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- Wahlperiode
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Inhaltsverzeichnis
- ZeitungLeipziger Tageblatt und Anzeiger
- Jahr1900
- Monat1900-06
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Größere Schriften laut unserem Preis- verzeichniß. Tabellarischer und Zifferujah nach höheren! Tarif. Extra-Beilagen (gefalzt), nur mit der Morgen-Ausgabe, ohne Postbefördrrunz 60.—, mit Postbesörderung 70.—. .'Annahmeschluß für Iinzeigen: Abend-AuSgabe: Vormsttags 10 Uhr. Morge u-AuSgabe: Nachmittags 4 Uhr. Lei den Filialen und Annahmestellen je ei» halbe Stunde früher. Anzeigen sind stets an die Srpedttto» zu richten. Druck und Verlag von E. Polzin Leipzig Mittwoch den 27. Juni 1900. 94. Jahrgang. Die Wirren in China. Klarheit ist durch die letzten Nachrichten aus China nicht in die Lage gekommen. Noch immer stehen sich die einzelnen Meldungen entgegen und nur das scheint richtig zu sein, daß die Gesandten auS Peking herausgekommen sind, baß sie sich unter den Schutz des Lord Seymour begeben haben, daß dieser Schutz jedoch insofern versagte, als Seymour sammt Truppen, die nur Mundvorrath für acht Tage und löOPatroncn hatten,wenn nicht gefangen, so doch von chinesischen Truppen in Schach gehalten wird, daß ihm ein Entrinnen aus eigener Kraft nicht möglich ist. DaS Umzingeln- und Gefangennehmenlasseu der englischen Befehlshaber sind wir leider aus dem Boeren- kriege gewöhnt. Mittlerweile kommen Hiobspostcn auf Hiobs- Posten. Das Schicksal Tientsins ist durchaus nicht bekannt, und selbst wenn cs thatsächlich ganz entsetzt wäre, so sind doch wohl die Retter trotz ihrer Aufopferung zu spät gekommen. Nach einem Bericht, deu ein Comprador, ein chinesischer Handlungsgehilfe für ein europäisches HauS, der den Verkehr mit den Eingeborenen vermittelt, erstattete, ist oder war die Lage in Tientsin eine schreckliche. „Ueberall sieht man die Leichen ermordeter Männer und Frauen jeder europäischen Nationalität und auch von Japanern und Amerikanern in ven Straßen liegen. Die Charteret) Bank of Hongkong und die Deutsche Bank in Tientsin wurden gleich zu Anfang des Bombardements der Stadt zerstört." Diese Erzählung wird durch eine Depesche des ViceadmiralS Alexojeff an den russischen Kriegsminister vom 22. Juni bestätigt. Der Bericht selbst ist vom Oberst Anissimoff vom 19. datirt nnd bezeichnet die Lage der Besatzung Tientsin als sehr gefährlich. „Der Verkehr sei unterbrochen, chinesische Horden hätten Tientsin umzingelt und beschössen es mit schweren Geschützen. Die Verluste seien be deutend, 7 Officiere und 150 Soldaten seien todt oder ver wundet; die Munition für Gewehre und Geschütze sei knapp. ES halte schwer, den Durchbruch nach Taku zu erzwingen, zumal da man Frauen, Kinder und verwundete Soldaten mitnehmen müsse. Die Eisenbahn sei vollständig zerstört." „Der Bericht ist mir, so setzt Alexejesf hinzu, durch einen glücklichen Zufall übermittelt worden. General Staffel sandte am 20. Juni alle Truppen, die ihm in Taku zur Ver fügung standen, Anissimoff zu Hilfe und hoffte, am 21. Juni nach der Landung von Artillerie und unter Hinterlassung einer Besatzung in Taku abrücken zu können. Der Ernst der Lage zwingt mich, außerordentliche Maßregeln zu treffen und heute Nacht sofort ein Bataillon des 10. Regiments ab zuschicken, ohne daS Eintreffen von Truppen aus Wladi wostok zu erwarten". Soweit die Depesche deS russischen Vice admirals. Angesichts