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02-Abendausgabe Leipziger Tageblatt und Anzeiger : 21.06.1901
- Titel
- 02-Abendausgabe
- Erscheinungsdatum
- 1901-06-21
- Sprache
- Deutsch
- Digitalisat
- SLUB Dresden
- Lizenz-/Rechtehinweis
- Public Domain Mark 1.0
- URN
- urn:nbn:de:bsz:14-db-id453042023-19010621020
- PURL
- http://digital.slub-dresden.de/id453042023-1901062102
- OAI-Identifier
- oai:de:slub-dresden:db:id-453042023-1901062102
- Sammlungen
- LDP: Zeitungen
- Strukturtyp
- Ausgabe
- Parlamentsperiode
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- Wahlperiode
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Inhaltsverzeichnis
- ZeitungLeipziger Tageblatt und Anzeiger
- Jahr1901
- Monat1901-06
- Tag1901-06-21
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Folgendes: „Die Lage der Frauen und Kinder in den Gefangenenlagern ist nicht zu be schreiben. Wir sind jetzt in der Regenzeit; es giebt viele Krank heiten und die armen Pflegerinnen bekommen schlechte Nahrung, sind schlecht gekleidet und haben ungenügendes Unterkommen. Herzlich dankbar sind sie für die Gaben aus Europa. Drei Monate lang habe ich mittels meiner Freundin Frau .... dringend bitten müssen, ehe wir einen offenen Eisenbahnwagen nach Johannesburg bekommen konnten, und zwar nur für Kleider, nicht für Lebensmittel. Jetzt habe ich 18 Kisten mit verschiedenen Sachen und kann nichts weiterschicken, und von allen Kisten mit Kleidungsstücken, die schon vor zehn Tagen befördert worden sind, habe ich noch nichts gehört. Miß Hobhouse konnte keine Erlaubniß bekommen, nach Johannesburg zu gehen; die niederländischen Pflegerinnen sind auch nicht dahin geschickt. Was soll ich jetzt thun? Die Gesundheit der Frauen wird auf immer vernichtet; die starken und gesunden Kinder werden immer schwächer, und wenn dieser Zustand noch länger fortdauert, so wird das ganze Volk in seiner Gesundheit und Widerstandsfähigkeit heruntergebracht. Daß doch die Völker auf dem Fcstlande Europas ihre Stimmen erhöben, damit sie durchklingen, da wo alle Menschlichkeit noch nicht aufgehört hat. Möchte doch ein Entrüstungssturm sich erheben gegen die britischen Söldner Horden, die feige und niederträchtig genug sind, in entfernten Ländern Frauen und Kinder des um seinen heimischen Herd kämpfenden Gegners durch Hunger zu martern; möchten Englands Machthaber durch die benachbarten gesitteten Völker kräftig gemahnt werden, ihr auf dem Kongreß im Haag gegebenes Wort zu halten! Der Onkel und die Tante des Präsidenten Krüger, Greise von 84 und 82 Jahren, wurden aus ihren Wohnungen weggeholt und mußten 24 Stunden lang in einem offenen Eisenbahnwagen reisen unter einem Platzregen, ehe sie im Lager eintrafen. 7 Kinder waren während der Reise gestorben, 4 aus dem Wagen gefallen und 3 vor Hunger und Mangel umgekommen. Und Miß Hobhouse sagte: Diese Heldinnen sagen nur wenig und klagen nicht, sie sind nicht mit Groll erfüllt und flößen die tiefste Ehr furcht ein." (Die Zusage, daß den Pflegerinnen nichts in den Weg gelegt würde und daß man den Unglücklichen in den Ge fangenenlagern die für sie aufgebrachten Unterstützungen nicht vorcnthalten wolle, ist also damals in der schnödesten Weise ge brochen worden. Neuestens hat die englische Regierung auf Ein schreiten der niederländischen Regierung, wie berichtet, „sehr be friedigende Erklärungen abgegeben".) * London, 20. Juni. Asquith äußerte gestern in einer Rede bei einem von Len Liberalen veranstalteten Diner, er müsse gegen die Annahme Einspruch erheben, als ob er und seine Freunde wegen ihrer Ansichten über Len südafrikanischen Krieg der liberalen Partei abtrünnig geworden wären. Er wisse nichts von einer autoritativen Stelle in der liberalen Partei, die die Macht hätte, eine Excommunication oder Abso lution auszusprechen. Er und seine Freunde blieben Liberale bis ins Mark. Nach seiner Meinung dürfe man keiner der beiden kriegführenden Parteien Inhumanität vorwersen. Er spreche als Liberaler zu Liberalen und meine, Alle gäben zu, daß die Unab hängigkeit der südafrikanischen Republiken un möglich sei. Die Wirren in China. * Tientsin, 20. Juni. (Meldung des „Reuter'jchen Bureaus".) Chinesische Truppen besetzten mit Erlaubniß der Befehlshaber der verbündeten Truppen mehrere kleine Plätze in der Nähe von Aangtsun, von denen die fremden Truppen zurückgezogen worden sind. — General Lorne Campbell erklärt, die Zwistigkeiten, die kürzlich zwischen den fremden Soldaten und den Polizei mannschaften in der hiesigen britischen Concession vorgekommen seien, würden sich wahrscheinlich nicht wiederholen, nachdem die Be treffenden, die sich eines Versehens schuldig gemacht hätten, streng bestraft worden seien. General Voyron hat i» dieser Hinsicht seine volle Unterstützung zngesagt und ausdrücklich erklärt, daß, soweit es auf die französischen Truppen ankomme, die Ordnung aufrecht er- halten werden solle. * London, 20. Juni. Unterhaus. Dillon fragt an, ob die verbündeten Mächte sich geeinigt hätten bezüglich des Betrages der von China zu zahlenden Entschädigung, bezüglich der Art und Weise, wie die Entschädigungssumme aufgebracht werden soll und bezüglich der Mittel, durch welche die Zahlung der Raten der Entschädigungssumme sicher gestellt werden soll. Unterstaatssekrstär des Auswärtigen Cranborne erwidert, daß in der von den Gesandten an die chinesischen Bevollmächtigten gerichteten gemein samen Note die Entschädigungssumme auf 450 Millionen Taels festgesetzt wurde. Ueber die anderen Fragen werde noch berathen. * London, 21. Juni. (Telegramm.) Nach einem Tele- gramm des „Standard" ouS Shanghai vom 20. Juni bestehen dort Befürchtungen vor ernsten Unruhen in den Nordwest provinzen des eigentlichen Chinas. Vertrauenswürdige Berichte besagen, General Tungfuhsiong treffe Vorbereitungen und sammle ein großes Heer wohlgeschulter Truppen, um sich gegen den Kaiser zu erheben. Politische Tagesschau. * Leipzig, 21. Juni. Die Kaiserrede in Hamburg mit ihrem Hymnus auf die Entwicklung von Industrie, Handel und Schifffahrt ist begreiflicher Weise dem führenden conservativen Blatte in die Glieder gefahren. Da es der „Kreuzztg." aber aus begreiflichen Gründen nicht sehr erwünscht ist, den Kaiser direcl zu kritisiren, so bemüht sie sich, ohne überhaupt dabei auf die Rede Bezug zu nehmen, darzntbun, daß jede Borwärtsentwicklung der Industrie eine Gefahr für das Vaterland bedeute. Sie sagt nämlich: „Die Entwicklung der Industrie ist wirthschastlich vorteilhaft, hat social aber so große Schattenseiten, daß von ihrer künstlichen Förderung abgesehen werden sollte ... Je mehr die Jndnstriali- sirung Deutschlands fortschrritet, desto günstiger werden die Voraussetzungen für das Gedeihen der socialdemo kratischen Bewegung. Die Jndustrialisirung Deutschlands darf nicht befördert werden im Hinblick aus die sociale Gefahr, ja, die weitere Jndustrialisirung Deutschlands ist thunlichst zu ver- hindern . . ." Zunächst ist es keineswegs sicher, daß gerade die industrielle Entwicklung und nur