dieser Situation ist auf eine Beruhigung deS Landes in absehbarer Zeit kaum zu rechnen. In Tschifu ist sogar die Meinung verbreitet, daß die chinesische Armee unter Tungfussieng, die kürzlich einen Aufstand der Mohamedaner unterdrückt hat, sich jetzt vollzählig der Bewegung der Boxer anschlicßen wird. Man nimmt an, daß 60 000 gut bewaffnete chine sische Soldaten um Peking und »Tientsin versammelt sind. Die chinesischen Officiere prahlen, daß sie 400 000 Soldaten zur Verfügung hätten. Die Ausländer in China haben den dringenden Wunsch, daß 100 000 Mann europäischer Truppen, davon mindestens 50 000 für Peking, in Cbina zusammengczogen werden. Auch sind sie für eine große Flottendemonstration in allen Vertragshäfen, um die in ihrer Haltung schwankenden chinesischen Kaufleute zu beeinflussen. In Folge von Berichte» über Erfolge der Chinesen gegenüber den Mächten zeigt fick die Volksmasse in wachsender Erregung. Eintresfende Kaufleute berichten, daß in Niulscbwaug Boxer in den Straßen exerciren. Wie sich herausgestellt har, haben Soldaten des chinesischen Heeres Geschütze und Ausrüstungs gegenstände an dir Boxer verkauft. Das englische Kriegs schiff „Terrible" und zwei japanische Kreuzer sind in Tschifu eingetroffen, wodurch die Lage dort gebessert ist, wenn auch das dortige Fremdenviertel von zwei mit Krupp'schen Ge schützen ausgcftattelen chinesischen FortS beherrscht wird. Aber nicht nur in der Provinz Petsckili mit ter Haupt stadt Peking gährt eS, auch andere Gegenden fangen an unruhig zu werden. Der englische Consul in Fulschau verlangt ein Kriegsschiff und aus Wutschau ('? Wul- sckang) am Westflnsse ist in Hongkong der Dampfer „Samchni" mit einer Anzahl weiblicher Missionare eingetroffen. Ter Capilän berichtet, daß die Chinesen im Augenblicke der Einschiffung der Frauen eine fremden feindliche Kundgebung veranstalteten, indem sie riefen: „Schlagt alle fremden Teufel todt!" Die in Wutschau zurückgebliebenen Europäer find darauf vorbereitet, jeden Augenblick abzureisen. Zn Kweischiu dauern die Unruhen fort. Der Wasssrstand des Wcstflusses ist niedrig, so daß es dem englischen Flußdampfcr „Sandpiper" unmöglich ist, Nan-ning zu erreichen. Wie man siebt, ist auch Mittelchina in Aufruhr, und be denklich ist dabei, daß die Provinz, die der Herd des Taiping- ausstandeS war, wie es scheint, stark dabei betheiligt ist. Unter solchen Umständen wird man das Ersuchen einiger Vicckönige» keine fremden Verstärkungen mehr heranznziehen, geradezu lächerlich finden. Man meldet nämlich ans * Washington, 26. Juni. (Meldung Les „Renter'schen Bureaus") Sechs Vicekönige der dem Zang-se-kiang benach barten Provinzen, darunter Li-hung-tschang, ließen heute durch den hiesigen chinesischen Gesandten Wn-ting-fang aus Grundlage einer von ihnen gemeinschastlich unterzeichneten Depesche aufs Neue Vor stellungen erheben, um die Absendung weiterer Truppen zur Landung in China zu verhindern, bis Li-hung-tschang in Peking eingetroffen sei. Die Negierung der Vereinigten Staaten erwiderte hierauf, sie könne in ihren Veranstaltungen, betreffend die Truppen- Sendung nach solchen Lcrtlichkciten, nicht Nachlassen, wo amerika nische Beamte als in Gefahr befindlich anzusehen seien. Der französische Hauptmann FrantzviS, der sich in der südwestlichen Provinz, in Jünnan, befand, ist sin Sicherheit; dieses berichtet folgende Depesche aus Paris: * Paris, 26. Juni. Der chinesische Gesandte übermittelte dem Minister des Aeußeren Delcasss ein heute eingegangenes Telegramm des VicekönigS in Aünnan, in welchem es heißt, daß der französische Consul FranyoiS mit seinem Gefolge am 24. Juni Pünnan verlassen und sich mit Begleitmannschaften nach Tonking begeben habe. Es sei anzunchinen, daß dieselben ohne Schwierigkeiten aus der Provinz gelangen würden. Der Bicekönig versichert weiter in seinem Telegramm, welches allerdings schon vor einigen Tagen auf gegeben wurde, daß nach seiner Kenntniß die Europäer in Peking wohlbehalten seien. Weiter wird gemeldet: * Tschifu, 25. Juni. („Reuter's Bureau".) Wie es heißt, rücken die Chinesen auf Niutschwang vor. * Nokohama, 26. Juni. Von der hiesigen Negierung ist die Mobilmachung einer Division angeordnet worden. Tie chinesische Frage im englischen Untcrhause. * London, 26. Juni. <Unter Haus.) Parlamentsuntersekretär des Aeußern Brodrick erklärt, der britische Gesandte in Peking Macdonald habe über die Boxer-Bewegung in Schantung und und Tjchili Berichte eingejandt, jedoch sei in den vor der gegen- wärtigen Bewegung eingegangenen Mittheilungen kein Hinweis ans einen allgemeinen Ausstand gegen die Fremden enthalten gewesen. Ter Erste Lord der Admiralität Goschen antwortet auf eine Anfrage, in Abwesenheit des Admirals Seymour sei der russische Admiral jetzt der älteste Officier und daher das Haupt der internationalen Streitkräfte zu Wasser. Achmead- Bartlett sragt an, ob die Regierung mit der japanischen Negierung, der einzigen, die in der Lage sei, ohne Verzug zu handeln, über die sofortige Entsendung einer angemessenen Land truppe zur Unterdrückung der Unruhen in China eine Vereinbarung treffen werde. Ter Erste Lord des Schatzes Balfour erwidert hieraus, es empfehle sich nicht, über die Natur der Unterhand lungen, die etwa im Gange wären, Erklärungen abzugeben; die englische Regierung werde die Entsendung von Truppen seitens jeder Macht begrüßen, die in Folge des nahen Standorts der Truppen in der Lage sein können, sofort zur Unterdrückung der Unruhen in Nord china einzuschreiten. — Ter Unterstaatssekretär des Aeußern Brodrick erklärt weiter, die Regierung habe keine directen Nachrichten von den Gesandtschaften in Peking, oder von Admiral Scymour's Streitmacht, oder aus Tientsin; die letzte Nachricht rühre von dem Coinmandirenden in Wei-hai-wei her und gehe dahin, daß 3000 Mann der zum Entsätze Tientsins bestimmten Truppe am Abend des 23. Juni etwa 9 Meilen von diesem Platze entfernt gewesen feien. Die Truppe sei aus Russen, Franzosen, Japanern und Engländern zusammengesetzt. Aus privaten glaub würdigen Quellen liege die Nachricht vor, daß die Entsatztruppe später in Tientsin eingerückt und in nördlicher Richtung weiter marschirt sei. Aus verschiedenen chinesischen Quellen seien ferner Meldungen eingegangen, welche besagten, daß die Gesandt schaften am 20. Juni unversehrt waren. Er hoffe ernstlich, daß Lein so sei, aber eine amtliche Bestätigung liege bisher nicht vor. — Ein Telegramm des englischen Contre- admirals Bruce vom 23. Juni besage, daß ein russischer Generalmajor und ein deutscher Officier als zweiter Commandirender, sowie der Capitän deS britischen Kriegs schiffes „Barfleur" die Operationen leiten, welche von den FortS bei Taku zum Entsätze Tientsins unternommen werden. Die deutsche» Verstärkungen. Ueber die Vorbereitungen zu den Truppentransporten wird der „Voss. Ztg." auS Wilhelmshaven geschrieben: „Die Ausreise des Transports ist auf den 3. Juli