diese die socialistische Bewegung fördert. Die „Kreuzztg." spricht aber in Verbindung mit der Gefahr der Jndustrialisirung auch noch mit besonderem Nachdrucke von der Gefahr der Central! sirung der Bevölkerung in den großen Städten. Nun läßt sich aber an der Hand der Acten über die letzten allgemeinen Reichstags wahlen nachweisen, daß gerade in einer stattlichen Zahl theils ausschließlich, theils fast ausschließlich ländlicher Wahlkreise, in denen die industrielle Entwicklung eine ganz geringfügige ist, die Socialdcmokratie die staunens- werthesten Fortschritte gemacht hat. Nehmen wir zunächst die Provinz Ostpreußen. Da ist der Wahlkreis Lab iau-Wehlau, in dem bis zum Jahre 1893 die Socialdemokratie niemals über 1400 Stimmen erhalten hat; 1898 aber betrug ihre Stimmenziffer 4286, womit sie nur nock um 1700 Stimmen hinter den Conservativen zurückblieb. In diesem Wahlkreise aber wohnen von den 100 000 Wahlberechtigten 86 000 in rein ländlichen Bezirken von noch nickt 2000 Einwohnern, die übrigen 14 000 in Orten von weniger als 10 000 Einwohner; eine größere Stadt existirt überhaupt nicht in dem Wahlkreise. In KönigSberg-Land- Fisch Hausen erhielten die Socialdemokraten 6600 Stimmen gegen 4600 conservativeund 3700bündlcrischeStimmen, standen also sogar au derSpitze der Parteien. Auch indiesemWahlkreise giebt es eine größere Stadt überhaupt nicht und es wohnen der Bevölkerung inOrten unter 2000Einwohnern. Verhältnißmäßig ebenso bedeutend war das Anwachsen der Socialdemokratie in dem ebenfalls fast ausschließlich ländlichen Wahlkreise Tilsit- Niederung und in den beiden rein ländlichen Wahlkreisen Rastenburg-Gerdauen und Nagnit - Pillka llen. Noch bedenklicher war das starke Anwachsen der Social demokratie in den ganz überwiegend ländlichen Groß- herzoglbümern Mecklenburg-Schwerin und Mecklen- burg-Strelitz. In sämmtlichen 7 Wahlkreisen dieser Großberzcgthümer erhielten die Socialdemokraten höchst respektable Slimmenzifferii. In zweien der Wahlkreise, nämlich Hagenow-Grevesmühlen und Malchin-Waren, giebt es überhaupt keinen Ort von mehr als 10 000 Einwohnern und trotzdem erhielten die Socialdemokraten in dem ersterwähnten Wahlkreise 4818 Stimmen, in dem letzteren 5224. Daß selbstverständlich dort, wo eine grcße compacte, geschlossene Arbeiterschaft vorhanden ist, auch die Socialdemokratie erhebliche Aussichten hat, ver steht sich von selbst, aber die angeführten Beispiele zeigen, daß daö Fernhalten der Industrie durchaus kein sicherer Schutz gegen das Ueberhandncbmen der Socialdemokratie ist. Im klebrigen aber ist die Auffassung der „Kreuzztg." eine rein äußerliche. Die großen industriellen Centren ziehen die Arbeiterschaft und damit die Socialdemokratie an sich und vom Lande ab. Wären diese Centren und mit ihnen loh nende Arbeitsgelegenheit nicht vorhanden, so würde damit die Svcialdemokratie nicht etwa zugleich vom Boden ver schwinden, sondern sie würde einen viel gefährlicheren Charakter annehmen, denn der Hunger ist der schlimmste Revolutionär. Im klebrigen sind wir mit der „Kreuzztg." gleicher Meinung darin, daß eine künstliche Förderung der Industrie nicht wünschcnswerth wäre; was aber die„Kreuzztg." anstrebt, ist eine künstliche Behinderung der Industrie, und dies scheint uns für die nationale Wohlfahrt noch gefähr licher als die künstliche Förderung. Je näher die Rückkehr deS Grafe» Waldersee rückt, um so lauter werden die Stimmen, die davon abmahnen, bei seinem Empfange das Aufgebot an Scenerie zu veranstalten, das