festgesetzt, cs wird dementsprechend auch entweder am 2. oder 3. die Besichtigung der beiden Seebataillone durch den Monarchen stattfinden. Für die Ausrüstung der Truppen ist hier durch kostbare Zeit gewonnen. Der Lloyddampser „Frank furt" trifft jetzt am Dienstag ein, der „Wittekind" am Mitt woch, um zunächst die Fracht an Bord zu nehmen. Auf der „Frankfurt" schiffen sich daö II. Secbataillou, die 8,8 Ccnti- meter-Feld-Batterien und das auf besonderen Befehl des Kaisers zufammengestellte Pionierdelachement ein. Auf dem „Wittekind" wird daS I. Seebataillon und der In- specteur der Marine-Infanterie, Generalmajor v. Höpfner, der den Transport nach China leitet, eingeschifft. Das I. Seebataillon wird von Kiel nach hier am Tage der Einschiffung mittels Extrazugs befördert. Das hiesige II. Seebataillon ist bis auf die zu seiner Completirung auf Kriegsstärke gewählten Freiwilligen aller ArmeecorpS voll ständig und konnte bereits am gestrigen Tage durch seinen Commandeur, Major v. Kronhelm, in der kriegsmarschmäßigen Ausrüstung inspicirt werden. Die Mannschaften erhalten außer ihrer gewöhnlichen Uniform ohne Tschacko, aber mit der klcivsamen Litewka als Winteruniform noch die Khaki- uniform für deu Sommer. Die etwa 600 Mannschaften der Armee werden morgen und in den nächsten Tagen der Woche eintreffen. Während der Lloyd für die Verpflegung der rund 2500 Mann vom Tage der Einschiffung bis zum Tage der Landung in China zu sorgen) hat, hat daS kaiserliche Verpflegungsamt für die Vecproviantirung der Truppen zunächst für drei Monate Sorge zu tragen. In dem Proviantamt herrscht daher Tag und Nacht eine außer ordentliche Tbätigkeit. Außer den Hunderten von Fässern mit Nino-, Schweine- und Hammelfleisch handelt es sich darum, über 6000 Kisten in sogenannter Marinever- packung für den Tropenversandt mit allen nur denk baren Nahrungsmitteln, als Hülsenfrückte, Mehl, Hartbrod, Backobst, Corned Bees, Zucker, Kaffee, Tbee, Heringe u. s. w. zu füllen und an Bord der Lloyddampser zu verladen. Aller Proviant wird zunächst in Mengen von 50 leg und darüber in verlötbete Zinkkisten gefüllt. Diese werden mit einer starken, mit Bandeisen umschlagenen Holzkiste umgeben, deren Deckel aufgeschraubt wird. Zur Aufnahme deS festen Proviants werden 700 cbm Raum an Bord gebraucht. Hierzu kommen noch die Getränke, Lazareth-, Apothekencinrichtung und Kriegsmunition. Ergänzend hierzu schreibt unser V-Correspondcnt aus Wilhelmshaven, 26. Juni: Mit dem Eintreffen Les ersten für den China trän Sport gecharterten Lloyddampser „Frankfurt" hat sich im Kriegshafen ein äußerst reges und geschäftiges Treiben entwickelt und es scheint, als ob die ganze Ausrüstung Lieser Truppenentseudung nach Ostasienjeinen größeren Umfang anuimmt, als zu Anfang geplant sein dürfte. DaS Pionierdetachement besteht aus 3 Officieren, 2 Portepee-Unterofsicieren und 95 Mann. Die Stärke der Fcldbatterie beträgt 6 Officiere, 2 Portepseunter- officiere und 169 Mann; und «das SanitätSdckachement besteht auS 8 Marinekrankenwagcn und 6 Fahrern. Außer dem wird eine vollständige Feldbäckerei mit einem Personal von 18 Mann mitgenommen. Diese einzelnen Detachements werden sämmtlich an Bord der „Frankfurt" eingeschifft. Auch an einem Seelsorger fehlt cö nicht, indem der Marinepfarrer Keßler sich dem Transport anzuschließen hat und sich mit dem II. Seebataillon auf der „Frankfurt" einschiffen wird. ^Die „Frankfurt" ist ein Dampfer von 9000 Tonnen, 3200 Pferdekräftcn und 12 Knoten Geschwindig keit, welcher namentlich für den Zwischendecks- und Güter verkehr zwischen Bremen und norbamerikanischen Häfen ein gerichtet ist und sich daher zu einem solchen Truppentransport besonders eignet. Für die Aufnahme derselben müßten natürlich besondere Einrichtungen getroffen werden, welche für einen Mobilmachungsfall vorgesehen sind. Die vom VerpflegungS- amt bereitgestellle Proviantausrüstung wird von längsseit liegenden Prähmen übergenommen und verschwinden bald in den mächtigen Laderäumen des Dampfers, welcher mit vor- Fcttilletsn. Diana. Roman von Marian Comyn. Naivdruck verboten. „Erst Will ich von Dir hören, was Du mir zu sagen hast. Wie ist es Dir in all' der Zeit ergangen? Es 'dünkt mich ein« Ewigkeit, baß ich Dich nicht gesehen ha>be", sagte Erich, hinter dem Schemel hinweg ihre Hand ergreifend und in der seinen behaltend. „Wie kommst Du mit Tante Mathilde aus?" „Was das anbetrifft, so muß ich Dir gestehen, daß Tante Mathilde und ich den ganzen Tag mit einander streiten, aus genommen bei den Mahlzeiten, da wendet sie ihre ganze Auf merksamkeit Onkel Norman zu und quält ihn so lange, bis der arme Mann 'der Verzweiflung nahe ist. Er ist ein so lieber, guter, alter Herr; cs ist schrecklich, daß er in den Händen einer solchen Frau, wie Tante Mathilde, ist, die ihm daS Leben nach jeder Richtung hin verbittert. Ein so kluger, so guter Mann mit einem so treuen, hübschen, lieben Gesicht!" „Du scheinst ja ordentlich für ihn zu schwärmen", unter brach sie Erich. „Sehe ich ihm nicht ein wenig ähnlich? Dann dürfte ich doch vielleicht auch Gnckde vor Deinen Augen finden?" fragte er, sich vorbeugend und ihr sein Gesicht zu wendend; Pauline blickte ihn prüfend an und sagte dann lachend: „Du ihm ähnlich? Nein, mein Herr. Ich sagte ja, daß er «in hübscher alter Herr sei. Doch nun höre weiter. Tante Eleonore und Wilfried waren vor etwa vierzehn Tagen hier; ich glaube, sie hatten die Absicht, hier zu bleiben, aber Wilfried mußte wohl zu entsetzt über die Einförmigkeit des hiesigen Lebens sein, denn sie brachen ihren Besuch schon nach wenigen Tagen ab. Das ist wenigstens der Eindruck, den ich von der Sache empfangen habe. Jetzt sind sie nach Schottland gegangen. Im vorigen Jahre um diese Zeit war ich auch dort; eS ist geradezu empörend, daß ich es mir gefallen lassen muß, daß man mich in dieser Einsamkeit begräbt." Pauline sagte dies in so traurigem Ton«, baß Erich es für seine Pflicht hielt, sie zu trösten, und einige Minuten lang waren die Vögel, welche von den Aesten der hohen Buchen neugierig in die Vorhalle der Kirche hineinguckten, Zeugen einer sehr rührenden Scene, welche damit endete, daß der Holzschemel auf seinen alten Platz, den «Fußboden, verbannt wurde. „Ich habe Dir damals im Theater nicht die volle Wahrheit gesagt. Erich, ich vermochte es nicht", flüsterte Pauline jetzt. während sie sich fest an Erich anschmiegte. Mit leisem Erröthen fuhr sie fort: „Tante Eleonore -hatte schon seit längerer Zeit geargwöhnt, daß ich — daß ich Dich liebe, Erich", sie verbarg ihr Antlitz bei diesen Worten an seiner Schulter, „ich konnte Dir das doch "damals nicht sagen", fuhr sie fort, zärtlich zu ihm aus blickend. „Eines Tages machte mir meine Tante deswegen einen heftigen Auftritt und verlangte, ich -solle ihr versprechen, niemals wieder mit Dir in irgend welche Berührung zu kommen — das war, ehe Du das letzte Mal nach London kamst. Natürlich weigerte ich