bei seiner Ausreise veranstaltet wurde und begreifliche Verstimmung hervorrief. Hu den Warnern gesellt sich jetzt auch die ultramontanc „Köln. Volksztg.", die u. A. sagt: Aber auch die feierliche Bewillkommnung deS Grasen Waldersee am AuSgange des Mittelmeeres halten wir für überflüssig. So große Thatcn hat der Oberbefehlshaber doch nicht vollbracht, daß man darüber in einen Siegesrausch gerathcn müßte, als hätte er ganz China erobert. Je mehr Decoration man heut zu Tage für nothwendig hält, um so greller tritt hervor, wie dürftig es uni die Thaten steht." Zunächst ist hierzu zu bemerken, daß die Entzegensendung eines Theilcs des unter dem Prinzen Heinrich stehenden Geschwaders zur „Begrüßung" der aus Ostasien heim kehrenden Panzerdivision — eine Maßregel, die von niedreren Blättern als hauptsächlich zu Ehren des Grafen Waldersee angeordnet bezeichnet wurde —, von der „Nordd. Allgemeinen Zeitung" bereits auf „dienstliche Gründe" zurückgefübrt worden ist. Man darf daraus wobl schließen, daß man sich an maßgebender Stelle vollständig im Klaren darüber ist, wie wenig eine Wiederholung des bei der Ausreise des „Weltmarsckalls" gemachten Fehlers am Platze wäre. Aber der Herabsetzung der Verdienste des Grafen Waldersee gegenüber, wie sie in der „Köln. VolkSztg." zum Ausdrucke kommt, ist denn doch der Hinweis darauf nöthig, daß es der Würde deS deutschen Reiches schlechterdings nicht entspräche, wenn eS einen Mann, der an der Spitze von Truppen der civilisirtcn Staaten der ganzen Welt eine sehr schwere Aufgabe mit großem Takt und Ge schick gelöst hat, ohne Sang und Klang in der Hcimath empfinge. Ganz seltsam ist es übrigens, wie die „Berliner Börsen-Zeitunz" mit Recht betont, daß gerade ein katho lisches Blatt über Pomp und Scenerie bei bedeutsamen politischen Gelegenheiten spöttische Klage führt. „Wo weiß man denn den Nimbus der Jnscenirung besser zu würdigen als in der katholischen Kirche?" Einen Aufruf zu Gunsten des Baues einer altkatholischen Kirche in Graz veröffentlicht Professor Nippold in Jena. Er weist darauf hin, daß die klerikale Partei in Oesterreich den Altkatholicismus mehr fürchte als den Protestantismus. Das einzig wirksame Gegenmittel gegen den von jesuitischer Seite in Oesterreich geübten Mißbrauch der Religion liege in der Kräfti gung ernster religiöser Ueberzeugung. Lärmende Demon strationen verpuffen, während eine Kräftigung der altkatho lischen Bewegung dauernden Erfolg verspreche. Nippold er wähnt eine Aeutzerung, die Professor Bey sch lag kurz vor seinem Tode gethan. Es sei eine im Grunde sehr unevangelische Engherzigkeit, die evangelisches Christcnthum allein in äußeren geschichtlich überlieferten Forryen zu erkennen vermag, eine Eng herzigkeit, welche sich auch bei dem gegenwärtigen Nebeneinander protestantischer und altkatholischer Triebkräfte in der öster reichischen Los-von-Rom-Bewegung manchmal in geradezu häß licher Weise geltend zu machen droht. Im Gegensatz zu dieser Engherzigkeit befürwortet er warm die Unterstützung auch der altkatholischen Bestrebungen durch Förderung des Grazer Kirchenbaues. Wie erinnerlich, hat Professor Nippold seinen Standpunct, für den sehr Vieles spricht, von Anbeginn der evangelischen Bewegung, so u. A. in einem bedeutsamen, im Leipziger Nationalliberalen Verein gehaltenen Vortrag, geltend gemacht. Wir wünschen seinem Aufruf allen Erfolg! In der gestrigen Sitzung des italienischen Senats gab der Minister des Auswärtigen Prinetti bei der Berathung über da» Budget des Auswärtigen ähnliche Erklärungen ab, wie früher in der Kammer. Er weist darauf hin, daß die Ziele, welche sich Feuilleton, 5s „Ihr Darr". Novelle vpn Johannes Proelß. Nachdruck erboten. Ein Beisitzer unterbrach sie. „Ihr könnt also schriftsehen, Frau Magister? Woher?" „Mein Mann lehrte es mich. Das war früher! Damals, als ich den Streich beging, hatte ich das schon aufgegeben! Nur dies eine Mal vergriff ich mich an den Buchstaben. — Und donn wunde mir mein Mann wie rodt ins Haus gebracht. Er war auf dem hastigen Ritt zum Köhler im Stadtwald vom Pferde gefallen. — Die lange Krankheit kam, — — — ich pflegte ihn, vergaß «den 'Streit! Mann, Mann!" schrie sie auf und stürzt« von dem Tisch der Richter wieder zu Cr-usius hin, „kannst Du mir gar nicht vergeben?" Dieser aber, in Schmerz erstarrt, blieb stumm und wandte sich ab. „Hier sind Eure Richter, Frau Magister!" schrillte La die zornige Stimme Karstroppis durch das Schweigen. „Meine Herren, ich hebe Vie Sitzung auf. Die Angeklagten sind geständig. Es ist erwiesen, daß der Buchdrucker CrusiuS, indem er die amt liche Angelegenheit des Bibelisrucks mit seinen profanen Ehe- angölegenheiten vermengte, den Anlaß gab für di« That seiner Frau, durch welche diese zum Spott ihres Mannes und sodann des ganzen Männergeschlechts überhaupt das Gebot Gottes ver fälschte. Die Gefangenen sind abzuführen — zrtrennt — Jedes in sein Gewahrsam!" IV. Dir weit auseinander liegenden Zellen, in denen CrusiuS und seine Fvau inhaftirt waren, lagen beide nach dem Hof hin aus. Dir Neimen vergitterten Fensteröffnungen, durch welch« am Tage spärliches Licht drancz, befanden sich aber in einer Höhe, die dm Gefangenen dvS Hinaussehen unmöglich machte. So kon-nten der Druckherr und Frau Margrethe auch dal grausig« Schauspiel nicht sehen, das sich im Finstern der' nächsten Nacht auf dem großen Hofe der Frohnvogtei entfaltete, nachdem Vie gcmz« hievber beförderte Auflage der „Narrenbidel" von den Bütteln und Henkersknechten auf einrm Holzgerllst aufgehäuft war, unter dem sich Brennholz befand, das dann auf Befehl deS FrohnvogtS in Brand gesteckt wurs«. Es blieb den beiden un glücklichen Menschen, für welche dies« Bücher einen großen Theil ihre» Besitze» bedeutete, erspart, mit anzusehen, wie di« schön ge druckten, in Pergament gefaßten Bände dort vor dem Pranger in Feuersgluth vergingen, welche HenkershaNd schürte; aber der rothe Widerschein, der durch das Gitterfenster in ihre Einsamkeit fiel, der Funkenregen, der wider dasselbe schlug, das Knistern und Prasseln, die rohen Commandoworte, die ihr Ohr vernahm, der brenzliche Geruch, der zu ihnen drang, ließen sie den grausigen Vorgang in aller Unmittelbarkeit miterleben. Daß sie erfuhren, was die schwelens« Feuersgluth und all' das unheimliche Treiben zu bedeuten hatten, dafür hatte die Bos heit ihres Todfeindes Karstropp gesorgt. Auf seinen Befehl war es ihnen von ihren Wärtern durch di« verschlossenen Thüren zu gerufen worden. Wenn Karstropp aber gemeint hatte, das Autodafe werde die beiden Betroffenen mit gleicher Verzweiflung erfüllen, so war dies ein Jrrthum gewesen. Nur auf Margrethe übte die Nach richt und das folternd« Bewußtsein von den Vorgängen draußen dir erwartet« Wirkung aus. Di« Vernichtung der kostbaren Bücher selbst, L«r Vermögens- veillust, den dieses Brandopfer ihr und dem Gatten zufügt«, kamen für ihren Schmerz kaum in Betracht. Was sie vor den Schranken des Gerichts erlebt hatte, Gerhavd's kalt« Ablehnung ihrer flehenden Bitte, ihr doch zu