mich, ihr ein derartiges Versprechen zu geben, und die Folge davon war, daß sie mich hierher schickte. Was sie wohl sagen würde, wenn sic mich in diösem Augenblicke sehen könnte!" Bei diesen Worten brach Pauline in ein herzliches Lachen aus, in welches Erich lustig mit einstimmte. „Mer nun sage mir, Pauline", sagte der junge Mann nach einiger Zeit in besorgtem Tone, „glaubst Lu, daß sie DiH zwingen wird, noch lange hier zu bleiben?" „Nein, ich glaube es nicht, ich durchschaue ihre Absicht — sie will mich durch die Einsamkeit und Oede dieses Ortes zum Nachgeben zwingen, aber cs gelingt ihr nicht. Ich würde mich ihren Wünschen nicht fügen, selbst wenn sie mich verurtheiltc, hier zu bleiben, bis ich mündig bin. Nein, Erich. Dein bin ich. und Dein will ich bleiben! Aber lange wird mein Aufenthalt hier nicht währen. Du darfst Eines nicht vergessen, womit sie zu rechnen hat — das Urtheil der Welt —. Du kannst Dir wohl denken, daß dasselbe ein sehr mißfälliges sein würbe, wenn eS laut wird, daß sie Mich halb und halb zur Gefangenen macht, weil ich mich weigere, ihren Sohn zu heirathen. Es ist mög lich. daß ich bis spät in den Herbst hier bleiben muß. aber auf jeden Fall werde ich noch vor Weihnachten zurückberufen werden." Der schöne August-Nachmittag ging nur allzu schnell vorüber, di« Schatten wurden länger und die Sonn« versank hinter den Bergen. Erich mußte sich, ehe er nur halb daS gesagt hatte, was er zu sagen beabsichtigte, mit der Ueberzeugung zurück ziehen, daß nichts, was er auch Vorbringen mochte. Pauline be wegen würde, in eine sofortige Heirath zu willigen, wenigstens — vorläufig nicht. XII. Als Philipp Diana's fragendem Blicke begegnete, vermochte er eine leise Unruhe nicht zu verbergen. Es war nicht zu ver kennen, daß er von der plötzlichen Erscheinung jener Frau in dem Thürrahmen am Ebbe der Galerie peinlich berührt worden war. Er war sichtlich verwirrt. Diana entging seine Verlegen heit nicht, und sie wartete einige Augenblicke, da sie annahm, daß er irgend welche Aufklärung über die geheimnißvolle Fremde, welche in einer so außergewöhnlichen Art und Weise erschienen und wieder verschwunden war, geben würde; aber da nichts der gleichen erfolgte, wendete sie sich um und schritt langsam den langen Corridor hinab, während ihr Philipp ebenso langsam folgte. Als sie das Ende des Corridors erreicht hatte, hielt er sie zurück. „Warten Sie einen Augenblick, Miß Beauchamp; Sie sind unglücklicher Weise Zeugin eines Vorfalles gewesen, den ich sicher lich verhindert hoben würde, wenn ich ihn hätte voraussehen können. Fassen Sie die Sache nicht falsch auf; wenn es mir möglich wäre, so würde ich Ihnen eine wahrheitsgetreue Er klärung über das, was sich ereignet hat, gsben — gewiß, ich würde es ohne Zögern thun. Aber unglücklicher Weise bin ich zum Schweigen verurthei'lt." Diese Worte besserten nichts an der Sache. Diana's Ant wort klang kalt und gezwungen. „Ich habe durchaus nicht den Wunsch, Ihr Vertrauen zu er zwingen, Mr. Heathcote; es thut mir leid, daß ich unerwartet Zeuge eines Vorfalles gewesen bin, hinter dem sich, wie cs scheint, ein Geheimniß verbirgt." „Es ist ein Geheimniß, ja gewiß", erklärte er. „und mehr als das, es muß ein Geheimniß bleiben! Ich bitte Sie dringend, zu keinem Menschen in der Welt etwas von dem, was Sie ge sehen haben, zu erwähnen." „Ich würde das ohnehin auf keinen Fall gethan haben, Mr. Heathcote." Sie warf den Kopf ein wenig zurück und warf ihm einen