vergeben, beherrscht« chre Seele ganz. Sie konnte Li« Vernichtung des Druckwerkes, das ihn so viel Mühe gekostet hatte, auf das er so stolz gewesen war, nur unter diesem Gesichtspunct betrachten. Nachdem ihres Mannes Befürchtung so schnell furchtbare Wahrheit geworden war, wür'de sie gewiß nt« mehr seine Liebe zurück erobern können! In wildem Schluchzen, mit bebendem Leib gegen di« Mauer gelehnt, ver setzte sie sich in den Seelenz-ustand, mit welchem er, — wohl gar als Augenzeuge des gräßlichen Schauspiels, — die Höllenqual dieser Stunde ertragen werde. Die heiß« Sehnsucht erfüllte sie, jetzt an seiner Seite zu stehen, ihm beweisen zu können, wie sie eins mit ihm sei, ganz eins, und wie fremd jene That des Leichtsinns, die dieses Unheils Wurzel war, ihrem Herzen sei, ihrer Liebe. Und wie sic sich dabei den Hof unter ihr vergegenwärtigt«, in welchem er vielleicht jetzt, in die Flammen starrend,' stand, da trat vor ihren geistigen Blick auf einmal der Hof ihres Hauses und jene Scene, welche der Ausgangspunkt des häßlichen Streites ge wesen war, der nun solche Sühne fand. Sie mußte daran denken, wie damals die Zubereitung der Druckerschwärze, der herumwirbeln'de Ruß ihren Zorn erregten, so daß der Hoffahrts teufel Macht über sie gewann, der sie zu dem eitlen Wahne ver leitete, di« Herrschaft im Hause gebühre ihr. Auch Meister Gerhard in seiner Zelle mußte dieser Scene ge denken, während der funkendurchwirbelte Gluthrauch von den brennenden Büchern auf dem Hof« an sein Gitterfenster schlug. Für ihn aber wurde das Erinnerungsbild zum Anfang einer ganz anderen Gedankenreihe. Als der ernste, gewissenhafte Mann durch das Geständniß seiner Frau zu der Ueberzeugung gelangt war, daß er dir Ver antwortung für den scandalösen Druckfehler ganz zu tragen habe, war er selbst von der Vorstellung gepackt worden, die Beseitigung dieses Schandfleckes von seiner Buchdruckerehre könne nicht schnell genug bewirkt wenden. Er hatlte dann im Gefängniß vor sich hingegrübelt, ob dies nicht geschehen könne, ohne daß deshalb das ganze fertige Buch vernichtet würde; er hatte im Geiste ein« Bitt schrift an den Herzog entworfen, die diesen für ein solches Ver fahren gewinnen sollte. Aber er that eö in resignirter Stimmung. Er wußte: das Rechtsgefühl der Zeit verlangte in solchen Fällen als Sühne die Vernichtung des ganzen Werkes. Da war ihm denn die Nachricht von dem Vollzug dieser Sühne eine Befreiung aus quälenden und unfruchtbaren Zweifeln gewesen. Sie wirkt« wie ein kräftigender Aufruf an seine Energie: „Laß, was nicht mehr zu retten ist, hinter Dir und nimm wahr, was Dir bleibt für di« Zukunft!" Und dieser Ausschwung seines Gemüthes löst« auch den starren Schmerz, den er über die Leichtsinnsthat seiner Frau empfand. Was ihm blieb für die Zukunft, neben seinem Können, waren sein Weib und sein Kind! Wie schwer ihn euch ihre That ge troffen hatte: mit dem lohenden Brande draußen war sie für ihn jetzt gesühnt. In imm«r milderem Licht« erschien ihm die That, der kindische Trotz, dem sie entsprungen war. Er überschaut« seine Ehe, wie sie sich seit jenem Tage des verhängnißvollen Streites entwickelt hatte; er rief sich ins Gedächtniß, welch« Fülle an sonnigem Glück er seither dem goldenen Leichtsinn und der goldecht«n Lieb« seiner Grethl zu danken, welch' opferfreudige Tüchtigkeit er an ihr gar dann zu bewundern gehabt hatte, als der kleine Klaus bei ihnen eing«zogen war. Bittere Reu« befiel ihn, daß er vorhin so rauh und hart gegen si« gewesen war, und auch ihn packt« ti«f« S«hnsucht nach ihr, sie zu trösten, sie seiner Liebe zu versichern, den Jammer und die Prüfung dieser Stunden mit ihr zu theilen! Während draußen die Zeugen früherer Entzweiung in Asche versanken, erhoben sich Beider Seelen in heißen Segenswünschen für einander. Di« Nacht verging. Die Rauchwolken über der Frohnvogtei verzogen sich vor den Strahlen der die Welt zu neuem Leben weckenden Sonn«. Sie fanden Frau Margrethe auf dem harten Lager ihrer Gefängniß zelle in samftem Schlummer; ein frohes Lächeln erhellte ihre bleichen Züge. Si« träumte von ihrem Knaben, den sie in der sicheren Obhut der alten Kathrin hatte zurücklassen müssen. Er lag in seiner Wieg«, und über ihn neigte sich eine freundliche, reich gekleidete Frau — die Herzogin. Und die Herzogin sagte mit gütigem Lächeln: „Warum vergaßet Ihr nur, liebe Frau, daran zu denken, wi« gern ich Mich Euch für Euren, m«in«m Knaben erwiesenen Liebesdienst erkenntlich zeigen würde?" In des Magisters Zelle aber empfing den Gruß der Morgen sonne ein Wachender. Crusius hatte als sorgender Gatte und Vater die Möglichkeiten seines Schicksals erwogen. Er schaute dem neuen Tage mit dem festen Vorsatz« entgegen, heute noch zu versuchen, in einer Audienz beim Herzog di« Freisprechung seiner Frau zu erwirken. Er kannte den Herzog: erfuhr Vieser erst, wie Alles gekommen war, er würde Gnade vor Recht ergeben lassen. Nur die Frage, wi« er trotz des feinidlichen Einflusses d«s Justitiars die Audienz erlange könne, machte ihm Sorge. Die Sonne stieg höher. Der neu« Tag war ein Sonntag: er wurde für di« Residenz «in Festtag, der allen Bewohnern noch lange in Erinnerung blieb. Di« Furcht des Herzogs Lutdwig, es müsse di« verspätete An zeige der Geburt eines Thronerben im Lande wi« im Reiche das größt« Aergerniß erregen, wurde vom Gang der Ereignisse keines wegs bestätigt. Es ging in diesem Falle, wi« es meistens geht, wenn ein an Ceremonicll uns Förm lichkeit gewöhnter Geist von der Verletzung des Herkommens den Einsturz der W«lt befürchtet: die Welt nimmt ruhig weiter ihren Lauf, und di« gestrengen Mitmenschen, deren Urthril man so sehr fürchtete, wundern sich kaum darüber. Die Bedenken d«s Hofmarschalls hatten dem Herzog freibich noch eine böse Stunde bereitet: diesem schien die Situation un überwindliche Schwierigkeiten zu bieten, unv das benahm ihm fasst die Fähigkeit, seinem Herrn zu dem großen, langersehnten Ereigniß nach Gebühr Glück zu wünschen. Noch mehr versäumte es hierin der Ober-JustitiariuS Kar stropp, der, im Gefühl befriedigter Rache und noch glühend von Derfolgungseifer, aus der^ Gerichtssitzung der Censur-Coll«arum» in die Berathung des StaatLraths ganz unvorbereitet hinein geschneit kam. Als er hört«, um was es sich handelte, verlor er alle Fassung. — Wie, di« Herzogin war zurückgekehrt und hatte statt der ver meintlichen neuen Tochter ein«n Sohn mit aufs Schloß ge bracht?! Diese Nachricht, oi« alle andern Theil'nehmer <m der Sitzung aufrichtig beglückte, warf das ganz« Jntrigven-Gechäude um, das er mit dem erbberechtigten Oheim des Herzogs in aller Heimlichkeit aufgesührt hatte! Sein Zorn darüber war so groß, daß ihm in der ersten Aufwallung die Kunst der Verstellung ver sagte. Nach der Duldung, die noch am Vormittag seien respekt losen Ausfälle gegen die Herzogin beim Herzog gefunden hatten, glaub!« er es auch fetzt noch mit diesem Mittel versuchen zu können, um d«n leicht lenkbaren Fürsten gegen sein Weib un»
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