nicht mißzuverstehenden Blick zu. Er stutzte, und bei dem Gedanken, der jetzt plötzlich in ihm aufstieg, überzog sich sein Antlitz mit einer dunklen Röthe. „ES ist ein unseliger Zufall", murmelt« er halblaut vor sich ^/in. Dann sagte er laut: „Legen Sie der Sache nicht die schlimmste Bedeutung bei, Miß Beauchamp. ich gebe zu. ei sicht jböse genug aus, aber in dem Sinne schlimm, wie Sie anzu nehmen scheinen, ist es nicht. Die Dame, welche Sie soeben ge- sehrn haben, ist eine der unglücklichsten Frauen, die es auf dcr Welt giebt. aber sie ist die Lauterkeit selbst. Ich habe keinen Augenblick gezögert, sie in daS HauS zu bringen, in dem sie Zuflucht gefunden. Gott sei's geklagt, ich bin'm der Achtung der Menschen so tief gefallen, daß ich nicht noch tiefer fallen kann. Ich glaubte, mich darüber hinweggesetzt zu haben, seit Jährest habe ich mich nicht um die Meinung der Leute ge kümmert; aber — wie Sie über mich denken, Miß Beauchamp, ist mir nicht gleichgiltig." Eine tiefe Bewegung klang aus seiner Stimme, als er diese Worte sagte, welche auf Diana nicht ohne Eindruck blieben. Sie zögerte ein wenig, dann sagte sie, ohne aufzudlicken: „Es ist Nicht an mir. Sie zu richten, Mr. Heathcote." „Nein — wollte der Himmel, es wäre so! Aber ich möchte in gewisser Hinsicht in Ihren Augen gerechtfertigt dastehen, sind Sie doch das einzige Wesen, welches mir in all' den Jahren mit Güte untd Theilnahme entgegengetreten ist. Es ist eine Schwäche von mir — ohne Zweifel —, aber der Mensch ist ein schwaches, unvollkommenes Geschöpf, und obgleich ich seit Jahren mit der Welt kaum in Berührung komme, mit Niemandem verkehre, habe ich mich doch von den Schwächen nicht freizunrachen gewußt. Glauben Sie das, was ich Ihnen gesagt habe, Miß Beau champ?" Sie hob ihren gesenkten Kopf empor und blickte ihn forschend an. Nein, diese Augen konnten nicht lügen, kein Zeichen von Schuld lag auf seinem Antlitz, nur ein halb stolzer, halb flehen der Ausdruck, der um ihr Vertrauen zu bitten schien. „Ja, ich glaube Ihnen!" Alle ihre Zweifel waren verschwunden, unb als Zeichen ihres Vertrauens streckte sie ihm ihre Hand entgegen. Er nahm die schmale, z-arte Hand, und nachdem er dieselbe einen Augenblick fest mit der seinigen umschlossen gehalten, führte er sie an seine Lippen. Es lag nichts Theatralisches oder Uebertriebenes in dieser Handlungsweise, er wollte nur seine Dankbarkeit für das ihm geschenkte Vertrauen dadurch avsdrücken. Ohne ein Wort hinzuzufügen, öffnete er die Thür für sie, und langsam stiegen sie die Treppe hinab. „Wie lange Ihr fortgrwefen seid", sagte Nancy in erregtem Tone, als Philipp und Diana das Zimmer, in dem sie vorher den The« eingenommen, wieder betraten. „Ich wußte gar nicht, wo Du geblieben warst. Du hättest doch wohl daran denken können, daß ich ganz allein hier zurückgeblieben war." Sie war tief gekränkt. „Haben Sie inzwischen einige Steine für Ihre Ringe aus gewählt fragte Philipp Heathcot«. schnell zwischen sie und Diana tretend, um diese, auf deren Antlitz sich noch die Spuren der vorangegangenen Erregung auSprägten, vor den scharfen Augen Nancy's zu schützen. „Es sollte mich freuen, wenn Sie etwas gefunden hätten, was Ihrem Geschmack entspricht." Aber so leicht war Nancy nicht besänftigt. Sie fühlte sich in ihrer Würde gekränkt unp hatte den unbestimmten Verdacht, daß diese Beiden ihre Anwesenheit vollständig vergessen hatten. Sie
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